Sie sehnt sich, seinen Mund zu küssen

1
Du Allerschönster, den ich weiß,
Du meiner Augen Paradeis,
Du Süßer, dem ich mit Verlangen
Von Jugend auf bin nachgegangen,
[155]
Vergönne mir, daß ich dich küsse
Und deines Munds einmal genieße.
2
Es ist zwar viel, daß ich zu dir
Mich nahen darf mit der Begier.
Du aber hast mir selbst, mein Leben,
Zu dieser Kühnheit Ursach geben,
Weil du in meiner Menschheit Orden
Mein nächster Freund und Bruder worden.
3
Ich danke dir wohl, daß du mich
Hast angeblickt genädiglich
Und nach der Huld bei deinen Füßen
Die heilgen Hände lassen küssen.
Wirst du mich aber nicht erheben
Zum Mund, so hast du nichts gegeben.
4
Dein Mund, o Jesu, soll allein
Das Ende meiner Liebe sein.
Und ob sich zwar die Seraphinen,
Ihn zu berühren, nicht erkühnen,
Schätz ich doch mich dazu geboren,
Weil du mich hast zur Braut erkoren.
5
So laß mich denn nach diesem Bund
Erreichen deinen Rosenmund.
Erhebe mich, daß ich ihn küsse
Und seines Honigseims genieße,
Damit sich ende mein Verlangen,
Das mich von Jugend hat gefangen.

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