Erste Scene
Guttenberg. Bertha, verschleiert. Nachher wird Lorenz sichtbar, der aber nur aus der Ferne seinen Antheil an der Handlung zu erkennen giebt, bis späterhin.
GUTTENBERG
in dem rechten Arm die Bibel, in der linken Hand einen knotigen Wanderstab, von Bertha unterstützt, mit sichtbarer Mattigkeit, doch ohne hinfällige Schwäche, sein Gesicht ist blaß, wie im vorigen Akt, sein Collet auf der Brust geöffnet, so daß man den ganzen Hals und einen Theil der Brust sieht; sein Haupt etwas vorwärts gebeugt.
Ich bin müde, liebe Schwester, recht müde! Halte mich deshalb nicht für schwach und feige, ich trage mein Geschick, die Seele ist nicht matt, der elende Körper nur ist ein treuloser Knecht! So lange schon entbehre ich die erquickende Luft, das reine, ungetrübte Licht des Tages, Empfindungen so vieler Art haben im Laufe dieser kurzen Stunden mich bestürmt, und der Gang, den ich jetzt thue, wird mir auch schwer, obgleich mich das innerste Herz dazu treibt! – Erräthst Du denn nicht, wohin wir gehen?
Bertha schüttelt mit dem Kopf.
GUTTENBERG.
Agnes, regt sich denn nicht auch Dein Herz freudiger auf diesem Pfad? – Ist's nicht der Weg nach Bieberich, den wir als frohe Kinder Hand in Hand so oft gewandert? – den ich als Jüngling später in ernsten Gedanken ging, indeß ihr nur auf die Stimme heitrer Jugendlust und ihrem Rufe lauschtet? – Den väterlichen Weingarten will ich noch einmal betreten, ehe ich scheide auf immer [59] von der lieben Vaterstadt, das stille Weinhüter-Häuschen besuche ich, wo zuerst der Gedanke in mir aufstieg, dem ich meine ganze zeitliche Glückseligkeit geopfert! – Dort saß ich an einem Abend wie der heutige. Wir hielten eben Herbst, Alles tobte um mich her beim lauten Mahl, ich aber schaute tiefen Sinnens auf einen schweren goldenen Siegelring, den mir der sel'ge Vater an demselben Tage verehrt; ich faßte Brod zusammen, knetete es zu einem festen Knäul, und drückte spielend das Siegel drein. Als ich nun sah, wie die Buchstaben, die sich verkehrt und seltsam auf dem Ringe umschlangen, nun plötzlich klar und deutlich im Abdruck mir entgegen blickten, da war's, als zucke mir's durch alle Nerven, und der Gedanke wachte in mir auf: Wie, sollte man nicht wie diese einzelnen Zeichen, viele Tausende und aber Tausende in eine Linie bringen, ganze Worte und Sätze eben so leicht abdrucken können, als diese wenige Zeichen 1? – Ich verließ die laute Menge, schlich in den dichten Laubengang, und sann, und sann! Von da an ließ mir's nimmer Ruhe, und trieb mich fort durch's ganze Leben – und so zeugte ichEr erhebt die Bibel. dieses Werk! Begeistert. Drum will ich noch einmal hin, und die Wiege meines Gedankens schauen! Abgespannt. – Komm, Agnes, komm, und führe mich, denn wahrlich, mir fehlt die Kraft allein zu gehen.
Bertha schlingt den Arm um ihn und zieht ihn nach links.
GUTTENBERG
bleibt stehen.
Schwester, was ist mit Dir, Du kennst den Weg nicht mehr nach unsers Vaters Garten? – Dort rechts hin geht er ja hinaus.
Bertha steht bestürzt und senkt das Haupt.
GUTTENBERG
kummervoll.
O, Schwester, warum kann ich mich doch Deines Opfers nicht erfreuen! Ich kenne Dich nicht mehr! Seit Jahren fern von Dir, erinnere ich mich kaum noch Deiner Züge, doch Deine liebe Stimme würde ich gleich wieder erkennen! Warum hast Du durch Dein Gelübde [60] die Kluft noch erweitert, die unnatürlich zwei Herzen, die sich angehören, so lange schied?
Bertha ist in der heftigsten Bewegung.
GUTTENBERG.
Du willst büßen, was Du an mir verschuldet, und strafst durch Deine Buße mich mehr als Dich!
Bertha wendet sich im heftigsten Kampfe von ihm, und geht verzweifelnd hin und her.
GUTTENBERG
sich ermannend.
Du bist bewegt, es peinigt Dich Angst und inn'rer Kampf! Ich löse Dein Gelübde – Du thatest es ja um meinetwillen – sprich, bei Gottes Gnade flehe ich Dich an! – Sage mir wenigstens, wohin Du mich bringst, und ob Du, wenn ich das Ziel erreicht, noch ferner bei mir weilst?
Bertha verneint es und zeigt auf Mainz zurück – dann legt sie die Hände über die Brust, und macht ein Zeichen, daß sie beten wolle im Kloster bis an's Ende.
GUTTENBERG
erschrocken.
Du kehrst in Dein Kloster heim?
Bertha bejaht.
GUTTENBERG.
Dann also stehe ich ganz verlassen?
Bertha deutet gegen den Himmel.
GUTTENBERG.
Er ist mir nah – ja – ich fühle das – und doch ist mein Herz verwaist! – Wohin denn führst Du mich?
Bertha steht einen Augenblick unentschlossen, dann zieht sie ein Blatt aus dem Gürtel und reicht es ihm.
GUTTENBERG
liest.
Einen Geleitsbrief für mich in's Elsaß? – In's Elsaß? – Wo sie ist, mein verirrtes, ach – und doch so heiß geliebtes Weib? – Nein, Schwester, nimmermehr – ich will sie nie mehr sehen! Die Unglückselige, soll ich ihr Dasein ganz vergiften? – Ist sie nicht schon beklagenswerth genug? – Wenn mich der Zufall ihr vor die Augen führte, wenn sie mein Elend sähe, meine bleiche Wange, mein trübes Auge, das sie anklagt – müßten nicht tausend Messer durch ihr Herz schneiden, ob meinem Jammer – denn –Plötzlich weich. was sie mir auch gethan – gut war sie, meine Bertha! O, mein Weib! –
[61]BERTHA
außer sich.
Nein, nein, mein Herr und Gott, die Buße ist zu schwer – ein menschlich Herz kann sie nicht tragen! Sie wirft den Schleier zu rück.
Guttenberg fährt sprachlos zurück und starrt sie an.
BERTHA.
Johannes, sieh, auch diese Wange ist verbleicht, mein Auge verloschen in Thränen – meine Stimme bricht in dem Schrei des bittersten Weh's – vergieb, vergieb, Du Reiner, und laß mich zu Deinen Füßen sterben! –
Sie sinkt vor ihm nieder.
GUTTENBERG.
Bertha, Bertha! O, mein Gott!
Er verhüllt das Gesicht und sinkt auf die Rasenbank.
BERTHA.
Was ich litt, das kannst nur Du ermessen, denn ich liebe Dich, wie Du mich. Die Herzensangst um Dich, die Sehnsucht nach Dir trieb mich aus dem stillen Haus der Eltern, sie erbarmten sich meiner, und gaben mir das Wenige, was sie zu geben hatten! Ich pilgerte nach Mainz, denn mich zog es hin, wo Du weiltest! Im Kloster der Klarisserinnen, bei Deiner Schwester, suchte ich Trost und Kunde von Dir! Ach! was ich dort vernahm, bestätigte meinen Irrwahn, und Agnesens Verblendung zerfleischte mein Herz noch mehr! Unter dem Gewande der Nonne suchte ich endlich Ruhe; mein Noviziat war seinem Ende nahe! In wenigen Tagen sollte meine Einkleidung vor sich gehen! Da sandte Gott mir den Engel in der frommen Jungfrau, der die Nacht von meiner Seele nahm! Guttenberg, mir ward es vergönnt, Dich zu retten. – Doch meine Buße sollte sein, daß Du es nie erfahrest. – In meiner Eltern stilles Haus will ich Dich führen, dort in den blühenden Thälern, in dem kleinen friedlichen Schloß wird Deine kranke Seele genesen; wir sind zwar verarmt, doch aber reich genug, Dir eine Freistatt zu bieten, wo Dich nicht Hohn noch Verläumdung mehr erreichen soll! – Hast Du dies Ziel erreicht, so kehre ich in's Kloster heim, und büße in Demuth, was ich an Dir verbrach!
GUTTENBERG.
In's Kloster? – So willst Du mich[62] zum zweiten Mal verlassen? – Nein, meine Bertha, nein – so will es Gott nicht; das Weib gehört zum Manne, das ist ihr angeborner Platz; komm, herzliebe Frau – Er breitet die Arme aus. Du bist mir ja das Theuerste auf Erden, komm, und sei wieder mein!
BERTHA
in zitternder Freude an seine Brust sinkend.
Johannes! Sie halten sich umschlungen.
GUTTENBERG.
So, so ist's recht! Mit kindlicher Freude sie betrachtend. Da habe ich ja meine Hausfrau wieder! – Er nimmt ihr den Schleier vom Haupt. Fort mit der klösterlichen Umhüllung, laß mich Dein reiches Lockenhaar sehen, das so oft meine Freude war! Er faßt ihren Kopf mit beiden Händen. O, Weib, wie schön bist Du in diesen Thränen, die Dir über die blassen Wangen rollen, wie beseligend strahlt mir der liebe Blick bis in's Herz hinein! bist meine Bertha noch, ja, ja, Du bist es noch, Plötzlich die Arme zum Himmel hebend. und du bist noch mein alter lieber Gott, denn ich halte meine Bibel, im Arm, und drücke mein trautes Weib an's Herz! –
Er preßt sie mit dem linken Arm fest an die Brust.
LORENZ
stürzt in ungestümer Freude vorwärts, faßt Guttenbergs Hände und preßt sie an die Lippen.
Mein Herr, mein lieber, theurer Herr, verzeiht dem alten Lorenz, den Ihr zurückschicktet, und der, Eurem Befehle ungehorsam, Euch von weitem folgte, weil er nicht mehr leben kann, ohne Euch! Ach, liebe Frau Bertha, redet doch ein freundlich Wort, daß er den treuen Diener nicht verstoße! Ich theile mit Euch jedes Schicksal, ich will hungern mit Euch, wenn es sein muß, nur laßt mich bei Euch sterben!
GUTTENBERG
erschüttert.
Bleib denn, mein Freund! Er reicht Lorenz links, Bertha rechts die Hand und sieht Beide mit leuchtenden Blicken an. So wären wir drei denn wieder vereint in Noth und Sorge, in Freud' und Leid! Bertha sinkt an seine Brust, Lorenz zu seinen Füßen. Sieh einmal, die Freude ist mächtiger, als der Schmerz, ich bin recht matt, recht matt! Ich muß wohl ein wenig ruhen, ehe wir weiter gehen, sonst [63] kann ich den Garten nicht mehr erreichen. Er geht, von Bertha und Lorenz unterstützt, nach dem Hügel, läßt sich dort auf ein Knie sinken, und legt das Bibelbuch zu seinen Häupten, nach der Stadt hin gewendet. Schaut doch dort hin, wie schön die Abendsonne mit mildem Strahl die Thürme des herrlichen Doms beleuchtet! Da liegt das goldene Mainz in stolzer Ruhe, und die grünen Fluthen des Rheins spiegeln freudig das prächtige Gebilde wieder! O, Vaterstadt, geliebte, theure Vaterstadt, nach der ich jetzt vergebens in Sehnsucht meine Arme breite, ich klage dich nicht an, es kommt einst der Tag, wo sich des Irrwahns Nebel lichten, dann wirst du meinen reinen Namen ohne Makel sehen! Er sinkt ganz nieder, mit dem Haupt auf die Bibel. Habe Geduld, mein liebes Weib, ich werde wohl bald erkräftigt sein – Er entschlummert.
BERTHA
rückt ihm die Bibel zurecht, und streicht ihm das Haar von der Stirn.
O, mögest Du sanft schlummern, theurer Herr, möge Gottes Friedens- Athem Dich umwehen! – Er, der den Baum mit Blüthen schmückte, der duftend Dir zum Obdach dient, der mild die Sonne sinken läßt nach heißen Tages Schwüle, er wird uns auch den Weg zur Ruhe führen! – Sie beugt sich über ihn. Er schlummert süß, sanfte Athemzüge heben seine Brust!