Die Abenteuer des Prinzen Ahmad und der Fee Peri-Banu
In alten Zeiten und längst entschwundenen Vergangenheiten lebte in Indien ein Sultan, der drei Söhne zeugte; der älteste hieß Prinz Husain, der zweite Prinz Ali, und der jüngste Prinz Ahmad; ferner hatte er eine Nichte namens Prinzessin Nur al-Nihar 1, die Tochter seines jüngeren Bruders, der jung gestorben war und sein einziges Kind in ihres Oheims Obhut gelassen hatte. Der König widmete sich mit großer Sorgfalt ihrem Unterricht, und er legte großen Wert darauf, daß man sie lesen und schreiben lehrte, nähen und sticken, singen und alle Instrumente der Lust und Heiterkeit zu spielen. Und diese Prinzessin übertraf alle Mädchen ihrer Zeit in allen Landen weit an Schönheit und Lieblichkeit. Sie wurde in aller Fröhlichkeit gemeinsam mit ihren Vettern, den Prinzen, auferzogen; sie aßen zusammen, spielten zusammen und schliefen zusammen. Der [234] König aber hatte in seiner Seele beschlossen, wenn sie das Alter erreicht haben würde, sie einem der benachbarten Könige zum Weibe zu geben; doch als sie die Jahre des Verstandes erreichte, merkte der König, daß seine Söhne, die drei Prinzen, sie alle leidenschaftlich liebten, und daß ein jeder von ihnen in seinem Herzen wünschte, sich um sie zu bewerben, sie zu gewinnen und zum Weibe zu nehmen. Das machte dem König schwere Sorge, und er sprach bei sich selber: ›Wenn ich die Herrin Nur al-Nihar einem ihrer Vettern zur Ehe gebe, so werden die beiden andern unzufrieden sein und wider meine Entscheidung murren. Doch meine Seele kann es nicht ertragen, sie bekümmert und enttäuscht zu sehn. Und wenn ich sie einem Fremden vermähle, so werden meine Söhne sich grämen und in ihrer Seele trauern; ja, wer weiß, ob sie sich nicht töten oder ausziehen und in ein fernes, fremdes Land gehn? Die Sache ist schwierig und gefährlich; drum geziemt es mir, ihrem Vater, so zu handeln, daß, wenn einer von ihnen sie zum Weibe erhält, die andern drob nicht unzufrieden sind.‹
Lange bedachte der Sultan die Sache in seiner Seele; und schließlich entwarf er einen Plan und ließ die drei Prinzen holen und sprach sie an und sagte: ›O meine Söhne, ihr tragt in meinen Augen gleiches Verdienst; und keinem von euch kann ich den Vorzug geben und ihn mit der Prinzessin Nur al-Nihar vermählen, noch auch steht es in meiner Macht, sie allen dreien zum Weibe zu geben. Doch ich habe mir einen Plan erdacht, so daß sie einem von euch gehören soll, ohne daß es seinen Brüdern Anlaß zu Ärgernis oder Neid geben kann. Dann bleibt eure brüderliche Liebe und Neigung unberührt, und keiner wird je eifersüchtig sein auf des andern Glück. Kurz, mein Plan ist dieser: geht und reist in ferne Länder, indem ihr euch voneinander trennt, und bringt mir heim das Wunderbarste und Erstaunlichste von allem, was ihr auf eurer Wanderschaft erblicken mögt; und wer mit der seltensten Seltenheit zu mir zurückkehrt, der soll der Prinzessin Nur al-Nihar Gatte werden. Stimmt meinem Vorschlag bei; und was ihr braucht an Geld für die Reise und für den Ankauf selten gesehener und sonderbarer Dinge, dessen nehmt aus dem königlichen Schatz, soviel ihr nötig habt.‹ Die drei Prinzen, [235] die sich ihrem Vater stets fügten, willigten einstimmig in diesen Vorschlag, und ein jeder war zufrieden und fest überzeugt, er werde dem König die wunderbarste Gabe bringen und so die Prinzessin zum Weibe gewinnen. Da befahl der Sultan, einem jeden, ohne zu zögern oder zu rechnen, an Geld zu geben, was er verlangte, und er riet ihnen, sich unverzüglich und unverweilt zur Reise zu rüsten, um im Frieden Allahs aufzubrechen. Sie aber verkleideten sich und zwar als wandernde Kaufleute, erstanden alles, was sie brauchten, nahmen ein jeder ihr Gefolge mit, bestiegen Rosse von reinstem Blut und ritten mitsammen zum Palast hinaus. Mehrere Tagereisen weit zogen sie dieselbe Straße dahin, bis sie eine Stelle erreichten, wo sich der Weg in drei verschiedene Pfade teilte. Dort stiegen sie ab in einem Khan und nahmen ihr Abendmahl ein. Dann schlossen sie ein Abkommen und einen Vertrag, daß sie mit Tagesanbruch, nachdem sie so weit gemeinsam gezogen waren, getrennte Wege einschlagen sollten und jeder die eigene Straße ziehen, so daß sie in ferne und verschiedene Länderstriche kämen; und sie kamen überein, nur ein Jahr lang unterwegs zu bleiben und sich dann, wenn sie noch im Lande der Lebenden weilten, in ebendieser Karawanserei zu treffen und gemeinsam heimzukehren zum König, ihrem Vater. Und ferner bestimmten sie, wer zuerst im Khan wieder einträfe, der sollte die Ankunft des nächsten erwarten, und dann sollten die beiden bleiben, bis der dritte käme. Und als all das gebührend verabredet war, zogen sie sich zur Nachtruhe zurück; und als der Morgen kam, fielen sie einander um den Hals und nahmen Abschied; und schließlich bestiegen sie ihre Pferde und ritten, ein jeder in seiner Richtung, davon.
Nun hatte der Prinz Husain, der älteste, oft von den Wundern des Landes Bischangarh gehört, und seit langem wünschte er es zu besuchen. Er schlug also den Weg ein, der dorthin führte, und er schloß sich einer Karawane an, die diese Straße zog, begleitete sie zu Wasser und zu Lande und durchquerte viele Gegenden, wüste Wildnisse und steinige Steppen, dichte Dschungel und fruchtbare Striche, Felder und Weiler, Gärten und Städte. Und schließlich, nach drei Monden der Wanderschaft, erreichte er Bischangarh, ein [236] Land, über das gar manche Herrscher herrschten, so groß war seine Ausdehnung und so weit reichte seine Macht. Er nahm Wohnung in einem Khan, der eigens für Kaufleute erbaut worden war, die aus den fernsten Ländern kamen; und von den Leuten, die dort abgestiegen waren, erfuhr er, daß die Stadt einen großen Hauptmarkt besäße, auf dem man allerlei Seltenheiten und wunderbare Dinge kaufte und verkaufte. Am nächsten Tage also begab Prinz Husain sich in diesen Basar, und als er ihn erblickte, da stand er staunend da ob seiner Länge und Breite. Er war in viele Straßen geteilt, die alle eingewölbt, doch durch Lukenfenster erleuchtet waren; und die Läden auf beiden Seiten waren fest gebaut, alle nach gleichem Muster und fast alle von gleicher Größe; und vor einem jeden war ein Zeltsegel ausgespannt, das die Sonnenglut abhielt und angenehmen Schatten spendete. In diesen Läden nun standen und lagen gereiht und geordnet mancherlei Waren: Ballen ›gewebter Luft‹, Linnen von feinstem Gewebe, weiß oder gefärbt oder mit lebenstreuen Mustern geziert, aus denen sich Tiere und Bäume und Blumen so deutlich abhoben, daß man sie für wirkliche Tiere, Büsche und Gärten hätte halten können. Und ferner sah man Seidenwaren, brokatene Stoffe und feinste Satins aus Persien und Ägypten in unendlichem Überfluß; und in den Porzellanläden standen jederlei Glasgefäße, und hier und dort erblickte man auch ein Lager, darin Wandgehänge und Tausende von Teppichen zum Verkauf auslagen.
Prinz Husain schritt von Laden zu Laden dahin, und er staunte sehr, so wunderbare Dinge zu sehen, von denen er sich nichts hatte träumen lassen; und schließlich kam er zur Goldschmiedgasse, und dort sah er Gemmen und Juwelen und Gold- und Silbergefäße, besetzt mit Diamanten und Rubinen, Smaragden, Perlen und anderen Edelsteinen, und alle glänzten und strahlten so blendendes Licht, daß die Läden erleuchtet waren von ihren wunderbaren Strahlen. Sprach er bei sich selber: ›Wenn schon in einer einzigen Straße ein solcher Reichtum zu finden ist und so seltene Juwelen, so weiß nur Allah, der Allmächtige, und außer ihm keiner, wie viel Reichtum in der Stadt sein mag.‹ Und nicht weniger staunte er ob der [237] Brahminen 2, deren Frauen sich im Übermaß ihres Reichtums mit den schönsten Edelsteinen ganz bedeckten und gekleidet waren von Kopf bis zu Fuß in die reichsten Gewänder; selbst ihre Sklavenknaben und Sklavinnen trugen goldene Hals- und Armbänder und Spangen, besetzt mit kostbaren Steinen. Eine der Marktstraßen standen in langer Reihe Scharen von Blumenhändlern entlang; denn alles Volk, hoch und niedrig, trug Kränze und Girlanden; einige hielten Sträuße in der Hand, andere banden sich Gewinde um die Stirn, und nicht wenige trugen Blumenseile und Gehänge um den Hals. Die ganze Straße sah aus wie ein einziges riesiges Blumenbeet; und selbst die Händler setzten Sträuße in jeden Laden und jede Bude, und die Luft war schwer vom Duft der Blumen.
Prinz Husain schlenderte hin und her, und schließlich wurde er müde, und gern hätte er sich ein wenig gesetzt, um auszuruhen; und einer der Kaufleute sah seinen müden Ausdruck und bat ihn mit freundlicher Höflichkeit, sich in seinem Laden zu setzen. Der Fremdling grüßte ihn mit dem Salam und setzte sich; und alsbald sah er einen Makler, der des Weges kam; er bot einen Teppich aus, vier Ellen im Geviert, und rief: ›Der Teppich steht feil; wer zahlt seinen Preis: dreißigtausend Dinare?‹ Da staunte der Prinz in höchstem Staunen, winkte dem Makler und prüfte seine Ware; dann sprach er: ›Ein solcher Teppich gilt einige Silberlinge. Besitzt er eine besondere Kraft, daß du die Summe von dreißigtausend Goldstücken dafür verlangst?‹ Und der Makler, der den Prinzen für einen Kaufmann hielt, der erst kürzlich in Bischangarh eingetroffen war, erwiderte und sprach: ›O mein Herr, meinst du, ich setze den Preis für diesen Teppich allzu hoch an? Mein Herr hat mir befohlen, ihn nicht unter vierzigtausend Goldstücken zu verkaufen.‹ Sprach der Prinz: ›Gewiß besitzt er irgendeine Wunderkraft, sonst würdest du keine so fabelhafte Summe für ihn verlangen‹; und der Makler versetzte: ›Allerdings, o mein Herr, sind seine Eigenschaften erstaunlich und wunderbar. Wer immer auf diesem Teppich sitzt und in Gedanken den Willen ausspricht, aufgehoben und an einer andern Stelle niedergesetzt zu werden, der ist im Augenblick dort, einerlei, ob der[238] Ort in der Nähe ist oder viele Tagereisen entfernt oder schwer zu erreichen.‹ Als nun der Prinz diese Worte hörte, da sprach er bei sich selber: ›So Wunderseltenes wie diesen Teppich kann ich sonst meinem Vater nicht mitbringen, und nichts auch, was ihm größere Freude oder Genugtuung bereiten könnte. Preis sei Allah, dem Allmächtigen, das Ziel meiner Reise ist erreicht, und hiermit will ich, Inschallah, die Erfüllung meiner Wünsche erlangen. Dies wird ihm, wenn irgend etwas, ewige Freude machen.‹ Und also wandte der Prinz sich mit der Absicht, den fliegenden Teppich zu kaufen, dem Makler zu und sprach: ›Wenn er wirklich die Eigenschaften hat, die du schilderst, so ist wahrlich der Preis, den du forderst, nicht zu hoch, und ich bin bereit, die verlangte Summe zu zahlen.‹ Versetzte der andere: ›Wenn du an meinen Worten zweifelst, so bitte ich, stelle sie auf die Probe und tilge durch einen Versuch den Verdacht. Setze dich jetzt auf das Teppichviereck, und auf deinen bloßen Wunsch und Willen wird es uns in den Khan versetzen, den du bewohnst; auf diese Weise kannst du dich von der Wahrheit meiner Worte überzeugen; und nachdem du sie als wahr erkannt hast, sollst du mir dort, doch nicht eher, den Preis meiner Ware zahlen.‹ Und der Makler breitete den Teppich hinter dem Laden auf dem Boden aus, und als der Prinz sich darauf gesetzt hatte, setzte er sich ihm zur Seite. Und plötzlich wurden die beiden auf den bloßen Wunsch und Willen des Prinzen Husain in den Khan entrückt, als trüge sie Salomos Thron. Des freute der älteste der Brüder sich in höchster Freude, dieweil er etwas so Seltenes gefunden hatte, dessengleichen in allen Landen und unter den Königen nicht zu finden war; und Herz und Seele wurden ihm froh, daß er nach Bischangarh gekommen und einem solchen Wunder begegnet war.
Er zahlte also die vierzigtausend Goldstücke als Preis des Teppichs, und obendrein gab er dem Makler noch zwanzigtausend als Geschenk. Und immerfort sagte er sich, der König werde ihn, wenn er den Teppich sähe, alsbald mit der Prinzessin Nur al-Nihar vermählen, denn es sei ganz unmöglich, daß einer seiner Brüder, und durchsuchte er die weite Welt, eine Seltenheit finden könnte, die sich mit dieser vergleichen ließe. Es verlangte ihn, sich flugs auf den [239] Teppich zu setzen und in seine Heimat zu fliegen, oder wenigstens im Khan seiner Brüder zu harren, dort, wo sie sich unter dem Versprechen und dem Vertrag getrennt hatten, am Jahresende wieder einzutreffen. Aber dann überlegte er sich, daß ihm die Zeit lang und langweilig werden würde, und er fürchtete sehr, ihn könne die Versuchung anwandeln, einen übereilten Schritt zu tun; daher beschloß er denn, in dem Lande zu bleiben, zumal er sich manchen Tag hindurch danach gesehnt hatte, seinen König und dessen Untertanen kennen zu lernen; und er entschied sich dafür, die Zeit damit hinzubringen, daß er sich alles Sehenswerte ansah und Ausflüge machte in die benachbarten Länder. Und also blieb Prinz Husain ein paar Monate in Bischangarh. Nun war der König des Landes gewohnt, einmal in jeder Woche Hof zu halten, um Streitigkeiten anzuhören und Fälle zu schlichten, die fremde Kaufleute betrafen; und so sah der Prinz den König oft, aber niemandem sagte er ein Wort von seinem Abenteuer. Doch da er von stattlicher Erscheinung war, von anmutigem Gang und höflicher Rede, beherzt und stark, weise, bedacht und witzig, so hielt ihn das Volk in höheren Ehren als den Sultan selber, von seinen Genossen, den Kaufleuten, ganz zu schweigen; und mit der Zeit wurde er bei Hofe zum Günstling, und er erfuhr von dem Herrscher selber alles, was sein Reich und seine Pracht und Größe anging. Und der Prinz besuchte auch die berühmten Pagoden des Landes. Die erste, die er sah, war aus Messing und Bronze von feinster Arbeit. Die innere Zelle maß drei Ellen im Geviert, und in ihrer Mitte stand ein goldenes Bild, an Gestalt und Statur einem Manne von wunderbarer Schönheit gleich; und so kunstvoll war die Arbeit, daß es war, als hefte das Gesicht seine Augen, zwei Rubinen von ungeheurem Wert, auf jeden Beschauer, einerlei, wo immer er stände. Und ferner sah er einen Götzentempel, nicht minder wunderbar und selten, der war erbaut auf einer ebenen Fläche in einem Dorfe, die in Länge und Breite einen halben Acker maß; und auf ihr blühten liebliche Rosenbäume, Jasmin, Basilienkraut und viele andere süßduftende Pflanzen, deren Geruch die Luft schwer machte mit seinem Duft. Rings um den Hof aber lief eine Mauer, drei Fuß hoch, so daß sich kein Tier hineinverirren konnte; und in [240] der Mitte stand eine Terrasse von nahezu Manneshöhe, ganz aus weißem Marmor und gewelltem Alabaster, und jede und jegliche Platte war so fein poliert und mit so genauer Fügung gefügt, daß das ganze Pflaster, obwohl es einen so großen Raum einnahm, aussah wie ein einziger Stein. Und in der Mitte wiederum stand das gewölbte Heiligtum, das sich fünfzig Ellen hoch emporhob und auf viele Meilen in der Runde sichtbar war; dreißig Ellen war es lang und zwanzig breit, und der rote Marmor der Verkleidung war blank poliert wie ein Spiegel, so daß sich ein jedes Ding darin getreu abspiegelte. Die Kuppel war herrlich gemeißelt und außen prunkvoll verziert. Und drinnen standen in gebührender Ordnung und Folge Reihen und Reihen von Götzenbildern. Hierher, in dieses Allerheiligste, drängten sich vom Morgen bis zum Abend Tausende von Brahminen, Männer wie Frauen, um anzubeten. Und es gab dort auch Spiele und Lustbarkeiten, genau wie den Dienst der Götter und die Zermonien; manche schmausten, und andere tanzten, einige sangen, andere spielten auf Musikinstrumenten, und hier und dort fanden auch Spiele, Gelage und unschuldige Vergnügungen statt. Und hierher strömten auch zu jeder Jahreszeit aus fernen Ländern Scharen von Pilgern, die ihre Gelübde erfüllen und ihre Gebete verrichten wollten; und alle brachten Gaben an Gold und Silbergeld mit und Geschenke, selten und kostbar, die sie in Gegenwart der königlichen Beamten den Göttern darbrachten. Prinz Husain aber sah auch ein Fest, das nur einmal im Jahre in der Stadt Bischangarh gefeiert wurde; da kamen die Lehnsbauern alle, groß und klein, zusammen und zogen um die Pagoden, vor allem aber um eine, die an Größe und Pracht alle andern übertraf. Große und gelehrte Panditen, die in den Schastras 3 bewandert waren, machten Reisen von vier oder fünf Monaten und begrüßten einander bei diesem Fest. Und von allen Gegenden Indiens pilgerten die Leute in solchen Scharen hierher, daß Prinz Husain erstaunte ob des Anblicks; und da sich so viele Menschen um die Tempel drängten, konnte er nicht sehen, in welcher Art die Götter angebetet wurden. Auf der einen Seite der benachbarten Ebene, die sich weit und breit erstreckte, [241] stand ein neu errichteter Bau, von riesiger Größe und großer Pracht, neun Stockwerke hoch, und unten wurde er gestützt von vierzig Pfeilern; und hier versammelte der König einmal in jeder Woche seine Veziere, um den Fremden allen im Lande Recht auszuteilen. Drinnen war der Palast reich geschmückt und mit kostbarer Einrichtung versehen; draußen waren auf den Wandflächen heimische Landschaften dargestellt, Szenen aus fernen Gegenden, und vor allem allerlei Tiere und Vögel und sogar Insekten, Mücken und Fliegen, die mit solchem Wissen und Können abgebildet waren, daß sie wie wirklich und lebendig waren, und daß die Bauern, wenn sie von fern die gemalten Löwen und Tiger und andern reißenden Tiere erblickten, von Scheu und Grauen ergriffen wurden. Auf den drei andern Seiten des Baus standen Pavillons, gleichfalls aus Holz, zur Benutzung der Untertanen, die waren innen und außen bemalt und geschmückt wie der erste, und sie waren so kunstvoll erbaut, daß man sie mit allem Volk darin umdrehen und sie fortbewegen konnte, wohin man wollte. So konnte man diese riesigen Bauwerke mit Hilfe von Maschinen fortschaffen; und die Leute, die sich darin befanden, konnten nacheinander einer Folge von Spielen und Lustbarkeiten zuschauen. Und ferner standen auf jeder Seite des Vierecks Elefanten in Reihen, der Zahl nach nahe an tausend; deren Rüssel und Ohren und Hinterteile waren mit Zinnober bemalt und mit allerlei lebendigen Figuren geschmückt; ihre Decken waren aus Goldbrokat und ihre Sättel mit Silber gestickt; und sie trugen Bänkelsänger, die allerlei Instrumente spielten, während Possenreißer die Menge mit ihren Scherzen belustigten und Schauspieler ihre unterhaltsamsten Rollen spielten. Von allem jedoch, was der Prinz erblickte, ergötzte ihn die Elefantenvorstellung am meisten, und sie erfüllte ihn auch mit der größten Bewunderung. Ein riesiges Tier, das nach allen Seiten hin gedreht werden konnte, wie die Wärter es wollten (denn seine Füße standen auf einem Ständer, der auf Rollen lief), hielt im Rüssel eine Oktavflöte, auf der es so wunderbar spielte, daß alles Volk gern ›Bravo!‹ gerufen hätte. Ein anderes, aber kleineres Tier stand auf dem einen Ende eines Balkens, der quer über einen acht Ellen hohen Holzblock gelegt und mit Angeln daran befestigt [242] war; und am anderen Ende hing ein eisernes Gewicht von gleicher Schwere, und der Elefant drückte dann so lange auf den Balken, bis sein Ende den Boden berührte, worauf ihn das Gewicht wieder hob. So schwang der Balken wie eine Schaukel auf und ab; und im Rhythmus seiner Bewegung und der begleitenden Musik schwankte der Elefant, laut trompetend, hin und her. Und obendrein durfte das Volk sich um diesen Elefanten, wie er balancierend auf dem Balken stand, herumfahren lassen; und solche Vorführungen gelehriger Elefanten geschahen meistens in Gegenwart des Königs. Prinz Husain verbrachte fast ein Jahr damit, sich auf den Märkten und Festen von Bischangarh alles Sehenswerte anzusehen; und als die Zeit der Verabredung mit seinen Brüdern nahte, da breitete er hinter dem Khan, in dem er wohnte, auf dem Hofe seinen Teppich aus, setzte sich mit seinem Gefolge und mit den Rossen und allem, was er mitgebracht hatte, darauf, und wünschte im Geist, in die Karawanserei entrückt zu werden, in der die drei Brüder sich zu treffen übereingekommen waren. Kaum aber hatte er den Gedanken gefaßt, so erhob sich im Nu der Teppich hoch in die Luft und jagte dahin durch den Raum und trug sie zu der verabredeten Stelle, wo er nun, immer noch als Kaufmann gewandet, der Ankunft seiner Brüder harrte.
Jetzt nun sei auch berichtet, was dem Prinzen Ali widerfuhr, dem zweiten Bruder des Prinzen Husain. Am dritten Tage nach seiner Trennung von den beiden andern, schloß auch er sich einer Karawane an und reiste mit ihr nach Persien. Und als sie nach einer Wanderung von vier Monden in Schiras ankamen, der Hauptstadt des Iran, stieg er ab in einem Khan mit all seinen Gefährten, mit denen er sich befreundet hatte; und er schlug dort mit ihnen seine Wohnung auf, indem er sich als Juwelier ausgab. Am nächsten Tage zogen die Händler hinaus, um ihre Waren zu verkaufen und andere zu kaufen; Prinz Ali aber, der nichts mitgebracht hatte, was er verkaufen konnte, sondern nur, was er brauchte, legte alsbald das Reisekleid ab und betrat mit einem Gefährten von der Karawane den Hauptbasar, der da bekannt ist als der Basistan oder Tuchmarkt. Ali schlenderte dort umher, und der Basar war aus Ziegeln erbaut, [243] und alle Läden hatten gewölbte Dächer, die auf schönen Säulen ruhten; und er staunte sehr, als er die prachtvollen Lagerhäuser sah, die allerlei Waren von unermeßlichem Wert zum Verkauf darboten. Er fragte sich verwundert, welch ein ungeheurer Reichtum in der Stadt sein müsse, wenn eine einzige Marktstraße schon solche Schätze bärge. Und als die Händler einhergingen und ihre Waren ausriefen zum Verkauf, da sah er einen, der hielt in der Hand ein elfenbeinernes Rohr von etwa einer Elle Länge, das er um den Preis von dreißigtausend Dinaren zum Verkauf ausbot. Als Prinz Ali eine solche Forderung hörte, dachte er bei sich selber: ›Sicherlich ist dieser Mensch ein Narr, daß er einen solchen Preis für eine solche Armseligkeit verlangt!‹ Und er fragte einen der Ladenbesitzer, mit dem er Bekanntschaft geschlossen hatte: ›O mein Freund, ist dieser Mensch ein Irrer, daß er die Summe von dreißtausend Dinaren für dieses kleine Elfenbeinrohr verlangt? Wahrlich, nur ein Dummkopf würde ihm den Preis dafür zahlen und einen solchen Schatz Geldes dafür verschwenden.‹ Sprach der Ladenbesitzer: ›O mein Herr, dieser Makler ist klüger und gewitzigter als all die andern seines Berufs, und durch ihn habe ich Waren verkauft, die Tausende von Dinaren wert waren. Bis gestern war er noch bei Verstande; doch ich weiß nicht, wie es heute mit ihm steht, und ob er vielleicht irr wurde oder nicht. Ich weiß nur eins: wenn er für dies Elfenbeinrohr dreißigtausend Dinare verlangt, so ist es den Preis, und selbst einen höheren wert. Wir werden es aber mit eigenen Augen sehen. Setz dich hierher und ruhe dich im Laden aus, bis er des Weges kommt.‹ Da nahm Prinz Ali Platz, wie man ihn einlud, und bald sah man den Makler die Straße herauf nahen. Rief der Besitzer des Ladens ihm zu und sprach: ›O Mann, jene kleine Röhre hat eine seltene Kraft, denn alles Volk hört mit Staunen, welch einen hohen Preis du für sie verlangst; ja, dieser mein Freund hält dich gar für irre.‹ Der Makler war ein verständiger Mann, und so ärgerte er sich durchaus nicht über diese Worte, sondern er erwiderte mit artiger Rede: ›O mein Herr, ich zweifle nicht daran, daß du mich für einen Irren halten mußt, wenn ich für eine so geringe Ware einen so hohen Preis verlange und so großen Wert auf sie lege; aber wenn ich dir ihre Eigenschaften [244] und Kräfte vermeldet habe, so wirst du sie nur zu gern für einen solchen Preis erstehen. Nicht du allein, alle, die meinen Ruf vernommen haben, lachen über mich und nennen mich einen Narren.‹ Mit diesen Worten zeigte der Makler dem Prinzen Ali das Fernrohr, reichte es ihm und sprach: ›Sieh dir dies Elfenbein gut an; ich will dir seine Eigenschaften auseinandersetzen. Du siehst, es ist auf beiden Seiten mit einem Stück Glas versehen, und wenn du das eine Ende an dein Auge hältst, so wirst du sehen, was immer du sehen willst, und es wird dicht vor dir erscheinen, sei es auch Hunderte von Meilen entfernt.‹ Versetzte der Prinz: ›Das geht über alles Verständnis hinaus, und ich kann es nicht für Wahrheit halten, bis ich es erprobt habe und mich überzeuge, daß es ist, wie du sagst.‹ Da legte der Makler das kleine Rohr in Alis Hand, zeigte ihm, wie er es handhaben müßte, und sprach: ›Was du auch zu erblicken wünschen magst, das wird sich dir zeigen, wenn du durch dies Elfenbein spähst.‹ Stillschweigend wünschte Prinz Ali sich, seinen Vater zu sehen; und als er das Rohr dicht ans Auge hielt, sah er ihn alsbald gesund und wohlbehalten, wie er auf seinem Throne saß und Recht sprach unter dem Volke seines Herrschaftsgebietes. Da verlangte es den Jüngling mit heißem Verlangen, seine Geliebte zu erblicken, die Prinzessin Nur al-Nihar; und alsbald sah er sie schon, wie sie gesund und wohl auf ihrem Bette saß und plauderte und lachte, während eine Schar von Sklavinnen rings um sie stand und ihrer Befehle harrte. Der Prinz erstaunte in höchstem Staunen, als er dies seltsame und wunderbare Schauspiel sah, und er sprach bei sich selbst: ›Und wenn ich die ganze Welt durchwanderte, zehn Jahre lang oder noch länger, und in jedem Winkel und jeder Ritze suchte, nie fände ich etwas gleich Seltenes oder Kostbares wie dieses Rohr.‹ Sprach er zu dem Makler: ›Ich sehe, die Kräfte deines Rohrs sind wirklich die, die du schildertest, und gern will ich dir den Preis entrichten, dreißigtausend Dinare.‹ Erwiderte der Verkäufer: ›O mein Herr, mein Gebieter hat einen Eid geschworen, daß er sich nicht für weniger als vierzigtausend Goldstücke davon trennen will.‹ Da nun der Prinz einsah, daß der Makler ein ehrlicher und gerechter Mann war, so wog er ihm die vierzigtausend Dinare ab, und so wurde er[245] zum Herrn des Fernrohrs, entzückt ob des Gedankens, daß es seinen Vater zufriedenstellen und ihm die Hand der Prinzessin Nur al-Nihar gewinnen würde. Und ruhigen Sinnes reiste Ali durch Schiras und durch die verschiedenen Gegenden Persiens; und dann wanderte er zurück nach Indien und erreichte gesund und wohlbehalten die Karawanserei, in der Prinz Husain schon eingetroffen war. Dort blieben die beiden und harrten der wohlbehaltenen Rückkehr des dritten Bruders.
Solches ist die Geschichte der beiden Brüder; und jetzt neige dein Ohr und lausche dem, was dem jüngsten der Brüder, dem Prinzen Ahmad, widerfuhr; denn wahrlich, es ist das Fremdeste und Seltenste von allen. Als er sich von seinen Brüdern getrennt hatte, schlug er die Straße ein, die da führte nach Samarkand; und als er nach langer Reise dort eintraf, nahm er gleich seinen Brüdern Wohnung in einem Khan. Gleich am nächsten Tage aber zog er aus, um sich den Marktplatz anzusehen, den das Volk dort den Basistan nennt; und er sah, daß er schön angelegt war, und die Läden waren mit kunstvoller Arbeit erbaut und gefüllt mit seltenen Stoffen und wertvollen Gütern und kostbaren Waren. Als er nun dort hin und wider wanderte, traf er auf einen Makler, der einen magischen Apfel feilbot und laut dazu rief: ›Wer will diese Frucht kaufen, deren Preis sich auf fünfunddreißigtausend Goldstücke beläuft?‹ Sprach Prinz Ahmad zu dem Manne: ›Bitte, laß mich die Frucht ansehen, die du in der Hand hältst, und erkläre mir, welche verborgene Kraft sie besitzt, daß du einen so hohen Preis dafür forderst?‹ Sprach lächelnd der andere, indem er ihm den Apfel reichte: ›Staune nicht, o mein guter Herr; wahrlich, ich bin gewiß, wenn ich dir ihre Eigenschaften auseinandergesetzt habe, und wenn du siehst, wie sehr sie aller Menschheit hilft, so wirst du meine Forderung nicht mehr für übertrieben halten; ja, du wirst mit Freuden ein Schatzhaus Goldes dafür geben, wenn du es besitzest.‹ Und er fuhr fort: ›Jetzt höre mich an, o mein Herr, und ich will dir sagen, welche Kraft in diesem künstlichen Apfel ruht. Wenn einer krank ist, und sei seine Krankheit die allerärgste, ja, sei er dem Tode schon ganz nahe, und wenn er dann an diesem Apfel riecht, so wird er sich alsbald erholen [246] und gesund werden und frei von jeglicher Krankheit, ob die Pest ihn plagte oder die Entzündung des Brustfells, das Fieber oder ein anderes bösartiges Leiden; und er wird sein, als sei er nie krank gewesen, und seine Kraft wird ihm alsbald zurückkehren; und nachdem er an dieser Frucht gerochen hat, wird er frei sein von jedem Leiden und jeder Krankheit, solange ihm das Leben bleibt.‹ Sprach Prinz Ahmad: ›Wie soll ich mich überzeugen, daß da Wahrheit ist, was du mir sagest? Wenn es ist, wie du behauptest, so will ich dir mit Freuden die verlangte Summe geben.‹ Sprach der Händler: ›O mein Herr, alles Volk, das in den Gegenden rings um Samarkand herum wohnt, weiß noch recht gut, daß einst in dieser Stadt ein Weiser lebte von wunderbarer Geschicklichkeit; und der hat nach vielen Jahren der Mühsal und Beschwerde diesen Apfel hergestellt, indem er zahllose Säfte von Kräutern mit Mineralien mischte. Seinen ganzen Besitz, und der war beträchtlich, gab er dafür aus; und als er den Apfel fertig hatte, da heilte er Tausende von Kranken, die er nur an ihm riechen ließ. Aber ach, er fand ein plötzliches Ende, und der Tod überraschte ihn jählings, ehe er sich durch den wunderbaren Geruch erretten konnte; und da er keinen Reichtum gewonnen hatte und nur eine beraubte Witwe hinterließ, eine große Schar junger Kinder und viele Diener, so bleibt seiner Witwe nichts anderes übrig, als sich von diesem Wunder zu trennen, damit sie das tägliche Brot für sie gewinne.‹ Und während der Makler dem Prinzen seine Geschichte erzählte, sammelte sich rings um ihn eine Schar von Bewohnern der Stadt; und einer aus dem Volke, der dem Makler wohlbekannt war, trat hervor und sprach: ›Ein Freund von mir liegt zu Hause krank auf den Tod; die Ärzte und Chirurgen alle verzweifeln an seinem Leben; ich aber flehe dich an, laß ihn an diesem Apfel riechen, damit er lebe.‹ Als Prinz Ahmad diese Worte vernahm, wandte er sich zu dem Verkäufer und sprach: ›O mein Freund, wenn dieser Kranke, von dem du hörst, zu Kräften kommt, indem er an dem Apfel riecht, so will ich ihn gleich um den Preis von vierzigtausend Dinaren erstehen.‹ Der Makler hatte nun Vollmacht, die Frucht für fünfunddreißigtausend Goldstücke zu verkaufen; und mit einem Maklerlohn von fünftausend war er zufrieden. Sprach [247] er: ›Gut, o mein Herr, jetzt kannst du die Kräfte des Apfels erproben und deine Seele überzeugen; Hunderte von Leidenden habe ich mit ihm geheilt.‹ Da begleitete der Prinz die Leute zum Hause des Kranken, und er fand ihn auf seinem Bette liegend, den letzten Hauch auf den Lippen; aber sowie der Sterbende die Frucht roch, kehrte ihm sofort die Kraft zurück, und vollkommen gesundet, munter und wohlauf erhob er sich vom Lager. Als er das sah, kaufte Ahmad den Apfel und zahlte dem Makler die vierzigtausend Dinare. Und als er das Ziel seiner Reise in Händen hielt, beschloß er, sich einer Karawane anzuschließen, die nach Indien zog, und in seines Vaters Haus zurückzukehren; bis dahin aber wollte er sich an den Sehenswürdigkeiten und Wundern Samarkands vergnügen. Besondere Freude machte es ihm, auf die glorreiche Ebene hinauszuschauen, die da Soghd heißt und eines der Wunder der Welt ist. Das Land auf allen Seiten war ein Labsal für das Gesicht: smaragdgrün und licht, und wie des Paradieses Gelände durchströmt von kristallenen Bächen; die Gärten trugen allerlei Blumen und Früchte, und die Städte und Paläste erfreuten das Auge des Fremden. Nach einigen Tagen aber schloß Prinz Ahmad sich einer Karawane von Kaufleuten an, die nach Indien zogen; und als seine lange und langwierige Reise zu Ende war, erreichte er schließlich die Karawanserei, wo seine beiden Brüder Husain und Ali, ungeduldig seiner Rückkehr harrten. Sie freuten sich alle drei in höchster Freude, als sie sich wiedersahen, und fielen sich um den Hals; und sie dankten Allah, der ihnen wohlbehaltene Heimkehr beschieden hatte nach so langer und langwieriger Trennung. Dann wandte Prinz Husain, als der älteste, sich zu den beiden andern und sprach: ›Jetzt geziemt es uns, ein jeder zu erzählen, was ihm widerfahren ist, und zu vermelden, welche Seltenheit er mitbringt, und welches ihre Kräfte sind. Und da ich der Erstgeborene bin, so will ich auch als erster meine Abenteuer berichten. Ich bringe mit mir aus Bischangarh einen Teppich, wertlos dem Anschein nach, doch sind seine Kräfte solcher Art, daß, wer sich darauf setzt und im Geiste den Wunsch ausspricht, ein Land oder eine Stadt zu besuchen, sofort in Sicherheit und Behaglichkeit dorthin entrückt wird, wäre die Reise auch monde-, ja, jahrelang. [248] Ich habe vierzigtausend Goldstücke als seinen Preis bezahlt; und nachdem ich alle Wunder des Landes Bischangarh gesehen hatte, setzte ich mich auf meinen Kauf und verlangte, an diese Stelle getragen zu werden. Flugs war ich hier, wie ich es wünschte, und jetzt harre ich seit drei Monaten in diesem Khan eurer Ankunft. Den fliegenden Teppich habe ich bei mir; also möge jeder, der Lust hat, ihn erproben.‹ Als nun der älteste Prinz seine Erzählung beendet hatte, hub Prinz Ali an und sprach: ›O mein Bruder, dieser Teppich, den du mitgebracht hast, ist wunderselten, und er hat erstaunliche Gaben; und nach dem, was du berichtest, hat in der Welt noch niemand etwas gesehen, was sich mit ihm vergleichen ließe.‹ Und er zog das Fernrohr hervor und fuhr fort: ›Seht her! Auch ich habe für vierzigtausend Dinare etwas erstanden, dessen Eigenschaften ich euch jetzt erklären will. Seht ihr dies Rohr aus Elfenbein? Mit seiner Hilfe kann der Mensch Dinge erblicken, die seinen Augen verborgen waren und die viele Meilen entfernt sind. Es ist wahrlich höchst wunderbar und wert, daß ihr es prüft; und ihr beide könnt es erproben, wenn ihr wollt. Legt nur das eine Auge dicht an das kleinere Glas und sprecht im Geist einen Wunsch aus, zu sehen, was immer eure Seele zu sehen begehrt; und ob es nun nah ist oder viele Hunderte von Meilen fern, dies Elfenbein wird es euch deutlich nahe rücken.‹ Bei diesen Worten nahm Prinz Husain dem Prinzen Ali das Rohr aus der Hand, und als er das eine Ende, wie ihm gesagt worden war, dicht an das Auge hielt, sprach er im Herzen den Wunsch aus, die Prinzessin Nur al-Nihar zu erblicken; und die beiden Brüder beobachteten ihn, um zu sehen, was er sagen werde. Plötzlich aber sahen sie, wie er die Farbe wechselte und der verwelkten Blume gleich zusammenschrumpfte, während ihm in seiner Erregung und seinem Kummer eine Flut von Tränen aus den Augen strömte; und ehe noch seine Brüder sich von ihrem Staunen erholten und fragen konnten, welches der Grund dieses seltsamen Verhaltens sei, rief er laut aus: ›Ach und wehe! Wir haben Mühsal und Beschwerde erduldet, und wir sind so weit gewandert in der Hoffnung, die Prinzessin Nur al-Nihar zu gewinnen. Doch es ist alles vergebens; ich sah sie todkrank auf ihrem Bette liegen, als müsse sie den Geist aufgeben, [249] und rings um sie standen ihre Frauen, und alle weinten und klagten in schwerstem Schmerz. O meine Brüder, wenn ihr sie noch zum letztenmal erblicken wollt, so werft durch das Rohr einen einzigen Blick, bevor sie nicht mehr ist.‹ Da griff Prinz Ali nach dem Fernrohr und spähte hindurch, und er sah die Prinzessin, wie sein Bruder sie geschildert hatte; und er reichte das Rohr dem Prinzen Ahmad, der auch hindurchsah und sich überzeugte, daß die Prinzessin Nur al-Nihar im Begriff wäre, den Geist aufzugeben. Und also sprach er zu seinen älteren Brüdern: ›Wir sind alle drei gleich verstört aus Liebe zu der Prinzessin, und es ist eines jeden sehnlichster Wunsch, sie sich zu gewinnen. Ihr Leben flieht, und doch kann ich sie retten und gesund machen, wenn wir unverzüglich zu ihr eilen.‹ Mit diesen Worten zog er den magischen Apfel aus der Tasche und zeigte ihn ihnen, indem er rief: ›Dies hier ist nicht geringer an Wert als der fliegende Teppich oder das Fernrohr. Ich habe es in Samarkand für vierzigtausend Goldstücke erstanden, und dies ist die beste Gelegenheit, seine Kräfte zu erproben. Man sagte mir, wenn ein Kranker den Apfel an die Nase hält, und liege er auch in den letzten Zügen, so würde er alsbald gesund und wohl; ich habe ihn selbst schon erprobt, und jetzt sollt ihr die Wunderkur erleben, wenn ich die Frucht wider Nur al-Nihars Leiden benutze. Nur laßt uns zu ihr eilen, bevor sie stirbt.‹ Sprach Prinz Husain: ›Das ist ein leichtes; mein Teppich wird uns im Nu an die Seite des Bettes unsrer Geliebten bringen. Setzt ihr euch unverweilt mit mir darauf, denn es ist Raum genug für uns drei; wir werden im Augenblick dorthin getragen werden, und unsre Diener können uns folgen.‹ Da setzten die drei Prinzen sich auf den fliegenden Teppich, und ein jeder wünschte im Geiste, neben dem Bette Nur al-Nihars zu stehen. Im Nu waren sie in ihrem Gemach, und die Sklavinnen und Eunuchen, die sie bedienten, entsetzten sich ob des Anblicks und staunten, wie diese Fremden hätten ins Zimmer treten können; und als die Eunuchen eben, das Schwert in der Hand, auf sie eindringen wollten, erkannten sie die Prinzen und wichen zurück, noch immer staunend ob ihres Erscheinens. Die Brüder aber erhoben sich rasch von dem fliegenden Teppich, und Prinz Ahmad trat vor und hielt der Prinzessin den [250] Zauberapfel an die Nase, denn bewußtlos lag sie auf dem Lager ausgestreckt. Und als der Geruch ihr ins Gehirn drang, fiel die Krankheit von ihr ab, und die Heilung war gleich vollkommen. Weit schlug sie die Augen auf, und sie setzte sich aufrecht auf ihr Bett und blickte sich um, und besonders sah sie die Prinzen an, die vor ihr standen; denn sie fühlte, daß sie wohl und munter war, als sei sie eben aus dem süßesten Schlummer erwacht. Und sie stand auf von ihrem Lager und befahl ihren Kammerfrauen, sie anzukleiden, während sie ihr erzählten, wie plötzlich die Prinzen erschienen waren, die Söhne ihres Oheims, und wie Prinz Ahmad ihr etwas zu riechen gegeben hatte, wodurch sie von ihrer Krankheit geheilt worden sei. Und als sie die Waschung der Genesung vorgenommen hatte, freute sie sich in höchster Freude des Anblicks der Prinzen, und sie dankte ihnen, besonders aber dem Prinzen Ahmad, dieweil doch er sie der Gesundheit und dem Leben zurückgegeben hatte. Und auch die Brüder freuten sich in höchster Freude, als sie die Prinzessin Nur al-Nihar so plötzlich aus tödlicher Krankheit aufstehen sahen. Dann nahmen sie Abschied von ihr und gingen davon, um ihren Vater zu begrüßen. Inzwischen aber hatten die Eunuchen dem Sultan schon alles berichtet; und als die Prinzen vor ihn traten, stand er auf und umarmte sie zärtlich und küßte sie auf die Stirn, und ihn erfüllte Freude, daß er sie wiedersah und durch sie von dem Wohlergehen der Prinzessin hörte, die ihm teuer war als wie seine eigene Tochter. Und ein jeder der Brüder zog das wunderbare Ding hervor, das er von seiner Wanderschaft heimgebracht hatte. Zunächst zeigte Prinz Husain den fliegenden Teppich, der sie im Nu aus ferner Verbannung nach Hause getragen hatte, und sprach: ›Nach seinem äußeren Anschein hat dieser Teppich keinerlei Wert, doch dieweil er eine so wunderbare Kraft besitzt, dünkt mich, ist es unmöglich, in der ganzen Welt etwas zu finden, was sich an Merkwürdigkeit mit ihm vergleichen ließe.‹ Dann zeigte Prinz Ali dem König sein Fernrohr und sprach: ›Der Spiegel Dschamschids 4 ist eitel und nichts neben diesem Rohre, durch das dem Blicke der Menschen alle Dinge zwischen West und Ost und Nord und Süd genau erkennbar werden.‹ Und als letzter zog Prinz [251] Ahmad den magischen Apfel hervor, der auf so wunderbare Weise Nur al-Nihar das teure Leben gerettet hatte; und er sprach: ›Mit Hilfe dieser Frucht werden alle Krankheiten und schweren Leiden im Nu geheilt.‹ So zeigte ein jeder dem Sultan seine Seltenheit und sprach: ›O unser Herr, geruhe diese Gaben, die wir mitgebracht haben, genau zu prüfen, und dann entscheide, welche von ihnen die herrlichste und wunderbarste ist. Dann soll deinem Versprechen gemäß derjenige von uns sich der Prinzessin Nur al-Nihar vermählen, auf den deine Wahl gefallen ist.‹ Als nun der König geduldig ihren Ansprüchen gelauscht und begriffen hatte, wie eine jede Gabe zu ihrem Teile mitgeholfen hatte, seiner Nichte die Gesundheit zurückzugeben, da versank er auf eine Weile tief in das Meer der Gedanken und erwiderte schließlich: ›Spräche ich dem Prinzen Ahmad die Palme zu, dessen Wunderapfel die Prinzessin heilte, so handelte ich nicht gerecht an den beiden andern. Wenn auch sein Geschenk sie aus tödlicher Krankheit dem Leben und der Gesundheit zurückgab, so sagt mir doch, wie er von ihrem Leiden hätte wissen sollen ohne das Fernrohr des Prinzen Ali? Und ebenso wäre der Apfel nutzlos gewesen, hätte euch nicht der fliegende Teppich des Prinzen Husain im Nu hierher getragen. Deshalb entscheide ich so, daß alle drei den gleichen Anteil an ihrer Rettung haben, und daß sie das gleiche Verdienst an ihrer Heilung beanspruchen können. Denn sie wäre nicht gesundet, hätte nur eine der drei Gaben gefehlt; und ferner sind alle drei gleich wunderbar und erstaunlich, und keine übertrifft die beiden andern, noch auch kann ich mit dem geringsten Recht der einen vor den andern den Vorzug geben. Ich hatte versprochen, die Herrin Nur al-Nihar dem zu vermählen, der mir die seltenste Seltenheit brächte, aber so sonderbar es auch ist, es bleibt darum nicht minder wahr, daß sie in dem einen wesentlichen Punkte alle gleich sind. Die Schwierigkeit bleibt bestehen, und die Frage ist noch nicht gelöst. Und doch möchte ich die Sache gern vor Schluß des Tages erledigt sehen, und ohne daß einer sich beklagen könnte. Also muß ich einen Ausweg finden, damit ich einen von euch als den Gewinner bezeichnen und ihm, wie ich mein Wort verpfändet habe, die Hand der Prinzessin verleihen kann, so daß ich mich dadurch von aller Verantwortung [252] löse. Nun habe ich folgendes beschlossen: ein jeder von euch steigt auf sein Roß und versieht sich mit Pfeil und Bogen; dann reitet ihr hinab in die Maidanebene, und dorthin werde ich euch mit meinen Staatsvezieren, den Großen des Reiches und den Herren des Landes folgen. Dann sollt ihr in meiner Gegenwart, nacheinander, ein jeder mit aller Kraft und Stärke, einen Pfeil vom Bogen schießen; und den von euch, dessen Pfeil am weitesten fliegt, den will ich für den würdigsten erklären, die Prinzessin Nur al-Nihar zum Weibe zu gewinnen.‹ Da stiegen die drei Prinzen, die der Entscheidung ihres Vaters nicht widersprechen, noch auch an seiner Gerechtigkeit und Weisheit zweifeln konnten, auf ihre Rosse, und ein jeder griff zu Pfeil und Bogen, und sie ritten stracks hinab. Und auch der König traf dort auf der Ebene ein, nachdem er die Geschenke im königlichen Schatz geborgen hatte, begleitet von seinen Vezieren und den Würdenträgern seines Reiches; und als alles bereit war, versuchte der älteste Sohn und Erbe, Prinz Husain, seine Kraft und Geschicklichkeit, und er schoß seinen Pfeil weit über die flache Ebene hin. Nach ihm griff Prinz Ali zu seinem Bogen, und er entsandte den Pfeil in der gleichen Richtung und schoß ihn über den ersten hinaus. Zuletzt aber kam Prinz Ahmad an die Reihe, und er zielte nach dem gleichen Ziel, aber also lautete die Bestimmung des Schicksals, daß die Großen und Höflinge, so weit sie ihre Rosse auch vorwärtsjagten, um zu sehen, wo sein Pfeil den Boden getroffen hätte, doch keine Spur von ihm fanden; und keiner von ihnen wußte, ob er verschlungen sei von den Eingeweiden der Erde, oder ob er emporgeflogen sein mochte bis an die Grenzen des Himmels. Ja, es gab ihrer, die waren in böslicher Gesinnung der Ansicht, Prinz Ahmad habe überhaupt nicht geschossen, und nimmer habe sein Pfeil die Sehne verlassen. Und schließlich befahl der König, die Suche einzustellen, und er erklärte sich zu Alis Gunsten und sprach das Urteil, daß er sich der Prinzessin Nur al-Nihar vermählen dürfe, dieweil sein Pfeil den des Prinzen Husain weit hinter sich gelassen hatte. Und also wurden im Laufe der Zeit nach dem Gesetz und der Sitte des Landes die Hochzeitsbräuche in aller Pracht erfüllt. Doch Prinz Husain wollte bei dem Brautfest nicht zugegen sein, so eifersüchtig [253] und enttäuscht war er, denn er hatte die Prinzessin Nur al-Nihar mit einer Liebe geliebt, die die seiner Brüder weit übertraf; und er legte seine prinzlichen Kleider ab, nahm das Gewand eines Fakirs und zog hinaus, um eines Einsiedlers Leben zu führen. Doch auch Prinz Ahmad brannte vor Neid und weigerte sich, an dem Hochzeitsfest teilzunehmen; aber ungleich seinem Bruder Husain zog er sich nicht zurück in eine Einsiedelei, sondern er verbrachte all seine Tage auf der Suche nach seinem Pfeil, um herauszufinden, wohin er gefallen war.
Nun traf es sich so, daß er eines Morgens wiederum seiner Sitte gemäß allein auf die Suche auszog. Und er brach auf von der Stelle, von der aus sie ihre Pfeile geschossen hatten, und erreichte den Ort, wo sie die Pfeile der Prinzen Husain und Ali gefunden hatten. Dann ging er weiter, immer geradeaus, und er ließ die Blicke nach beiden Seiten, rechts und links, hinschweifen über Hügel wie Tal. Und als er so eine Strecke weit gegangen war, sah er ihn plötzlich flach auf einem Felsen liegen. Darob staunte er sehr, und er wunderte sich, wie der Pfeil so weit hatte fliegen können, doch mehr noch, als er herzutrat und sah, daß er nicht im Boden stak, sondern offenbar abgeprallt und flach auf eine Steinplatte gefallen war. Sprach er bei sich selber: ›Daran muß wahrlich irgendein Geheimnis hängen; wie könnte sonst jemand einen Pfeil in solche Fernen schießen und ihn in so seltsamer Lage finden?‹ Und er bahnte sich einen Weg durch die spitzen Klippen und die gewaltigen Blöcke und kam zu einer Höhle im Boden, die in einen unterirdischen Gang auslief; und als er in ihm ein paar Schritte gegangen war, erspähte er eine eherne Tür. Die stieß er mühelos auf, denn sie hatte keinerlei Riegel; und als er eintrat, den Pfeil in der Hand, kam er auf einen leicht sinkenden Weg, den er hinabstieg. Aber wo er erwartet hatte, alles pechfinster zu finden, da erblickte er in einiger Ferne einen geräumigen Raum, eine Erweiterung der Höhle, die auf allen Seiten mit Lampen und Leuchtern beleuchtet war. Und als er dann etwa fünfzig Ellen weiterging oder noch etwas mehr, fiel sein Blick auf einen riesigen und herrlichen Palast; und alsbald trat aus dem Inneren in die Säulenhalle heraus ein liebliches Mädchen, schön und [254] liebenswert, eine Feengestalt in fürstlichen Kleidern, geschmückt von Kopf zu Fuß mit den kostbarsten Juwelen. Sie ging mit langsamem und stattlichem Schritt, und doch anmutig und weich, und ihre Dienerinnen umgaben sie, wie die Sterne den Mond in vierzehnter Nacht umgeben. Als aber Prinz Ahmad diese Erscheinung der Schönheit gewahrte, beeilte er sich, sie mit dem Salam zu grüßen, und sie gab seinen Gruß zurück; dann trat sie vor und empfing ihn, indem sie mit den lieblichsten Worten sprach: ›Wohl gekommen und willkommen, o Prinz Ahmad; ich freue mich, daß ich dich sehe. Wie geht es deiner Hoheit, und weshalb bist du mir so lange ferngeblieben?‹ Der Königssohn staunte sehr, als er hörte, wie sie ihn bei Namen nannte, denn er wußte nicht, wer sie war, und nie zuvor hatten sie einander gesehen; wie also konnte sie seinen Titel und Stand erfahren haben? Und er küßte den Boden vor ihr und sprach: ›O meine Herrin, ich schulde dir vielen Dank und große Erkenntlichkeit, da es dir gefällt, mich an diesem seltsamen Ort mit heiteren Worten willkommen zu heißen, wo ich allein und als Fremder nur zögernd und zitternd eindringen konnte. Aber es ist mir sehr rätselhaft, wie du den Namen deines Sklaven erfahren konntest.‹ Sprach sie mit einem Lächeln: ›O mein Herr, komm her und wir wollen uns behaglich dort in die offene Halle setzen; dann will ich dir Antwort geben auf deine Fragen.‹ Und sie ging dorthin, während Prinz Ahmad ihr auf den Fersen folgte; und als sie eintraten, sah er staunend das gewölbte Dach von herrlicher Arbeit, geziert mit Gold und Lapislazuli 5, Gemälden und Schmuck, also, daß seinesgleichen in der Welt nicht zu finden war. Als nun die Herrin sein Staunen sah, sprach sie zu dem Prinzen: ›Dieser Palast ist nichts neben all den andern, die ich jetzt aus freiem Willen zu den deinen gemacht habe; erst wenn du sie siehst, wirst du gerechten Anlaß zum Staunen haben.‹ Dann setzte sie sich auf einer erhöhten Estrade und zog unter vielen Zeichen der Liebe den Prinzen Ahmad an ihre Seite. Sprach sie: ›Obgleich du mich nicht kennst, so kenne doch ich dich gut, wie du verwundert sehen wirst, wenn ich dir meine ganze Geschichte erzähle. Aber zunächst geziemt es sich, daß ich dir enthülle, wer ich bin. Vielleicht [255] hast du in der Heiligen Schrift gelesen, daß diese Welt nicht nur von Menschen bewohnt wird, sondern auch von einem Geschlecht, das da heißt die Dschann, die der Gestalt nach am ehesten den Sterblichen gleichen. Ich bin die einzige Tochter eines Fürsten der Dschann aus edelstem Blut, und mein Name ist Peri-Banu 6. Also wundere dich nicht, wenn du hörst, wie ich dir sage, wer du bist und wer der König, dein Vater, ist, und wer Nur al-Nihar, die Tochter deines Oheims. Ich habe volle Kenntnis von allem, was dich angeht oder deine Sippe; du bist einer von drei Brüdern, die alle verliebt waren in die Prinzessin Nur al-Nihar, und die sie einander zum Weibe abgewinnen wollten. Dies genüge, um dir zu zeigen, daß mir nichts aus deinem Leben verborgen ist; und jetzt sage du mir der Wahrheit gemäß, an wem du Schönheit und Lieblichkeit mehr bewunderst: an mir oder an der Herrin Nur al-Nihar, dem Weibe deines Bruders? Mein Herz sehnt sich in höchster Sehnsucht nach dir, und es begehrt danach, daß wir uns vermählen und die Lust des Lebens genießen. Also sag an, bist auch du bereit, dich mir zu vermählen, oder siechst du dahin im Verlangen nach der Tochter deines Oheims? In der Fülle meiner Liebe zu dir stand ich unsichtbar während des Bogenkampfes auf der Ebene an deiner Seite; und als du deinen Pfeil abschossest, da erkannte ich, daß er den des Prinzen Ali längst nicht erreichen würde, und deshalb griff ich ihn auf, bevor er den Boden berührte, und trug ihn davon aus dem Bereich eurer Blicke; und ich warf ihn wider das eherne Tor, so daß er abprallte und flach auf den Felsen fiel, wo du ihn fandest. Und seit jenem Tage habe ich harrend dagesessen, denn ich wußte wohl, daß du nach ihm suchen würdest, bis du ihn fändest; und auf diese Weise war ich gewiß, dich zu mir herzubringen.‹ So sprach das schöne Mädchen, Peri-Banu, das mit Augen voller Liebessehnsucht zu dem Prinzen Ahmad aufsah und dann in züchtiger Scham die Stirne senkte und den Blick abwandte. Und als Prinz Ahmad ihre Worte hörte, da freute er sich in höchster Freude und sprach bei sich selber: ›Es steht nicht in meiner Macht, mir die Prinzessin Nur al-Nihar zu gewinnen, und Peri-Banu übertrifft sie an Schönheit [256] der Erscheinung, Lieblichkeit der Gestalt und Anmut des Ganges.‹ Kurz, er war so gefangen und bezaubert, daß er die Liebe zu seiner Base einfach vergaß; und da er erkannte, daß das Herz seiner neuen Zauberin sich zu ihm neigte, erwiderte er: ›O meine Herrin, o Schönste der Schönen, ich wünsche nichts so sehr, wie daß ich dir dienen darf und mein Leben lang nach deinen Befehlen handeln. Aber ich bin von menschlicher Geburt, und du von übermenschlicher. Deine Freunde und die Deinen und deine Sippe werden vielleicht mit mir unzufrieden sein, wenn du dich mit mir in solcher Verbindung verbindest.‹ Doch sie gab zur Antwort: ›Ich habe jede Vollmacht meiner Eltern, mich zu vermählen, wem ich will und wem immer ich den Vorzug gebe. Du sagst, du willst mein Diener sein, aber sei du vielmehr mein Herr und Gebieter; denn ich und mein Leben und all meine Habe sind dein, und ewig will ich deine Sklavin sein. Willige jetzt nur ein, ich flehe dich an, mich zum Weibe zu nehmen; mein Herz sagt mir, daß du mir meine Bitte nicht abschlagen wirst.‹ Und sie fügte hinzu: ›Ich sagte dir schon, daß ich in diesen Dingen mit voller Freiheit handle. Zudem aber ist es bei uns, den Dschann, so Sitte und uralter Brauch, daß wenn wir Mädchen das jungfräuliche Alter und die Jahre des Verstandes erreichen, eine jede nach dem Gebot ihres Herzens sich dem vermählen darf, der ihr am meisten gefällt und von dem sie glaubt, er werde ihre Tage am ehesten glücklich machen. Auf diese Weise leben Weib und Gatte ihr ganzes Leben lang in Harmonie und Glück. Und uns bindet auch das Gesetz nicht, das die Töchter Adams bindet; denn wir verkünden dem, den wir lieben, offen unsere Neigung und brauchen nicht zu warten und uns zu verzehren, bis er uns umwerbe und gewinne.‹ Als nun Prinz Ahmad diese Worte hörte, da freute er sich in höchster Freude, und er neigte sich nieder und versuchte, ihr den Saum des Gewandes zu küssen; sie aber hinderte ihn und reichte ihm statt dessen ihre Hand. Entzückt griff der Prinz danach und küßte sie, wie es in jenem Lande Sitte war, legte sie auf seine Brust und auf seine Augen. Da sprach die Fee mit reizendem Lächeln: ›Meine Hand in deiner, so verlobe dich mir, wie ich dir gelobe, daß ich dir ewig treu sein will und mich niemals treulos erweisen noch es an Beständigkeit [257] fehlen lassen werde.‹ Sprach der Prinz: ›O lieblichstes aller Wesen, Geliebte meiner Seele, meinst du, ich könnte je zum Verräter an meinem eigenen Herzen werden, ich, der ich dich bis zur Verstörung liebe und Leib und Seele dir widme? Ohne Zwang gebe ich mich dir, tu du mit mir, was immer du willst.‹ Da sprach Peri-Banu zum Prinzen Ahmad: ›Du bist mein Gatte, und ich bin dein Weib. Dieses feierliche Versprechen zwischen dir und mir tritt an die Stelle des Ehevertrags; wir brauchen keinen Kasi, denn bei uns sind alle Formeln und Förmlichkeiten überflüssig und nutzlos.‹ Und alsbald breiteten ihre Sklavinnen den Tisch und trugen mancherlei Gerichte auf, sowie in Flaschen und Bechern aus juwelenbesetztem Golde die feinsten Weine. Und beide setzten sich und aßen und tranken sich satt. Dann nahm Peri-Banu den Prinzen Ahmad bei der Hand und führte ihn in ihr Gemach, darin sie schlief; und auf der Schwelle blieb er stehen, staunend ob seiner Pracht und ob der Menge von Gemmen und Edelsteinen, die ihm das Auge blendeten; und als er sich erholte, rief er aus: ›Mich dünkt, es gibt im ganzen Weltall keinen zweiten so prunkvollen Raum, versehen mit so kostbarem Gerät und juwelengeschmückten Dingen wie diesen.‹ Sprach Peri-Banu: ›Wenn du schon diesen Palast so bewunderst und preisest, was wirst du erst sagen, wenn du die Schlösser siehst und die Burgen, die meinem Vater gehören, dem Könige der Dschann? Vielleicht auch wird dich Entzücken und Verwunderung packen, wenn du meinen Garten erblickst; jetzt aber ist es zu spät, dich dorthin zu führen, und die Nacht ist nah.‹ Und sie führte den Prinzen Ahmad in einen andern Raum, wo zum Nachtmahl gedeckt war, und der Glanz dieses Saales gab den anderen in nichts nach; ja, er war eher noch prunkvoller und blendender. Hunderte von Wachskerzen in Kandelabern aus feinstem Amber und reinstem Kristall, die auf allen Seiten in Reihen standen, regneten Fluten des Lichtes nieder, während goldene Blumengefäße und Schalen von feinster Arbeit und unermeßlichem Wert, von lieblichen Formen und wunderbarer Kunst die Nischen und Wände schmückten. Aber keine Zunge der Menschen vermöchte die Herrlichkeit dieses Raumes zu schildern, in dem ganze Scharen jungfräulicher Peris, lieblich gestaltet [258] und schön von Angesicht, gekleidet in die erlesensten Gewänder, auf süßtönenden Instrumenten der Lust und Heiterkeit spielten oder zu Melodien von herzbetörenden Rhythmen Lieder sangen voller Verherrlichungen der Liebe. Mit eigener Hand reichte Peri-Banu dem Prinzen Ahmad die besten Bissen, und er mußte von jeder Schüssel und jedem Leckerbissen kosten, während sie ihm deren Namen nannte und ihm sagte, wie sie bereitet worden waren. Und als beide fertig waren mit ihrem Nachtmahl, da tranken sie die erlesensten Weine und aßen süße Konfitüren zum Nachtisch, trockene Früchte und allerlei Leckereien. Schließlich aber, als sie genug gegessen und getrunken hatten, zogen sie sich wiederum in einen andern Raum zurück, der eine große, erhöhte Estrade enthielt, bedeckt mit goldgestickten Kissen und Polstern aus Flitterperlen und köstlichen Teppichen, wo sie sich Seite an Seite setzten, um sich zu unterhalten und zu vergnügen. Und herein trat eine Schar von Dschann und Feen, die tanzten und sangen vor ihnen mit wunderbarer Anmut und Kunst; und dieses hübsche Schauspiel machte Peri-Banu und dem Prinzen Ahmad Freude, so daß sie mit immer neuem Entzücken den Spielen und Wendungen folgten. In dieser Weise wurde Tag für Tag das Hochzeitsfest gefeiert, mit immer neuen Speisen und neuen Spielen, neuen Tänzen und neuer Musik; und hätte Prinz Ahmad unter den Sterblichen tausend Jahre gelebt, nie hätte er solche Gelage gesehen, solche Lieder gehört oder solches Liebesglück genossen.
Schnell flossen ihm so im Feenlande sechs Monde dahin an der Seite Peri-Banus, die er mit so tiefer Liebe liebte, daß er sie nicht einen Augenblick aus den Augen verlieren mochte; sondern so oft er sie einmal nicht ansah, fühlte er sich rastlos und unbehaglich. Und ebenso war auch Peri-Banu ganz erfüllt von Liebe zu ihm, und sie suchte ihrem Gatten mit jedem Augenblick durch neue Künste der Tändelei und frische Erfindungen der Lust immer mehr zu gefallen, bis seine Leidenschaft so verzehrend wurde, daß der Gedanke an Haus und Sippe, Verwandte und Freunde aus seinem Geist entschwand und aus seiner Seele floh. Doch nach einer Weile erwachte sein Gedächtnis aus dem Schlummer, und zuzeiten ertappte er sich dabei, wie er sich danach sehnte, seinen Vater zu sehen, obwohl er [259] wußte, daß er unmöglich erfahren konnte, wie es dem Fernen ging, wenn er nicht selber auszöge, ihn zu besuchen. Und also sprach er denn eines Tages zu Peri-Banu: ›Wenn es dir so gefällt, bitte, befiehl mir, daß ich dich auf ein paar Tage verlasse und meinen Vater besuche, der sich zweifelsohne ob meiner langen Abwesenheit grämt und alle Qualen der Trennung von seinem Sohne erduldet.‹ Als aber Peri-Banu diese Worte hörte, da war sie in schwerer Betrübnis betrübt, denn sie dachte in ihrem Herzen, dies sei nur ein Vorwand, ihr zu entfliehen, nachdem ihm ihre Liebe schal geworden wäre. Gab sie zur Antwort: ›Hast du dein Gelübde vergessen und dein verpfändetes Wort, daß du mich jetzt zu verlassen wünschest? Haben Liebe und Sehnsucht aufgehört, dich zu erregen, während mir das Herz noch wie immer beim bloßen Gedanken an dich vor Entzücken pocht?‹ Versetzte der Prinz: ›O Geliebte meiner Seele, meine Königin, Kaiserin, was sind das für Zweifel, die deine Seele heimsuchen? Und weshalb solche traurigen Ahnungen und schmerzlichen Worte? Ich weiß recht wohl, daß deine Liebe und Neigung zu mir sind, wie du sagtest; und erkennte ich diese Wahrheit nicht an oder zeigte mich undankbar oder ließe es daran fehlen, daß ich dich mit einer ebenso warmen und tiefen, ebenso zärtlichen und echten Leidenschaft ansähe, wie du mich, so wäre ich wahrlich ein undankbarer und schwarzer Verräter. Ferne sei es von mir, daß ich die Trennung von dir wünschte, und nie ist mir der Gedanke in den Sinn gekommen, dich zu verlassen, um nie zurückzukehren. Aber mein Vater ist jetzt ein hochbetagter Greis, und er grämt sich schwer ob dieser langen Trennung von seinem jüngsten Sohne. Wenn du mir Urlaub geben wolltest, so würde ich ihn gern besuchen und dann mit aller Eile in deine Arme zurückkehren; doch möchte ich auch hierin nichts wider deinen Willen tun; und also ist meine herzliche Liebe zu dir, daß ich gern zu allen Stunden des Tages und in allen Wachen der Nacht an deiner Seite wäre, um dich keinen Augenblick zu verlassen.‹ Diese Worte trösteten Peri-Banu ein wenig; und an seinen Blicken, Worten und Handlungen erkannte sie, daß er sie wirklich mit herzlichster Liebe liebte, und daß sein Herz ihr so stahltreu war wie seine Zunge. Und sie gewährte ihm Urlaub und ließ ihm Freiheit, aufzubrechen [260] und seinen Vater zu besuchen, während sie ihm doch zugleich streng anbefahl, nicht lange bei den Seinen zu verweilen.
Jetzt aber sei berichtet, was dem Sultan von Hindostan widerfuhr, und wie es ihm erging, als sich Prinz Ali mit der Prinzessin Nur al-Nihar vermählt hatte. Denn als er die Prinzen Husain und Ahmad viele Tage lang schon nicht mehr gesehen hatte, wurde er äußerst traurig und schweren Herzens, und eines Morgens nach dem Darbar 7 fragte er seine Veziere und Minister, was mit ihnen geschehen sei und wo sie wären. Darauf erwiderten seine Berater: ›O unser Herr und Schatten Allahs auf Erden, dein ältester Sohn, der Erbe deines Reiches, der Prinz Husain, hat in seiner Enttäuschung und Eifersucht und in seinem bittern Gram die königlichen Gewänder abgelegt, um Einsiedler zu werden, ein Heiliger, und alle weltliche Liebe und Lust von sich abzutun. Und auch Prinz Ahmad, dein dritter Sohn, hat in wildem Groll die Stadt verlassen; und von ihm weiß niemand, ob er geflohen ist oder was ihm sonst widerfuhr.‹ Der König war schwer bekümmert, und er befahl ihnen, unverweilt an alle Statthalter in den Provinzen zu schreiben und ihnen einzuschärfen, daß sie genau nach dem Prinzen Ahmad suchen und ihn seinem Vater schicken sollten, sowie er gefunden wäre. Aber obwohl man seinen Befehlen aufs Wort gehorchte und alle, die da suchten, die größte Sorgfalt verwendeten, fand niemand eine Spur von ihm. Da befahl der Sultan in steigender Trauer seinem Großvezier, auszuziehen auf die Suche nach dem Flüchtling, und der Minister erwiderte: ›Auf meinem Haupte sei es und auf meinen Augen! Dein Diener hat bereits in allen Gegenden sorgfältigst suchen lassen, aber noch hat sich nicht die geringste Spur gefunden, und das beunruhigt mich um so mehr, als er mir teuer war wie ein Sohn.‹ Die Minister und Großen begriffen jetzt, daß der König übermannt war vom Schmerz, und daß seine Augen voll Tränen standen und das Herz ihm schwer war ob des Verlustes des Prinzen Ahmad. Da dachte der Großvezier an eine Hexe, berühmt ob ihrer schwarzen Kunst, die die Sterne vom Himmel zu ziehen wußte; und sie war bekannt in der Stadt, da sie dort wohnte. Und er ging zum [261] Sultan und pries ihr Geschick, die verborgenen Dinge zu erkennen, indem er sprach: ›Möge der König, ich bitte dich, nach dieser Zauberin senden und sie befragen nach dem verlorenen Sohn.‹ Und der König versetzte: ›Dein Wort ist gut; laß sie zu mir bringen, und vielleicht wird sie mir Kunde geben von dem Prinzen und von seinem Ergehen.‹ Da holten sie die Zauberin und setzten sie vor den Sultan, der zu ihr sprach: ›O mein gutes Weib, ich möchte dir zu wissen tun, daß seit der Hochzeit des Prinzen Ali mit der Herrin Nur al-Nihar mein jüngster Sohn, der Prinz Ahmad, enttäuscht in seiner Liebe zu ihr, aus unseren Augen entschwunden ist, und niemand weiß von ihm. Benutze du alsbald deine Zauberkunst und sag mir nur das eine: lebt er, oder ist er tot? Wenn er lebt, so möchte ich erfahren, wie es ihm ergeht und wo er ist; und ferner möchte ich fragen: steht es in meinem Buche des Schicksals geschrieben, daß ich ihn noch einmal sehen werde?‹ Versetzte die Hexe: ›O Herr der Zeit und Herrscher der Stunden und des Jahrhunderts, es ist mir nicht möglich, all diese Fragen sofort zu beantworten, denn sie greifen ins Wissen um die verborgenen Dinge; aber wenn deine Hoheit mir einen Tag der Frist gewährt, so will ich meine Bücher der Schwarzkunst zu Rate ziehen, und morgen will ich dir eine genügende und ausreichende Antwort geben.‹ Dem stimmte der Sultan bei, indem er sprach: ›Wenn du mir genaue und peinliche Antwort geben kannst und mich beruhigst nach all diesen Schmerzen, so sollst du gewaltigen Lohn erhalten, und ich will dich mit den höchsten Ehren ehren.‹ Und am nächsten Tage bat die Zauberin, begleitet von dem Großvezier um Erlaubnis, vor der Majestät zu erscheinen; und als sie gewährt war, trat sie vor und sprach: ›Ich habe ausführlich gesucht mit Hilfe meiner Kunst und meiner Geheimnisse, und ich habe mich überzeugt, daß Prinz Ahmad noch im Lande der Lebenden weilt. Also mache dir keine Sorge um seinetwillen; aber zunächst kann ich außer diesem einen sonst nichts über ihn entdecken, noch auch kann ich sicher sagen, wo er ist und wie man ihn finden kann.‹ Bei diesen Worten tröstete sich der Sultan, und die Hoffnung keimte in seiner Brust, daß er seinen Sohn noch wiedersehen würde, ehe er stürbe.
[262] Doch kehren wir jetzt zu Prinz Ahmad zurück. Als Peri-Banu begriff, daß er gewillt war, seinen Vater zu besuchen, und als sie sich überzeugte, daß seine Liebe zu ihr wie zuvor fest und unerschüttert blieb, da sann sie nach und kam zu dem Schluß, daß es ihr schlecht anstehen würde, wenn sie ihm zu solchem Zweck Urlaub und Freiheit versagte; und sie überlegte sich alles noch einmal im Geiste, und manche Stunde schwankte sie hin und her, bis sie sich schließlich an einem Tage unter den Tagen zu ihrem Gatten wandte und sprach: ›Obgleich mein Herz nicht darein willigt, daß ich mich auch nur einen Augenblick von dir trenne oder dich nur eine Sekunde aus den Augen verliere, so will ich doch deinen Wunsch nicht länger durchkreuzen, dieweil du mich viele Male gebeten hast und dich so begierig zeigest, deinen Vater zu besuchen. Aber diese meine Gunstbezeigung hängt von einer Bedingung ab; sonst werde ich dir deine Bitte nie gewähren und dir keinerlei Erlaubnis geben. Schwöre mir den feierlichsten Eid, daß du in aller nur möglichen Eile hierher zurückkehren willst, und daß du mir nicht durch lange Abwesenheit den Schmerz der Sehnsucht machen wirst, so daß ich in Ängsten deiner wohlbehaltenen Rückkehr harre.‹ Da dankte ihr Prinz Ahmad, sehr zufrieden, daß er das Ziel seiner Wünsche erreichte, und sprach: ›O meine Geliebte, fürchte nichts für mich, und sei versichert, daß ich in aller Eile zu dir zurückkehre, sobald ich meinen Vater gesehen habe. Wenn ich mich auch auf ein paar Tage von dir trennen muß, so wird mein Herz sich doch immer zu dir neigen, und nur zu dir.‹ Diese Worte des Prinzen Ahmad erfreuten Peri-Banus Herz, und sie vertrieben die dunklen Zweifel und die geheimnisvollen Ahnungen, die stets ihre nächtlichen Träume und ihre Gedanken bei Tage heimzusuchen pflegten. Und sie sprach zu ihrem Gatten: ›Also geh jetzt, sobald dein Herz es wünscht, und mache deinem Vater deinen Besuch; aber ehe du aufbrichst, möchte ich dir eine Mahnung sagen, und hüte dich, meinen Rat und meine Weisung zu vergessen. Sprich kein einziges Wort von dieser deiner Heirat, noch auch von den seltsamen Dingen, die du gesehen hast, und den Wundern, deren Zeuge du warst; sondern halte sie vor deinem Vater und deinen Brüdern, deinen Verwandten und deiner Sippe sorgfältig verborgen. Nur dieses eine [263] sollst du deinem Vater sagen, damit seine Seele Ruhe hat: daß du nämlich wohlauf und munter seist; auch, daß du nur auf eine Weile nach Hause zurückgekehrt seist, einzig in der Absicht, ihn zu sehen und dich von seinem Wohlergehen zu überzeugen.‹ Dann gab sie Befehl und hieß ihre Leute unverzüglich alles zur Reise rüsten; und als alles bereit war, wählte sie zwanzig von Kopf bis zu Fuß bewaffnete und voll gerüstete Reiter aus, die ihren Gatten begleiten sollten, und ihm selber gab sie ein Roß von vollendeten Formen und Verhältnissen, schnell wie der blendende Blitz oder der stürmende Wind; und sein Geschirr und der Sattel waren mit Edelerzen bedeckt und mit Juwelen besetzt. Dann fiel sie ihm um den Hals, und sie umarmten einander in wärmster Liebe; und als sie Abschied nahmen, erneuerte Prinz Ahmad, um ihren Sinn zu beruhigen, seine Beteuerungen, und nochmals schwor er ihr seinen feierlichen Eid. Dann saß er auf, und während ihm sein Gefolge folgte (lauter Reiter der Dschann), brach er mit gewaltigem Pomp und Prunken auf, und da er schnell ausgriff, so erreichte er bald seines Vaters Hauptstadt. Hier wurde er mit lautem Jubel aufgenommen, wie er im Lande nimmer gehört worden war. Die Minister und Würdenträger, die Bürger und Bauern, alle freuten sich in höchster Freude, als sie ihn wiedersahen, und das Volk verließ seine Arbeit und folgte unter Segenssprüchen und tiefen Verbeugungen dem Reiterzug; und indem es sich von allen Seiten um ihn scharte, geleitete es ihn bis zum Tor des Palastes. Als der Prinz die Schwelle erreichte, saß er ab, trat in die Halle des Diwans und fiel seinem Vater zu Füßen und küßte ihn im Übermaß kindlicher Liebe. Der Sultan aber, fast von Sinnen vor Freuden ob des unerwarteten Anblicks des Prinzen Ahmad, erhob sich von seinem Throne, fiel seinem Sohne weinend vor Entzücken um den Hals, küßte ihm die Stirn und sprach: ›O mein teures Kind, verzweifelt über den Verlust der Herrin Nur al-Nihar entflohst du plötzlich aus deinem Hause, und trotz allen Suchens war nicht eine Spur von dir zu finden, so emsig wir auch forschten; und ich, verstört ob deines Verschwindens, bin so geworden, wie du mich siehst. Wo bist du die lange Zeit hindurch gewesen, und wie hast du die Weile her gelebt?‹ Versetzte Prinz [264] Ahmad: ›Freilich, o mein Herr und König, war ich niedergeschlagen und bekümmert, als ich sah, daß Prinz Ali sich die Hand meiner Base gewann, doch das ist nicht der ganze Grund meiner Abwesenheit. Du entsinnst dich vielleicht, wie mein Pfeil, als wir drei Brüder auf deinen Befehl hinabgeritten waren in jene Ebene zum Bogenkampf, obgleich es eine weite und glatte Fläche war, dem Auge entschwand, so daß niemand zu finden vermochte, wohin er gefallen war. Nun geschah es eines Tages, daß ich bedrückten Geistes allein und ungeleitet auszog, um den Boden rings zu prüfen und zu versuchen, ob ich nicht meinen Pfeil doch finden würde. Aber als ich die Stelle erreichte, wo die Pfeile meiner Brüder, der Prinzen Husain und Ali, aufgelesen worden waren, da suchte ich in allen Richtungen, nach rechts und nach links, vor mir und hinter mir, denn ich dachte, dort müsse auch meiner zu Händen kommen; doch all meine Mühe war vergeblich: ich fand nicht den Pfeil noch irgend etwas sonst. Da ging ich hartnäckig suchend, weiter, lange, und schließlich, als ich verzweifelte, da wollte ich eben abstehen von der Verfolgung, denn ich wußte, daß mein Bogen nicht so weit geschossen haben konnte, und wahrlich, es wäre keinem Schützen möglich gewesen, Pfeil oder Bogen in solche Ferne zu senden; doch plötzlich erblickte ich ihn, wie er flach auf einem Steine lag.‹ Der Sultan staunte in höchstem Staunen ob seiner Worte, und der Prinz fuhr fort: ›Und als ich den Pfeil aufnahm, o mein Herr, und ihn genau betrachtete, da erkannte ich ihn als ebenden, den ich abgeschossen hatte; doch ich staunte in meiner Seele, wie er so weit hatte fliegen können, und ich zweifelte nicht, daß ein Geheimnis an der Sache hinge. Und während ich also nachsann, kam ich zu der Stelle, wo ich seit jenem Tage in vollkommenem Glück und aller Heiterkeit gelebt habe. Ich darf dir nicht mehr von meiner Geschichte erzählen, denn ich kam nur zu dem Zweck, dich über mich zu beruhigen, und jetzt bitte ich dich, gewähre mir deine höchste Erlaubnis, daß ich alsbald in mein Haus der Freuden heimkehre. Von Zeit zu Zeit will ich nicht versäumen, dich zu besuchen und mit aller Liebe eines Sohnes nach deinem Ergehen zu forschen.‹ Versetzte der König: ›O mein Kind, dein Anblick hat meine Augen froh gemacht, und jetzt bin ich [265] zufrieden; nicht ungern gebe ich dir Urlaub, da du an einem so nahen Orte glücklich bist; doch solltest du irgendwann ausbleiben und nicht kommen, sag, wie werde ich da von deinem Wohlsein und Ergehen Nachricht erhalten können?‹ Sprach Prinz Ahmad: ›O mein Herr und König, was du mich fragst, das ist ein Teil meines Geheimnisses, und es muß tief verborgen bleiben in meiner Brust, wie ich schon sagte; ich darf es dir nicht enthüllen und darf nichts sagen, was zur Entdeckung führen könnte. Doch mache dir keine Sorge, denn ich will gar manches Mal vor dir erscheinen, und vielleicht werde ich dir gar durch allzu häufige Besuche lästig werden.‹ ›O mein Sohn,‹ erwiderte der König, ›ich möchte nicht in dein Geheimnis dringen, wenn du es mir verborgen halten willst; und ich wünsche nur eines von dir, daß du mich nämlich hin und wieder deines dauernden Wohlergehens und Glückes versicherst. Du hast meine volle Erlaubnis, nach Hause zu eilen, aber vergiß nicht, wenigstens einmal im Monat zu kommen und mich zu besuchen, wie du es jetzt getan hast, damit mir nicht solche Vergeßlichkeit Angst und Sorge, Kummer und Not bereite.‹ Also blieb Prinz Ahmad drei volle Tage bei seinem Vater, doch keinen Augenblick verblaßte die Erinnerung an die Herrin Peri-Banu in seinem Geiste; und am vierten Tage saß er auf und kehrte mit dem gleichen Pomp und Aufwand heim, mit dem er gekommen war. Peri-Banu aber freute sich in höchster Freude, als sie Prinz Ahmad wiedersah, und ihr war, als wären sie dreihundert Jahre getrennt gewesen; also ist die Liebe: Augenblicke der Trennung erscheinen ihr lang und endlos wie Jahre. Der Prinz entschuldigte sich sehr wegen seiner kurzen Abwesenheit, und seine Worte entzückten Peri-Banu nur um so mehr. Und beide, Liebender und Geliebte, verbrachten die Zeit in vollkommenem Glück und genossen ihrer Lust aneinander. So ging ein Monat dahin, und niemals erwähnte Prinz Ahmad den Namen seines Vaters, noch auch sprach er den Wunsch aus, ihn seinem Versprechen gemäß zu besuchen. Als aber die Herrin Peri-Banu diese Verwandlung bemerkte, sprach sie eines Tages zu ihm: ›Du sagtest mir, mit Beginn eines jeden Monats wolltest du ausziehen und an den Hof deines Vaters reisen, um von seinem Wohlergehen zu hören; weshalb also [266] versäumst du das, da er doch traurig sein wird und dich in Ängsten erwartet?‹ Versetzte Prinz Ahmad: ›Es ist, wie du sagst; doch da ich deines Befehls und deiner Erlaubnis harrte, so mochte ich dich nicht um die Reise bitten.‹ Gab sie zur Antwort: ›Laß dein Kommen und Gehen nicht abhängig sein von meiner Erlaubnis und meinem Urlaub. Reite hinaus, sooft der Anfang des Monats erscheint, und hinfort brauchst du mich nie mehr zu fragen. Drei volle Tage bleibe bei deinem Vater, und am vierten kehre unfehlbar zu mir zurück.‹ Und demgemäß nahm Prinz Ahmad am folgenden Morgen Abschied, und wie zuvor ritt er aus mit allem Pomp und Prunk und begab sich zum Palaste des Sultans, seines Vaters, dem er seinen Besuch abstattete. Und also tat er hinfort in jedem Monat, und jedesmal war sein Gefolge an Reitern größer und glänzender, und er selber ritt ein immer prächtigeres Tier und kam in immer prunkvollerer Rüstung. Und sooft der zunehmende Mond am westlichen Himmel erschien, nahm er liebevoll Abschied von seinem Weibe und machte dem König seinen Besuch; drei volle Tage blieb er bei ihm, und am vierten kehrte er zu Peri-Banu zurück. Da aber jedesmal, sooft er kam, sein Geleit größer und prächtiger war als das vorige Mal, war schließlich einer der Veziere, ein Günstling und Zechgenosse des Königs, von Staunen und Eifersucht erfüllt, dieweil er den Prinzen Ahmad in solchem Reichtum und Prunk im Palast erscheinen sah. Sprach er bei sich selber: ›Niemand vermag zu sagen, woher dieser Prinz zu uns kommt und wie er sich ein so prächtiges Gefolge verschafft hat.‹ Und in seinem Neid und in seiner Bosheit begann dieser Vezier den König mit trügerischen Worten zu verfolgen und sprach: ›O mein höchster Herr und gewaltiger Herrscher, es steht dir schlecht an, dich so wenig um Prinz Ahmads Wandel zu bekümmern. Siehst du nicht, wie sich von Tag zu Tag sein Gefolge mehrt an Zahl und Macht? Wie, wenn er sich gegen dich verschwüre, dich in den Kerker würfe und dir die Zügel der Herrschaft entrisse? Wohl weißt du, daß du den Zorn des Prinzen Husain und Ahmad herausgefordert hast, indem du die Herrin Nur al-Nihar dem Prinzen Ali vermähltest; und einer von ihnen verzichtete in seiner Bitterkeit auf den Pomp und die Eitelkeiten dieser Welt: er wurde ein [267] Fakir; der andere aber, Prinz Ahmad, tritt jetzt mit maßloser Macht und Majestät vor dich hin. Zweifelsohne suchen die beiden ihre Rache; und wenn sie dich in ihre Gewalt bekommen haben, so werden sie verräterisch an dir handeln. Drum möchte ich, du hütetest dich, und wiederum sage ich, hüte dich; und greife die Gelegenheit an der Stirnlocke, ehe es zu spät ist!‹ Also sprach der boshafte Minister, und alsbald fuhr er fort: ›Du weißt auch, daß Prinz Ahmad, wenn er seinen dreitägigen Besuch abbrechen will, dich niemals um Erlaubnis bittet; er nimmt nicht einmal von dir Abschied, noch auch sagt er irgendeinem von den Seinen Lebewohl. Solches Verhalten ist der Anfang der Empörung, und es beweist, daß ihm der Groll im Herzen wohnt. Doch ist es an dir, in deiner Weisheit zu entscheiden.‹ Diese Worte sanken dem einfältigen Sultan tief ins Herz, so daß dort eine Ernte ärgsten Argwohns keimte. Bald dachte er in seiner Seele: ›Wer kennt Gesinnung und Absicht des Prinzen Ahmad und weiß, ob er mir ergeben ist oder nicht? Vielleicht sinnt er Rache. Und also geziemt es mir, nach ihm zu forschen, herauszufinden, wo er haust und wie er zu solcher Macht und solchem Reichtum gelangt ist.‹ Von diesen eifersüchtigen Gedanken erfüllt, schickte er eines Tages ohne Wissen des Großveziers, der stets in Freundschaft zum Prinzen Ahmad hielt, einen Boten zu der Hexe; und indem er sie durch eine geheime Pforte in sein eigenes Gemach einließ, fragte er sie und sprach: ›Du hast ehedem durch deine Zauberkunst erfahren, daß Prinz Ahmad noch am Leben war, und du brachtest mir Nachricht von ihm. Ich bin dir verpflichtet für diesen guten Dienst, und jetzt möchte ich, du forschtest weiter nach seinem Leben und beruhigtest meine Seele, die sehr besorgt ist. Obgleich mein Sohn noch lebt und mich jeden Monat besucht, so weiß ich doch nichts von dem Ort, wo er lebt, und den er verläßt, wenn er zu mir kommt; denn das hält er seinem Vater streng verborgen. Geh du sofort und heimlich hinaus, ohne daß dich jemand sehe von meinen Vezieren und Nabobs, meinen Höflingen und Sklaven, und forsche sorgfältig nach und bringe mir in aller Eile Nachricht, wo er lebt. Er ist jetzt hier zu seinem gewohnten Besuch; und am vierten Tage wird er, ohne Abschied zu nehmen und ohne mir oder irgendeinem meiner [268] Minister und Würdenträger ein Wort von seinem Aufbruch zu sagen, sein Gefolge berufen und sein Roß besteigen; dann reitet er davon, eine Strecke weit von hier, und dort verschwindet er plötzlich. Du aber geh ihm unverweilt und unverzüglich vorauf und lege dich dicht bei dem Pfade verborgen in ein Versteck, von dem aus du sehen kannst, wo er haust; dann aber bringe mir schleunigst Nachricht.‹ Und die Zauberin verließ den König, und als sie hinaus gekommen war, verbarg sie sich in einer Höhlung der Felsen, dicht bei dem Ort, wo Prinz Ahmad seinen Pfeil gefunden hatte, und dort harrte sie seiner Ankunft. Früh am folgenden Tage nun brach der Prinz, wie es seine Sitte war, ohne Abschied von seinem Vater und ohne ein Lebewohl für irgendeinen der Minister auf. Und als er sich näherte, erblickte die Zauberin den Prinzen und das Gefolge, das vor und neben ihm herritt; und sie sah, wie sie einem Hohlweg folgten, der sich in viele Nebenpfade gabelte; und so steil und gefährlich waren die Klippen und Blöcke neben der Spur, daß ein Fußgänger kaum ungefährdet dort gehen konnte. Als sie das sah, überlegte die Zauberin sich, daß der Pfad gewißlich zu einer Höhle oder einem unterirdischen Gange führen müßte, oder zu einem Gewölbe, in dem Dschann und Feen hausten; und plötzlich war der Prinz mit seinem gesamten Gefolge ihren Blicken entschwunden. Da kroch sie aus ihrem Schlupfwinkel hervor und wanderte weit und breit umher, und suchte so sorgfältig, wie sie nur konnte, doch fand sie nirgends den unterirdischen Gang, noch auch vermochte sie die eherne Tür zu sehen, die Prinz Ahmad erkannt hatte, denn kein Wesen von menschlichem Fleisch und Blut hatte Kraft, sie zu sehen, außer ihm allein, dem sie durch die Fee Peri-Banu sichtbar gemacht worden war; und obendrein war sie stets allen spähenden Weiberaugen verborgen. Sprach die Zauberin bei sich selber: ›All diese Mühsal und Beschwerde war vergeblich; ja, wahrlich, ich habe nicht gefunden, was ich suchte.‹ Und so kehrte sie denn stracks zu dem Sultan zurück und berichtete ihm alles, was ihr widerfahren war: wie sie mitten in den Klippen und Blöcken wartend gelegen und den Prinzen mit seinem Gefolge den gefährlichsten Pfad hatte heraufreiten sehen, und wie er ihrem Blick, nachdem er einen Hohlweg eingeschlagen hatte, im Nu entschwunden [269] war. Und sie schloß mit diesen Worten: ›Obgleich ich mein äußerstes tat, um den Ort zu finden, an dem der Prinz lebt, wollte es mir doch auf keine Weise gelingen; und ich bitte deine Hoheit, daß sie mir Zeit gewähre, damit ich weiterforschen und dies Geheimnis enthüllen kann, das kraft meiner Geschicklichkeit und Umsicht nicht lange verborgen bleiben soll.‹ Versetzte der Sultan: ›Es sei, wie du willst; ich gebe dir Muße, zu forschen, und nach einer Weile will ich dich hier erwarten.‹ Und er gab ihr einen großen und wertvollen Diamanten und sprach: ›Nimm diesen Stein als Lohn für deine Mühe und Beschwerde und als ein Versprechen zukünftiger Gunst; wenn du zurückkehrst und mir Nachricht bringst, daß du das Geheimnis gesucht und gefunden hast, so sollst du ein Backschisch von weit größerem Wert erhalten; und dein Herz soll sich freuen in köstlicher Freude, und ich will dich mit den höchsten Ehren ehren.‹ Da harrte denn die Zauberin der Zeit, um die der Prinz von neuem kommen mußte, denn wohl wußte sie, daß er beim Anblick eines jeden zunehmenden Mondes nach Hause reite, um seinen Vater zu besuchen, und daß er drei Tage lang bei ihm bleiben würde, wie die Herrin Peri-Banu es ihm erlaubt und aufgetragen hatte. Als nun der Mond gewachsen und geschwunden war, begab sich die Hexe an dem Tage, bevor der Prinz zu seinem monatlichen Besuch ausritt, in die Felsen, und dort setzte sie sich dicht zu der Stelle, wo er nach ihrer Berechnung erscheinen mußte; und früh am nächsten Morgen ritt er mit seinem Gefolge, das aus vielen reitenden Rittern und seinen Fußknappen bestand, ritterlich zum ehernen Tor heraus und dicht bei der Stelle vorbei, an der sie lag und auf ihn wartete. Die Zauberin kauerte in ihren zerrissenen Lumpen flach auf dem Boden; und als er den Haufen auf seinem Pfade liegen sah, meinte der Prinz zuerst, ihm sei ein Stück Fels quer über den Weg gefallen. Doch als er sich näherte, begann sie zu weinen und gewaltig zu klagen, als sei sie in schweren Schmerzen und Nöten, und sie ließ nicht ab, ihn mit immer wachsenden Tränen und Jammerrufen um Schutz und Hilfe anzuflehen. Und als der Prinz ihre große Trauer sah, da hatte er Mitleid mit ihr, hielt sein Pferd zurück und fragte sie, was sie von ihm wolle und weshalb sie so weine und klage. Doch [270] die listige Alte schrie nur um so lauter, und den Prinzen faßte noch mehr Erbarmen, als er ihre Tränen sah und ihre schwachen, gebrochenen Worte hörte. Und als die Zauberin merkte, daß Prinz Ahmad Erbarmen mit ihr hatte und ihr gern eine Gnade bezeigen wollte, da seufzte sie mit schwerem Seufzer auf, und in klagenden Tönen sprach sie ihn, unterbrochen von Stöhnen und Ächzen, mit folgenden falschen Worten an, während sie den Saum seines Kleides hielt und sich von Zeit zu Zeit unterbrach, als krampfe sie sich im Schmerz zusammen: ›O mein Herr und Herr aller Lieblichkeit, als ich von Hause auszog, aus jener Stadt, um da und da einen Auftrag auszurichten, siehe, da packte mich (eben war ich auf meinem Wege bis hierher gekommen) plötzlich ein heißer Fieberanfall und ein Zittern und Schaudern, so daß ich alle Kraft verlor und hilflos niederfiel, wie du mich siehst; und auch jetzt noch habe ich nicht die Kraft in Hand oder Fuß, mich vom Boden zu erheben und nach Hause zurückzukehren.‹ Sprach der Prinz: ›Wehe, gute Frau, es ist kein Haus in der Nähe, dahin du gehen könntest, um dich gebührend pflegen und versorgen zu lassen. Ich aber weiß eine Stätte, wohin ich dich bringen kann, wenn du willst, und dort sollst du durch Pflege und Sorgfalt, Inschallah, bald von deinem Leiden befreit sein. Komm also mit mir, so gut du kannst.‹ Unter lautem Stöhnen und Ächzen versetzte die Hexe: ›So schwach bin ich in jedem Gliede und so hilflos, daß ich mich nur mit Hilfe einer freundlichen Hand vom Boden erheben und bewegen kann.‹ Da befahl der Prinz einem seiner Reiter, die schwache und leidende Alte aufzuheben und auf sein Roß zu setzen; und der Ritter tat nach seinem Geheiß und setzte sie rittlings hinten auf sein Pferd. Dann ritt Prinz Ahmad mit ihr zurück, trat ein durch das eherne Tor, brachte sie in sein Gemach und schickte nach Peri-Banu. Eilends kam sein Weib herbei und fragte den Prinzen in ihrer Erregung: ›Ist alles gut? Und weshalb bist du zurückgekehrt, und was wolltest du, da du nach mir schicktest?‹ Da erzählte Prinz Ahmad ihr von der Alten, die krank sei und hilflos, und er fügte hinzu: ›Kaum war ich aufgebrochen zu meinem Ritt, so sah ich diese alte Frau am Wege liegen, in Schmerzen und arger Not. Mein Herz hatte Mitleid mit ihr, dieweil ich sie also [271] sah, und es trieb mich, sie hierher zu bringen, da ich sie nicht in den Felsen dem Tode überlassen konnte; und ich bitte dich, nimm sie in deiner Güte auf und gib ihr Heiltränke, damit sie bald von dieser ihrer Krankheit gesundet. Wenn du mir diese Gunst erweisen willst, so will ich nicht aufhören, dir zu danken und dir verpflichtet zu sein.‹ Peri-Banu aber blickte die Alte an und befahl zweien ihrer Sklavinnen, sie in ein getrenntes Gemach zu führen und sie mit zartester Sorgfalt und äußerstem Eifer zu pflegen. Die Dienerinnen taten, wie sie befahl, und brachten die Zauberin in das bezeichnete Gemach. Da sprach Peri-Banu den Prinzen Ahmad an und sagte: ›O mein Herr, ich freue mich deiner mitleidigen Güte dieser alten Frau gegenüber; aber mich warnt mein Herz, und sehr fürchte ich, daß aus deiner Freundlichkeit Unheil entspringen wird. Diese Frau ist nicht so krank, wie sie vorgibt, sondern sie täuscht dich, und ich glaube, ein Feind oder Neider führt Arges gegen mich und dich im Schilde. Jetzt aber zieh in Frieden dahin.‹ Der Prinz, der sich die Worte seines Weibes keineswegs zu Herzen nahm, erwiderte ihr: ›O meine Herrin, der allmächtige Allah schütze dich vor allem Unheil! Wenn du mir hilfst und über mich wachst, so fürchte ich nichts Arges; ich weiß von keinem Feind, der auf mein Verderben sinnen könnte, denn ich hege gegen kein lebendes Wesen irgendwelchen Groll, und ich fürchte weder von den Menschen noch den Dschann ein Leides.‹ Und von neuem nahm der Prinz Abschied von Peri-Banu, und er ritt mit seinen Begleitern in den Palast seines Vaters, der seinen Sohn, kraft der Tücke seines listigen Ministers nur mit innerem Bangen sah; nichtsdestoweniger aber hieß er ihn mit großem äußerlichen Aufwand von Liebe und Neigung willkommen.
Derweilen nun trugen die Feensklavinnen, denen Peri-Banu die Hexe anvertraut hatte, ihre Kranke in einen geräumigen, prachtvoll eingerichteten Saal; und sie legten sie auf ein Bett, das versehen war mit einem Polster aus Satin und einer Decke aus Brokat. Und eine von ihnen setzte sich ihr zur Seite, während die andere in aller Eile in einem Becher aus Porzellan einen Saft herbeiholte, der Fieber und Hitze unfehlbar heilte. Dann hoben sie sie auf, setzten sie auf das Lager und sprachen: ›Trink diesen Trank. Es ist Wasser vom [272] Löwenquell, und wer von ihm trinkt, der gesundet alsbald von jeglicher Krankheit, die ihn quält.‹ Mit großer Mühe nahm die Zauberin den Becher in die Hand, und als sie den Inhalt getrunken hatte, legte sie sich aufs Bett zurück; die Sklavinnen aber breiteten die Decke über sie hin und sprachen: ›Jetzt ruhe eine Weile, und bald wirst du die Wirkung dieses Heiltranks spüren.‹ Dann überließen sie sie auf etwa eine Stunde ihrem Schlafe; doch die Hexe, die sich nur zu dem Zwecke krank gestellt hatte, um zu erfahren, wo Prinz Ahmad lebe, damit sie dem Sultan Nachricht geben könne, und die jetzt sicher war, daß sie alles entdeckt hatte, was sie wollte, stand bald darauf auf, rief nach den Mädchen und sprach: ›Der Trank hat mir Gesundheit und Kraft zurückgegeben; ich fühle mich jetzt wohl und munter, und meine Glieder sind von neuem erfüllt von Leben und Kraft. Also teilt das sofort eurer Herrin mit, so daß ich ihr den Saum ihres Kleides küssen und ihr für ihre Güte wider mich danken, aufbrechen und nach Hause eilen kann.‹ Da nahmen die beiden Sklavinnen die Hexe mit, und als sie durch die verschiedenen Gemächer schritten, zeigten sie sie ihr, wie eines immer prächtiger und königlicher war als das andere; und schließlich kamen sie in die offene Halle, den herrlichsten Saal von allen, eingerichtet und angefüllt mit äußerst seltenem und kostbarem Gerät. Dort saß Peri-Banu auf einem Throne, der verziert war mit Diamanten und Rubinen, Smaragden, Perlen und anderen Edelsteinen von ungewöhnlicher Größe und Reinheit, während rings um sie Feen standen von schöner Gestalt und herrlichen Zügen, gekleidet in die reichsten Gewänder, und alle harrten mit gefalteten Händen ihrer Befehle. Die Zauberin staunte in höchstem Staunen, als sie den Glanz der Gemächer sah und ihr Gerät, doch vor allem, als sie die Herrin Peri-Banu auf dem Juwelenthron erblickte. Und vor Verwirrung und Ehrfurcht vermochte sie kein Wort zu sprechen, sondern neigte sich tief herab und bog den Kopf auf Peri-Banus Fuß. Sprach die Prinzessin mit sanften Worten und ermunterndem Ton: ›O gute Frau, es freut mich sehr, dich als Gast in diesem meinem Palast zu sehen, und mehr noch entzückt es mich, zu erfahren, daß du von deiner Krankheit ganz befreit bist. Drum ergötze dich jetzt, indem du überall [273] umhergehst, und meine Dienerinnen werden dich begleiten und dir zeigen, was verdient, daß du es ansiehst.‹ Von neuem neigte die Hexe sich tief herab, und sie küßte den Teppich unter den Füßen Peri-Banus und nahm in schöngefügter Rede und unter großen Dankesbezeigungen von ihrer Wirtin Abschied. Dann führten die Sklavinnen sie im Palast herum und zeigten ihr alle Räume, die ihr Auge so blendeten und blind machten, daß sie keine Worte finden konnte, um sie genügend zu preisen. Und schließlich ging sie ihrer Wege, und die Feen geleiteten sie bis hinter das eherne Tor, durch das Prinz Ahmad sie hereingeführt hatte, und dann verließen sie sie, indem sie ihr Allahs Geleit und allen Segen wünschten; und die verworfene Vettel schlug den Weg nach Hause ein. Kaum aber war sie ein wenig gegangen, so kam ihr der Gedanke, noch einmal auf die eherne Tür zu blicken, damit sie sie leichter wiedererkennen könnte; sie machte kehrt, aber siehe und siehe, der Eingang war verschwunden und ihr wie allen andern Frauen unsichtbar. Und als sie also auf allen Seiten gesucht hatte und hin und hergegangen war, ohne eine Spur oder ein Zeichen des Palastes oder Portals zu finden, zog sie verzweifelt zur Stadt, schlich einen verlassenen Pfad entlang und trat nach ihrer Gewohnheit durch die geheime Pforte in den Palast. Kaum war sie wohlbehalten drinnen, so schickte sie durch einen Eunuchen dem Sultan Bescheid; und der befahl, daß man sie vor ihn führe. Sie trat mit verwirrten Zügen auf ihn zu, und da er merkte, daß sie ihr Ziel nicht erreicht hatte, fragte er: ›Was gibt es? Hast du deine Absicht ausgeführt, oder ist dir etwas in den Weg getreten?‹ Da erwiderte die Hexe, die nur ein Geschöpf des tückischen Ministers war: ›O König der Könige, ich habe genau geforscht, wie du befahlest, und ich will dir alles erzählen, was mir widerfuhr. Die Zeichen des Schmerzes und der Trauer, die du auf meinem Gesichte wahrnimmst, haben einen andern Grund, der deine Wohlfahrt nahe angeht.‹ Und sie begann den Bericht über ihr Abenteuer, und als sie dem König berichtet hatte, was ihr widerfahren war, fuhr sie fort: ›Vielleicht wirst du, wenn du von der Macht und Majestät, dem Reichtum und Prunk der Herrin Peri-Banu vernimmst, dich freuen und in deiner Seele sagen: ›Es ist gut, [274] daß Prinz Ahmad dieser Fee vermählt ist und daß er sich so viel Macht und Reichtum gewann‹; aber dieser deiner Sklavin erscheinen die Dinge ganz anders. Ich wage zu behaupten, daß es nicht taugt, wenn dein Sohn solche Gewalt und solche Schätze besitzt; denn wer weiß, ob er nicht mit Hilfe Peri-Banus Zwiespalt und Unruhe im Reiche erwecken wird? Hüte dich vor den Listen und der Tücke der Weiber! Der Prinz ist betört von der Liebe zu ihr, und auf ihren Antrieb mag er wohl gar ganz anders als recht an dir handeln; dann könnte er die Hand auf deine Schätze legen und deine Untertanen verführen und sich zum Herrn deines Reiches machen; und obwohl er aus eignem Willen seinem Vater und seinen Ahnen nichts antun mag, als was von Ehrfurcht und kindlicher Liebe eingegeben ist, so können ihn doch die Reize seiner Prinzessin allmählich immer weitertreiben, bis sie ihn schließlich zu einem Rebellen machen und zu dem, was ich nicht nennen darf. Jetzt wirst du sehen, daß die Sache ernst ist, also sei nicht unvorsichtig und schenke ihr alle Überlegung.‹ Dann schickte die Zauberin sich an, ihrer Wege zu gehen, doch der König sprach und sagte: ›Ich bin dir verpflichtet für zweierlei. Erstens hast du viel Mühsal und Beschwerde auf dich genommen und um meinetwillen das Leben gewagt, um die Wahrheit über meinen Sohn, den Prinzen Ahmad, zu erfahren. Und zweitens danke ich dir, dieweil du mir einen so guten und gesunden Rat gegeben hast.‹ Mit diesen Worten entließ er sie unter den höchsten Ehren; kaum aber hatte sie den Palast verlassen, so berief er in arger Verstörung seinen zweiten Vezier, den boshaften Minister, der ihn zuerst wider den Prinzen Ahmad aufgereizt hatte; und als er mit seinen Freunden vor der Majestät erschien, legte der König ihnen die ganze Sache vor und fragte sie und sprach: ›Welches ist euer Rat, und was soll ich tun, um mich und mein Reich vor den Listen dieser mächtigen Fee zu schützen?‹ Versetzte einer der Berater: ›Es ist eine Kleinigkeit, und das Mittel ist einfach und nah zur Hand. Befiehl, daß der Prinz Ahmad, der jetzt in der Stadt, wenn nicht im Palaste ist, als Gefangener festgehalten werde. Laß ihn nicht hinrichten, damit die Tat nicht etwa Rebellion erzeuge; aber auf jeden Fall nimm ihn fest, und wenn er sich gewaltsam wehren sollte, [275] so lege ihn in Eisen.‹ Dieser verworfene Rat gefiel dem tückischen Minister, und all seine Gönner und Schmeichler billigten den Rat. Der Sultan aber schwieg und gab keine Antwort; doch am folgenden Tage schickte er aus, ließ die Zauberin holen und besprach sich mit ihr, ob er den Prinzen Ahmad in den Kerker werfen sollte oder nicht. Sprach sie: ›O König der Könige, dieser Rat läuft dem gesunden Verstand und der rechten Vernunft geradeswegs zuwider. Wenn du den Prinzen Ahmad ins Gefängnis wirfst, so müßtest du das gleiche mit all seinen Rittern und ihren Knappen tun; und da sie Dschann und Marids sind, so kann man nicht wissen, wie sie sich rächen würden. Keine Kerkerzellen noch stählerne Tore würden sie bannen; sie würden gleich entschlüpfen und der Fee von deiner Gewalttat melden, die, ergrimmt in äußerstem Grimm, da sie ihren Gatten wie einen gemeinen Missetäter niedriger Haft unterworfen sähe, und zwar nicht wegen eines Verbrechens oder einer Schuld, sondern einfach durch verräterische Verhaftung, gewißlich die ärgste Rache wider dein Haupt schleudern und uns so arges Unheil senden würde, daß wir es nie würden abwehren können. Willst du aber mir Vertrauen schenken, so will ich dir raten, wie du handeln mußt, so daß du dein Ziel erreichst und dir wie deinem Reiche keinerlei Übel nahen kann. Du weißt gar wohl, daß den Dschann und den Feen Macht verliehen wurde, in kurzer Zeit wunderbare und erstaunliche Dinge zu tun, wie sie Sterbliche nicht nach Jahren der Mühe und Arbeit zu verrichten vermögen. Wenn du nun auf die Jagd ausziehst oder zu einem Streifzug, so brauchst du für dich einen Pavillon und viele Zelte für dein Gefolge, für deine Diener und Krieger; und mit der Herrichtung und der Beförderung solchen Gepäcks geht viele Zeit und vieles Geld unnütz verloren. Ich möchte dir also raten, o König der Könige, daß du den Prinzen Ahmad auf folgende Probe stellst: befiehl ihm, dir einen Zeltpavillon zu bringen, groß und weit genug, deinen ganzen Hof, deine Krieger und den Lagertroß samt allen Saumtieren zu bedecken; und doch soll er so leicht sein, daß ein einziger Mensch ihn in der hohlen Hand halten und tragen kann, wohin er will.‹ Und nachdem sie eine Weile verstummt war, fuhr sie fort und sprach zu dem Sultan: ›Und sowie [276] Prinz Ahmad sich dieser Aufgabe entledigt hat, so verlange von ihm etwas noch Größeres und Wunderbareres, was ich dir noch sagen werde und was ihn auszuführen schwere Mühe kosten soll. Auf diese Weise wirst du deinen Schatz mit seltenen und seltsamen Erfindungen füllen, mit Werken der Dschann, und so soll es fortgehn, bis schließlich dein Sohn nicht mehr weiß, wie er deine Befehle ausführen soll. Gedemütigt und beschämt wird er dann nie mehr wagen, in deine Hauptstadt oder gar vor dich selber zu treten; du aber bist sicher vor jeder Furcht, daß er dir Arges antun könnte, und du brauchst ihn nicht in den Kerker zu werfen oder gar hinrichten zu lassen.‹ Als er diese Worte der Weisheit vernahm, gab der Sultan den Rat der Hexe seinen Beratern bekannt und fragte sie, was sie davon hielten. Sie schwiegen und gaben kein Wort zur Antwort, kein gutes und auch kein arges; er selber aber billigte den Plan und sprach nichts weiter. Am nächsten Tage kam Prinz Ahmad, um den König zu besuchen, der ihn mit überströmender Liebe empfing, ihn an die Brust drückte und ihn küßte auf Augen und Stirn. Lange saßen sie beisammen und sprachen über allerlei Dinge, bis schließlich der Sultan eine Gelegenheit fand und also anhub: ›O mein teurer Sohn, o Ahmad, seit manchen Tagen war ich traurig in meinem Herzen und bekümmert ob der Trennung von dir; und als du kamst, da wurde ich froh in großer Freude ob deines Anblicks, und obwohl du mir die Kenntnis deines Lebens vorenthieltest und noch vorenthältst, so wollte ich dich doch nicht fragen noch versuchen, dein Geheimnis zu ergründen, dieweil es nicht nach deinem Sinne war, mir von deinem Aufenthalt zu sagen. Jetzt aber habe ich vernommen, du seiest einer mächtigen Fee von unvergleichlicher Schönheit vermählt; und diese Nachricht hat mir die höchste Freude bereitet. Ich wünsche nicht, von dir irgend etwas über dein Feenweib zu erfahren, wenn du es mir nicht aus freiem Willen anvertrauen willst; aber sage mir, sollte ich dich irgendwann einmal um etwas bitten, kannst du es von ihr erlangen? Blickt sie mit solcher Liebe auf dich, daß sie dir nichts versagt, um was du sie bittest?‹ Sprach der Prinz: ›O mein Herr, was verlangst du von mir? Mein Weib ist ihrem Gatten in Herz und Seele ergeben, also bitte, laß mich wissen, was [277] du von mir und von ihr begehrst.‹ Versetzte der Sultan: ›Du weißt, ich ziehe oft auf die Jagd oder auf einen Streifzug, und dann brauche ich viele Zelte und Pavillons und große Zeltschuppen, und Herden und ganze Scharen von Kamelen und Maultieren und anderen Lasttieren müssen das Lager von einem Ort zum andern schaffen. Ich möchte also, daß du mir ein Zelt brächtest, leicht genug, damit ein einziger Mensch es in der hohlen Hand tragen kann, und doch auch groß genug, damit es meinen Hof und mein ganzes Heer und den Lagertroß und alle Tiere zu bergen vermag. Wenn du die Herrin um diese Gabe bitten wolltest (ich weiß recht wohl, daß sie sie dir geben kann), so würdest du mir viel Mühe ersparen, denn ich brauche dann nicht mehr für Träger zu sorgen und auch nicht mehr Tiere wie Leute zu verschwenden.‹ Versetzte der Prinz: ›O mein Vater und Sultan, mache dir keine Sorge. Ich will sofort deinen Wunsch meinem Weibe vermelden, der Herrin Peri-Banu; und obgleich ich nicht weiß, ob Feen die Macht besitzen, einen Pavillon herzustellen, wie du ihn schilderst, noch auch, ob sie (wenn sie die Macht besäße) mir ihre Hilfe geben oder nicht geben wird; und obgleich ich dir also ein solches Geschenk nicht versprechen kann, so will ich doch, was immer im Bereich meiner Kräfte liegt, mit Freuden für dich tun.‹ Sprach der König zum Prinzen Ahmad: ›Sollte es dir aber etwa nicht gelingen, und solltest du mir die verlangte Gabe nicht verschaffen können, o mein Sohn, so will ich dein Antlitz nimmermehr sehen. Du wärest wahrlich ein jammervoller Gatte, wenn dir dein Weib eine solche Kleinigkeit abschlagen wollte und nicht vielmehr eilends alles täte, was du ihr befiehlst; denn damit gäbe sie dir zu verstehen, daß du in ihren Augen von geringem Wert und keinerlei Bedeutung bist, und ihre Liebe wäre nicht mehr als ein Nichts. Aber geh, o mein Kind, und bitte sie sofort um das Zelt. Wenn sie es dir gibt, so wisse, begehrt sie nach dir, und du bist ihr das teuerste aller Dinge. Und man hat mir berichtet, sie liebe dich von ganzem Herzen und von ganzer Seele, und sie werde dir nichts verweigern, um was du sie bittest, und wären es die Äpfel ihrer Augen.‹ Nun war es von je des Prinzen Ahmad Sitte gewesen, jeden Monat drei Tage bei seinem Vater, dem Sultan, zu bleiben; aber diesmal blieb er nur [278] zwei Tage, und am dritten sagte er seinem Vater Lebewohl. Und als er in den Palast einzog, da konnte Peri-Banu nicht anders, sondern sie bemerkte, daß er traurigen Herzens und niedergeschlagenen Sinnes war; sprach sie zu ihm: ›Steht alles gut mit dir? Weshalb bist du heute gekommen und nicht morgen, und weshalb bringst du von dem Besuch bei deinem Vater, dem Könige, eine so traurige Miene heim?‹ Prinz Ahmad küßte ihr die Stirn, umarmte sie zärtlich und erzählte ihr von Anfang bis zu Ende die ganze Geschichte, bis sie erwiderte: ›Ich will dich schleunigst beruhigen, denn ich möchte dich nicht einen Augenblick traurig sehen. Aber, o mein Geliebter, an dieser Bitte des Sultans erkenne ich, daß sein Ende nahe ist, und bald wird er aus dieser Welt in die Gnade Allahs eingehen. Irgendein Feind hat diese Tat getan und dir schweres Ungemach bereitet; und das Ergebnis ist, daß dein Vater, nichts ahnend von seinem nahenden Geschick, mit Absicht seinen eignen Untergang betreibt.‹ Entsetzt und besorgt gab der Prinz seinem Weibe diese Antwort: ›Allah, dem Allmächtigen, sei Lob! Der König, mein höchster Herr, ist bei bester Gesundheit, und er zeigt nicht das geringste Zeichen von Schwäche oder Verfall; erst heute morgen verließ ich ihn wohl und munter, und wahrlich, niemals sah ich ihn bei besserem Befinden. Seltsam, wahrlich, daß du wissen solltest, was ihm bevorsteht, ehe ich dir noch etwas über ihn sagte, und besonders dieses eine, daß er von unserer Heirat und von unserer Stätte erfahren hat.‹ Sprach Peri-Banu: ›O mein Prinz, du weißt, was ich dir sagte, als ich die Alte sah, die du hierher geleitetest als krank an Fieber und Hitze. Dieses Weib ist eine Hexe aus Satans Brut, und sie hat dem Sultan alles über diesen unseren Aufenthalt offenbart, was er zu wissen wünschte. Und obgleich ich deutlich sah, daß sie weder krank noch leidend war und nur ein Fieber vorgab, reichte ich ihr dennoch einen Trank, der allerlei Leiden heilt, und lügnerischerweise stellte sie sich, als habe sie durch seine Kraft Gesundheit und Wohlsein wiedererlangt. Und als sie zu mir kam, um Abschied von mir zu nehmen, schickte ich zwei meiner Mädchen mit ihr, auf daß sie ihr alle Gemächer im Palaste zeigten, samt ihrem Gerät und Schmuck; und so erkannte sie deine und meine Stellung. Nun tat [279] ich all das nur um deinetwillen, denn du hießest mich der Alten Mitleid erweisen, und ich freute mich, als ich sie gesund und wohlbehalten und in bester Laune gehen sah. Außer ihr hat nie ein menschliches Wesen von diesem Schloß das geringste zu erfahren oder gar es zu betreten vermocht.‹ Als nun Prinz Ahmad diese Worte hörte, dankte er ihr, pries sie und sprach: ›O schönes Sonnenantlitz, ich möchte dich um eine Gnade bitten, die mein Vater von mir verlangt hat, um ein Zelt, so groß, daß es ihn und seine Leute, sein Lager und sein Saumvieh schirmen und doch in der hohlen Hand getragen werden kann. Ob es ein solches Wunder gibt, das weiß ich nicht, doch möchte ich alles tun, um es zu beschaffen, und es ihm getreulich bringen.‹ Sprach sie: ›Weshalb dir um eine solche Kleinigkeit Sorge machen? Ich will sofort danach schicken und es dir geben.‹ Und sie berief eine ihrer Sklavinnen, die ihre Schatzmeisterin war, und sprach: ›O Nur Dschehan 8, geh du sofort und bringe mir einen Pavillon von der und der Art.‹ Und unverzüglich ging sie davon und kehrte ebenso schnell mit dem Pavillon zurück, den sie auf ihrer Herrin Geheiß dem Prinzen Ahmad in die Fläche seiner Hand gab. Prinz Ahmad aber dachte, als er ihn so hielt, bei sich selber: ›Was ist dies, was mir Peri-Banu da gibt? Wahrlich, sie macht sich einen Scherz mit mir!‹ Sein Weib jedoch, das ihm die Gedanken vom Gesicht ablas, lachte laut heraus und sprach: ›Was ist, mein geliebter Prinz? Meinst du, ich scherze und spotte deiner?‹ Und sie fuhr fort, indem sie die Schatzmeisterin ansprach: ›Nimm jetzt das Zelt vom Prinzen Ahmad entgegen und stelle es in der Ebene auf, damit er die ungeheure Größe erkenne und sehe, ob es von der Art ist, wie es der Sultan, sein Vater, verlangt.‹ Und die Sklavin nahm das Zelt und richtete es fern von dem Schlosse auf; und doch reichte das eine Ende von der äußeren Grenze der Ebene bis zu ihm heran; und so ungeheuer war seine Ausdehnung, daß (wie Prinz Ahmad sah) für den ganzen Hof des Königs Raum war; und hätten sich zwei Heere darunter gereiht mit allem Lagergefolge und Saumvieh, so hätte doch das eine das andere in keiner Weise behindert oder bedrängt. Da bat er Peri-Banu[280] um Verzeihung und sprach: ›Ich wußte nicht, daß das Zelt ein solches Wunder an Größe und von so erstaunlicher Art sei; deshalb mißtraute ich dir, als ich es zuerst erblickte.‹ Und die Schatzmeisterin schlug das Zelt wieder ab und legte es ihm nochmals in die Hand. Er aber saß unverzüglich auf und ritt, geleitet von seinem Gefolge, zurück zum König, dem er nach der Huldigung, Begrüßung und Aufwartung das Zelt überreichte. Und auch der Sultan hielt es beim ersten Anblick für eine geringe Gabe, doch er staunte in höchstem Staunen, als er es aufgeschlagen in seiner Größe sah, denn es hätte seine Hauptstadt mit allen Vororten überschattet. Er war jedoch nicht ganz zufrieden, denn der Pavillon erschien ihm jetzt allzu groß; aber sein Sohn versicherte ihm, es würde sich immer seinem Inhalt anpassen. Er dankte dem Prinzen, daß er ihm ein so seltenes Geschenk gebracht hatte, und sprach: ›O mein Sohn, vermelde deiner Gemahlin, wie sehr ich ihr verpflichtet bin, und bringe ihr meinen erkenntlichen Dank für ihre gütige Gabe. Jetzt weiß ich wahrlich, daß sie dich von ganzem Herzen und von ganzer Seele, und all meine Zweifel und Befürchtungen sind nahezu beseitigt.‹ Dann befahl der König, man solle das Zelt zusammenpacken und sorgfältig im königlichen Schatz verwahren.
So seltsam es nun auch sein mag, es ist doch wahr: als der König von dem Prinzen dieses seltene Geschenk erhalten hatte, wuchsen Furcht und Zweifel, Neid und Eifersucht auf seinen Sohn nur noch mehr, und was die Hexe und der tückische Minister und seine argen Ratgeber in ihm gesät hatten, keimte nur um so lebhafter empor; denn jetzt war er gewiß, daß die Fee ihren Gatten wirklich maßlos liebte, und daß sie den König, all der großen Macht und des Reichtums eines Herrschers zum Trotz, wenn sie ihrem Gatten helfen wollte, an mächtigen Taten übertreffen könnte. Daher fürchtete er in höchster Furcht, sie würde nach einer Gelegenheit suchen, ihn zugunsten des Prinzen zu erschlagen, damit sie ihn an seiner Stelle auf den Thron erheben könnte. Und er befahl, ihm die Hexe zu bringen, die ihm schon einmal geraten hatte, und auf deren List und Tücke er sich jetzt am meisten verließ. Als er ihr nun berichtete, wie es mit ihrem Ratschlag abgelaufen war, besann sie sich eine Weile, hob [281] dann die Stirn und sprach: ›O König der Könige, du machst dir Sorge um ein Nichts; du brauchst dem Prinzen Ahmad nur zu befehlen, daß er dir Wasser vom Löwenquell bringe. Er muß um seiner Ehre willen deinen Wunsch erfüllen, und wenn er es nicht kann, so wird er aus Scham nicht wagen, je wieder sein Antlitz bei Hofe zu zeigen. Einen besseren Plan als diesen kannst du nicht finden; also sorge dafür und zögere nicht auf deinem Wege.‹ Am nächsten Tage nun, als der König im vollen Darbar auf seinem Throne saß, umgeben von seinen Ministern und Vezieren, trat der Prinz Ahmad herbei; und indem er seine Huldigung leistete, setzte er sich ihm zur Seite, doch tiefer als er. Und der König sprach ihn wie immer unter allen Zeichen seiner Huld mit diesen Worten an: ›Es freut mich gewaltig, daß du mir das Zelt gebracht hast, um das ich dich bat; denn wahrlich, in meinem Schatze ist sonst nichts, was so selten und seltsam wäre. Aber eines fehlt mir noch, und könntest du mir auch das noch bringen, so würde ich mich in höchster Freude freuen. Ich habe gehört, deine Gattin, die Prinzessin, mache beständig Gebrauch von einem Wasser, das dem Löwenquell entflösse; wenn man davon tränke, so würde man vom Fieber und von allen andern tödlichen Krankheiten geheilt. Ich weiß, du bist um meine Gesundheit besorgt, und du wirst mich erfreuen, wenn du mir ein wenig von dem Wasser bringst, damit ich davon trinken kann, wenn es nötig ist; und wohl weiß ich, da du meine Liebe und Neigung zu dir hoch anschlägst, so wirst du dich nicht weigern, mir meine Bitte zu erfüllen.‹ Als Prinz Ahmad dies Verlangen hörte, erstaunte er, daß sein Vater so bald eine zweite Bitte tat. Daher schwieg er eine Weile, indem er bei sich dachte: ›Ich habe es irgendwie erreicht, daß mir die Herrin Peri-Banu das Zelt verschaffte, aber Allah allein weiß, wie sie jetzt handeln wird, und ob diese neue Bitte ihren Zorn erregen wird oder nicht. Doch ich weiß, sie wird mir keine Gnade versagen, um die ich sie bitte.‹ Nach langem Zögern also erwiderte Prinz Ahmad: ›O mein Herr und König, ich habe nicht die Macht, in dieser Sache etwas zu tun, denn sie steht einzig bei meiner Gattin, der Prinzessin; doch will ich sie bitten, das Wasser zu geben; und wenn sie einzuwilligen geruht, so will ich es dir sofort überbringen. [282] Freilich kann ich dir eine solche Gabe nicht mit Sicherheit versprechen; ich täte gern, was ich vermag, in allem und jedem, was dir von Nutzen sein kann; doch wenn ich sie um dieses Wasser bitte, so bedeutet das mehr als meine Bitte um das Zelt.‹ Und am nächsten Tage nahm der Prinz Abschied und kehrte zurück zu Peri-Banu; und nach liebevollen Umarmungen und Begrüßungen sprach er: ›O meine Herrin und Licht meiner Augen, mein Vater, der Sultan, schickt dir seinen erkenntlichen Dank für die Gewährung seines Wunsches, nämlich für das Zelt; und jetzt wagt er es noch einmal, und, deiner Güte und deines Wohlwollens gewiß, erbittet er von deiner Hand, daß du ihm ein wenig vom Wasser des Löwenquells gewährst. Doch ich möchte dich bitten: wenn es dir nicht gefällt, dies Wasser zu geben, so laß die Sache vergessen sein; denn alles zu tun, was du willst, ist mein einziger Wunsch.‹ Versetzte Peri-Banu: ›Mir scheint, dein Vater, der Sultan, will sowohl dich wie mich auf die Probe stellen, indem er solche Dinge verlangt, die ihm die Zauberin eingibt. Doch trotzdem will ich auch dies Geschenk gewähren, da der Sultan sein Herz daran gehängt hat; und weder mir noch dir soll Unheil daraus erwachsen, obgleich es mit Fährnis und Gefahr verbunden ist, und obgleich das Verlangen aus nicht geringer Bosheit und Tücke entspringt. Aber gib genau auf meine Worte acht und vergiß von ihnen nichts, sonst ist dein Verderben gewiß. Ich will dir jetzt sagen, was du zu tun hast. In der Halle des Schlosses, das sich auf jenem Berge erhebt, steht ein Brunnen, den vier wilde und reißende Löwen bewachen; und sie verteidigen den Pfad, der dorthin führt, denn stets steht ein Paar auf Wache, während das andere sich ausruht; und so hat kein lebendes Wesen jemals die Macht, an ihnen vorbeizukommen. Doch ich will dich mit einem Mittel bekannt machen, wie du ans Ziel gelangen kannst, ohne daß dir Unheil oder Schaden von den wütenden Tieren widerfährt.‹ Mit diesen Worten zog sie aus einer Elfenbeindose einen Knäuel Garn hervor, und mit einer Nadel (einer von denen, mit denen sie ihre Arbeit verrichtet hatte) machte sie einen Ball daraus. Den gab sie ihrem Gatten in die Hand und sprach: ›Zunächst gib acht, daß du diesen Ball bei dir behältst, ich will dir gleich seinen Zweck erklären. Und zweitens wähle [283] dir zwei sehr schnelle Rosse aus: das eine, um selber darauf zu reiten; das andere, um es mit der Leiche eines frisch geschlachteten Schafes zu beladen, das in vier Teile zerlegt ist. Und drittens nimm eine Phiole mit, die ich dir geben werde, in die tu das Wasser, das du, Inschallah – so Gott will – mitnehmen wirst. Sowie nun der Morgen dämmert, steh auf mit dem Licht und reite auf deinem erwählten Rosse hinaus und führe das andere am Zügel neben dir her. Wenn du dann das eherne Portal erreichst, das sich auf den Hof des Schlosses öffnet, so wirf, nicht weit vom Tor entfernt, diesen Ball vor dir auf den Boden. Er wird alsbald aus eigener Kraft zu rollen beginnen, und zwar auf das Tor des Schlosses zu; du aber folge ihm durch den offenen Eingang, bis er in seinem Laufe innehält. In diesem Augenblick wirst du die vier Löwen sehen; und die beiden, die wach sind und wachen, werden die beiden, die schlafen und ruhen, wecken. Alle vier werden die Kiefer zum Boden kehren und knurren und brüllen mit scheußlichem Geheul, als wollten sie über dich herfallen und dir Glied von Glied abreißen. Aber fürchte nichts und laß dich nicht schrecken, und wirf die vier Schafsviertel vom Leitpferd zu Boden, eines für jeden der Löwen. Hüte dich, von deinem Rosse zu steigen, sondern stoße ihm den Spornschuh in die Flanken und reite mit aller Macht zu dem Brunnen, in dem das Wasser sich befindet. Hier steige ab und fülle die Phiole, während die Löwen mit ihrem Fraß beschäftigt sind. Und schließlich kehre schleunigst zurück, so werden die Tiere dich nicht hindern, an ihnen vorüberzureiten.‹ Am nächsten Tage tat Prinz Ahmad mit Tagesanbruch alles, was Peri-Banu ihm befohlen hatte, und er ritt zum Schlosse davon. Und als er das eherne Portal durchschritten, den Hof durchquert und die Tür geöffnet hatte, drang er ein in die Halle; dort warf er den Löwen die Schafsviertel vor, eines für einen jeden, und schnell erreichte er den Quell. Er füllte seine Phiole mit Wasser aus dem Becken und eilte in aller Hast zurück. Doch als er ein wenig geritten war, wandte er sich um und sah zwei von den wachenden Löwen, die ihn verfolgten; das aber schreckte ihn keineswegs, nur zog er den Säbel aus der Scheide, um sich zur Verteidigung zu rüsten. Und als der eine der beiden sah, [284] wie er das Schwert zur Abwehr entblößte, wich er ein wenig vom Wege ab, stand und starrte ihn an, nickte mit dem Kopf und wedelte mit dem Schweif, als wolle er den Prinzen bitten, den Säbel in die Scheide zu stoßen, und ihm versichern, daß er in Frieden reiten könne, ohne eine Gefahr zu fürchten. Der andere Löwe aber sprang jenem voraus und folgte ihm eng auf den Fersen, und beide ließen nicht ab, ihn zu begleiten, bis er die Stadt, ja das Tor des Palastes erreicht hatte. Und ebenso bildete das zweite Paar den Nachtrab, bis Prinz Ahmad in die Tür des Palastes getreten war; und als sie dessen gewiß waren, kehrten alle vier zurück, wie sie gekommen waren. Als nun die Bewohner der Stadt dies wunderbare Schauspiel sahen, flohen sie in wildem Entsetzen davon, obgleich die verzauberten Tiere niemanden belästigten. Und da ein paar reitende Ritter ihren Herrn allein und ohne Gefolge reiten sahen, eilten sie herbei und halfen ihm abzusitzen. Derweilen aber saß der Sultan in der Halle des Diwans im Gespräch mit seinen Vezieren und Ministern; und als Prinz Ahmad eintrat, grüßte er ihn und segnete ihn ehrfurchtsvoll, bat um die Dauer seines Daseins, seines Gedeihens und Reichtums, setzte die Phiole mit dem Wasser vom Löwenquell vor seinen Füßen hin und sprach: ›Siehe, ich habe dir gebracht, was du verlangtest. Dieses Wasser ist sehr selten und schwer zu erlangen; und in deinem ganzen Schatzhause gibt es nichts, was so merkwürdig wäre und von solchem Wert. Wenn du je an einer Krankheit erkranken solltest (der allmächtige Allah verhüte, daß solches in deinem Schicksal geschrieben stehe!), so trinke einen Schluck davon, und du wirst alsbald von jeglichem Leiden genesen.‹ Als der Prinz zu Ende gesprochen hatte, umarmte ihn der Sultan mit aller Liebe und Herzlichkeit, Huld und Ehrung und küßte ihm das Haupt; und er setzte ihn zu seiner Rechten und sprach: ›O mein Sohn, ich bin dir verpflichtet über jedes Maß und jede Grenze hinaus, dieweil du dein Leben gewagt hast, um mir unter vieler Mühsal und Gefahr dies Wasser aus einem so verderblichen Orte zu holen.‹ Denn die Hexe hatte den Sultan schon über den Löwenquell aufgeklärt und über die tödlichen Gefahren, die das Schloß umlauerten; er wußte also recht gut, wie tapfer seines Sohnes verwegene Tat gewesen[285] war; und gleich darauf fuhr er fort: ›Sag, o mein Kind, wie konntest du dich dorthin wagen, und wie bist du den Löwen entronnen und brachtest wohlbehalten und unverletzt das Wasser zurück?‹ Versetzte der Prinz: ›Bei deiner Huld, o mein Herr und König, ich kehrte sicher von jenem Orte zurück vor allem deshalb, weil ich handelte nach dem Gebot meiner Gattin, der Herrin Peri-Banu; und ich konnte das Wasser aus dem Löwenquell nur bringen, weil ich ihren Befehlen gehorchte.‹ Und er berichtete seinem Vater alles, was ihm auf dem Hin- und Rückweg widerfahren war. Und als der Sultan die glänzende Tapferkeit und den Mut seines Sohnes erkannte, da fürchtete er sich nur um so mehr, und die Bosheit und Tücke, der Neid und die Eifersucht, die ihm den Busen füllten, wurden noch zehnmal so groß wie zuvor. Er verbarg jedoch seine wahren Empfindungen, entließ den Prinzen Ahmad, begab sich in seine Gemächer und schickte sofort der Hexe Befehl, vor ihm zu erscheinen; und als sie kam, da erzählte er ihr von des Prinzen Besuch und berichtete ihr, wie er das Wasser vom Löwenquell hatte bringen können. Sie hatte bereits davon vernommen, weil die Löwen in der Stadt einigen Aufruhr verursacht hatten; aber als sie den ganzen Bericht angehört hatte, da staunte sie im höchstem Staunen, flüsterte dem Sultan ihren neuen Plan ins Ohr und sprach triumphierend: ›O König der Könige, diesmal sollst du dem Prinzen einen Auftrag geben, wie er ihm, dünkt mich, Mühe machen soll, und es wird ihm schwer fallen, auch nur das geringste von ihm auszuführen.‹ ›Du hast wohlgesprochen,‹ erwiderte der Sultan; und jetzt will ich wahrlich diesen Plan versuchen, den du für mich entworfen hast!‹ Am nächsten Tage also, als Prinz Ahmad vor seinen Vater trat, sprach der König zu ihm: ›O mein teures Kind, es entzückt mich sehr, deine Mannhaftigkeit und Tapferkeit zu sehen, sowie auch die Kindesliebe, die dich erfüllt; denn diese guten Gaben hast du bewiesen, indem du mir die beiden Seltenheiten verschafftest, um die ich dich bat. Und jetzt habe ich noch eine letzte Bitte für dich, und sollte es dir gelingen, mir meinen Wunsch zu erfüllen, so will ich wahrlich mit meinem geliebten Sohne zufrieden sein und ihm den Rest meiner Tage hindurch danken.‹ Versetzte der Prinz: ›Und [286] welches ist die Gabe, die du wünschest? Ich für mein Teil will dein Geheiß erfüllen, soweit es in meinen Kräften liegt.‹ Gab der König dem Prinzen zur Antwort: ›Ich möchte, du brächtest mir einen Mann, an Statur und Wuchs nicht höher als drei Fuß, jedoch mit einem Bart von vollen zwanzig Ellen; der soll auf der Schulter einen stählernen Stab von zweihundertundsechzig Pfund Gewicht tragen, den er mit Leichtigkeit schwingt und sich um den Kopf wirbelt, ohne die Stirne kraus zu ziehen, wie die Menschen sonst hölzerne Keulen schwingen.‹ So bat der Sultan, irregeführt nach dem Spruche des Schicksals und achtlos des Guten wie Bösen, um eben das, was das sicherste Verderben über ihn bringen mußte. Und auch Prinz Ahmad war in blindem Gehorsam und aus reiner Liebe zu seinem Vater bereit, ihm zu bringen, was er verlangte; denn er wußte nicht, was in der geheimen Absicht seiner harrte. Sprach er: ›O mein Vater und Sultan, ich denke, es wird schwer sein, in der ganzen Welt ehren Menschen zu finden, wie du ihn verlangst; doch ich will mein Bestes tun, deinen Befehl zu vollführen.‹ Und der Prinz zog sich zurück und kehrte wie immer heim in seinen Palast, wo er Peri-Banu in Liebe und Freude begrüßte; sein Gesicht aber war besorgt, und das Herz war ihm schwer, wenn er an des Königs Verlangen dachte. Als ihn die Prinzessin so in Gedanken sah, da fragte sie ihn und sprach: ›O mein teurer Herr, welche Nachricht bringst du mir heute?‹ Versetzte er: ›Der Sultan verlangt bei jedem Besuch etwas Neues von mir, und er wird mir mit seinen Bitten zur Bürde; heute will er mich auf die Probe stellen, und in der Hoffnung, mich zu beschämen, fordert er etwas, was ich in der ganzen Welt nicht zu finden hoffen kann.‹ Und er erzählte ihr alles, was der König zu ihm gesprochen hatte. Als nun Peri-Banu diese Worte hörte, sprach sie zu dem Prinzen: ›Mache dir darüber keinerlei Sorge. Du hast es unter großen Gefahren gewagt, für deinen Vater Wasser aus dem Löwenquell zu holen, und es gelang dir, dein Ziel zu erreichen. Nun ist diese neue Aufgabe keineswegs schwerer oder gefährlicher als jene, ja, sie ist leichter; denn der, den du schilderst, ist kein anderer als mein Bruder Schabbar. Obwohl wir beide die gleichen Eltern haben, so hat es doch Allah, dem Allmächtigen, gefallen, [287] uns in verschiedenen Gestalten zu bilden und ihn seiner Schwester so unähnlich zu machen, wie es ein Wesen in sterblicher Form nur sein kann. Obendrein ist er tapfer und unternehmend, und stets sucht er nach einer Tat und einem Unterfangen, durch das er meinem Besten dienen kann; und gern führt er das aus, was er beginnt. Er ist gestaltet und geformt, wie der Sultan, dein Vater, ihn schildert, und niemals benutzt er eine andere Waffe als den Mabbut oder die stählerne Keule; und sieh, jetzt will ich ihn holen lassen, du aber erschrick nicht, wenn du ihn siehst.‹ Versetzte Prinz Ahmad: ›Wenn er wirklich dein Bruder ist, was tut es da, wie er aussieht? Ich werde ihn mit Vergnügen sehen, wie man einen geschätzten Freund sieht oder einen geliebten Verwandten. Weshalb sollte ich mich vor seinem Anblick fürchten?‹ Als sie diese Worte vernahm, entsandte Peri-Banu eine ihrer Dienerinnen, die ihr aus ihrem geheimen Schatz eine goldene Räucherpfanne brachte; und sie befahl, ein Feuer darin zu entzünden, schickte nach einer Schatulle aus edelsteinbesetzten edlen Metallen, einem Geschenk ihrer Sippe, nahm einigen Weihrauch daraus und warf ihn in die Flammen. Sogleich wirbelte ein dichter Rauch hoch in die Luft und verbreitete sich im ganzen Palaste; und wenige Augenblicke darauf rief Peri-Banu, die ihre Beschwörungen eingestellt hatte: ›Sieh, mein Bruder Schabbar kommt! Erkennst du seine Gestalt?‹ Der Prinz sah empor und erblickte ein Männchen von Zwerggestalt, nicht mehr als drei Fuß hoch, mit einem Höcker auf der Brust und einem Buckel auf dem Rücken; doch trug er sich stattlich und mit majestätischer Miene. Auf seiner rechten Schulter hielt er den stählernen Stab von zweihundertundsechzig Pfund Gewicht. Sein Bart war dicht und zwanzig Ellen lang, doch so kunstvoll angeordnet, daß er den Boden nicht berührte; auch trug er einen langen, gewundenen Schnurrbart, der sich bis zu den Ohren emporkräuselte, und sein ganzes Gesicht war mit langem Haar bedeckt. Seine Augen waren denen der Schweine nicht unähnlich, und sein Kopf, auf dem er einen kronenförmigen Kopfschmuck trug, war von ungeheurer Größe, so daß er zu seinem winzigen Körper in Widerspruch stand.
Prinz Ahmad saß ruhig neben seinem Weibe und spürte keine [288] Furcht, als die Gestalt sich nahte; und als Schabbar herzutrat, fragte er Peri-Banu mit einem Blick auf ihn und sprach: ›Wer ist der Sterbliche, der dir zur Seite sitzt?‹ Versetzte sie: ›O mein Bruder, es ist mein geliebter Gatte, Prinz Ahmad, der Sohn des Sultans von Hindostan. Ich schickte dir keine Einladung zur Hochzeit, da du mit einem großen Unternehmen beschäftigt warst; jetzt aber bist du durch die Gnade des allmächtigen Allah triumphierend heimgekehrt, nachdem du deine Feinde besiegtest, und daher berief ich dich in einer Sache, die mich nahe angeht.‹ Als er diese Worte vernahm, blickte Schabbar huldvoll auf den Prinzen Ahmad und sprach: ›O meine Schwester, kann ich ihm einen Dienst erweisen?‹ Und sie versetzte: ›Sein Vater, der Sultan, wünscht glühend, dich zu sehen, und ich bitte dich, geh zu ihm und nimm den Prinzen als Führer mit.‹ Sprach er: ›Ich bin zu sofortigem Aufbruch bereit.‹ Versetzte sie: ›Noch nicht, o mein Bruder. Du bist ermattet von der Reise; also verschiebe deinen Besuch bei dem König bis morgen, und heute abend will ich dir alles berichten, was den Prinzen Ahmad betrifft.‹ Und als es so weit war, unterrichtete Peri-Banu ihren Bruder Schabbar über den König und seine argen Berater; doch vor allem verweilte sie bei den Übeltaten der Alten, der Hexe: wie sie den Plan entworfen hätte, dem Prinzen Ahmad zu schaden und ihn tückisch zu hindern, damit er nicht mehr in die Stadt und an den Hof ginge, und wie sie solchen Einfluß auf den König gewonnen hätte, daß er den eigenen Willen ihrem füge und immer täte, was sie ihn tun hieß. Und am nächsten Tage brachen Schabbar, der Dschinni, und Prinz Ahmad mit der Dämmerung gemeinsam auf, den Sultan zu besuchen. Und als sie die Stadttore erreicht hatten, war alles Volk, Edle wie Bürger, entsetzt ob der scheußlichen Erscheinung des Zwerges; und auf allen Seiten flohen sie voller Schrecken, flüchteten sich in die Läden und Häuser, verrammelten die Türen, schlossen die Fenster und verbargen sich. So erfüllt von Grauen war ihre Flucht, daß viele Füße im Laufen die Schuhe und Sandalen verloren, während anderen die gelösten Turbane von den Köpfen fielen. Und als die beiden sich durch die Straßen und Plätze und Märkte hin, die so verlassen waren wie die Wüste, dem Palaste näherten, gaben [289] alle Wächter der Tore Fersengeld, als sie Schabbar erblickten, und sie entflohen, so daß niemand ihren Eintritt hinderte. Sie gingen geradeswegs in die Halle des Diwan, wo der Sultan seinen Darbar abhielt, und vor ihm fanden sie eine Schar von Ministern und Beratern, großen und kleinen, wovon jeder an der seinem Rang gebührenden Stelle stand. Und auch sie entflohen, als sie Schabbar erblickten, in wildem Schreck und verbargen sich; und selbst die Leibwache hatte die Posten verlassen und dachte nicht daran, die beiden anzuhalten oder durchzulassen. Nur der Sultan saß noch regungslos auf seinem Thron, als Schabbar zu ihm trat und mit stolzer Miene und königlicher Würde rief: ›O König, du hast den Wunsch ausgesprochen, mich zu sehen; und sieh, hier bin ich. Sprich jetzt, was du von mir wünschest?‹ Der König aber gab ihm keine Antwort, sondern hielt sich nur die Hände vor die Augen, um die furchtbare Gestalt nicht anzusehen; und er wandte den Kopf und wäre gern geflohen. Schabbar aber ergrimmte ob dieser Unhöflichkeit des Sultans, und er grollte ihm in schwerem Groll, als er bedachte, daß er sich die Mühe gemacht hatte, auf den Wunsch eines solchen Feiglings zu kommen, der jetzt, da er ihn sah, gern fortgelaufen wäre. Und der Dschinni hob, ohne einen Augenblick zu zögern, die stählerne Keule, schwang sie zweimal durch die Luft und traf den Sultan, ehe Prinz Ahmad den Thron erreichen oder sich sonst irgendwie ins Mittel legen konnte, so gewaltig auf den Kopf, daß er ihm den Schädel zertrümmerte und sein Gehirn auf den Boden verspritzte. Kaum aber hatte Schabbar seinem Beleidiger ein Ende gemacht, so wandte er sich wild wider den Großvezier, der dem Sultan zur Rechten stand, und unfehlbar hätte er auch ihn erschlagen, hätte der Prinz nicht um sein Leben gebeten und gesprochen: ›Töte ihn nicht; er ist mein Freund, und nimmer hat er arge Worte wider mich gesagt. Nicht aber ist das der Fall bei den anderen, seinen Genossen.‹ Als er diese Worte hörte, fiel der wütende Schabbar zu beiden Seiten über die Minister und schlimmen Ratgeber her, das heißt, über alle, die arge Pläne wider den Prinzen Ahmad entworfen hatten; er erschlug sie einen wie alle und ließ keinen einzigen entkommen, außer denen, die entflohen waren und sich verborgen [290] hielten. Dann trat er aus der Halle des Gerichtes auf den Hof und sprach zu dem Minister, dem der Prinz das Leben gerettet hatte: ›Höre, hier lebt eine Hexe, die meinem Bruder, dem Gatten meiner Schwester, Feindschaft nachträgt. Sorge, daß du sie alsbald herbeibringst; und ebenso den Schurken, der seines Vaters Geist mit Haß und Tücke, Neid und Eifersucht gegen ihn erfüllte; damit ich ihnen volles Maß für ihre Missetaten erteile.‹ Und der Großvezier brachte sie alle, zunächst die Hexe und dann den tückischen Minister mit seiner Schar von Schmeichlern und Gönnern; und Schabbar fällte sie den einen nach dem andern mit seiner stählernen Keule; und er tötete sie erbarmungslos, indem er der Hexe zurief: ›Solches ist das Ende all deiner Ränke mit dem König, und dies ist die Frucht deines Trugs und Verrats; lerne daraus, dich nicht wieder krank zu stellen!‹ Und in der Blindheit seiner Raserei hätte er auch alle Bewohner der Stadt erschlagen, aber Prinz Ahmad hinderte ihn und beruhigte ihn mit sanften und schmeichelnden Worten. Da kleidete Schabbar seinen Bruder ein in den Königsmantel, setzte ihn auf den Thron und rief ihn aus als Sultan von Hindostan. Und alles Volk, hoch wie niedrig, freute sich dieser Nachricht in höchster Freude, denn Prinz Ahmad war bei allen beliebt. Daher drängten sich auch die Massen herbei, den Treueid zu leisten und Geschenke und Huldigungsgaben zu bringen, und sie erhoben die Stimmen und riefen: ›Lang lebe König Ahmad!‹ Und als all das geschehen war, schickte Schabbar nach seiner Schwester Peri-Banu und machte sie unter dem Namen Schahr-Banu, d.i. Stadtherrin, zur Königin. Und nach einiger Zeit nahm er Abschied von ihr und dem König Ahmad und kehrte in seine Heimat zurück.
Da aber berief der König Ahmad seinen Bruder, den Prinzen Ali, und Nur al-Nihar, und er machte ihn zum Statthalter einer großen Stadt, die der Hauptstadt ganz nahe war, und er schickte ihn mit großem Prunk und Pomp dorthin. Und er ernannte auch einen Boten, den er zum Prinzen Husain schickte, damit er ihm Nachricht bringe von allen Geschehnissen und ihm sage: ›Ich will dich zum Herrscher jeder Hauptstadt und jeden Landes machen, nach dem deine Seele sich sehnt; und wenn du einwilligst, so will ich dir [291] das Schreiben der Bestallung schicken.‹ Da aber der Prinz in seinem Derwischleben ganz zufrieden und völlig glücklich war, so fragte er nichts nach Macht und Herrschaft und weltlichen Eitelkeiten; er schickte also den Boten mit seiner Huldigung und seinem erkenntlichen Dank zurück, indem er bat, man möge ihn in der Einsamkeit und im Verzicht auf die weltlichen Dinge seinem Leben überlassen.