[Des Leydens Maaß ist voll/ mein Heyland ist erblichen!]

Des Leydens Maaß ist voll/ mein Heyland ist erblichen!
Seht/ wie der holde Mund nach leztem Ruffen schweigt:
Wie durch des Speeres Stich das lezte Blutt entwichen/
Wie sich das müde Haubt vom Creutz herunter neigt:
Die Glieder hangen welck/ die ausgespannten Sehnen
Erstarrt: Die fromme Schaar vergeust viel Todten-Thränen.
O Seele/ billig ists/ den Herren zu beweinen:
Das reinste Seelen-Blutt soll ihm geopffert seyn/
Laß deine Lieb und Treu zu ihm noch ferner scheinen/
Und seinen Leichnam nicht am Holtze mehr entweyhn:
Es bitt ihn Joseph loß/ so wirst du dich nicht schämen/
Ihn von des Creutzes Stamm in deinen Arm zu nehmen.
Bringt Leitern her/ den Baum des Sieges zu besteigen/
Daran der grosse Held im Tode triumphirt:
Diß ist die Seule die der Simson muste neigen/
Des Dagons Schwarm verfällt/ wenn diese wird gerührt.
Zieht nun die Nägel aus/ und legt die bleichen Glieder/
Zur Reinigung vom Blutt/ auff saubre Tücher nieder.
Wo find ich einen Ort bey diesen rauhen Klippen/
Da man des Herren Leib gemächlich strecken kan?
Ach wehle meine Schoß! Ach nimm von meinen Lippen/
Verstorbner Lebens-Herr/ den Kuß im Glauben an.
Laß mich dein Todten-Bild fest in mein Hertze drücken/
Und mich in lezter Angst mit reichem Trost erquicken.
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Ich kan dich nicht so bald aus meinen Armen geben;
Zwar ob dem Schmertzen-Bild erschauret mir die Haut.
Dein Haubt ist voller Blutt/ an dem die Haare kleben/
Die Stirne gantz durchrizt/ die man verfallen schaut/
Der Augen Glantz ist weg/ der Wangen Schein entwichen/
Der süsse Mund gesperrt/ der Lippen Zier verblichen.
Die Hände sind durchbort/ die Füsse sind durchgraben/
Der Rücken ist durchpflügt/ die Glieder ausgereckt/
Als sie dir Arm und Bein an Pfahl gespannet haben/
Der gantze Leib mit Blutt und Striemen überdeckt.
Wo find ich einen Ort an Schultern/ Lenden/ Rieben/
Der frey von Striemen/ Blutt und Beul und Eiter blieben?
So warst du durch und durch biß an den Tod voll Schmertzen:
Voll Blutt/ doch aber auch voll heisser Liebes-Glutt.
Drauff sucht der scharffe Speer dir noch den Weg zum Hertzen/
Und quillt für mich daraus die edle Doppel-Flutt:
Ich kan dich länger nicht in solchem Stande sehen/
Du wirst die Thränen/ dich zu waschen/ nicht verschmähen.
Blutt schwizt ein todter Leib/ die Wunde wird gerüget/
Wenn sie der Thäter rührt: O Sünder/ tritt herbey/
Wo Jesus Gottes Sohn verblaßt/ erstarret lieget/
So wird sich zeigen/ wer desselben Mörder sey.
Er schwizt für Liebe Blutt/ die er zu dir getragen/
Und deine Missethat hat ihn ans Holtz geschlagen.
Rufft Abels Blutt zu Gott/ das Cain hat vergossen/
Muß Zittern über ihm bey stetem Fliehen ruhn;
Nun dieses theure Blutt durch dich in Sand geflossen/
Was soll sein Vater nicht an dir zur Rache thun?
Erkenne deine Schuld/ beweine dein Verbrechen/
So wird diß edle Blutt für jenem besser sprechen.
Klagt dort das Bruder-Blutt/ so bittet diß um Gnade;
Des Herren erstes Wort am Creutz ist vom verzeyhn/
Daß er das Juden-Volck und uns der Straff entlade/
Das andre führt den Feind mit sich in Himmel ein.
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Ergreiffe dieses Wort mit thränendem Gesichte/
So wirst du loßgezählt für Gottes Blutt-Gerichte.
Diß/ Scele/ laß dir selbst wie andern seyn gesaget/
Du bists/ für die der Herr in seiner Marter bat:
Wenn dich dein böses Thun für Gottes Stul betaget/
So glaube/ daß er dich darvon erlöset hat;
Sprich: Da wo Jesus starb/ ist meine Schuld gestorben/
Durch seine Wunden ward mir Gnad und Heyl erworben.
Nun Nicodemus kömmt/ und will dich/ Jesu/ fassen:
Es soll dich Aloe nebst Myrrhen hüllen ein.
Ich will dich nimmer doch aus Hertz und Sinne lassen/
Du solt mein Schatz/ mein Trost/ mein Licht/ mein Leben seyn!
Geh zu der kurtzen Ruh/ erwecke dich bald wieder/
Du bist des Lebens Haubt/ wir bleiben deine Glieder!

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