XLIII. Boese Traeume.

Es sagt ein altes Sprüchwort und redet's treu und wahr:
Ob Einer gut, ob bös ist, wird ihm in Träumen klar.
Die Träume sind im Leben die schwerste Bilderschrift,
Und der muss wahrhaft klug sein, der ihre Deutung trifft.
Die Träume sind Dämonen, ihr Königreich die Nacht;
Die Schläfer sind verfallen der tiefgeheimen Macht.
Sie gleichen einem Spiegel, der Zauberbilder zeigt,
Sie leihn dem Träumer Flügel, die tragen weit und leichf.
Wir träumen viel im Leben, wir leben viel im Traum;
Nachbargestade sind das, die trennt ein kleiner Raum.
Wir schiffen durch die Ufer auf schwankem Lebenskahn,
Und landen bald an diesem und bald an jenem an.
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Auch Faustus träumt, nachdem ihn der Schlummer lange floh;
Und wen der Schlaf nicht findet, den macht der Traum nicht froh,
Der kämpft, bevor er einschläft zur oftgestörten Rast,
Mit seiner Qualgedanken, ach, bergeschwerer Last.
Im Traume sieht sich Faustus auf einem Fels im Meer;
Der Oede Grabesschweigen liegt schaurig um ihn her.
Die Wellen alle schliefen, und Luft und Sturmwind schlief,
Und über dunkeln Tiefen ziehn dunkle Wolken tief.
Und ihm, der auf dem Fels steht, wird plötzlich schrecklich klar:
Dass längst schon alles Leben der Welt gestorben war;
Dass es sich todt geweint hat ins Meer, von Graus umbordet,
Weil er durch seine Frevel den Herrn der Welt ermordet.
Und weil der Richter todt ist und seine Liebe todt,
Da wird nicht mehr von Strafe der Schreckliche bedroht;
Doch ach, nun ist auch Keiner der ihm vergeben hätte,
Nicht drunten und nicht droben die Hand, die liebend rette.
Er sieht die Wolken blutroth, und sieht das Meer versteint;
Die Sonne hängt am Himmel, ein Auge, blind geweint;
Glanzlos die sonst so strahlend auf alle Wesen blickte,
Als noch die Himmelsliebe den Erdball segnend schmückte.
Und als es rings grabstill ist, und Oede rings und Graus,
Da hebt sich aus der Meerfluth ein bleiches Weib heraus.
Das wächst und wächst, und rollet, das ungeheure Weib,
Um Land und Meer entsetzlich den Riesenschlangenleib.
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Und wälzet sich zu Faustus, dem Schreckdurchbebten, hin;
Und kreischet: »Süsser Buhle! Hier bin ich, Dein Gewinn!
Du hast aus Todesbanden mich wieder wach geküsst,
Und ich bin auferstanden, weil Gott gestorben ist!«
Sie haucht ihn an, sie naht ihm mit tödtlich giftgem Kuss,
Der machtlos nun am Busen der Sünde liegen muss.
Da wankt der Fels, da sinkt er in tiefe Schauernacht,
Und stöhnt in Todesschmerzen, und wimmert und erwacht.
»O trüber Traum! Du Nachtmähr, Du grausiger Dämon,
Hast Du kein Bild der Rückkehr von dem verlornen Sohn?
Ist denn die Welt gestorben, sind alle Himmel leer?
Und zeigt sich dem Verlassnen kein Vaterantlitz mehr?«
»Nein, nein, kein Vaterantlitz! Mir nicht, mir ewig nicht!
Horch! Laden nicht Posaunen schon vor das Weltgericht?
Ein Seufzen hör' ich stöhnen, in Lüften sterbensmatt,
Herfliegt des Jammers Tönen von Thale Josaphat!«
»Dort wimmelt's, weht und rauscht es, Gehein strebt zum Gebein;
Wo find' ich mich? Ich liege tief unter schwarzem Stein!
Ha wie die Schattenschaaren all' bleich vorüberwehn!
Helft mir, ihr ew'gen Engel! Ich kann nicht auferstehn!« –
Furcht ist die Henkergeissel, die Faustus Seele quält;
Ist eine Nachtprophetin, die nur von Qual erzählt.
Beim Tagslicht eine Wolke, schwerdrohend, wetterfahl,
Zur Nacht ein bleicher Irrstern, ein blauer Schlangenstrahl.
[175]
Furcht schleicht sich in die Träume, sie macht den Schlummer schwer,
Sie drückt als Alp den Schläfer und peinigt ihn gar sehr.
Es bleibt durch alle Zeiten das alte Sprüchwort wahr:
Ob Einer gut, ob bös ist, wird ihm in Träumen klar.
[176]

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