Paul Erdmanns Fest
Mein Vetter und ich waren auf Reisen die Welt und ihre Berge und Gewässer zu sehen, und ich rekommandiere einem jeden Menschen so 'ne Reise; es kommen gar liebliche Berge und Gewässer mit vor. Gleich den dritten Tag in der Morgendämmerung trafen wir auf einen Fleck, der schier nicht schöner sein kann. Mein Vetter ließ halten und wir sahen überallhin.
»Da drüben am See«, sagte mein Vetter zu mir, »soll Euer Haus stehen; dort oben am Berge Freund ** seins, und hier wo wir stehen will ich wohnen. – – – Aber, was ist Euch, Vetter, Ihr werdet ja so heroisch aussehen?«
»– Ich bin willens, von dieser Gegend Besitz zu nehmen.«
»Dacht ich's doch, daß so etwas im Werk wäre! – Wie macht Ihr denn das?«
»Wie's gemacht wird. Ich zieh meinen Hirschfänger heraus, und haue in alle vier Winde, und rufe überlaut, daß ich hiemit Besitz nehme; und denn gehöret die ganze Gegend meine mit allem was darin ist. So haben es ja die Europäer in andern Weltgegenden gemacht, und es ist reüssiert.«
»Wohl wahr, Vetter; aber die Umstände waren doch verschieden. Dazu reisen wir; so könnt Ihr ja doch nicht dableiben.«
»Nun, so laßt uns denn reisen.«
»Aber bei der Gelegenheit wollen wir's miteinander absprechen, was wir denn eigentlich für eine Reise machen wollen. Was meint Ihr?«
»Ich meine, wir machen le grand tour.«
»Was nennt Ihr le grand tour?«
»Immer vorwärts so wie der Wagen dasteht, bis wir herumkommen auf denselben Fleck; und denn zu Hause.«
»Der Vorschlag ist so übel nicht, auch in der Theorie ganz richtig; in der Praxis hat er denn freilich seine Schwierigkeiten, wie das wohl so zu sein pflegt. – Aber seht, da geht die Sonne auf!«
[188] »Seht doch! – Vetter, sie ist nun alle Tage aufgegangen solang ich lebe; und doch, wenn ich sie des Abends sehe untergehen, kann ich immer nicht glauben, daß sie den andern Morgen wieder aufgehen werde.
Wie sie da nun wieder hervorkommt! – lieber Vetter! –
Aber schau, es wallt und bewegt sich so in ihr; was ist das?«
»Sie haut nun in alle vier Winde, und nimmt von dieser Halbfläche der Erdkugel Besitz! – Und das, Vetter, ist dir doch ein rechter Besitznehmer! Er bringt, und nimmt nicht!
Doch sitzt auf; in ein paar Stunden sollt Ihr wieder was Schönes sehen, freilich keine Sonne wieder, denn die haben wir nur einmal in der Welt, aber doch was Schönes.«
Nach einigen Stunden befanden wir uns vor einer etwas hohen Gegend; und als wir hinaufkamen, da lag rundum vor uns die große offene blaue See. Wer die See gesehen hat, der weiß was das für ein Anblick ist. Wasser scheint lebendiger fürs Auge als das feste Land, es bringt dem Menschen so viel Gutes und ist für ihn so unentbehrlich; ob's daher kommt, daß ein so großer Vorrat davon sich so sonderlich ansieht, aber wahr ist es, der Anblick der offenen See ist sonderlich.
»Nun, Vetter, was sagt Ihr zu dem Früh-Stück?«
»Ist zu viel zum Frühstück, und man hat den ganzen Tag genug daran.«
»Auch so gut.
Freilich hat man den ganzen Tag genug daran, und die Nacht dazu.
Hat's Euch wohl eher von der See geträumt?«
»Einmal; und da hatte sie der liebe Gott so in der hohlen Hand mit allen Inseln und Schiffen und sah darauf, und die Schiffer merkten es nicht.«
»Gut geträumt, Vetter. Nun, seht noch einmal hin, und denn wollen wir auch weiterreisen. Indes vor wärts, seht Ihr, geht's nicht weiter, und wir müssen wohl linksum machen.«
Wir machten also linksum und fuhren nun 'n drei bis vier Wochen immer so vor uns hin, die Kreuz und die Quere, wo uns der Weg hinführte; und ich muß sagen, die Welt ist sehr groß und immer anders und anders.
Man kann denken, daß wir auf dieser Fahrt manchen angenehmen Tag gehabt haben. Ich darf mich aber nicht weitläuftig einlassen und muß machen, daß ich an den Tag komme, von dem ich hier eigentlich Nachricht geben will. Dieser Tag nun, oder [189] vielmehr der Vortag fing sich eben nicht zum besten an. Wir waren kaum eine Meile vom Nachtquartier in einem großen langen Dorfe, da fiel der Fuhrmann unter die Pferde, und gleich war 'n Bein ab. Der arme Kerl dauerte uns; und wir nahmen einen andern und fuhren weiter.
Gegen Abend brachte uns der Weg in ein Dörflein, das ungemein freundlich aussah, und der Schwager hielt an und ließ uns sehr lange warten. Endlich kam er.
»Warum denn aber so sehr lange, Schwager?«
»Ja meine Herren, das ist von wegen des Jubilei. Hier im Dorfe ist morgen ein Jubilei, und das hab ich erst alles verkundschaften müssen. Die Frau Postmeisterin will das wissen.«
»Ah so! – das ist ein anders.«
»Aber«, sagte mein Vetter zu mir, »ich denke, wir verkundschaften das Jubilei auch näher, ehe wir weiterfahren«; und damit stiegen wir ab und hinein ins Haus, und erfuhren denn, daß ein Bauer im Dorfe, Paul Erdmann genannt, sein Erbe fünfzig Jahr bewohnt habe, und morgen sein Jubiläum feiern wolle.
»Könnt Ihr bis morgen abend hierbleiben, Schwager?«
»Na.«
»Nun so reitet wieder zu Hause; wir bleiben hier.«
»Das dependiert von den Herren, aber ich muß Sie erst auf die nächste Station fahren. Dahin lautet mein Stundenzettel.«
»Narre, wir bezahlen Euch bis dahin, Ihr hört aber, daß wir hier bleiben wollen.«
Darauf ließ er sich aber nicht ein und blieb dabei, daß er laut seines Stundenzettels uns auf der nächsten Station abliefern müßte. Ich wollte also schon wieder einsteigen, weil es mir doch auch halb und halb vorkam, daß der Schwager nicht ganz unrecht habe; mein Vetter aber, der sich bei solchen intrikaten Fällen besser zu nehmen und herauszufinden weiß, schrieb dem Schwager einen Schein: »daß wir würklich in dem Wagen gewesen, daß wir aber auf dem Wege ausgestiegen und deswegen auf der Station nicht mehr darin wären« und damit war der Schwager zufrieden und fuhr weiter, und wir blieben da.
In der Wirtsstube saßen drei reisende Handwerksbursche, und fünf oder sechs Bauern. Die Handwerksbursche machten's wie ich, sie erzählten von ihren Reisen. Als es gebrechen wollte, fingen wir an die Bauern von dem Jubiläo zu fragen, und sie erzählten uns ein langes und ein breites von ihrem Nachbar Paul Erdmann; und sagten bei der Gelegenheit, alle aus einem Munde, [190] ausnehmend Gutes von ihrem Edelmann, und das alles so treu und herzlich, daß man sie und ihren Nachbar und ihren Edelmann unbesehends liebgewann.
Wir gingen darauf noch heraus ins Dorf bis an den Edelhof, der vorne daran liegt, und sahen uns um. Auf dem Rückwege sprachen wir bei dem Paul Erdmann vor, und fragten ihn: ob wir nur morgen mit auf seinen Ehrentag kommen dürften. Er sagte kurz zur Antwort: wir würden willkommen sein, gab sich aber weiter mit uns nicht ab, denn er hatte zu tun.
Die Nacht ging bald hin, und den folgenden Morgen machten wir uns bei guter Zeit wieder zum Paul, der uns schon im Feierkleide und weißem Halstuch auf der großen Diele entgegenkam. Er war nun viel gesprächiger als gestern, fragte uns wer wir wären und wohin wir wollten; erzählte uns: von seinem Vieh und Acker und wie ihn Gott gesegnet habe; von seiner seligen Frau; von seiner Freude über diesen Tag; und von seinem gottesfürchtigen Edelmann und was der durch seine Vorkehrungen und sonderlich durch sein eignes Exempel für gute und fromme Gesinnungen bei jung und alt ausbreite, und daß er heute selbst kommen und mit ihm und uns allen essen werde usw.
Paul hatte seine Kühe und Pferde und alle sein Vieh den Morgen in Stall bringen lassen, daß sie heute auch traktiert würden; »denn«, sagte er, »sie haben's mit verdienen helfen, und das Vieh hat keine Freude als essen und trinken.«
Um neun Uhr schickte der Edelmann einen Bedienten: es sei unvermutet großer Besuch gekommen, und Paul werde nicht übelnehmen wenn er sie alle mitbringe; weil er aber seine Gäste nicht alle kenne, so bitte er sich aus, daß er für sie dürfe zurichten und seinen Tisch dicht neben Paul seinen setzen lassen; er wisse wohl, daß Paul und Compagnie seine Kost und Gerichte verschmähten, er bitte aber, daß sie doch mit ihm trinken möchten.
»Sag Er Seinem Herrn wieder: was mit ihm komme das komme mit ihm! Es werde uns eine große Gnade und Ehre sein und ich lasse mich untertänig bedanken.« Und damit ging der Bediente.
Gegen zehn kamen die Nachbaren, immer Mann und Frau zusammen, einer nach dem andern an; und Paul empfing jedweden mit einem Handschlag, und hieß sie niedersitzen. Einige brachten auch einen Sohn oder Töchter mit, zum Teil wohl schöne Mädchen, und alle so ehrbar und züchtig daß es eine Freude war sie anzusehen.
[191] Die Bauern sahen alle nach der Reihe bieder und gut aus, doch stachen besonders zwei hervor, Peter Unke und Hans Westen. Unke ist ein Mann von etwa funfzig Jahren und sieht bräunlich und wie 'n General aus; Westen ist jung und hat ein milchweißes und gar gutmütiges Gesicht; er hatte den Herbst vorher Hochzeit gehalten, und seine Frau, die mit ihm kam und die Liese heißt, war hochschwanger. Zuletzt kam auch noch ein steinalter Mann, mit Namen Jost; seine Augen waren ihm schon dunkel worden, und er konnte kaum alleine stehen. Paul wollte ihn durchaus haben, weil er der älteste im Dorf ist; und so ließ Jost sich durch zwei Knechte herführen, und setzte sich oben gegen den Feuerherd, denn es friert ihn immer so.
Als nun die Gäste alle beisammen waren, trat Paul hin, tat seine Mütze ab und sagte:
»Nun willkommen, ihr lieben Nachbarn! Willkommen, und Dank, daß ihr mir meinen Ehrentag mit wollet feiern helfen!
Es sind heute funfzig Jahr, als ich dies Erbe sehr wüste und verfallen antrat. Ich habe mit Gott angefangen und ihn oft hinterm Pflug um seinen Segen gebeten – und er hat mich gesegnet! Da steht mein Vieh und wiederkäut und wiehert, und in allen den funfzig Jahren hat mir nie nichts gemangelt. Ich bin nicht wert solcher Barmherzigkeit, das weiß ich – und ich möchte mich in mein Heu verkriechen. Aber Gott ist gnädig und verlangt nur von uns, daß wir seine Güte erkennen; und da hab ich euch heute hergebeten, ihr lieben Nachbarn! daß ihr's mir helfet tun. Helft mir denn heute Gott danken, ihr lieben Nachbarn! und laßt uns hier miteinander fröhlich sein, ihr lieben Nachbarn! Amen!«
Die lieben Nachbarn standen alle, andächtig wie in der Kirche, um den alten Paul und drückten ihm die Hand und sagten ihm was Liebes, so Mannsen als Weibsen; sonderlich stand die Liese Westen mit ihrem runden Leib und weinte ihre hellen Tränen.
PETER UNKE: »Paul, Ihr habt ehrlich gesprochen. Wir wollen auch Gott gerne für Euch danken; aber seht, ein jeder von uns hat genug vor seiner Türe zu fegen.«
ANTON SCHMIDT: »Ja wohl, Unke! Ihr nehmt mir das Wort aus dem Munde. Ich habe heute früh noch meine Wintersaat angesehen; sie schlägt mir schon wieder übern Kopf zusammen, und ich habe erst voriges Jahr das neunte Korn gedroschen.«
MARCUS KÖRNER: »Und mir hat Gott gestern abend Zwillinge [192] gegeben, 'n Paar liebe Jungens, die schlagen mir übern Kopf zusammen.«
LIESE WESTEN: »Und mir meinen Hans.«
JOST: »Und uns allen unsern gnädigen Herrn.«
PETER UNKE: »Eben der lag mir vor sonderlich im Sinne; denn für den allein können wir Gott nicht genug danken.«
ALBRECHT KÜHNERT: »Paul, was würde doch Eure selige Sophie sagen, wenn sie uns so heute hier sehen sollte! Aber die ist bei Gott dem Herrn.«
PAUL ERDMANN: »Ja, will's Gott! ist sie bei Gott dem Herrn, und da mag sie auch bleiben. Sonst bin ich den Morgen in meinem Herzen schon 'n paarmal auf'n Sprung gewesen, sie heute bei mir zu wünschen. Ich hätte sie gerne hier, das weiß Gott, und die alte Hausmutter würde auch einen guten Tag haben.«
PETER UNKE: »Laßt sie, Paul; sie hat so einen bessern.«
Und so ging das unter den Leuten fort. Mein Vetter und ich waren wie vom Himmel gefallen, denn solche Bauern waren uns noch nicht vorgekommen. »Wir sind am rechten Orte abgestiegen«, sagte mein Vetter. »Aber denkt, was der Edelmann für ein wahrhaftiger Wohltäter ist! Und was er selbst für 'n Leben haben muß!« Ich hatte das schon gedacht, und mir brannte die Stelle unter den Füßen, bis ich ihn gesehen hätte. Um Mittag kam er
mit seinen Gästen, und alle Bauern gingen heraus vor Pauls Hofe ihm entgegen, und führten ihn herein. Zu beiden Seiten auf dem Hofe standen eine Partie Knechte und strichen die Sicheln, und Paul stand in der Mitten.
Paul bewillkommte sie nun alle nach seiner Art, und sie wünschten ihm Glück zu seinem Jubiläo; und so ging der Zug herein ins Haus. Es mochten etwa zehn bis zwölf Personen sein, alle eines wirklich feinen und adligen Ansehens. Sie waren schon 'n Weilchen[193] im Hause gewesen, da kam noch ein großer dicker Herr nach und hatte eine alte dürre Frau am Arm. Ich hatte mich bloß über den Herrn v. Hochheim und über die Leute die mit ihm kamen gefreut, und mich weiter um nichts bekümmert; mein Vetter aber hatte gleich alles befragt, und wußte mir zu sagen, daß der ältliche Mann ein Herr v. Strahlen, die
runde freundliche Dame eine verwitwete Frau v. Mecheln und das schöne Fräulein ihre Schwester Louise, daß ferner die und die ein Herr v. Holborn und seine Gemahlin wären usw. Endlich daß der große dicke Herr, der allein nachkam, ein junger Herr v. Saalbader sei, neulich von Reisen zu Hause gekommen und der einzige Sohn seiner Mutter eben der kleinen alten dürren Frau die er am Arm hatte; »und«, setzte mein Vetter hinzu, »diese zwei gehören nicht zu den übrigen, oder ich hänge alle Physiognomie am Nagel. Gebt Ihr acht, Vetter.« Der alte Jost saß noch gegen den Feuerherd, und rauchte eine Pfeife Tobak.
HERR V. HOCHHEIM: »Schmeckt Euch der Tobak noch, Jost? – Was macht Ihr, wie ist Euch?«
JOST: »Müde, gnädiger Herr, ach so müde! Ich warte alle Tage, stopfe eine Pfeife nach der andern und denke bei jeder es soll die letzte sein, und der liebe Gott macht immer noch nicht Ende.«
HERR V. HOCHHEIM: »Geduld, Jost, es wird Ende werden.«
JOST: »Ich bin am besten in meinem Lehnstuhl hinterm Ofen, aber ich sollte und mußte herkommen.«
HERR V. HOCHHEIM: »Freilich! Ihr seid unser Großpapa, und unser Großpapa muß ja bei uns sein solange er noch da ist.«
Ich hatte als die Gesellschaft kam mich schon mit vor dem Herrn v. Hochheim gebückt, und am meisten nach ihm gezielt; aber das genügte mir doch nicht, ich wollte es noch vor ihm allein und absonderlich tun. Ich ging also zu ihm und bückte mich recht herzlich, und auch meinem Vetter glückte dasmal der Bückling über alle Maßen wohl. Herr v. Hochheim fragte uns: wer wir wären, und wir sagten ihm unsern Namen. Wenn man 'n Buch herausgegeben hat, ist man fast in gleichem Fall mit einem der in Steckbriefen nach Rock und Weste beschrieben wird; das Inkognito ist mißlich. So ging's auch hier, und der Herr v. Hochheim kannte uns; doch war's mir dasmal nicht leid. Er wunderte sich nicht wenig uns auf Pauls Jubiläo zu finden,[194] und wollte uns dem alten Paul und der übrigen Gesellschaft präsentieren.
FRAU V. MECHELN: »Halt! Halt! die Frau von Holborn soll erst ihre Kunst zeigen. Sie will allen Menschen ansehen, was sie für ein Metier haben. Frau von Holborn! Frau von Holborn! Kommen Sie doch einmal her. Was sind diese beiden Leute?«
FRAU V. HOLBORN: »– Ein Paar Musiker.«
HERR V. SAALBADER: »O que non, Madame: Vous vous trompez étrangement. Ce n'est pas l'air de musicien. Mais, je vous dirai. Voyez, je m'y connois, voyez. –«
FRAU V. HOLBORN: »Nun was sind sie denn?«
HERR V. SAALBADER: – »L'un: tailleur, et l'autre: apothicaire.«
FRAU V. MECHELN: »Bravo! getroffen.«
Herr v. Hochheim wollte, daß wir mit an seinem Tisch essen sollten, und bat den alten Paul »uns ihm zu überlassen«, wie er sich gnädig ausdrückte. Paul wollte auch gleich ja; wir aber konnten ihm unmöglich abtrünnig werden, und sagten zu dem Herrn v. Hochheim, daß wir es uns für eine Ehre schätzten mit seinen Bauern zu essen, und das war die Wahrheit. Indes ward aufgetragen, und beide Gesellschaften setzten sich zu Tische. Hr. v. Hochheim hatte DEN Tag die Hälfte seiner Bedienten zur Aufwartung der Bauern beordert, und sein Kammerdiener mußte hinter Pauls Stuhl stehen.
HR. V. HOCHHEIM zu den Bauern: »Ihr Leute, die Gesellschaft erlaubt euch, eure Hüte aufzusetzen. Und noch eins: wir können uns nicht bequem übersehen; wählt ihr also an eurem Tisch einen Sprecher, an den man sich wende wenn wir etwas miteinander haben. Ich will hier euer Sprecher sein.«
Paul fing nun an, aus einer großen Kumme Reisbrei aufzuschüsseln und herumgeben zu lassen, und unterdes wählten die andern einmütig den Peter
Unke zum Sprecher, der auch darauf vom alten Paul bestätigt und verkündigt ward.
WESTEN zu Unke: »Seht da, Unke, eine von unsern Schüsseln auf dem andern Tisch neben dem gnädigen Herrn!«
UNKE: »Gnädiger Herr, es ist da eine Schüssel mit Reisbrei über die Grenze gekommen. Vergeben Sie, wir wollen sie gleich wieder abholen lassen.«
HERR V. HOCHHEIM: »Nicht doch Unke; die Frau v. Mecheln hat darum gebeten.«
PAUL ERDMANN: »O Frau v. Mecheln, das ist –, das –«
[195] UNKE: »Laßt's, Paul! wenn sie unsre Kost mag. Umsonst hat die gnädige Frau so rote Backen nicht.«
HERR V. SAALBADER: »Monsieur l'orateur parle Phébus. Ma foi, c'est une pièce à figurer.«
UNKE zu mir: »Das galt mich, ob ich's gleich nicht verstehe. Kann Er Französisch?«
ASMUS: »Ja, Herr Sprecher, so etwas.«
UNKE: »So setz Er sich her zu mir, und ich mache Ihn hiemit zu meinem Agenten für die französischen Angelegenheiten.«
Derweile war die Suppe am andern Tisch rund gegeben, und an unserm hatte ein jeder seine Schüssel mit Reisbrei vor sich.
UNKE: »Nun, Paul, sprecht 'n Gebet.«
Und Paul legte den großen Löffel andächtig nieder, und sprach eins, und hieß darauf alle Gäste noch einmal von ganzem Herzen willkommen sein.
HERR V. SAALBADER: »Wer mag doch wohl zuerst den Einfall gehabt haben, zu Tisch zu beten?«
UNKE: »Doch wohl der zuerst gegessen hat.«
HERR VON SAALBADER: »Wie könnte mir das einfallen!«
UNKE: »Wenn Sie nur 'nmal recht hungrig wären, gnädiger Herr, und hätten nichts zu essen; es sollte Ihnen schon einfallen, Gott zu danken, wenn Sie was zu sehen kriegten.«
HERR VON STRAHLEN: »Sehr wahr, Unke; wenn's auch grade nicht laut geschähe und mit gefaltenen Händen. Das denkt Ihr doch auch?«
UNKE: »Freilich, gnädiger Herr, Gebärde ist Gebärde. Doch hilft's nicht, so schadt's auch nicht, und hier ist besser zu viel als zu wenig.«
HERR V. SAALBADER: »En France on ne prie le bon Dieu jamais.«
FRAU V. MECHELN: »Tant pis pour la France. Ich habe in Frankreich viel beten sehen.«
HERR V. SAALBADER: »Aber hat Er von jeher zu Tische gebetet, Monsieur Paul?«
PAUL: »Solang ich lebe, gnädiger Herr. Das Essen und Trinken ist ja eine Gabe; wie kann man die denn annehmen ohne an den Geber zu denken? Und es ißt sich auch besser darauf, Herr v. Saalbader.«
UNKE: »Ja wohl, Paul! und der Mensch ist ja keine Kuh und kein Pferd das nur käut und hinterschluckt.«
HERR V. HOCHHEIM: »Lieber Asmus, so still übers Tischgebet?«
[196] ASMUS: »Hören ist immer die klügste Partie, gnädiger Herr, und sonderlich hier. Ich denke auch, es ist schon gesagt was gesagt werden kann. Der Mensch ist keine Kuh und kein Pferd, er ist aber unter Kühen und Pferden und muß mit ihnen essen; da hebt er denn von Rechts wegen, jedesmal wenn vorgeschüttet wird, den Kopf zuvor auf und besinnt sich sein, damit er indes sein nicht vergesse.«
HR. V. SAALBADER: »Bien dit, ma foi.«
HR. V. HOCHHEIM: »C'est peu de chose, que d'être bien dit, Monsieur de Saalbader.«
UNKE zu mir: »Wie heißt der dicke Herr eigentlich?«
ASMUS: »Herr v. Saalbader.«
UNKE: »Von Saalbader! von Saalbader! Den Namen hab ich nie gehört. Wo ist er her? Hier aus dem Lande kann der nicht sein.«
ASMUS: »Ich denke auch nicht; aber mein Vetter sagt, daß die v. Saalbaders eine sehr alte Familie sind.«
HR. V. SAALBADER: »Ich besinne mich eines sehr schönen Bonmot übers Gebet, das mir ein Bettelknabe in Genua sagte.«
HR. V. HOCHHEIM: »Sie sind also in Italien gewesen, Hr. v. Saalbader?«
HR. V. SAALBADER: »Ja, ein ganzes Jahr.«
FRAU V. MECHELN: »Auch in Venedig?«
HR. V. SAALBADER: »Oui Madame, à Venise, à Rome, à Naples, par tout.«
FRAU V. MECHELN: »Haben Sie denn in Venedig auch des Bragadino seine Haut gesehen?«
HR. V. SAALBADER: »Oui Madame, sans doute. J'aime furieusement cette sorte de drogues, et je possède moi-même la peau d'une très belle moresse qui eut la fantasie de se couper la gorge. Ayez la grâce, Madame, vous et Mademoiselle Louise, de venir cette arrière-saison nous voir chez nous, et j'aurai l'honneur de vous montrer cette peau.«
LOUISE: »Je serois charmée, Monsieur, d'aller voir Madame de Saalbader chez elle, mais votre peau ne me tente guère.«
FR. V. MECHELN: »Aber wer war der Bragadino eigentlich? Ich weiß von ihm nichts und habe nur sehr von ohngefähr einmal irgendwo gelesen, daß seine Haut in Venedig aufbewahrt wird.«
HR. V. SAALBADER: »Er war venezianischer Kommendant irgendwo, und brachte bei der Gelegenheit seine Haut zu Markt.«
HR. V. HOLBRON: »Er war Kommendant von Cypern, und [197] verteidigte diese Insel edel und meisterlich gegen die Türken, und als sie endlich doch kapitulieren mußte, ließ der türkische General ihm lebendig die Haut abziehen.«
FR. V. MECHELN: »Das war grausam!«
HR. V. HOCHHEIM: »Und war noch dazu wider gegebenes Wort.«
FR. V. HOLBRON: »Der Türke muß ein abscheuliches Gesicht gehabt haben. Aber Hr. v. Saalbader, erzählen Sie uns lieber von den Gemälden, die Sie in Venedig gesehen haben.«
HR. V. SAALBADER: »Welche Schule ziehen Sie vor, Madame, die Venezianische oder die Römische oder die Lombardische, dont le grand Correggio est le chef?«
FR. V. MECHELN: »Was gehen uns die Schulen an; erzählen Sie nur. Z.E. von der berühmten Nacht des Correggio.«
HR. V. SAALBADER: »Nuit, la nuit de Corregio! je n'en sais rien, pas un mot.«
HR. V. HOCHHEIM: »Dies schöne Stück ist nicht in Venedig sondern in Dresden.«
HR. V. SAALBADER: »C'est donc peut-être le seul tableau de prix qui y manque. Car on y voit partout une infinité de chef-d'oeuvres, surtout du grand Titien, qui mourut de la peste et qui fut créé Chevalier et Comte Palatin par l'Empereur Charles V.«
FR. V. MECHELN: »Sie scheinen mit Venedig zufrieden zu sein, Hr. v. Saalbader?«
HR. V. SAALBADER: »Bis auf die wunderliche Grille, daß man von ihren Staatsangelegenheiten nicht laut sprechen darf.«
HR. V. STRAHLEN: »Die Grille ist so wunderlich nicht, und erspart manchem ein Urteil, das ihn vielleicht gereuen könnte.«
HR. V. SAALBADER: »Pourtant ça gêne. Venez Mr. Asmus, nous mandirons un peu les souverains.«
ASMUS: »Ich nicht, Hr. von Saalbader.«
HR. V. SAALBADER: »Und warum? Wir sind ja nicht in Venedig?«
ASMUS: »Aber Venedig ist in mir, und in jedem guten Untertan.«
HR. V. SAALBADER: »Ah nu, wir wollen auch loben was zu loben ist.«
ASMUS: »Ich finde das eine so überflüssig als das andre.«
HR. V. SAALBADER: »So? Und wie denn das?«
ASMUS: »Weil die Fürsten und Obrigkeiten unmittelbar unter Gottes Augen stehen und also für ihre gerechte und gute Handlungen [198] viel was Bessers haben als Menschenlob, und, wenn je einer eine begehen könnte die nicht gerecht und gut wäre, so schon übel genug daran sind.«
HR. V. SAALBADER: »Ah, cette philosophie est très sublime.«
Während diesem Gespräch war die große Kumme mit Reisbrei weggenommen und eine noch größere mit Fleisch und Kartoffeln an ihre Stelle gesetzt worden.
HR. V. SAALBADER: »Wo habt Ihr das alberne Lied her, Herr Sprecher?«
UNKE: »Wir machen uns sonst unsere Lieder selbst, Hr. v. Saalbader, dies hat uns der gnädige Herr machen lassen.«
HR. V. SAALBADER zu dem Hn. v. Hochheim: »Cher ami, prenez garde à vous. Vous ferez perdre à ces gens tout le respect qu'ils doivent à la noblesse.«
HR. V. HOCHHEIM: »Craignez rien, Monsieur de Saalbader.«
UNKE zu mir: »Was sagte der Herr v. Saalbader?«
ASMUS: »Er lobt euch, und wünscht, daß alle Bauern ihre Herrschaft so lieben und ehren möchten.«
[199] HR. V. SAALBADER: »Vous ne m'avez pas bien compris, Mr. Asmus.«
ASMUS: »Er fürchtet, daß ihr mit dem Respekt für Pasteten auch den Respekt für euren gnädigen Herrn verlieret.«
UNKE: »Gott segne unserm gnädigen Herrn und einem jeden andern seine Pasteten! Kann man denn aber auch Respekt für jemand haben, weil er Pasteten ißt; das ist ja keine Kunst. Ihre Güter, Hr. v. Saalbader, müssen ja im blinden Heidentum liegen.«
HR. V. SAALBADER: »Mr. Asmus, rappellez cet homme à la raison.«
ASMUS: »Mais je ne sais comment. Ich finde seine Äußerungen sehr gegründet. Esse ein jeder, was er will und was er hat; aber mit wenig zufrieden sein und wenig bedürfen ist doch edler!«
PAUL: »Das Lied ist auch so gemeint: daß wir einem jeden seine Kost von Herzen gönnen, aber mit unserer von Herzen zufrieden sind.«
UNKE: »Versteht sich, Paul. Man singt ja nicht andern weh, sondern sich wohl zu tun. Aber wir haben von Kartoffeln gesungen, nun schüsselt auch davon auf.«
KÜHNERT: »Paul, Ihr hättet aber doch heute eigentlich einen Kranz sollen aufhaben.«
WESTEN: »Ja wohl, so eine Krone von Maien mit funfzig Ähren dran, für jede Ernte eine.«
PAUL: »Nicht doch; die Kronen und Kränze sind nur für die Könige und Bräute.«
UNKE: »Herr Agent, warum mögen doch die Könige wohl goldne Kronen tragen?«
ASMUS: »Ich weiß nicht, Unke. Wenn dem König von Frankreich, hab ich 'nmal gelesen, bei der Krönung die Krone aufgesetzt wird, so betet der Erzbischof: Er trage sie zur Barmherzigkeit!
Ich denke, die Krone bedeutet ja wohl: daß der König der erste Mann in seinem Lande, und das Gold: daß er auch der beste sein soll.
Fragt 'nmal am andern Tisch; der Adel ist den Fürsten näher als unsereiner, und weiß also natürlich mehr von ihren Angelegenheiten.«
Da kamen ein paar Handeljuden, kramten ihren Packen aus und boten ihre Waren feil.
PAUL kaufte ein seiden Tuch, und [200] ging damit zu der Frau v. Mecheln: »Gnädige Frau, Sie müssen mir nicht verschmähen, ich wollte Ihnen dies Tuch verehren, weil Sie von meinem Reisbrei gegessen haben.«
FR. V. MECHELN: »Ich danke Euch, lieber Paul; so müßt Ihr Euch aber auch von mir wieder etwas schenken lassen.«
Und nun ging das Ding weiter, und ein jeder kaufte dem alten Paul ein Geschenk zu seinem Ehrentag, und hing's ihm über die Schulter. Auch der eine Jude kam zuletzt noch mit einem rotgestreiften Halstuch: »Dürf ich Paul? Ja ich dürf wohl; wir sind ja auf deutschem Boden!« Und es ward geklatscht. Paul ließ sich alles geruhig aufhängen, und stand endlich da wie ein Hochzeitbitterstecken.
HR. V. HOCHHEIM: »Nun der Paul einmal in Pontificalibus ist, müssen wir gleich seine Gesundheit trinken.«
Das geschahe von allen Gästen, und
PAUL bückte sich demütig, nahm sein Glas und brachte wieder aus: »Alle gnädige hochadlige Herrschaften, die mir heute die Ehre tun in meinem Hause zu essen, und mich eben alle so gnädig beschenkt haben!« Und das tranken wir alle mit; und darauf legte Paul seine Geschenke beiseit, und schüsselte wieder Kartoffeln auf.
HR. V. SAALBADER: »Mais Monsieur Asmus, comme je vous vois grand Mécénas du genre humain, agréez ma félicitation sur la suppression des ordres religieux, qui se fait presque partout à présent. C'est pourtant un manœuvre vraiment sage!«
ASMUS: »Freilich können überhandnehmende Mißbräuche und Umstände eine Änderung notwendig, und zu einer sehr weisen und väterlichen Maßregel machen.«
HR. V. SAALBADER: »Aber die Orden und Klöster sind in sich Unsinn und Affenspiel.«
ASMUS: »In sich? – Da sind wir nun verschiedener Meinung, Hr. v. Saalbader.«
HR. V. STRAHLEN: »Wie wollten Sie wohl Orden und Klöster rechtfertigen, Hr. Asmus?«
ASMUS: »Mich dünkt, gnädiger Herr, eine Gesellschaft von Menschen, die ihre Ruhe und ihr Glück in dieser Welt nicht finden und es deswegen in einer andern suchen, eine solche Gesellschaft, wenn sie mit Ernst und Wahrheit fährt, ist sehr respektabel; und wenn jemand, der Geld hat und es weggeben kann, einer solchen Gesellschaft eine Gelegenheit macht, wo sie abgesondert und um die notwendigen Bedürfnisse unbekümmert leben kann; so wüßte ich nicht, was dagegen zu sagen wäre.«
[201] HR. V. SAALBADER: »Wenn nun alle Menschen ins Kloster gehen wollten?«
ASMUS: »Wenn? – – Wenn nun allen Menschen statt des Odems ein Lohe zum Munde aus und einführe? – So würden die Pulvermühlen vorderhand müssen stille liegen.«
HR. V. SAALBADER: »Aber der Geschmack am Klosterleben ist doch ehmals ziemlich allgemein gewesen; wenn nun alle Menschen ins Kloster gehen wollten?«
ASMUS: »So brauchte es gar keines Klosters, Hr. v. Saalbader; denn die Klöster sollen eben die Menschen, die Klostergesinnungen haben, von den übrigen absondern, die sie nicht haben.«
HR. V. SAALBADER: »Was sollen denn aber die dicken Bäuche?«
ASMUS: »Die sollen arbeiten, Herr v. Saalbader. Wir reden hier aber von wahren Klosterleuten.«
HR. V. SAALBADER: »Auch die könnten bei Manufakturen gebraucht werden.«
ASMUS: »Das könnten sie freilich. Aber unser Leben hier ist ja doch kein bloßes Manufakturwesen, und das Ende der Welt keine Frankfurter Messe.«
HR. V. SAALBADER: »Was wollen denn aber die Klosterleute eigentlich?«
ASMUS: »Das werden sie vermutlich wissen, und ihre Stifter werden es gewußt haben.«
HR. V. SAALBADER: »Die waren ja alle die größten Narren von der Welt.«
ASMUS: »Alle, meinen Sie, Herr v. Saalbader? Wer wollte so hart sein. Es möchten doch einige Ordensstifter gewesen sein, die keine Narren waren.«
HR. V. SAALBADER: »Ja, was wollten denn die Narren? was suchen sie?«
ASMUS: »Ich habe Ihnen schon gesagt: Ruhe und Glück für sich.«
HR. V. SAALBADER: »Die liegen ihnen ja vor der Nase. Qu'ils jouissent de la vie, qu'ils goûtent les douceurs que la nature nous offre de toutes parts, qu'ils boivent, qu'ils mangent, qu'ils se livrent aux transports de l'amour et des autres belles passions et cetera; mais notabene avec de la modération c.a.d. sans se degoûter et sans nuire à la santé. Voilà le vrai bonheur, il n'y a pas d'autre! Et c'est l'avis des hommes les plus éclairés en France.«
ASMUS: »Es gibt in Frankreich sehr verständige Leute, Hr. v. Saalbader; die Ihnen das aber gesagt haben, das sind nicht die [202] rechten gewesen. Übrigens liegt das Glück, das Sie im Sinne haben, würklich wie Sie sagen vor der Nase, und ist nicht zu vermuten daß irgendein Mensch es übersehen werde, noch übersehen habe.«
HR. V. STRAHLEN: »Der alte Mann da wird so blaß aussehen. Alter, wie geht's? Ist Euch kalt?«
JOST: »Ja, gnädiger Herr, ja, kalt! Das Fleisch hab ich alles herabgelebt, und nun frieren die Knochen mir immer so.«
HR. V. SAALBADER: »Und nun vollends die Nonnenklöster! Quelle bêtise, de maltraiter ainsi les plus belles et les plus aimables créatures! Ah, que je serois prêt à rendre justice à leur beauté!«
ASMUS: »Sprechen Sie nicht so, Herr v. Saalbader. Vielleicht sind Sie darum ein Edelmann, weil Ihr Urgroßvater seinerzeit ein unschuldiges Mädchen großmütig vom Verderben gerettet und im Guten erhalten hat.«
HR. V. SAALBADER: »Ha ha ha, un gentilhomme pour avoir sauvé – –! C'est drôle.«
ASMUS: »Ich glaube, daß Ihnen das in Ernst lustig dünkt; aber das ist eben der Fehler Herr v. Saalbader, und ist für Sie nicht gut, glauben Sie mir.
Ihnen behagt das Gefühl der groben sinnlichen Liebe so sehr. Sie sollten die bessere Liebe kennen, und das Gefühl vor Großmut und Edelmut; das kommt noch ganz anders! Und es hält länger. Wenn Ihnen 'nmal, wie dem alten Jost, die Knochen erst immer so frieren; sehen Sie, denn gelten Ihre Bonmots nicht mehr. Aber, edel und gut gewesen sein das gilt denn noch, und wärmt und ölt die Knochen von innen heraus.
Verführen Sie nie ein Mädchen, Herr v. Saalbader. Sie sind ein Edelmann; und so muß Ihnen ein jedweder Vater 'n Freund sein, und ein jedes Mädchen ist die Tochter Ihrer Freundin! Wofür wären Sie sonst ein Edelmann?«
HR. V. SAALBADER: »Zum Henker, was ist denn ein Edelmann?«
ASMUS: »Es war in einem Lande ein Mann, der sich durch hohen Sinn, durch Rechtschaffenheit, Uneigennützigkeit und Großmut über alle seinesgleichen erhob, und um alle seine Nachbaren verdient machte; dieser Zirkel war aber nur klein, und weiterhin kannte man ihn nicht, sosehr man sein bedurfte. Da kam der Landesherr, der mit der goldnen Krone an seiner Stirn, und nannte diesen Edlen öffentlich seinen Angehörigen, und stempelte ihn vor dem ganzen Lande als einen Mann, bei dem [203] niemand je gefährdet sei, dem sich ein jedweder, Mann oder Weib, mit Leib und Seele sicher anvertrauen könne – und das ganze Land dankte dem Landesherrn, und ehrte und liebte den neuen Edelmann.
Und weil der Apfel nicht weit vom Stamme fällt, und der Sohn eines edlen Mannes auch ein edler Mann sein wird; so stempelte der Landesherr in solchem Vertrauen sein ganzes Geschlecht in ihm mit, legte ihm auch etwas an Land und Leuten zu, wie Eisenfeil an den Magneten, daß seine wohltätige Natur, bis er ihn etwa selbst brauche, daran zu tun und zu zehren habe.«
HR. V. SAALBADER: »Auf die Weise konnte ja ein Bürgerlicher ein edler Mann sein?«
ASMUS: »Haben Sie denn daran je gezweifelt?«
HR. V. SAALBADER: »Ich will sagen, es kann einer edel sein, und noch nicht adlig.«
ASMUS: »Nicht allein das, sondern es kann auch einer noch adlig sein, und nicht mehr edel; denn bis der Landesherr den Stempel wieder tilgt, muß jedermann, aus Achtung für den Landesherrn, den Edelmann für einen edlen Mann ehren, er mag's sein oder nicht.«
HR. V. SAALBADER: »Immer besser. So wäre also der Adel nur eine Fontange, die wieder abgenommen werden kann!«
ASMUS: »Natürlich! Das geschieht ja auch in der Welt. Warum wird einem Edelmann auf dem Echafaud sein Wappen zerschlagen? Der Landesherr kann ja unmöglich einen Edelmann strafen, darum nimmt er zuvor sein Wort zurück und tilgt seinen Stempel wieder.«
HR. V. SAALBADER: »Am Ende hätte denn also ein Edelmann vor dem bürgerlichen edlen Mann nichts voraus?«
ASMUS: »Sehr vieles. Dieser muß sich erst Achtung und Vertrauen erwerben, und gilt doch nur immer wo man ihn kennt, bleibt doch nur Privatgut; der Edelmann gilt überall, ist kurrente Münze unter Autorität des Landesherrn, ist öffentliches Gut, daran alle Menschen ein Recht, und zu dem sie alle Vertrauen haben.«
HR. V. SAALBADER: »Und Ahnen und Alter der Familie, die wären denn gar nichts.«
ASMUS: »Sehr vieles; oder rechnen Sie das wenig, wenn ein Geschlecht von Vater auf Sohn viele hundert Jahre hindurch die Liebe und die Freude der Menschen, und ein Segen der ganzen Gegend gewesen ist?«
[204] HR. V. SAALBADER: »Mais – alors il vaudroit mieux, se faire soldat.«
ASMUS: »Grade da können Sie die Bestätigung von dem sehen, was ich Ihnen sage.
Sie wissen, alle Offiziers haben als Offiziers adliche Vorrechte. Nämlich weil, sonderlich in Kriegszeiten, Menschenleben und Glück und Unglück der armen Einwohner viel von ihnen abhängt, und oft ganz in ihrer Hand ist; so ordneten die Fürsten, daß solche Stellen nur einem edlen Manne verliehen werden könnten.«
HR. V. SAALBADER: »Il y a du héroique dans cette doctrine. Mais chère Mama, vous, qu'en jugez- vous, et ce philosophe comment vous plait-il?«
FR. V. SAALBADER: »J'enrage, je frémis d'indignation, et je vous défends de l'honorer derechef de vos réponses. C'est un talmudiste incarné; il parle comme un ivre, comme un perroquet, comme un harang, comme un –«
ASMUS: »Gnädige Frau, ich vermute aus Ihren Reden, daß Sie unwillig sind. Es wäre mir sehr leid, wenn ich Sie beleidigt hätte, und ich wollte Sie gerne wieder um Vergebung bitten. Aber ich habe weder Ihren Sohn noch Ihren Adel beleidigt, habe Sie auch nicht beleidigen wollen. Und so werde ich mich am Ende über Ihren Unwillen trösten müssen; es wäre mir aber doch lieber, wenn Sie nicht unwillig wären. Es ist das erstemal, daß ich die Ehre habe Sie zu sehen, und vermutlich werde ich diese Ehre nicht wieder haben; besinnen Sie sich gnädige Frau! Ich ehre Ihren Stand; und wenn Sie ihn auch so ehrten, es würde Ihnen ein gut Teil besser zumut sein, als Ihnen itzo ist. Und mich dünkt, Sie sollten darum nicht zürnen, daß ich Ihnen das wohl gönnte.«
HR. V. HOLBRON: »Appaisez-vous Madame, il ne mérite pas votre courroux, et ce qu'il dit est très raisonnable.«
LOUISE: »En vérité, très raisonnable.«
Hr. v. Strahlen etc. Fr. v. Mecheln etc. Etc. etc. Etc. etc.
UNKE zu mir: »Seine Gesundheit! Die Frau von Saalbader trinkt sie doch wohl nicht.«
ASMUS: »Und wenn sie niemand trinkt, Unke! so trink ich sie selbst. Es gibt hier aber noch wohl andere Gesundheiten zu trinken. Seht, der Paul hat da was im Sinne.«
[205] PAUL zu Liese Westen: »Ihr rückt so Liese; Euch wird das Sitzen sauer, nicht wahr? – Nun helf Euch Gott, wenn Eure Stunde kommt!«
KÖRNER: »Wie gesagt: Allen Schwangern und Säugern fröhliche Frucht und Gedeihen! Aber meine Frau mit eingeschlossen.«
ALBRECHT KÜHNERT: »Wie gesagt!«
HANS WESTEN: »Liese, helf dir Gott liebe Liese! – Aber steh auf, wenn du nicht länger sitzen kannst.«
ASMUS: »Die armen Weiber. Kommt Unke, Ihr stößt doch auch mit an? Aber recht herzhaft.«
UNKE: »Mir hält kein Glas bei solchen Gesundheiten.«
HR. V. HOCHHEIM zu den Bauern: »Ihr Leute, sollen wir nicht unser Bauernlied haben?«
UNKE: »Gleich, gnädiger Herr. Zu Westen: Westen sing vor.«
Sie sangen darauf das Bauernlied, wie folget. Ich weiß nicht, was dies Lied für Effekt tut, wenn's gelesen wird; aber was es tat als es hier die Bauern sangen, das weiß ich wohl. Und deswegen rate ich einem jeden, es von solchen Bauern singen zu lassen. Die Musik, sagten sie, sei aus Italien. Ich habe sie da hergesetzt, so gut ich sie behalten habe; 'n jeder mag sie verbessern, oder sich eine andere machen.