Vor dem Konkurse

Die Mutter sitzt mit ihren beiden Töchtern im Concert-Garten.

Es ist kühl. Manchesmal rauschen die Platanen, brausen gleichsam auf.

Um den Springbrunnen stehen lila Schwertlilien, wiegen sich wie Pendel.

Die Töchter haben kurze Frühlings-Mäntel an aus brauner Moiré-Seide, braune Strohhüte mit weissen Schierlings-Dolden, des fleurs françaises.

»Hast Du der Näherin geschrieben, dem Claviermeister – – –?!« sagt die Mutter.

»Ich habe vergessen – – –« sagt Marie.

»Vergessen – – –?!«

»Ja, ich habe vergessen – –. Überall schleppst Du Alles mit, Mama! Wir sind in einem Garten. Ich lasse Alles zu Hause – – – – – –.«

»Du – – –.«

»Ja, ich. Sich loslösen können, ist künstlerisch –!«

Die jüngere Schwester legt ihre Hand sanft auf die der »Künstler-Natur«. Diese sagt: »Man könnte ein Gedicht machen: ›Die Schwertlilien im Parke‹.«

Der Vater kommt mit dem Sohne.

»Ohne Überrock – –?!« sagt die Dame; »Du bist leichtsinnig. Bist Du denn ein junger Mensch, Papa?!«

[184] »Ich wusste nicht, dass es kühl ist – –« sagt er.

Otto, zu den jungen Mädchen: »Wie schön Ihr seid – – –!«

Marie: »Was ist es für ein Stück, das die Kapelle jetzt spielt?!«

Otto: »Du kennst es nicht?! Schäme Dich! Manon ist es.«

Sie: »Eine oberflächliche Musik – – –.«

Pause.

Otto: »Dieser Concert-Garten war so vor hundert Jahren. Ewig haben sie Potpourri's gespielt. Maria Theresia, Kaiser Franz – – –. Man wird noch spielen Potpourri's aus Martha, aus Lohengrin, es werden Leute dasitzen, die fliegen können, oder zehntausend Ziegelschlager – – –.«

»Ich habe das nicht sehr gern – – –« sagt Marie.

Die Andere erhebt sich, setzt sich neben den Vater – – –.

»Du frierst – – –« sagt die Mutter zu diesem; »so leichtsinnig zu sein! Stelle wenigstens deine Füsse auf das Tischbrett.«

Die jüngere Tochter fühlt: »Er bebt, er friert nicht –.«

Die Andere sagt: »Wie kann man für Massenet schwärmen?! Er ist süsslich wie Bouguereau. Otto, warum sprichst Du nicht mit mir über Massenet?! Hältst Du mich für unwürdig?!«

»Lass ihn – – –« sagt die Mutter, »monsieur ist schlecht aufgelegt, siehst Du es nicht?!«

[185] Otto erbleicht.

Es ist kühl. Manchesmal rauschen die Platanen, brausen gleichsam auf.

Die lila Schwertlilien um den Springbrunnen wiegen sich wie Pendel. Marie fühlt: »Ihr Schwertlilien im Parke – – –!«

»Soupiren wir – – –« sagt die Mutter.

»Ich nehme Brathuhn mit Marillen-Compot« sagt Marie.

»Und Du?!« sagt die Mutter zur jüngeren Tochter.

»Ich weiss es nicht – – –.«

»Und Du, Papa?!«

»Ich nehme nichts – – –.«

Otto: »Papa muss essen. Er hat Mittags nichts gegessen. Und überhaupt – – – – –.«

»Ich nehme nichts – – –.«

»Natürlich, wenn man friert – –« sagt die Mutter.

Die jüngere Tochter fühlt: »Wenn man bebt –.«

»So gehen wir Alle nach Hause« sagt die Mutter, »und kaufen uns am Wege Schinken und Aspik; ich schicke den Diener zu Demel um Beignet's, dann kannst Du auch deine beiden Karten schreiben, Marie –.«

»Hören wir noch dieses Stück an – –« sagt Marie, »es ist Ouverture Tannhäuser.«

Der Kapellmeister ist ein blasser Mann von vierzig Jahren.

Marie denkt: »Möchtest Du in der Hof-Oper auf dem Drehsesselchen sitzen, bleicher Mann, und dem Arnold Rosé gebieten – – –?!«

[186] Die Ouverture beginnt.

Die weltentrückten Pilger kommen langsam durch den dunklen Tannenwald.

Die Violinen steigen in den Himmel, gleichsam in leuchtenden leidenschaftlichen Spiralen, höher, immer höher, wo das Ewige wohnt – – –.

Es ist kühl. Manchesmal rauschen die Platanen, brausen gleichsam auf. Die lila Schwertlilien wiegen sich wie Pendel.

Maria lauscht – – –. Die Violinen steigen in den Himmel, in leuchtenden leidenschaftlichen Spiralen – – – – –.

Die Andere hat ihre Hand auf die geliebte Hand des Vaters gelegt – – – – –.

[187]

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek