O. F. Berg / David Kalisch
Berlin, wie es weint und lacht
Volksstück mit Gesang
in 3 Aufzügen und 11 Bildern

Personen

[7] Erster Aufzug.

Zweiter Aufzug.

Dritter Aufzug.

1. Akt

Erstes Bild
1. Auftritt
Erster Auftritt.
Eisleben. Schlepper. Dümmler. Kohlrepp. Bernhard. Ferdinand.

EISLEBEN
die Karten abgehend.
Roi et neuf! Trois et six! Er nimmt und zahlt Geld. Trois et deux! Ebenso. La Dame et huit!
SCHLEPPER.
Attention! Er mischt seine Spielkarten, um eine Pointierkarte zu ziehen.
FERDINAND
während dieser Pause laut schnarchend.
EISLEBEN.
Nicht so schnarchen, Ferdinand!
FERDINAND
ein Auge öffnend.

Hm? – Er steckt die Zigarre verkehrt in den Mund, Ausdruck des Ekels, schläft wieder ein und schnarcht weiter.

SCHLEPPER.
Auf den Valet! Er setzt.
EISLEBEN
abziehend.
Neuf et dix – Sept et l'as! – Madame et Valet! Er zahlt aus.
BERNHARD
von dem Schnarchen Ferdinands erwachend, reibt sich die Augen und frägt schlaftrunken.
Ist noch Zug?
EISLEBEN.
Mehr als zuvor!
[9]
BERNHARD.

Attention! Er sucht in allen Taschen nach Geld und findet nichts, steht auf, zieht sein Schnupftuch, es fallen zwei Kassenbillets aus demselben, hebt sie auf. Auf die Dame! Er wankt nach dem Tische und setzt, das Spiel geht weiter.

EISLEBEN
ruft die Karten etwas leiser, um den Dialog im Vordergrunde zu decken.
BERNHARD
gewinnt und verliert.
SCHLEPPER
die leere Flasche sehend.
Ist denn kein Stoff mehr da? Heda, Ferdinand!
FERDINAND.
Hm! Was denn?
SCHLEPPER.
Sekt her!
FERDINAND
sitzen bleibend, laut für sich.

I bewahre! Noch länger hier sitzen bleiben. Es kann ja nicht weit vom Morgen sein. Was ist denn die Uhr? – Er sieht nach. Dreiviertel auf Sechs! – Er sieht durchs Fenster. Heller, lichter Tag! Die schöne Nacht wieder um die Ohren geschlagen! Wenn man nicht seinen Profit davon hätte, es wäre nicht zum Aushalten. Aber ich denke, man muß sich nichts daraus machen. Andere Leute leben in den Tag hinein und kommen zu nichts, unsereins lebt in die Nacht hinein und kommt dadurch zu etwas. Er liest in dem Buche.

BERNHARD.
Den letzten Louis auf die sept.
EISLEBEN
wie oben.
Madame et deux! Sept et roi!
BERNHARD.
Pfui! – Alles fort! – Alles verloren!
EISLEBEN.
Dix et l'as!
BERNHARD.
Attention! Zwanzig Louisdor auf dieneuf!
EISLEBEN
zögert, den Einsatz des Geldes erwartend.
Wenn ich bitten darf.
BERNHARD.
Auf Ehrenwort!
EISLEBEN.
Auf Ehrenwort! Gut! Er zieht ab. Roi et dix! – Roi et Madam! – Neuf et trois! – Sie haben verloren.
BERNHARD.
Pest! Noch einmal zwanzig Louis auf die neuf!
EISLEBEN
zieht ab.
Cinq et deux! – neuf et quatre! Ich erhalte von Ihnen vierzig Louisdor, Herr Schlicht.
BERNHARD.
Sie sollen sie bis heute abend haben.
EISLEBEN.
Sie haben es gehört, meine Herren!
BERNHARD.
Diese Bemerkung war sehr überflüssig.
[10]
EISLEBEN.

Ich weiß, daß Sie die Bedeutung eines gegebenen Ehrenwortes kennen. Sie werden aber auch wissen, daß ich in dieser Beziehung Erfahrungen gemacht habe.

BERNHARD
stolz.

Dann müssen Sie mit Leuten im Verkehr stehen, die von dem Prädikate »ehrenhaft« in angemessener Entfernung leben!

SCHLEPPER.
Aber so stören Sie doch das Spiel nicht! – Weiter – weiter!
BERNHARD
kommt leichenblaß mit verwilderten Haaren in den Vordergrund.

Alles hin! Die 150 Taler, welche zu meinem Examen bestimmt waren und nun noch diese 40 Louisdor. Wenn ich das Geld nicht heut' noch auftreibe, bin ich ruiniert. Ich darf meinem Vater nicht unter die Augen treten. Was anfangen? Auf Ferdinand deutend. Der Kellner hat Geld. Ich weiß, er hat sich ein Kapital zusammengespart. Es ist demütigend, diesen Menschen anzusprechen, aber – wenn ich mich nur vorläufig aus dieser drückenden Verlegenheit reiße. Meine Tante Quisenow wird mich ja nicht im Stich lassen. Er ruft. Ferdinand!

FERDINAND
immer noch sitzend, ohne von der Lektüre aufzusehen.
Herr – hm!
BERNHARD
verzagt, mit sich kämpfend.
Ich brauche Geld – können Sie mir 200. Taler leihen?
FERDINAND.
Sie belieben zu scherzen, Herr Schlicht!
BERNHARD.
Ich weiß Sie haben sie – und noch mehr. Ich gebe Ihnen einen Wechsel.
FERDINAND.
'nen Wechsel? Entschuldigen Sie, das ist ein überwundener Standpunkt!
BERNHARD.
Sie wissen, daß ich eine reiche Tante habe?
FERDINAND.

Aber Ihre Frau Tante ist eine sehr ungemütliche Dame. Das letzte Mal, wie Sie auch nicht bei Mammon waren, und ich wegen der kleinen Nota kam, hat sie mich fast die Treppe hinuntergeworfen.

BERNHARD.
Lieber Freund –
FERDINAND.
Da muß man sich nichts daraus machen – gewiß! Aber es paßt sich doch nicht.
BERNHARD.
So wollen Sie mir nicht helfen?
FERDINAND.

Geht beim besten Willen nicht, Herr Schlicht. Ich habe mir meine paar Groschen mühsam zusammenapportiert [11] und muß sie zusammenhalten, denn unter uns gesagt, ich will heiraten, ich habe was in Aussicht; Sie werden reinen Gebrauch davon machen; ich etabliere etwas Großartiges – ich will den Leuten was zeigen.

BERNHARD
der gar nicht hingehört.
Bedenken Sie, ich bin der Verzweiflung nahe, meine Ehre steht auf dem Spiele.
FERDINAND.
Da muß man sich nichts draus machen – wollte ich sagen, es ist mir unmöglich.
BERNHARD
wirft sich wieder verzweiflungsvoll auf die Causeuse.
Verfluchter Leichtsinn!
FERDINAND.

Das wäre so was, jetzt mein Geld wegborgen, wo ich den Leuten was zeigen will. – Wenn sich die andere Schwefelbande nur auch endlich drücken wollte. Es ist schon heller Tag und ich muß auf den Markt gehen, Karolinen zu treffen. Falle ich bei ihr ab, so werfe ich mich an die Brand Agnes. Vorläufig habe ich beiden schon eine schriftliche Erklärung gemacht. Doppelt hält besser. Nun will ich doch schnell noch einmal nachlesen, was dieser »Ratgeber für Unverheiratete, oder die Kunst, in acht Tagen Bräutigam zu werden,« in bezug auf die erste persönliche Begegnung sagt –Er blättert und findet die Stelle. Aha hier –

KÖHLER
kommt die Kellertreppe herunter.
2. Auftritt
Zweiter Auftritt.
Die Vorigen. Köhler.

KÖHLER
feingekleidet, einen sehr schlechten Hut in der Hand.
FERDINAND
in das Buch vertieft, Köhler nicht sehend, liest.
O, wie glücklich wäre ich, wie selig, von Ihren holden Lippen das süße Wort zu vernehmen –
KÖHLER.

Einen Bittern! Guten Morgen, meine Herren! Schon so fleißig? Oder vielmehr noch so fleißig? Das kann mir gefallen. Morgenstunde hat Gold im Munde. Er tritt an den Spieltisch. Ist erlaubt, so halte ich etwas.

EISLEBEN
ohne Köhler zu beachten.
Sept et Valet – trois et l'as.
KÖHLER.

Nicht wahr, je schöner der Abend, je später die Gäste. Wollen Sie nicht so freundlich sein, und 'n bißchen zusammenrücken, meine Herren! Es geschieht nicht.

DÜMMLER
bückt sich zu Eisleben rüber und sagt diesem was ins Ohr.
[12]
KÖHLER.

Hoffentlich haben Sie nichts dagegen, wenn ich mit pointiere!? Mein Geld ist auch kein Blei! Ein Louis auf den König!

EISLEBEN
schiebt das Geld zurück.
KÖHLER.
Was hat das zu bedeuten?
EISLEBEN.
Das will ich Ihnen sagen mein Herr. Sie haben neulich auf Ehrenwort gespielt und nicht bezahlt.
KÖHLER.
Wer wagt das von mir zu behaupten?
DÜMMLER.

Ich! Sie sind mir noch dreißig Taler schuldig, und ich habe mir vorgenommen, jede anständige Gesellschaft vor Ihnen zu warnen. Meine Herrn! Spielen wir nicht mit diesem Lumpen.

KÖHLER
wütend.
Herr, da soll ja gleich –
DÜMMLER.
Was, Sie wagen noch zu drohen? Ein Schurke, der sein Ehrenwort gebrochen?
KÖHLER.
Schurke? Ha! Er greift nach einem Messer, das auf dem Tisch liegt, und sticht damit nach Dümmler.
KOHLREPP
und die andern Spieler fallen Köhler in den Arm und schlagen auf ihn los.
Hinaus! Mörder! Betrüger! Schurke! Sie werfen Köhler hinaus.
FERDINAND
im Vordergrunde.
Da muß man sich nichts draus machen.
EISLEBEN
zu Dümmler.
Sie sind doch nicht verletzt?
DÜMMLER.
Nur die Haut gestreift, aber der Rock ist zerschnitten.
EISLEBEN.
Kommen Sie, kommen Sie, sonst holt uns der Mensch noch die Polizei auf den Leib. Sie gehen ab.
BERNHARD
im Vordergrunde allein, während Ferdinand im Hintergrunde mit Wegräumung des Tisches und der Stühle beschäftigt ist.

Was hab ich hier erlebt! Welche Gesellschaft? Und morgen wird vielleicht mir eine ähnliche Beschimpfung zu teil, wenn ich mein Wort nicht halte. Nein, lieber alles tun, als min Ehrenwort brechen. Meine Tante muß und wird mir helfen, ich will noch einmal meine Zuflucht zu ihr nehmen, und wenn sie mich nur diesmal noch rettet, dann wahrhaftig nie mehr eine Karte in die Hand – nie mehr einen Fuß in diese Höhle! Er stürzt ab.

FERDINAND
allein.

Gott sei Dank, daß sie alle fort sind. Es ist wahrhaftig keine Kleinigkeit, vierundzwanzig Stunden [13] auf den Ruf: Kellner! hören zu müssen, ohne sich aufs Ohr legen zu können. Es heißt immer, der Mensch ist nur ein Gast auf Erden, warum soll ich grade Kellner sein? Jetzt rasch auf den Markt und das Terrain rekognosziert! Er zieht sich einen eleganten Rock an. In diesem Landsberger wird Karoline mir nicht widerstehen. Das Buch hier sagt: Wer den Brauen gefallen will, darf sein Äußeres nicht vernachlässigen. Nun auch den neuen Bibi – Wo ist er denn – mein Hut – Er ergreift den liegen gebliebenen Hut. Was ist denn das? Es hat einer meinen Hut genommen und dafür diesen durchgeschwitzten Pomadenfilz stehen lassen! Das ist niederträchtig! Aber halt – da ist ja eine Karte – ein Namen drin – da kann ich gleich sehen, wem er gehört – Er liest. Nationaleigentum! Er spricht. Nationaleigentum! Er besieht den Hut von allen Seiten. Schauderhafte Bosheit! Aber da muß man sich nichts draus machen.


Nr. 1. Couplet.


Der den Hut verunsichtbarte
Und ihn hat jetzt in Besitz,
Dieser Mann, das zeigt die Karte,
Dieser Mann hat Geist und Witz.
Darum heiter, unverfroren,
Will mich gar nicht ärgern drob.
Ist der feine Hut verloren,
Fand er doch 'nen feinen Kopp.
Darum nur nicht gleich erbost,
Ferdinand, denk an deinen Trost!
Dadraus da muß man sich nichts machen,
:|: Da muß man lachen. :|:
Dadraus da muß man sich nichts machen,
Da muß man lachen. Hahahahaha!

Er lacht, wird aber gleich ernst und sieht sich scheu um.

Ernst zu sein ist jetzt in Moden,
Alles macht ein streng Gesicht,
Als wär jeder Spaß verboten
Und der Ernst nur unsere flicht.
Ja, es predigt unverdrossen
[14] Mancher strenge Sittenheld:
Tanz, Musik, Theaterpossen
Müssen endlich ans der Welt!
Doch die schlimme Welt denkt bloß:
Gott, ist dein Tiergarten groß!
Dadraus da muß man sich nichts machen etc.

David war als Harfensänger
Engagiert bei König Saul;
Dieser war ein Grillenfänger,
Dem ein jedes Lied schien faul.
Finster ward ihm die Visage,
Wenn sich David hören ließ;
In der Rage, statt der Gage
Schmiß er ihn mit seinem Spieß!
Aber David sprach. Wie heißt?
Ich sing ihm und er – er schmeißt?

Harfenspiel mit beiden Händen fingierend.

Dadraus da muß man sich nichts machen etc.

Obschon heilte unbestritten
Kein Religionshaß existiert,
Wird doch gegen Israeliten
Manches Scherzwort noch riskiert.
Neckereien pflegt zu üben
Gegen sie so mancher Christ,
Weil das Schweinfleisch sie nicht lieben,
Was höchst abgedroschen ist.
Denn der Jude denk Mag sein!
Wir haben doch jetzt sehr viel Schwein.
Dadraus da muß man sich nichts machen etc.

Ins französische Theater
Raus zu Krolls einmal zu gehn,
Sagt die Frau. So hör mal Vater
Müssen's doch auch einmal sehn.
Und sie fahren ins Theater,
Hin zu den Pariser bouffes;
Wütend applaudiert der Vater
Und zum Schluß ertönt sein Ruf:
[15] Nee, das ist doch gar zu schön,
Man kanns bloß nicht recht verstehn.
Dadraus da muß man sich nichts machen etc.

Weil Berlin sich mehret täglich,
Ging's im Magistrat jüngst durch,
Daß erweitert es wo möglich
Wird bis nach Charlottenburg.
Wenn sich der Einwohner Scharen
So vermehren fernerhin,
Dann vielleicht nach ein paar Jahren
Schlägt man Potsdam zu Berlin.
Ach wie traurig das wohl wär',
Gäb's dann keine Potsdamer mehr.
Dadraus da muß man sich nichts machen etc.

Er geht ab.

Verwandlung.

Zweites Bild
3. Auftritt
Dritter Auftritt.
Marktleute. Dienstmädchen und Köchinnen. Frau Nünecke im Vordergrunde. Arbeiter.

Nr. 2. Marktchor.


FRAUENCHOR.
Der Markt beginnt – im Drange des Bestrebens
Mengt sich und engt sich und drängt sich alles dort;
Breit ist genug die Straße dieses Lebens,
:|: Jeder hat Raum und ein jeder kommt fort. :|:
[16]
ARBEITER
vorüberziehend mit Werkzeugen, in den Schnupftüchern Frühstück.
MÄNNERCHOR.
Durch Hobel, Axt und Hammerschlag
Und nicht durch Klag' und Jammertag
Durch Arbeit und durch Schwitzen,
Und nicht durch faules Sitzen,.
:|: Durch Hoffen, Dulden, Warten viel,
Und nicht durch Wurf- und Kartenspiel,
Wird unser Glück erreicht.
Wird uns das Leben leicht! :|:
Durch Arbeit und durch Schwitzen,
Und nicht durch faules Sitzen,
Wird unser Ziel erreicht.

Beide Chöre gleichzeitig wiederholt.
FRAUENCHOR.
Der Markt beginnt – im Drange des Bestrebens usw.
MÄNNERCHOR.
Durch Hobel, Axt und Hammer schlag usw.
CHOR DER ARBEITER
im Abgehen.
Durch Hoffen, Dulden, Warten viel
Und nicht durch Wurf- und Kartenspiel,
:|: Wird unser Ziel erreicht! :|:
4. Auftritt
Vierter Auftritt.
Die Vorigen. Karoline. Ferdinand.

FERDINAND
kommt mit dem Buche, schlagt nach und probiert Stellungen, Gesten, zieht Handschuhe an usw.
FRAUN NÜNECKE
während sie ihre Waren langsam eingepackt hat und ihre Körbe zusammensetzt, welche später von ihrem Markthelfer fortgetragen werden.

Sagen Sie mal Fräulein Karolinchen, wie geh meiner Nichte, der Agnes? sie dient auch in Ihrem Hause im ersten Stock Sie zeigt hinüber. bei dem Stadtverordneten.

KAROLINE.

Ach, die Agnes bei Quisenows, die immer so vornehm tut. Na, der geht es eben wie sie's verdient, die stolze Trine.

FRAU NÜNECKE.

Wie denn? Ihr Vater ist 'n armer Maurer. Wenn sie stolz wäre, würde sie nicht bei fremden Leuten dienen.

[17]
KAROLINE.
Na, denn soll sie aber nicht so patzig tun und andere Dienstboten über die Achsel ansehen.
FRAU NÜNECKE.

Ich will Ihnen sagen, Karlinchen, die Agnes ist still und für sich und bei ihrem Onkel, dem Schullehrer, erzogen, aber deshalb ist sie doch ein braves Mädchen.

KAROLINE.

Na, wir im Hause sind ihr alle nicht grün. Und ihre Madame erst recht nicht. Aber Auf Ferdinand zeigend. sehen Sie mal den, ich glaube dem pickt es hier. Sie zeigt auf den Kopf.

FERDINAND
wie oben.
Ja, so wird es gehen!
FRAU NÜNECKE.

Das ist ja der Kellner von da drüben aus dem Keller, der das große Etablissement pachten und durchaus heiraten will. Sie spricht mit Karoline leise einige Worte und schickt sich an abzugehen.

FERDINAND
liest in dem Buche.

Seite 45 heißt es ausdrücklich: Wenn du mit einem Mädchen von Liebe sprich, so klopfe erst leise an – wohlan, so will ich es denn versuchen.


Er tritt leise zu Karoline und klopft, während dieselbe mit der Nünecke spricht, ihr an das Mieder.
KAROLINE.
Nanu?
FRAU NÜNECKE.
Gesegnete Mahlzeit! Sie geht ab.

Es entfernen sich nach und nach alle Marktleute aus dem Vordergrunde.
5. Auftritt
Fünfter Auftritt.
Karoline. Ferdinand. Dann Stramberger.

KAROLINE.
Hören Sie mal, Sie, nehmen Sie sich vor mir in acht! Sie zeigt ihm drohend die Hand.
FERDINAND
für sich.

Der Verfasser hat sich getäuscht – sie hält mich vielleicht für einen Verführer – Er wirft das Buch weg. Weg damit!

KAROLINE.

Hören Sie mal, Sie sind ja wohl derselbe, der mir gestern abend unten im Hanse aufpaßte? Was wollen Sie denn eigentlich?

FERDINAND.
Ich? O nein – das heißt, wollen wollt ich, will ich wohl was –
KAROLINE.
Naht sich wohl ein anständiger Mann einem Mädchen zum erstenmal im Finstern?
[18]
FERDINAND.

O nein, es kann auch hell sein. Ich aber, ich liebe ie, Karolinchen, und ich werde nicht eher dieses Zimmer verlassen, bis ich Gegenliebe finde.

KAROLINE
lacht.
Wir sind ja auf der Straße!
FERDINAND.

Ach so! Das sieht so in dem Buche – wollt' ich sagen – Karlinchen, Sie find recht stichlich, wie 'ne Distel – aber ich liebe die Disteln.

KAROLINE.
Ich liebe aber nicht die, die Disteln lieben. Sie wären der letzte, den ich lieben könnte.
FERDINAND.
Es wäre auch schrecklich, wenn Sie nach mir noch einen lieben könnten.
KAROLINE.
Müssen Sie denn immer antworten?
FERDINAND.
Ja, ich bin wie ein Operngucker, je mehr man ihn schraubt, desto schärfer wird er.
KAROLINE.
Was sind Sie denn eigentlich?
FERDINAND.

Vorläufig noch Kellner, aber ich habe bereits ein Etablissement gepachtet und beabsichtige, nächstens dasselbe zu eröffnen. Ich werde den Leuten was zeigen!

KAROLINE.
So? Na was denn?
FERDINAND.
Hören Sie.

Nr. 3. Duett.

FERDINAND.
Alles wird staunen sehr!
Ich stell' was Großes her;
Ich schaff' 'nen neuen Reiz,
Ich bau' 'ne Berliner Schweiz.
KAROLINE.
Das scheint bedenklich mir,
Das scheint verfänglich mir;
Die Sache ist zu schwer,
Wo kriegt 'nen Berg man her?
FERDINAND.

Den Berg stellt Hiltl 1 auf,

Gletscher malt Gropius 2 drauf,

Und das Eis kriegt man zu Kauf

Von Kranzeleer. 3

[19]
KAROLINE.  FERDINAND.
Den Berg stellt Hiltl auf,  Hiltl auf,
Gletscher malt Gropius drauf,  Gropius drauf,
Das Eis kriegt man zu Kauf  Zu Kauf
Von Kranzeleer.
Dui dui dui dudelde.  Lalala.
FERDINAND.
Ich hab' in mancher Nacht
Die Sache wohl durchdacht.
Das Ding ist nicht so arg,
So 'n bißchen Steiermark!
KAROLINE.
Mir scheint es nicht so leicht,
Denn wo man Berge steigt.
Das sieht ein jeder ein,
Muß auch ein Echo sein.
FERDINAND.
Das Echo ist nicht schwer –
Ich stell's mir billig her,
Stell' hintern Berg mich nur
Und schrei retour.

BEIDE

wiederholen wie vorher.
KAROLINE.  FERDINAND.
Das Echo ist nicht schwer.  Ist nicht schwer usw.
FERDINAND.
Und wenn's sich machen läßt,
Geb ich ein Schützenfest –
Das wär erst originell,
So à la Wilhelm Tell!
KAROLINE.
Der Plan der wär' ganz neu,
Aber die Polizei
Macht dir wohl viel Verdruß
Weg'n dem Bogenschuß!
FERDINAND.
Ein Pustrohr wird aufgepfropft,
Geßler wird ausgestopft,
Und so neu kleinen Tell,
Den kriegen wir schnell.

BEIDE

wiederholen.
KAROLINE.  FERDINAND.
Ein Pustrohr wird aufgepfropft.  Aufgepfropft usw.
FERDINAND.
Und wenn das Ding floriert,
Wird Sonntags annonciert:
[20] Heut großes Alpenglühn –
Das würde sicher ziehn.
KAROLINE.
Jawohl, das würde ziehn!
Heut' großes Alpenglühn,
Und dann im Garten vorn,
Konzert mit Alpenhorn.
FERDINAND.
Doch darf's nicht teuer sein,
Entree sechs Dreier sein.
Das ist was für Berlin,
Da stürzen sie hin!

BEIDE

wiederholen.
KAROLINE.  FERDINAND.
Doch darf's nicht teuer sein  Teuer sein,
Entree sechs Dreier sein,  Dreier sein,
Das ist was für Berlin,  Für Berlin.

Da stürzen alle hin. Da stürzen alle hin!


Nach dem Duett kommt Stramberger, der Gardedragoner.
STRAMBERGER
ruft.
Karoline.
KAROLINE.

Ah, guten Morgen, Stramberger. Sie hängt sich an seinen Arm und geht an seiner Seite, Ferdinand stolz messend, ab.

6. Auftritt
Sechster Auftritt.
Ferdinand allein.

FERDINAND.

Sie ist bereits militärpflichtig! Das haben wir davon, daß man ein Militärstaat ist, aber da muß man sich nichts daraus machen. Nun habe ich noch eine Hoffnung, die gebildete Maurerstochter, die Brand Agnes. Ihr Vater ist hier an dem Hause beschäftigt. Ich will ihn drüben von meinem Keller ans erwarten und dann meinen Antrag machen. Er geht ab.

DER MAURER BRAND
kommt aus dem Hause rechts.
7. Auftritt
Siebenter Auftritt.
Brand, ein Fünfziger, frisches, rotes Gesicht, schwarzes Haar, in ärmlicher, kalkbespritzter Kleidung, in der einen Hand ein Schaff mit Malter, in der andern einen langen mannshohen Maurerpinsel.

BRAND.

Das hilft einmal alles nischt. Wenn ich meine Tochter Agnes sehr gebildet habe erziehen lassen, so liegt das bloß daran, daß wir Maurer selbst eine ganz unsinnige Bildung [21] nötig haben. Erstens müssen wir Juristen sein, das heißt, wir müssen es verstehen, alles so viel wie möglich in die Länge zu ziehen; dann müssen wir Mediziner sein, denn wenn wir 'n Haus bauen, müssen wir sehen, daß wir es auch als Patienten behalten; daß wir mit Finanzwirtschaft Bescheid wissen, wird niemand bezweifeln, denn wer versteht denn alles so schön zu verputzen wie wir? und geborene Theologen sind wir, weil wir alles erbauen. Mit einem Worte, wir sind so gebildet, daß einem der Verstand stehen bleibt. – Ah, da ist ja meine Tochter, die Agnes.

AGNES
in ärmlicher, aber sauberer, netter Kleidung, einen Marktkorb am Arm, trocknet sich die Augen und tritt aus Quisenows Haus.
8. Auftritt
Achter Auftritt.
Brand. Agnes.

AGNES.
Guten Morgen, lieber Vater! Sie fällt ihm um den Hals.
BRAND
stellt das Schaff weg.

Du, mach' dich nicht schwarz – Aber was ist denn? Du siehst mir ja gar nicht richtig ans? Hör mal, Mädchen, du hast geweint – Was ist denn geschehen? Er schwingt den Pinsel. Ich laß eine ganze Bevölkerung über die Klinge springen.

AGNES.

Davon später, Vater, sag' mir nur zuerst, wie es mit der Mutter geht? Ich sehe jeden Augenblick von meinem Küchenfenster hinüber, und heut' nacht – ich habe kein Auge zugemacht – lieber Vater – ich weiß, der Doktor war gestern abend noch bei der Mutter – es steht gewiß nicht gut mit ihr?

BRAND.

Der Doktor – gestern abend bei uns! Er kämpft mit sich selbst und lacht gezwungen. Was fällt dir denn ein?

AGNES.
Verschweige mir nichts, lieber Vater – sag' mir die Wahrheit!
BRAND
umarmt sie.

Na ja, er war bei uns – weißt du, man muß immer aufs Schlimmste gefaßt sein – der Doktor will durchaus ich soll sie ins Hospital bringen, weil sie zu Hause keine rechte Pflege hat. Aber du weißt ja, Kind, mit der Charité darf ich ihr nicht kommen, und in ein Privatkrankenhaus da geht es wieder Bewegung des Geldzählens zwischen Daumen und Zeigefinger. hier bei uns nicht.

[22]
AGNES
zeigt auf den Korb.

Ich habe ihr mein gestriges Abendbrot aufgehoben, um es der Mutter gleich nach dem Aufräumen rüber zu bringen; denn wenn ich beim Milchholen zu lang ausbleibe, dann gibt es wieder einen schrecklichen Skandal.

BRAND.
Laß mal sehen, Agneschen, was dein kindliches Zartgefühl geleistet. Er guckt in den Korb.
AGNES.
Aber Vater, du bist – Sie will sagen »auch zu neugierig.«
BRAND
zieht einen Gänseflügel her.

Einen Gänseflügel. Wenn man mir den aufs Sterbebette legte, dann sterb' ich gar nicht – aber das ist für Muttern zu schwer, Er wickelt ihn, nachdem er ein Stückchen Fleisch davon abgelöst und in den Mund gestopft, in ein Stück Papier und steckt ihn vorn in den Brustlatz der Schürze. das bekommt ihr wohl nicht, es ist ihr zu schwer. Aber nu sag mal, Kind, warum bist du denn in Tränen zu mir herabgeschwommen?

AGNES.

Du weißt ja schon, der Dienst bei Quisenows ist zu streng – es ist ein hübscher Lohn, ja, das Essen ist auch gut, sehr gut.

BRAND
essend.
Ja – is gut.
AGNES.

Der gnädige Herr ist auch recht freundlich, aber die Madame ist fürchterlich. Du kannst dir keinen Begriff davon machen. Ich tue gewiß meine flicht, ich arbeite redlich, aber jeden Augenblick kommt sie mit einem neuen Vorwurf, einer neuen Verdächtigung. Du weißt, lieber Vater, daß ich nur in den Dienst gegangen bin, um euch das Leben zu erleichtern, aber das Dienen ist schwer, sehr schwer.

BRAND.

Glaube dir's gern, Kind! Aber halte aus! 's ist deine erste Stelle, und wenn du da so schnell wieder fortgehst, dann hält's schwer mit der zweiten.

AGNES.

Ach Gott ja, lieber Vater, das sehe ich ein, und ich würde auch vielleicht in dem Betragen meiner Herrschaft gegen mich nichts Ungewöhnliches finden, wenn – wenn –

BRAND
heftig.

Wenn dir der Onkel, der Schullehrer, nicht die gelehrten Raupen in den Kopf gesetzt hätte. Nu flattert das als Schmetterling dadrin rum; das paßt nicht für'n Mädchen vor alles. Mein Schwager ist ein guter braver Mann und hat Wunder gedacht, was er uns für einen Dienst [23] leistet, daß er dir die feine Erziehung gegeben, aber der Teufel soll ihm danken.

AGNES.

Das ist unrecht, lieber Vater! oder wäre es dir lieber, wenn deine Tochter gegen die rohe Behandlung der Menschen weniger empfindlich wäre?

BRAND.

Das versieht sich! Das ist ja eben das Unglück heutzutage, daß die Leute sich deshalb nicht mehr gegenseitig gefallen, weil sich keiner vom andern will was gefallen lassen. – Und nun geh, mein Kind, und verplaudere dich nicht länger.

AGNES.
Noch eins, lieber Vater. Leicht. Ich habe gestern einen Liebesbrief bekommen.
BRAND
ebenfalls wieder leicht.
I sieh mal –
AGNES.
Eigentlich schon einen kompletten Heiratsantrag!
BRAND.
Von wem denn?
AGNES.

Von dem Kellner hier drüben aus dem Weinkeller. – Er setzt mir seine Verhältnisse sehr weitläufig auseinander, und warum er gerade mich zur Frau wünscht. Stil und Orthographie sind höchst komisch.

BRAND.
Na! Wenn nur die Absicht ernst ist. Aber nun mache, daß du fortkommst. Er treibt sie fort.
AGNES.

Erst noch rasch zur Mutter! Adieu! Adieu! Vater! Sie geht ab in das Haus, aus welchem Brand gekommen ist.

9. Auftritt
Neunter Auftritt.
Brand. Dann Ferdinand. Später Hahnekamm und Schultze.

BRAND
zum Publikum.

Na, was sagen Sie zu so 'ner Tochter? Nett, sauber, tugendhaft, sittsam, brav, bescheiden, arbeitsam, willig – aber wie gesagt, als Mädchen vor allens zu viel Gouvernante und als Gouvernante doch wieder auch zu viel Mädchen vor allens. Er bemerkt Ferdinand, welcher ausgetreten ist, und den Hut in der Hand, vor ihm stehen bleibt.

BRAND.

Ein Bettler! Er greift in die Tasche und sucht vergebens. Hm! hm! Ärgerlich. Grade ein anständiger Mann, der es vielleicht verdient!

FERDINAND.
Ich bitte nur um fünf Worte.
BRAND.
Meinetwegen um zehn. Was haben Sie denn für Schmerzen?
FERDINAND
reibt sich in der Gegend des Herzens und seufzt.
Ach hier!
[24]
BRAND.
Na, denn lassen Sie sich Fencheltee kochen, aber lassen Sie mich zufrieden.
FERDINAND.
Hören Sie mich, fürchten Sie nichts –
BRAND.
Wo werde ich mich denn vor Ihnen fürchten –
FERDINAND.
Der Engel, der eben mit Ihnen sprach – ist –
BRAND.
Meine Tochter.
FERDINAND.
Dann lieber Vater, bitte ich um Ihren Segen, ich liebe sie –
BRAND.
Mich?
FERDINAND.
O nein. Ihre Tochter.
BRAND.
Ja – kennen Sie sie denn?
FERDINAND.
Ich habe soeben das Vergnügen gehabt, sie zum erstenmal zu sehen.
BRAND.
Und da lieben Sie sie schon –
FERDINAND.

Ja – das macht die Übung – wollt' ich sagen – man hat mir gesagt – Ihre Tochter habe Bildung. – Das paßt mir gerade. Ich habe Geld; Bildung ist Geld; folglich kommt Geld zu Geld, und so werden ja die meisten Partien geschlossen. Ich beabsichtige nämlich, etwas Großes zu etablieren, und da brauche ich zunächst eine Frau, die deutsch spricht.

BRAND.
Sprechen Sie es denn nicht?
FERDINAND.
O ja. Wie Sie hören, aber nicht ganz reinlich – daher wollt ich Sie bitten –
BRAND.
Nun, wenn Ihre Absichten redlich sind, so sprechen Sie mit meiner Tochter –
FERDINAND.
Ich fürchte, wenn ich mit ihr rede, nimmt sie mich gewiß nicht.
BRAND.
Ja, lieber Freund, da kann ich nichts tun. Sie scheinen mir sonst ein ehrlicher Mensch zu sein.
FERDINAND.
O, bitte, dadraus da muß man sich nichts machen.
BRAND.

Sie gefallen mir, wie gesagt, nicht übel, es ist möglich, daß meine Tochter – nach längerer Bekanntschaft – – reden Sie mit ihr selber.

FERDINAND.
So will ich denn hin zu ihr in die Küche, ihr alles entdecken und beglückt in ihre Arme sinken.
BRAND
beginnt an dem Hause zu arbeiten und zu weißen.

Nein, Lieber, das tun Sie nicht! Meine Agnes ist in dem [25] Quisenowschen Hause, wo dergleichen nicht geduldet wird! Madame Quisenow ist keine Liebhaberin von Liebhabern.

FERDINAND.

O, die kenne ich, mit der will ich nichts zu tun haben. Aber halt! Ich habe da einen Einfall! Ich werde mich in einer durchaus nicht auffallenden, der Küche angemessenen Verkleidung bei ihr einführen. Das wird mir auch Ihrer Tochter gegenüber mehr Mut geben, und sie wird gleichzeitig sehn, was meine Liebe zu wagen imstande ist. Ich werde den Umständen – wie sagt man doch –

BRAND.
Rechnung tragen.
FERDINAND.

Nein, nur nicht Rechnung tragen, das ist mir bei Madame Quisenow schon mal schlecht bekommen. Nein, etwa anderes – O! ich habe nicht umsonst in der Konkordia kleine Partien gespielt. Ich werde meine Rolle durchführen, und Ihre Tochter soll nicht ahnen, wer ich bin.

BRAND.
Aber dann lernt sie Sie ja nicht kennen.
FERDINAND.

Da haben Sie auch recht, aber Er fällt mit einem Fuß in das Schaff und zieht ihn ganz weiß heraus. sapperlot – da muß man sich nichts draus machen. Er spricht mit Brand weiter, welcher ruhig dabei an dem Hause fortarbeitet, und nicht bemerkt, das Hahnekamm mit der Pfeife aus dem Fenster sieht.

SCHULTZE
ein Vorübergehender.
Guten Morgen, Hahnekamm!
HAHNEKAMM.
Guten Morgen, Schultze!
SCHULTZE.
Schon so fleißig?
HAHNEKAMM.

Ja, wissen Sie, ich sehe Sie lieber vor mittags zum Fenster raus, damit ich die Nachmittage für mich habe.

BRAND
fährt, im Gespräch mit Ferdinand mit dem Pinsel fortarbeitend, Hahnekamm über das Gesicht und weißt ruhig fort.
HAHNEKAMM.
Verflucht! Zu Hilfe! ich bin stockblind.
FERDINAND.
Da muß man sich nichts draus machen!

Das Orchester fällt ein.

Nr. 31/2. Aktschluß-Musik.


Das Orchester spielt fort, bis die Verwandlung gestellt ist und die Introduktion zu Quisenows Auftrittslied beginnt.

[26] Verwandlung.

Drittes Bild
10. Auftritt
Zehnter Auftritt.
Quisenow, eleganter, korpulenter Vierziger, lebenslustige Figur.

Nr. 4. Couplet.


QUISENOW
sich den Schweiß wischend.
Ach ist das ein Wetter,
Wirklich rein für Götter.
Jeder Tag wie gestern, stets dieselbe Glut!
Dreißig Grad im Schatten –
Solches Jahr das hatten
Wir schon lange nicht mehr, nein es ist zu gut!
Prachtvoll üppig stehen überall die Saaten.
Freud'ge Hoffnung geht durch alle Länder, Staaten,
Ich nur fühle mich allein verkauft, verraten.
Adams erster Seitenschmerz verschuldet es!
Denn bei meiner lieben, braven Eherippe
Darf den ganzen Tag ich rühren keine Lippe!
So hat an der Strippe mich die Ur-Xantippe,
Und ich leider bin kein zweiter Sokrates!
Alles gut geraten,
Nur nicht meine Gattin,
Dieses süße Weib es ist zu bitter doch.
Dreißig Grad im Schatten
Und noch solche Gattin,
Da gibt's sicher heute ein Gewitter noch!

Kein Mensch sieht mir an, was ich leide! Auf seinen Bauch schlagend. Alles Kummer! Das reine Angstfett! Ich habe schon verschiedene Ärzte zu Rate gezogen, einer der größten hat mich auskultiert und meinte, ich müßte nach Marienbad. Meine Frau aber meinte: Auf'n Auskultator gibt kein Mensch was! – So bin ich denn genötigt, mir jeden Morgen den [27] vorschriftsmäßigen Struve und Soltmann in den Leib zu schlagen. Ist mir auch ganz lieb, denn das Reisen mit den Eisenbahnen ist jetzt kein Vergnügen mehr. Alles reist heutzutage und überall trifft man Bekannte. Ein ungeniertes Alleinsein, ein Fliehen in eine stille abgezogne Waldeinsamkeit ist bei den gegenwärtigen Verkehrsverhältnissen nicht mehr möglich. Früher ging man nach Italien, nach den Apenninen und konnte sich in abgeschiedener Ruhe erholen. Man machte vielleicht die Bekanntschaft einer Räuberstochter und verlebte mit ihr schöne Tage in einer finstern Höhle. Man soll es jetzt nur versuchen, so dauert es gewiß nicht lang, da kommt ein Berliner und sagt: Herr Jeses, Herr Quisenow, was machen Sie denn hier. Ihre liebe Frau Gemahlin auch hier? – Die Arme in die Seite stemmend. Was! – schreit die Räuberstochter. Tu uno Berlino? Jo verheiratetto? Jo verfluchio tibi. Addio. Und weg ist sie! – Ah – da ist sie schon!

AUGUSTE UND BERNHARD
treten auf.
11. Auftritt
Elfter Auftritt.
Quisenow. Auguste in weißem, höchst elegantem Morgenanzug. Bernhard bleibt im Hintergrunde.

AUGUSTE.
Guten Morgen, Fritzchen!
QUISENOW.
Guten Tag, liebes Gustchen!
AUGUSTE.
Du warst heute schon recht früh aus.
QUISENOW.
Wie gewöhnlich, im Brunnengarten.
AUGUSTE.
Wie bekommt dir der Marienbader?
QUISENOW.

Recht gut. Der Doktor hat mir strenge Diät verordnet. Nichts Aufregendes, nichts Saures und vor allen Dingen keinen Ärger.

AUGUSTE.
Waren wieder viele junge Damen dort?
QUISENOW.
Wo denn?
AUGUSTE.
Im Brunnengarten.
QUISENOW.

Ich habe keine gesehen. Du bist wirklich imstande und glaubt, ich trinke Marienbader wegen der Frauenzimmer.

AUGUSTE.
Ist schon möglich. Was hattest du denn gestern in der Küche bei Agnes zu tun?
QUISENOW.
Wo denn?
[28]
AUGUSTE.
Nun, ich sage dir's ja, in de Küche.
QUISENOW
als hätte er zuerst nicht verstanden.
Ach so – in der Küche. Ich habe mir ne Zigarre angesteckt.
AUGUSTE.
Seit wann rauchst du denn?
QUISENOW.
Ich – wollte mal versuchen aber kan mir schlecht –
AUGUSTE.
Ich soll nur was entdecken.
QUISENOW.
Kannst du nicht –
AUGUSTE.
Wie?
QUISENOW.

Ich meine, daß unmöglich ist, weil ach fange nicht schon wieder am frühen Morgen an, du verdirbst mir meinen ganzen Marienbader.

AUGUSTE.
Wir haben auch Wichtigeres zu tun – Sie deutet auf Bernhard.
BERNHARD
der so lange im Hintergrunde stand und sich die Binder besah.
Sind Sie endlich zu sprechen, Tante?
AUGUSTE.

Ja, aber nicht gut aus dich. – Ich will endlich einmal wissen, wie lange dein liederliches Leben noch dauern wird. Du bist ein leichtsinniger Schlingel!

QUISENOW.
Aber Auguste –
BERNHARD
mit verbissener Wut.
Ihre Ausdrücke gehen zu weit, Tante. Ich verbitte mir dieselben.
AUGUSTE.

Ei sieh! Noch den Beleidigten spielen. Schulden machen, flott leben, die ganze Welt mit Champagner traktieren, auf allen Bällen der Erste und Letzte sein, sich mal täglich frisieren lassen. Hunderttaler-Zigarren rauchen, mit zwei großen Neufundländern die Linden lang flanieren, im Tiergarten Kinder überreiten, anstatt zu studieren und ans Examen zu denken, das ist allerdings eine Tätigkeit, die eine andere Achtung verdient, als die, welche ich dir zu ie werden lasse –

QUISENOW.
Aber Auguste –
AUGUSTE.
Stille!
QUISENOW.
Ich will mir nu den Marienbader nicht verderben.
AUGUSTE.

Wir haben Schulden für dich bezahlt – weit über unsere Kräfte, wir haben geglaubt du wirst endlich bessern, aber es ist alles vergebens. Rechne auf nichts mehr, wir sind wütend!

[29]
QUISENOW
sehr gleichgültig.
Ja, es ist wahr, wir sind sehr aufgebracht.
BERNHARD.

Ich habe Sie sprechen lassen, Tante! Jetzt hören Sie auch mich an. Mein lebhaftes Temperament, verführerische Gesellschaft, die Einschränkungen, welche mir die Strenge meines Vaters auflegte – alles das mag mich zu mancher Verirrung, zu manchem leichtfertigen Streich getrieben haben, aber seien Sie überzeugt, es lebt ein unauslöschlicher funken Ehrgefühl in mir –

QUISENOW.
Wir sind überzeugt –
AUGUSTE
stampft mit dem Fuß.
Still!
QUISENOW.
Wir sind nicht überzeugt. Er seufzt. Wenn ich gar nichts mehr reden darf.
BERNHARD.

Retten Sie mich nur diesmal, ich habe mich in hohes Spiel eingelassen, man drängt auf Zahlung, meine Ehre, meine bürgerliche Stellung ist gefährdet, Leise. es sind nur vierzig Louisdor, liebe Tante; meinem Vater kann ich mich nicht entdecken, es würde mir auch nichts helfen; ich weiß, er ist augenblicklich außerstande, mir die Summe vorzustrecken – aber ich werde binnen vier Wochen mein Examen machen und –

QUISENOW
zieht seine Brieftasche.
Hier hast du –
AUGUSTE
reißt sie heftig weg.
Einstecken! willst du wohl –
QUISENOW
seufzt.
Ich stecke alles ein – wenn ich aber gar nichts mehr reden darf.
AUGUSTE
höhnisch.

Also vierzig Louisdor, sonst nichts. Und noch dazu im Kartenspiel – als wenn vierzig Louisdor gar nichts wären.

AUGUSTE.

Nein, lieber Bernhard, das werden wir uns überlegen. – Bei dieser Zeit, wo man gleich wer weiß wie verschrien wird, wenn man eine Etage um einhundert Taler steigert, wo man sein Geld kaum mehr in Hypotheken anlegen kann, verspielst du zweihundert Taler im Pharao.

QUISENOW
furchtsam.
Warum spielt ihr nicht um Pfeffernüsse?
BERNHARD.
Du kannst bei deinem großen Vermögen das Geld entbehren, liebe Tante.
AUGUSTE.
Ich kann nichts entbehren – höchstens deine Gegenwart.
[30]
BERNHARD.

Wohlan denn, es ist genug! Sie wollen mir nicht helfen, Sie weisen den Sohn Ihres Bruders zurück, Sie brandmarken seine Ehre in den Augen der Welt und stoßen ihn hoffnungslos in den Abgrund der Verachtung – nun so mögen Sie auch alle folgen ertragen und verantworten.

AUGUSTE.
Ah, noch Drohungen! Das ist also der Dank für die Wohltaten, die wir dir erwiesen haben?
BERNHARD.

Ich werde sie nie vergessen – aber die Verzweiflung, Ihre Beleidigungen, Tante. – Kleine Pause, innerer Kampf, endlich flehend. Liebe – gute – Tante!

AUGUSTE
etwas leiser, wie sich eines Besseren besinnend, nachsprechend.
Liebe, gute Tante, nur diesmal noch, nicht wahr? Ich will morgen sehen –
BERNHARD
streng entschieden.
Nein, gleich Tante, heut noch muß ich es haben.
AUGUSTE.

Ah, wieder dieser Ton! Und nun Weibisch eigensinnig. – nun gewiß nicht. Nein, nein, und ein für allemal nein!

QUISENOW
für sich.

Jetzt wär's famos, wenn ich mir was zu sagen getraute. Du lieber Himmel, warum bin ich Stadtverordneter!

BERNHARD.

Leben Sie wohl, Tante, auf lange – vielleicht auf immer! Beiseite, mit innerm Kampf. Was soll ich tun? Wie kann ich mich retten? – Hm! hm! – Entsetzliches Mittel – aber nur so geht es. Es bleibt mir nichts anderes übrig!

QUISENOW.
Weißt du, Bernhard, ich – ich begreife deine Lage –
AUGUSTE
streng verweisend.
Friedrich –
QUISENOW
erschrocken.
Ich – bin auch einmal jung gewesen.
BERNHARD
mit Galgenhumor.
Ich zweifle nicht –
QUISENOW.
Aber wie gesagt – ich bin Stadtverordneter – ich bin verheiratet! Er legt die Hand auf den Mund.
BERNHARD.

Ich danke Ihnen für Ihre Teilnahme.Er drückt ihm die Hand. Adieu, Onkel! Er bleibt einige Augenblicke im Hintergrunde und schlüpft durch die Seitentüre links ab.

12. Auftritt
[31] Zwölfter Auftritt.
Quisenow ängstlich auf der einen, Auguste fest und entschlossen auf der andern Seite der Bühne.

QUISENOW.
Au – Au – Die Angst stößt ihm das Wort plötzlich heraus. Auguste!
AUGUSTE.
Nun, brennt's?
QUISENOW.
Du warft sehr hart gegen Bernhard – du hättest diesmal noch gestatten sollen, daß ich mein Geld –
AUGUSTE.
Still! Sapperment noch mal! Der Mann tut gerade als wenn er was zum Verschenken hätte!
QUISENOW.
Wenn ich aber gar nichts mehr reden darf –
AUGUSTE.

Nun ist es bald aus mit dem Widersprechen? Du kennst mich – Fritzchen, du weißt, wenn ich böse werde –

QUISENOW.
Tue das nicht, mein Kind – es ist dem dringendsten Bedürfnisse bereits abgeholfen!
AUGUSTE
stampft auf.

Ruhig! – Aber was ist denn das? Sie sieht nach der Uhr. Halb neun Uhr und noch keinen Kaffee! Da hast du deine Mamsell, deine schöne Köchin, Fräulein Agnes – die dir so sehr gefallen hat.

QUISENOW.

Ach, gefallen hat. Sie ist ein gutes, wohlerzogenes Mädchen, die nur in den Dienst gegangen ist, um mit ihrem Lohn ihre Eltern unterstützen zu können. Die kann man doch wahrhaftig nicht wie'n ordinären Dienstboten behandeln.

AUGUSTE.

Sie erkennt es aber nicht an, sie vernachlässigt ihren Dienst, sie hat sich wie ne Prinzessin. Es ist jetzt halb neun Uhr und wir müssen noch auf den Kaffee warten.

QUISENOW
läutet sehr leise.
Sie ist vielleicht noch auf dem Markte.
AUGUSTE.

So läute doch ordentlich. Sie läutet aus Leibeskräften. – Helltönende Glocke. Das sollte mir fehlen, solche Person im Hause! Na warte, noch heute jage ich sie zum Teufel!

QUISENOW.

Ich muß meiner Frau das Bett so stellen fassen, daß sie unmöglich mehr mit dein linken Fuß aufstehen kann.

AGNES
mit Kaffeezeug, tritt auf.
13. Auftritt
[32] Dreizehnter Auftritt.
Die Vorigen. Agnes.

AGNES
indem sie den Kaffee in das Seitenzimmer rechts trägt.
Guten Morgen, gnädige Frau. Zu Quisenow. Guten Morgen. Sie geht ab.
QUISENOW
für sich, ihr nachsehend.
Sehr niedlich. Sie ist nächst meiner Frau das schönste Weib der Erde.
AGNES
kommt zurück.
AUGUSTE.

Nun, ist das Fräulein endlich einmal ans den Federn? Ich habe schon geglaubt, wir werden heute gar nicht die Ehre haben, die vornehme Dame zu Gesicht zu bekommen.

QUISENOW.
Meine Frau ist der reine Vitriol.
AGNES
ängstlich.

Entschuldigen Sie gnädige Frau, ich habe aufgeräumt, ausgekehrt, Milch geholt, bin auf dem Markt gewesen und –

AUGUSTE.
Und hast dich bei den Hökerfrauen über deine Herrschaft aufgehalten.
AGNES
sehr bestimmt.

Das habe ich nicht getan und werde ich auch nicht tun. Ich war nur auf einen Sprung bei meiner Mutter, bei meiner armen Mutter deren Sterbe stunde vielleicht bald schlagen wird.

AUGUSTE.

Ah, es stirbt sich nicht so schnell, noch dazu heutzutage, wo 'n Begräbnis gleich 'n Masse Geld kostet.

QUISENOW.
Darauf würde es nur leicht ankommen.
AUGUSTE.

Und diese Familienangelegenheiten gehen mich überhaupt gar nichts an. Warum hast du denn gestern das blaue Zimmer aufgeräumt?

AGNES.
Sie entschuldigen, Sie sagten –
AUGUSTE.
Keine Entschuldigung! Ich frage, warum du es getan hast?
AGNES.
Aber gnädige Frau –
AUGUSTE.
Schweig still mit deiner gnädigen Frau.
AGNES.
Aber gnädige Frau –
AUGUSTE.

Du sollst schweigen, sag ich Kleine Pause. Das wußt' ich wohl, daß dir jeder Grund zu einer Entschuldigung fehlen würde.

[33]
QUISENOW.
'ne famose Logik. Meine Frau müßte Staatsrecht lesen.
AUGUSTE.

Es geschehen Dinge in meinem Hause, daß einem die Haare zu Berg stehen. Das Mittagessen ist regelmäßig verdorben. Die Möbel sind immer staubig, 's wird allerhand verschleppt – es kommt so viel weg –

QUISENOW.
Bloß meine Frau nicht.
AUGUSTE.
Und – Mit Beziehung auf ihren Mann. Mamsell Agnes ist mitunter sehr zudringlich.
AGNES
welche während der letzten Worte schluchzen wollte, ihre Tränen erstickend.

Gnädige Frau, ich bitte Sie, hören Sie aus. Sie sehen nur ein armes Mädchen vor sich – das Kind armer Eltern – gezwungen zu dienen und sich – für den Lohn, den Sie zahlen, alles fallen zu lassen; aber das einzige Gut, die einzige Habe, die ich besitze, meine Ehre, dürfen Sie nicht angreifen. Darum erkläre ich Ihnen, daß – Sie kämpft mit sich und sucht ihre Aufregung zu unterdrücken. daß – ich –

AUGUSTE
die Kündigung herbeiwünschend.
Nun, daß du –
AGNES
beiseite.

Ich kann nicht aufsagen – meine Eltern haben mich beschworen – ich bin ihre einzige Stütze; Laut. darum sage ich Ihnen, daß Sie mich tief, Sie zeigt aufs Herz. recht tief gekrankt haben – verzeihen Sie es mir nur diesmal noch, gnädige Frau! Sie geht heftig weinend ab.

14. Auftritt
Vierzehnter Auftritt.
Quisenow. Auguste.

QUISENOW
losplatzend.

Ah, das ist fürcht – Er will sagen fürchterlich; Auguste sieht ihn scharf an. fürcht ich, zu viel. Ein Mädchen von Gefühl so zu behandeln. Aber ich werde sie trösten. Er will durch die Mitte nach der Küche.

AUGUSTE.
Du bleibst –
QUISENOW.

Du bist – Er will mit dem Fuße aufstampfen, sie sieht ihn scharf an, er läßt den wütend erhobenen Fuß sanft sinken. Du bist heut sehr schlimm, Auguste!

AUGUSTE.
Ich bin die beste Frau von der Welt, aber man muß mich zu nehmen wissen.
QUISENOW
seufzend.
O warum habe gerade ich das gewußt!
AUGUSTE.

Mich kann einer um den Finger wickeln, aber [34] wenn man bei den Leuten nicht fortwährend hinterdrein ist, so ist's nicht zum Aushalten. Und wenn sie auch wirklich ihre Schuldigkeit tun, man muß sie doch von Zeit zu Zeit immer ein bißchen auffrischen. Danke du deinem Schicksal, daß du so eine Frau hast.

QUISENOW.
Ich werde mich bedanken!
AUGUSTE.

Nun wollen wir endlich Kaffee trinken. Beiseite, im Abgehen. Mir scheint, mein Mann und die Agnes – Sie geht ab nach rechts.

QUISENOW.

Es gibt nur ein Mittel, diese Frau zum Schweigen zu bringen, man muß sie ausreden lassen. Aber ich will nicht undankbar sein. Sie hat mich durch ihr auffahrendes Wesen eine große Kunst gelehrt: die Kunst, zu schweigen und meine Gedanken durch Gebärden auszudrücken – und das ist heutzutage viel wert.


Nr. 5. Couplet.

QUISENOW.
Man kommt wohl in die Lage leicht,
Ridirididi Ridirididi
Wo seine Ansicht man verschweigt,
Ridirididi Rididi.
:|: Und was man dann nicht sagen kann,
Das zeigt man durch Gebärden an; :|:

Er drückt verschiedene Gebärden aus.

:|: Datsching, datsching, datschingdada,
Ridirididi Ridirididi. :|:

Ein Mensch, der dümmer, als erlaubt,
Ridirididi Ridirididi
Zu hoher Stellung 'rauf sich schraubt,
Ridirididi Rididi.
:|: Was hat der Schlummerkopf gemacht,
Daß er es hat so hoch gebracht? :|:

Er bückt sich, schmiegt sich, macht Kratzfüße, küßt sich die Hände usw. und singt dabei.

Datsching usw.

Seh' abends ich nach meiner Uhr,
Ridirididi Ridirididi
Denk' ich an Schleswig-Holstein nur,
Ridirididi Rididi.
[35] :|: Was mit der Uhr macht meine Hand,
Das macht mit Holdem auch Deutschland. :|:

Er zieht die Uhr auf und singt dazu.

Datsching usw.

Ein Frömmler dreht die Augen quer,
Ridirididi Ridirididi
Unsittlich 's Volkstheater wär',
Ridirididi Rididi.
:|: Na sieht es denn im Opernhaus,
Allein so sehr moralisch aus? :|:

Er macht Ballettstellungen und Pas und singt dazu.

Datsching usw.

Wenn exerziert wird der Rekrut
Ridirididi Ridirididi
Gehorsam, er nicht mucksen tut,
Ridirididi Rididi.
:|: Doch kriegt er so eins unters Kinn,
Zeigt bloß sein Antlitz seinen Sinn. :|:

Grimasse.

Datsching usw.

Den Scherben in das Aug geklemmt,
Ridirididi Ridirididi
Den Scheitel bis hierher gekämmt,

Er zeigt den Rücken.

Ridirididi Rididi.
:|: Zwei Bartkoteletten im Gesicht,
Wer denkt bei solchem Anblick nicht – :|:

Er ahmt einen Affen nach.

Datsching usw.

In neuster Zeit auf jeder Stell',
Ridirididi Ridirididi
Gibt's da gibts dort ein Mordduell,
Ridirididi Rididi.
:|: Wozu denn gleich ein Mordgewehr?
Das hat man doch weit einfacher. :|:

Prügelpantomime.

Datsching usw.

[36] Seht dort die noble Dame an,
Ridirididi Ridirididi
Der wagt zu nahn nicht leicht ein Mann,
Ridirididi Rididi.
:|: Ist ihre Unschuld bloß schuld daran,
Daß keiner sich ihr nahen kann? :|:

Er deutet den Umfang der Krinoline an und singt dazu.

Datsching usw.

Er geht ab.
15. Auftritt
Fünfzehnter Auftritt.
Bernhard allein.

BERNHARD
durch die Seitentüre rechts vorsichtig eintretend, ein Schmuckkästchen in der Hand.

Endlich sind sie fort! Er besieht den Schmuck und greift sich an die Stirn. Was habe ich getan! – Ich will meine Ehre retten, durch eine ehrlose Handlung. Aber – sie härte mir helfen können, sie tat es nicht. – Zahlen muß ich – ich habe mir den alten Erbschmuck meiner Tante zugeeignet! – Ich weiß, sie trägt ihn nie, sie wird es nicht sogleich bemerken, ich will eine Summe darauf borgen, meine Schuld bezahlen und es wird mir gewiß gelingen, das Pfand bald, recht bald wieder einzulösen und an seinen Ort zu legen. Nun fort – schnell fort! Er sieht durch die Mitteltür in die Küche. Agnes ist allein in der Küche – sie sieht mich nicht – fort. Er geht schnell durch die Mitteltür ab.


Verwandlung.

Viertes Bild
16. Auftritt
[37] Sechzehnter Auftritt.
Agnes. Dann Bernhard.

AGNES
steht vor dem Küchentisch und ist beschäftigt, mit einem Nudelmesser den Mehlteig auf dem Nudelbrett zu verschneiden.

Es würde so viel verschleppt und ich wäre so zudringlich – das hat sie mir ins Gesicht gesagt, mir! Hätte ich ihr das wiederholen sollen, was ihr die ganze Stadt nachsagt.

BERNHARD
nachdem er sich scheu umgesehen, schleicht er, von rechts durch die Seitentüre kommend, ängstlich durch die Küche, dann durch die Mitteltür rasch ab.
AGNES
hört Bernhards Geräusch.

Was ist denn das? Sie sieht Bernhard fortgehen. Da schleicht sich ja einer fort – er versteckt was. Sie öffnet die Mitteltür und sieht ihm nach. Ach so, Herr Bernhard! Ich glaubte schon, es wäre ein Dieb. Sie tritt zum Tisch und macht Nudeln. Aber jetzt zur Arbeit, sonst wird das Mittagsbrot nicht fertig. Kleine Pause. – Auf der Straße ertönt der Ruf: »Sand, Sand, kauft Sand! weißen Sand!« und wiederholt sich bis zum Auftreten Ferdinands. Ein recht lieber Mann der junge Schlicht. Immer so artig und freundlich zu mir – und doch sonst ein stolzer und gemessener Herr. Sie seufzt. Ach! Wie mag es nur meiner Mutter gehen! Sie stützt den Kopf auf die Hand. Wie schwach und elend war sie heut' früh, sie vermochte kaum mir die Hand zu reichen. Ein Leierkasten spielt das in der Partitur angegebene Lied. Ah, die Drehorgel! Die tröstende Poesie der Köchinnen. Ich will doch dem Mann was runter werfen! Sie nimmt einen Dreier aus der Tasche, wickelt ihn in Papier, steigt auf die Bank, öffnet das Fenster und will den dreier hinunterwerfen. In dem Augenblick tritt Ferdinand ein.

17. Auftritt
Siebzehnter Auftritt.
Ferdinand, als Sandjunge, alte Soldatenmütze ohne Schild, grobe Schürze mit Sand gefüllt. Agnes.

FERDINAND.
Sand, Sand! Weißen Sand! Brauchen Sie keinen Sand, Jungferchen?
AGNES.
Ich will mal nachsehen. Sie geht zu dem Sandfaß.
FERDINAND.

Nur in dieser Verkleidung konnte ich mir Bahn brechen. Sie ist zwar nicht sehr propper. Aber dadraus muß man sich nichts machen. Sie verschaffte mir den Eingang [38] und wird meinem weiteren Siegeslauf kein Hindernis in den Weg legen.

AGNES.
Es ist zwar noch Sand drin, da Sie aber einmal da sind, geben Sie her. Wie viel haben Sie denn?
FERDINAND
schmachtend.
Für 'nen Groschen.
AGNES
nimmt das Faß.
Da schütten Sie aus!
FERDINAND
schmachtend den Zipfel der Schürze, welche mit Sand gefüllt einen dicken Beutel bildet, an das Herz drückend.
O dürfte ich Ihnen mein Herz ausschütten!
AGNES.
Rasch! Rasch! Halten Sie mich nicht auf!
FERDINAND.
Sie werden mich vielleicht für einen Sandjungen halten.
AGNES.
Für was sonst?
FERDINAND.
Ich bin nicht was ich scheine, ich bin –
AGNES.
Hier haben Sie Ihren Groschen und verlieren Sie Ihre Zeit nicht.
FERDINAND
tritt betroffen zurück.

Sie verkennen mich. Diese Schürze ist nur eine Maske, und hinter diesem Sandhaufen schlägt ein edles Herz.

AGNES
freundlich lachend.
Junge, du bist wohl verrückt –
FERDINAND.

Du! O Agnes! Dieses kleine »Du« macht mich überglücklich. Er stürzt ihr zu Füßen und läßt dabei die Schürze fallen, der Sand bedeckt den Boden. Stoßen Sie mich nicht zurück. – Nur um Ihnen keine Ungelegenheiten zu machen, wählte ich diese Maske. – Nur in dieser Verkleidung war es mir möglich, mir diese Unterhaltung an Ihrem Herde zu erwirken. Ich bin Ferdinand – der Kellner von drüben – der so frei war, sich bereits schriftlich an Sie zu wenden.


Es klingelt stark.
AGNES
für sich.
Ich weiß nicht, soll ich lachen oder ernst werden. Der Mensch ist so possierlich.

Es klingelt noch starker.
AGNES.

Um Gottes willen! – Es klingelt an der Haustür, das ist die Friseurmamsell der gnädigen Frau, wenn die Klatschliese Sie hier sieht, sie ist imstande und sagt der – Sie geht durch die Mitteltür, diese bleibt offen und man sieht, wie sie durch einen Fußtritt die Haustür öffnet.

FERDINAND
aufstehend.

Ich begreife! Seien Sie ruhig. Wozu wäre dort dieser Schrank, wenn man sich nicht dahinter [39] verstecken sollte? Er flüchtet hinter die Gardine des Schrankes.

AGNES
hat inzwischen geöffnet und kommt zurück.
Mein Gott, wo ist er denn –?
DIE FRISEUSE MINNA
tritt ein.
18. Auftritt
Achtzehnter Auftritt.
Minna. Agnes. Ferdinand im Schranke.

MINNA.

Guten Morgen! Sie haben mich ja heute sehr lange läuten lassen? Vielleicht 'ne kleine Fensterunterhaltung nach dem Hofe gehabt? Für sich. Diese weiße Hand des Mädchens gegen die meinige, und diese Taille – ich kann gar nicht sagen, wie mir diese Person zuwider ist. Sie sieht sich forschend um. Was ist denn das für ein Sandhaufen mitten in der Küche? Na, das ist jetzt hier eine schöne Wirtschaft. Sie eilt rasch nach rechts ab.

19. Auftritt
Neunzehnter Auftritt.
Agnes. Ferdinand im Schranke. Dann Quisenow im langen Schlafrock und Pantoffeln, auf den Zehen auftretend.

FERDINAND
den Kopf durch die Gardine steckend, halb singend.
»Ich bin noch da – und ewig will ich bei dir bleiben!«
AGNES.
Das ist doch aber wahrhaftig – Sie will fort.
FERDINAND.
Nur ein Wort, nur – halt! Er erblickt Quisenow. Der Herr! Er versteckt sich wieder.
QUISENOW
im Auftreten, leise.
Agnes, liebe Agnes! Ich bin's.
AGNES
betroffen.
Herr Quisenow?
QUISENOW.

Seien Sie ruhig, meine Frau läßt sich von der Friseuse in Szene fetzen, sie war heute wieder sehr bös, meine Frau! Sie wissen, liebe Agnes, sie hat zuweilen ihren schlimmen Tag – das heißt – wenn man's will – man könnte beinah sagen, sie hat ihn täglich, aber Sie müssen ihr das nicht übel nehmen. Hier! Nehmen Sie eine kleine Entschädigung – für Ihre kranke Mutter! Er will ihr Geld aufnötigen.

FERDINAND
durch das Luftfenster.
O weh!
AGNES
streng.
Bitte, Herr Quisenow, ich habe meinen Lohn, und sonst habe ich nichts zu fordern und zu empfangen.
[40]
QUISENOW.

Aber Kindchen, so sein Sie doch gescheit – ich liebe Sie – wie meine Tochter, ich –Man hört ein Geräusch und die Stimme Augustens. Was ist das? Die Stimme meiner Frau; wenn sie mich hier findet, im Schlafrock in der Küche, ich – Er sieht sich nach einem Versteck um. – Man hört Auguste immer langer zanken und toben.

FERDINAND
durch das Luftfenster.
Der will mein – Quartier die Wohnungsnot nimmt überhand!
AGNES.
Mein Gott! die Frau – was muß geschehen sein – Die Hände ringend. sie tobt – sie muß –
QUISENOW
von der andern Seite im Schrank sich verbergend.
Es ist höchst unwürdig; aber lieber alles – als mich von ihr hier treffen lassen.
AUGUSTE UND MINNA
treten auf.
20. Auftritt
Zwanzigster Auftritt.
Die Vorigen. Auguste noch ganz im weißen Morgenanzug, kurzen weißen Friseurmantel, das lange, schwarze Haar vom frisieren noch ganz aufgelöst, à la Pepita um die Schultern fliegend. Minna mit aufgestreiften Ärmeln, Kamm und Bürste in der Hand.

FERDINAND
auf Quisenow.
Ich habe 'nen Stubenburschen bekommen – aber dadraus muß man sich nichts machen.
AUGUSTE
stellt sich mit verschränkten Armen vor Agnes und sieht sie einige Zeit fest an.

Nun, Mamsell, noch immer obenauf wie heute früh? Hm! Empfindlich sein, die Beleidigte spielen, wenn die Herrschaft für ihre Sache spricht, und hinterdrein – stellen sich die schönsten Geschichten heraus. Sie schüttelt mit dem Kopf, daß das Haar flattert.

FERDINAND
aus dem Fenster.
Pepita!
AUGUSTE.
Raus mit der Sprache! Gestehe alles.
AGNES
für sich.
Sie muß gehorcht haben. Laut. Gnädige Frau – ich kann nicht dafür.
FERDINAND
stürzt vor.

Meine Leidenschaft trägt die ganze Schuld. Aber ich versichere Sie – sie hat mich noch nicht erhört – es ist nichts vorgefallen – als dieser Sandhaufen.


Er hat sich bei jedem Worte Augusten mehr nähern wollen, diese ist ebenso schrittweise zurückgewichen.
AUGUSTE.
Was ist das? Das ist ja der dummdreiste Mensch der Kellner aus dem Weinkeller drüben.
FERDINAND.
Mein Inkognitum ist verraten.
[41]
AUGUSTE.
Ach – ein neuer Skandal in meinem Hause!
QUISENOW
will unbemerkt aus dem Schrank quer über die Bühne mit großen Schritten in das Seitenzimmer, gleitet aber über den Sandhaufen und fällt Augusten zu Füßen.
AUGUSTE.
Mein Mann!
QUISENOW
auf der Erde, Sand in den Händen.
Ich wollte mir nur etwas Streusand holen – für mein Tintenfaß, es ist so dicke Tinte –
AUGUSTE.

Still! Lügner! Ich habe wohl gesehen, woher du kamst. Also das muß ich in meinem Hause erleben, solche Person habe ich in meinen Diensten, die sich die Männer in alle Winkel versteckt? Vielleicht kommen noch wo ein paar heraus.

MINNA.
Nach solchen Vorfällen kann man allerdings alles glauben.
AUGUSTE.

Nu, versteht sich, glaube ich jetzt alles. Ja, nichtsnutzige Heuchlerin, jetzt ist mir alles klar. – Du hast ihn, du hast meinen Schmuck gestohlen.

AGNES.
Großer Gott!
AUGUSTE.

Es kam niemand in da blaue Zimmer, als du gestern beim Aufräumen, und wie ich die Brillanten jetzt der Mamsell für den Juwelier zum Aufputzen mitgeben will, sind sie fort, verschwunden. Das ist dir wohl recht unangenehm, daß das so geschwind herausgekommen ist – nicht wahr?

AGNES.

Gnädige Frau – auf diese Anklage kann ich mich nicht verteidigen. Sie zeigt auf die Brust. Hier liegt es zu schwer – wie Zentnerlast.

AUGUSTE.

Komödiantin! Deinen Kommodenschlüssel! Den Schlüssel zu deinem Kasten. Zu Minna. Fräulein Minna, lassen Sie mal 'nen Polizeimann holen!

MINNA
geht ab.
AGNES.
Es schnürt mir die Brust zu – ich kann nicht sprechen. Sie gibt ihr den Schlüssel.
AUGUSTE.

Auf dem Polizeiamte werden sie dich schon sprechen lehren. Sie öffnet die Kommode, zieht einen Schub nach dem andern heraus und wirft suchend Wäsche, Kleidungsstücke usw. auf die Erde.

QUISENOW
nähert sich ihr bittend und händeringend.
AUGUSTE
wirft einen Gegenstand aus dem Schub ihm wütend an den Kopf.
[42]
QUISENOW.
Aber, liebe Auguste, bedenke doch nur, vielleicht –
AUGUSTE.

Das glaube ich, daß du sie in Schutz nehmen möchtest – leichtsinniger alter Schutzgeist! Aber warte, mit dir spreche ich schon noch unter vier Augen! Sie wirft ihm ein Mieder an den Leib.

QUISENOW
sich schmerzlich die Seite haltend.
Die Geschichte wird mir recht gut bekommen – zu meinem Marienbader.
FERDINAND
die Hände ringend, für sich.

Wer hätte das von dem Mädchen geglaubt! Brr! Ich kann's nicht mit ansehen, wie sie sie abführen werden. – Nun bleibt mir wieder nichts übrig, als mich an die Karoline zu halten. Er geht schnell ab.

BRAND
tritt auf, ganz verstört, mit zerrauften Haaren.
21. Auftritt
Einundzwanzigster Auftritt.
Die Vorigen. Brand.

BRAND.

Sie verzeihen, gnädige Frau, wenn ich störe – aber ein dringender Fall – Agnes! Er stürzt auf sie zu. Du weinst – du weißt es also schon?

AGNES.
Was denn, Vater, was denn?
BRAND.
Deine Mutter – ist plötzlich sehr schlecht. – Komm nur, komm! Sie will dich noch einmal sprechen –
AGNES
stürzt zusammen.
Meine Mutter!
BRAND.
Komm, komm!
AGNES
umklammert seine Hand.
Vater! Ich kann ja nicht ich – ich muß bleiben.
MINNA
kommt mit den Beamten.
22. Auftritt
Zweiundzwanzigster Auftritt.
Die Vorigen. Minna. Kriminalkommissar. Polizeibeamter. Hahnekamm. Frau Döse. Frau Ribbecke. Karoline. Leute aus dem Hause. Zuletzt eine Nachbarin.

KOMMISSAR.
Hier ist ein Diebstahl begangen worden?
AUGUSTE.
Ein Brillantschmuck, der über sechshundert Taler gekostet hat, ist gestohlen!
KOMMISSAR.
Haben Sie jemand in Verdacht?
AUGUSTE.

Es ist niemand in das Zimmer gekommen, wie mein Dienstmädchen hier. Sie wendet sich an den Polizeimann und spricht leise mit demselben.

BRAND.
Mein Kind!
KAROLINE.
Die Agnes!

[43] Gleichzeitig.
FRAU DÖSE.
Na sieh mal einer an, die Vornehmtuerin!
HAHNEKAMM.
Die Duckmäuserin.
FRAU RIBBECKE.
Die Augenniederschlägerin, die immer tut, ob sie nicht Fünfe zählen könnte.
AGNES
zu dem Kommissar.
Ich schwöre Ihnen, ich habe nichts genommen, ich – o Gott –
KOMMISSAR.
Folgen Sie mir. Zu Auguste. Sie werden noch heute Ihre Aussage zu Protokoll geben.
BRAND.

Agnes! Agnes! Das hast du deinem Vater getan. Nein, es ist nicht möglich – es ist Verleumdung – Er will auf Agnes und sie umarmen.


Nr. 6 Melodram und Aktschluß.

EINE NACHBARIN
kommt händeringend hereingestürzt.
Brand, Brand, kommt nur rasch nach Hause – Sie sagt ihm etwas ins Ohr.
AGNES.
Meine Mutter!
BRAND.
Sie ist tot! Ich habe kein Weib mehr – und kein Kind!

Entsprechende Gruppe.

2. Akt

Fünftes Bild
1. Auftritt
Erster Auftritt.
Schlicht. Schröpfer.

SCHLICHT
sitzt an einem, mit grüner Tuchdecke behangenem, langen Schreibtisch.
SCHRÖPFER
steht zur Seite und reicht ihm Briefe und Aktenstücke zum Unterschreiben hin.
[44]
SCHLICHT
legt alles vor sich auf den Tisch.
SCHRÖPFER.
Wie gesagt, nehmen Sie nur meine Freimütigkeit nicht übel, aber es drückt mich schon zu lange.
SCHLICHT.
Na, was drückt Sie denn wieder?
SCHRÖPFER.

Sie sind einer unserer ältesten hiesigen Advokaten, Herr Rechtsanwalt, aber wenn das so fortgeht, wie jetzt dann werden wir bald weniger zu tun haben, als der Jüngste. – Schartek hat sich zu einer Vorschußzahlung von fünfzehnhundert Talern erboten, solche Leute wirft man nicht zur Türe hinaus.

SCHLICHT.

So? Ich soll also die Handlung eines anerkannten Betrügers verteidigen, um Geld zu machen. – Nein, lieber Schröpfer, daß kann Ihr Ernst nicht sein!

SCHRÖPFER.
Mit dieser Gesinnung werden Sie aber nie eine einträgliche Praxis bekommen.
SCHLICHT
steht auf.

Möglich. Aber der Advokat soll nicht seine Kenntnisse dem ersten besten Gauner verkaufen, nicht sein Amt durch Pfiffe und Kniffe und durch Verdrehung der Gesetze entweihen und nicht jede Sache verteidigen, sei sie noch so schlecht, wenn sie ihm nur einen reichlichen Gewinn abwirft. Wir sind dazu da, die Gesetze zu handhaben, aber nicht sie nur bei der Hand zu haben, Mit entsprechender Handbewegung. wenn etwas in dieselbe hineingesteckt wird.

SCHRÖPFER.
Wenn Sie nur wenigstens einen Dank, eine öffentliche Anerkennung dafür hätten.
SCHLICHT
ist in den Vordergrund gekommen.

Die habe ich. Die Reinheit meiner Grundsätze unter allen Umständen bewahrt zu haben, darf ich als die Freude und den Stolz meines Lebens ansehen, und mit dem vollen Gefühle dieses Bewußtseins zahle und danke ich mir selbst. Wenn man einen unschuldig Angeklagten durch seine Bemühungen lossprechen sieht, wenn man eine arme Familie vor den Ränken und hinterlistigen Plänen eines Schurken geschützt hat, wenn die Geretteten mich umringen, die Tränen in ihren Augen beredter sprechen, als alle Worte der Welt, wenn sie für Lebenszeit an uns das Band treuer Anhänglichkeit, das Band reinster Dankbarkeit knüpft, dann denk ich – Er hat wie unwillkürlich an seinem Knopfloch gespielt. kann man ein – anderes Band entbehren.

[45]
SCHRÖPFER
für sich.

Er ist und bleibt der alte.Laut. Da sind auch die Wechsel, die ich eingelöst habe. Er geht in die Kanzlei ab.

BERNHARD
kommt durch die Mitte, ohne sogleich von Schlicht, der im Vordergrunde stehen bleibt, gesehen zu werden.
2. Auftritt
Zweiter Auftritt.
Schlicht. Bernhard.

SCHLICHT.

Der gute Mensch will, daß ich mit der Sonne des Rechts meinen Bratofen heize, damit auch er sich die Hände daran wärmen kann.

BERNHARD.
Guten Morgen, Vater! Du hast mich rufen lassen.
SCHLICHT
in gereiztem Tone.

Seit acht Tagen hast du dich nicht sehen lassen. Natürlich, die Nächte durchschwämmst du, da mußt du freilich am Tage dafür schlafen, statt zu arbeiten. Für deinen Vater hast du keine Zeit, ich bin nur gut dazu, Auf die Wechsel zeigend. deine Wechsel zu bezahlen.

BERNHARD.
Ich denke ernstlich daran, dir keinen Grund mehr zum Klagen zu geben.
SCHLICHT.

Wie oft hast du das schon gesagt, wie oft mir Besserung versprochen, um bei der nächsten Gelegenheit das Wort zu brechen. Du besuchst schlechte Gesellschaft, treibst dich in Spielhäusern herum und wirst dich noch ganz zugrunde richten.

BERNHARD.

Habe nur diesmal noch Vertrauen zu mir. Ich will von nun an alles tun, dir meine aufrichtige Reue zu beweisen.

SCHLICHT.

Wenn du die Wahrheit sagtest mein Sohn! Du weißt, ich bin zu jedem Opfer bereit, je doch meine Praxis ist, vielleicht weil ich meinen Vorteil nicht verstehe, oder verstehen will, keine glänzende zu nennen, wobei ich nicht imstande bin, deine Schulden zu bezahlen. Soll ich die Schande erleben, dich im Gefängnisse zu sehen?

BERNHARD
zuckt zusammen.

Vater, ich will von nun an mich von allen Zerstreuungen zurückziehen und ausschließlich meinen Studien leben. Ich hoffe, nächstens mein Examen zu machen und zu bestehen.

[46]
SCHLICHT.

Nicht die Kenntnisse, sondern der Charakter macht erst den Mann. Wissen ohne Ehrenhaftigkeit der Gesinnung ist wie ein Gebäude ohne festen Grund. Darum sei aufrichtig und offen gegen mich. Behandle mich wie deinen besten Freund, schließe dein Herz mir auf und schenke mir dein volles Vertrauen. Auf die Wechsel deutend. Sind mit diesen Wechseln alle deine Verpflichtungen erfüllt?

BERNHARD
mit sich kämpfend, für sich.
Ich kann mich ihm nicht entdecken, er müßte mir fluchen.Laut. Alle, bester Vater!
SCHLICHT.
Ich will dir glauben, obgleich du noch etwas auf dem Herzen zu haben scheinst. Was fehlt dir?
BERNHARD.
Nichts – wirklich nichts –
SCHLICHT.

Um so besser. Jetzt geh' an deine Arbeit. Es soll mich freuen, wenn du dein Examen bestehst. Er reicht ihm die Hände.

BERNHARD
für sich.
Ich bin nicht würdig, seine Hände zu berühren. Diese Güte vernichtet mich! Er geht zur Seite ab.
AUGUSTE
in feinster Toilette, kommt mit einer offnen Vorladung in der Hand.
3. Auftritt
Dritter Auftritt.
Schlicht. Auguste.

AUGUSTE.
Bruder, bist du zu Hause?
SCHLICHT.
Wie du siehst, was führt dich so früh zu mir liebe Schwester?
AUGUSTE.

Du fragst noch? Heute vormittag ist ja die Verhandlung der saubern Geschichte mit meiner Köchin. Ich habe da eine Vorladung auf das Kriminalgericht bekommen. Es ist wirklich schauderhaft, diese Schererei um eine Lumpengeschichte.

SCHLICHT.

Die Sache scheint mir höchst wichtig. Du hättest nach meiner Meinung nicht so vorschnell handeln sollen. Das Mädchen macht durchaus den Eindruck einer unschuldig Angeklagten auf mich, und ich habe auch deshalb ihre Verteidigung von Amts wegen übernommen.

AUGUSTE.

Was muß ich hören! Du willst diese nichtswürdige Kreatur verteidigen, und trittst gegen deine leibliche Schwester auf? Ah, du bist mir ein netter Bruder.

[47]
SCHLICHT.

Das offene Gesicht des Mädchens: ihr ganzes Benehmen, das von einer innern Seelenruhe zeugt, ihre stille Ergebung haben mich zu dem Glauben gebracht, daß ihr unrecht geschieht. Vielleicht gelingt es noch, den wahren Täter zu entdecken.

AUGUSTE.

Na, das fehlt noch. Damit das Frauenzimmer mir mit einer Verleumdungsklage auf den Hals rückt und ich ihr noch Entschädigung, Kost und Lohn zahlen muß.

SCHLICHT.
Das wäre das Wenigste, da du ihre Ehre angetastet hast.
AUGUSTE.
Also hat solches Geschöpf auch Ehre?
SCHLICHT.

Jeder Mensch, der seine Pflicht tut, hat Ehre, und ein armes Dienstmädchen, das vom frühen Morgen bis zum späten Abend arbeiten muß, damit ihre Frau die Hände in den Schoß legen kann, verdient vielleicht mehr Achtung, als eben diese Dame, die dem lieben Gott die Zeit stiehlt, von einem Modegewölbe in das andere, von einer Putzhändlerin zur andern läuft und ihre häuslichen Pflichten vernachlässigt.

AUGUSTE.
Schöne Grundsätze! Ich möchte vor Zorn aus der Haut fahren.
SCHLICHT.
Geniere dich nicht.
AUGUSTE
wirft die Vorladung weg und stemmt die Arme in die Seite.

So? So sprichst du mit mir? Mit deiner reichen Schwester? Du, der sich nicht einmal so viel zusammen federfuchsen konnte, um die Schulden seines Sohnes zu bezahlen, der die ganze Welt bessern will und nicht einmal imstande ist, seinen eignen Sohn zu korrigieren? Ich sehe, die Leute haben wirklich recht mit dem, was sie von deinen Humanitätsbestrebungen sagen, und wir sind wahrscheinlich am längsten Freunde gewesen, Herr Philanthrop. Werde meinetwegen Magdalenenstifter oder Mägdeherbergsvater, aber mich verschone mit deinen Besuchen. Sie hebt die Vorladung auf und eilt fort, indem sie beim Hinaustreten mit Nünecke zusammenrennt.

4. Auftritt
[48] Vierter Auftritt.
Schlicht. Nünecke. Frau Nünecke, einen Korb mit Eiern, Butter, einer Flasche Getreidekümmel, einem Schinken und einer Kiste Zigarren in der Hand.

SCHLICHT.

Bald hätte ich mich alteriert. Aber man muß derartige Beleidigungen von seinem Bewußtsein wie den Regen von seinem Wachstuchmantel abgleiten lassen. Was kommen denn da für neue Figuren?

NÜNECKE
Augusten nachschreiend, sehr rüde.

Na, das is Ihr Glück, daß Sie nicht von Rixdorf sind, Sie ließ ich stante pede arretieren. Den Schulzen von Rixdorf umrennen, so was is noch nich dajewesen. Wenn Sie ooch noch so die Lippen ziehen, was ich mir davor koofe! Er gewahrt Schlicht und sieht ihn einige Zeit an. Sind Sies?

SCHLICHT.
Wer?
NÜNECKE
zu seiner Frau.
Ist der aber dämlich, der weiß nicht mal, wer er ist.
FRAU NÜNECKE.

Freilich ist er's. Wissen Sie, Herr Justizrat, die Maurerstochter, die Brand Agnes, die bei Quisenow gedient hat und geschnipft haben soll und jetzt Nummer Sicher sitzt, das is meine Schwestertochter, Herr Justizrat.

NÜNECKE.
Ja, wir haben die Ehre.
FRAU NÜNECKE.
Und weil Sie nu der Verteidiger sind, so sind wir so frei, ich und mein Mann –
NÜNECKE.

Halt'n Mund! Der Schulze von Rixdorf wird überall mit Hochachtung empfangen. Sie werden mich wohl kennen.

SCHLICHT.
Ich habe nicht die Ehre.
NÜNECKE.
Was ich mir davor koofe!
SCHLICHT.
Sie sind Schulze, oder schreiben Sie sich Schulze?
NÜNECKE
sieht ihn an.

Ich schreibe mir gar nich. Wozu ist denn der Schulzenstempel? Ich bin Schulze und ein Mann, der was vom Gesetz versteht, kenne ooch den ganzen Schwindel und nu bin ich heut ringekommen, um mir mit Ihnen 'n bißken zu besprechen, wie wir mein Geschwisterkind, die Agnes, aus der Patsche bringen könnten.

SCHLICHT.
Das wollen Sie mit mir besprechen?
NÜNECKE.

Na ja, und wenn Sie 'n geriebener Kerl sind, [49] wie ich, dann werden wir beide schon was ausdüfteln daß man dem Gerichtshof ein X für ein U macht. Mein Gerichtsschreiber in Rixdorf, ich sage Ihnen, des is ooch 'n Freudig lachend. Hauptspitzbube.

SCHLICHT.
Herr Nünecke!
NÜNECKE.

Ach, »Herr« – wat ick mir davor koofe. Ich kenne den Rummel. Ich weiß als Schultze, wodrauf es ankommt – Schmieren muß man, wenn man gut fahren will drum haben wir uns auch ordentlich vorgesehen. Aus dem Korbe die Schnapsflasche holend. Hier, ein Püllecken Getreidekümmel, echter Iilka Nr. 1. Die Flasche schmunzelnd betrachtend. Der Troppen geht runter, sag ich Ihnen, da brauchen Sie keinen Zucker zu. Er trinkt einen gehörigen Schluck und stellt die Flasche auf den Tisch. Die reine Sahne, wie sie voin der Kuh kommt –

SCHLICHT.
Nun habe ich bald genug –
NÜNECKE.

Da wären Sie doch der erste, der mit so wenig genug hätte. Nee, wenn wir Bauersleute mal anfangen, denn hören wir nicht so balde uf. Jetzt werden Ihnen gleich die Augen übergehen. Er nimmt den Schinken aus dem Korbe. Was? Wie? Wat sagen Sie zu det Gevatterhäppken. Er schnalzt mit der Zunge. Da möcht ich mir bei Ihnen zu Gast laden! Schlicht auf die Schulter klopfend. Das war aber auch ein Schweineken, sage ich Ihnen – propper. Und wenn wir Ihnen noch ein paar Pfund Brot zugeben, so denke ich, daß Sie vor vier Wochen Abendbrot ausgesorgt haben. Auf das Brot klopfend. Allens Teig, kein Krinolin.

SCHLICHT.
Lange genug hab' ich zugehört, wozu soll dies alles?
NÜNECKE
zu seiner Frau.

Nu sieh dir bloß den Menschen an, was der vernagelt ist. Laut. Und damit Sie sehen, daß wir Dorfleute ooch wissen, was bei euch Städter am besten flutscht, Er greift in die Hosentasche und holt eine Hand voll Taler vor. so. – Das Geld verächtlich auf den Tisch legend. Was ich mir davor koofe.

SCHLICHT
zornig.
So – so! Und was soll ich für das alles tun?
NÜNECKE
vertraulich.
Die Agnes muß raus – sie ist angeklagt, aber es fehlen ja sämtliche Ingredienzien.
SCHLICHT
verbessernd.
Inzidentien meinen Sie –
[50]
NÜNECKE.
Is eene Sauce. Was ich mir davor koofe!
SCHLICHT.

Aber sagen Sie mir nur, was Sie mit all dem Auf die Geschenke weisend. wollen – sonst bin ich genötigt –

NÜNECKE.

Verstehen Sie noch nicht? Laut, beiseite. Is das en oller Dämelkopp. Zu Schlicht. Da wo es nötig is, 'n bißken was druflegen, 'n bißken Durchstecherei – dem Gerichtshof was in die Hand drücken, so wie ich's bei Ihnen hier mache. Er zeigt auf die Geschenke. Wenn man die Sache richtig anpackt, geht allens, als Schulze muß ich das wissen. Ich habe ooch schon manchen geholfen, wenn er sich 'n bißken zu helfen wußte.

SCHLICHT.

Jetzt hab' ich es satt. Ist das ein infamer Schlingel! Will mich hier durch Bestechung verleiten; mir nichts, dir nichts –

NÜNECKE.
Was? Dir nichts? Auf die Geschenke deutend. Das nennen Sie: Dir nichts?
SCHLICHT.
Unerhörte Frechheit! Weiß er, daß ich Luft habe, ihn die Treppe hinabwerfen zu lassen?
NÜNECKE
sieht zuerst Schlicht, dann seine Frau sprachlos an.
Hast du's gehört? Diese Sprache zu einem Ortsvorsteher. Ich lasse ihn ins Loch werfen.
FRAU NÜNECKE.
Aber Mann, sei doch vernünftig!
NÜNECKE.

Nimm die Sachen zusammen und sieh alles nach, ob nischt wegjekommen ist. Er nimmt das Geld, dann die Schnapsflasche. Wissen Sie was? Na denn nich, lieber Mann! Er trinkt die Flasche fast leer.

FRAU NÜNECKE
will ihn vom Trinken abhalten.
Aber Nünecke – du dudelst dir richtig noch eenen an!
NÜNECKE
halb betrunken.

Halt 'n Mund! Er trinkt. Und Sie wollen der Agnes ihre Sache führen? Sie haben ja gar keine Tiktak – Taktik – haben Sie nich –

FRAU NÜNECKE.
Aber Nünecke –
NÜNECKE
schleudert sie hinweg.

Halt 'n Mund! Sie wollen mir sagen – das Schmieren wäre heut nicht mehr erforderlich – Sie oller Krauskopp?

FRAU NÜNECKE.
Aber Mann!
NÜNECKE.

Halt 'n Mund! Ich werde die Agnes frei machen, ich weiß, wie es gemacht wird. Komm! – Aber halt! – Nur sich nicht lumpen lassen. Wir waren eine Viertelstunde [51] hier bei Ihnen – Sie sind Instizrat – Sie haben mit mir gesprochen und mir einen Rat erteilt – fortzugehen – das nennt man einen Konsul – Sultan – Konsultation – hier! Er zieht Geld aus der Tasche. Zwei Personen, zehn Silbergroschen die Viertelstunde ist die Taxe, hier haben Sie 'n halben Taler! Er wirft das Geld hin. Wat ick mir davor koofe! Er geht mit seiner Frau, Schlicht stolz musternd, ab.

5. Auftritt
Fünfter Auftritt.
Schlicht allein.

SCHLICHT.

Der Mensch ist zu albern, als daß man ernstlich ärgerlich über ihn sein könnte. Er sieht nach der Uhr. Halb Elf. Die Verhandlung beginnt um elf Uhr. Er nimmt seine Akten, Hut und Stock. Der Himmel gebe, daß sich das Schicksal des armen Mädchens günstig entscheide. Er geht durch die Mitte ab.


Verwandlung.

Sechstes Bild
6. Auftritt
Sechster Auftritt.
Schnepke. Bremser. Polizeileute.
Es läutet an der Tür und es treten ein Polizeileute und Schneppke. Der Führer des letzteren übergibt dem Gefängniswärter Bremser ein Papier und geht ab.
7. Auftritt
Siebenter Auftritt.
Bremser. Schneppke.

BREMSER
kommt zurück, zu Schneppke, der finster in sich versunken.
Na Schneppeken, sind Sie wieder da? Sehn Sie, das Fortlaufen hätten Sie sich ersparen können!
SCHNEPPKE.

Es ist schändlich. Drei Monate habe ich Tag [52] und Nacht gearbeitet und mit 'n Nagel die Wand durchkratzt, um 'rauszubrechen, und kaum war ich vierundzwanzig Stunden ungebrochen, da hatten sie mich schon wieder!

BREMSER.

Ja, ihr Herrn Spitzbuben habt jetzt auch 'ne schlimme Zeit. Brecht ihr aus, so ist nicht recht, brecht ihr ein, so ists auch nicht recht. Ihr könnt's auch keinem mehr recht machen! Er öffnet die Tür Nr. 25 und läßt Schneppke ein.

8. Auftritt
Achter Auftritt.
Bremser allein.

BREMSER.

Nun hoffe ich, wird endlich einmal Ruhe sein. Jetzt muß ich mal bei dem jungen Fräulein – nachsehen, die wegen dem Brillantschmuck sitzt. Sie ist mir besonders empfohlen worden. Er will zu einer mit Nr. 40 bezeichneten Tür, in diesem Augenblick wird am Eingangstor geläutet. Schon wieder jemand! Er öffnet.

9. Auftritt
Neunter Auftritt.
Brand. Bremser.

BRAND
in sehr verwahrlostem Zustande, gealtert, hat graumeliertes Haar bekommen.
Ich möchte mit einer Gefangenen sprechen, mit einer gewissen Agnes Brand.
BREMSER.
Wer sind Sie denn?
BRAND.
Ich bin – Er reicht ihm seinen Schein hin.

Kleine Pause.
BREMSER
nimmt ihn und liest.
Ach so! Sie sind der Vater!
BRAND
zuckt zusammen und blickt dann finster zur Erde.
BREMSER
geht nach Agnes' Zelle.
10. Auftritt
Zehnter Auftritt.
Brand allein.

BRAND
zeigt auf verschiedene Türen.

Da logiert vielleicht ein Mordbrenner, da ein Straßenräuber – ringsherum nichts als Verbrechergesindel und mitten drin – meine Tochter. Wenn ich jetzt durch die Straßen gehe, dann heißt's nicht mehr. Seht den fidelen Maurer, den Brandwillem, den alten Spaßmacher! Jetzt zischeln sie: Da ist der Brand, wißt ihr schon, seine Tochter sitzt, das leichtsinnige Mädchen hat [53] Brillanten gefaßt, muß ihr ne recht schöne Erziehung gegeben haben, der Alte. Er verhüllt sichs Gesicht. O mein Gott! Ich habs recht weit gebracht! Er bleibt in Schmerz versunken stehen.

BREMSER UND AGNES
kommen.
11. Auftritt
Elfter Auftritt.
Brand. Agnes. Bremser.

BREMSER.

Es ist jemand da. Kommen Sie heraus!Beiseite. Dem schönen Geschlecht muß man schon was nachsehen. Laut. Aber nur die gesetzlichen fünf Minuten sind Ihnen gestattet, sonst muß ichIm freundlichsten Ton. grob werden. Er geht ab.

12. Auftritt
Zwölfter Auftritt.
Brand. Agnes.

BRAND
der Agnes nicht sieht.

Wenn sie kommt, so will ich ihr sagen, daß sie Schmach und Schande über mich gebracht hat, daß sie uns entehrt hat, für immer, daß ich – daß ich nichts mehr wissen will von ihr, daß ich – Er sieht Agnes und fällt ihr um den Hals. Agnes! Agnes! Meine arme Tochter!

AGNES.

Vater! Lieber Vater! Ich bin so froh, dich wieder zu sehen, o Gott! Sie betrachtet ihn. Wie du dich in den acht Wochen verändert hast!

BRAND
drückt sie an sich.

Nicht acht Wochen – Kind – acht Jahre – acht lange Jahre voll Kummer und Sorgen waren es. Er streicht ihr die erbleichten Wangen. Aber wir haben keine Zeit zu verlieren – sprich, sag' es mir, war wirklich niemand außer dir in dem Zimmer? Hast du vielleicht aus irgend wen einen Verdacht?

AGNES
greift sich an die Stirne.

Einen Verdacht? Ja, ja – nein, nein – will ich sagen – mein Vater – man soll keinem Menschen etwas Böses nachsagen, wenn man nicht einen Beweis dafür hat.

BRAND.
Du hast also doch jemand in Verdacht – sprich – ich beschwöre dich –
AGNES
ängstlich.

Nein, mein Vater – was glaubst du [54] denn? Ich weiß nichts, als daß mich keine, gar keine Schuld trifft –

BRAND.

Du hast was auf dem Herzen, Agnes, ich seh' dir's an, rede, sage mirs, oder ich werde an dir irre. Er ringt die Hände verzweiflungsvoll.

AGNES
für sich, kämpfend.

Mein Gott! Es kann ja nicht sein – wie sollte denn Herr Bernhard, der stolze, vornehme Mann – und dann – Nein, ich kann ihn nicht anklagen. Laut. Ich weiß nichts – ich weiß gar nichts.

BRAND.

Gut, so weiß ich, was ich zu tun habe. – Wer völlig unschuldig ist an einem Verbrechen, und dem dies geglaubt werden soll, der muß irgend einen Beweis für sich haben. Du weißt aber nichts anderes, als zu leugnen. Ich, ein Vater, sage dir daher, du hast gestohlen, gestohlen hast du! – – Du gehörst dahin, wo du jetzt bist – und ich sage mich los von dir – ja – ich – Er kämpft mit sich selbst, eilt auf sie zu, tritt aber plötzlich wieder zurück. Ja! Ja! Ich sage mich los von dir – auf ewig! Er stürzt durch das Eingangstor ab.

AGNES
in bitterliches Weinen aufbrechend, eilt ihrem Vater nach und wankt dann, laut schluchzend, in ihre Zelle zurück.
13. Auftritt
Dreizehnter Auftritt.
Bremser. Nünecke. Polizeileute. Später Schneppke.

BREMSER
schließt die Tür hinter Agnes und will das Eingangstor hinter Brand ebenfalls zusperren.

Es wird geläutet.
NÜNECKE
wird von Polizeibeamten nebst Rapport eingebracht.
BREMSER.
Heute geht das Geschäft!
GENDARM
geht nach Abgabe des Rapportes an Bremser wie immer wieder ab.
NÜNECKE
etwas betrunken, mit verbundenem Kopfe, für sich.

Bis jetzt habe ich mir die Geschichte ruhig mit angesehen – die werden Augen machen, wenn sie hören werden, wer ich bin. Laut. Wissen Sie, wer ich bin?

BREMSER
der den Rapport liest.
Ein Betrunkener –
NÜNECKE
freudig, für sich.

Er kennt mich nicht. Soll ich es ihm gleich sagen? – Nein, er könnte zu sehr erschrecken. Laut. Wissen Sie, was ich gemacht habe?

[55]
BREMSER.

Geprügelt haben Sie sich – und dem Wirt eine Bierlokals mit einem Seidel ein Loch in den Kopf geworfen, so groß wie 'n Achtgroschenstück.

NÜNECKE.

Was ich mir davor koofe. Wissen Sie denn, wie es gekommen is? Es war die Rede von meinem Geschwisterkind, von der Brand Agnes, die gegenwärtig sitzt, aber unschuldig. Nun behauptete der nichtwürdige Kerl von Bierwirt, sie hätte wirklich gestohlen. – Ich sage: Herr, wie können Sie das sagen? Noch ist kein Richterspruch gefällt und so lange nichts gefällt ist, tun Sie mir den Gefallen und schweigen Sie. Bei diesen Worten nehme ich mein Seidel Bier und will trinken, er aber will mir mit seinem Kopfe Ziegenbockstoß- Pantomime. aus der Hand schlagen und stoßt sich 'n Loch in die Stirne. Ist das erlaubt?

BREMSER
ironisch.
Nein. Besonders von einem Wirt gegen einen Gast.
NÜNECKE.

Jetzt wollte er noch Geld raus haben, det heeßt vor des Glas. Nu wurde ich aber grob und habe ihn aus sein Lokal rausgeworfen und ein paar Kellner, die mir in den Weg kamen – Er macht links und rechts die Bewegung des Zubodenwerfens. Was aus die geworden ist, weeß ick nich.

BREMSER.
Wir können ja mal morgen in die Totenliste nachsehen.
NÜNECKE.
Na ja, was ich mir davor koofe!
BREMSER
aus der Luke in seiner Tür.

Guten Tag ooch, Herr Nünecke. Wat machen Sie denn hier? Kennen Sie mir denn nicht mehr? Ich bin ja Schneppke, Ihr alter Stammgast aus Rixdorf, vom Schweinausschieben.

NÜNECKE
erkennt ihn.
Herrjes, Schneppke! Wie geht es Ihnen denn? Kommen Sie denn nich bald mal wieder 'n bißken raus?
SCHNEPPKE.
Nee, ick habe jetzt keine Zeit. Ick bin hier angestellt.
NÜNECKE.

Na, das lassen Sie mal gut sein, das kost't mich ein Wort, denn sind Sie draußen. Zu Bremser. Hören Sie mal, Sie, nu kommen Sie mal her, nu will ich Ihnen sagen, wer ich bin und dann will ich machen, daß ich nach Hause komme. Ich bin – Er sagt Bremser ins Ohr. der Schulze von Rixdorf.

[56]
BREMSER
sich über ihn lustig machend, mit affektiertem Aspekt.
Ah – allen Respekt!
NÜNECKE.

Was ich mir davor koofe! Aber es ist doch gut, wenn der Mensch was ist. Zu Bremser, vornehm. Wenn Sie mal was durchgesetzt haben wollen, bei des – Er besinnt sich. Philisterium des Innern –

BREMSER
dem es nun zu viel wird.
Schon gut. Im strengsten Amtston. Vorläufig gehen wir auf Nummer.
NÜNECKE.
Was? Ich? Der Schulze?
BREMSER.
Schulze oder Müller! Machen Sie keine Umstände.
NÜNECKE
plötzlich sehr kleinlaut.

Wat ick nur da vor – gestellt habe! Ich habe geglaubt, Sie machten Spaß, Sie wollten mir bloß aufziehen.

BREMSER.
Nee. Hier wird eingezogen.
NÜNECKE.
Gotts Donnerstag und Freitag.
BREMSER.
Hier gibt's keenen Freitag!
NÜNECKE.
Was werden se in Rixdorf sagen, wenn se hören, daß ihr Schulze brummt.

Es wird geläutet.
BREMSER
geht nach dem Eingangstor und schließt auf.
NÜNECKE
immer kleinmütiger werdend.
Es geschieht mir aber ganz recht; ich habe auch manchen als Obrigkeit vor'n Kopp gestoßen.
FRAU NÜNECKE
kommt mit einem Erlaubnisschein.
14. Auftritt
Vierzehnter Auftritt.
Die Vorigen. Frau Nünecke. Dann zwei Gefängniswärter mit Seitengewehren.

BREMSER
liest den Zettel.
Passiert.
NÜNECKE.

Was ist passiert? Er erblickt seine Frau. Meine Frau! – Was will denn die? Leise zu Bremser. Hören Sie mal, können Sie nicht meine Frau statt meiner hier behalten? Die ist vom Markt her – das Sitzen eher gewohnt.

BREMSER
hat gar nicht darauf gehört, zu Frau Nünecke.

Ihre Nichte wird gleich abgeführt werden! Er geht in Agnes' Gefängnis; bald darauf kommen die beiden Gefängniswärter, welche sich ebenfalls dahin begeben.

[57]
FRAU NÜNECKE.
Na, du bist ja schon früher hier, als ich?
NÜNECKE.
Ich habs gar nicht erwarten können.
FRAU NÜNECKE.
Und was ist denn das? Du hast ja 'n Kopf verbunden! Du bist wohl gefallen?
NÜNECKE
für sich.
Tief, sehr tief! Laut. Des heeßt, bloß 'n bißken anjerannt!
FRAU NÜNECKE.
In einer Viertelstunde ist die Verhandlung. Gott gebe, daß sie die Agnes frei lassen.
NÜNECKE.
Mich auch – Verbessernd. soll es freuen, wenn's geschieht.
FRAU NÜNECKE.

Aber du bist auf einmal so – Sie erblickt Agnes. Ach du barmherziger Himmel, die Agnes – da bringen sie sie schon.

AGNES UND DIE GEFÄNGNISWÄRTER
kommen.
15. Auftritt
Fünfzehnter Auftritt.
Die Vorigen. Bremser. Agnes. Gefängniswärter.

AGNES
geht mit gesenktem Blick vorüber.
FRAU NÜNECKE.
Agnes – ich bin es! – Wir wollen dich noch einmal sehen.
AGNES.

Ich dank' euch von Herzen! Seid nicht böse auf mich – wegen dem Kummer, den ich Euch gemacht habe. Mit göttlicher Hilfe wird die Wahrheit an den Tag kommen.

NÜNECKE
kleinlaut.
Das macht nichts, liebes Kind, heutzutage kann jeder in so 'n Pech kommen.
AGNES.
Leb wohl, Tante, ich muß fort – mein Urteil wird gefällt.
FRAU NÜNECKE.
Behüte dich Gott! Ich will indes für dich beten.
NÜNECKE
beiseite.
Dummes Weib! Das soll sie erst für ihren Mann tun.
AGNES.
Lebt wohl!
BEIDE NÜNECKES
begleiten Agnes bis um Ausgang.
AGNES
wird von den beiden Gefängniswärtern weiter abgeführt.
NÜNECKE, FRAU NÜNECKE UND BREMSERwelcher das Tor schließt, kehren zurück.
16. Auftritt
[58] Sechzehnter Auftritt.
Nünecke. Frau Nünecke. Bremser, am Eingangstor bis zum Abgang der Frau Nünecke beschäftigt, kommt erst kurz vor dem Schluß der Szene in den Vordergrund.

FRAU NÜNECKE.
Jetzt komm, Alter, jetzt gehen wir auch –
NÜNECKE.
Geh nur – ich bleibe noch 'n bißchen hier, es gefällt mir hier.
FRAU NÜNECKE.
Du bist wohl nicht recht bei Trost?
NÜNECKE
für sich.

Womit soll ich mir auch trösten? Laut. Ich warte hier bis die Agnes zurückkommt, damit ich gleich erfahre, wie es steht. – Ich komme schon nach.

FRAU NÜNECKE.
Daß du aber dann kommst.
NÜNECKE.
In zehn Tagen – Minuten, in zehn Minuten will ich sagen.
FRAU NÜNECKE.
Adieu indes!
NÜNECKE.
Du Alte, komm mal her – gib mich 'n Kuß.
FRAU NÜNECKE.
Nanu? Was ist denn los?
NÜNECKE
für sich.
Los nichts, aber feste!
FRAU NÜNECKE.
Du hast ja schon zehn Jahre keinen mehr verlangt, was fällt dir denn heute ein?
NÜNECKE
gibt ihr einen Kuß und schluchzt laut.
Ich bin heute grade so gut aufgelegt.
BEIDE
umarmen sich.
FRAU NÜNECKE
geht durch die Mitte ab.
NÜNECKE
zu Bremser mit Pathos.
Jetzt Euer Gefangener!
BREMSER
läßt ihn erste Kulisse Nr.
27 ein und schließt die Tür.
NÜNECKE
erscheint mit dem Gesicht an der Luke.

Sie – hören Sie mal, wenn jemand nach mir fragen sollte – ich bin nicht zu Hause. Zum Publikum. Wat ick mir davor koofe!


Verwandlung.

Siebentes Bild
17. Auftritt
[59] Siebzehnter Auftritt.
Die Portierfrau. Frau Ribbecke. Die Viktualienhändlerin. Frau Döse. Hahnekamm. Ferdinand. Karoline. Kinder beiderlei Geschlechts. Schneidergesellen. Männer und Frauen.

Nr. 7. Chor.


CHOR.
Wie freu' ich mich, wie freu' ich mich,
Nun endlich zuzulangen –
:|: Vom Warten ist wahrhaftig mir
Schon der Appetit vergangen. :|:
FERDINAND
ein Glas ergreifend.

Meine Herren und Damen! Indem ich dieses Glas ergreife, fühle ich mich selbst höchst ergriffen, indem Sie meine Verlobung mit der tugendsamen Jungfrau Karoline –

KAROLINE
versteckt ihr Gesicht hinter dem Fächer.
Hör doch auf – hör auf.
FERDINAND.

Warum soll ich denn grade bei der Tugend aufhören? – Also, daß Sie meiner Verlobung mit Fräulein Karoline die Ehre Ihrer Anwesenheit geschenkt haben und vorläufig – Er huscht einen kleinen Jungen in den Haaren, welcher in seiner Nähe in eine Schüssel gegriffen. Junge, willst du wohl?

KAROLINE.
Die verehrten Gäste wollen entschuldigen – unsere Wohnung ist noch nicht eingerichtet.
FERDINAND.
Die Ausstattung ist noch nicht ganz fertig, mein Etablissement wird erst in vierzehn Tagen eröffnet.
KAROLINE.
Da ziehn wir erst nach der Hochzeit ein.
FERDINAND.

Sie wissen ja auch, wie es mit den kleinen Wohnungen in der Stadt geht. Es war der reine Zufall, daß ich dieses Quartier hier bekommen habe. Es hat nämlich früher ein Maurer, ein gewisser Brand, hier gewohnt, der aber plötzlich verschwunden ist.

KAROLINE.

Das heißt, der Wirt hat ihn holen lassen und ihm gesagt, er müsse auf der Stelle ausziehen, er leide kein Diebesgesindel in seinem Hause, weil eine Tochter des Brand wegen Einbruch sitzt.

FERDINAND.
Ach Einbruch! Das ist nicht wahr –
KAROLINE.

So? Du möchtest sie wohl noch in Schutz nehmen? Das nichtsnutzige Frauenzimmer sitzt dir wohl noch [60] im Kopf. Ich weiß recht gut, daß du der hochnasigen Person auch deinen Heiratsantrag gemacht.

FERDINAND.
Aber Karoline!
FRAU RIBBECKE.

Ja, Karlinchen hat recht, es war eine übermütige, eingebildete Person, die Brand Agnes. Mit mir verhält sich doch jeder gern im Hause, denn als Portierfrau kann man jeden schaden, aber immer stolz vorbeigeflitzt und rasch die Treppe ruf und nie Stich gehalten.

FERDINAND
will immer etwas zur Verteidigung sprechen, kann aber nicht zu Worte kommen.
FRAU DÖSE.

Bei mir im Keller hat sie nie etwas gekauft, beim Bäcker und im Laden bekäme man alles besser – meinte sie –

HAHNEKAMM.

Und mir hätte sie auf der Treppe im Finstern bald mal 'ne Ohrfeige gegeben, weil ich – weil ich – Sich besinnend. ich wollte bloß 'nen Witz machen.

ALLE
lachen.
FERDINAND
wie oben.
Aber Kinder –
KAROLINE.

Rede nicht – die Schlange hat dir umstrickt und dir mit ihren gebildeten Redensarten den Kopf verdreht, aber ich werde ihn dir schon wieder zurecht setzen.

FERDINAND.

Aber – Er will seine Wut an dem naschhaften Knaben auslassen, dieser hat jedoch seinen frühern Platz verlassen und ein Erwachsener hat sich neben Ferdinand gesetzt, ebenfalls von der Schüssel naschend. Ferdinand huscht den Erwachsenen. Junge, willst du wohl?

DER MANN
springt ergrimmt auf und faßt Ferdinand.

Allgemeines Gelächter.
18. Auftritt
Achtzehnter Auftritt.
Die Vorigen. Agnes mit einen Bündel. Schlicht.

ALLE
erstaunt.
Die Agnes!
AGNES.
Was ist das? In meines Vaters Wohnung? Wo ist er denn?
SCHLICHT.
Ein Fest? Wo ist denn Herr Brand?
KAROLINE.

Fort; seit drei Tagen hat er sich hier nicht mehr sehen lassen. Die Leute sagen, daß die Aufführung seiner Tochter vielleicht zu – – Na ja – Vornehm. solche Leute –

[61]
AGNES.
O mein Gott! Der Vater fort, fremde Leute in unserer Wohnung – wie hängt das zusammen?
SCHLICHT
zu Agnes.

Ich gehe, ihn aufzusuchen. Wer weiß, wozu sonst die Verzweiflung den armen Mann treibt. Laut zu den übrigen. Ich überlasse Ihnen dies Mädchen auf wenige Stunden und teile Ihnen mit, daß der Staranwalt die Anklage gegen die Agnes Brand wegen Mangel an Beweis hat fallen lassen, und sie auch deshalb auf freien Fuß gesetzt ist. Ich hoffe, Sie werden ihr als Freunde zur Seite stehn und ihr mit Liebe entgegenkommen. Er geht ab.

19. Auftritt
Neunzehnter Auftritt.
Die Vorigen ohne Schlicht.

HAHNEKAMM
Schlicht nachsehend.
Machen Sie, daß Sie alle werden.
FRAU DÖSE.
Die Sachen kennt man –
KAROLINE.
Wer gestohlen hat, ist ein Dieb, und eine Diebin gehört nicht in anständige Gesellschaft.
FERDINAND
entrüstet.
Aber Karoline! Habe doch Mitleid! Sieh doch nur, wie bleich sie aussieht.
KAROLINE.
Sie sollte lieber rot werden.
FERDINAND.
Gebt ihr doch wenigstens einen Stuhl zum Setzen.
FRAU RIBBECKE.
Sie hat ja lange genug gesessen.

Gelächter.
FERDINAND
zankt mit Frau Ribbecke.
FRAU DÖSE.

Ja, ja, es gibt Leute, die sehen aus, als wenn sie nicht Fünfe zählen könnten und hinterdrein haben sie den Gescheitesten zum Narren.

AGNES.
Aber Frau Ribbecke, was habe ich Ihnen wohl getan?
FRAU RIBBECKE
wendet sich verlegen ab.
HAHNEKAMM
welcher schon früher Agnes mir verliebten Blicken betrachtet, hat von dieser einen Blick tiefster Verachtung erhalten.

Ich sage bloß, ein Mensch, der 'nmal bestraft ist, der muß nicht noch die Nase so hoch tragen wollen.

FERDINAND.
Kerl! Er will auf Hahnekamm zu, faßt sich jedoch, unterdrückt seinen Zorn.
KAROLINE.

Wegen Mangel an Beweis freigelassen. Das steht ja wohl immer in der Gerichtszeitung, wenn alles pfiffig [62] abgeschwindelt und abgeleugnet worden ist. Das ist wirklich eine saubre Unschuld!

FERDINAND
in voller Wut.
Nun ist's gnug, oder –Er nimmt eine drohende Stellung an.
KAROLINE.

I sieh mal! Alte Liebe rostet nicht! Ich glaube gar, du möchtest uns alle rauswerfen, um mit deiner früheren Poussade allein zu sein, mit deiner schönen Zuchthäuslerin!

FERDINAND
sich bekämpfend, schmerzlich.
Pfui, Pfui!
AGNES
rafft ihr Bündel auf.

O Gott, das ist zu viel – ich gehe ja schon – gleich – auf der Stelle! Soweit mich meine Füße tragen – ich komme gewiß nicht mehr zurück – nie mehr. Ihr habt hart an mir gehandelt – hart und unbarmherzig – mögt ihr es nie bereuen! Sie wankt ab.

20. Auftritt
Zwanzigster Auftritt.
Die Vorigen ohne Agnes.

Nr. 8. Quodsibet.


ALLE
stehen vernichtet.
CHOR.
:|: Es war zu stark – es war zu arg –
Das war nicht recht – nein, das war schlecht.
Ich seh' es ein – und will's bereun,
Es war gemein – ich seh' es ein! :|:
FERDINAND.
Ihr habet sie zu tief gekränkt –
Wer weiß wohin der Weg sie lenkt?
KAROLINE.
Nur vergessen,
Nicht ermessen,
Was man ihr hat angetan.
Sein wir heiter,
Lustig weiter,

Vor Ferdinand.

Komm, schick' dich zum Tanzen an.

Der Chor wiederholt und gruppiert sich zum Tanz. Tische und Stühle werden inzwischen weggeräumt.
Alles begibt sich in den Vordergrund, singend und tanzend.
CHOR.
Laßt vergessen,
Nicht ermessen,
Das, was wir ihr angetan!
Sein wir heiter,
Lustig weiter,
Jetzo geht das Tanzen an!

[63] Tanz.
FERDINAND
der ganz in sich versunken vorn stehen geblieben, zu Karoline, die ihr Krinolinkleid von beiden Seiten gefaßt und vor ihm einladend getänzelt hat.

Tamtamschlag.
FERDINAND
gesprochen.
Haltet ein!

Er singt.

Du hast gezeigt für fremde Not
Kein Mitgefühl, nur kalten Spott!
Mit uns ist's aus – geh du nur hin
Mit deiner dicken Krinolin.
ALLE
bilden eine Gasse.
KAROLINE
geht langsam mit ihrer breiten Krinoline, gesenkten Haupt gemessenen Schrittes durch die Reihe in den Hintergrund.
FERDINAND.
Da zieht sie nach die Schwelle,
CHOR.
Krinolin!
FERDINAND.
Es ging ihr an die Pelle –
CHOR.
Krinolin!
FERDINAND.
Zerrissen ist das Band,
Laß sie grollen – wie sie wollen;
Ich geb' ihr nicht meine Hand,
Karoline! Ferdinand!
CHOR.
:|: Karoline! Ferdinand. :|:
KAROLINE.
Blamier' dir nicht,
Und führ' dir nicht
Auf einmal so moralisch!
Was? Du willst sind –
Berliner Kind –
Und so sentimentalisch?
FERDINAND.
Dein Herz, es schlägt nicht heiß –
Es ist frappiert in Eis.
In Eis frappiert da schmeckt
Nur bloß Champagnersekt!
Wenn wir Berliner auch gern scherzen,
Es hat nicht bloß der Witz

Auf den Kopf deutend.

Allein hier seinen Sitz.
Wir hab'n auch
Herzen Für fremde Schmerzen.
[64]
CHOR.
Ach, seht die Pein! Seht die Pein! Seht die Pein!
:|: Seht die Pein! Seht die Pein! :|:
:|: Laßt uns eilen,
Ohn' Verweilen.
Und so laßt ihn alleine.
Laßt uns eilen,
Ohn' Verweilen
Und verlaßt diesen Ort. :|:

Sie nehmen beim Fortgehen alle Lichter mit.
Es ist ganz finster. Nacht.
FERDINAND.
Einsam bin ich nun alleine –
Alles um mich still und leer,
Niemand tritt mir auf die Beine,
Alles floh mich rings umher!
Aber darum nicht erbost,
Denk an deinen Trost:
:|: Dadraus da muß man sich nichts machen,
Da muß man lachen! :|:

Er geht ab.

Verwandlung.

Achtes Bild
21. Auftritt
Einundzwanzigster Auftritt.
Quisenow mit Chor. Ein kleines Kind mit einem Korbe liegt an der Brücke.

Nr. 9.


CHOR
während des Überganges über die Brücke.
Nanu weiter, heiter, selig, fröhlich, lustig und fidel.
Immer drieste, munter, feste ist das Beste meiner Seel'.
[65]
QUISENOW
im Ballanzuge, den Mantel darüber.
Oben gibt ein Wuchrer Feste,
Unten steht in Wut
Einer, dem er einst abpreßte
All' sein Hab und Gut.
Oben glänzet in dem bunten
Saal der Lüstres Pracht,
Plötzlich tönt ein Schuß da unten,
Durch die stille Nacht!
Oben werden lustig eben
Lebehochs gebracht.
Das ist das Berliner Leben,
Wie es weint und lacht!
CHOR.
Berlin! Berlin!
Berlin, wies weint und lacht!
Nanu weiter, heiter, selig, fröhlich, lustig und fidel,
Immer drieste, munter, feste ist das Beste meiner Seel'

Während der folgenden Strophe wird im Chor für das an der Brücke liegende kleine Mädchen Geld in einem Hut eingesammelt, dasselbe der Kleinen in den Schoß geschüttet, worauf sie sich entfernt.
QUISENOW.
Auf den Fang der Wüstling lauert,
Für das Elend blind,
Dort im Winkel kauert, schauert
Ein verlassen Kind.
Spottend jedem Erdenjammer,
Tanzt man hier und springt,
Dort in dunkler Bodenkammer
Die Verzweiflung ringt.
Hier der Freude heit'res Streben,
Dort des Kummers Nacht,
Das ist das Berliner Leben,
Wie es weint und lacht!
CHOR.
Berlin! Berlin! Berlin,
Berlin, wie's weint und lacht!
Nanu weiter usw.

Der Chor entfernt sich nach und nach.
QUISENOW
bleibt allein zurück.
Dort der Junge ganz im stillen,
Wirft die Pulle weg,
[66] Fängt dann weinend an zu brüllen
Und besieht den Fleck.
Die zerbrochne Weißbierflasche
Rührt mitleid'gen Sinn;
Jeder greift in seine Tasche,
Wirft 'nen Dreier hin.
Doch der Schlingel im Fortschweben
Ruft: Die sind gemacht!
Das ist auch Berliner Leben,
Wie es weint und lacht!
CHOR
wie oben.
Berlin! Berlin!
Berlin, wie's weint und lacht.
Nanu weiter usw.
QUISENOW.
Dort am Brandenburger Tore,
Seht die Menge da,
Plötzlich tönt's in vollem Chore:
Hoch Viktoria!
Brausend schallt des Volkes Jubel
Zu dem jungen Paar,
Ja,,bei diesem lust'gen Trubel,
Lacht das Herz fürwahr.
Doch es gleiten auch daneben
Freudentränen sacht.
Das ist das Berliner Leben,
Wie es weint und lacht!
CHOR
im Hintergrunde.
Berlin! Berlin!
Berlin, wie's weint und lacht!
Nanu weiter usw.
QUISENOW.
Sonst muß ich zu Hause hocken,
Selten komm' ich aus.
Heut' macht' ich mich auf.die Socken,
Ließ die Frau zu Haus!
Bei 'nem kranken Freund ich wache,
Meine Alte meint,
Ums wahrscheinlicher zu machen,
Hab' ich fast geweint!
Weinend nur konnt' ich erstreben
Eine lust'ge Nacht!
[67] Das ist das Berliner Leben,
Wie es weint und lacht.

Er geht ab.
CHOR
im Hintergrunde.
Berlin! Berlin!
Berlin, wie's weint und lacht!
Nanu weiter usw.
AGNES
wankt mit ihrem Bündel über die Brücke.
22. Auftritt
Zweiundzwanzigster Auftritt.
Agnes allein.

AGNES.

Die Füße schmerzen mich – ich kann nicht mehr weiter. Sie lehnt sich ans Brückengeländer. Hier kann ich weinen – hier kennt mich niemand, da ist kein Mensch – der mich beschimpft, mit Füßen tritt! Großer Gott – wird das so fortgehen, werde ich immer ein Auswurf bleiben – verstoßen von den Menschen als eine Verbrecherin – keinen Vater mehr, keine Mutter, keine Seele, die für mich fühlt, keinen Menschen, der mich liebt – Stärkere Tanzmusik oben in dem Hause. Da oben sind sie luftig – da oben tanzen sie und freuen sich des Lebens und ich möchte tief – unten liegen in der Erde. – Sie stützt den Kopf in die Hände und verharrt so einige Augenblicke. – Die Musik verstummt. Von nun an ist nur Verachtung mein Los; wenn mich einer eine Diebin nennt, so werde ich's dulden müssen, so werde ich nichts sagen dürfen, denn ich habe ja keinen Beweis für meine Schuldlosigkeit. – Sie schluchzt heftig. So wird mein Leben sein – ohne Liebe, ohne Ehre auf dieser Welt. Sie richtet sich auf und erblick die Spree. Da unten wäre Frieden für mich – da unten allein.Mit sich kämpfend – sie läuft dem Ufer zu. Wenn mich solch ein Leben erwarten sollte, dann lieber – Gott steh mir bei! Sie seufzt tief auf und läuft dem Wasser zu, nach rechts.


Nr. 10 Melodram.

THEODOR
im Ballkostüm unter dem Mantel und Bernhard im Gehrock schreiten über die Brücke.
23. Auftritt
Dreiundzwanzigster Auftritt.
Theodor. Bernhard.

THEODOR.

Aber Mensch, was ist dir? So sei doch nicht so verstimmt. Ein solches Maskenfest hat Berlin noch nicht gesehen! Du hast zu wenig Sekt getrunken.

[68]
BERNHARD.
Still! Horch! Was ist das?
THEODOR.
Unsere Gesellschaft – die uns nachkommt – sie singen sich was –
BERNHARD.

Nein, nein! Man hört Agnes' Hilferuf. Hast du's gehört? Ein Hilferuf! Er eilt zum Brückengeländer. Dort – vielleicht ein Menschenleben – siehst du – schnell hin – Er wirft Frack und Hut weg und geht nach der Seite wo Agnes weggegangen.

THEODOR
sieht ihm nach.

Er ist schnell wie der Wind, er springt ins Wasser – er faßt eine Gestalt – er bringt sie ans Ufer – schnell ihm entgegen! Er geht ab.


Kleine Pause. – Die Bühne bleibt leer.
Man hört in diesem kurzen Moment im Orchester das Thema: »Das ist das Berliner Leben, wie's weint und lacht.«
THEODOR UND BERNHARD
kommen, die besinnungslose Agnes tragend.
BERNHARD.
Sie ist gerettet.
BEIDE
tragen sie zur Laterne.
THEODOR
sieht ihr ins Gesicht.
Ein schönes Gesicht!
BERNHARD
fährt entsetzt auf.
Agnes! Barmherziger Gott! Ich bin ihr Mörder!

Nr. 101/2. Aktschluß-Musik.


Der Vorhang fällt langsam. 4

3. Akt

Neuntes Bild
1. Auftritt
Erster Auftritt.
Quisenow. Auguste. Berta.

QUISENOW UND AUGUSTE
gehen mit verschränkten Armen eine Weile auf und ab und messen sich mit strengem Blick.
AUGUSTE.
Es kann nicht sein! Es ist nicht möglich!
[69]
BERTA.

Wie ich Ihnen sage, gnädige Frau. Er soll seinem Vater das Geständnis abgelegt haben. Die ganze Stadt ist voll davon.

QUISENOW
noch immer auf- und abgehend und sich Luft mit dem Schnupftuche zufächelnd.
Eine Flasche Sodawasser –
BERTA.
Sogleich, gnädiger Herr! Sie geht ab.
AUGUSTE.

Jetzt wird mir alles klar – also darum hat sich der verwünschte Schmuck schon zwei Tage nach der Arretierung vorgefunden.

QUISENOW.
Und das ist das Nichtswürdige, daß du nicht gleich die Anzeige gemacht.
AUGUSTE.

So? Ich hätte wohl hinlaufen und mich blamieren sollen und sagen. Die Sachen haben sich wieder vorgefunden. 's war ein bloßes Mißverständnis. Das Gericht hätte es mir doch nicht geglaubt, und zuletzt hätte man mich vielleicht noch gar zur Verantwortung gezogen.

QUISENOW.
Das wird man noch!
AUGUSTE.

So? I, sieh doch. Zuletzt werde ich vielleicht noch schuld an der ganzen Geschichte sein. Wer hat denn Bernhard durch seine Hartherzigkeit zu dem verzweifelten Streich getrieben? Wer hätte durch lumpige zweihundert Taler dem ganzen Unglück vorbeugen können? Du, du, du!

QUISENOW.
Nanu wirds gut! Nu wird's wirklich niedlich.
AUGUSTE.

Wer hat den Schlüssel zum Geldschrank – du oder ich? Hat der Mann über das Vermögen zu verfügen oder die Frau? Wer ist denn Herr hier im Haufe?

QUISENOW.

Bis jetzt warst du es, aber ich schwöre es dir – Er schlägt auf den Tisch. Jetzt will ich Herr im Hause sein!

AUGUSTE.
Mir scheint, ich muß dir Umschläge auf den Kopf machen.
QUISENOW.
Ja – das versichere ich dich – es erfolgt ein Umschlag!
BERTA
bringt ein Tablett mit zwei Flaschen Sodawasser, die oben einen metallenen Ventilhahn zum Spritzen haben – Siphons.
Dann geht sie gleich wieder ab.
QUISENOW.

Was zu viel ist, ist zu viel. – Das Lamm wird endlich zur Hyäne, und der Wolf durchbricht endlich seinen Käfig! – Das arme Mädchen umsonst gesessen, Fast weinend. gratis! Aber – Er nimmt die Flasche, drückt an das Ventil und [70] spritzt sich Sodawasser ins Glas. Aber die Rache ist eine Speise, die man kalt verzehren muß!Er behält die Flasche in der Hand.

AUGUSTE.
Sag' mal, Fritz, hast du den Verstand verloren?
QUISENOW.

Nein, aber die Geduld! Ich habe alles mit angesehen, jahraus, jahrein, mit der Ruhe eines Stadtverordneten. Du hast mich behandelt nicht wie der Mensch den Menschen, nein, wie der Wirt den Mieter behandelt! Ich habe den Mund halten müssen, wie ein Aktionär, der nicht im Verwaltungsrat sitzt, ich war stumm, wie Frankreich, denn du warst mein Cayenne, aber was zu viel ist, ist zu viel. Er spritzt sich wieder Wasser ein.

AUGUSTE.
Ich bitte dich, Friedrich, hör auf, du kennst mich –
QUISENOW.

Ja, ich kenne dich, und die ganze Welt soll dich kennen lernen. – Du bist meine Frau, ja – ein braver Mann soll seiner Frau nichts Schlechtes nachsagen – aber du mußt bestraft werden, denn was zu viel ist, ist zu viel – Er spritzt wieder.

AUGUSTE.
Nun ist's genug – Sie ergreift ein Glas. es passiert etwas!
QUISENOW.

Nur zu! – Auf körperliche Verletzung stehen verschiedene Monate Spandau – Er reibt sich die Hände. Nur zu!

AUGUSTE.
Du willst deine Frau bloßstellen – ein Dienstmädchen steht dir näher –
QUISENOW.

Ja, alles sieht mir näher – alles stell' ich bloß – Er spritzt sich Wasser ein. Ich bin kein Mensch mehr – ich bin Tyrann, Wütrich, einen Scharfrichter hast du aus mir gemacht. Die Leute zusammensetzen, jedem Menschen etwas anhängen, überall was zu verleumden haben, alles schlecht finden und selbst dabei nicht gut sein – Wie? Er nimmt die Flasche, spritzt in der Wut auf die Erde und behält die Flasche in der Hand. Der Topf läuft über und die Suppe ist fertig, die du dir eingebrockt hast! Kreuzdonnerwetter noch einmal!Mit ganzer Kraft. Ich leide es nicht, daß in meinem Hause eine anständige Person um ihre Ehre gebracht werden soll. Er ergreift ihre Hand. Du wirst es ihr abbitten, öffentlich feierlich, vor Zeugen –

AUGUSTE
reißt sich los.

Hilfe! Er ist imstande – und vergreift [71] sich an mir – Sie fällt in einen Stuhl. Hilfe! Sie wird ohnmächtig. Ich sterbe!

QUISENOW
extemporiert.

Das hast du mir schon oft versprochen, aber noch nie hast du's getan. Er bespritzt sie mit der Flasche.

AUGUSTE
vom Wasserstrahl getroffen, springt auf.
Ah!
SCHLICHT
erscheint in der Tür.
2. Auftritt
Zweiter Auftritt.
Die vorigen. Schlicht.

SCHLICHT.
Eine Szene! – Es tut mir leid, wenn ich störe: Aber eine wichtige Angelegenheit –
QUISENOW.

Macht nichts, lieber Schwager. Meine Frau fiel nur in Ohnmacht, ich habe sie jedoch auf hydropathischem Wege wieder zum Bewußtsein gebracht.

SCHLICHT.

Es betrifft die unglückliche Agnes Brand. Ich weiß alles, Schwester. Du hast die Anzeige von dem wiedergefundenen Schmuck unterlagen – die Sache kann schlimm werden –

QUISENOW.
Ein Jahr Moabit – Zellensystem –
AUGUSTE
wütend zu Quisenow.
Geh, oder –
QUISENOW.

Ich werde dir zeigen, daß ich doch noch Gefühl besitze. Wenn du eingesperrt wirst, schicke ich dir Essen ins Gefängnis –

AUGUSTE
macht wieder eine wütende Bewegung.
QUISENOW
wenn das Publikum lachen sollte.
Hörst du, sie gönnen dir's alle.
AUGUSTE.
Und Bernhard –
SCHLICHT.
Bernhard ist für mich verloren. Er ist bereits auf dem Wege nach Amerika.
AUGUSTE.
Aber was soll ich tun?
SCHLICHT.
Es gibt vielleicht noch ein Mittel, dich vor schwerer Strafe zu retten –
AUGUSTE
sichtbar erfreut.
Also doch – ein Mittel –
SCHLICHT.
Kommt, ich will es euch mitteilen.
AUGUSTE
geht mit Schlicht und wendet sich dann noch einmal zu Quisenow um.
Das Betragen dieses Mannes aber überlebe ich nicht – das ist mein Tod. Sie geht ab mit Schlicht.
QUISENOW.
Nur die Hoffnung, dich einst dort wiederzufinden – wird mich hier am Leben erhalten.
3. Auftritt
[72] Dritter Auftritt.
Quisenow allein.

QUISENOW
laut triumphierend.

Ah, jetzt wissen wir, wer Herr im Hause ist! Wie das wohl tut, sich endlich Lust gemacht zu haben! Ist denn niemand hier zum Umarmen? Es war göttlich! Und mein Gewissen sagt mir, daß ich recht getan, und das ist die Hauptsache, denn hier – hier – Er zeigt auf das Herz. hier muß es ruhig sein! Vom Gewissen spricht jeder einmal, aber nur bei wenigen das Gewissen.


Nr. 11 Couplet.


Dem Hauswirt klagt ein armer Mann,
Daß er nicht Miete zahlen kann.
Mein Weib ist krank – groß ist die Not,
Sechs kleine Kinder schrein nach Brot!
I was – so ruft der harte Mann –
Was gehn mich Eure Kinder an.
Wenn es mit Euch so schlecht bestellt.
Setzt keine Kinder in die Welt.
Da möcht ich das Gewissen sein,
Dem Mann sagt ich ins Ohr
:|: O schäme dich, du wirfst ihm ja
Des Himmels Segen vor! :|:

Verzweifelt ruft ein Mann: Wohlan,
Nicht länger ich's ertragen kann,
Mein ganzes Geld verspekuliert,
Kredit und Ruh ist ruiniert.
Mag Weib und Kind auch betteln gehn,
Ich kann den Jammer nicht mehr sehn.
Leb wohl, du schnöde Welt, leb wohl –
Und hastig greift er zum Pistol.
Als Gewissen spräche ich zu dem:
Wirf das Pistol zur Erd',
:|: Ein Vater, der die Seinen verläßt.
Ist kein'n Schuß Pulver wert :|:

Ein Wucherer, der ohne Scham,
Von Witwen es und Waisen nahm,
[73] Spricht: Wenn verachtet mich die Welt,
Verachtet man doch nicht mein Geld.
Und daß ihm nichts passieren kann,
Kein Brand ihn ruinieren kann,
Von Arnheim er sich bauen läßt
'nen eisernen Geldschrank, feuerfest.
Dochs Gewissen sagt dem Bösewicht:
's gibt dort ne Hölle noch,
:|: Dort hilft dir auch dein Arnheim nicht,
Dort Freund, verbrennst du doch. :|:

Ein Fräulein mit andächt'gem Sinn,
Sitzt Sonntags in der Kirche drin;
Doch blickt sie öfters links und rechts
Nach Menschen männlichen Geschlechts.
Auf einmal knarrt die Kirchenrür,
Es tritt ein junger Mann herfür.
Rasch schließt sie das Gesangbuch – klapp,
Und singt nicht mehr und geht schnell ab.
Wenn die nur ein Gewissen hätt,
Das spräch': Stells Beten ein,
:|: Denn Beten so mit rechts und links,
Bringt keinen Himmel ein. :|:

Ein armer Schuster wird todkrank;
Dem Weib, den Kindern wird ganz bang.
Der älteste Knabe eilt im Lauf
Und läutet schnell 'nen Doktor auf.
Der Doktor fragt am Fenster: Wo?
»Zum Schuster Pickenbach!« – Ach so –
Ich bin selbst krank, laßt mich in Ruh' –
Und klirrend fällt das Fenster zu.
Wenn ich nun sein Gewissen wär',
Im Traum macht ich's ihm kund:
:|: Wenn Pickenbach Geheimrat wär',
Da wärst du schon gesund. :|:

Er geht ab.

[74] Verwandlung.

Zehntes Bild
4. Auftritt
Vierter Auftritt.
Schlicht und Ferdinand kommen durch den Mittelgang.

SCHLICHT.
Also dies ist der traurige Aufenthalt des alten Brand?
FERDINAND.

Ja, ich weiß es genau, Herr Justizrat. Die Karoline, meine frühere Geliebte, die jetzt ohne Dienst ist, liegt hier im Hause auch in Schlafstelle.

SCHLICHT.
Der Himmel gebe, daß der heutige Tag für den Unglücklichen ein freudiger werde.
FERDINAND.

Sie meinen gewiß ehrlich mit ihm, nicht wahr? Sie werden ihm begreiflich machen, daß er seiner Tochter unrecht tut, und bei ihr, der Agnes, werden Sie vielleicht ein gutes Wörtchen für mich einlegen.

SCHLICHT.
Glauben Sie denn, daß Sie noch Hoffnung haben?
FERDINAND.

Ich war neulich draußen bei ihren Verwandten in Rixdorf, die sie jetzt aufgenommen haben, da hat sie mir allerdings so halb und halb zugesagt, aber sie meinte, so lange ihre Schuldlosigkeit nicht vor aller Welt klar und offen dargelegt wäre, müßte ich mich ja stets noch ihrer schämen.

SCHLICHT.

Sie ist damals, als sie frei kam und bei Ihnen eine Zuflucht suchte, von der Gesellschaft bei Ihnen arg behandelt worden.

FERDINAND.
Ich beabsichtige, ihr dafür heute eine großartige Genugtuung zu geben.
SCHLICHT.
Und worin soll die bestehen?
FERDINAND.

Ich habe zu der heut' abend stattfindenden Eröffnung die ganze Sippschaft von damals eingeladen und werde öffentlich vor ihr und der ganzen Welt Agnes meine Hand, mein Herz und mein Haus anbieten.

[75]
SCHLICHT.

Gut! Auch ich werde mit einigen Ihnen nicht unbekannten Personen bei Ihrem Gartenfeste erscheinen. Überlassen Sie es mir, Ihnen den alten Brand mit rauszubringen.

FERDINAND.

Wenn er hört, daß die Agnes frei von ihrer Schuld ist, dann ist gewiß alles mit ihm aufzustellen. Er geht durch den Mittelgang nach links ab. Schlicht begleitet ihn, leise mit ihm sprechend.

BRAND
von Karlchen geführt, kommt durch den Mittelgang rechts.
5. Auftritt
Fünfter Auftritt.
Brand. Karlchen.

BRAND
betrunken.

So. Ich danke dir mein Junge, daß du mich hierher geführt hast. Jetzt bin ich wieder auf meiner Schlafstelle – wär' ich's lieber nicht. So lange ich im Wirtshaus sitze und trinke, da gehts gut, da denk' ich an nichts. Seufzend. Das tut so wohl – aber wenn ich nach Hause komme, da werde ich gleich nüchtern. Da kommen denn wieder die Erinnerungen. Andere Leute lesen Romane, damit sie einschlafen, ich habe ein anderes Mittel.Er schenkt sich Branntwein ein und trinkt ihn aus, macht sich dann während der folgenden Reden seine Lagerstätte zurecht und legt sich darauf.

KARLCHEN.
Pfui, schämen Sie sich, Herr Brand, so im Turkel.
BRAND.
Wer sich heutzutage schämt, mein Sohn, der kommt zu nichts.
KARLCHEN.
Sie wackeln ja hin und her –
BRAND.
Das liegt in der Familie. Wir machen alle Fehltritte. Meine Tochter Er schaudert zusammen. brrr!
KARLCHEN.
Die Leute sagen, Sie wären an dem Unglück Ihrer Tochter schuld – Sie hätten sie schlecht erzogen.
BRAND.

Jawohl – ich bin 'n Spitzbubenvater; 'n schlechter Kerl, ein Lumpacivagabund, die ganze Welt ist – schlecht erzogen. Er trinkt.

KARLCHEN.
Die Augen, die er macht! – Ich fürchte mich vor ihm. Gute Nacht! Er läuft durch die Mitte ab.
6. Auftritt
Sechster Auftritt.
Brand. Dann Schlicht.

BRAND
auf dem Strohlager liegend.

Er ist fort – freilich, er mag nicht so lang in schlechter Gesellschaft sein – sonst [76] sprechen die andern Lehrjungen nicht mehr mit ihm! Komm her, Fläschchen – Er stellt die Flasche an sein Lager. und wenn ich munter werde, gleich wieder ein Schlückchen obenrin, da träumt mir von meiner Seligen, von vergangenen glücklichen Reiten und von meiner – Er richtet sich auf und sieht Schlicht. Was ist denn das? – Ein fremder Mann?

SCHLICHT.
Guten Abend, lieber Freund!
BRAND.
Was? – Freund? – Ich habe keinen Freund!
SCHLICHT.

Ich habe Ihnen frohe Botschaft zu bringen. Fassen Sie sich und vernehmen Sie: – Die gänzliche Schuldlosigkeit Ihrer Tochter hat sich herausgestellt und ich, ihr Verteidiger, der Rechtsanwalt Schlicht, werde aus Grund dieser Erklärung ihrer frühern Herrschaft Er zeigt ein Papier. die vollständige Freisprechung Ihrer Tochter Agnes erwirken.

BRAND.
Sie – hören Sie – halten Sie nicht Bettelleute zum besten –
SCHLICHT.

Zweifeln Sie nicht länger, lieber Mann – es ist so, und Madame Quisenow hat sich bereit erklärt, Ihrem Kinde eine vollkommene Genugtuung zu geben.

BRAND.

Was, meine Agnes ist – sie hat nichts verbrochen? – ein anderer – mein Kind – wo ist mein Kind? Wo ist meine Agnes?

SCHLICHT.

Kommen Sie, Sie sollen Zeuge des öffentlichen Triumphes sein, den Ihre Tochter heut' noch feiern wird.

BRAND.
Wo ist sie, wo ist sie?
AGNES
erscheint in der Tür.
7. Auftritt
Siebenter Auftritt.
Die Vorigen. Agnes.

AGNES
auf Brand stürzend unter Weinen und Lachen.
Vater! Lieber Vater!

Umarmung.
BRAND
nach einer kleinen Pause.

Aber wie ist mir denn? Wo ist denn mein Rausch – weg, zum Teufel. Ich wackle nicht mehr, ich stehe gerade – ich bin wieder ein gemachter Mann. Was? Er zeigt auf sein Handwerkzeug. Mein Handwerkszeug kommt wieder zu Ehren – weg mit der Flasche! Er wirft sie hinweg. Ich brauche mich nicht mehr über die Achsel ansehen zu lassen, ich kann mich wieder sehen lassen unter ehrlichen [77] Leuten. – Er nimmt Agnes am Arm und stolziert mit ihr über die Bühne. Ich werde wieder mit meinem Kinde über die Straße stolzieren, ungeniert, frei und offen, hahaha! Wir sind wieder was! Komm her, mein Kind! Er umarmt sie unter Weinen und Lachen.

BEIDE
gehen ab.
SCHLICHT
allein – nach einer kleinen Pause.
Sollt' es auch bisweilen scheinen,
Als wenn Gott verließ die Seinen,
Hofft auf ihn mit Zuversicht.
Hilfe, die er aufgeschoben,
Hat er drum nicht aufgehoben!
Gott verläßt die Seinen nicht.

Er geht ab, den andern nach.

Verwandlung.

Elftes Bild
8. Auftritt
Achter Auftritt.
Karoline, Hahnekamm, Frau Döse, Frau Ribbecke, welche scheu umher gehorcht haben, kommen auf den Zehen in den Vordergrund geschlichen.

Nr. 12. Quartett.


KAROLINE.
Habt ihr es mit angehört?
Alles hat sich aufgeklärt.
ALLE.
Alles hat sich aufgeklärt!
KAROLINE.
Sie steht da, so rein als wie ein Engel –
Trugvoll, ruchvoll angestiftet war der ganze Pansch –
Wie ich's hör', denk ich, ich fall' vom Stengel.
Na Gott stärke! Ja ich merke, 's gibt 'nen großen Transch.
:|: Ach wie fühl' ich mir geduckt –
Ducke, ducke, ducke, ducke, ducke, ducke, ducke, ducke,
Werden heut' noch abgemuckt.
Mucke, mucke, mucke, muck, muck, muck. :|:
ALLE
wiederholen.
KAROLINE.
Was mich eigentlich so beleidigt,
Mich so hetzte – war verletzte Lieb' und Eifersucht,
[78] Daß mein Bräutigam sie verteidigt;
Drum hab' ich Skandal, Randal mit ihr gesucht.
:|: Er hat sich in sie verkiekt,
Kieke kieke, kieke usw.
Das hat mich von ihr gepieckt,
Piecke, piecke, piecke usw. :|:
ALLE
wiederholen.
KAROLINE.
Darum höre, Mensch, die Lehre
Trau dem falschen Scheine keiner niemals nicht,
Kommst sonst sehre in die Quere.
Sei beflissen, nie zu missen das Gewissen nicht.
:|: Führt der Irrtum dich Zick, Zack,
Zicke, zicke, zicke usw.
Höre stets

Auf das Herz zeigend.

auf das Ticktack,
Ticke, ticke, ticke, ticke, tick, ticktack. :|:
ALLE
wiederholen.
9. Auftritt
Neunter Auftritt.
Die Vorigen. Chor der Gäste. Dann Ferdinand. Agnes. Brand. Nünecke und Frau Nünecke. Quisenow. Auguste. Schlicht. Minna.

Nr. 13. Chor.


CHOR.
Freudig bewegt sind wahrlich alle Herzen,
Freudig bewegt und innig vergnügt,
Daß nach so vielen Leiden und Schmerzen
:|: Endlich die Tugend doch hat gesiegt! :|:
FERDINAND MIT AGNES UND BRAND, NÜNECKE UND FRAU NÜNECKE, QUISENOW, AUGUSTE, SCHLICHT UND MINNA
sind während des Chores aufgetreten.
QUIKSENOW
nachdem sich alles aufgestellt.
Jetzt fange an, oder ich lasse mich von dir scheiden – trau mir nicht –
AUGUSTE
in nobelster Toilette, zu Agnes.
Liebes Kind – ein Irrtum ein Mißverständnis – veranlaßte mich zu meiner Erklärung –
QUISENOW.
Das ist gar nichts – viel dicker – sonst –
AUGUSTE.

Den Schmuck, den du uns entwendet – haben solltest – ich erkläre es hier zu deiner Genugtuung – er war von mir bloß verlegt – ich habe ihn längst gefunden, und nur die – die –

QUISENOW.
Bosheit –
[79]
AUGUSTE.
Hat mich abgehalten, dies schon früher bekannt zu machen. Zu Quisenow. Ich glaube, das ist genug.
QUISENOW.
Viel zu dünne – viel dicker – Abbitte – Fußfall –
AUGUSTE
beinah weinend.

Es tut mir daher sehr leid – dich gekränkt und falsch beschuldigt zu haben, und ich gebe dir hier als eine kleine Entschädigung eine Aussteuer von fünfhundert –

QUISENOW.
Fünftausend Taler –
AUGUSTE.
Und bitte dich –
QUISENOW
sagt ihr was ins Ohr.
Sonst –
AUGUSTE.

Und bitte dich, mir meine harten Worte zu verzeihen – ich war – ich habe mich übereilt – hier – hast du meine Hand.

NÜNECKE.
Wat ick mir davor koofe.
SCHLICHT
drückt Agnes die Hand.

Und von mir empfangen Sie tausend Dank, daß Sie einem schwer geprüften Vater die öffentliche Beschämung seines Sohnes ersparten. Der Schuldige hat seine Strafe gefunden, und Sie, liebe Agnes, sollen vor Ihren Richtern vollkommen gerechtfertigt werden.

AGNES
Schlicht die Hand drückend.

Dieser Händedruck soll für mich sprechen. Wie gut wäre es, wenn es mehr Leute gäbe, die dem Schein nicht glaubten und die wahren Freunde des Volkes wären, wie Sie. – Zu Ferdinand. Und jetzt Ferdinand brauchen Sie sich meiner nicht mehr zu schämen. Sie reicht ihm die Hand.

QUISENOW.
Hurra! Braut und Bräutigam sollen leben!
ALLE.
Vivat hoch!

Nr. 14. Schlußcouplet.

QUISENOW.
Alles hat sich gut gewendet,
Eines und – nichts Kleines aber nötig scheint
Daß, wenn jetzt das Stück hier endet,
Wir auch sehn: Berlin (das Publikum) wie's lacht und nicht wie's weint!
:|: Denn sonst sind wir sehr geduckt!
Ducke, ducke, ducke, ducke usw. :|:
ALLE
wiederholen.

Ende.

[80]
Fußnoten

1 Hoftapezierer.

2 Dekorationsmaler.

3 Kranzler, bekannte Berliner Konditorei.

4 Die Reihenfolge der Szenen wird zuweilen so verändert, daß das achte Bild mit dem zweiundzwanzigsten Auftritt beginnt, Agnes nach ihrer Rettung abgetragen wird und dann der einundzwanzigste Auftritt folgt, so daß das Bild mit Quisenows Lied schließ.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek