116. Verwünschte Prinzessinnen.

Ein Korporal und elf Soldaten, welche von einem Posten miteinander ausgerissen, kamen auf ihrer Flucht zu einem stattlichen Schlosse, das einsam am Walde lag. Sie gingen hinein, sahen und hörten aber keinen Menschen. [105] In dem ersten Zimmer, welches sie betraten, stand nichts als ein Tisch, umgeben von zwölf Stühlen, auf die sie sich ermüdet setzten. Während des Sitzens gewahrte der Korporal ein kleines Horn, das unter dem Tische hing, und blies daraus einige Töne. Da fragte eine unsichtbare Frauenstimme: »Was beliebt, meine Herren?« Weil sie großen Hunger hatten, baten sie um Nachtessen, worauf die Stimme sprach: »Gleich, meine Herren!« und augenblicklich der Tisch voll köstlicher Speisen und Getränke stand. Als die Männer sich daran gelabt, wünschten sie ein Spiel zu machen; der Korporal stieß ins Horn, die Stimme fragte wie das erste Mal und sobald sie, auf das Begehren von Karten, »gleich, meine Herren« gesagt hatte, lagen jene, nebst zwölf Häuflein Geld, auf dem Tische. Nach dem Spiel blies der Korporal wieder, die Stimme fragte wie gewöhnlich und eröffnete den um Nachtlager Bittenden, daß in dem anstoßenden Saale zwölf gute Betten, das mit dem schönen Umhang für den Korporal, bereit ständen. Kaum hatten sich die Soldaten in die Betten gelegt, so schliefen sie ein; der Korporal aber, welcher der Sache nicht recht traute, zwang sich, wach zu bleiben. Um zwölf Uhr hörte er in dem Saale Schuhgeschlürfe und sah eine weiße Frau, die zu ihm ans Bett kam und sich quer darüber legte, indem sie sprach: »Fürchte dich nicht, es geschieht dir kein Leid.« Sie eröffnete ihm hierauf Folgendes. Sie sei eine Prinzessin und mit elf ihres Gleichen in dieses Schloß verwünscht, wo sie im Springbrunnen des Gartens als Fische sich aufhalten müßten. Weil er und seine Gefährten zu zwölfen von einem Posten miteinander ausgerissen, könnten sie sie erlösen, wenn sie ein Jahr lang ohne Unterbrechung im Schlosse blieben [106] und während dessen von allen unreinen Begierden nach Frauen sich frei hielten. Fehlen würde es ihnen hier an nichts, da sie nur in das Horn stoßen dürften, um alles, was sie wollten, zu erhalten. Wenn sie die Erlösung vollbrächten, bekämen sie das Schloß mit all seinen unermeßlichen Schätzen, und jeder diejenige Prinzessin, welche er erlös't habe, der Korporal sie selbst, zur Ehe. Dies alles solle er seinen Genossen eröffnen und ihr in der nächsten Nacht, wo sie wieder kommen werde, Antwort sagen. Als die Soldaten die Sache erfahren, erklärten sich alle zu dem Unternehmen bereit, was der Korporal der Prinzessin, zu ihrer großen Freude, kund that. Drei Vierteljahre lebten die Männer im Schlosse zufrieden und vergnügt, und die Prinzessinnen hatten im Brunnen schon bis zu den Knieen hinab ihre menschliche Gestalt erhalten; endlich aber fühlte einer der Soldaten unreine Begierden nach Frauen und als er dies äußerte, theilten alle, außer dem Korporal, seine Gelüste. Hierüber erschrack dieser sehr und klagte, daß nun die Prinzessinnen um ihre nahe Erlösung, sie selbst aber um ihr Glück gebracht seien. In der folgenden Nacht kam die Prinzessin kohlschwarz an sein Bett und jammerte: Daß sie und ihre Genossinnen nun noch lange nicht erlös't werden könnten, da sie wieder auf zwölf Mann, die so miteinander ausrissen, warten müßten, das Holz zu deren Wiegen aber noch nicht einmal gehauen sei. Die Soldaten, sagte sie ferner, müßten am nächsten Morgen das Schloß verlassen, sonst würde jeder von der Prinzessin, zu deren Befreiung er bestimmt gewesen, umgebracht; ihm, dem Reingebliebenen, könne sie nichts anhaben, und weil er sich so gut und wohlmeinend benommen, solle er reichlich belohnt werden. Wenn er mit den [107] Soldaten aus dem Schlosse gegangen, möge er allein in dasselbe zurückkehren, wo sie im Gang an einer Zimmerthüre stehen und einen Bund Schlüssel auf den Boden werfen werde; mit demjenigen Schlüssel, welcher gegen ihn gerichtet sei, solle er das Zimmer öffnen, und von den Schätzen darin so viel nehmen, als er nur könne. Nachher müsse er den Bund vor sie hinwerfen und sich aus dem Schlosse fortbegeben. Als er dieses in der Frühe mit den Soldaten verlassen hatte, sagte er am Garten, er müsse sich nun von ihnen trennen, und in eine gewisse Stadt gehen, wo sie, wenn sie einmal hinkämen, in dem besten Wirthshaus ihn treffen würden. Die Soldaten zerstreuten sich darauf hier- und dorthin; er aber eilte zurück, wo er alles fand und that, wie die Prinzessin ihm gesagt hatte. Mit Reichthümern beladen, gelangte er nachher in die bezeichnete Stadt. Dort kaufte er das vorzüglichste Gasthaus und heurathete des Wirthes einzige Tochter, mit welcher er in aller Liebe und Freude lebte. Nach Verlauf mehrerer Jahre kamen die elf Soldaten in großer Armuth zu ihm und verlangten, daß er sie in das Schloß begleite, wo sie diesmal die Erlösung der Prinzessinnen gewiß vollbringen wollten. So sehr er auch diesem Vorhaben sich widersetzte, waren dennoch die Soldaten nicht davon abzubringen, weßhalb er endlich, seine baldige Rückkunft vorhersagend, mit ihnen ging. Im Schloß fanden sie im ersten Zimmer, statt der zwölf, nur einen Stuhl; derselbe stand am Tische, worauf auch nur ein Gedeck lag. Der Korporal blies ins Horn, welches noch am alten Platze hing, worauf die frühere unsichtbare Stimme fragte: »Was beliebt, mein Herr?« Er bat um Nachtessen, die Stimme erwiederte: »Gleich, mein Herr!« und alsbald erschien auf dem Tische Speise[108] und Trank, aber für den Korporal allein. Ebenso kam, als er später Karten begehrte, nur für ihn ein Häuflein Spielgeld. Dieser schlimmen Vorzeichen und der wiederholten Warnung des Korporals ungeachtet, beharrten die Soldaten auf ihrem Vorsatze, im Schlosse zu bleiben. Nachdem jener wegen eines Nachtlagers geblasen, sagte die Stimme, er möge nur wieder in den anstoßenden Saal gehen, dort werde er sein voriges Bett bereit finden. Dieses allein war in dem Saale noch vorhanden; der Korporal legte sich darein, jeder Soldat aber auf den Platz des Bodens, wo früher sein Bett gestanden. Um Mitternacht kam die schwarze Prinzessin wieder mit Geschlürfe, legte sich, wie jedesmal, quer über das Bett des Korporals – der, während die andern schliefen, absichtlich wachte – und sagte ihm: die Soldaten müßten heute Nacht alle sterben, ihm aber geschehe kein Leid, ja er könne, ehe er morgen aus dem Schlosse gehe, sich einen zweiten Schatz holen, wenn er alles, wie bei Erlangung des ersten thue. Der Korporal bat, so sehr er konnte, für seine Gefährten, allein die Prinzessin entgegnete, daß deren Tod unabwendbar sei, worauf sie ihn verließ, und er augenblicklich einschlief. Als er am Morgen erwachte, lagen die Soldaten todt, den Kopf vom Rumpf getrennt, auf ihren Plätzen, und ihr Blut bedeckte den ganzen Boden. Entsetzt eilte der Korporal hinaus, holte jedoch, ehe er das Schloß verließ, sich noch den Schatz und kam damit glücklich nach Hause.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek