Dreizehnte Szene
Hinzelmann – Klärchen – Sülzheimer – Leopold.
SÜLZHEIMER
aus dem Hotel einen Handkoffer tragend.
Na, Herr Hinzelmann – wenigstens sind Sie und Ihr Fräulein Tochter untergebracht.
Hinzelmann, Klärchen, Leopold kommen hinter ihm aus dem Hotel.
LEOPOLD.
Ja, – wir san halt komplet – alles besetzt!
SÜLZHEIMER.
Und ich hatte mir schon meine Depeschen hierher bestellt. Noch nichts angekommen? Für Arthur Sülzheimer!
LEOPOLD.
Nein, is nix da!
HINZELMANN
bescheidene Gelehrtenfigur.
Nicht wahr, Klärchen, schön ist's hier?
KLÄRCHEN.
Ja, Papa!
HINZELMANN
schüchtern und leise.
Sagen Sie mal, Herr Oberkellner – wie hoch liegen denn unsere zwei Zimmerchen?
LEOPOLD.
Im zweiten Stockwerk.
HINZELMANN.
Im zweiten ... so so ... hätten Sie vielleicht etwas im dritten Stockwerk?
LEOPOLD.
Aber ich bitt' schön, das Häuserl hat ja nur zwa Stockwerke. Ihre Zimmer liegen eh' schon unterm Dach! Ich trau' mich kaum, sie Euer Gnaden anzubieten!
HINZELMANN.
Aber bitt' schön, das ist uns ja gerade recht. Nicht wahr, Klärchen?
SÜLZHEIMER.
Aber wird Ihnen das nicht zu unbequem sein, mein Fräulein?
KLÄREHEN.
O nein!
[52]LEOPOLD.
Wenn ich Euer Gnaden vielleicht hinaufführen darf?
HINZELMANN.
Einen Augenblick noch! Leopold etwas beiseite nehmend. Wie hoch stellt sich denn der Preis für die Zimmer?
LEOPOLD.
Pro Tag einen Gulden fünfzig mit Bedienung und Licht!
HINZELMANN.
So ... so ... nun, Licht brauchen wir eigentlich nicht, das haben wir uns mitgebracht!
SÜLZHEIMER
lachend.
Sie sind ja ein sehr praktischer Reisender!
HINZELMANN.
Ja, lieber Freund, als Privatgelehrter muß man ein bißchen rechnen. Also ein Gulden fünfzig pro Tag macht für die Woche zehn Gulden fünfzig ... Ich glaube, das geht, Klärchen!
KLÄRCHEN.
Ja, Papa!
HINZELMANN.
Da nehme ich also die Zimmer für eine Woche, und wenn Sie wünschen Er nestelt an der Weste herum und holt eine Brieftasche hervor, die er an einem Band um den Hals gehängt hat. so kann ich ja auch gleich vorher bezahlen!
LEOPOLD.
Aber bitt' schön, hat ja Zeit, Euer Gnaden! Nimmt den Handkoffer von Hinzelmann. Darf ich jetzt um den Schein bitten?
HINZELMANN.
Was denn für einen Schein?
LEOPOLD.
Na, für das große Gepäck!
HINZELMANN
auf den Handkoffer zeigend.
Das ist ja das große!
LEOPOLD.
Ach so! Bitt' um Entschuldigung! Ab links.
HINZELMANN
zu Sülzheimer.
Ja, mit dem Gepäck, das muß man sich sehr berechnen auf der Reise, wegen der Überfracht! Die kostet ein Heidengeld, das kenne ich!
SÜLZHEIMER.
Sie reisen wohl sehr viel, Herr Doktor?
HINZELMANN.
Sehr viel! Jeden vierten Sommer! Wir haben schon ein schönes Stück Welt gesehen, ich und meine Tochter.
KLÄRCHEN.
O ja!
HINZELMANN.
Den Spreewald – die märkische Schweiz – die sächsische Schweiz – die vogtländische Schweiz – Mit einem leisen Seufzer. bloß die wirkliche Schweiz, – dazu hat's noch nicht gelangt! Aber mit dem Salzkammergut, da ging's diesmal. Es war nämlich ein Philologen-Kongreß in Linz!
SÜLZHEIMER.
Ach, und da waren Sie?
HINZELMANN.
Nein, auf dem Kongreß war ich nicht Aber die ermäßigte Fahrkarte habe ich benutzt! Es bleibt sonst zu viel Geld an den Rädern kleben. Deshalb können wir auch nicht jedes Jahr reisen. Da heißt es sparen, bis wir die Reisekasse voll haben, und wenn ich so manchmal im Winter Lust auf ein gutes Glas Bier habe, da trinke ich ein gutes Glas Wasser und sage dann zu meinem Klärchen, wenn ich den Spargroschen in die Büchse werfe: »Wieder ein Kilometer!«
[53]SÜLZHEIMER
teilnahmsvoll.
Ach, du lieber Gott!
HINZELMANN.
Ja, eins kommt zum andern! Aber wenn's dann auch so weit ist, und ich sitze mit meinem Klärchen auf der Eisenbahn, und ich fühle das Rütteln und Schütteln im ganzen Körper und höre die Räder über die Schienen rollen, das ist zu schön! ... Deshalb fahren wir auch nur mit dem Personenzug – da dauert's länger!
KLÄRCHEN
Hinzelmann am Arme zupfend und nach oben deutend.
Papa!
HINZELMANN.
Was denn? Ach so, das Zimmer! Ja, ich geh' schon ... Zu Sülzheimer. Vielleicht leisten Sie inzwischen meiner Tochter Gesellschaft!?
SÜLZHEIMER
der eben im Begriff war, eine Zigarre aus dem Etui zu nehmen.
Aber gern! Steckt schnell die Zigarre wieder ein.
HINZELMANN.
Ach bitte, bitte, rauchen Sie nur, das hat meine Tochter sehr gern.
SÜLZHEIMER
die Zigarrentasche präsentierend.
Vielleicht ebenfalls gefällig?
HINZELMANN.
Nein, nein, danke! Das habe ich mir auch abgewöhnt! Ja – die Reisekasse! Ab.
SÜLZHEIMER.
Wirklich schade, daß ich mir jetzt ein anderes Hotel suchen muß – aber unsere Reisebekanntschaft wird hoffentlich dadurch nicht verkürzt werden ... vorausgesetzt, daß Ihr Herr Vater damit einverstanden ist.
KLÄRCHEN.
Ach ja!
SÜLZHEIMER.
Und daß auch Sie nichts dagegen haben.
KLÄRCHEN.
O nein!
SÜLZHEIMER.
Wirklich sehr hübsch, daß Ihr Herr Papa mich aufgefordert hat, mich noch ein bißchen mit Ihnen zu unterhalten. Wie? Nachdem er vergeblich auf eine Antwort gewartet hat. Ich meine, da können wir uns doch einmal ordentlich aussprechen. Blickt sie fragend an.
KLÄRCHEN
nickt in stummer Bejahung.
SÜLZHEIMER
durch ihre Ängstlichkeit sichtlich verwirrt.
Es ist wirklich ein seltenes Glück, daß ich mich mit Ihrem Vater so zufällig zusammengefunden habe. Das ist ja ein prächtiger, alter Herr.
KLÄRCHEN
liebevoll.
Ach ja!
SÜLZHEIMER
nach einer kleinen Pause.
Und wie er unterrichtet ist und einem alles erklärt, als wenn er schon wunder wie oft die Gegend bereist hätte! »Das rechts ist der Falkenstein ... und links der Schafberg ...« ja Wieder auf eine Fortsetzung des Gesprächs wartend, dann in Verlegenheit wiederholend. und links der Schafberg – Ja ... oder sind Sie unempfänglich für solche Naturschönheiten?
[54]KLÄRCHEN.
O nein!
SÜLZHEIMER.
Aber, da erklären Sie mir nur um Gottes willen, warum Sie Ihre Freude so hartnäckig verheimlichen. Sind Sie denn immer so einsilbig?
KLÄRCHEN.
Ach ja!
SÜLZHEIMER.
Sie haben so kluge, sprechende Augen! Ich möchte wetten, daß Sie entzückend plaudern können.
KLÄRCHEN
abwehrend.
O nein!
SÜLZHEIMER.
Und gerade eine hübsche Stimme, die ist für mich eigentlich das Wichtigste bei der Frauenschönheit! Wenn die fehlt ... Da habe ich jetzt zum Beispiel in Salzburg einen Spaß erlebt – den muß ich Ihnen erzählen. Da saß mir an der Table d'hôte eine Dame gegenüber, bildschön – so lange sie stumm war. Aber auf einmal fing sie zu sprechen an, und aus war's! Denken Sie nur, sie lispelte nämlich! Lispelnd, mit der Zunge anstoßend und die Dame kopierend. »Darf ich Sie um's Selterwasser bitten!« Ich sage Ihnen, es war zu komisch, und ich mußte die Serviette vor's Gesicht halten, um mein Lachen zu verbergen.
KLÄRCHEN
in lebhafter Erregung, stark lispelnd.
Das war sehr häßlich von Ihnen! Sie sollten sich schämen, daß Sie über so etwas lachen!
SÜLZHEIMER
betroffen.
Mein Fräulein!
KLÄRCHEN.
Begreifen Sie jetzt, warum ich so schweigsam war? Ich lispele nämlich auch.
SÜLZHEIMER
verlegen.
Das kommt mir allerdings so vor.
KLÄRCHEN.
Und darum rede ich lieber gar nichts mit fremden Leuten. Lieber soll man mich für dumm halten, als daß sie mich auslachen!
SÜLZHEIMER.
Aber, wer könnte denn so taktlos sein?
KLÄRCHEN.
Ach, ich habe es oft genug bemerkt, wie die Herren ihre Gesichter hinter der Serviette versteckten – so wie Sie in Salzburg. – Weinend. Und ich kann doch nichts dafür! Ich kann doch nur so reden, wie mir der Schnabel leider gewachsen ist!
SÜLZHEIMER.
Mein Fräulein, Sie quälen sieh aber wirklich ohne Grund. Grade dieser kleine Sprachfehler, der stellt Ihnen entzückend. Ich begreife gar nicht, wie eine Dame anders reden kann.
KLÄRCHEN.
Und mir hat es so viel Kummer gemacht. Gott – die Herren haben doch auch kleine komische Schwächen – wenn einer zum Beispiel so ungeschickt ist, daß er überall stolpert, oder Einen Kurzsichtigen kopierend. er ist so kurzsichtig, oder es hat einer in jungen Jahren schon einen ganz kahlen Kopf, so glatt und rund wie eine Billardkugel.
SÜLZHEIMER.
Das finden Sie also komisch?
[55]KLÄRCHEN
lachend.
Na – lachen muß man ja drüber.
SÜLZHEIMER.
Gott sei Dank, mein Fräulein, jetzt sind wir quitt. Nimmt den Hut ab, und man sieht erst jetzt, daß er bei einem hübschen, jungen Gesicht einen kahlen Kopf hat.
KLÄREHEN
erschrocken.
Ach, du lieber Gott!
SÜLZHEIMER.
Bitte, lachen Sie ruhig weiter, mein Fräulein. Ich lache mit.
KLÄRCHEN.
Ich hatte aber wirklich keine Ahnung.
SÜLZHEIMER.
Ja, die Enthüllung wollte ich mir eben so lange wie möglich aufsparen. Das mache ich immer so! – Am liebsten lasse ich mich nur im Freien sehen, mit dem Hut auf dem Kopf. Ich bin gewissermaßen eine Gartenschönheit.
KLÄRCHEN.
Aber, erlauben Sie, das kleidet Sie so gut, ich kann Sie mir gar nicht anders vorstellen. Haben Sie denn überhaupt einmal Haare gehabt?
SÜLZHEIMER.
Ja, vor Jahren! Ich habe mich sogar damit photographieren lassen und trage das Bild immer bei mir, sonst glaubt es mir keiner. Soll ich es Ihnen zeigen?
KLÄRCHEN.
Nein, nein! Ich will Sie gar nicht anders sehen.
SÜLZHEIMER.
Ich danke Ihnen für diese Geschmacksverirrung.
KLÄRCHEN.
Jetzt muß ich aber doch einmal nach Papa sehen.
SÜLZHEIMER.
Werden Sie heute noch einen Spaziergang machen?
KLÄRCHEN.
Gewiß! Papa hat sich schon im Winter einen Bädeker geborgt und alles abgeschrieben, – der kennt hier Weg und Steg.
SÜLZHEIMER.
Vielleicht erlauben Sie, daß ich mich Ihnen anschließe!?
KLÄRCHEN.
Aber selbstverständlich! Ich mache mich nur ein bißchen zurecht und lasse Ihnen dann Bescheid durch den Oberkellner sagen.
SÜLZHEIMER.
Und nicht wahr, jetzt, wo wir uns nichts mehr vorzuwerfen haben, jetzt werden Sie doch nicht mehr so einsilbig sein?
KLÄRCHEN.
O nein. Jetzt sollen Sie mich einmal schwatzen hören, – wie ein Wasserfall. Auf Wiedersehen, Herr Sülzheimer. Ab links.
SÜLZHEIMER
verbeugt sich und lüftet den Hut.
Ein liebes Kind! Dann seinen Handkoffer hochhebend. Wenn ich nur erst wüßte, wo ich ein Unterkommen finde, – es muß hier doch noch ein anderes Hotel geben.