305. Der nackte Spiegel

Nördlich von Lüneburg liegt die Stadt Bardewick, die war einst gar groß und blühend, reich und mächtig, und das zu einer Zeit, wo die Salzsau noch gar nicht zur Findung der Lüneburger Sülze Anlaß gegeben hatte und diese jetzt so volkreiche Stadt wohl kaum begründet war. Da ließ sich's im Jahr 1189 die Stadt Bardewick gelüsten, sich gegen ihren Herrn, Herzog Heinrich den Löwen von Braunschweig, aufzulehnen und ihm den Einritt in die Stadt zu verwehren. Der war aber ein Löwe, welcher keinen Spaß verstand, am wenigsten den des Trotzes; er zog daher vor die Stadt und traf Anstalt, sie zu stürmen. Die Bürger aber pochten auf ihren Mut und ließen den Herzog von der Mauer herunter einen nackten Spiegel sehen, zum Schimpf und Hohn, und war sotaner Spiegel nicht sonders hell und blank geputzt. Darob ergrimmte der Herzog fürchterlich und schwur den Bardewickern den Spiegel zu putzen, daß die Stadt ewig an ihn denken sollte. Und er hielt Wort auf eine löwengrimmige Weise; drei Tage stürmte er und gewann die Stadt, ließ alles, was nicht entrinnen konnte, niedermachen und verwandelte die blühende alte Stadt ganz und gar in einen Trümmerhaufen. So schwer ward nie ein Hohn bestraft. Ein Jahr später erst ward den Flüchtlingen vergönnt, aus den Trümmern von Bardewick weit davon eine neue Stadt anzulegen, und das wurde Lüneburgs Ursprung, und erst lange nachher siedelten sich allmählich wieder Einwohner auf der Stätte des zerstörten Bardewick an.

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