340. Der Geiger im Chorrock

Nahe bei Tangermünde liegen zwei Dörfer ohnweit voneinander, Ost- und Westheeren, und zwischen beiden liegt die gemeinsame Kirche. Der Pfarrer an dieser Kirche war aber vor langer, langer Zeit ein lustiger Bruder, dem die volle Flasche lieber war als der leere Kelch und die Fiedel lieber als die Orgel. Er verstand selbst gar schön und lustiglich die Geige zu spielen und gönnte seinen Beichtkindern die Tanzfreude viel mehr, als seine Herren Confratres im geistlichen Amte zu tun pflegen. So spielte er auch einstmals am heiligen Pfingstfeste seinen Pfarrkindern auf seiner Fiedel zum Pfingstreigen auf, der sich unter der hohen Linde lustig drehte. Es zog ein schweres Gewitter auf, doch die Frohen achteten dessen nicht. Der Dorflinde dichtes Laubdach bot lange Schutz gegen fallenden Regen. Der Donner begann zu rollen, aber der Lärm der Freude ließ ihn überhören. Warum hätten die Dirnen und Bursche nicht tanzen und jauchzen und sich freuen sollen, solange ihr Pfarrer es ihnen nicht verwehrte? Plötzlich zuckte ein entsetzlicher langer Wetterstrahl an der Linde nieder, ein fürchterlicher Donnerschlag krachte über den Tanzenden, streckte zwölf tanzende Paare tot nieder und warf den geigenden Pfarrer in den Staub, verwandelte seine Fiedel samt dem Bogen in Splitter und schlug ihm die rechte Hand ab oder den ganzen Arm. Der geigte nimmer wieder zum Tanze. – In Schlesien ist Ähnliches geschehen, daß der Blitz eine ganze Tanzgesellschaft erschlug.

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