Vergleichung des Jahres und menschlichen Lebens

Der Winter ist hin/ die Blumen bezieren
Hügel/ Gründe!
Sanffte Winde
Durch bisamte Lüffte sind itzo zu spüren.
Mit Diamanten
Des nassen Zolls bemühn sich einzustellen
[101]
In vollem Lauff ans Meeres Kanten
Die flüchtige Kinder beständiger Quellen.
Fleucht der Winter mit schnellem Gefieder/
Er kömmt wieder.
Wenn neun Monate seyn verstrichen.
Ist der Mensch im Tode verblichen/
So wird er Staub/ der Geist als Schatten schwebet.
Er liegt im Grab/ als hätt' er nie gelebet.
Der Lentz ist hin/ man fühlet nicht spielen
Kühle Lüffte:
Heisse Düffte
Mit brennenden Dünsten beschweren im schwülen.
Der grünen Buchen
Vertrocknet Laub hängt an den matten Zweigen/
Die Sonne macht/ ihr Kühlung auszusuchen/
Durch feurige Strahlen die Bäche verseigen:
Entfleucht der Lentz mit schnellem Gefieder/
Er kommt wieder
Wenn neun Monate seyn verschlichen.
Ist der Mensch im Tode verblichen/
So wird er Staub/ der Geist als Schatten schwebet/
Er liegt im Grab/ als hätt er nie gelebet.
Der Sommer entweicht/ es kühlet die Blätter
Frisches Thauen:
Dürren Auen
Bringt wachsendes Grummet das feuchtende Wetter.
Man schauet hangend
Den krummen Baum voll schöner Frücht am Anger/
Mit Trauben/ gleich Schmaragd und Purpur prangen
Der Ulme Verliebten/ den Reben-Stock/ schwanger.
Entfleucht der Sommer mit schnellem Gefieder/
Er kommt wieder
Wenn neun Monate sind entwichen.
Ist der Mensch im Tode verblichen/
So wird er Staub/ der Geist als Schatten schwebet/
Er liegt im Grab/ als hätt' er nie gelebet.
[102]
Der Herbst verstreicht/ die Tage verdunckeln/
Dicke Nebel/
Schnee-Gewebel
Füllt Thäler/ muß Gipffel der Berge befunckeln.
Von Sturm und Winden
Hört man mit Furcht die Eich und Tanne brechen/
Wenn izt das Scheit die glimme Funcken zünden/
Bemüht sich der Pusch am Winter zu rächen.
Entweichet der Herbst mit schnellem Gefieder/
Er kömmt wieder
Wenn neun Monate seyn verstrichen.
Ist der Mensch im Tode verblichen/
So wird er Staub/ der Geist als Schatten schwebet/
Er liegt im Grab/ als hätt er nie gelebet.
Doch mögen die Monden der Flüchtigen Jahre
Gleich den Pfeilen
Von uns eilen/
Was schadet uns Alter und Winter und Bahre?
Gesezte Sinnen/
Die in der Zeit zum Wechsel sich bereiten/
Und Eitelkeit nicht lieb gewinnen/
Kan Sterben zu keinem entsetzen verleiten.
Läst die Seele die schmachtenden Glieder/
Sie kömmt wieder
Wenn die Tage der Ruhe verstrichen:
Ist der Mensch im Tode verblichen/
Er stehet auff/ sein Geist ist unverdorben/
Er lebt auffs neu/ als wär er nie gestorben.

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