Der Eisgang
Die hypochondrischen Leute wurden auf einmal sehr lebhaft und ängstlich, sie befürchteten neuen Krieg, gelbe und schwarze Fieber, Erdbeben; der Wind wendete sich schnell, statt der kalten reinen einströmenden Luft, die uns bisher lärmend um die Ohren gesaust, senkte sich die trübe, verbrannte, warme, ausströmende Rauchluft der höhern Feuer. Die Schneewolken verwandelten sich in Regenwolken, jedes Dach wurde zu einer künstlichen Wasserleitung, die Schneemänner der Straßenbuben zerflossen fast in ihrer Geburt, die Damen hoben zierlich ihre Röcke auf, und suchten vergebens hervorragende Steine. Die Polizei gebot das Aufhauen des Eises, alles bewaffnete sich wie gegen einen Nationalfeind, Eisberge entdeckten sich, wo Täler vorher erschienen, die schönsten Schlitterbahnen wurden schonungslos zerhauen und wäre nicht hin und wieder bei Kirchen und andern unbesuchten Orten noch etwas Schnee liegen geblieben zum Schneeballen, die Jugend wäre zur Empörung gebracht. Manche voreilige Frauen sah man schon im Fenster liegen; es war die allgemeine Überzeugung, der Winter sei für dieses Jahr aus; seine Besatzung zog schmutzig aus, die Schadenfreude der Unterdrückten lachte hinterher. Ich wohne bei einem alten Gärtner, dessen Frau gestorben und ihm ein junges Kind als seinen einzigen Schatz und Not zurückgelassen, das saß da auf der Schwelle und sah zu, wie der Schnee von den Tannen herunterfiel, es hörte nicht mehr, was ihm der Alte für Märchen erzählte, die kleine Aussicht war ihm viel reicher, als alles, was es je vernommen. Ich suchte mir das in ein paar Versen festzuhalten.
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Eine Schwalbe macht indessen noch keinen Sommer, wenn auch wirklich schon eine angekommen wäre, vielleicht war es nur ein maskierter Sperling. Dem Eisgange am Himmel folgte erst der Eisgang in den Strömen. Drei Kanonenschüsse hatten ihn in der Stadt verkündet, am Morgen lief alles zum Flusse, der hohe Eistürme an der einen Seite der Brücke aufgebauet hatte, ein wunderliches Gemisch mit ausgerissenen Bäumen, fortgetriebenen Häusern, auf denen ganze Scharen Hausgeflügel ängstlich herumliefen, ihre Ställe zu bewahren und schrien; selbst ausgewühlte Särge lagen halb eröffnet darauf, wie bei der Auferstehung, und der unterirdische Schmuck zeigte sich dem Tage. Wie eine ungeheure Handelsflotte lag das dem kaufmännischen Auge da, es gehörte jedem, der es rettete, aber die größte Habsucht gab dazu nicht den Mut. Das Wasser stieg dahinter und suchte sich mit Lustigkeit neue Wege, immer neue Eisschollen schurrten hinzu, endlich hörten wir auf einer kommenden Eisscholle ein Posthorn, da zerkrachten die Ketten, welche den Strom solange gefangen gehalten, das Eis zerborst und die Brücke zerbröckelte wie ein Spielzeug der Kinder; die Eistürme zerteilten sich und die Handelsflotte, als wäre ein strenges Stapelrecht ausgeübt, zog endlich halbentladen dem Meere frei zu. Die Eisscholle näherte sich jetzt, von der das Posthorn erklungen, wir sahen darauf einen Postillion neben einer Wiege, der uns vergebens zur Rettung winkte. Der Anblick war jammervoll. Ungeachtet wir zum Retten viel zu entfernt waren, liefen wir [424] doch hinab zum Ufer, unsre Arme recht nahe zu dem Unglücklichen auszustrecken. Als wir ans Ufer kamen, fanden wir den Invaliden ganz durchnäßt, bleich und frierend, ein Kind auf den Händen; es war ihm geglückt es zu retten aus der Wiege, in der es ruhig geschlafen hatte dem Tode entgegen. Er hatte mit todergebener Kühnheit sich von einer Scholle zur andern geschwungen und es dem Tode entrissen; freilich so unsanft, daß es vor seinem Retter geschrieen, doch war es unbeschädigt. Der Postillion wagte es nicht bei gesunden Beinen den Rückweg mitzumachen, den jener auf einem hölzernen Beine, das Kind unterm Arme, glücklich beendigt hatte; eine erkämpfte Kraft ist doch mehr, als jede rohe in der außerordentlichen Lage. Es sorgten gleich so viele für den Invaliden und das Kind, daß wir dem Postillion nachsehen konnten. Das Wasser war schnell jenseit der Brücke gestiegen, seine Eisscholle schnitt, wie ein schrecklicher Gärtner, einem Baumgange alle Kronen ab, dann trieb sie gegen die Häuser, er wollte sich auf das Dach des ersten und größten retten, aber im selben Augenblicke stürzte es, wie in sich selbst verzagend, zusammen, eine Kalkwolke flammte empor, wo das Haus noch eben so stolz gestanden, ihm folgten die andern menschlichen Werke. Die Nachbarhäuser hielten alles für verloren, sie widerstanden kaum dem Andränge: alles versank da unten; die große Ebene vor uns, meist Wiesen, verwandelte sich allmählich in einen großen See, von manchen Orten hörten wir Notschüsse, aber da war kein Überkommen möglich. Der Invalide, der sich ein wenig abgetrocknet hatte, trat wieder zu uns, ihm brachte ein ankommender Bauer die Nachricht, daß Vater und Mutter des kleinen Kindes Fährleute gewesen, die Wellen hatten sie beide verschlungen, als sie ihr junges Kind zur Taufe tragen wollten; das Kind wurde mit der Wiege glücklich auf eine Eisscholle zu dem Postillion geschoben, der zu lange im Fährhause sich verweilt hatte. – Nun ratschlagten wir, wie am besten für das Kind zu sorgen, eine Amme hatte sich schon gefunden. – »Wissen Sie denn, daß unsre liebe Frau uns heute durch die Vermählung mit dem alten Winter überraschen will«, sagte der Gesandte, »es war immer ihr Wunsch Kinder zu haben, ein Wunsch, der ihr in erster Ehe unerfüllt blieb; ihr macht das Kind sicher Freude.« – »Die Freude will ich ihr machen«, sagte der Invalide mit verbissenem Schmerze, »ich habe heut eine traurige Nacht.« – Wir gingen nachdenklich [425] auseinander, der Abend kam träge heran, ich fand mehrere bei unsrer Frau versammelt, nichts von einem Hochzeitfeste ließ sich merken, nur die stumme Seligkeit des alten Winter verriet uns alles sehr deutlich. Endlich ging die Tür weit auf: »Tür zu, Tür zu, Sie lassen den Zug mit herein!« – Der Gesandte ließ ein großes Buch in Maroquin gebunden hereintragen, die Frauen wollten gleich darüber herfallen. »Halt Barbarinnen«, rief er, »so will kein Kunstwerk besehen sein, erst ein großer Tisch in die Mitte des Zimmers, nun alle hieher, wo das Licht am wenigsten spiegelt und am meisten färbt.« – »Die Farben sind wie von heute, so keck malt doch keiner mehr, was stellt es vor, es scheint eine einzige Geschichte?« – »Schreibt die, ihr Herren und Frauen, versucht, ob sie sich daraus erraten läßt, ich will nachher die wahre Erklärung vorzeigen und vergleichen.« – »Gut«, riefen einige, »das gibt einen Ritterroman mehr, und keine neueren Bücher sind Deutschland so rein nützlich geworden, und so unschädlich gewesen, wie diese Rückblicke auf frühere Kraft und Herrlichkeit!« – Wir waren froh aus der Verlegenheit zu kommen, die uns bis dahin gedrückt und gefesselt, es wurden nun die Stimmen über jedes Bild abgehört und bald von dem einen, bald von dem andern, die Erklärung in Versen dazu geschrieben. Die Bilder schienen auf echt alten, die wahrscheinlich verdorben waren durch Nichtachtung, mit erneueter Kunstfertigkeit und brennender Farbenpracht aufgemalt und mit mancher Erfindung bereichert, alle in Wasserfarben auf Pergament wie in den Gebetbüchern alter Fürstenhäuser, das Gold war aber nie als Grundlage, einzig als Verzierung gebraucht; es sah uns an wie ein Werk von heute, was alle Kunstforderungen unsrer Zeit erfüllte und tief verschlossen in sich die ganze Tiefe, Würde und Wahrheit alter Kunst trägt. Es ist einem in solchem Buche oft soviel Leben, daß man ihm ein eignes Haus bauen möchte, wie viel lieben Besuch würde es bekommen, welche Auswahl der Gesellschaft um sich sammeln; mir war es, als hätte ich die letzte Nacht von solchem Buche geträumt. Sollte es die Neugierde der Leser fordern, ich bin geneigt, es künftig stechen zu lassen, da es mir der Gesandte bei seiner Abreise überlassen hat. Nur das letzte Bild, weil es die Geschichte des Tages und unsres Kreises näher berührt, sei erlaubt mit Worten, so wenig Worte auch vermögen, hier vorzulegen und zu erklären. Das Bild stellt auf der Burghöhe der einen Seite, den [426] Eingang einer prächtigen, alten, wohlerhaltenen, aber stark mit Epheu bewachsenen Burg dar; Störche nisten auf der Turmspitze des Tores, bunte Fahnen wehen auf den blanken Zinnen, aus den Hauptfenstern blasen Trompeten und Posaunen einem festlichen Zuge entgegen, der von tanzenden Bäuerinnen bewillkommet, unter Ehrenpforten den Burgweg hinansteigt. An der Spitze dieses Zuges zeichnet sich aus vor allen ein junger Ritter und eine Frau, beide auf demselben prächtigen weißen Zelter sitzend, der Ritter ohne Rüstung in hellblausamtnem mit Weiß geschlitztem Wams, die Hosen weiß mit Blau geschlitzt, ein rotes Barett mit einem Reiherbusche auf dem Haupte; die Frau in weißem Kleide mit Blumen aufgesteckt, sitzt hinter ihm, beide Beine nach unsrer Seite herunterhängend, einen Arm um seine Brust geschlagen, sich zu halten, in der andern Hand hält sie eine Blume, an der auf einem Bande ganz fein mit alten Buchstaben, die Zeitenlose, geschrieben steht. Diesen beiden folgt eine abwechselnde Menge von Rittern zu Pferde und von Wagen, offen nach alter Art, mit Frauen und Kindern, manche trägt einen flatternden Falken auf ihrer Schulter, andre pflücken Früchte im Vorbeifahren von den Waldbäumen, die künstlich daran gebunden und aufgehängt waren. An der Bergecke des ansteigenden Weges steht ein hohler, aber noch grünender, von Kürbissen umrankter Baum, auf dem oben ein großes Faß halbversteckt liegt; aus einem Aste unten zapfen die Bauern roten Wein in Henkelkrüge und erfrischen die Dienerschaft: Jäger mit großen Koppeln Hunde, Fischer mit Netzen, Schalksnarren und Musikanten, die dem Zuge zu Fuß nachgefolgt sind. Unzählige Vögel durchschwärmen die Luft, das Schloß ist mit bunten Tauben bedeckt; aus dem Walde auf der andern Seite des Bildes drängen sich hochbejahrte Hirsche und flüchtige Rehe neugierig hervor, selbst das Elentier kommt herangeschaufelt und sieht mit langem Barte, wie ein alter Jude, aus dem Dickicht. Ganz neu scheint der Jubel in dieser wilden Gegend, in welche heute die Sonne in wunderbar prächtiger Strahlung lichtet; alles ist Ruhe und Fülle, die einzigen Wolken im Blau sind Zugvögel, alles ist unendlich belebt bis zu den kleinsten Winkeln, wo das Eichhörnlein seine Kleinen mit einer Nuß herauslockt und wo der Einsiedler unter wildem Weine mit seinem Löwen vor einem Kreuze knieet und den Ankommenden Glück des Himmels erfleht. Doch verweilet endlich [427] der Blick am liebsten auf der fernen, zwischen dem Schloß und dem Walde weit eröffneten, Welt. Wer erst in spätem Jahren zum erstenmal einen bedeutenden Berg erstiegen, kann nur die Überraschung dieses neuentdeckten Weltteils mitfühlen, diese ungeahndeten Weiten alle mit uns zu einem Leben verbunden; alle die seligen Inseln im Strome, der das ganze Land zu trennen scheint, auf denen Herden und Hirten von großblättrigem Grün fast versteckt sind; alle Städte, die sich wie Herden an dem Strome tränken; alle Mühlen und Brücken, die kleine Bäche, in ihrer Lust zum Strome herabzustürzen, umspannen und halten; alle Weinberge, denen der Strom Feuer anspiegelt und in den sie ihr Schattenbild senken; alle Glücklichen, die er in bunten Schiffen von beiden Ufern vereinigt; alles Glück dieser Welt ist da mit uns verbunden, auch wir, auch wir können dahin, auch zu uns strömt Leben aus den zackigen Urfesten der Erde, die das Ende der Welt begrenzen; daher strömt unsre Luft, daher schmilzt der Felsensaft aus den ewigen rötlichen Eisbehältern des Himmels, kühlend stürzt er in die glühenden Adern der Erde! Sei mir gesegnet als friedlich wallender Strom der Ebene, du ferner Rhein, an dem ich sonst Stunden in seliger Gedankenlosigkeit hingeschauet und meine Finger eingetaucht in deine heilige schauerliche Kühle und gesprochen zufällige gefällige Worte. Wie schweifen mir Gedanken und Blick so ungeduldig ab vom fröhlichen Zuge, als hätten sie etwas vergessen von der heitern Gegend, als war mir mein Eigentum noch versteckt? – Ich sehe Dich nicht dabei, mein Clemens, wie ich Dich sonst gesehen, die blaue Blume auf Deiner Gitarre, wie Du in fröhlichen Liedern zum erstenmal die Gegend mir ausgedeutet, klingend und singend zu den schwebenden Schäflein auf Himmelblau wie in die schwarze Tiefe bei Osteins Felsenburg, glänzend Deine Augen zum prasselnden Donner, zum brausenden Regen, der uns in alten Ritterburgen belagert hielt, spielend Deine Worte am warmen stillen Abende vor den Türen in Weinlauben am rauschenden Ufer, wenn Du den schönen Töchtern des Städtleins neue Melodien lehrtest für ihre alten Lieder von dem goldnen Hause auf Bergen. Waren wir nicht fromme Pilger nach Not Gottes, und hielten den singenden Engeln so treulich die Notenbücher, und doch mußten wir fortziehen, wir beide, auch Du, der Du so nahe geboren. Soll ich Deiner, mein Clemens, und des Rheins noch lange entbehren, nur einmal im [428] Jahre atme erinnernd in meine Brust diese Frische des ersten Eindrucks jener schönen Welt, der wie der kühlende Sternenwind des Abends von den Bergen herab, alles Bezwingende des Sommertages überwältigt. – Jetzt ruhig zu dem langsam feierlichen Zuge am Berge, keiner von allen schaut in die Ferne, jeder hat da sein befriedigtes Leben, seinen Genuß und Vergnügen, indem allesamt ein fröhlich Lied von dem künftigen Haushalte des Ritters und seiner Frau singen: