25. Das verborgene Schloß im Walde.

Herzog Ulrich machte sich 1009 zu Sommerszeiten auf und ritt in weite Wälder auf die Jagd; denn er dieser Kurzweile mit Fleiß nachhing. Und einer aus seinen Wladyken führte ihn auf sein Schloß, genannt Drschtka, von dannen sie gar oft mit einander auf die Jagd zu reiten pflegten. Nun begab es sich eines Tages, daß der Herzog einem Wilde nachjagete, und kam auf einen Morgen zu ferne von seinen Dienern, bis er sich in dem Walde verirrte. Er ritt deswegen auf einen Berg, und sah sich mit allem Fleiß um, ob er etwa ein Dorf ersehen möchte. Und dieweil er, von Höhe der Wälder, nichts ersehen konnte, band er sein[125] Roß an und stieg auf eine sehr hohe Fichte. Darauf sah er alles Fleißes um, bis er endlich eines Schlosses, auf einem hohen Berge, gewahr wurde. Deshalb merkte er ihm diese Gelegenheit mit allem Fleiß, saß auf sein Roß und eilete hinzu.

Aber dieweil umher allenthalben ein dickes Gesträuch war, mußte er absitzen, das Roß anbinden und ihm mit seinem Schwerdte einen Weg räumen. Da er nun nahend an das Schloß kam, fing er mit hoher Stimme an zu rufen, aber niemand wollte ihn hören. So nahm er einen langen Baum, setzte denselben an ein Gewölbfenster und kroch also darauf hinan, bis er in das Schloß hineinkam. Er ging erstlich zum Thore und fand allda die Fallbrücke aufgehoben. Darnach ging er in die Gewölbe, darinnen er viel Fässer mit Wein gefunden, desgleichen auch viele Harnische und vermoderte Kleider. Er besah dies alles also, kroch zum selben Fenster wieder hinaus und kehrte wiederum nach dem Orte, daselbst er dieses Schloß ersehen, hielt sich also, dem Gedächtniß nach, gegen den Aufgang, bis er endlich, mit Mühe, am Abend wiederum auf das Schloß Drschtka zu den Seinigen kam.

Und wiewohl sie, von wegen seines Abwesens, vor diesem betrübt gewesen, so waren sie doch seiner Zukunft herzlich erfreut. Also setzte er sich [126] hinter den Tisch, fing das Abendmahl an zu halten und fragte den Wirth: ob er etwas von einem wüsten Schlosse wisse? Er antwortete: »nein;« und er hätte niemals gehört, daß etwa in diesen Wildnissen ein Schloß sein sollte. Da zeigte ihnen der Herzog sämmtlich seinen Zustand an, darüber sie sich sehr verwunderten. Einer unter seinen Dienern, dazumal gegenwärtig, that dem Herzog große Reverenz, erboth sich höchster Dienste und bat den Herzog um dasselbe Schloß. Ulrich aber, als ein kostfreier Fürst, wollte seines Dieners Bitte nicht verachten, und verehrte dem Diener das Schloß. Dasselbe wurde von seinem Namen erstlich Przym, nachmals Przymda, bis auf den heutigen Tag genannt.

Wer aber dies Schloß gebaut, findet man in den deutschen Chroniken so viel, daß Kaiser Heinrich, dieses Namens der erste, den etliche Geschichtschreiber ganz übergangen, Anno 920 regiert habe. Dieser habe eine schöne Tochter, mit Namen Helena, gehabt, um welche Albertus, ein Graf von Aldenburg, welcher am kaiserlichen Hofe dienete, freite, welchen sie auch nicht weniger liebte und gern zum Gemal hätte haben mögen. Dieweil er aber wohl wußte, daß er in seinem Stande des Kaisers Tochter weit ungleich, so konnte solch ein Vornehmen ordentlicher Weise nicht fortgehen. Er [127] verkaufte deswegen die Grafschaft Aldenburg dem Kaiser, sammlete sein baares Geld und fing an, in Gebirgen und Wildnissen umherzureiten und einen gelegenen Ort, zur Erbauung eines Schlosses, allda er sich heimlich enthalten könnte, zu suchen.

Und als ihm dieser obangezeigte Ort der allerbequemste zu sein dünkte, führte er viel Arbeiter dahin, ließ ihrer etliche die Wälder ausreuten, etliche Steine brechen, Kalk brennen und die andern Mauern führen, Gewölbe, Thüren und andere Zimmer bauen. Da nun dieses Schloß in Eile vollendet, hat er es dermaßen mit Lebensmitteln versehen, damit er sich allda, selb zehnt, ein hundert Jahr erhalten könnte. Als aber alle Dinge, so in eine Festung gehörig, besonders aber von Gewehren und Geschossen bereitet, berief er alle die Arbeiter und das andere Gesinde in eine Stube vor das Schloß, versperrte sie auf das härteste und zündete das Gebäu mit eigener Hand an und verderbte sie allesammt, daß er nur ganz einsam auf dem Schlosse blieb. Dies that er darum, damit niemand ferner von diesem Schlosse etwas erführe; blieb eine kleine Zeit allda und kehrte wieder zu des Kaisers Hoff und dienete ihm, wie zuvor.

Auf eine Zeit hatte des Kaisers Tochter mit dem Grafen ein Vernehmen und ging vor das Schloß, darauf der Kaiser seine Hofhaltung hatte, [128] hinaus. Allda erhaschte sie der Graf, und dieweil es mit ihrem Willen geschah, hatte er sie leicht mitzunehmen. Also saß sie hinter ihn auf sein Roß, ermahnete ihn, daß er eilen sollte und gesegnete weder Vater noch Mutter. Sie eilten in den Wäldern hin und her in der Irre; denn zu diesem Schlosse durchaus kein Weg war, und suchten also das Schloß, bis sie eines Tages sehr früh hinzukamen. Da gingen sie hinein und lebten mit einander in Freuden und genossen also dessen, was ihm der Graf zuvor bereitet hatte. Solches geschah im Jahre 925.

Nach fünf Jahren aber hatte der Kaiser seine Hofhaltung zu Regensburg und zog einstmals mit seinen Hofleuten, in großem Gebirge und Wäldern, auf die Jagd. Nun begab sich's, daß er einen über die maßen großhörnigten Hirsch gewahr wurde und rannte demselben nach, bis er von allen seinen Hofleuten und Dienern kam und dieselben keinesweges wieder an treffen konnte: denn er, von wegen des Nebels, nicht wußte, auf welche Seite er reiten sollte. Also kam er an ein Flüßlein, bei dem er aufwärts ritt, ob er etwa ein Dorf antreffen könnte und wurde, unversehens, durch die Bäume, eines Schlosses auf einem hohen Berge gewahr, dessen er sich erfreute und ritt eilends hinzu, damit ihn die Nacht nicht überfiele, konnte doch, [129] von wegen der dicken Wälder und großen Steinfelsen, nicht gar bald dazu kommen.

Als es aber begunnte finster zu werden, kam er an des Schlosses Thor und fing an ohne Unterlaß zu schreien und zu rufen; denn er nun in dreien Tagen nichts gegessen und von kaltem Regen sehr naß geworden war. Graf Albert und Helena erschracken sehr, doch ging der Graf über das Brückenthor, redete ihn an und fragte ihn: was er suche? Der Kaiser antwortete und sprach: »ich haben mich verirret und bitte euch, gebet mir doch die Herberge und Brod zu essen, damit ich mich ein wenig stärken und morgen wieder auf den rechten Weg, den ihr mir zeigen wollet, kommen könne.« Helena war begierig, einen Menschen zu sehen, und lief heraus. Also beriethen sie sich untereinander und ließen den Gast auf das Schloß, den sie nicht kannten; denn er hatte sich in den fünf Jahren, seit daß er die Tochter verloren, weder das Haar auf dem Haupte, noch den Bart abnehmen lassen.

Er aber kennete sie beide, die Tochter und den Eidam gar wohl, durfte sich ihnen aber nicht offenbaren; denn er mußte für sich ein Unglück erwarten. Sie zündeten ein Licht an und verehrten ihn mit großer Begierde; denn sie, einen Menschen zu sehen, sehr verlangte. Sie fragten ihn auch: wer und von wannen er wäre? Er aber verkehrte zum [130] Theil seine Sprache und Stimme und gab für, er wäre ein Ritter aus Ungern, wäre also der Ritterschaft nachgezogen, habe sich gänzlich verzehret und wollte nun gerne einmal in seine Heimat reiten. Sie fragten ihn um Zeitung. Die Helena sprach: »ich bitte, tugendreicher Ritter, saget mir doch, was höret man vom Kaiser Heinrich Gutes sagen?« Er aber antwortete mit Listen und sprach: »es, wisset ihr's nicht, ist es doch allbereits länger als ein Jahr, daß der Kaiser gestorben ist.« Helena sprach: »o, wie gerne höre ich das, daß ihr uns also gute Zeitung gebracht habt. Nun will ich, euch zum Lohne, selbst mit meiner Hand ein schön Bette bereiten, damit ihr wohl ruhen und einen süßen Traum haben möget; denn ich's ihm vom Herzen gern gönne, desgleichen wollte ich es auch meinem ganzen Geschlechte gönnen, dadurch mir und meinem Allerliebsten dergleichen Freiheit entstünde, gleich als ob wir von neuem in die Welt geboren würden.«

Der Kaiser sprach: »der Kaiser ist nun längst, wo der liebe Gott seine Seele hin gewendet hat. Aber ich bitte, liebe Frau, ihr wollet mir's, als einem Gaste, nicht verargen, daß ich mit euch, als ein Unbekannter, der ich euch vielleicht die Tage meines Lebens nicht gesehen, so viel reden und fragen mag. Wenn ihr den Kaiser, löbliches Gedächtnisses, [131] so wohl in eure Gewalt, als ihr mich habt, bekommen, wie wolltet ihr ihn verehren?« Dem antwortete sie: »ich wollte es mit meinem Liebsten dahin bringen, daß er den Morgen nicht erleben sollte.« Als sie nun auf den Morgen aufstunden, nahm der Gast vom Wirthe und der Wirthin Abschied, sagte ihnen der Verehrung freundlichen Dank, und sie begleiteten ihn ehrlich bis vor die Schlagbrücke und ließen ihn dahin ziehen.

Der Kaiser nahm ihm den Ort und die Gelegenheit der Wälder gar wohl in Acht; denn dieser Tag viel heller als der vorhergehende war und wandte sich nach Mittag. Und als er nach Regensburg kam, ward er von allem Volke mit großen Freuden angenommen. Es kamen viele Fürsten zu ihm, auf daß sie ihn, als einen Verlornen, entfahen und sich seiner Zukunft freuen möchten, denen er Dank sagete. Und nach etlichen Tagen begehrte er von ihnen, daß sie mit ihm einen Feldzug thun möchten; denn er in Vorhabens wäre, ein Schloß zu gewinnen, solches sie denn gerne verwilligten. Da befahl der Kaiser, daß man viel Holzäxte zubereiten sollte.

Als nun das Kriegsvolk bei Regensburg zusammenkam, war der Kaiser selbst der Heerführer. Und als das Volk auf den Ort gebracht ward, da keine Wege waren, ließ der Kaiser die großen Bäume [132] niederfällen und also den Weg bis zum Schlosse räumen. Wie sie sich bei dem Schlosse gelagert, fragten die Fürsten den Kaiser: was er auf diesem Schlosse für einen Feind hätte? Der Kaiser sprach: »allhie habt ihr meinen unzeitigen Eidam, mit meiner ungehorsamen Tochter.«

Der Graf erhörte das Getümmel, lief eilends über die Brücke auf das Thor und fragte: was das bedeute? Ihm wurde zur Antwort dieses: »der Kaiser Heinrich, welcher neulich bei euch auf diesem Schlosse gewesen und das Brod mit euch gegessen, welchen ihr, von wegen der Länge seines Bartes, nicht gekannt, hat uns befohlen, daß wir euch und seiner Tochter auf Leib und Leben absagen sollen.« Der Graf gab zur Antwort: er wolle sich wehren, aber er hätte nichts womit; denn alle Armbrüste vermodert und die Sehnen verfault wären; und fing allein an sich mit Steinwerfen zu wehren. Helena lief eilends auf die umlaufende Wehr, schrie mit heller Stimme und sprach: »ihr sollt es sämmtlich wissen, daß ich, nach meinem lieben Herrn und Grafen, nicht eine Stunde leben will; wird mich nicht jemand anders ermorden, so will ich mich selbst umbringen.«

Die Herzoge traten für den Kaiser und suchten diesen Zweien Gnade. Die Bitte währete so lange, bis sich der Kaiser bewegen ließ und fing an [133] (denn er selbst auch ein Buler war) zu weinen und sprach: »o, Minne, wie hast du so viel und mancherlei Fälle!« Allda wurde bald Friede gemacht und dem Grafen ein Vertrag angemeldet. Der Graf und Helena ließen die Brücke nieder, gingen dem Kaiser entgegen, fielen ihm zu Fuß und baten um Gnade. Der Kaiser, als ein gnädiger Potentat, erließ ihnen alle ihre Schuld und befahl, daß sie alsbald mit ihm gen Regensburg ziehen sollten. Sie nahmen ihre Schätze, welche sie vor dem Saale vergraben gehabt, huben die Brücke auf, gingen heraus, beschlossen nach sich das Schloß und wandten sich also mit dem Kaiser und den Fürsten nach Baiern. Solches geschah Anno 930.

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