115. Belauschen der Hexen.
Ein Bauer, welcher so arm war, daß er für seine Kinder kein Brod hatte, lief von Haus weg, indem er sagte, er komme erst dann wieder heim, wenn er genug Geld habe. Bei einbrechender Dunkelheit kletterte er im Wald auf einen Baum, um daselbst zu übernachten. Zwischen elf und zwölf Uhr kamen zwölf Hexen auf Ofengabeln herangeritten und ließen sich unter dem Baume nieder. Sie sprachen davon, daß sie die einzige Tochter des reichen Hofbesitzers in der Nähe krank gemacht hätten, und dieselbe schon eine Menge Aerzte vergebens gebraucht habe. Auf die Frage einer der Hexen: ob denn der Kranken durch nichts zu helfen sei, antwortete eine andere: »Ja, durch Eselsmilch, die sie trinken, [104] und worin sie baden muß.« Bald darauf entfernten sich die Hexen, ohne den Bauer bemerkt zu haben. Dieser, welcher alles mit angehört, stieg bei Tagesanbruch vom Baum hinunter und ging stracks zu dem Hofbesitzer. Demselben trug er an, dessen Tochter gesund zu machen und dafür nur im Falle des Gelingens sich bezahlen zu lassen. Nachdem der Vertrag abgeschlossen, verordnete der Bauer der Kranken Eselsmilch zum Trinken und zum Baden, wodurch er sie in kurzem wieder herstellte. Von ihren erfreuten Eltern erhielt er nun Geld genug, welches er sogleich heimbrachte und den Seinigen hinzählte. Während dessen ging der Vogt des Dorfes am Hause vorbei, und da er den Klang des Silbers hörte, trat er hinein. Bei Erblickung des vielen Geldes glaubte er, es sei gestohlen, und wollte den Bauer festnehmen; aber als er den Hergang erfuhr, gab er sich zufrieden und ließ sich nur noch den Baum zeigen. Auf diesen trieb ihn, obgleich er sehr reich war, in der nächsten Nacht das Verlangen, dort auch etwas Einträgliches zu erlauschen. Um dieselbe Zeit wie das vorigemal kamen die Hexen, kaum aber waren sie unter dem Baume, so sagte eine: »Ich sehe etwas, ich sehe etwas.« »Wir sehen's auch,« erwiederten die andern. »So wollen wir mit den Gabeln und Messern hinauf!« riefen dann alle, stürmten auf den Baum und rissen den Vogt in Stücke.