In der Pfahldorfgeschichte hat der geneigte Leser das Manuskript kennen gelernt, das mir aus Venedig zukam. Der zwei Bedingungen, an welche die Vollmacht zum Abdruck geknüpft war, erinnert er sich aus unserem Gespräch in Göschenen. Er wird also aus der Thatsache, daß der Abdruck vorliegt, bezüglich der einen Bedingung von selbst den Schluß ziehen, daß ich in der Pfahldorfgeschichte noch etwas Anderes fand, als nur einen anachronistisch satirischen Scherz. Was dieß Andere sei, hat A. E. dazumal so bescheiden angedeutet, als man es irgend von einem Menschen erwarten darf, der Selbstgefühl, der Charakter hat; ich würde näher darauf eintreten, wenn ich nicht allen Schein der Parteilichkeit für meinen Mann vermeiden möchte; eher ist es von Interesse für mich, auf die Mängel hinzudeuten, wozu Gelegenheit sich ergeben wird. Bevor ich erzähle, wie die andere Bedingung eintraf, will ich noch melden, was auf dem beigelegten []Zettel geschrieben stand; es lautete: „Sollte Ihnen das Opus in dem Sinne, wie ich damals in Göschenen gesagt, nicht eben unwerth erscheinen, so mögen Sie es also vom Stapel lassen, wenn ich todt bin. Dann müssen Sie aber eine Bemerkung beifügen. Ich habe in dem Hymnus des Barden ein Gedicht von einem lebenden Dichter auf eine Weise verwendet, die unverantwortlich ist, wenn ihm nicht eine Genugthuung gegeben wird, falls der Spaß gedruckt erscheint. Ich habe seine Strophen erweitert, da verändert, dort unverändert gelassen. So verlangte es mein Zusammenhang. Es lieber durch ein anderes ersetzen? Das konnte ich nicht über mich bringen, weil ich einen gleich guten Grund für den gegebenen Zweck zu legen mich unfähig fühlte. Aber auf mein heilig Ehrenwort, es soll kein Diebstahl sein und ebensowenig eine wohlweise Verbesserung. Wer die Gedichte des Mannes kennt, der weiß, welches ich meine; wer sie nicht kennt, den geht diese Bemerkung eben einfach nichts an. Noch eine andere Unthat habe ich begangen: demselben Poeten ist das Kahnlied zugeschrieben, das Alpin singt dort, wo über die Beschickung der Barden berathen wird. Taugt es nichts, so habe ich sehr gefrevelt. Es soll für beide Sünden seine Verzeihung, seine Zulassung eingeholt werden.“ Ist geschehen. Anm. d. Herausg.
[]Mit Seufzen packte ich das Manuskript zusammen, als ich es gelesen, und barg es bei den Papieren, die ich am sorglichsten verwahre. Je mehr es mich rührte, daß der Mann, mit dem ich menschlich einst in so eigenthümliche Berührung gekommen, mich nun so vertraut auch in die Gänge seines Talents blicken ließ, desto stärker wollte sich der Unmuth in mir melden, daß er mit seiner Person solch' grillenhaft heimliches Wesen trieb. Von Zeit zu Zeit überfiel mich auch einfach die Neugierde, ein paarmal schoß der Gedanke in mir auf, ich wolle schnell nach Italien aufbrechen, seine Spuren aufsuchen, seinen Namen und Stand erkunden. Doch ebenso schnell faßte ich mich nach solchen Momenten und sagte mir, daß das kindisch wäre. Und gerade diese Selbstrüge führte auch wieder zu gerechterer Auffassung jener Grille. Mußte ich mir gestehen, daß ein solcher Spürungsgang ein kleinliches Thun wäre, so war damit auch anerkannt, daß es gar so unnatürlich eben nicht war, wenn der Sonderling die Anhängsel seiner Persönlichkeit, Namen, Heimat, Stand verbarg und nur Mensch zu Mensch sich stellen wollte. Freilich konnte auch diese Erwägung nicht immer vorhalten; denn jene Anhängsel sind ja das Mittel, wodurch Menschen, die sich kennen gelernt, sich menschlich nahe getreten, einander wieder auffinden können. Warum sollte ich ihn, warum wollte er mich nicht wiedersehen? Dieß war []denn doch krank. Was konnte dahinter stecken? Hatte ihm unser Abenteuer in den Schöllenen den Gedanken des Selbstmords, der ja unheimlich genug aus seinem Selbstgespräch am schauerlichen Felsrand hervorblitzte, noch nicht ausgeheilt? Wollte er allein wandeln, um frei dem Todesgedanken nachzugehen und ungestört, wenn er reif wäre, ihn zur That zu machen? Bei dieser Betrachtung überkam mich wieder das Mitleid, jenes Mitleid, das mich einst zum halsbrecherischen Kletterwagniß getrieben, das mir beim Abschied die Thräne ausgepreßt hatte. Und nun ward mir der Inhalt der Pfahldorfgeschichte zu einer Quelle neuer herzlicher Rührung. Ich zog sie wieder hervor und vertiefte mich so recht rein pathologisch in das durchgehende Motiv: die wunderliche Erfindung einer Religion, einer Mythologie, worin sich Alles um den Katarrh dreht. Doch wurde durch ein Gefühl anderer Art dem Mitleid das Gleichgewicht gehalten: der Arme, der mit diesem lästigen Leiden so fatal verwachsen war, daß sein Gedankenleben sich gewöhnt hatte, sich halbwahnsinnig um diesen Einen und verwandte Punkte zu drehen: er hatte es ja doch vermocht, sich so seiner selbst zu entäußern, daß der Krankheitsstoff als gegenständliches Bild humoristisch ausgeschieden wurde. Das war denn wirklich kein geringer Akt geistiger Freiheit. Immerhin komisch war mir allerdings die Stelle in Arthur's Feuerrede, wo so manches Böse doch als Aus []fluß genannten Uebels entschuldigt wird, der Redner aber fühlt, daß dieß gegen den Strich seines Gedankengangs läuft und sich mühsam in diesen zurückhilft. Dabei drängte sich mir zugleich die Bemerkung auf, daß er sich im Verhältniß zum Umfang seiner Grille im Grund enthaltsam erwiesen habe, denn die Versuchung mußte groß genug sein, sich nicht auf das eine der sogenannten kleinen Uebel zu beschränken, sondern durch reichliche Einführung anderer eine Aussicht auf das unabsehliche Gebiet lästiger Durchkreuzungen menschlichen Seins und Thuns durch den winzigen Zufall zu eröffnen, mit dem er sich in so großer Ausdehnung und so verbissen beschäftigte. Einzelnes der Art, was vorkommt, wie das Herabfallen des Druiden von der Kanzel, ist doch motivirt und zählt also eigentlich nicht in die Sphäre des reinen Widersinns. Diese Einschränkung durfte ich ebenfalls für einen Erweis von Freiheit gelten lassen: er konnte eine Menge komischer Motive aus diesem Gebiete schöpfen, aber der Zusammenhang seiner Komposition wollte es nicht zulassen, und als Künstler fügte er sich in dieß Verbot, während er als Mensch doch gewiß auf Schritt und Tritt einen starken Reiz fühlen mußte, es zu übertreten.
So schwankte mir Denken und Gefühl hin und her, bis endlich die allgewaltige Macht der Zeit, die politischen Ereignisse, die Häufung täglicher Arbeit das Bild des Mannes und seines Werks mir in den Hinter []grund der Erinnerung schoben, aus dem es nun seltener, doch allemal frisch und lebendig wieder auftauchte. Des Tages dachte ich weniger daran, aber häufig träumte mir von Urhixidur, vom Wisentkampf, vom Scheiterhaufen, zu welchem Arthur verdammt war, und ein andermal schwebte ich schwindelnd über Abgründen, tosenden Wassern, über mir, hoch am steilen Fels, eine geisterhafte, titanisch bewegte Gestalt, und oft erwachte ich dann schweißgebadet im Augenblick, wo ich in die jähe Tiefe zu stürzen glaubte. Es war in der Nacht, nachdem die französische Kriegserklärung 1870 bekannt geworden, als sich mir solche Erinnerungsbilder mit Vorstellungen, welche diese Kunde mit sich brachte, wunderlich im Traume verknüpften. Ich befand mich wieder in der Schöllenenschlucht und sah auf einer der wilden, steilen Felsenhöhen — nicht meinen Mann, sondern einen Spahi, einen wilden Sohn Afrikas — nicht stehen, sondern reiten; der Fels nahm die Form eines Pferdes an, der Spahi, während sein weißer Mantel dunkler und dunkler wurde, sich mehr und mehr ausbreitete und als silbergesäumte Wetterwolke am Himmel zu flattern schien, spornte es heftig in die Seite und rief: „Nach Berlin! nach Berlin!“ Jetzt kam A. E. herbeigeeilt, schrie: „Herab, Pferdsschinder!“ packte ihn am Bein, der Spahi springt aus dem granitnen Sattel herab, zieht seinen krummen Säbel, ich stürze hinzu, wir raufen, und im Handgemenge sehe ich A. E. []stürzen, die blitzende Waffe ist ihm in die Hüfte gefahren, ein Blutstrahl spritzt aus der Wunde, der Schreck weckt mich auf und erwacht meine ich noch mein Stöhnen im Traume zu hören.
Am Morgen darauf hatte ich eine kleine Reise anzutreten in der Richtung gegen Süden. Ich stand auf dem Perron eines Bahnhofs und sah die Leute in einen Zug einsteigen, der, von oben kommend, einen kurzen Halt gemacht hatte. Das Zeichen zur Weiterfahrt war schon gegeben, als ich einen Mann, der sich etwas verspätet hatte, dem Wagen zueilen sah. Er erreichte ihn noch, blieb aber mit der Brusttasche seines nur umgeworfnen Ueberrocks im Griff der Wagenthüre hängen; ich hörte einen heftigen Fluch und sah zugleich, wie der Fremde einen zornigen, so gewaltsamen Ruck mit seinem Kleide that, daß die Tasche rieß: man hörte trotz dem Prusten des Dampfrohrs die Nähte krachen und der Inhalt rollte über den Wagentritt auf die Schienen und über sie hinweg bis an die Grenze des Perrons. Inzwischen war der Mann im Wagen verschwunden und der Zug fortgesaust. Ich war seiner nur von hinten ansichtig geworden, aber Gestalt und Bewegung waren mir bekannt vorgekommen, die Stimme, der Fluch und das ungeduldige Reißen kamen mir noch bekannter vor; jetzt beeilte ich mich, die Sachen aufzunehmen; es war eine Brieftasche und eine Cigarrenspitze; mit dem ersten Blick erkannte ich diese Dinge []als Eigenthum A. E.'s, denn wenn sich bedeutende Stunden in unserem Gedächtniß festsetzen, so gräbt sich ja gern auch unwichtig Aeußerliches als geläufige Zubehör der Persönlichkeit in die geistige Tafel mit ein. Ich begab mich mit meinem Fund auf das Zimmer des Inspektors. Er öffnete vor meinen Augen die Brieftasche und zog neben einigen Blättern und Briefen eine Paßkarte hervor; sie war 1869 ausgestellt nach Italien (und Sicilien), daneben aber lag ein älterer, ganz vergilbter Paß von 1865, der wohl mitgenommen war für den Fall, daß die Paßkarte nicht genügen sollte. Er lautete ebenfalls nach Italien. Ganz merkwürdig: der Name hieß Albert Einhart; also die Anfangsbuchstaben ebendie, womit ich mir nur zur Aushülfe, die Bedeutung: „Auch Einer“ hineinlegend, bisher den Mann bezeichnet hatte. Alter auf dem Paß: fünfzig Jahre, Paßkarte demgemäß: vierundfünfzig. Stand: Vogt außer Diensten. Flugs fiel mir dabei der Auftritt mit den zwei Strolchen auf dem Gotthardpaß ein. — Den Wohnort wollen wir übergehen: er thut nichts zur Sache und der Leser, wenn ihn etwa die Neugierde hinreizte, würde den Mann doch nicht mehr finden. Ich schrieb auf eine Karte mit meinem Namen: „Der glückliche Finder, der Reisekamerad von 1865, grüßt;“ ich bat den Beamten, die Karte zu den Sachen zu legen; er erklärte, daß er am übernächsten Tage, wo sich die Ankunft des Eigenthümers in seinem Wohn []ort als erfolgt mit Wahrscheinlichkeit annehmen lasse, telegraphiren werde. Der Vorfall machte mir Spaß, wohlgestimmt reiste ich weiter; allein die Zufriedenheit hielt nicht lange vor, eine Unruhe kam über mich; du mußt hin, sagte ich mir, eine Dummheit wär's, sich länger an die Schrulle eines Eigensinnigen binden; naturwidrig, barbarisch ist's, daß man sich nicht mehr sehen soll. Ich entschloß mich und wollte, wieder zu Haus angekommen, ungesäumt aufbrechen. Allein ich konnte mich so schnell nicht losmachen. Der Krieg hatte seine blutige Arbeit begonnen, nahe Verwandte hatten Söhne im Feld, Schlag auf Schlag folgten sich die großen, mörderischen Schlachten, es gab zu Hause gar viel zu thun für Pflege der Verwundeten, für Sanitätszüge, ich durfte, ich konnte mich von meinen nächsten Umgebungen nicht trennen. Endlich kam der Schicksalstag von Sedan. Die Hoffnung auf das Ende des Kriegs konnte ich zwar nicht theilen, aber eine Pause mußte folgen, ich glaubte mich auf einige Tage frei machen zu dürfen und fuhr ab.
Auf der Station, wo der erzählte Vorfall spielte, setzte ich einen Zug aus und fragte an, ob die Sachen abgegangen und Nachricht von ihrer Ankunft eingetroffen sei. Der Beamte zeigte mir den Empfangschein und ich erkannte mit dem ersten Blick die Handschrift. Man kann sich denken, daß ich mich doch nicht wenig gespannt fühlte, als der Zug am folgenden []Morgen dem Ziele sich näherte. Ich enthielt mich, Mitreisende mit Erkundigungen anzugehen; ungeschmälert von halbem Vorwissen wollte ich die Wohlthat genießen, nun den Mann in seiner Heimath, seinen Lebensbedingungen erst ganz kennen zu lernen. Gleich nach der Ankunft eilte ich in einen Gasthof und fragte schon unter der Thüre nach der Wohnung des räthselhaften Freundes. „Sie treffen ihn nicht mehr am Leben,“ sagte mit schmerzlicher Miene der Wirth. Ich zuckte zusammen. „Ein blutiger Tod,“ setzte er hinzu; „Tod durch einen Messerstich im Streite mit einem rohen Fuhrmann.“ — „Hat er Familie hinterlassen?“ — „Er war Junggeselle, eine Verwandte hielt ihm Haus, Frau Hedwig, eine Wittwe.“ — „Ist sie noch da?“ — „Sie verbleibt im Hause.“ — Ich ließ mir Straße und Hausnummer angeben, wies Begleitung ab und fand mich bald zurecht.
Ich sah an der Nummernzahl, daß ich der Wohnung nahe sein müsse, als mir hart an der Nase ein Trinkglas vorüberflog und auf dem Pflaster klirrend zerschellte. Mir war, als streifte mich der Geist des Verstorbenen. — Das Haus war gefunden und wurde auf mein Läuten geöffnet; im Flur stürzten zwei Hunde die Treppe herab auf mich zu, laut bellend, doch nicht in feindlichem Tone, es war der halbwimmernde Ruf, welchen dieß Hausthier in der Aufregung der Freude hören läßt. Plötzlich blieben sie vor mir []stehen, blinzten mich an und hängten die Schweife. Es war ein großer Hatzrüde von der gelbgrau geströmten Rasse und ein borstiger Rattenfänger. Ich betrachtete sie mir und redete sie wie alte Bekannte an, denn das waren sie doch, da ihr verlorener Herr sie mir ja im Geist längst schon vorgeführt hatte. — „Ach, ihr guten Kerle, gelt, 's ist eben nicht euer Herr, der kommt nicht mehr.“ Die Thiere winselten leise und giengen mir die Treppe hinauf zur Thüre voran, die nun geöffnet wurde, ehe ich sie erreicht hatte. Eine Frau im Alter von etwa fünfzig Jahren, ganz in Schwarz gekleidet, kam mir entgegen; ich nannte meinen Namen. — „Ach, sind Sie's?“ rief sie, „es war mir doch vor, ich hab's gleich gedacht! Denken Sie, ich bin zusammengefahren, als Sie schellten! Sie ziehen die Glocke ganz wie der Herr selig!“ — Sie gab mir die Hand, führte mich in ein behagliches getäfeltes Zimmer, worin auf dem Fenstersims ein großer Kater ruhte und halbschläfrig nach mir hersah. Wir standen uns gegenüber und sahen uns in die Augen. Sie weinte und auch ich konnte die Thränen nicht unterdrücken. Mit gebrochener Stimme brachte sie nach einer Pause hervor: „O, wie ist das unglücklich gegangen! Er hat mir von Ihnen erzählt, ich weiß, daß Sie die Pfahldorfgeschichte haben, ich hab' ihm recht Vorwürfe gemacht, daß er so grundlos Geheimniß hielt, er war darin gar so eigensinnig, []doch gegen das Ende ist er milder geworden und als die Sachen ankamen mit Ihrer Karte, so wollte er Ihnen schreiben oder Sie besuchen, aber dann verschleppte er es wieder, nun kam das Unglück und darnach in seinen letzten Stunden hat er noch einmal von Ihnen gesprochen und mir das Versprechen abgenommen, Sie noch recht herzlich zu grüßen, auch noch einen Auftrag gegeben, von dem wir ein andermal reden wollen.“
„Und das Unglück? Wie ist es geschehen?“
Wir hatten uns gesetzt.
Sie fieng an: „Mein Vetter war seit der Nachricht von der Schlacht bei Gravelotte —“
Sie wurde durch ein Klopfen unterbrochen. Ein Polizeidiener trat ein, blieb an der Thüre stehen und sagte, den Kopf schief haltend und schmunzelnd: „Frau Hedwig, 's Gewöhnliche!“
Die Frau wurde hochroth bis unter die Stirnhaare, gieng zu einem Schranke, holte Münze heraus und gab sie dem Polizeimann, der immer noch halblächelnd mit Verbeugung abgieng.
Ich hatte verstanden — das Glas! Also auch sie — auch diese sichtbar so gehaltene, verständige Frau! —
Sie machte sich beiseite zu schaffen, suchte ihr Gesicht zu verbergen, besann sich aber, trat vor mich, sah mich fest an und sagte: „Göschenen — ich weiß.“ Mir kam mitten im Weh das Lachen, ihr auch und []sie überließ sich der befreienden Erschütterung, während ihr noch die hellen Thränen in den Augen standen. Und so lachten zwei redlich tiefbetrübte Menschen ein Duett.
Der Ernst stellte sich schnell genug wieder ein und sie erzählte:
„Herr Einhart kam im Frühjahr 1866 von seiner zweiten Reise nach Italien zurück. Die erste hat er im Jahre 1860 gemacht. Er hatte Italien früher sehen wollen; ein Jahr Urlaub von 1847 auf 1848 war, das weiß ich, zuerst für Norwegen, dann für Italien bestimmt. Damals muß ihn nicht nur ein Nervenfieber aufgehalten haben, das ihn dort heimsuchte, dort spielt ein Geheimniß, und statt über die Alpen gieng er in den Kampf für Schleswig-Holstein. Genug, es gelang ihm zwölf Jahre später, das ersehnte Land endlich zu sehen. Er kam sehr erfrischt und erheitert zurück, mit ganz besonderer Empfindung sprach er von den umbrischen Bergstädten, hielt aber ein paarmal auffallend schnell inne, als ihn die Schilderung der Madonnen der alten sienesischen Meister auf den dortigen Frauentypus zu sprechen brachte. Das neue größere Amt, das er um dieselbe Zeit angetreten, nahm nun seine ganze, stets willige Arbeitskraft in Anspruch. Lassen Sie mich für jetzt schweigen von den Dingen, die nachher kamen, von seinem Sturz, von der Stimmung, in welcher er die zweite Reise nach Italien unternahm, auf welcher er im Hin []weg Sie kennen lernte. Nach seiner Rückkehr gieng es im Anfang ordentlich, er lebte gesammelt in seinen Reiseerinnerungen, manchmal freilich befiel ihn eine plötzliche Unruhe und es schoß der Gedanke in ihm auf, er wolle wieder fort, wieder nach Italien. Er schob es auf das nordische Wetter, es wollte mir scheinen, es müsse noch etwas Anderes dahinter stecken. Es kostete mich Mühe, es ihm auszureden. Ab und zu thaute er auf und sprach dann prächtig über einige Hauptstellen seiner Reise, über Land und Leute, über Formen und Farben der südlichen Natur, über Kunstwerke, die er sah, wie sie nicht Jeder sieht, nemlich mit den eigenen Augen. Dabei fehlte es nicht an komischen Beobachtungen und Erlebnissen, und so hat er mir denn auch den großen Opferakt, den er auf der Hinreise auf dem Gotthard mit Ihnen vollzogen, heiter und feierlich erzählt. Doch immer kehrten dunkle Stunden wieder; es mußte mir scheinen, der verschlossene Mann verschweige mir irgendwelche neue trübe Erfahrungen.“
„Hat er Ihnen auch erzählt,“ fragte ich, „was jenem Auftritte vorangieng?“
„Nichts,“ war die Antwort. Sie fuhr fort: „Nun blieben auch neue Verkältungen nicht aus und warfen sich ihm wie immer auf die Schleimhäute und da war er dann, wie Sie sich denken können, — schrecklich —“
[]Ich unterbrach sie mit der Frage, ob sie ihn auch schwer krank gesehen und wie er dann sich gehalten habe.
„O, wie ein Lamm,“ war die Antwort; „kein Wort der Klage. Zweimal hab' ich's erlebt: einmal Gesichtsschmerz, glücklicherweise vorübergehend; man hörte kaum ein unterdrücktes Stöhnen; einmal eine Luftröhrentzündung; dieses Mal sprach man ihm von möglichem Tode und er nahm es ganz unbewegt auf. Nur zu beklagen war's, daß er fast alle Pflege abwies. Ein Kranker sei ein Lump, stieß er aus, der müsse bescheiden sein und sich hübsch verbergen. Uebrigens sagte er auch gern, wenn man seine Geduld rühmte: ‚Das Moralische versteht sich immer von selbst. 'Um jene Zeit nahmen auch seine sehr guten Augen etwas ab, er wurde fernsichtig, mußte zum Lesen eine Brille, zu augenblicklicher Aushülfe eine Lorgnette tragen. Nun kam das häufige Suchen, das ewige Putzen, wobei er jedesmal über die Heimtücke der Stangen wetterte, daß sie hindernd über die Gläser hereinfielen, und, was noch schlimmer war: die Schnur, woran er das Gläschen trug, that ihm gar so viel Schabernack, fieng sich an einem Westenknopf, schob sich in die Brusttasche mit ein, wenn er sein Notizbuch hineinstecken wollte, so daß es sich staute, und das immer am liebsten, wenn die Sache Eile hatte. Herr meines Lebens, ist er da wild geworden!“
„Kenne, kenne, weiß,“ sagte ich etwas ungeduldig.
[]„Inzwischen war es in der Welt draußen ja zum Kriege zwischen Preußen und Oesterreich gekommen. Sie können sich denken, wie es einem alten Kämpfer für Schleswig-Holstein zu Muthe war, als die Sache diesen Gang nahm, als nun die Preußen in Böhmen einrückten, als Schlag auf Schlag ihre blutigen Siege folgten. Man sah dem Mann einen schweren inneren Kampf an, er sprach wenig, ich hörte ihn droben häufig mit starken Schritten auf und ab gehen. Einmal sagte er: ,’s ist unrecht, aber es wäre schwerlich anders gegangen;‘ das andere Mal: ‚es wäre schwerlich anders gegangen, aber es ist unrecht, es wird nachhaltig der öffentlichen Moral schaden.‘ Aus seiner Abendgesellschaft im Stern kam er meist aufgeregt, oft verstimmt nach Hause. Wenn ich ihn zu beruhigen suchte und zur Langmuth ermahnte, konnte er sagen: ‚Es sind eben Parteisimpel, alle bis auf Einen.‘ Er meinte einen jungen Mann, den Assessor. Schließlich schöpfte er doch immer wieder Hoffnung. Man konnte merken, daß ein Umschlag alter Ansichten in ihm vor sich gieng. Einmal fuhr er bei Tische plötzlich auf, trat an's Fenster, als sähe er nach dem Wetter und sagte dann mit einem Tone wie ein Schlafredner: ‚Da ist Hoffnung, ja, ja, — der Spieler in Frankreich — der hilft uns noch — ein guter Krieg korrigirt den schlimmen und die Mainlinie.‘
„Die Jahre,“ fuhr sie fort, „zogen sich so hin, []er warf sich wieder recht auf seine Bücher, die Laune wurde erträglicher und als ich einen jungen Kater von ungewöhnlichem Feuer einthat, war er dessen sehr zufrieden. Dort sitzt das Thier, aber es ist seit seinem Eintritt in's mannbare Alter sehr langweilig geworden, ganz rein materiell, der Selige hat einmal behauptet, er habe den Kerl überrascht, wie er aus seiner Bibliothek Büchner's Schrift: „Kraft und Stoff“ hervorgezogen hatte und studierte. — Im vorigen Jahr kam wieder ein ganz böser.“
Frau Hedwig nahm mit Grund an, ich wisse hiezu das Hauptwort zu ergänzen. —
„Ich rieth ihm, den Winter in Rom oder lieber in Palermo zuzubringen und vorher oder nachher Neapel zu besuchen, das er noch nie gesehen hatte. Schon öfters, ja schon in den vorderen Mannesjahren, war man für seine Brust besorgt gewesen; er muß doch eine sehr starke Natur gehabt haben, daß die Lunge den Folgen so vieler Verkältungen so lange zu widerstehen vermochte. Er ließ sich meinen Vorschlag gefallen, ja mehr als dieß, mir schien aus einzelnen abgebrochenen Winken dießmal wie früher, nur noch merklicher, hervorzugehen, es treibe ihn neben dem besonderen Reiz, den das klassische Land auf eine so nordische Natur üben mußte, noch etwas Einzelnes, Geheimes. Freche Raubanfälle waren damals in Sicilien vorgekommen, das machte ihm keine Sorge, doch nahm er die Reise []dießmal schwerer als sonst und war viel in Gedanken. Kurz vor Aufbruch fiel es ihm ein, er wolle das Thal ‚noch einmal‘ sehen, wo er vier Jahre, vom vierzehnten bis zum achtzehnten, in einer Erziehungsanstalt zugebracht hat. Er hatte immer gern von jener Zeit gesprochen, von den alten Klosterräumen, worin die Schule sich befand, von der Schönheit des Thales, von den alten Kameraden. Still und sichtbar weich gestimmt kam er zurück und trat bald darauf die Reise an. Er schien sich nach den wenigen Lebenszeichen, die mir aus der Entfernung zukamen, in Neapel, dann in Palermo ganz munter zu befinden. Ueber Pompeji schrieb er einen ausnahmsweise langen, gar schönen Brief; durch den tiefen Ernst seiner Schilderung und Betrachtungen schien mir etwas wie eine Todesahnung hindurchzuklingen, am Schluß aber sprang er auf seine Weise in Scherz um, indem er berichtete, er beschäftige sich jetzt profund mit der Frage, ob die Griechen und Römer auch Hühneraugen gehabt haben; er habe die Figuren der Verschütteten, die man durch Gypseinguß in den Lavamantel gewonnen, mikroskopisch genau darauf angesehen, aber leider sei die Epidermis zu sehr zerstört. Von Palermo sollte im Frühling eine Rundreise durch die Insel angetreten werden, aber auf einmal kam ein Brief aus Rom, dann lange keiner mehr, ich dachte, er sitze nun im römischen Gebirge, als endlich, um die Zeit des Kriegsausbruchs, ein paar []hingeworfene Zeilen aus Assisi anlangten, die mir seine plötzliche Rückreise anzeigten. Ein paar Wochen darauf war er da, eigenthümlich verändert. Es war etwas Geklärtes in seinen Zügen, die Stirne erschien glätter, der Blick freier und heller, die Mundwinkel neigten nicht mehr zu dem bitteren Zug nach unten. Er erklärte, er wolle in den Krieg. Ich erschrack, wiewohl ich es voraussehen konnte; es wäre ein Wunder gewesen, wenn der Freiwillige von 1848 sich nicht in ihm geregt hätte. Nach seinem Kraftmaß reichte auch die Rüstigkeit noch aus, aber mit so unseliger Haut, zu schweren Verkältungen so entsetzlich geneigt, wie wäre es möglich gewesen, die Strapazen, namentlich die Beiwachen, auszuhalten! Mit so schwarzen Farben als denkbar malte ich ihm das vor und stellte ihm das Gespenst eines Nervenfiebers in Aussicht. ‚Nervenfieber oder Schuß,‘ rief er, ‚gleichviel, doch anständig gestorben!‘ Er wollte ein freiwilliges Jägerkorps, ein berittenes, errichten, gewann Freunde zu Niedersetzung eines Komite, man wandte sich an das Kriegsministerium, er schaffte sich ein neues Reitpferd an und nahm bei einem Rittmeister Lektionen in der Offizierschule. Da kam mir ein Unfall zu Hülfe: er stürzte auf einem Ritt und verrenkte den Fuß. Er pflegte auf ebenem, sicherem Boden äußerst vorsichtig, ja ängstlich, dagegen auf schlimmen, gefährlichen Wegen ganz tollkühn zu reiten; so rannte er eines Tags über einen holprigen, []steinigen Abhang, und zwar ohne Anstoß, aber auf der bequemen Landstraße angekommen, machte er durch unnöthiges Zockeln sein Pferd unruhig, es scheute an einem Papierblatt auf dem Wege, stieg, croupirte, fiel mit ihm und er konnte noch von Glück sagen, daß er mit verletzten Fußsehnen davonkam. So erfuhr man es von einem Augenzeugen, er selbst wetterte auf die bösen Geister, die ihm Solches angethan, während er doch so vorsichtig sei. Sie können sich denken, wie schlecht er die Geduldprobe des langen Stillhaltens, Schonens, nachdauernden Hinkens in so drangvoller Zeit bestanden hat. Inzwischen wurde das kriegerische Vorhaben ohnedieß vereitelt, da die Regierung, nachdem sie sich zuerst geneigt erwiesen, am Ende doch abschlägig beschied. So war es denn kein Wunder, wenn die klare und freie Stimmung, die A. E. von der Reise mitgebracht hatte, nicht vorhielt. Aber es war da noch etwas Anderes, als Mislaune; wäre es diese allein gewesen, sie hätte den Siegesbotschaften, wie sie sich auf dem Fuße folgten, doch nicht zu widerstehen vermocht. Sie entzückten ihn auch, aber dahinter stieg ein dunkler Geist in ihm auf, den ich anfangs nicht enträthseln konnte, der erst nach und nach durch bestimmtere Aeußerungen mir verständlich wurde. ‚Ich bin der Eulenspiegel,' sagte er einmal, ‚der heult, wann's lustig bergab geht.' Als der Tag von Sedan kam, rief er, sichtbar den Jubel der Seele unterdrückend: ‚Ach Gott, []ach Gott! so viel Glück ertragen die Deutschen nicht!‘ Schließlich folgte das klare Wort: ‚Wir werden unser Ziel erreichen, aber von so viel ungewohntem Gelingen auch einen schlimmen Butzen davon tragen; wenn der Tempel aufgebaut ist, gebt Acht, wie sich die Fälscher, Krämer, Wechsler, Wucherer breit darin einnisten werden!‘ Am Abend jedoch ließ er frei und hell den Freudensturm des Herzens hervorschießen und gab seinen Hunden einen Festschmaus. So trieb es ihn um. Wo er Schlechtes sah — und es gibt dessen genug in unserer Stadt, mein Herr, gar Viele wollen schneller reich werden, als es mit Ehre und Gewissen vereinbar ist, und die Mehrheit ist gar genußsüchtig, Verbrechen, Raub, Todtschlag, Brandstiftung häufen sich — da wurde er noch grimmiger als sonst, beklagte auf's Neue, was verschmerzt schien, den Verlust seines Amts, seiner Amtsgewalt —“
Wie sehr es mich drängte, über diesen schweren Schlag, den sie mir schon angedeutet hatte, Näheres zu erfahren, wollte ich doch mit Fragen jetzt nicht in die Erzählung eingreifen; ich sah der Frau an, daß sie sich dem Schlusse näherte, ihr Athem wurde kürzer —
„Um die Zeit mußte wieder ein Katarrh kommen, und als er sich erträglich abwickelte, stellten sich bereits Anzeichen eines neuen ein. In diesem Zustand geht er eines Tags aus — zum letzten Mal: man brachte ihn mir ohnmächtig mit einer tiefen Wunde in der Hüfte.“
[]Sie verfiel in Schluchzen und sammelte sich mühsam, den Bericht zu vollenden. „Er begegnete auf der Landstraße einem Fuhrmann, der mit grausamen Hieben ein überladenes Pferd mishandelte. Es war ein Mensch, den er einst als Vogt wegen derselben Rohheit scharf bestraft hatte. Zuerst ermahnt er ihn ruhig, bekommt darauf eine rohe Antwort und der Barbar haut nur noch wilder auf das Thier los. Einhart entreißt ihm die Geißel, sie raufen, der Fuhrmann vermag ihn nicht zu bewältigen, zieht sein Messer und versetzt dem Pferd mehrere Stiche; jetzt haut A. E. mit der entrissenen Peitsche auf den Wütherich ein, dieser springt wie ein Tiger gegen ihn und das Messer fährt ihm in die Hüfte.
„Leute, die des Weges kamen, fanden den Fuhrmann zu Boden gerissen und hier festgebannt vom drohenden Rachen des Hatzrüden, daneben den Verwundeten; ein Wagen wurde rasch herbeigeschafft, die Kunde verbreitete sich pfeilschnell, als man ihn durch die Straßen führte; ein Freund, der Assessor, kam herbeigeeilt und brachte unsern Arzt schon mit, den er unterwegs aufgeboten hatte. Wir trugen den Ohnmächtigen auf's Bett, ich und der Assessor, nachdem mit seiner Hülfe ein Verband angelegt war, verließen das Zimmer, um durch keinen Laut den Schlummer zu stören, in welchen nach schmerzhaftem Zucken die Ohnmacht übergegangen war. Der Arzt hat mir []nachher so erzählt: Nach einiger Zeit schlug der Kranke die Augen auf, schien mit Verwundern sich in dieser Lage und den Arzt neben sich zu sehen, besann sich eine Weile und nickte dann wie Einer, dem Entschwundenes zum Bewußtsein kommt. Er fühlte an seine Hüfte, nickte noch einmal, nahm dann nach einer neuen Pause die Hand des Arztes und sagte: ‚Doktor, eine Gewissensfrage: ‚Ist anzunehmen, daß ich noch einen kriege?' Der Doktor war in kurzem Kampfe mit sich, erwiderte dann ruhig den festen, wartenden Blick des Kranken und sagte: ‚Kaum.' — ‚Ich danke,' versetzte dieser und zog die Glocke.
„Wir waren indessen schweigend, in tödtlicher Spannung im Nebenzimmer gestanden, traten jetzt leise hinein, A. E. sah uns der Reihe nach freundlich an und sagte dann mit schwacher Stimme, aber in ganz warmhellem Tone: ‚Freut euch mit mir, ich kriege keinen mehr, ich weiß es vom Doktor da! Ich darf anständig sterben. Es ist doch so auf eine Art, wie wenn ich im Kriege gefallen wäre.‘ Der Arzt widersprach nicht. Der Kranke fiel wieder in Schlummer. ‚Warum sollte ich es ihm verschweigen?‘ flüsterte nun jener uns zu, ‚er ist ein Mann; wir müssen uns gefaßt halten, er ist unrettbar, jede weitere Behandlung seiner Wunde würde nur die Qual vermehren; er wird den Tag nicht überleben.‘ Wieder erwacht, gab A. E. ein Zeichen, daß er ein Wort mit mir []allein sprechen wolle. ‚Frau Base,' sagte er, als die Andern das Zimmer verlassen hatten, ‚in Plato's Phädon hat mir immer etwas so gut gefallen: wie Sokrates den Tod herankommen fühlt, sagt er den Freunden, sie sollen dem Asklepios einen Hahn opfern; das möchte ich wohl auch thun.' Ich übernahm den Auftrag, er sank mit geschlossenen Augen in's Kissen zurück, schlug sie aber nach einigen Minuten wieder auf und sagte: ‚Wissen Sie was? wir lassen es, mein' ich, lieber bleiben, es wäre doch nur eine Nachahmung, und dann, warum soll der Gockel, der zum Opfer ausersehen würde, nicht noch eine Weile fröhlich und stolz scharren und krähen und sein Hühnervolk beherrschen?‘ Die Augen fielen ihm wieder zu, er entschlummerte, schien zu träumen, seine Lippen zuckten, er sprach: ‚Tief da unten wirbelt die Reuß! Wie tobt sie! Hinab? Nein!' — Er wachte wieder auf und fragte: ‚Wo ist er?' — ‚Wer?' — ‚Der Reisekamerad!' — Er nannte Ihren Namen, kam klar wieder zu sich und nun hat er mir den herzlichen Gruß an Sie und den Auftrag gegeben, den ich Ihnen mittheile, wenn ich Ihnen seinen Nachlaß zeige.
„Die Männer traten wieder ein. Er wurde schwächer und schwächer, die Zwischenräume tiefen, matten Schlummers länger. Gegen Abend aber richtete er sich mit unerwarteter Kraft im Bett auf und sprach mit fester Stimme: ‚Ich hab's erleben dürfen, daß meine Nation []zu Ehren gelangt, und ich will mit Manneskraft die Angst abschütteln, daß der traurige Ansatz sittlicher Fäulniß in ihr fortfresse; ein Volk, dem zu Ehren der Weltgeist den Tag von Sedan eingeleitet hat, kann nicht so bald verlottern! — Ach, daß ich nicht mitthun konnte, — bringt Wein!' Ich sah den Arzt an, er nickte; es wurde Rheinwein gebracht, Jedem ein Glas gefüllt, er hob das seine, stieß an und trank es kräftig aus. Dann fiel er in solche Ermattung, daß wir den letzten Augenblick gekommen glaubten; er begann aber noch einmal zu phantasieren, er schien sich träumend in der Schlacht zu befinden und in heißer Bedrängniß Befehle zu geben, die Stimme war aber zu schwach zum Ruftone, man vernahm nur gepreßte Laute; die Worte: Signal — Front — Feuer — Bajonet — Klumpen bilden! — sind mir, wie fremd auch einem weiblichen Ohr, im Gedächtniß geblieben, — die Lippen bewegten sich lautlos noch kurze Zeit, das Haupt sank zurück, doch nach einer Viertelstunde etwa erwachte er noch einmal, da unversehens der kleine Hund, der Schnauz, winselnd auf sein Bett sprang, während Tyras daneben saß und kein Auge von seinem Herrn verwandte. Er reichte mir matt die Rechte und sprach: ‚Ich danke Ihnen für alle Treue; droben im Schreibtisch, mittleres Fach, liegt mein letzter Wille.' Mit der Linken streichelte er dann zuerst den kleinen, dann den großen Hund, zu dem er noch kaum hörbar []murmelte: ‚Armes, treues Thier, hast mir nicht mehr helfen können.‘ Nach einer Pause stammelte er noch wenige Worte: ich meinte zu verstehen: ‚Kommst du, Erik, führst — an der Hand? Sie nickt —‘ Mitten in diesen gebrochenen Lauten verschied er. Der zweite Name, den er genannt, war mir unverständlich geblieben, er klang nicht deutsch.“
Wir schwiegen lang. Ich drängte alle weiteren Fragen über Persönlichkeit und Leben des Verstorbenen zurück; es war mir nicht darnach zu Muthe, jetzt weiter zu reden; ich brach auf. Eine Einladung zu Tische lehnte ich dankbar ab, bat dagegen am Abend eintreten zu dürfen, begab mich in meinen Gasthof und gieng nach Fassung ringend in meinem Zimmer auf und nieder. Peinlich genug war es mir, in dieser Stimmung an die Wirthstafel sitzen zu sollen, dennoch mochte ich nicht allein auf meinem Zimmer essen, es schien mir noch unheimlicher. Einige Stammgäste und wenige Fremde saßen am Tische. Unter jenen war ein junger Mann, dessen Gesicht mir wohlgefiel, ich meinte, einen Ausdruck von Vernünftigkeit in seinen Zügen zu sehen; er trug eine Brille, die ihm doch keinerlei Anschein von Wohlweisheit gab, und fixierte mich ein paarmal flüchtig, ohne den geringsten Anflug lästiger Neugierde. Ich brach vor Beendigung der Tafel auf, er folgte mir und sagte: „Entschuldigen Sie, daß ich als Unbekannter mich Ihnen selbst vorstelle, Assessor N. Ich []habe vom Wirth erfahren, daß Sie gekommen sind, nach unserem verstorbenen A. E. zu fragen: ich schließe, Sie seien der Herr, den er auf seiner zweiten italienischen Reise kennen gelernt hat; er hat mir von Ihnen erzählt. Sie sind wohl begierig, Näheres von ihm zu erfahren. Nicht eben viel, doch Einiges kann ich Ihnen mittheilen.“ Das war denn der junge Mann, den Frau Hedwig erwähnt hatte; ich nahm dankbar sein Anerbieten an und er schlug mir auf die spätere Nachmittagszeit einen gemeinschaftlichen Gang vor. Bis dahin streifte ich zuerst planlos durch einige Straßen der Stadt, immer begleitet von dem Gedanken: diese Häuser, diese Wege sind das Bild gewesen, das täglich in sein Auge fiel: daran verspürte ich, wie theuer mir der Todte geworden war. Tief in Betrachtung versunken wartete ich dann zu Hause, bis ich abgeholt wurde. Der Assessor schlug mir einen Gang um die Stadt und dann zu Einhart's Grabe vor; wir brachen auf und sobald wir uns außerhalb der belebteren Straßen befanden, bat ich den jungen Mann, mir zu erzählen. So erfuhr ich denn die früheren Lebensumstände.
„Ich war Referendär unter ihm,“ begann er, „als er noch wohlbestellter Vogt war — — Sie wissen, der alte Titel für unsere Oberamtleute oder Bezirkspolizeidirektoren? — Er war rasch in das hiesige Amt, einen bedeutenden Wirkungskreis vorgerückt; man hatte ihm verdenken wollen, daß er auf einer Urlaubreise im Jahr []1848 sich von Norwegen nach Schleswig-Holstein aufmachte und mitkämpfte; er war damals Beamter in einem kleinern Landkreis, im Jahr nach seiner Rückkehr aber gelang es ihm, eine große Gaunerbande durch die Umsicht und die Straffheit seiner Fahndungen zu bewältigen. An einem Kampfe mit den zwei überlegenen Führern nahm er persönlich Theil und rieß den Einen, der seine Pistole auf ihn abgefeuert, zu Boden. Bald darauf wurde er auf den größern Posten hieher versetzt. Ein Jahr vor seiner Entlassung trat ich als junger Anfänger bei ihm ein. Haarscharf streng war der Mann in der Ordnung des Dienstes, ein Minos und Rhadamant gegen rohe oder frivole Willkürexzesse, gegen Alles, was nach Zuchtlosigkeit aussah, insbesondere richtete sich sein Eifer auch gegen die Thierquälerei, einen Zug von Rohheit, der in unserem Volke leider sehr stark ist und in dem er ein Hauptsymptom wachsender Verwilderung sah; seine Polizeimannschaft war streng angewiesen, diese Form der Barbarei scharf zu überwachen. Dabei ganz unpedantisch, nachsichtig, soweit irgend das Amt es erlaubte, gegen Ausschreitungen harmloser Art, hülfreich, höchst thätig in Pflege von Wohlthätigkeitsanstalten, in Verbesserung der Gefängnisse, in Auftreibung von Mitteln zur sittlichen Rettung Bestrafter, und äußerst mild in der Form, wo nicht Kampf gegen Trotz und schlechten Willen geboten war, dann aber, wenn dieß eintrat, voll imponirender Straff []heit und wohlbeherrschten, befehlenden Zornes. Der Mann war nun aber doch wenig beliebt bei der Regierung. Man kannte seine Mücken, die ich Ihnen nicht zu nennen brauche; man war zur Nachsicht geneigt, obwohl es dabei nicht ohne Ausschreitungen ablief, die am allerwenigsten bei einem Polizeibeamten vorkommen sollten. Da muß ich Ihnen doch einen einzelnen Fall erzählen. Die ‚Exekutionen‘, die er an ‚strafwürdigen Objekten‘ vorzunehmen liebte, sind Ihnen vielleicht bekannt.“
„Ja, ziemlich,“ sagte ich kleinlaut.
„Sie galten gewöhnlich nur leblosen Gegenständen. Einmal aber hatte ihn ein Hund durch wiederholten Ungehorsam erzürnt. Er war sonst nur zu gut gegen Thiere, aber wo es Disziplin galt, verstand er auch da keinen Spaß und konnte sehr hart sein. In seinem Grimm packt er den Hund und schleudert ihn aus dem Fenster. Der Unstern will es, daß das Thier einem Menschen an den Kopf fliegt und ihn zu Boden wirft. Der Mensch war zufällig ein Ministerialrath und Abtheilungschef im Ministerium des Innern. Mit großer Mühe wurde der schlimme Fall ausgeglichen; der Herr hatte eigentlich auf Realinjurie klagen wollen ‚wegen Werfung eines Hunds an den Kopf‘. Man sah durch die Finger, weil der Thäter im Uebrigen ein so verdienter Beamter war. Auch bei einigen starken Verstößen in Kanzleirechnungen kam er mit leichter Rüge []davon. Uebler vermerkte man allerdings, daß er zu Hause Philosophie, Literatur- und Kunststudien trieb, man roch hinter denselben politische Ketzerei. Und hier lag nun ein bedenklicher Punkt; er war politisch eben gar nicht so ganz korrekt. Er war von der Freiheitsbewegung der Jahre von 1848 nicht berauscht worden, aber zu sehr ein Mann des Rechtes, um die Stumpfheit, Rohheit und Heuchelei, die nach ihrem Niedergang an's Ruder kam, nicht von Herzen zu verabscheuen und offen zu verdammen. Sie kennen die Jahre der schnöden Reaktion, Sie wissen, wie SchleswigHolstein preisgegeben wurde, Sie werden sich vorstellen, wie das dem Kämpfer von Bau in die Seele schnitt; nun kam die Wiederaufrichtung des Bundestags, kamen die Reden vom christlichen Staat, die Bündnisse zwischen der Gewalt und ihrer vermeintlichen Stütze, der Hierarchie, die Konkordate, kam die Begrüßung Napoleon’s III. als Retters der Gesellschaft. Ich verfolge nicht die weiteren Ereignisse in der politischen Welt bis in den Anfang der sechziger Jahre, denn es war eine Frage der innern Gesetzgebung, welche zu dieser Zeit die Katastrophe im Schicksal Einhart's herbeiführte. Es begab sich das Wunder, daß ein Beamter, und gar ein durch seine Strenge bekannter Polizeibeamter, vom hiesigen Wahlkreis in die Kammer gewählt wurde. Es war dieß sonderbarerweise ebenso sehr das Werk von Umtrieben der Regierung, als von []Agitationen der patriotisch Gesinnten in der liberalen Partei; jene, obwohl ihm sonst doch eben nicht hold, begünstigte in ihm den Mann der strengen Ordnung, diese den Mann des Rechts und noch mehr des deutschen Einheitstrebens. Die Dinge in Schleswig-Holstein waren soeben wieder in Fluß gekommen, und man wußte, daß Einhart zu sagen pflegte, die deutsche Kaiserkrone liege dort im Küstensand begraben, müsse dort herausgehauen werden. Einhart nahm die ungesuchte Wahl an und führte seinen Sturz herbei. Sie erinnern sich, daß damals viel von Wiedereinführung der Prügelstrafe die Rede war. Er stellte einen Antrag, der sich in den Vordersätzen nachdrücklich dagegen aussprach, weiterhin aber eine Ausnahme postulirte, und zwar gegen die Mishandlung von Thieren. In der Kammerrede, worin er den Antrag begründete, — Sie müßten sie gehört haben wie ich! — es war ein Feuerstrom und doch Alles wohlbedacht! so mag Demosthenes auf der Rednerbühne gesprüht und sonnenhell gestrahlt haben — im ersten Theil dieser Rede nahm er den Ruf der reaktionären Kreise nach Wiedereinführung der entehrenden Strafe zum Ausgangspunkt, ein vernichtendes Bild jener kurzsichtigen Leidenschaft zu entwerfen, welche damals die Regungen alles berechtigten Dranges der Nation nach einem würdigen politischen Dasein zerstampfte, welche sich nicht begnügte, die Propheten maßloser, centrifugaler Freiheit mit []später Strenge zu verfolgen, sondern auch schnöde Rache gegen Alle sann, die den Gedanken der nationalen Einigung mit der Energie und Vernunft des Mannes zu verwirklichen gestrebt hatten. Aezende Ironie wechselte mit Donnerschlägen des reinsten sittlichen Zornes. Wie arme Sünder saßen die Herren herum, die damals jene Phrase vom christlichen Staat im Munde führten, gerade diese und ihre nackte Heuchelei zerrieb er zu Staub im Mörser seiner Dialektik und seines echten Pathos. Jetzt ging er zum Bilde der Schmach über, welche die Politik der ‚Feuerlöschanstalt‘ angesichts der Völker Europas über Deutschland gebracht, welche es dahin getrieben, daß ein Zwerg wie Dänemark uns verhöhnen dürfe. ‚Schmach,‘ rief er, ‚den Seelen, die nichts von der Ehre einer Nation wissen! — Ihr lächelt und steckt die Köpfe zusammen? Ich weiß, was ihr flüstert, ihr meint, ich habe vergessen, wer es zuerst war, der die schöne Bewegung für Freiheit und Einheit der Nation entstellt und verderbt hat, aber mit nichten ist das Unrecht Derer, die dieß verschuldet, euer Recht!‘ — Jetzt wurde die Front verändert, die Hiebe fielen gegen die Blindheit und Wildheit, in welcher die Demokratie durch Unmaß, rohes Treiben, Putsch und Barrikaden und Mord verwüstet hatte, was so groß, so rein im Werden war. Bis dahin war Alles Ein Guß aus glühendem, echtem Redemetall. Nun aber, als diese Kraftfülle entladen war und als der Redner auf sein []Thema, die Prügelstrafe zurückkam, gerieth er bald auf eine schiefe Fläche. Was er gegen Wiedereinführung der rohen, menschenentehrenden Strafart überhaupt vorbrachte, war nur vernunftgemäß und gut, wenn auch mitunter barock. So sagte er, indem er sie mit der Todesstrafe vergliech, für die er sich erklärte, unter Anderem, der unschuldig Hingerichtete habe doch nicht nöthig, sich aus Verzweiflung über das ungerecht Erduldete umzubringen, aber der unschuldig Geprügelte müsse ja dieß noch auf sich nehmen. Dann aber, da es an die Ausnahme gieng, kam mehr und mehr unausgeschiedener Stoff aus den Eigenheiten des Redners zum Vorschein. Den wahren Satz, daß frühe Thierquäler oft zu Mördern und in politischen Stürmen zu Blutmenschen werden, stellte er nicht nur als einen unbedingten hin, sondern stürmte los, als wäre er auch umzudrehen, so daß folgte, jeder Verbrecher müsse nothwendig zuerst ein Thierquäler gewesen sein. Die Zuhörer wurden unruhig, fiengen an zu murren, und als er nun gar verlangte, Thierpeiniger sollen auf öffentlichem Platz ausgepeitscht werden, wuchs der Tumult zu einem Gewitter, wie es unsere Kammer nie erlebt hat; rechts die Männer des Rückschritts, links die Fortschrittsleute, sie übertobten sich um die Wette, die Einen gegen jene, die Anderen gegen diese Hälfte der Rede. Einige Augenblicke war es prächtig, zu hören, wie der Redner mit seinem mächtigen Organ diesen furchtbaren Lärm []noch überdonnerte; plötzlich aber schlug ihm die Stimme über, lächerlich hohe Fisteltöne ließen sich vernehmen, Gelächter mischte sich jetzt in das Geschrei der empörten Gegner und wüthend stürzte Einhart von der Rednerbühne.“ —
„Das kenne ich von unserer Reise her, kann mir's sehr gut vorstellen. Und?“
„Die Folgen des unglücklichen Vorgangs ließen nicht lang auf sich warten. Sein Minister berief ihn, ließ ihn heftig an, worauf A. E. sagte: „Excellenz leiden wohl an Katarrh? Kondoliere.‘ Abends am selben Tage kam ihm ein schriftlicher Verweis zu, so gesalzen, daß er umgehend sein Entlassungsgesuch eingab. Daheim wollte das Volk sein Haus stürmen, man warf die Fenster ein, und der Frau Hedwig, die krank zu Bette lag, flog ein schwerer Stein hart am Kopfe vorbei. Schnell benachrichtigt, eilte er von der Residenz nach Hause, am folgenden Abend erneuerte sich der Sturm, seine Mannschaft war zu schwach, ihn zurückzuschlagen, und als wieder Steine in die Fenster flogen, feuerte er sein Gewehr in den Haufen ab und tödtete einen der Schreier. Es war ein Glück, daß gleichzeitig die Entlassung da war, da sie auf diese Handlung unerbeten hätte folgen müssen. Er kam vor's Schwurgericht, es sprach ihn frei, die Nothwehr konnte nachgewiesen werden und der Getödtete war ein Elender aus der Hefe des Volkes.“
[]„Wie trug er sein Schicksal?“
„Still und fest, doch hat er's nie ganz verwunden.“
„Ich begreife doch immer noch nicht, kann mir eine Persönlichkeit, die doch so vorwiegend Innenleben war, als Polizeimann nicht denken. Wie reime ich den verbohrten Phantasiekampf gegen den kleinen Zufall mit dem Willensstrom einer thätigen Natur?“
„Je nun, in wie Manchem stecken zwei Naturen! Uebrigens ist doch ein Zusammenhang. Er war eine befehlende Kraft und eine dichterisch denkende; den befehlenden Mann empörte der Widerstand der unbotmäßigen todten Dinge, denen der dichterisch vorstellende einen Willen lieh, und den harmoniesuchenden Denker das Chaos der Durchkreuzungen. Wissen Sie, was eines seiner ersten Worte war, als er amtlos in der Welt stand? ‚Auch gut,‘ sagte er zu Frau Hedwig, ‚jetzt les' ich in meinen Büchern, schreibe Etliches nieder, prügle ab und zu einen argen Thierquäler und exekutionire einiges allzu rebellische Objekt.'“ —
Wir waren an den Kirchhof gekommen und giengen an der Werkstätte eines Grabmalkünstlers vorbei. „Gerade recht,“ sagte der Assessor, „treten wir einen Augenblick ein.“ Er zeigte mir in der Ecke des Hofes eine Marmorplatte: „Da, sehen Sie die Inschrift an!“
Sie lautete: [] „Hier ruht nach —jährigem redlichem Kampfe gegen das Albert Einhart, weiland Vogt, fernerhin nur Mensch, geboren den 1. Juli 1815, gestorben den — “
Ich ahnte dunkel, was die Lücke bedeuten mochte, aber wie hätte ich die Lösung wirklich finden können? Der Assessor kam zu Hülfe. „Diesen Grabstein,“ sagte er, „hat sich A. E. schon bald nach seiner Entlassung bestellt, damit er einst sein Grab schmücke. Es sollte heißen: ‚Hier ruht nach (so und so viel) -jährigem redlichem Kampfe gegen das verfluchte Objekt u. s. w.' Aber der Tetem erfuhr es und erklärte, dieser Stein dürfe nie gesetzt werden; o, es gab schreckliche Händel!“
In mir tauchte es auf wie ein alter Traum. Die Axenstraße, dann der Gotthardpaß standen vor mir, ich sah die Felsengesichter wieder, hörte sie höhnen: „Tetem,“ ich sah mich mit meiner Reisetasche wieder laufen, hörte sie mit dem absurden Laute: „Tetem, Tetem“ an meine Hüfte schlagen —
„Wie? Was? Tetem? Was ist das? Wer ist das?“
„Verzeihen Sie, mein Herr, Sie sprechen die zwei E unrichtig aus; es heißt —“
„Aber so sagen Sie mir doch —“
[]„Die E sind eigentlich so zu sprechen wie in Flexionssylben, mit dem Nebenlaut eines dumpfen, halb nasalen A.“
„Nun ja, meinetwegen, also?“
„Der Tetem ist unser zweiter Stadtgeistlicher, ein hochbeliebter Kanzelredner. Er heißt eigentlich Zunger. Er ist freisinniger Theolog. A. E. kannte ihn gut, er unterhielt sich gern mit ihm, denn er ist ein humanistisch wohlgebildeter Mann. Allein das Verhältniß wechselte zwischen Anziehung und Abstoßung. A. E. hatte dieser Schattirung im geistlichen Stande gegenüber statt Eines Standpunkts zwei, die sich schwer vereinigen ließen und, wie es in solchen Fällen geht, wechselsweise die Oberhand bekamen. Mit seiner schwertscharfen Logik erkannte er leicht die Inkonsequenz, bis zu gewissen Grenzmarken der modernen Wissenschaft ihr Recht einzuräumen, an diesen Stellen aber ihr Halt zu gebieten oder mit schönen Redensarten sich und Anderen Einklang zwischen ihr und dem Dogma vorzutäuschen; „überdieß,“ so pflegte er zu sagen, „sind sie eben doch Heuchler auf alle Fälle, denn auch die Glaubensstücke, die sie offen für unhaltbar erklären, müssen sie in Gottesdienst und Seelsorge trotzdem jederzeit im Munde führen; was hilft da die Hinterthüre des symbolischen Sinnes? Unwahr ist und bleibt unwahr.“ Dazu kam, daß Zunger immerhin auch ein Geschmäckchen von Wohlweisheit hat. Er ermahnt gern, gibt gern []erzieherische Winke; man bekommt zu fühlen, daß er der Menschennatur im Grunde nicht viel Gutes zutraut. Allein A. E. war doch auch wieder viel zu billig und gerecht, um nicht einzusehen, wie man durch Lebensbedingungen in solch' ein Fahrwasser hineingerathen kann, zu klar, um nicht einzusehen, daß die Welt ohne Halbheiten nicht durchkommt und daß sich das Volk in den Händen dieser Halbdurchsichtigen unzweifelhaft besser befindet als unter den Fingern und Fäusten der Schwarzen. Ich erinnere mich, wie er einmal sagte: ‚Ach, geht mir mit diesen geweihten Besserungstechnikern!‘ Aber er nahm das Wort schnell zurück: es müsse eben doch einen Stand geben, so berichtigte er sich, welcher der Wechselerziehung der Leute ein wenig nachhelfe, eine Art Sittengoumer. Sie kennen das Wort? Ich habe es von ihm.“
„Ja wohl, ich auch.“
„Nun,“ fuhr er fort, „so vertrug man sich denn zwar nicht ohne Ebbe und Flut, doch ganz leidlich. Ebbe pflegte namentlich einzutreten, wenn ein gewisser süßer Zug in dem würdigen Manne hervortrat. Zunger ist musikalisch und singt gern Choräle zur Hausorgel. Er gibt ab und zu Gesellschaften und schenkt es den Gästen nicht, beim Thee ein Zwischenspiel musikalischer Erbauung sich gefallen zu lassen. A. E. war einmal eingeladen und hatte dieß mitzugenießen. Zunger liebt ganz besonders das Lied: ‚Wie groß ist des Allmächt'gen []Güte.' A. E. konnte es nicht leiden, nicht ausstehen. Dieser Kinderbrei, pflegte er zu sagen, reize zu entbrannter Opposition, bei so zuckerigem Lobpreis müsse es Jedem, der kein Dummkopf sei, gerade recht einfallen, daß in der Natur ebensoviel, wenn nicht mehr teuflische Grausamkeit als Güte herrsche; gebe es darüber einen Trost, so sei der mit kräftigen Gedanken mannhaft zu erringen, zu erkämpfen, zu ertrotzen, denn er ruhe auf einem: trotzdem; solchen Trost sauge man nicht aus dem Kinderschnuller. Nun, erinnern Sie sich der Melodie; bitte, vergegenwärtigen Sie sich, wie sie klingt bei den Worten: ‚Der mit verhärtetem Gemüthe'. Zwei ausdrucksvolle Noten fallen gerade auf die bedeutungslosen Biegungssylben des Worts: ‚verhärtetem‘, und ebendiese zwei Noten sang Zunger so gefühlsinnig, so höchst seelenvoll, daß allerdings ein gründlich komischer Widerspruch zwischen Sinnwerth und Tonwerth entstand; er schwelgte förmlich in diesem gefühlten ‚tetem'. A. E. war zum Lachkrampf disponirt. Er versteckte sich, da er dieß Uebel anpochen fühlte, unter den Zuhörern, aber es schüttelte ihn so, daß es nicht zu verbergen war, und ihm blieb nichts als ausbrechen, entwischen, abstürzen. Von da an führte bei ihm Zunger den Namen ‚Tetem', Frau Hedwig eignete sich die Nomenclatur auch an, weiterhin ich und Mehrere. Tetem nun erfuhr um dieselbe Zeit von der verrückten Grabschrift und erklärte, wie []gesagt, er werde nie dulden, daß ein Stein mit solcher Inschrift auf dem Kirchhof stehe; man muß ja wohl auch zugeben, daß er es wirklich nicht konnte, nicht durfte. A. E. aber war darin unbillig, ja unvernünftig, hat ihm von da an gezürnt, daß er ihm sein ‚schönes‘ Epitaphium unterdrücke, dieß Zeugniß edler und gerechter Selbstachtung, das er sich nach seinem Tode vor der Welt auszustellen gedenke. Vom Tetem muß ich rühmen, daß er ihm sein Zürnen nicht nachgetragen, daß er ihm eine nach Möglichkeit dogmenfreie, nach Kräften verständnißvolle, ja schöne Grabrede gehalten hat.“
Wir waren auf den Kirchhof eingetreten. Wie ernst-andächtig hatte ich mir diesen Moment vorausgedacht! Wie anders sollte es kommen! Ich mußte mir immer den frommen Sänger mit seiner gefühlvollen Partizip-Deklinationsendung und dahinter den lachkrämpfigen A. E. vorstellen, mit aller innern Anstrengung konnte ich das alberne Bild nicht los werden, vergeblich sagte ich mir, wie schmachvoll es wäre, wenn ich lachend an den Todtenhügel träte; das wäre ja, so ermahnte ich mich, nicht ein entlastendes, rührungsvolles Lachen wie jenes, das mich am Vormittag mit der guten Frau Hedwig in Einer Stimmung vereinigte, sondern häßlich, mit bösem Gewissen behaftet, armensündermäßig, wüst, schnöd, ja bübisch; gerade die grausame Anspannung des Willens gegen eine solche erniedrigende Naturgewalt wirkte mit dem Reize []des Verbotenen nur doppelt stark auf das blinde Zwerchfell, damit steckte ich meinen Begleiter an, und so schritten zwei ernste Männer mit krampfverzogenen Gesichtern, momentane Ausbrüche des verhaltenen Kitterns erbärmlich verbeißend, an eine Stätte, die sie mit dem reinen Gefühl der tiefstgesammelten Trauer zu betreten gewillt waren. Ach, was ist der Mensch! Zwei Hunde mußten uns zu uns bringen. Einhart's Lieblingsthiere lagen auf dem Grabe, sie wedelten und wimmerten, als sie uns sahen, ohne sich von der Stelle zu rühren. Mit Einem Schlage war durch diesen Anblick die Stimmung gereinigt, und schnell wiech die profane Thräne des Lachens dem heiligen Thau, der vom krystallenen Nachthimmel frommen Gedenkens fällt, Gedenkens an gute Menschen, an Menschenloos und an das, was ewig ist.
Als wir hinweggiengen, lockte ich den Hunden und sie folgten mir. „Sie sind der Erste, dem das gelingt,“ sagte mein Begleiter; „die Thiere schliechen dem Leichenzuge nach, sie ließen sich nicht abtreiben, seither machen sie von Zeit zu Zeit den Gang und gehorchen keinem Befehl, die Stelle zu verlassen, bis sie Nacht und Hunger nach Hause treiben.“
Der Assessor lud mich beim Abschied ein, mich am Abend des folgenden Tags im Herrenstübchen des Gasthofs „zum Stern“ einzufinden, wo ich eine Gesellschaft treffen werde, in welcher A. E. jede Woche []ein paar Abende zugebracht habe. Gern sagte ich zu und begab mich zu Frau Hedwig.
Ich traf die trauernde Frau im Helldunkel der Dämmerung ohne Licht. Wie manche Abendstunden mochte sie so zugebracht haben, still in Gedanken an den Todten! Sie ermunterte sich bei meinem Eintritt, ließ die Lampe anzünden und begann Thee zu bereiten. „Er mochte ihn nicht,“ sagte sie dazwischen; ich gestand, daß ich es darin mit ihm halte, sie schien das erwartet zu haben und stellte mir ein schweres geschliffenes Glas hin mit den Worten: „Sie sollen seinen Wein aus seinem Tischglas trinken.“ Als ich durch die erhellte dunkelrothe Flut auf den Grund des Gefäßes sah, fiel mir Justinus Kerner's schönes Gedicht auf das Trinkglas eines Freundes ein, ich gedachte dieser liebenswürdigen Dichternatur, und erfuhr von Frau Hedwig, daß A. E. in seiner Abendgesellschaft ein paarmal sich für ihn verstritten habe. „Die Menschen,“ sagte er einmal beim Frühstück nach einem solchen Zanke, „wissen doch auch von nichts als von Alternativen! Entweder, oder, so steht's in ihren Zwischenwandköpfen! Entweder Betrüger oder Narr! Keiner wollte begreifen, daß der Mann mit einem Fuß im Geisterwesen stand, mit dem andern heraus war. Logische Konsequenz fordern von einem Poeten, dessen bestes Talent ein ungemein herrlicher, grundnaiver und doch freier Phantasiesinn für's Verrückte []war! O, Poeten schweben ja! Es ist ja ein Schweben!“
Wir saßen eine Weile nun schweigend beisammen, an der Wand pickte eine Schwarzwälderuhr, am Boden lagen die Hunde, Tyras zuckte und bellte dumpf im Schlaf — ob er wohl im Traum wieder für seinen Herrn kämpfte? — Frau Hedwig, wohl fühlend, wie manche Fragen ich am Vormittag werde zurückgehalten haben, begann nun unaufgefordert von sich und von A. E. zu erzählen. Ich gebe nur in Kürze wieder, was sie selbst betrifft, da uns hier ein anderes Schicksal beschäftigt. Sie war Drittenkind mit ihm und verlor frühe einen geliebten Gatten. Dieser Tod brachte ihr zugleich den Wermuthbecher der Armuth. A.E. war ihr Retter, er bat sie, sein Haus zu führen, — „und wie schön ist es, dankbar sein zu dürfen, wenn man zugleich weiß, daß man nützlich sein kann! Wie sah es da im Haushalt aus, als ich die Leitung in die Hand nahm, wie war der Mann vernachlässigt und betrogen worden! Ach, er konnte ja gar nicht rechnen! Nur das Addiren gieng noch so halbwegs!“
„Eine schlimme Sache bei einem Beamten,“ meinte ich, „auch wenn er kein Finanzbeamter ist!“
„Freilich, freilich! es hat doch auch ein wenig zu seinem Sturze mitbeigetragen, es fanden sich Verstöße schwerer Art in seinen Amtsrechnungen, und nur halb sah man ein, daß man es hier mit einem []Kind im Zahl- und Geldwesen zu thun habe. Wären nicht seine vielen Verdienste gewesen, hätte man vergessen dürfen, daß er dazumal die gefährliche Gaunerbande eingefangen, man hätte ihn schon viel früher fortgeschickt.“
Ich erfuhr weiter, daß A. E. nicht reich, doch vermöglich war. „Er brauchte blutwenig für sich, viel für die Armen und“ — setzte sie noch einmal erröthend hinzu — „Einiges für Exekutionen an aufrührerischen Objekten, die er seine weisesten, sittlichsten, wahrhaft gemeinnützigen Handlungen nannte.“
„Weiß, weiß, kenne das,“ fiel ich ein. — „Wir verstehen uns mit ihm,“ sagte sie lächelnd.
„Und nun kommen Sie, lassen Sie uns in sein Studierzimmer gehen!“
Wir stiegen über eine Treppe und betraten einen prunklosen Raum mit Schreibtisch, Bücherschränken, wenigen Möbeln für die Bequemlichkeit und einigen Gemälden und Kupferstichen an den Wänden. Sie öffnete ein verschlossenes Fach am Schreibtisch, zog ein Blatt heraus und reichte mir es hin. „Das Original,“ sagte sie, „liegt auf dem Rathhaus; es ist amtliche Abschrift.“ Ich las:
„Ich setze Frau L. Hedwig als Erbin meines Hauses und Vermögens ein. Ich füge eine Liste der Armen bei, die sie ferner zu unterstützen hat. Sämmtliche Papiere, die zu meinen Studien ge []hören und sich in den Fächern ... befinden, vermache ich Herrn ... als Eigenthum und überlasse seinem Ermessen, welche Bestimmung er ihnen geben will.
Albert Einhart, Vogt a. D.“
„Und also auch das Haus gehört mir,“ sagte sie, indem sie das Blatt aus meiner Hand zurücknahm und Thränen ihr in's Auge traten, „das Haus, das er gekauft und sich zurechtgebaut hat, als er verabschiedet war; ich bin reicher geworden, als ich bedarf, und kann dafür mehr an den Armen thun, als mir wörtlich aufgegeben ist.“ — Das Vermächtniß, das unvermuthet mir geworden, war mir im ersten Augenblick befremdend, ich konnte die Ueberlassung nicht mit dem Wesen eines Mannes reimen, dem es eben nicht gleich sah, sich vor irgend Jemand nackt zu zeigen, und Enthüllungen waren von diesen Blättern doch zu erwarten. Da fiel mir Hamlet ein, wie er sterbend den Horazio bittet, dem versammelten Volke kund zu geben, wie Alles gekommen sei, um seinen schwer verletzten Namen zu retten. Jetzt erfaßte ich, daß dieser seltsam verhüllte, dem tragischen Helden nicht eben unverwandte Mann doch ein Bedürfniß in sich getragen habe, nach seinem Tode in richtigem Lichte gesehen zu werden, und herzlich fühlte ich mich nun geehrt, daß er mich als seinen Horazio auserlesen.
Während Frau Hedwig die Fächer öffnete, worin []die Papiere lagen, sah ich mich etwas im Zimmer um. Drei Landschaftgemälde von guter Hand schmückten eine der Wände: das eine Perugia, das andere die römische Campagna, das dritte Venedig darstellend; an einer andern Wand fiel mir ein Bild auf, das durch ein Loch verunstaltet war. Als ich näher trat, erkannte ich ein Werk aus der altdeutschen Schule; ein heiliger Sebastian, von den Pfeilen durchbohrt, schien im Ausdruck ergreifend gegeben, so weit der defekte Zustand errathen ließ, gewisse Eigenheiten der Form, die leuchtende Kraft der Farbe, die warme Mürbe des Fleisches schienen mir auf Zeitblom zu weisen, das Loch aber gieng mitten durch die Nase und erstreckte sich noch auf die Nasenwurzel, so daß ein sicheres Kennzeichen des Ulmer Meisters ausgetilgt war; denn dieser ernste, feierliche, innigfromme, farbensaftige, lebenswahre Künstler hat ja leider die Grille gehabt, fast alle seine Köpfe mit roth angelaufenen Nasen und einer knopfigen Anschwellung der Nasenwurzel auszustatten. „Was ist denn nun aber das?“ fragte ich. — „Ja, der schöne Zeitblom!“ war die Antwort, „den der Herr auf einer Reise nach Schwaben entdeckt und um schweres Geld gekauft hat! Er schätzte und liebte das Bild nicht nur wegen seines Kunstwerths, er dachte dabei gern an seine eigenen Leiden unter den spitzen Bolzen der Lebensübel. Da fuhr einer der Steine durch, die dazumal, als ich krank lag, durch's Fenster flogen, der Selige hängte []das Bild nun in sein Studierzimmer und war schlechterdings nicht zu einer Herstellung zu bewegen. Das geschah keineswegs bloß zum Andenken an die überstandene Gefahr. Er hatte immer seinen Spaß getrieben über die rothe Nase und geschwollene Nasenwurzel. ‚Es werden wohl,' pflegte er zu sagen, ‚die starken Donaunebel schuld sein, daß in Ulm Jedermann immer Schnupfen hat, alten oder neuen; der gute Meister wird seine Mitchristen wohl nie in einem andern Zustande gesehen haben! Das wär' ein Aufenthalt für mich, das Ulm!‘ Nun, als der Stein durchschlug,da gieng, sobald nur Schrecken und Zorn verraucht waren, der Spaß erst recht an: ‚Der Lümmel hat's verstanden! Radikalkur! Der Sebastian kriegt keinen mehr! Nun, und der Schütze auch keinen mehr! Dem ist's fast zu gut geworden!' — So gieng es fort.
„Da,“ sagte Frau Hedwig, indem sie nun eine eingerahmte, auf dem Schreibtisch stehende Photographie mir hinhielt, „das ist ein Bild, das er immer vor Augen hatte.“ Es war das Porträt eines Mannes in den besten Jahren, und je mehr ich es betrachtete, um so tiefer fühlte ich mich angezogen. Selten habe ich so viel Festigkeit mit so viel Güte in Einem Ausdruck verbunden gesehen. — „Diesem Mann ist zu trauen!“ sagte ich. — „Ja,“ erwiderte Frau Hedwig, „und dem muß der Verstorbene viel verdankt haben, mehr []als wir wissen.“ Sie konnte nur angeben, daß es das Bild eines schwedischen Arztes sei, der ihn auf der norwegischen Reise von einem Nervenfieber gerettet habe; „aber,“ sagte sie, „da muß noch etwas mitgespielt haben, was ich nie erfuhr, es war etwas Geheimnißvolles in dem Kultus der Pietät, womit er an diesem Bilde hieng; und ein Jahr vor der zweiten Reise nach Italien, auf der Sie mit ihm zusammentraffen, erfuhr Einhart den Tod dieses Mannes. Er schloß sich einen Tag lang ein und man hörte ihn weinen. Er hat nie aufgehört, ihn zu betrauern.“
Sie nahm ihr Geschäft an den Schubfächern wieder auf und als sie eine Blätterschichte aus einer der Laden heben wollte, stieß ihre Hand in der hintersten Ecke an etwas Hartes, sie zog einen schwarzen Gegenstand heraus und rief bei seinem Anblick: „Ah, dort stack's? find' ich's wieder?“ Sie reichte mir ein Etuis hin, aus dem mir, als ich es öffnete, eine Photographie entgegensah, ein weibliches Brustbild von großer, aber unheimlicher Schönheit. Ein ganzer Wald von glänzenden Locken umgab wie eine Löwenmähne das wohlgebildete Haupt; ich konnte es nicht bloß auf die Lichtwirkung schieben, daß mir dieses Haar wie metallisch erschien. Warum wollte mir, wenn mein Auge von der Betrachtung des Gesichts zu dieser reichen Umkränzung zurückkehrte, mehr und mehr scheinen, als bewegten sich diese Ringel, als zischelten Schlangen aus ihren []Spitzen? Das konnte nur eine Phantasieübertragung des Eindrucks sein, den die Gesichtszüge mir machten. Aus diesen Augen blitzte etwas, auf diesen Lippen, dieser leicht gehobenen Unterlippe saß etwas, um diese Mundwinkel spielte etwas, das ich unbewußt in die Vorstellung Schlange übersetzte. Und doch wieder ein Gepräge der Tüchtigkeit und eine Anmuth! Aus denselben Augen schien Juno und Aphrodite zu blicken, auf diesen Lippen sich edler Stolz und freie Gewährung zu wiegen, auf dieser Stirne, auf dieser fein gebogenen Nase sinniges Denken und heiterer Witz zu thronen. Während ich in diesen Anblick verloren war, rief Frau Hedwig: „Halt! hier ist das rechte!“ Unter dem Umschlag eines Papierstoßes war ein Blatt hervorgefallen, sie hatte es aufgenommen, betrachtete und bot es mir her. Es war eine Kreidezeichnung, ebenfalls ein weibliches Brustbild, und ich erkannte im Augenblick die Dame von Flüelen und Bürglen. Ich hielt beide Bildnisse nebeneinander in der Hand, Frau Hedwig sah mir über die Schulter, vertieft wie ich in den vergleichenden Anblick. Unter dem zweiten stand: Σώτειϱα. Als ich das Wort aussprach, rief Frau Hedwig: „Das ist's! So klang sein letztes Wort!“ Ich übersetzte: Retterin. — „Retterin?“ sagte sie, nickte und wurde sehr nachdenklich. Dann fragte sie mich: „Haben Sie dieß Weib gesehen?“ Ich erzählte ihr jetzt den Theil unserer gemeinsamen Reiseerlebnisse, den ihr []A. E. verschwiegen hatte, doch nicht sogleich Alles, nicht den traurig komischen Abbruch in Bürglen, nicht die Scene am Felsen. — „Was wissen Sie denn,“ sagte ich, „wenn die Frage nicht unzart ist?“
Eigentlich muß ich gestehen, daß seit Jahren und jetzt in diesen Tagen stärker denn doch etwas wie Neugierde im Innern mir umschliech, ob denn dieser seltsame Mann auch Beziehungen zum Weib — oder vielmehr, da sich dieß von selbst bejahte — was für er wohl gehabt habe. Geborener und geschworener Weiberfeind konnte er nicht sein, die letzten Momente in Göschenen sprachen zu hell dagegen; aber gewordener? hartgesottener Junggeselle? Und warum? Wie mochte das mit den zwei Bildern zusammenhängen?
„Wissen?“ sagte Frau Hedwig, „eigentlich nichts, nur rathen. Rathen aus Andeutungen, die ihm in bewegten Momenten entschlüpften. Einmal, ja, in der Zeit vor seiner Entlassung, als ihm eine hiesige Frau durchaus kuppeln wollte — die Frau des Herrn Tetem, — gewiß auf wohlgemeintes, besserungseifriges Zureden ihres Mannes, — da wurde er sehr wild, sprang dann auf sein Studierzimmer, polterte wieder herab und hielt mir das eine Bild unter die Augen, das da (sie zeigte auf die Dämonische), und stieß hervor: ‚Die Valandinne hat mir's vertrieben!' Das Wort hab' ich dann in seinem altdeutschen Lexikon aufgeschlagen, Teufelin heißt's. Weiter kein Wort! []Das Eine schien ihn zu reuen. Es war Schlafenszeit, er eilte auf sein Zimmer. Ich hörte ihn oben laut mit sich selber reden, was er freilich gar oft that. Es ist schmählich zu sagen, ich habe dann im Vorbeigehen ein wenig gehorcht — ich hörte ihn auf und ab stürzen, Stühle auf die Seite schleudern — ich vernahm unverständliche Laute, ein Wort kehrte wieder, das hieß Foß, aber in Zusammensetzungen, die ich nicht behalten konnte, dazwischen: ‚Schweiß der Scham!' — ‚Höllischer Hohn!' — Nach einer Pause hörte ich wieder fremdklingende Namen rufen, eine Zusammensetzung mit Strand, Sjöstrand oder ähnlich, und mit Hag — ich meine: Baldurshag. Er schrie öfters: ‚O! o!' Er stöhnte. — Dann war es lange still und dann vernahm ich weiche Laute: ‚Lichtgeist, Friedensbote — frei! frei!' — Wieder ward es stiller, hierauf hörte ich ihn laut kommandieren, ähnlich wie später in seiner Todesstunde; soweit ich es verstehe, waren es Rufe, wie wenn einer Truppe auf drangvollem Rückzug vor starker Uebermacht öfters Halt und erneuerte Gegenwehr geboten wird, dabei hörte ich eine Mühle und ein Gehölz nennen.“
„Die Kupfermühle bei Krusau,“ sagte ich, „ich wollte damals, als Sie mir das Aehnliche von seinen Traumreden kurz vor dem letzten Augenblick erzählten, nicht mit einer Notiz unterbrechen; ich erinnere mich noch der Berichte von dem Kampfe bei Bau, A. E. []muß beim rechten Flügel gestanden sein, der sich so heldenmüthig bis zur Eisengießerei vor Flensburg durchgeschlagen hat.“
„Nach geraumer Zwischenzeit meinte ich ein leises Weinen zu vernehmen und wieder das Wort: ‚Gerettet!’ Dann den Seufzer: ‚Spät! — Cordelia, o Cordelia — warum —' Bei diesen Lauten voll Innigkeit überfiel mich eine Scham, daß ich horchte, und ich schliech hinweg. — Es muß in Norwegen etwas vorgegangen sein, ehe er von dort nach Schleswig-Holstein gieng und verwundet wurde. hat immer so sichtbar abgelenkt, wenn ich auf das Land zu sprechen kam oder wenn man ihn gar in Gesellschaft mit Fragen bedrängte.“
Dunkle Schlüsse aus diesen kargen Spuren ziehend verweilte ich in der Betrachtung der beiden Bilder. Es war, als ränne ein milder Geist des Friedens aus den sanften Zügen des zweiten Bildes und legte sich beruhigend über die wirren Wogen widersprechender, beängstigender Vorstellungen, die aus dem andern wie aus einem Hexenkessel brodelnd hervorquollen. Es war ganz der Ausdruck der Lauterkeit, Güte und Vernunftruhe, der mich vor Jahren an diesem Weibe so herzlich gerührt hatte, jetzt nur doppelt wirksam im schlagenden Gegensatze zur wilden Schönheit des Nebenbildes.
„Nun aber,“ fieng Frau Hedwig nach einer Weile wieder an, „muß da später noch etwas gekommen []sein, irgend ein Unglück, ein Unstern, der Unglück wurde. Denn nach der Reise, wo er Sie kennen gelernt hat —“
„Eben auf der Reise ist solch ein Unstern vorgekommen,“ fügte ich ein. Sie fragte gespannt und ich erzählte jetzt den Auftritt in Bürglen und was dann in der Gotthardschlucht Unheimliches, Erschütterndes dem närrischen Schlußakte in Göschenen vorangegangen. Es wäre kindisch gewesen, ihr das Unschickliche, was dort geschah und den plötzlichen Aufbruch veranlaßte, zu verschweigen oder mit einem erfundenen Surrogate zu vertuschen; die Frau hatte ja Salz.
Sie wurde sehr aufmerksam, lachte über das Komische jenes ersten Vorgangs nicht, schwieg nachdenklich und fragte dann, ob ich keine weitere Spur von der reisenden Familie entdeckt habe. Ich verneinte. „Er wird gemeint haben, sie meiden zu müssen,“ sagte sie, „ich muß da noch etwas anführen: daß er nach seiner Rückkehr damals bald wieder in Mißlaune und Trübsinn verfiel, dazu muß diese Folge des Vorfalls mitgewirkt haben. Im Anfang eines neuen heftigen Katarrhs hörte einmal der Bediente, der neben seinem Studierzimmer zu thun hatte, wie er nach wiederholtem starkem Niesen tief aufathmend schrie: ‚Ach, gottlob, gottlob! Hier verjagt mich's doch von Himmelsboten, der vielleicht — Gelt, gutes, dummes Vieh (— das konnte nur seinem Kater gelten, den er gern bei sich []duldete, wenn er sich schnurrend auf seinem Schreibtisch niederließ —), gelt, dir ist's gleich, ob ich dich anniese?'“
Wir wetteiferten in Vermuthungen und Verknüpfungen, mußten aber, da uns aller bestimmtere Anhalt fehlte, unsere Versuche aufgeben. Es war auch offenbar nicht Ort und Stunde, zu grübeln; das Gefühl sträubte sich dagegen, an der Schnur der Reflexion fortzuspinnen, und strebte zurück zur Vertiefung in reine Trauer um den theuren Todten. Aber eine Beimischung des Geheimnißvollen erhielt nun dieß einfache Gefühl des innigen Leides. In diesem Leben mußte ein Sturm gewüthet haben, dessen Gewalt wir wohl kaum ahnten; rettendes, himmlisches Licht mußte dann erschienen, aber irgend ein Schmerz nachgeblieben sein, der einen Wolkenschleier von Wehmuth um die Lichterscheinung legte.
Wir saßen noch ein Stündchen in der Nacht beisammen und sprachen von dem Todten. Die gute, klare Frau erzählte mir noch Manches aus seinem Leben, seinen Verhältnissen zu manchen Menschen aus allerlei Ständen. Das Bild der Persönlichkeit wurde mir runder, voller, ohne mir planer zu werden. Der andere Tag, der letzte des kurzen Aufenthalts, den mir meine Zeit erlaubte, war bestimmt, eine erste Einsicht von den Papieren zu nehmen, die mein Eigenthum geworden waren.
So betrat ich denn des andern Morgens zu früher []Stunde den stillen Raum, worin der Geist des Verstorbenen mich zu umschweben schien. Die Bücher rings in den Schränken sahen mich an, als wollten sie mit mir sprechen, mir vom Zwiegespräch zwischen ihnen und dem Todten erzählen. Ich fand die staatswissenschaftliche Literatur weit abseits gestellt und nur mäßig vertreten. Dagegen nahe zur Hand standen philosophische und schön-wissenschaftliche Werke. Starke Spuren von häufigem Gebrauch zeigten die Werke des Plato, des Aristoteles, Spinoza. Kant's, Fichte's, Schelling's, Hegel's Schriften, die größeren, wie einzelne Abhandlungen, füllten eine Reihe von Fächern: was von Schopenhauer bis dahin erschienen, fand sich in der Nähe; den meisten Bänden sah man, wie jenen Werken der älteren Philosophen, leicht an, daß sie nicht als müßige Zierde standen. Eine ausgewählte poetische Literatur reihte sich an diese ernsten Kolonnen, Homer, Aeschylos, Sophokles, Euripides und neben ihnen Shakespeare befanden sich griffbequem auf dem Bücherbrett just dem Sitzenden gegenüber; ich schlug im Vorübergehen den Hamlet auf und fand alle Blätter zwischen den Linien und am Rand über und über beschrieben, ebenso Goethe's „Faust“, als ich mich in der deutschen, solid vertretenen Literatur umsah. Mein Blick fiel im Streifen auf den Namen Hölderlin; neben den sämmtlichen Werken in der bekannten verdienstvollen Ausgabe von Christoph Schwab standen die Ge []dichte in der Sammlung von 1843, mit dem Bildnisse nach der Zeichnung von Luise Keller, das ich erwähnt habe, als ich von der Gotthardreise erzählte. Ich griff nach diesem Bändchen und als ich es aufschlug, entglitt ein Blatt, das neben dem Stiche lag, ich nahm es auf und fand mit Bleistift querüber darauf geschrieben:
„Armer Werther Griechenlands! Dein Lieben war ja wohl hoffnungslos, denn einem Albert, der seine Braut strenge verschließt, dem unerbittlichen Chronos war deine Lotte verlobt. — Du führtest zu wenig Eisen, du Guter, du Schöner, du mein edlerer Bruder mit dem Heiligenschein des ganzen Wahnsinns um's Haupt!“
Ich wurde begierig, zu wissen, ob er nicht auch in J. Paul's Werke etwas eingeschrieben habe, die daneben standen. Und richtig fand ich auf dem weißen Blatt vor dem Titel des ersten Bandes folgende Verse, die ich mir sogleich abschrieb:
Der Leser soll sich nicht weiter bemühen, die Büchersammlung mit mir zu durchmustern; erwähnt sei nur noch, daß mehrere englische, französische, deutsche Werke nebst Julius Cäsar's Schrift de bello gallico (— ein Zeichen stack noch im Abschnitt von den Druiden —) auf eingängliche keltische Studien zu schließen gaben, die der Verstorbene für seine Pfahldorfgeschichte gemacht haben mußte. Ob ganz zum Nutzen derselben? schien mir nicht eben ausgemacht. Manchmal wollte mir dünken, es sei ihm nicht recht gelungen, die seltsame Religion, welche er für seine Pfahlbewohner erfunden hatte, mit den mythischen Vorstellungen, die er seinen historischen Quellen entnommen, genügend ineinander zu verarbeiten, verschiedene Zeiten seien zu grell gemischt und es blicke da und dort ein Zug antiquarischer Belehrung hervor, der einer dichterischen Komposition so übel ansteht. Doch schwankte ich wieder; gegen den letzteren Vorwurf ließ sich sagen, daß die gelehrten []Brocken doch eben selbst auch größtentheils humoristisch gemeint seien. Ich vermochte mein Urtheil nicht abzuschließen. Das ist nun Sache des Lesers.
Ich füge noch hinzu, daß in einem der geschlossenen Fächer des Schreibtischs auch das Konzept der Pfahldorfgeschichte sich vorfand, ein Manuskript, von Durchstrichen, Korrekturen, Einschiebungen über und über durchschnitten und übersät. Da ich schon öfters Gelegenheit gehabt hatte, mit Hülfe solcher Blätter in die geheime Werkstätte eines Dichters zu sehen, so konnte mich dieser Zustand nicht zu der Vorstellung verleiten, die Arbeit sei wie ein mühsames Mosaik entstanden. Frei poetische Initiative und häufiges Umändern und Nachbessern schienen mir einander nicht auszuschließen. Dem Dichter schwebt ein Bild vor wie ein Traumbild, hell in allen wesentlichen Zügen und doch noch schwebend, unbestimmt in Umrissen. Zudem ist die Sprache ein sprödes Material, das nicht leichten Kaufes sich hergibt, sein dem Prosabedarf dienendes Gefüge zur durchsichtigen Form für freie Anschauung umwandeln zu lassen. Er sucht und sucht, ringt und ringt, er reibt, wie man reibt, um einen verdunkelnden Firnis zu entfernen, der über einem Gemälde liegt, endlich gelingt es der sauern Mühe, herauszuarbeiten, was ganz frisch, ganz leicht, ganz Ein Guß und Fluß aus eigener Tiefe von Anfang an vor der Seele stand.
Nun ein Wort von den zu freier Verfügung mir []vermachten Papieren. Es wird wohl gut sein, wenn ich vom Zufall den Rath annehme, gewisse Stücke aus denselben dem Leser vorzuführen, ehe ich zur weiteren Mittheilung übergehe. Sie fielen mir bei vorläufigem Durchblättern in die Augen und sind so närrischen Inhalts, daß ich sie lieber gesondert vom Uebrigen aufdecke, — nicht daß der Leser erwarten dürfte, im Nachfolgenden ununterbrochenen Ernst zu finden, bunt genug sieht es überall aus in diesem Tagebuche — wenn man ihm den Namen geben darf, denn es ist keineswegs erzählende Buchführung des Verstorbenen über sein Leben; ein abgebrochenes Hinwerfen von Erlebtem, untermischt mit nachdenklichen Reflexionen und wetterleuchtenden Einfällen möchte ich es nennen, und überall, wie man sich denken kann, wechselt Ernst mit Humor oder schimmern beide durcheinander. Die Dinge aber, die mir da zuerst entgegensprangen, sind von der Art, daß ich besorge, sie möchten, wenn ich sie nicht getrennt halte, der Stimmung des Lesers, obwohl sie auf solche Mischung gefaßt ist, denn doch zu viel bieten. Nur unterdrücken glaube ich sie nicht zu dürfen, denn ich soll ein Bild von einem Menschen geben und darf nichts ausscheiden, was bezeichnend ist. So mag denn das vor dem Eintritt abgethan werden.
Zunächst fielen mir zwischen den Blättern gewöhnlichen Formats zwei zusammengelegte Bogen auf, dickes []Zeichenpapier und ungemeiner Umfang. Ich entfalte sie und meinem Auge zeigt sich ein Chaos von Linien auf dem einen, ein noch größeres von Linien und Farben auf dem andern. In den Feldern dieser krausen Netze stand Schrift in verschiedenen Richtungen geführt, wie solche durch die eintheilenden Linien gegeben waren: senkrecht, wagrecht und über's Kreuz in Diagonalen. Beide mühsamen Kunstwerke waren unvollendet, man sah ein Stück ausgeführt, daneben auf derselben Fläche Versuche, andere Theilungslinien zu führen, die verworrener und verworrener wurden und schließlich erkennen ließen, daß der Künstler nicht weiter wußte, stecken blieb, erlag. Kleinere Blätter lagen dabei, auf denen der Unglückliche es mit wiederholten neuen Anordnungsentwürfen versucht und einzelne Anmerkungen niedergeschrieben hatte. Beide Papierungeheuer trugen die sehr schön in Fraktur geschriebene Ueberschrift:
System des harmonischen Weltalls.
Mir wurde ganz schwindlig, als ich angefangen, mich in den Inhalt hineinzulesen, und mit Hülfe des wenigen Kommentars auf den Beilagen zu einer ungefähren Vorstellung von der Absicht des Unternehmens gelangte. Ich rannte wie betrunken mit den zwei Riesentabellen zu Frau Hedwig hinab, hielt sie []ihr vor Augen und fragte: „Kennen Sie denn das?“ — „Ach freilich, freilich!“ war die Antwort, „das war's ja eben! Ich weiß noch, als wär's heute, wie er anfieng, sich oben einzuschließen, ganz zergrübelt, in allen Nerven gespannt aussah, wenn er zu Tische eintrat, wie er einmal herabgesprungen kam und den Bedienten fortjagte, ihm einen Reißzeug zu kaufen, — er müsse eine geometrische Figur ausführen —, dann wie er ebenso hastig des andern Tags nach einer Farbenschachtel schickte! Wie es immer ärger mit ihm wurde, hab' ich dann nicht geruht, bis er mir seine Arbeit gestand und zeigte. Ich begieng anfangs die Thorheit, ihm helfen zu wollen, wurde aber selbst darüber fast verrückt. Und nun erkannte ich, daß es hohe Zeit sei, ihn herauszureißen, denn wirklich, er war nah' am Ueberschnappen; so erreichte ich es denn mit viel Bitten und Drängen, daß er nach Italien abreiste durch die Schweiz über den Gotthard, und nun sehen Sie, in dieser Periode haben Sie ihn kennen gelernt!“
Ich gehe nun mit Seufzen an die Aufgabe, dem geneigten Leser ein, nach Möglichkeit abgekürztes, Bild von dem Bilde des harmonischen Weltalls vorzuführen. Was gegeben werden sollte, war eine klar geordnete Uebersicht der Durchkreuzungen, denen das Leben und Thun des armen Sterblichen durch die Tücke jenes Etwas unterliegt, das wir in Kürze den kleinen Zufall []nennen. Man begreift, daß A. E. seinem Plane gemäß eigentlich hätte schreiben müssen: Harmonisches Bild des unharmonischen Weltalls; man begreift aber ebensosehr, daß ein Geschmack wie der seine den ironischen Ausdruck vorziehen, man ahnt auch zum Voraus, wie es ihm bei seinem Versuche systematischer Ordnung ergehen mußte.
Kaum ist die Vorbemerkung nöthig, der Leser möge sich erinnern, wie A. E. gewohnt war, vermöge einer poetischen Verwechslung von Objekt und Subjekt die Stellen und Gegenstände, worin nach seiner Mythologie die bösen Geister sich einzunisten lieben, so zu tituliren, als wären sie selbst die bösen Geister oder verwandelten sich in solche. Fangen wir nun an, die Oberund Untereintheilungen des Materials, mit welchem unser Philosoph schaltet, aufmarschieren zu lassen, so wird der Leser sogleich in eine Art von logischer Beunruhigung sich gestürzt fühlen. „Hauptarten der Teufel“ ist die erste Obereintheilung und diese zerfällt in: innere und äußere Teufel. Unter „innere Teufel“ versteht er die Stellen und Angriffspunkte, die der Mensch durch seinen Körper (natürlich ebensosehr als geistig höchst leidensfähiges Wesen) dem störenden Zufall darbietet; unter „äußere Teufel“ die Leiden verursachenden Gegenstände in unserer Umgebung. Schon dieß ist verwirrend. Die Eintheilung scheint nur Störungen im Auge zu haben, die von außen []kommen; sitzen nun in den Organen unseres Leibes Teufel und ebenso in den äußern Dingen, von denen die Störung ausgeht, so folgt ja, daß in allen diesen Fällen ein Teufel einen Teufel plagt. Es entstehen aber doch viele Leiden direkt aus dem eigenen Organismus, das einzelne Organ erkrankt infolge von Störungen in irgend einem größeren Funktionsgebiete; sitzt nun dort ein innerer Teufel, dann wohl auch hier und somit plagt auch in diesem Fall ein Teufel einen Teufel, dießmal ein innerer einen innern. Jedoch kann man sagen, auch Störungen, die zunächst aus dem Innern des Organismus kommen, seien indirekt durch Einflüsse der äußern Natur herbeigeführt, dann kehrt aber das erste der genannten Verhältnisse wieder: ein (äußerer) Teufel plagt einen (innern) Teufel. Dieß sind nur Andeutungen, die Reihe der sich ergebenden Skrupel ist unendlich. Genug, der Urheber wird selbst nicht am wenigsten darunter gelitten haben, zur Sache!
Als Motto steht ein ziemlich ruchloser Vers:
Hierauf folgt die Eintheilung und lautet also:
[]A. Innere Teufel.
Schleimhäute. Zunge. Kehle. Lunge. Zwerchfell. Magen. Gedärme. Blase. Gelenke. Sehnen. Nerven. Gehirn. Augen. Nase. Ohren. Haut. Hals. Rücken. Arme. Finger. Kreuz. Beine. Zehen. Nägel.
Es fällt sehr auf, wie wenig dieß ist. A. E. hätte ja eigentlich alle empfindungsfähigen Stellen unseres Körpers, selbst die mikroskopisch kleinste, aufführen müssen. Er wollte sich auf die vorzüglich gefährdeten beschränken und diese nur in Bausch und Bogen angeben, wurde an diesem Verfahren irre, fieng an, mehr in's Einzelne zu gehen, führte unter Anderem die einzelnen Theile des Auges auf, z. B. Lid und Wimper (offenbar, um nachher das peinliche Einstrupfen von Wimperhaaren anzubringen), er sah im Fortgang ein, daß er in's Unendliche geriethe, striech wieder aus, schrieb doch wieder, striech wieder aus und so fort. — Merkwürdig verloren steht zwischen dem Uebrigen das Gehirn, doch begreift man die Verlegenheit des Anordners; denn von der einen Seite wird freilich jeder Eindruck im Gehirn erst empfunden, und darnach müßte eine klare Eintheilung zeigen, daß hier Alles im Mittelpunkte sich sammelt; von der andern Seite gibt es aber doch auch lokale Leidenszustände des Gehirns und insofern war dieß Centralorgan unter andere einzureihen. Er []sichtlich ist übrigens, daß er unter Gehirn auch die geistigen Funktionen in der Weise mitinbegriff, daß er an Durchkreuzungen eines Gedankenzusammenhangs durch Vorstellungen dachte, die in denselben nicht gehören, an Zerstreutheiten, Gedächtnißirrungen und dergleichen, wie solche sich dann im Sprechen äußern; da die Zunge aufgeführt ist, so haben wir allerdings das Material beisammen, um erwarten zu können, daß dann in der betreffenden Rubrik der entsprechende Zufallsakt, also z. B. närrisches Vernennen, nicht fehlen sollte.
B . Aeußere Teufel.
a. Unorganisches und abgestorbene organische Stoffe.
Luft. Wind. Licht. Finsterniß. Nebel. Wasser. Regen. Schnee. Eis. Erde. Morast. Pfützen. Staub. Sand. Steine. Gruben. Holzpflöcke. Strohhalme. Dorne. Härchen. Schreibfedern. Sägmehl. Eisenfeilspähne.
b. Artefakte.
Brillen. Haken. Nägel. Uhren. Zündhölzchen. Kerzen. Lampen. Münzen. Stiefelknechte. Schnüre. Bändel. Beinkleider. Hosenträger. Knöpfe. Knopflöcher. Rockhängeschleife. Hut. Armlöcher. Schuhe. Stiefel. Galoschen. Messer. Gabel. Löffel. Teller. Schüsseln mit Suppe und Anderem. Papier. Tinte. Böden, besonders Parketböden. Treppen. Thüren. []Schlösser. Wände. Fenster. Kandeln. Fußbänke. Wägen, speziell Eisenbahnwägen.
c. Pflanzen.
Blatt. Stengel. Zweig. Ast. Stamm. Wurzeln. Kirsch- und Trauben- und andere Kerne. Erbsen. Bohnenfasern. Spitzgras. Brennnesseln.
d. Thiere.
Insekten. Vögel. Mäuse. Rind. Pferd. Hunde. Katzen. Hasen. Rehe. Hirsche. Roß. Elephant. Würmer. Fische. Gräten.
e. Menschen.
Kinder. Frauen. Männer. Greise. Stände: besonders vornehme.
An dieser Stelle wimmelte es von Korrekturen und Durchstrichen. Man sah in eine wahre logische Verzweiflung hinein. Der Verfasser fieng an, aufzuzählen, nämlich die Organe, vermittelst welcher uns von außen durch Menschen verdrießliche Störungen bereitet werden, sichtbar aber erkannte er, daß er dadurch in Wiederholungen gerieth, theils mit I. A., theils mit der folgenden Rubrik: Aktionen.
Immerhin war denn nun eine — freilich sehr mangelhafte — Uebersicht der Leidensquellen und Leidensstellen gegeben. Nun mußten die Leiden selbst aufgezählt werden, die im Zusammenstoß aller dieser Dinge den leidensfähigen Theil mehr oder minder empfindlich treffen. Dieß bringt die nächste Haupteintheilung:
II. Aktionen.
A. Der inneren Teufel.
Kratzen. Kitzeln. Niesen. Husten. Schleimen überhaupt. Tröpfchen an der Nase. Rasseln. Orgeln. Pfeifen. Raspeln. Schnarchen. Sich verschlucken. Lachkrampf. Kolik. Rheumatismen. Hexenschuß. Dumpfheit. Schlafdruck. Schwindel. Stechen. Glühen. Brennen. Toben. Brausen. Jücken. Beißen. Bohren. Rutschen. Stolpern. Fallen. Anstoßen. Danebengehen. Sich verwickeln. Fehlgreifen. Fehlschlagen. Fehltreten. Hühneraugenstich. Ueberschlagen (der Stimme). Fehlsprechen. Sich vernennen. Bock schießen. Vergessen. Mit sich reden. Im Schlaf sprechen. Verwechseln.
B. Der äußeren Teufel.
Hier hat es denn, wie wir vorbereitend schon bei I. bemerkt haben, dem Verfasser große Schwierigkeiten gemacht, daß er Vieles, was der Rubrik I. B. a. (unorganische und abgestorbene organische Stoffe) entspricht, bereits unter II. A. gebracht hat, als z. B. Rutschen, Stolpern, Fallen: Ereignisse, die allerdings öfters ohne erkennbares Einwirken eines äußern Teufels vorkommen, am öftesten aber doch durch solche herbeigeführt werden, die sich in Schnee, Eis, Steine, Holzpflöcke, Strohhalme verstecken. Auch was die weiteren []Eintheilungen unter I. B. betrifft, so konnte er in gegenwärtiger Rubrik nicht mehr mit ihnen zurechtkommen, wenn er in dieser letzteren Eintheilungsfelder ziehen wollte, die den I. B. a. b. c. d. e. logisch entsprächen; denn es ist doch klar, daß z. B. Sich verstecken eine Tücke ist, welche von der Schreibfeder, die unter I. B. a. vorkommt, ebenso häufig verübt wird, als von der Brille, die unter I. B. b. auftritt. Er ließ also in dieser jetzigen Rubrik alle Untereintheilung weg und schrieb getrost ohne symmetrische Ordnung nieder, was ihm eben gerade einfiel, als z. B.: Sich verstecken. Einhaken. Fallen. Fliegen. Flattern. Knotenbilden. Zu weit, zu eng sein. Fortrollen. Gleiten, Mitgehen (— ein Randzeichen verweist hier auf ein Beiblatt, das Belege enthält, als z. E.: ein Jahr lang wird in der Registratur der letzte Bogen eines Aktenstoßes verzweifelt und vergeblich gesucht, endlich findet er sich auf dem Grund eines andern Faszikels; er war beim Verpacken mitgegriffen worden. Der Leser wird sich erinnern, daß A. E. dieses hochwichtige Ereigniß auch in Brunnen erwähnt hat. Folgt noch eine Reihe ähnlicher Trauerspiele). Klemmen. Ankleben. Ein Loch kriegen. Umstrupfen (z. B. Regenschirm, Handschuh). Verlöschen, ausgehen. Dazwischen rennen, reden u. s. f.
Nun fügte er zu den Aktionen A. der inneren, B. der äußeren Teufel noch eine Rubrik und zwar:
[]C. Kombinirte Aktionen oder Häufungen.
Man versteht, daß hier das Zusammentreffen von zwei oder mehreren Unfällen an die Reihe kommt. Hier war denn aufzuführen z. B. Husten und Hexenschuß vereinigt (Beisatz: „so daß bei jedem Hustenstoß ein Schmerz durch's Kreuz geht, als führe ein glühendes Bajonet hinein.“ (Der Verfasser hatte hier im Zorn einen Fluch beigesetzt, doch sich fassend ihn wieder gestrichen.) Hier ferner: Katarrh und Kolik (Beisatz: für letztere rother Wein verordnet, für ersteren verboten); Kolik auf der Eisenbahn. Hut vom Wind fortgerollt, gleichzeitig eine Galosche vom Fuß verloren, auch summirt mit Umstrupfen des Schirms, etwa überdieß mit Hinunterfallen der Brille. Merkwürdigerweise steht unter Anderem ahnungsvoll, als hätte er vorausgesehen, was ihm auf der Fahrt nach Luzern widerfuhr: Stimme überschlagen, Hängenbleiben, Fallen vereinigt. Welche Schwierigkeiten sich hier einer den andern Theilen parallel entsprechenden Anordnung entgegenstemmten, werden wir sehen; erst müssen wir alles Material beisammen haben.
Der Verfasser begnügte sich nicht mit den bisher aufgereihten Rubriken. Als Mann von Geist mußte er diese nackte Aufzählung von Mißgeschicken, die großentheils nur sinnlicher Art sind, doch ungesalzen finden. []Es fehlte noch eine höhere Beziehung, eine ideale Beleuchtung. Es sollte dargestellt werden, wie die Teufel lügen, als wären die Künste, womit sie die Menschen foltern, schöne Künste, als wäre ihre Hölle ein Paradies, ein Himmel, ihre Folter- und Schmachwelt eine Welt der Romantik. „Schön ist häßlich, häßlich schön.“ So beschloß er denn, seinem Aufzählungssystem eine ästhetische Weihe zu geben, ein Afterbild von Weihe freilich, eine Taufe des Satans, eine Glorie von farbig schillernden Lichtern aus dem Schwefelpfuhle des Abgrunds. Dieß sollte vollzogen werden durch Zusammenstellung der aufgezählten Uebel mit den schönen Künsten und deren Zweigen. Dabei schien er es mit der Architektur und Skulptur ohne Erfolg versucht zu haben, dagegen mit der Malerei, Musik und Poesie gieng es ihm sichtbar besser — vorerst nämlich — d. h. im Konzept, auf den Beiblättern. Hier hat er sich zunächst seine Rubriken aufgestellt: Malerei mit ihren Zweigen: Landschaft, Sittenbild, Historie, dazu Untereintheilungen: Freske, Staffeleibild und Anderes. Musik: Instrumentalund Vokalmusik; in Untereintheilungen steht: Dur, Moll; verschiedene Taktarten, tempi, Ouvertüre, Symphonie; Lied, Arie; Duett, Terzett, Quartett und so manches Weitere. Bei Poesie fehlte natürlich nicht die Hauptunterscheidung: Lyrik, Epos, Drama; bei Lyrik: Hymne, Dithyrambus, Ode, Elegie, Lied, Ballade. Bei Epos fand sich die beliebte Eintheilung: ernstes []und komisches nicht, — begreiflich, da in diesem ganzen System Alles komisch ist, nämlich für uns, und Alles sehr ernst, nämlich für seinen philosophischen Urheber. Nicht vergessen waren natürlich die modernen Formen der epischen Dichtung, Roman und Novelle. Bei Drama wird in erster Linie die Gliederung in Exposition, Schürzung und Katastrophe betont, sodann der Unterschied der Style: klassisch hoher Styl und modern charakteristischer oder realistischer. Die Eintheilung: Tragödie und Komödie fehlt aus demselben Grunde, warum diese Stimmungsgegensätze im Epos nicht aufgeführt sind. — Als Anhang zur Poesie ist noch die Rhetorik aufgeführt.
Dieß also das Ganze des Materials, das zusammenzustellen war. Wie es nun tabellarisch ordnen? Für I. A. B. wurden zuerst senkrechte Felder durch Linien abgetheilt und das Einzelne in Kolonnenform hineingeschrieben. Es machte sich sehr ungleich: für die inneren Teufel (A.) hatte der Schöpfer dieses Systems, wie der Leser mit uns schon begriffen hat, keine nähere Eintheilung finden können. Er hatte es versucht, z. B. indem er setzte: a) Bedeckung, b) Eingeweide, c) Schleimhäute, d) Sinne, e) Glieder, f) Muskel, g) Nerven, Gehirn u. s. w.; allein er gab es wieder auf, da er sah, daß sich hier so nicht trennen lasse, indem doch, um nur Ein Beispiel anzuführen, die Nase hauptsächlich um Schleimhaut []leidens willen aufgeführt war, die Schleimhäute aber unter einer andern Nummer standen. Dagegen die äußeren Teufel (B.) erfreuten sich ja einer ziemlich reichlichen Disposition. — Nun gieng es an die Aktionen. Für diese wurden wagrechte Felder abgetheilt, das Einzelne kam also in ebensolche Linienform zu stehen; der Papierbogen wurde in derselben Dimension in zwei gleiche Hälften getheilt, die eine für innere Aktionen, die andere für äußere. Viereckige Fächer waren jetzt entstanden und in ihnen sollten je die bezüglichen Aktionen sowohl mit den betreffenden Organen des Körpers, als auch mit den äußeren Teufeln sich zusammenfinden. Sie fanden sich auch etwa da und dort zusammen, z. E. Eisenfeilspähne mit Augen oder Härchen mit Schreibfeder, aber dieß eben nur ausnahmsweise, im Ganzen entstand lediglich ein kunterbuntes Gemische. Nun aber die kombinirten Aktionen! Für sie wurden Linien gezogen, welche die vorigen Quadrate in der Diagonale schnitten, so daß also nun auch ein System von Dreieckfeldern entstand. Jetzt sollten denn zum Beispiel Hexenschuß und Husten aufeinanderstoßen und zwar ersterer zugleich mit: Kreuz, der zweite mit: Schleimhäute; allein es gieng nicht anders, als vorher, wo das Einzelne von I. A. B. mit dem Einzelnen von II. A. B. richtig zusammentreffen sollte: die Sachen trafen eben nicht zusammen, oder ebenso wie vorhin nur ganz ausnahmsweise fand sich etwa: Fortrollen mit Hut []und Morast in nachbarlicher Stellung. Und endlich die Künste! Für diese, das gesammte Gebiet der realen Leiden überspannende Idealbeziehung wurde wiederum eine Quereintheilung angeordnet: Diagonalen, die mit den vorigen sich kreuzen, so daß jetzt sämmtliche Vierecke nicht mehr nur in zwei größere, sondern in vier kleinere Dreiecke, dem Kreuzgewölbe gleich, zerfielen. Nun gieng es aber eben nicht anders, als bei den früheren Eintheilungen. Es war leicht abnehmen, wohin der Schalk eigentlich zielte, auf Beiblättern war sogar ausdrücklich vorgemerkt, was zusammentreffen sollte, es braucht dem denkenden Leser nicht gesagt zu werden, welche Unfälle mit welchen Formen der Musik, welchen Instrumenten, ferner mit welchen Formen der Dichtkunst sollten nebeneinander zu stehen kommen. Allein es wollte eben wiederum nicht gehen; ausnahmsweise wohl auch hier: z. B. Hals, Kehle, Schnarchen, Fagot trafen zusammen, aber Anderes, was noch viel klarer sich zusammenfinden sollte, verirrte sich rein irrationell in andere Kreuzgewölbe. Es ist schon erwähnt, daß unser Tabellenbildner behufs klarerer Unterscheidung auch zu den Farben griff. Offenbar waren es die Künste, die ihn dazu gestimmt hatten, dieß augerfreuende Mittel beizuziehen. Ein starkes Blau sollte diesen Pseudohimmel charakterisiren und war in den starken Strichen der genannten zweiten Diagonalen repräsentirt; nun wurde die koloristische Behandlung fortgesetzt; kombinirte Aktionen []feuerroth; einfache Aktionen grün in zwei Schattirungen, innere Teufel gelb, äußere rothgelb. Die Farben waren am leeren Rand ungemischt vorgesetzt. Aber nun, da in allen Feldern Alles zusammentraf, durchdrangen sich ja alle diese Farben und entstand ein verschwommenes Schmutzbild, unter dessen Geschmiere man die Schrift kaum noch lesen konnte. Diese und alle vorhin genannten Uebelstände bestimmten den Künstler, es öfters auf's Neue mit andern Anordnungen zu versuchen: l. A. B. wagrecht, II. A. B. senkrecht, die linke Diagonale (kombinirte Aktionen) rechts, die rechte (Künste) links, das Einzelne in allen Rubriken umgestellt, das Farbengemengsel durch feine Lasuren gemildert: — Alles umsonst, das Gewirre und Gekleckse wuchs und wuchs und spiegelte sich so sichtlich auf den Hauptbögen und Beiblättern ab, daß aus diesen stummen Flächen in mein eigenes Gehirn der Wahnsinn herüberzuschweben drohte.
Ich warf den schnöden Papierhaufen zu Boden, eine gründliche Empörung kam über mich. Ich wußte doch genug von diesem Menschen, um ihm ein höchst empfindliches Gefühl des Werthes seiner Zeit zuzutrauen. Man durfte ihn nur eine Stunde kennen, um überzeugt zu sein, daß sein Geist immer in Arbeit war. Sein Grimm über die kleinen Zufälle war ja in seiner besseren Quelle nichts Anderes, als Grimm über Zeitraub, der auf einer Vergleichung des Werths []der kleinen Außendinge mit dem Werthe seiner Geistesthätigkeit ruhte. So konnte man den Widerspruch begreifen und verzeihen, daß er eben aus diesem Grimm bei der Betrachtung jener Dinge sich aufhielt und eben die Zeit, deren sie nicht werth sind, ihnen widmete. Aber nun diesen Widerspruch so weit treiben, sich so schwer an seiner Zeit versündigen: das war denn doch zu arg, war unverantwortlich, war abscheulich! Mir fiel wieder ein, was ich einst auf der Axenstraße ihm zu Gewissen geführt, ich hätte den Todten aus dem Grabe fordern und in Donnerpredigt wiederholen mögen, was ich ihm schon damals vorgehalten, ich ballte den Papierhaufen zu einer großen Kugel zusammen und schleuderte sie an die Wand, als wäre ihre Fläche die Stirne des strafwürdigen Sünders. Doch dessen schämte ich mich wieder, legte den Knäuel vor mich hin, sah ihn ruhig an und fand bei gesammeltem Nachdenken, daß dieser närrische Versuch so ganz unmerkwürdig eben nicht sei, freilich nur im negativen Sinne, nemlich als abschreckendes Beispiel. A. E. wollte der Weltordnung — allerdings nur dem unteren Stockwerk derselben, denn an der Güte des oberen Stockwerks, des sittlichen Reiches, war er ja nicht verzweifelt — den Possen spielen, ihr einmal tabellarisch vor die Augen — als hätte sie solche — zu rücken, was für eine schlechte Ordnung sie sei. Also ein geordnetes Bild des Ungeordneten sollte auf []gebaut, eine harmonische Uebersicht über alle disharmonischen Durchkreuzungen sollte hergestellt werden. Wie konnte es anders kommen, als daß das Objekt auf das Subjekt, der Inhalt auf die Form sich übertrug? Durchkreuzungen sind ja Durchkreuzungen, ich kann sie nicht berechnen, nicht ordnen, sie laufen von und nach allen Seiten, sind rein unbestimmbar; so mußte denn die Uebersicht einer ungeordneten Welt natürlich selbst ungeordnet, das Bild der Disharmonie selbst disharmonisch werden; es gibt ja keinen Plan für's Planlose, kein System des Systemlosen. — Ich wollte, da sie nun in diesem verneinenden Sinne Werth für mich bekamen, die Papiere doch nicht zerstören, faltete den Klumpen wieder auseinander, glättete die Bögen, da fiel mein Blick auf eine Stelle, wo ein Wort stand, das ein in dunkler Ferne schwebendes Erinnerungsbild in mir auffrischte. Es hieß amplificatio. Ich sah aufmerksamer nach. Es kam vor bei der Rubrik Rhetorik. Dort standen einige der Namen, mit welchen die alte Wissenschaft der Beredtsamkeit gewisse Theile der Rede lateinisch zu bezeichnen pflegte: exordium, narratio, reprehensio und dergleichen. Amplificatio nannte man eine Prachtwendung am Schlusse, worin der Redner durch eine Fülle von Bildern und Häufung konzentrirter Beweissätze seine Weisheit noch einmal tüchtig aufputzt, um so mit einem recht flotten Trumpf abzutreten. Diese amplificatio sollte nun auf der []Tabelle zu einem Hauptstück kombinirter Aktionen zu stehen kommen. Und dießmal war es ihm denn wirklich gelungen, das Wort zusammenzubringen mit der vorhin erwähnten Kombination: Husten, Hängenbleiben, Fallen. Geheimnißvoller Zug des Menschenschicksals! Als hätte er es geahnt, was ihm kurz darauf bei Küßnacht widerfahren sollte! War es ein Wunder, wenn er uns das gelehrt klassifizirende Wort zurief, als seine Ahnung so furchtbar sich erfüllt hatte?
Und nun — was konnte ich machen? — nun dauerte er mich wieder.
Gesondert vom Uebrigen theile ich ferner die unvollendete Skizze eines Singspiels mit, die mir beim Blättern in die Hände fiel. Die Ueberschrift bezeichnet dieß Produkt als Singtragödie.
Szene 1. Schreibzimmer.
Das Härchen, mikroskopisch klein, in einem Tintenfaß befindlich, trägt im dünnsten Sopran eine Arie vor, Text gerichtet an die daneben liegende Schreib []feder, welche den ausgedrückten bösen Absichten Entgegenkommendes in einer Antistrophe spitz vorträgt, hierauf entsprechendes Duett.
Demnächst Rezitativ, Baßstimme, ausgehend von einem Buch auf dem Bücherbrett über dem Schreibtisch. Kichernde Antwort von Geistern in der Tinte. Duett von Tinte und Buch vereinigt sich mit Härchen und Feder zu einem gefühlten Quartett.
Man hört Schritte, genannte Geister verstummen. Hilario tritt ein. Monolog. Hilario liebt auf's Aeußerste eine Jungfrau Adelaide. Ist schüchterner Komplexion, hat noch kein Wort gewagt, beschließt zu schreiben. Tunkt ein.
Härchen und Feder vereinigen sich innig, Hilario wird nach mehreren Versuchen, mit dem verfluchten Pinsel zu schreiben, sehr wild, schreibt Grobheiten statt Zärtlichkeiten.
Neue Feder. Fängt von vorn an. Es geht fließend vorwärts. Beschließt Citat aus Petrarka. Will den Band herabnehmen, er fällt auf's Tintenfaß, das ganze Schreiben wird schwarz übergossen. Hilario beschließt in Verzweiflung, es doch mit dem lebendigen Worte zu ver []suchen. Er hofft, der Geliebten im Park zu begegnen, will wagen, sie anzureden. Ab. Hinter ihm her höllischer Lach-Chor genannter Personen der ersten Szene.
Arie mit einem gewissen klebrigen Etwas in der Tonfärbung vorgetragen von der Pfütze, entsprechend von Instrumenten begleitet.
Ein weißlicher Punkt schwebt herbei; derselbe erweist sich, näher sichtbar, als Hühnerauge (äußerst giftiger Blick und Gesammtausdruck). Arie: hornig harter, friktiv brennender Ton. Text offenbart teuflische Absichten.
Verschwörungsduett zwischen Beiden.
Hilario tritt auf, heiter gespannt, das Hühnerauge schwebt, einen feurigen Faden durch die Luft ziehend, nach ihm hin, verschwindet in seinem Lackstiefel. Er winselt, []hinkt, fällt in die Pfütze, wird sehr dreckig. In diesem Augenblick erscheint Adelaide. Lacht sehr, verhöhnt ihn bitterlich. Beide ab. Triumphchor genannter Objekte, vermehrt durch Vögel, welche von Bäumen zugeschaut.
Dieß wird genügen, ein Bild von A. E.'s Komposition zu geben; ich darf die Geduld des Lesers nicht durch weiteren Auszug ermüden. Es genügt, noch zu erwähnen, daß die Skizze andeutet, Hilario wisse, durch einen Kampf mit einer Reihe ähnlicher Hindernisse vordringend, endlich doch Adelaidens Liebe zu erringen, eineselige Stunde werde ihm in Aussicht gestellt; dann folgt noch eine um Weniges ausgeführtere Szene:
Arie obgedachten Kolbens: weichlich zäher, doch zugleich tückischer Ton, entsprechender Text. Junge Katze erscheint; kindlich heiterer Gesang. Duett. Sehr eilig eintretend Hilario. Aus dem Nebenzimmer kommt der Apotheker. Hilario bittet sehr dringend um einige Tropfen Laudanum, der Apotheker verlangt ärztlichen Vorweis, und allzu gewissenhaft (— noch junger Gehülfe —), da Hilario solchen nicht besitzt, verweigert er die Bitte. []Hilario: „dann Mandelmilch, schnell!“ — Apotheker: „dieß gern!“ holt den Kolben, stolpert über die junge Katze, der Kolben liegt zerschellt am Boden. Hilario rasend ab. Furienhafter, grell-gellender Verhöhnungschor der Scherben und der Katze. Trio mit der Jammerstimme des Apothekers.
Hier brach das Fragment mit einem wilden Fahrstriche der Feder ab, die dann wie toll in kratzigen, borstigen Linien auf dem Papier umhergewüthet haben, hierauf etliche Male senkrecht aufgestaucht worden sein mußte; dieß bewiesen starke, von Spritzaureolen umgebene Tintenkleckse.
Das pathologisch geschnellte Abbrechen war mir nicht gerade komisch, es gab an Anderes, wenn auch noch so Verschiedenes, zu denken.
Bei weiterem Durchstöbern stieß ich auf eine Schichte gedruckter Blätter, auf deren Rand ich Anmerkungen mit rother Tinte bemerkte. Das Gedruckte konnte nicht von A. E. verfaßt sein, es war der Anfang eines Romans, dessen Styl und Inhalt weiblichen Ursprung erkennen ließ, das Titelblatt fehlte. Auf einem Beiblatt stand von seiner Hand geschrieben: „Das ist keine Kunst, ideal thun, wenn man Alles ungenau nimmt. Wart', Blaustrumpf, wart', Gans, ich will dir's einmal zeigen! Meinst du, die Dinge der Welt laufen nur so glattweg in geölter Kurbel?“
Ich stelle einige Sätze heraus mit den Anmerkungen, um einen Begriff von diesen Korrekturen zu geben:
[]„Es war ein lachender Morgen Ende Augusts. Wir standen reisefertig. Der gute, liebe Onkel! Es war ihm schwer geworden in seinen Jahren, aber er hatte sich entschlossen; mein Sehnen sollte erfüllt werden; er führte mich nach Paris. Die Koffer waren gepackt —
Anmerkung: bis auf einen, den Hauptkoffer, wozu der Schlüssel verlegt war —
Die Droschke war bestellt —
Anm.: und kam nicht. Endlich steigen wir in den Wagen —
Anm.: wobei der Onkel fehltrat und umfiel — Wir sitzen, das Dampfroß schnaubt, die Räder beginnen zu rollen —
Anm.: das Handgepäck fällt aus dem Netzfach und treibt dem Onkel den Hut an.
Noch ein Gruß an die liebe Schwester Ida, ein Schwenken meines Tuchs —
Anm.: wobei das Fenster fällt und mir die Hand einklemmt. Der Kondukteur coupirt, o, er erschien mir wie ein Götterbote, der meine Seele nach Elysium einlade —
Anm.: doch der Onkel fand unsere Billette nicht. Mir gegenüber — o schöner Anfang! ein junger Mann — in Civil — hat aber etwas edel Kriegerisches, selbstbewußte Haltung, Blick lebhaft, dabei etwas männlich Herrschendes und doch zugleich so Feines — wohl Gardeoffizier?
[]Anm.: worauf besagter Herr den einen und dann den andern Fuß neben den Onkel auf's Polster hinüberlegt und der Onkel sich sanft beschwert und eine sackgrobe Antwort bekommt.
Mit ritterlich gefälligem Tone fragt mich der junge Mann, ob ich erlaube, daß er das Fenster öffne —
Anm.: welches geschieht und worauf dem Onkel eine Kohlenfaser in's Auge fährt.
Balsamische Morgenluft weht herein, Städte und Dörfer im Sonnenglanze fliegen vorüber, die Schwalben schwirren, die Natur taucht, badet, schwimmt beseligt in sich selbst. Ja, die Natur hat Seele, sie ist doch immer seelisch besagend. Die Natur ist Geistflüsterung, der Mensch Geistsprechung, sie ist Geistduftung, der Mensch Geistblitzung. — Dieß ist ein Gedanke! Ich zeichne mir ihn in mein Poesiealbum. — Und nun, du Natur der Natur, goldiger Süden, dufte mir labend entgegen!
Anm.: Sie sucht die mitgenommenen Orangen, der liebe Onkel hat sie versessen.
Wehe! kann wolkenlos kein Himmel bleiben? Das lachende Antlitz der Natur trübt sich, ein Strichregen beginnt zu fallen, sie sinkt sich selbst als weinendes Kind in die Arme. Aber warum so heftig, deine Thränen netzen mich zu stark! ‚Ja, bitte, edler junger Mann, schließen Sie das Fenster —‘
Anm.: welches eingequollen ist, weßwegen der Onkel mithilft. Beide drücken und da es rasch nachgibt, stoßen sie die Scheibe hinaus.“
[]Genug und wohl schon allzuviel, der Spaß wäre geradezu langweilig zu nennen, wenn er nicht auf eine Steigerung losarbeitete; ich darf nicht verschweigen, daß diese etwas stark ist, indem die Scherben der Scheibe auf die Sitze fallen, und da ich eine Pflicht fühle, die vielleicht zarten Nerven des Lesers zu schonen, so breche ich ab, wiewohl es an einigen Witzkörnern im Folgenden nicht fehlt. Uebrigens waren es nur wenige Blätter; die Nörgelei muß dem Krittler selbst denn doch entleidet sein oder er muß gefühlt haben, daß ja jede seiner Anmerkungen die folgende und so den ganzen Roman aufhob.
Haben diese grillenhaften Phantasieen, wie sie bis in die Schnurre, die Kinderei ausschweifen, den hartgeprüften Leser verdrossen, geärgert, fast um die Geduld gebracht, so söhnt er sich doch vielleicht mit dem schiefgewickelten Manne wieder aus, wenn er nun im Tagebuche die Goldfäden findet, die sich durch das bunte Garn dieser Wicklung reich und stark hindurchziehen. Das Feinste dieses Goldes ist Denken, philosophisches Denken, „des Menschen allerhöchste Kraft“. Ob man darum den Mann einen Philosophen nennen darf, das freilich ist eine Frage: ich enthalte mich, das Wort darüber zu nehmen, das Tagebuch mag selbst antworten. Vielleicht ist ein Theil des innern Unglücks in diesem Leben auf dieser Stelle zu suchen; der Leser wird Andeutungen finden, die dahin zeigen; vielleicht []trug es zu seiner Verstörung bei, daß die Mischung der Kräfte in ihm zu bunt war, um der edelsten ein gerades und ausgewachsenes Gebilde zu erlauben. Und doch war sie stark genug, ihrer Gegenfüßlerin, der Phantasie, des Raumes so viel wegzunehmen, daß ihr dieselbe Hemmung widerfuhr. Freilich ist es mit diesem bunten Theil des Einschlags an sich schon eben auch seltsamlich bestellt; der Weber neigt zu sehr zum Zickzack, als daß man ein harmonisches Geflechte von ihm erwarten könnte, und wir dürfen es ihm wohl immerhin gutschreiben, daß er es dieser Neigung wenigstens abgerungen hat, die Pfahldorfgeschichte fertig zu bringen, die doch in einem gewissen Sinn ein Ganzes genannt werden kann. Dieß ist aber auch das einzige Durchgeführte; da und dort finden sich Fäden für andere Kompositionen, sie brechen aber ab, sind fallen gelassen, und so kann man schließen, daß auch nach dieser Seite ein Gefühl des Unglücks über eine unterbundene Ader in ihm umwühlte; denn er wollte thätig sein, wollte leisten, wollte der Welt etwas sein. Was ich Zickzack nenne, dazu gehört auch eine über das Maß gehende Liebe zum Elemente der närrischen Vorstellung. Oft mußte ich schon beim ersten Durchlesen an Lichtenberg denken. Obwohl ich einige der stärksten Proben dieses Zuges vorausgenommen habe, möge sich der Leser doch erinnern, daß ich ihm nicht die Aussicht eröffnen konnte, es werde ihm nach überstandener []Geduldprobe im Folgenden nur Vernünftiges geboten werden; auch des Tollen im ebengenannten Sinne wird ihm noch Manches aufstoßen. Es wäre in der That ein verkehrtes Thun, wenn ich eine völlige Ausscheidung vornehmen wollte, so verkehrt, wie wenn ich frei über die Reihenfolge der Blätter disponirend versuchen würde, in das Durcheinander eines Tagebuchs, geführt unter den Impulsen des Augenblicks von einer tief, heftig und widerspruchsvoll bewegten Natur, eine logische Ordnung zu bringen.
Noch finden sich andere Fäden, die der wilden Farbenmischung einen sehr ernsten Untergrund geben, schwarz wie die Nacht, wohl auch blutroth. Ich fand zwischen den Blättern ein schwarz eingesiegeltes Paket. Ich scheute mich, es in jenen Tagen zu öffnen, die ich in der Heimat des Verstorbenen zubrachte. Ich ahnte Erschütterndes und wollte es für jetzt ruhen lassen mit dem Todten, der es überwunden hatte; ich wollte dem Ganzen eines abgeschlossenen Lebens in still wehmüthiger Betrachtung nachschauen, kein Theil dieses Ganzen sollte mir in dieser Stimmung reinen Schmerzes zur erschreckenden Gegenwart werden. Wie sehr fühlte ich, daß ich Recht gethan, als ich nachher zu Hause die Siegel öffnete! Das Räthsel, das jene zwei Frauenbilder uns vorgelegt, es löste sich, wiewohl nicht zu völliger Helle. Ein zuckendes Schlaglicht fiel auf ein schweres, ja furchtbares und nach Ueberwindung des []Schwersten immer noch tragisches Stück Menschenleben. Einen Beitrag zu weiterer Lösung brachte mir später ein Zufall, von dem ich berichten werde. An der Stelle, wo im Tagebuch eine große Lücke aufstößt, werde ich als Herausgeber das Wort ergreifen und einfügen, was ich durch diesen Zufall erkundet habe. Alles Dunkel wird freilich auch durch diese Nachhülfe nicht gehoben. Uebrigens war A. E. in dem Versiegeln von Stücken, denen er besonders intime Erlebnisse anvertraut hatte, nicht konsequent. Im offenen Theil der Manuskripte finden sich der Stellen nicht wenige, die sich auf den gewitterdunklen Inhalt jener Blätter beziehen, auf den schrecklichern ihrer Lücke rathen lassen, und man sieht in einen Zusammenhang, der sich weiterhin durch das Ganze dieses schwergeprüften Lebens als nächtliche Stimmung ausbreitet. Ein Leser, den auch der Gedankenernst des Verstorbenen noch nicht mit seinen Launen, seinem barocken Humor versöhnt haben sollte, wird, so darf ich wohl voraussetzen, wenigstens durch Theilnahme an den Stürmen, die durch dieses Leben gefahren sind, zu größerer Nachsicht bewegt werden, um so mehr, da doch in der Schlußstimmung, so viel möglich, die harten Misklänge sich lösen.
Bedauerlich ist, daß man nichts von der Jugendgeschichte des Verfassers erfährt; das Tagebuch beginnt nicht früher, als mit dem Antritt seines ersten Amtes. Man möchte so gern Aufschluß dar []über erhalten, aus welchem Boden ein Baum mit so krausgebogenen Aesten entsprungen, unter welchen Einflüssen er so knorrig und krumm gewachsen ist. Mir ziemt jedoch nicht, den Gedanken, die sich der Leser hierüber bilden mag, mit Schlüssen und Vermuthungen aus meiner Werkstatt vorzugreifen.
Sehr Vieles habe ich gestrichen, die Blätter könnten mit weit mehr Recht ein Tagebuch genannt werden, wenn ich allen Stoff aufgenommen hätte, was doch gewiß nicht zweckmäßig gewesen wäre. Ein Theil desselben besteht aus einer Masse ganz trockener Notizen. Es sind in den Abschnitten, welche der Zeit der Amtsthätigkeit angehören, meist Vormerkungen für die Tagesaufgaben, man sieht in ein sehr pünktliches, gewissenhaftes Arbeiten hinein. Außerdem findet sich überall eine Menge äußerst kleinlichen Zeuges; A. E. zeichnet sich auf, wo man dieß und jenes Bagatell am besten kauft, z. B. Hemdknöpfe von richtigem Profil; für die Reisen besonders ist in dieser Richtung umständlich vorgesorgt; sehr wichtig wird überall die Frage nach guten Gasthöfen behandelt, und es läßt sich erkennen, daß A. E. ein bitterer Feind der Häuser war, die auf vornehmen, modernen Fuß eingerichtet sind, eifrig meidet er, was hôtel heißt, und weilt dagegen gern, wo es noch in gutem patriarchalisch-gemüthlichem Style zugeht. Geräth er in ein Gasthaus der ersteren Klasse, so kann man die Zwischenbemerkung finden: „Einen nase []weisen Kellner geschüttelt“, oder: „Die Bougies auf die Straße geschmissen“, oder: „Händel wegen der Zeche“, während in einem albergo, das er als altgediegen belobt, Trinkgelder von auffallend splendider Höhe notirt sind. Für die Städte sind überdieß als Frucht eines sichtbar eifrigen Nachfragens häufig die Geschäfte bemerkt, wo man den und jenen Artikel des Reisebedürfnisses gut einkauft, namentlich findet sich die Fußbekleidung ernstlich bedacht. In Venedig heißt es einmal: „Wieder eine Stunde bei meinem wackern cal zolajo gesessen; guter Alter, enge Werkstätte malerisch; intelligenter Kopf, begreift den Fuß.“ Zwischen solchen Notizen liest man einmal: „Da bittet mich eine deutsche Dame in Mailand, sie mit belehrenden Winken für ihre weitere Reise auszurüsten. Bereitwillig nenne ich ihr gute Gasthöfe, gebe ihr den werthvollen Rath, nie anders als mit genügend ausgetretenem Schuhwerk zu reisen u. s. w., sie sieht mich verblüfft und verstimmt an und gesteht dann ihre Enttäuschung. Dumme Menschen! Jetzt meinen die, ich werde mit ästhetischen Phrasen — ‚Italiens ewig blauer Himmel — entzückendes Panorama — Perle der Plastik — göttliches Gemälde' — und derlei loslegen — Donnerwetter! Wer kann Schönes sehen, Schönes fühlen, wenn ihn ein Hühnerauge brennt! Wer widrig wohnt, hat für nichts Stimmung, wer nicht gern zu Haus ist, den freut auch draußen nichts. Das Höhere ver []steht sich ja immer von selbst! Für die Basis, die Vorbedingung, muß gesorgt werden.“ Solcher Zwischenbemerkungen, weil sie doch charakteristisch erscheinen, hätte ich vielleicht mehr aufnehmen sollen, aber da sie meist mit so viel trockenem Inhalt verzahnt sind, war es zu schwierig, sie auszuschneiden. — Zwischen diesen Dingen liegt in dichten Garben die Ernte wichtigerer Vorstudien gehäuft: Auszüge aus Reisebüchern, Geschichtswerken, namentlich aber aus kunsthistorischer Literatur. Man sieht mit Vergnügen: der seltsame Mensch war so weit ganz vernünftig, daß er gut einsah, man könne nie zu wohl vorbereitet auf Reisen gehen. In der That hängt ja von dieser Stoffsammlung, die dem Naturmenschen als etwas Todtes erscheint, nichts Geringeres ab als die Belebung der Stätten, die der Reisende besucht.
Ehe ich an die Veröffentlichung gieng, habe ich mich nach ... begeben und das Ganze des Tagebuchs Frau Hedwig vorgelegt. Man kann sich denken, wie die Mittheilung der besonders inhaltschweren Abschnitte sie bewegte. Einverstanden war sie mit mir, daß ich mich nicht scheuen dürfe, auch diese Theile der Oeffentlichkeit zu übergeben. Sie sind zum Verständniß des Ganzen der Persönlichkeit nicht zu entbehren, und übrigens hat ja der Tod „eine reinigende Kraft“. Auch das Wildeste, ja das Grasse erscheint abgekühlt, erscheint wie unter einem dämpfenden Flor, wenn das Leben abgeschlossen, wenn es ein Vergangenes geworden ist.
[]Nur Weniges bleibt mir noch zu erzählen, ehe ich das Wort an die sprechenden Blätter abtrete.
Mein ganzer zweiter Tag jenes ersten Besuches in . . . war einer vorläufigen Durchsicht des offenen Theiles derselben gewidmet; Abends holte mich der Assessor ab, um mich unserer Verabredung gemäß in die Gasthofgesellschaft zu bringen, in welcher der Verstorbene ein paarmal jede Woche seine Abenderholung zu suchen pflegte.
„Spielen Sie Billard?“ fragte mich ganz außer Zusammenhang mein Begleiter, als wir uns mit einiger Schwierigkeit auf der stark belebten Hauptstraße vorwärts bewegten.
„Warum? Wird denn heut Abend dort — ?“
„Nein, nein, nur um zu wissen, ob Sie das Spiel kennen.“
„Wohl, ich habe früher nicht ungern gespielt.“
„Nun, dann wissen Sie, was man Dessin nennt, mit oder ohne Dessin spielen, — verzeihen Sie mein rasches Fragen, — ich wollte eigentlich vom Seligen reden —“
„Sollte der ein leidenschaftlicher Billardspieler — ?“
„Nichts weniger, konnte es wenigstens in Konversationszimmern nicht ausstehen — ‚verklappert uns das Wort im Munde — macht den besten Gedanken in's Eckloch' konnte er sagen; — ich bedurfte nur das Wort Dessin.“
[]„Wir können es mit Vordenken übersetzen.“
„Recht, also Vordenken. Sehen Sie, gieng man mit dem Seligen durch diese Straße, da hatte man seine liebe Noth. Er war so furchtbar heftig gegen unbequemes Indenweglaufen, er gieng auch sehr schnell —“
„Jawohl, und straff geradlinig, immer die kürzeste Linie beschreibend, es schien mir, er könne gar nicht schlendern, ich bemerkte, daß er, wo irgend möglich, bei Biegungen des Weges die Sehne des Bogens gieng —“
„Freilich! freilich! Und im Menschengedränge, da war es ja nicht möglich, so direkt und rasch nach dem Ziel zu eilen. — Nun brauche ich Ihnen nicht erst zu sagen, daß er das sehr wohl begriff, so unvernünftig, so sinnlos ungeduldig war er ja nicht. Er nahm das Gedränge ganz in Rechnung, faßte mit seinen scharfen Sinnen das Raumbild mit den darin sich bewegenden Menschen blitzschnell auf und zog sich im Geist augenblicklich eine Linie, auf welcher er durch die gegebenen Lücken wie ein Pfeil hindurchschießen wolle. Bei dieser Linearberechnung vergaß er nur, daß der Zufall noch schneller ist, als unsere Strategie, und in solche Engpässe im Nu neue Wanderer hineinzuschieben pflegt. Wenn nun das geschah, so wurde er — nicht sogleich, aber bei lästiger Wiederholung — geradezu wüthend; er erklärte die Eindringlinge für []Menschen, die sich von den Teufeln aufstiften lassen. Wir giengen einmal just in dieser Gegend hinter drei Menschen her, welche die Breite der Fußbank einnahmen und uns zu langsam sich vorwärts bewegten. An ihnen vorüberzukommen, will A. E. einmal, zweimal den Moment benützen, wo sich ein Zwischenraum zwischen oder neben den Dreien ergab, jedesmal wird uns der freie Raum verrannt, und als das zum dritten Mal kam, verlor er die Fassung so sehr, daß er dem harmlosen, unbekannten Thäter im Anstreifen zurief: ‚Welcher Teufel führt Sie in meine Thermopylen?' Der Herr schoß mit einem unwilligen Grunzen weiter, kehrte dann rasch um, holte A. E. ein, hielt ihn an einem Rockknopf und sagte: ‚Wohin, Herr Leonidas? nach Fernau?' (unsere Irrenanstalt). — ‚Nein, o Xerxes, nur zum Hades!' antwortet A. E. sehr ruhig und ernst. Im Weitergehen sagte er mir, es habe ihm allen Zorn niedergeschlagen, daß der Herr etwas griechische Geschichte wisse. — Es war kurz vor seinem Tode.“
„Hübsch, daß Sie mir das erzählen,“ sagte ich, „ein Bild des Lebens —“
„Nicht wahr? Dieß Durchkreuztwerden im Gehen,
Und sein straffes Zielen im Gang ein rechtes Bild von jenen Menschen, die von einem besonders feinen und scharfen Gefühl des Zweckmäßigen heimgesucht sind —“
[]„Ja, zu vordenkende Naturen, die stets übler durchkommen als die glücklich Blinden, welche einfach zutappen, — Naturen, denen das Leben so schwer wird, weil ihr Gefühl des Zweckwidrigen ebenso zugeschärft sein muß wie ihr Gefühl des Zweckmäßigen —“
„Prometheus im Kleinen, nicht vom Geier, sondern von Spatzen zerhackt —“
Wir waren im Abendzirkel angekommen. Außer ein paar Herren, deren Namen und Stand ich vergessen, fand ich den Diakonus Zunger (Tetem), den Oberförster, zwei Aerzte, einen pensionirten Kameralverwalter. Ich wurde natürlich als ein Freund des Verstorbenen vorgestellt. „Eben recht,“ sagte der Oberförster, „wir sind gerade einmal wieder am Thema.“
Der eine der Aeskulape, — mit Namen Schraz — der Assessor sagte mir nachher, A. E. habe ihn früher zum Arzte gehabt, dann „wegen sehr dummer Art von Verständigkeit“ aufgegeben — dieser Doktor Schraz hatte behauptet, das verstorbene Mitglied sei ein Gesprächtyrann gewesen, habe nur sich wollen reden hören. Der Oberförster hatte ihm halb und halb beigestimmt.
„Das erlaube ich mir zu bekämpfen,“ sagte Zunger, „und es ist — verzeihen Sie, meine Herren, — ungerecht von Ihnen, so zu urtheilen. Der Herr Vogt wurde mindestens ebenso ärgerlich, wenn man Andere, als wenn man ihn unterbrach. Erinnern Sie, Herr []Oberförster, sich nicht mehr, wie er damals fortlief, weil man Ihnen öfters in die Rede fiel?“
„Ja, ja, damals,“ sagte der andere Arzt, „wie Sie die Geschichte von Ihrer isabellfarbigen Diana erzählten mit der Wurst und —“
„Und wahr ist's erst noch,“ rief jetzt der Nimrod, der plötzlich das eigentliche Thema vergaß; er ließ sich gern anreizen, noch einmal zu erzählen, und nach einer begeisterten Charakterschilderung seiner Hündin, die ‚mindestens so gescheut sei wie ein Mensch‘, erfuhren wir denn, daß der Jägersmann dieses edle Thier einmal ertappte, wie es so ganz unter seine Würde herabsank, daß es in der Küche eine Bratwurst stahl. „Und dann?“ riefen die Zuhörer. „Und wahr ist's und bleibt wahr,“ betheuerte er, seinen langen, blonden Schnurrbart streichend, „ich nehme Gift darauf, die Diana, wie sie mich sieht, läßt die Wurst fallen und wird feuerroth im ganzen Gesicht —“
Ich lachte herzlich mit dem Chore, ein erröthendes Thier war auch mir neu, weit neuer, als die Behauptung dieses Münchhausen, seine Diana könne veritabel lachen.
Man kam auf A. E. zurück, seine Thierliebe, man erfreute sich der Eigenschaft, nur Doktor Schraz fand sie „etwas kindlich“. Dann brachte ihn die Hundsgeschichte auf das Anekdotenwesen und dieß gab dem wenig Wohlwollenden Anlaß, den Todten zu beschuldigen, []daß er doch ein gar zu starker Anekdotenerzähler, ein Meidinger II. gewesen sei.
Jetzt fiel lebhaft der Assessor ein: „Haben Sie nie bemerkt, meine Herren, daß er in dieser Richtung immer nur dann loslegte, wenn sich Sondergespräche am Tisch aufthaten? wenn dann auch das zu laute Sprechen anfieng? Die Leute zu Einem Gespräch zusammenbringen mit jedem Mittel, — helfe, was helfen mag! — war das keine gesellige Tugend? Ist unsere Unterhaltung nicht harmonischer geflossen, so lang er uns so zusammenhielt?“
„Doch jedenfalls über die Maßen nervös hat er's getrieben,“ meinte der Oberförster; „das führt denn doch weit, wenn man gar keine Theilgespräche an einem Tisch dulden will, es hat doch so Mancher mit Dem und Jenem etwas Besonderes zu reden.“
„Nervös,“ sagte der andere Arzt (er hieß Volkart); „nun, wenn man will. Oft nennt man normale Nerven kranke, denn die der Mehrheit sind stumpf und so erscheint ihr das Richtige als pathologische Ausnahme. Bemerken Sie, wenn Abends in einer Familie die Lampe aufgestellt wird: die Kinder halten sich die Augen zu, die Flamme blendet sie. Das ist aber gesunder Sehnerv und abgestumpft ist der von uns Alten, der keine Blendung empfindet. Grellem Lichte kommt aber doch gewiß ein Gewirre von Gesprächen gleich.“
[]„Es war eben doch überhaupt eine besondere Art von Gehirn,“ bemerkte jetzt der Geistliche; „wir dürfen fast sagen: eine Annäherung an Wahnsinn —“
„Nun, nun,“ versetzte Doktor Volkart; „ja und nein, nein und ja, jedenfalls nimmermehr bis zu der Linie, wo es Gegenstand für Psychiatrie wird, — wer ergründet Gehirnleben!“
Jetzt fuhr Doktor Schraz auf: „Ich wiederhole, was ich oft gesagt: kein Narr war er, sondern — erlauben Sie mir das Wort männlich zu bilden: ein Kokett, denn Coquard sagt nicht ganz dasselbe. Gespiegelt hat er sich in seiner Seltsamkeit und gespielt mit uns und Allen.“
Das Wort entzündete Aufruhr, es entstand ein Durcheinander von lebhaften Reden und heftigen Gegenreden; der Widerspruch war fast allgemein, ich bemerkte, wie der Assessor lächelnd dem Tumulte zusah, und meinte auf seinem Gesichte zu lesen, was ich ungefähr auch dachte: daß nämlich der Doktor ein mikroskopisch kleines Körnchen Wahrheit, das dem Inkulpaten nicht im mindesten zur Unehre gereichte, zum groben Klumpen aufgeschwellt hatte. —
Dem Geistlichen gelang es, den wirren Streit zu beschwichtigen. Mit gehaltener Würde sprach er, nachdem die Ruhe hergestellt war: „Einen Vorwurf freilich können wir dem guten Manne nicht ersparen: all' diese Ungeduld beruhte schließlich doch einfach auf Unglauben an die Vorsehung, an einen persönlichen Gott.“
[]„Im Krieg schießt man mit Fleiß auf die Leute,“ sagte jetzt ruhig der Assessor.
„Wie? Was? Wie?“
„Ich meine es nur formal logisch,“ versetzte mild der junge Mann. „Wenn Jemand aus allerlei Gründen, zum Beispiel wegen der großen und allgemeinen Grausamkeit in der Natur, namentlich aber aus sehr scharfer Erkenntniß der unendlichen Durchkreuzungen in der Welt dahin gelangt, daß er dem Einen, das Allem zu Grunde liegt, die Persönlichkeit absprechen zu müssen glaubt, so kann man doch nicht sagen, das komme eben daher, daß er sie ihm abspreche.“
„Und an eine sittliche Weltordnung hat er doch geglaubt,“ fiel Doktor Volkart so rasch ein, als befürchtete er von den sprechbereiten Lippen des Kanzelredners einen längeren Vortrag.
„Ohne Gründer und Hüter!“ rief der eifrig Mann.
„Ohne Einen, aber mit vielen, sehr vielen!“ erwiderte für den Arzt der Assessor.
„Ja, das ist auch wahr, beim Moralischen war er streng fest, sagte ja auch so oft: das Moralische versteht sich immer von selbst,“ so unterstützte nun der ehrsame Oberförster.
Das Gespräch verstrickte sich wieder zu einem Wirrwarr, worin es stets auf's Neue sich um den Punkt der einen Frage drehte, ob die Grillen des Verewigten nicht viel []weiter gegangen seien, als zulässig, als mit Vernunft, Würde und Normalstand der Menschennatur vereinbar sei. Die ganze Zeit über hatte der pensionirte Kameralverwalter, der unten am Tisch saß, beharrlich geschwiegen. Ich hatte mir ihn öfters betrachtet. Er gehörte zu jenen bequemlichen alten Herren, die einen ganzen Abend stockstill in einer Gesellschaft sitzen; die einzige dramatische Belebung, wodurch sie etwas Wechsel in die absolute Gleichheit dieses Daseins bringen, besteht darin, daß sie von Zeit zu Zeit bedächtig die Cigarre aus dem Mund nehmen, die Meerschaumspitze betrachten, wie weit sie braun geraucht sei, und sie ebenso bedächtig, ja feierlich wieder in den Mund stecken. So hielt es auch dieser stumme Herr, mit der einzigen Zuthat, daß er bisweilen die Hand langsam über seinen Kahlkopf gleiten ließ, wie um zu prüfen, ob die sorgsam von hinten herübergekämmten grauen Härchen noch ordentlich liegen. Der Assessor hatte mir, bemerkend, daß mein Blick öfters mit Behagen auf dem behaglichen Schweiger verweilte, einmal zugeflüstert: „Ueber diesen hat der Selige einst zu mir gesagt: ‚der ist so trocken, ich muß in die Hand spucken, wenn ich nur an ihn denke; der Mensch feiert ja ordentliche Bacchanalien, Orgien der langen Weile'; dennoch hat er ihn gern gehabt.“ Nun, dieser Herr begann jetzt unter allgemeinem Erstaunen über das Wunder, daß man ihn zu mehr als ein paar Worten ausholen hörte: „Ich []bitte, meine Herren, da hab' ich heut in dem guten alten Buch Simplicissimus von Grimmelshausen etwas gelesen, das hab' ich mir wörtlich gemerkt, mir scheint, es passe hieher: ‚Ich glaube, es sei kein Mensch in der Welt, der nicht seinen Sparren habe, denn wir sind ja Alle einerlei Geschöpfe und ich kann bei meinen Bir'n wohl merken, wann andere zeitig sind.'“
Die Herren wurden nachdenklich und still. Mir schien das Citat nicht übel, nur zu wenig. Ich gestehe, daß es mich anwandelte, die Gesellschaft mit der Paradoxie zu erschrecken, der Selige habe mit seinen angeblichen Grillen überhaupt Recht gehabt. Ich that es nicht, ich dachte: für den Hausbrauch ist das Wort des behäbigen Herrn gerade ausreichend, und was den Gescheuteren, den Assessor, betrifft, der wird sein Theil schon von selbst hinzudenken. Das Gespräch verlief und warf sich dann auf andere Gegenstände.
Das sind die Brocken aus jener Abendunterhaltung, die ich mir vor Bettgehen aufzeichnete und die ich dem Leser nicht vorenthalten zu dürfen glaubte. Ich nahm des andern Tages mit dem Vorsatz, von Zeit zu Zeit wiederzukommen, gerührten Abschied von Frau Hedwig und vom Assessor und reiste mit meinem Papierpack nach Hause.
Es ist noch zu erzählen, daß ich vor ein paar Jahren im Herbst die Gotthardstraße und den Schauplatz unserer Großthat wieder besucht habe. Den []Wirth in Göschenen fand ich nicht wieder, von den schönen Bellinzonesen sah ich nichts mehr, der Granitblock gegenüber dem Wirthshause war verschwunden, die ganze Ortschaft schien italienisch geworden, denn sie wimmelte von welschen Arbeitern am Bau der furchtbaren Höhle, die Menschenhand durch die Eingeweide der Granitwelt bohrt: bleiche, traurige Menschen, die man mit ihrer Hängelampe zu dem dumpfen, stickluftschwangern Schlunde schleichen sieht, als gienge es in's Grab. Als ich vom Marsche bis Andermatt wieder zurückkam und das Dorf rasch durchschritt, kam mir Jemand nachgelaufen und sprach mich an. Es war eine wohlgethane Frau von vorgeschrittenen Jahren in sauberer, ländlicher Kleidung; „ach,“ rief sie, „verzeihen Sie doch, schon heut Vormittag meinte ich Sie zu erkennen, sind Sie denn nicht der Herr, der anno Fünfundsechzig dazumal mit dem andern Herrn — ?“ Ich ersparte ihr gern die Mühe, einen Satz zu vollenden, der die nicht leichte Aufgabe hatte, rücksichtsvoll zu bezeichnen, was Tolles damals geschehen war, und bejahte um so eher, da ich gleichzeitig die Frau zu erkennen meinte, die damals mit dem Kind auf dem Arm so still vorwurfsvoll unserem Beginnen zusah. „Burgi! Burgi!“ rief sie zurück, „komm' doch, komm'!“ Ein blühendes Mädchen kam nachgelaufen. „Sieh', das ist der Herr, der kann uns erzählen von unserem Wohlthäter, der ist mit ihm dagewesen.“ Ich küßte []das Mädchen auf seine erdbeerfrischen, rothen Backen. „Damals war es ein mageres, bleiches Kind,“ sagte sie, „und ich ein dürres, hungerbleiches Weib; wissen Sie denn auch? Ein Kapital, von dem wir einen Acker und zwei Kühe kaufen konnten; mit Sparen und Hausen haben wir's dann zu einer kleinen Wirthschaft gebracht, wir geben jetzt Arbeitern Kantine, aber keine schlechte, über die unsrige hat's nicht den Krawall gegeben, — und das Kapital, aus Deutschland ist's gekommen von dem guten, lieben Herrn, ach, nun kann ich ihn noch grüßen, ihm tausend, aber tausendmal danken, sagen Sie ihm: vergelt's Gott sein ganzes Leben lang und noch im Himmel droben!“ Ich schwieg vorerst von dem, was seither geschehen, gieng mit der Frau in ihr Haus, fand in der reinlichen kleinen Wirthsstube ihren Mann, der mir herzlich die Hand drückte und ein Glas feurigen Veltliner vorsetzte. Ich begann zu erzählen und suchte den einfachen Menschen einen ungefähren Begriff von dem Manne zu geben, den die Frau so närrisch gesehen und der dann ihr Retter geworden. Nun hielt ich nicht mehr zurück mit dem traurigen Ende. In der Ecke saß ein italienischer Arbeiter in verschossener Sammetjacke, er bat mich, da er die Thränen der tiefbewegten, dankbaren Menschen sah, ihm zu ergänzen, was er nicht verstanden hatte. „Ah, che bravo!“ sagte er dann und bewegte die braune Hand nach den dunklen Augen. —
[]Ich nahm herzlichen Abschied von den guten Leuten und machte mich auf den Weg, um in Wasen zu übernachten. Unweit des Dorfes fuhr ein Wagen an mir vorüber, in welchem ich den würdigen alten Herrn und die zwei Knaben zu erkennen glaubte, die ich einst in Bürglen an der Tafel getroffen hatte. Es war an einer Steigung, der Wagen fuhr langsam. Ich bemerkte, wie die Knaben, nachdem sie aufmerksam nach mir hergesehen, dem Alten etwas zuflüsterten. Er ließ halten und fragte mich höflich, ob er nicht im Spätsommer 1865 das Vergnügen gehabt, mich in Bürglen an der Tafel zu treffen; er sagte, er erinnere sich zwar nicht, daß ich damals an der Unterhaltung theilgenommen hätte, wohl aber, daß ich Herrn Einhart halb fremd, halb wie ein Bekannter gegrüßt. Er bot mir an, einzusteigen, ich schlug höflich ab; er mochte mir aber anmerken, daß ich zwischen Unlust, zu fahren, und Drang, ihn zu sprechen, im Kampfe stand, und fuhr fort: „Wir füttern in Wasen die Pferde, werden eine starke Stunde verweilen; könnten wir uns dort sprechen?“ Ich bejahte gern. Wasen war bald erreicht. Herr Mac-Carmon, so hatte er sich mir vorgestellt, kam mir entgegen; schnell war unser Gespräch im Fluß, und schmerzvoll theilte er mir mit, er sei auf dem Rückwege nach Schottland von Italien; er habe sich schwer vom Grabe seiner Tochter getrennt, der ihr Mann, ein schwedischer Arzt, sieben Jahre im Tode vorangegangen []sei. „Sie ruht neben ihrer Mutter,“ sagte er mit brechender Stimme, „die auch jung gestorben ist auf einer Reise, die ich mit ihr nach Perugia, ihrer Vaterstadt, machte. Beide konnten das Klima Schottlands nicht ertragen und meiner Tochter hat wohl das norwegische den Todesstoß gegeben. Zweimal habe ich Cordelia zu ihrer Erholung nach Italien gebracht; wir verweilten den Winter, nachdem wir Sie in Bürglen getroffen, in den umbrischen Städten, wir begaben uns vor wenigen Jahren wieder dahin, als ihre Kräfte sich immer schwächer erwiesen, unsere Nebel, unsere Winde zu ertragen. Sie war nicht mehr zu retten, sie starb in Assisi und ruht in Perugia.“
Ich drückte ihm schmerzergriffen, schweigend die Hand. „Sprechen wir von Einhart,“ fuhr er nach einer Pause fort; „Sie kannten ihn doch wohl näher?“ Ich erwähnte zuerst flüchtig, daß ich nach rascher gegenseitiger Annäherung damals, in Bürglen, durch augenblickliche Verstimmung mit ihm gespannt gewesen, erzählte in kurzen Zügen, daß unser Verkehr durch nachfolgendes neues Zusammentreffen rasch wieder in Fluß gekommen sei, faßte alles Weitere im Abriß zusammen und berichtete vom blutigen Ende, das der Unglückliche gefunden. Mac-Carmon sah tief erschüttert eine Weile vor sich nieder und sagte dann: „Das also war die Ahnung Cordeliens? — Sie hat ihn []kurz vor ihrem eigenen Ende gesehen, nachdem auf unserer früheren Reise eine Spur von ihm in Assisi aufgetaucht, aber schnell wieder verschwunden war.“ Ich sagte, daß ich dieß aus dem Tagebuch entnommen habe. „Und auch die Ahnung?“ fragte der Schotte. Auf meine Erwiderung, daß nur ein paar Worte in diesen Blättern auf einen solchen innern Vorgang dunkel hinweisen, erzählte er mir, als Cordelia in Assisi der Auflösung nahe im Haus ihrer Tante darniederlag, sei ganz unvermuthet von A. E. ein Brief eingetroffen mit der Frage, ob sein Besuch nicht unwillkommen wäre. Am Abend vorher sei die Nachricht von der Kriegserklärung zwischen Frankreich und Deutschland nach Assisi gelangt und in der Nacht habe Cordelia geträumt, sie sehe den alten Freund verblutend neben einem Pferde liegen. „Ohne daß wir,“ fuhr er fort, „eben geneigt wären, an mystische Fernsicht der menschlichen Seele zu glauben, wollte uns unter dem Eindruck der aufschreckenden Kriegskunde dieses Traumbild doch wie ein prophetisches erscheinen, und die schwere Stimmung, in die es uns versetzte, hat dann diesem Wiedersehen eine gar dunkle Farbe gegeben, die ich doch keine trostlose nennen kann, denn — o, Sie hätten diesen Abschied zwischen Beiden mitansehen müssen! — Das war —“ — „Die wenigen Worte der hinterlassenen Blätter lassen mich errathen, was das für eine Stunde war,“ ergänzte ich die stockende Rede. []Ich meldete ihm jetzt vom Testamente, von der Vollmacht, die es in meine Hand gelegt, theilte ihm mit, daß ich eben im Begriff stehe, das Interessanteste aus dem Tagebuch zu veröffentlichen, und ließ nicht unerwähnt, daß ich hier auf Lücken und Andeutungen räthselhafter Art, auf schweres Dunkel zwischen jähen, kurzen Lichtern gestoßen sei. „Einige Aufhellung kann ich Ihnen geben, wenn auch keine volle,“ sagte der schmerzlich bewegte Mann, „Sie werden dann auch erst ganz verstehen, warum mir die Worte nicht gehorchen wollen, ein Bild von jener Scheidestunde zu geben; wer vermochte es mit trockenem Auge zu sehen, wie er ihre blasse Hand drückte und mit Thränen bedeckte, mit welchem Blick seine Augen zu ihr aufschauten! — Sie sollen, so viel ich zu berichten weiß, erfahren, was in Norwegen geschehen ist, lassen Sie uns hinaus in's Freie gehen.“
Ich nahm die nöthigste Erfrischung und trat dann einen Gang in die nächsten Feldwege mit ihm an, der uns nahe an der tosenden Reuß hinführte; ihr dumpfes Donnern in tiefgefressener Felsschlucht war die rechte Begleitung zu dem, was der Mann mir zu sagen hatte.
In einer Bewegung, die der Leser im Verfolg begreifen wird, nahm ich Abschied von Vater und Enkeln, die in der Nacht noch Flüelen erreichen wollten. Die Knaben waren schlank emporgewachsen, seit ich sie []das erste Mal gesehen hatte, der eine schon zum Jüngling entwickelt. Sie hatten beide die dunklen, großen, von langen Wimpern beschatteten Augen der Mutter und blickten mich an wie einen Vertrauten ihres Kummers, ich umarmte die Frühverwaisten und küßte sie auf die reinen Stirnen.
Mit fliegendem Stifte und, ich gestehe es, mit zitternder Hand zeichnete ich mir in der Herberge auf, was ich vernommen, und beschloß, nicht, wie ich gewollt, in Wasen zu übernachten. Ich hätte nicht schlafen können, ich zog einen nächtlichen Marsch bis Amsteg vor, um durch Ermüdung Ruhe zu finden. Es war ein dunkler Gang, dunkel von innen wie von außen.
Freier und heller wurde es in mir, als am andern Vormittag der Vierwaldstättersee im Gürtel seiner stolzen Ufer groß, weit, den blauen Himmel spiegelnd vor meinen Augen sich aufthat. Das sonnige Bild schien mir zu sagen, daß im unendlichen All doch jeder Mislaut sich lösen muß, und ich durfte es mir bestätigen, indem ich bedachte, daß auch der umgetriebene Sohn der Erde, mit dem ich einst dort drüben auf der Axenstraße gewandelt, doch freien Geistes über den Rissen und Klüften in seiner Seele schwebte und daß ihm gegönnt war, mit einer letzten reinen Rührung im Gemüthe sein Einzelleben dem Weltall zurückzugeben.
[]Ich hatte zu Schiffe bis Luzern fahren wollen, zog aber, da ich das Dampfboot voll von Touristenvolk sah, die Stille und Einsamkeit eines Marsches auf der Axenstraße bis Brunnen vor und wanderte so meines Weges, in Erinnerung versunken. Ein Bote begegnete mir, ein Esel zog seinen kleinen Wagen. Ich erkannte den Mann jener Szene wieder, die vor Jahren hier vorgefallen; er war etwas gealtert, sah aber ganz behäbig aus. Ich sprach ihn an, wurde von ihm ebenfalls erkannt und nun erzählte er, der sonderbare und doch gute Herr sei im Frühling 1866 erschienen, um nachzusehen, ob er Wort gehalten; er habe ihm seinen Esel gezeigt, dann seien sie zusammen nach der Ortschaft N. gegangen, einen „Kollegen“ zu besuchen, der von ihm bewogen worden, ebenfalls seinen Zughund mit dem leistungsfähigen grauen Hufthier zu vertauschen, dann habe der Herr sie beide in's Gasthaus mitgenommen, bewirthet und ihn reicher beschenkt, als er versprochen hatte.
[]Also ein Amt! Kann wirken! Recht! Frisch dran! Viel zu ordnen! Will drein fahren! Sollen mich spüren!
Wie will ich fertig werden? Kann doch meine Bücher nicht ganz liegen lassen. Die Zeit zum Lesen muß her und müßte ich sie an den Haaren herbeireißen. Vier ganze Wochen nicht dazu gelangt, etwas zu lesen. Da entdeck' ich den Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung. Schon zweite Auflage. Die Welt so schlecht als möglich, Produkt des ganz dummen Urwillens, das Wesen der Dinge Nichts. Höchstes Ziel Nirwana. Voll von Widersprüchen, bestechend gut geschrieben, geistreich. Hat doch Tiefe. Verwandt. Wie hab' ich als Student über dem Nichts gebrütet! Oft Pistole schon geladen. Klage einmal dem ordentlichen Kerl, dem Theologen aus Stolpe, ich zweifle eigentlich, ob Etwas sei. Der räth mir, []Trost bei der Bibel zu suchen, ich sage: wenn ich nur wüßte, ob es eine Bibel gibt.
Wenn aber Nichts ist, ist doch Schlechtes so wenig, als Gutes.
Der Unsinn mit dem Nichts kommt nur daher, daß man zuerst verlangt, die Einheit aller Dinge solle neben den Dingen auch Etwas sein, und dann sich darüber erzürnt, daß sie Nichts ist, wenn man die Dinge, deren Einheit sie ist, von ihr wegdenkt. Es ist latenter Theismus. Davon kommt Alles her. Man sieht große Uebel in der Welt, negirt einen persönlichen Gott, meint aber doch Jemand verantwortlich machen zu müssen, und stürzt in die Narrheit, ihn heimlich zu glauben, aber für einen schlechten Kerl zu halten. Fällt mir der Krämer in Brackniz ein, Dilettant im Atheismus. Hatte ein Lädchen zu ebener Erde, zwei Stufen unter der Richthöhe der Straße. Wenn der Bach anschwoll, lief ihm das Wasser herein, er mußte dann mit dem ganzen Kram in den ersten Stock ziehen. Pflegte, wenn's lang regnete und das Uebel drohte, zum Himmel hinaufzusehen und boshaft zu sagen: „nun ja, ich kann dir ja den Gefallen thun, wenn es durchaus sein soll!“ Einmal, als er hinauf []ziehen gemußt, stellt er sich an's Fenster und spricht, in den Regenhimmel hinaufblickend: „dir geh' ich noch mehr zum Abendmahl!“
Um Gottes willen, mein kleiner Finger jückt, linkes Auge glüht, Nasenzipfel brennt — es kommt ein neuer!
Zum Trost einen Hund gekauft, junger zottiger Dachs; seltener Schlag. Heißt Igelmeyer. Neulich sagt des Oberrichters Sohn: „Gelt, Vater, ohne Hund wär's doch nix auf der Welt.“ Gut! Wahr!
Dieser Nihilismus und Pessimismus ist eigentlich Spätprodukt der Romantik, Erscheinung ihres Zersetzungsprozesses, Schopenhauer ist Heine in der Philosophie. Mit Abzug natürlich; der Philosoph ernster, trauriger. Herkunft der Romantik vom Idealismus. Der verlangte von der Welt mehr, als sie sein kann, forderte überspannt. Nun Weltschmerz, Zerrissenheit. Dann Blasirtheit. Diese nimmt jetzt philosophische Form an: es ist Alles nichts. Doch Vieles wahr, viel Recht gegen erbauliche Illusionen. Hauptfehler: Sie erkennen ganz, wie schlecht es neben so viel []Schönem hergeht im untern Stockwerk, in der Natur, wollen aber nicht einsehen, daß sich über ihm ein zweites aufgebaut, das Gesetze hat, fest über der Willkür, objektiv, nichts fragend nach Lust oder Unlust, und doch Seligkeit gewährend im Dienst, in der Arbeit am zeitlos Werthvollen.
Die Natur hat sich schwer und wild abgemüht, bis sie die jetzigen Typen (Gattungen und Arten) festgestellt hat, an ihrer Spitze den Menschen. Vielleicht kommt noch Einer auf den Gedanken, wahrscheinlich zu machen, daß sie nicht nur formell aussehen, als wäre eine Form aus der andern entwickelt (wie die vergleichende Anatomie bei der Thierwelt zeigt), sondern daß es wirklich real so zugegangen, also auch der Mensch vorher Thier gewesen ist. Nun hat dann der Mensch wieder von vorn angefangen, er ist zuerst jedenfalls nicht viel besser gewesen als ein Thier. Wüthend, viehisch muß Mensch mit Mensch gerauft haben um Wohnsitz, Speise, Weib, Macht. Ein Kampf, dem analog, durch den einst die Typen, die genera und species geworden sein müssen. Durch eine Reihe furchtbarer Erfahrungen, in unermeßlicher Zeitdauer muß dieser Kampf dahin geführt haben, daß allmälig rechtliche, sittliche, politische Ordnungen sich herausarbeiteten und gründeten, z. B. bis man einsah, daß []es Eigenthum geben muß, durch Gesetze geschützt, daß die Raserei des Geschlechtstriebs nicht zu zügeln sei, als durch die Ehe. So entstand eine zweite Welt in der Welt, eine zweite Natur über der Natur, die sittliche Welt. Dieß heiße ich für meinen Bedarf das zweite Stockwerk. Wie nun jene Naturtypen nach so langen, harten Prozessen festgestellt sind, als wären sie ewig festgestanden, so die sittliche Ordnung. Sie hebt sich über die Zeit aus der Zeit heraus, ist ein Unbedingtes, an sich Wahres, man kann ganz davon absehen, es ist auch gleichgültig, daß sie in der Zeit entstanden ist, — ewige Substanzen, die „droben hangen unveräußerlich und unzerbrechlich, wie die Sterne selbst“. Sie sind allerdings auch in einer Entwicklung begriffen, aber diese trifft nicht ihren Kern; Eigenthum, Recht, Gesetz, Staat muß immer und ewig sein. Und das Höchste in diesem Hohen: die Einrichtungen, Thätigkeiten, die dem Mitleid ihr Dasein verdanken, und Kunst und Wissenschaft. — Mir will es aber immer vorkommen, als sei in dem ersten Stockwerk ein Zorn, ein Gift darüber, daß es das zweite tragen muß, als sei da — ein — ein Etwas, ein Rachgeist, Tücke, nach den höheren Wesen, nach den Zimmerleuten des zweiten Stockwerks mit Nadeln, mit Pfriemen, haarfeinen Dolchen durch die Dielenspalten hinaufzustechen — —
[]Noch so jung, ein Eichbaum in Kraft, und diese Schmarotzerpflanze an ihn angesogen, die ihn umschlingt, umgarnt und schmachvoll, langsam tödten wird!
Igelmeyer schon sehr anhänglich. Begrüßt mich sehr, wenn ich vom Amt komme, geräth dann öfters in einen bacchischen Wahnsinn vor Freude, umkreist mich in rasendem Laufe, springt auf Tische, Schränke in tollen Sätzen. In einer italienischen Reisebeschreibung habe ich auch so etwas Dionysisches gelesen. Der Verfasser reist mit einem deutschen Grafen, einem bildschönen jungen Manne, kommt nach Ischia, eine Alte sieht den Jüngling, geräth in Rausch des Entzückens, holt ihr Tamburin und umtanzt ihn trommelnd und singend: quanto è bello! quanto è bello! Er war ihr ein Gott. — So der wieder erscheinende Herr dem Hund. Ja, Thiere und Völker, die noch halbe Heiden sind, die wissen's anders, als wir vernunftlederne Aufklärungschriften.
Komisch sind gar nicht bloß die starken Irrungen der Thiere, wie gestern, da man den Igelmeyer in der Küche allein fand, vor dem Speiseschrank aufwartend. Ein Thier ist überhaupt den ganzen Tag []komisch in seiner Menschenähnlichkeit, die doch nicht zum Menschsein reicht. Jede Gebärde, das Gesicht, die Leidenschaftlichkeit, die Dummheit in der Gescheutheit. Legt man ihnen einen Menschen unter, so gibt es zu lachen auf Tritt und Schritt. Wer die Thiere nicht liebt, dem fehlt die Phantasie, diese Unterlegung zu vollziehen.
Die Thiere sind ungeheuer neugierig wie leere Menschen. Lieber Gott, was sollen sie auch thun, womit ihren Tag ausfüllen! — Für die Menschen gilt: je weniger Wißbegierde, desto mehr Neugierde.
Heute etwas freier. Frühstück geschmeckt. Fällt mir da am Tisch der Pessimismus und Nihilismus wieder ein. Habe da einen runden Tisch, trägt mir loyal meine Kanne, Tasse, Krug, Zeitungen, Schüsseln, Teller. Denke manchmal, er könnte auch viereckig sein, aber er ist eben rund und mir doch so gerade recht, bin zufrieden. Kommt da ein Kerl her und sagt: „Du bist ein elender Optimist, du sollst den ganzen Tag daran denken, daß der Tisch nicht zugleich viereckig ist, daß er da aufhört, wo er aufhört, sollst in das Nichtsein des Vierecks in seinem Rund dich vertiefen, verbohren, verbeißen, sollst ferner täglich und []stündlich erwägen, daß er nicht ewig dauern kann, sollst also an dem Tisch kein Genüge mehr haben, sollst ferner von ihm Anlaß nehmen, vom frühen Morgen bis zum späten Abend dich zu entsinnen, daß überhaupt Alles im Sein auch nicht ist, nein! sollst vom Sein absehend in das Nichts hineinstieren und so denn tagtäglich schon beim Frühstück dich verbittern!“ — Den Kerl soll doch der Teufel holen!
Es ist derselbe Prometheus, der den Menschen das Feuer, die Technik, das Selbstbewußtsein, das Denken, die Vernunft, und der ihnen die Illusion gebracht hat: er gab ihnen die Freude am Augenblick und das Glück der blinden Hoffnung — derselbe. So nimmt es wenigstens Aeschylos. Also Prometheus, der Vordenkende! Er, der uns das Vordenken gebracht, er hat es auch durch die Phantasie begrenzt, begrenzt aus Vordenken darüber, was sonst folgen würde. Die Illusion ist also ein philosophisches Gut.
Man wird sehen, es taucht gewiß noch Einer auf, der aus Schopenhauer's blindem Urwillen und der Vorstellung, indem er sie kopulirt, vollends eine ganze niedliche Mythologie herausspinnt! Und ich []wette, er wird dabei noch verlangen, man solle ernst bleiben.
Gestern den rückfälligen störrischen Lumpen Peter krumm geschlossen, er verdiente Feßlung, doch nicht so hart. Bin ungerecht gewesen, hab's in der Katarrhwuth gethan. Da sieht man, wohin es Einen bringt. Dennoch werde ich kein Pessimist. Oberer Stock bleibt.
Welche rasselose Weiber sind doch hier! Schlechter Hals und Nacken, Schultern und Brustkorb abgenagte Gansgerippe u. s. f. Was geht's mich an! Das Weib ist nicht für mich, bin schon mit Fräulein Schnuppe verlobt.
Höchstens ein Frauenbild im großen Styl könnte mich aus dem Gleichgewicht bringen — wahrscheinlich zu meinem Unglück. Ich habe auf der Insel Föhr friesische Landmädchen gesehen, groß, aufrecht, in Bewegung und Benehmen vom Naturadel alter Völker. Die altdeutschen Weiber müssen noch stolze Erscheinungen gewesen sein! Fern in Skandinavien muß es noch mehr dergleichen geben. Auf einigen griechischen Inseln soll noch altgriechischer Schlag sein, gewiß auch alt []morgenländischer im Orient. Nun, und Italien! Römisches Gebirge — auch mit altklassischen Frauennamen: Valeria, Cornelia und so — man muß doch hin!
Dort, auf jenen Inseln der Nordsee, hat sich die schöne Rasse erhalten trotz der Durchsäuerung, welche die menschliche Natur durch die finstern Zeiten des Protestantismus erfahren hat; merkwürdig, denn sonst ist die Scheidung so scharf, daß man nur durch einen Fluß getrennt verkümmertes Menschenbild in traurigem Schwarz auf dem protestantischen, stylvolle Weiber in erhaltener schöner alter, farbiger Tracht auf dem katholischen Ufer sehen kann. Mehr Heidenthum in der katholischen Welt, also auch noch mehr Natur, — auch Augen mit Naturglanz, frische Waldkirschen. Doch dafür auch leidenschaftlicher, leicht wild in Liebe und Zorn; schon die Griechen klagen über die verrückte Leidenschaftlichkeit ihrer Weiber. — Edler Schlag und protestantisch tiefe Bildung vereinigt: das wäre schön. — Auf alle Fälle thut Vorsicht gut.
Man muß eben immer und überall dafür sorgen, daß man sich selbst behält. „Sich selbst haben ist der größte Reichthum“, altes Wort von Christoph Lehmann, † 1630. (Florilegium poeticum.)
[]Lessing's „Nathan“, Goethe's „Iphigenie“ und Schiller's „Don Carlos“ sind die drei priesterlichen, hochreligiösen Dichtungen des Aufklärungszeitalters in der reinsten, geläutertsten Form seiner Ideen. Dramen der Humanität, der Menschenliebe.
Alle drei symbolische Gedankenprodukte, das Geschichtliche nur Maske: Orient im Mittelalter, vorgeschichtliches Griechenland, Spanien zur Reformationszeit; überall die Handlung unwahrscheinlich. In allen drei der Gedanke zur tiefen Gefühlsmacht geworden, daher trotz der Symbolik alle drei poetisch, tiefwirkend, am stärksten das dritte, weil das Gefühl Feuer, Leidenschaft. Zweien davon fehlt, echt deutsch, das dramatische Leben, am meisten der „Iphigenie“, die darin sehr schwach ist; das dritte voll Spannung und Handlung, dagegen in der Komposition gequält, auch zu rednerisch.
Die Menschenliebe ist im „Nathan“ religiöse Toleranz zwischen Nationen, Religionen, in „Iphigenie“ sittigende, sühnende, fluchlösende Kraft, ausgehend von der Familienliebe (Schwesterliebe), im „Don Carlos“ politisch, völkerbefreiend, Staat auf Menschenwürde gründend, mächtig in's Allgemeine wirkend.
Träger: im „Nathan“ ein Greis, im „Don Carlos“ ein jugendlicher Mann, in der „Iphigenie“, echt Goethisch, ein Weib, reine Jungfrau.
In allen dreien ruht das Werk der Liebe auf Resignation, Frucht schweren innern Kampfes.
[]In den zwei ersten ist es still wie in einer Kirche (aber ohne Pfarrer), im „Don Carlos“ laut, doch die Luft im Mittelpunkt religiös gestimmt auch hier. (W. Tell reifes Kunstwerk, doch nicht so tief.)
Welches Menschenvolk, das, diese Vernunftwerke an der Spitze seiner Dichtung und Bildung, heute noch nicht weiß, was Religion ist! Sie noch in den Glaubenssätzen sucht! Oder mit ihnen wegwirft!
Goethe hatte zum Drama zu wenig Galle. Schiller hatte mehr von diesem Desiderat. Shakespeare das rechte Quantum, und doch gerade bei ihm bleibt die Galle nirgends als bloßer Stoff liegen (außer im Timon von Athen). — Ungeläuterter Stoff findet sich bei ihm auf anderen Punkten.
Goethe hat in die Schlechtigkeit der Menschen schon in früher Jugend zum Erschrecken hell hindurchgesehen. Er sagt irgendwo, es sei ein Wunder, daß ihm das Leben nicht langweilig werde, da ihm die Erfahrung hierin gar nichts Neues bringe. Seine hohe Natur hat ihm darüber emporgeholfen, er hat sich an die Guten gehalten und von da aus — von der „engen Himmelszelle“ — die Welt angeschaut. Wobei ihm sein leichtes Frankenblut viel geholfen hat. Nun hat []er aber keine rechte Entrüstung, keinen Zornstoß. „Thöricht, auf Bess'rung der Thoren zu hoffen“ — „haltet die Narren eben für Narren auch, wie sich geziemt“ — Aber was sagt er von Schiller?
Goethe war in diesem Sinn zu früh objektiv. Der Dichter soll freilich auch das Schlechte, Dumpfe, Böse ganz objektiv geben, dennoch soll man ihm anspüren, daß er es haßt, daß ein Grimm dagegen in ihm kocht.
Gestern ein Gespräch mit einem Dichter von großem Talent. Der glaubt an Fernsehen, Fernwirken, Geister. Erzählt mir als ganz beglaubigt eine Geschichte von einem adeligen Schloß, wo irgend eine Ahnfrau, deren Bild im Saale hängt, alle Abend zum Essen erscheint und hinsitzt. „Das ist ein langweiliger und impertinenter Geist,“ sage ich; „der Geist Banquo's, der weiß, warum er kommt; ein Geist darf erscheinen, wenn ihn ein Dichter brauchen kann; Punktum.“ — Es that mir besonders leid, weil es ein Poet ist. Die Poesie läßt nicht nur in Erfindung von Handlungen, Begebenheiten, sondern in jedem gefühlten und stimmungsvollen Einzelbilde die Kräfte der Seele und der []Natur zusammenwirken wunderbar, mystisch, die bekannten unumstößlichen Grenzen, Gesetze durchbrechend, überfliegend. Sie kann Wunderwesen erscheinen lassen, wie es ihr dient; ihr einziges Gesetz ist das Band des Zusammenhangs. Ob es außerhalb der Dichtung Solches gibt — mit dieser Frage verhält es sich so: es werden wohl Fälle berichtet von mystischen Hinüberwirkungen, die gut bezeugt scheinen. Aber was sollen wir damit anfangen? All' unser Thun und Denken ruht unverbrüchlich auf dem Grunde der festen Naturgesetze. Soll ich glauben, die Natur sei bloß ein fadenscheiniger Vorhang, hinter welchem ein Geisterreich laure, um hervorzubrechen, Niemand weiß, wann? so wird Alles ungewiß und schwankend; ich weiß nicht, ob dieser Tisch, dieser Stuhl, dieser Vogel nicht sich in einen Geist verwandelt oder sein Träger wird; ich lebe wie im Rausche, die Konsequenzen, wenn ich sie vollzöge, müßten mich verrückt machen. Es folgt, daß man sich mit diesen Dingen nicht befassen kann, nicht befassen soll. Ich sag' allemal, wenn man mir Derlei bringt: „Mir ist's, als wenn man einem Hund einen Apfel gäbe: er riecht für ihn nicht, er hat keine Beziehung zu ihm, er kann einfach damit nichts anfangen.“ Nun aber erst der Poet! Uebel, übel, wenn er anfängt, sich in hölzernem Ernst doktrinell, dogmatisch mit diesen Dingen zu beschäftigen! So viel er sich damit abgibt, so viel ist es Abbruch an seiner Poesie. []Was er als Phantasieschein betreiben darf und soll, das betreibt er nun lehrhaft, scheinlos, physikalisch oder eigentlich hyperphysikalisch. Der Dichter läßt das Centrum alles Daseins aus den Dingen, den Wesen, herausscheinen, glühender, als es je in Wirklichkeit geschieht; in freiem, idealem Spiele durchbricht er für diesen Zweck je nach Bedürfniß die naturgesetzlichen Schranken und läßt z. B. inniges Andenken an die Geliebte magisch in die Ferne wirken. Der Gemeinspruch von der Beseelung der Natur durch die Phantasie ist ja auch nichts Anderes, als Aufhöhung der Wahrheit, daß der Geist schon in der Natur schlummert, durch Phantasiemystik. Dieß Alles wird pure, auf Kosten des freien Phantasiespiels geschäftlich betriebene Prosa, wenn man sich ernstlich auf den Wunder- und Geisterglauben einläßt, und jede Viertelstunde, die ein Dichter diesem traurigen Ernste widmet, stiehlt er seinem höheren Thun, wo er denselben Stoff frei symbolisch, im Sinne des gefühlten, ahnungsreichen Symbols allerdings, zu behandeln hat. — Nicht zu reden davon, wie dick man angelogen wird, wenn man sich einmal auf das Zeug einläßt.
Goethe erfährt, daß Hegel eine Vorlesung über die Beweise vom Dasein Gottes halte, und sagt zu Eckermann, „dergleichen sei nicht mehr an der Zeit.“ Das []hat nun der alte Herr eben doch nicht recht verstanden, sich gar nicht vorstellen können, was da vorkommt: das reinste Wasser auf die Mühle seiner eigenen großen Anschauung: „Das Dasein ist Gott“ — und dieß als Ergebniß einer Kritik der sogenannten Beweise von Gottes Dasein. Man kann zum Beispiel nicht sagen, das Dasein der Welt sei Beweis für das Dasein Gottes. Man muß sagen: „Das Dasein Gottes ist die Welt.“
Allerdings mit Unterschied. Die Welt ist das Dasein Gottes nicht in ruhiger Weise, sondern so, daß Gott sein Dasein darin stets verbessert, stets auf’s Neue eine geringere Form desselben durch eine bessere beschämt. Gott ist eigentlich eben diese wunderbare und heilige Unruhe.
Gott ist das Beste in Allem.
Seit ich nichts mehr glaube, bin ich erst religiös geworden.
Neulich sagt Einer, das sei doch abscheulich, daß Gott den Juden geboten habe, ganze Städte zu ver []wüsten, Alles, was männlichen Geschlechts, niederzumachen. Sagt ein Anderer drauf: „Da war eben der liebe Gott selber noch jung.“ Gut.
Eine der liebenswürdigsten Etappen auf Gottes Weltgang vom Guten zum Bessern ist die Schöpfung des Hundes.
O weh, jetzt hab' ich mich selbst strafen müssen, weil der Igelmeyer polizeiwidrig gehandelt hat! Wagen angebellt, Pferde scheu gemacht. Hab' ihn fortgeben müssen, den guten; froh, daß gut untergebracht. Sie haben erst so sehr Recht, die Köter, aber man darf es ja nicht sagen! Alles schnelle Fahren in Städten ist eigentlich Unfug, Unverschämtheit gegen die Fußgänger, Beschämung, Beleidigung. Wäre ich mächtiger Tyrann, in meiner Stadt dürfte nicht im Trab gefahren und geritten werden. Der Hund ist Polizeimann, höchst polizeilich gesinnt, er erkennt einfach richtig den Unfug, nur natürlich das zu begreifen, daß man ihn nicht verbieten kann, ist ihm zu verwickelt. Er handelt in der tiefsten Ueberzeugung, recht zu thun, der öffentlichen Ordnung zu dienen. Er schläft nach solcher That den Schlummer des Gerechten. O, wie rührend ist so ein gutes, ehrliches Hundsgesicht im Schlaf!
[]Das Bellen kann sehr störend sein, wohl! aber viel öfter muß es erfreuen. Es ist so etwas Resolutes darin. Ein Schuß. Wie oft, wenn ich in Zweifeln hieng und zappelte, in Brüten klebte, hat es mir wohlgethan, mich erfrischt, gelabt, wenn ich den entschlossenen, unzögernden, frischweg vorbrechenden Laut vernahm! Es ist auch der Stolz des Hundes. Ich bin überzeugt, eine Hundsmutter, wenn sie ihren Sohn zum ersten Mal bellen hört, fühlt dasselbe, was eine menschliche Mutter, wenn sie ihrem Sohn, welcher Theologie studirt und welcher die erste Predigt thut, mit Mann, Vetter und Base hineingeht.
Da erfahre ich, daß Einer, sonst ein ordentlicher Herr, mir einen Polizeidiener besticht, und zwar erst noch ganz unnöthig, da der Mann doch ganz diensteifrig ist und von selbst bereit war, auf begründete Klage über störenden Lärm gegen den Nachbar einzuschreiten. Ich habe die zulässig schärfste Strafe gegen Bestechungsversuch in Anwendung gebracht. — So sind die Menschen! Der A besticht, der B noch flotter, der C überbietet Beide, die Menschen in Dienst und Amt werden verderbt und thun endlich ihre Pflicht nicht mehr, wenn ein Armer, der nicht bestechen kann, oder ein Redlicher, der es nicht will, ihrer Dienste bedarf. []— Eine allgemeine Kette der Charakterlosigkeit, der breiigen Schlechtigkeit. —
Ach Gott, wenn ich doch meinen Katarrh hinausbellen könnte! Doch wieder den ganzen Tag gearbeitet. Mit welchem Hinderniß, weiß Niemand. Das Hirn verwüstet, blöd, ein Halbsimpel, möchte nur schlafen, und muß mich stellen, als wachte ich. Und ein Wetter! Ja, Deutschland! Ist — das Land, wo man neun Monate Katarrh und drei ein Tröpfchen an der Nase hat. — Bruststechen. Doktor fängt an, mich bedenklich anzusehen. Spricht von Urlaub. Was? In meinen Jahren, mit meiner Kraft? — Bringe doch etwas vorwärts. Schon Manches aufgeräumt im Bezirk. Unordnung im Abnehmen. Straßen reinlicher. Spitalverhältnisse geordnet. Gefängnißbau. Strammes Landjägerkorps. — Einfluß auf die Wahlen, den die Regierung mir zumuthete, abgelehnt.
Wenn ich im Amt etwas zu Stande gebracht habe, vergrabe ich mich doppelt gern in meine Bücher. Der gelungene Kampf führt mich hoch in den reinen Aether. Da ist mir dann Spinoza so friedenbringend! Calmo di mare!
[]Ich philosophire gern, bin aber kein Philosoph. Meine Gedanken gehen zu schnell.
Einen Schandschuft von Weinfälscher erwischt. Seinen ganzen Keller voll herausgerissen, in die Gosse auslaufen lassen! Hätten wir ein strengeres Strafgesetz! Einst stand auf gesundheitsschädliche Fälschung Todesstrafe! O, wie Aepfel im Herbst sollten mir die Schurkenköpfe fallen!
Habe dem Halunken gesagt, er habe keine Religion, und er hat mich angegrinst und erwidert, er habe mich noch in keiner Kirche gesehen. „Man fälscht die Religion, wie Sie den Wein“, habe ich gesagt.
Gott ist die Religion.
Die reine Religion begründet reine Ethik, nicht von außen befohlen.
Also ist Gott das Gute.
[]Wo das Menschliche waltet gegen das Rohe, Wilde, Böse, besonders gegen das Grausame, gegen das Schlechte, da ist Gott.
Insbesondere aber auch, wo geforscht wird.
„Edel sei der Mensch, hilfreich und gut!“ man kann hinzufügen: „und klar im Geist, ein Denker und ein Künstler!“ Damit dieß sein könne, muß es eine Welt geben, dem zu lieb ist sie da. Aber warum gar so viel des Uebrigen? Es ist nicht anders: Gott hat einen Untergrund. Jakob Böhme, Schelling, Schopenhauer haben soweit Recht (dunkler Grund, purer Wille und wie sie es nennen). Er mußte sich — muß sich — einen undurchsichtigen Unterbau schaffen, um als Geist aus ihm aufzusteigen, und geräth darüber so in's Zeug, daß er oft ganz vergißt, es handle sich erst um einen Unterbau; daher zum Beispiel alle wild teuflische Grausamkeit in der Natur und im Menschengeschlecht, so weit es bloß Natur. Wo in aller Welt mag währenddessen das wahre Wesen Gottes stecken? Das Grundthätige im Universum weiß zum Beispiel um die Zeit, wo es dem Gattungstrieb seine furchtbare Stärke gibt, nichts davon, daß die Menschen ein Reich der Sitte gründen müssen, wozu unter Anderem []das Institut der Ehe gehört; es weiß nur, daß jener Trieb ungeheuer stark sein muß, weil sonst aus — stille davon! — kein Mensch gezeugt würde; darüber macht es ihn im Eifer noch stärker, als nothwendig, und daraus entsteht in unzähligen Kollisionen mit dem Reich der Sitte unabsehliches, fürchterliches Elend.
Dieß ist die blinde Wildheit in der Natur, sie ist der schwerste Stein im Wege des Forschens nach dem Geheimniß der Gottheit. Man ziehe nicht das eigentlich Böse, die Empörungen des Willens gegen die sittliche Welt herbei! Da liegt die Sache ungleich klarer. Es wäre kein Gutes, wenn kein Böses wäre. Aus dieser Nothwendigkeit des Bösen als Reiz, Ferment und als Objekt des Guten folgt nicht im mindesten, daß der Adler den Hasen, die Katze die Maus stundenlang teuflisch quälen muß, statt die Beute kurzweg zu treffen. Es ist etwas Dämonisches in der Natur — es ist nicht anders, das eben ist „der dunkle Grund“, das traurige Geheimniß im Unterbau. Wem dieß Wort sonderbar vorkommt, der möge nur bedenken, wie räthselhaft das ist: aus dem Schooß der Natur kommt ein Wesen, das die Natur (nicht ganz, aber doch in Vielem) überwindet. Da nun die Welt keine eigene Substanz neben und außer Gott haben kann, so folgt: es ist eine Selbstsetzung und eine Negation und Verbesserung dieser Setzung im absoluten Wesen. Der Mythus von der Auferstehung Christi, wenn er einen []Sinn hat, muß diesen haben. — Aber es ist und bleibt eben unbegreiflich: der Mensch findet unter sich die Natur, als unteren Theil seines Wesens, den er oft genug verächtlich hinabzwingen muß; da der Mensch aber doch aus der Natur kommt und Natur bleibt, so verachtet dann also in ihm die Natur sich selbst. Der Untergrund zieht sich, erstreckt sich in den Oberbau hinauf, der ihn doch absetzt, entsetzt, der Unterbau setzt sich also durch diesen selbst ab. Ich bin kein Raubthier und trage doch ein Raubthier in mir, ich bin ein wandelnder Sichselbsterhöher und Sichselbstabsetzer und darin ein Bild der Welt. — So viel ist gewiß: das Universum ganz begreifen hieße die ganze Einheit im ganzen Widerspruch begreifen.
In diesem Dunkel gibt es keine Beruhigung, als diese: wo Liebe ist, wo Mitleid ist, dann, wo Klarheit ist, da jedenfalls ist Gott. Da ist denn auch allein wirkliche Lust, und weil alles Gute erarbeitet sein will, also wahre Lust nur in der Arbeit.
Es ist einer der Grundfehler des Pessimismus, daß er eudämonistisch von der unmittelbaren Lust ausgeht, von da aus operirt. Sagt man zum Beispiel: Niemand arbeitet, wenn er nicht muß, so gilt dieß richtig vom Menschen, so lang er noch im Untergrund, im untern Stockwerk steckt. Die zweite Ord []nung, die sich darüber aufbaut, hat nach der Meinung der Pessimisten keine Bälken, da baut sich kein Objektives, kein Gesetzmäßiges, da kann man also auch nicht wohnen. O alter Hegel, stylvoller Philister, der du groß befohlen hast, daß das Subjekt pariren soll, könnte man das erleben, daß du erständest und mit deinem Stecken über das substanzlose Geschlecht kämest!
Wenn die Menschen nur nicht immer auseinandersägen, nur nicht in ihrem Denken immer Alles trennen würden, was zusammengehört! So meinen sie, sie hätten die Schlechtigkeit der Welt bewiesen, wenn sie aufgezeigt haben, daß Illusion Illusion ist! Daß es ein Wesen gibt, Mensch genannt, dessen Phantasieblick die Natur beseelt, Alles in schönere Farbe, reineres Licht taucht, in der guten Stunde über das Elend der Welt hinwegsieht, das gehört ja auch zur Einrichtung der Welt, ohne diese edlen Täuschungen ist ja die Stimmung nicht denkbar, aus der auch das Gute fließt. Im Guten wird freilich ein Theil der Täuschung abgeworfen, da muß dem Elend der Welt hell in's Gesicht gesehen werden, bleiben aber muß die Hoffnung, die zwar mehr vortäuscht, als erreicht wird, aber darum nicht ganz Täuschung ist, sondern zur größeren Hälfte Wort hält, indem sie selbst Ursache []dessen wird, was sie hofft, nemlich als Sporn des einzig Realen, des Guten.
Das Bäschen auf einen Ball begleiten müssen. Schrecklich! — Und tanzen thun sie, als sähe man Hühner im Dünger scharren. — Seit ich dazumal in Amtspflegers Töchterlein verliebt war, mit ihr Nachts nach den Sternen sah und darauf ein Gedicht machte, — ich erinnere mich gut: in horazischem Odenmaß, und der Schluß hieß:
Und ich schwankte sehr, ob es nicht besser wäre, zu setzen:
ich weiß es wirklich heute noch nicht — seit damals, als ich so klassisch dichtete und als ich ein paar Wochen lang heulte, da sie fortreiste, hab' ich triplex aes circa pectus. Die Liebe kommt mir langweilig vor. — Seele, den Tag nicht vor dem Abend loben! Wenn dir ein Weib erschiene, das Styl hat?
Ich muß recht Philosophie treiben, das wappnet am besten gegen dieß und das, gegen mich, gegen []mein leidenschaftlich Wesen. Auch Stoiker! Man liest sie zu wenig. Der Mensch ist eine Entelechie. Eine Burg. Will er recht, ihn kann nichts erschüttern. Erschüttern wohl, aber nicht brechen. Starke Thürme schwanken, wenn man läutet, gerade Beweis ihrer Festigkeit.
Auf dem Ball dann weg aus dem Saal in die Wirthsräume. Im Nebenzimmer die Gespräche gehört, die an den Tischen in der Volksstube los waren. Zwischen den Bürgern unzufriedene Arbeiter, unter den Bürgern selbst unruhige Köpfe. Die politische Luft wird schwül. Es flirrt elektrisch. In Frankreich wackelt Luis Philipp's großer Regenschirm, bekommt Risse. Wäre gut genug für die Franzosen, aber zu unritterlich und doch auch gemein, krämerhaft.
Es wird eine große Freiheitsbewegung kommen. Geschrei nach Republik. Eigentlich wäre auch mein Geschmack Republik, aber eine recht strenge, und die gibt's nicht mehr. Sie werden nach Republik brüllen und Gesetzlosigkeit darunter verstehen. Alles begreiflich, weil Gesetz und Ordnung jetzt fast überall in unreinen Händen ist.
O Elend! Es ist freilich wahr: „Der Mensch ist nicht geboren, frei zu sein.“ Unrecht, ungerechter []Druck erzeugt den Schrei nach Freiheit, und Freiheit wird alsbald Willkür. Sie wird niedergeschlagen von der Gewalt und dann fängt das Lied von vorne an, indem die Gewalt das Unrecht (mit dem schnöden Vorrecht) herstellt.
Wer das Geheimniß finden könnte, die Strenge, die Zucht, die der Mensch bedarf, nur in reine Hände zu legen!
Arme, rathlose Menschheit!
Man wird es sehen, wenn's losgeht, wenn dann gegen wildes Unmaß die Gewalt wieder an's Brett kommt, dann wird sie mit der Spreu das Korn ausfegen. Eine anständige Minderheit in der Bewegung, die da bevorsteht, wird gegen die schlechteste aller Republiken, die Fürstenrepublik: deutscher Bund, diesen polnischen Reichstag Deutschlands, kämpfen. Die siegreiche Gewalt wird sie noch rachsüchtiger verfolgen, als die Schreier nach falscher Volksfreiheit. Die Verfolgung der Einheitsbestrebungen ist der schnödeste, schmutzigste Schmachfleck in der Geschichte unserer Nation. Wer nicht wollte, daß der Deutsche im Ausland wie ein Hund verachtet sei, dem war Kerker, dem war Vertrauern der besten Jugend in feuchtem Mauerloch gewiß. Der übelriechendste Proletarier, der nach zuchtloser Freiheit schreit, ist so gemein nicht, als jene Ge []walthaber, die Hekatomben Menschenglücks und Menschenlebens opferten für die zuchtlose Fürstenfreiheit im deutschen Bunde.
Ach, vielleicht seh' ich zu schwarz! Geb's der Himmel! Lasse mich, du besserer Stern meines Lebens, mitstreiten, wenn es losgeht, mitstreiten für das Goldkorn im wilden Schutte, den die Bewegung aufwirbeln wird!
Und doch, wie nobel ist selbst die verrückteste politische Leidenschaft gegen die Gelbsucht der Geldsucht! Gestern ein paar solche Gesichter in der Gesellschaft. Zum Erbrechen. Ein grausig Mördergesicht ist flott dagegen. — Und um was drehen sich die Unterhaltungen dieses Geschlechts! Nicht daß sie vom Kleinen reden, ist das Niedrige, sondern daß sie vom Kleinen nicht zum Bedeutenden aufsteigen, vielmehr umgekehrt jedes Bedeutende in's Kleine zerren. Spricht man etwas, das Inhalt hat, so übersetzen sie es gütig nachhelfend erst in's Platte, dann verstehen sie es. — Ihr liebstes Element aber ist der Klatsch.
Es hilft nichts, mit aller Mühe kann ich das Gemeine nicht begreifen. Ich bin doch gar kein Idealist, glaube mir auch das Zeugniß geben zu dürfen, daß ich läßlich bin, eingänglich, ein herzlicher Feind der []Prinzipien-Fanatiker. Ein Gespräch von Hunden, Pferden, richtiger Konstruktion von Oefen ist mir ganz recht und gut genug. Aber das Gemeine! Daß ich durchaus mir nicht abthun kann, alle Menschen für nobel zu nehmen und mich zu wundern, wenn ich das Gegentheil finde! — Es wird daher kommen, daß ich zu sinnlich bin, um Verkünsteltes zu begreifen, denn das Künstlichste, was es gibt, ist das Gemeine.
Die besseren Menschen sind Gebirgsleute, sie kommen vom Gebirge her, sind gesunde Gebirgsbauern, das Thal mit seiner dumpfen Luft drückt auf ihre Lunge.
Das Gemeine ist künstlich, weil der Mensch als solcher von Adel ist.
Die Menschheit hat sich um dieß Bewußtsein gebracht, indem sie den Adel als besondern Stand geschaffen hat. Diesem hat sie aufgetragen, für sie edel zu sein, zu vikariren. Eine der schädlichsten, menschheitentwürdigendsten Mythenbildungen, die es gibt, und doch so begreiflich wie jeder andere Mythus, und ebenso unvertilgbar.
[]Große Freiheitsbewegungen der Völker haben einen ganz andern Charakter, als Einheitsbewegungen. Jene beginnen mit einer seligen Trunkenheit, diese sind, sollen sie irgend etwas taugen, auf die prosaische Frage der zweckmäßigsten Form der Einheit gerichtet. Freiheit ist heilig, Einheit ist nothwendig. Wer die erste Begeisterung der ersten französischen Revolution erlebt hat, ist zu beneiden. Aber die Freiheitsbewegung macht trunken, der Rausch wird in den Mehrheiten ein wüster und die Schönheit der Bewegung verläuft in Schmutz, Schlamm, Blut. Die wahre Freiheit ist die Ordnung. Fällt Freiheits- und Einheitsbewegung in Eine Zeit, so reißt leicht die erste die zweite mit sich in den Untergang.
Gelingt es unserer Nation noch, die Einheit zu erringen, so ist sehr zu wünschen, daß bei der Verfassung, die dann zu berathen ist, die Stimmung, die jetzt anwächst, so wenig als möglich nachwirke. Die Folge wäre namentlich eine zu milde Strafgesetzgebung. Milde gegen das Verbrechen und besonders Milde in der Subsumtion verschiedener Schlechtigkeiten (wie Fälschung, Beschwindlung und dergleichen) unter den Begriff des Verbrechens würde dahin führen, daß die deutsche Nation verlumpt.
[]Rekrutirungsgeschäfte. Tabellenarbeit sehr langweilig. Bei der Musterung und Messung anwesend. Mich doch erfrischt; der Schlag geht an; Rasse noch ziemlich. Einige stattliche Bursche, groß und breit. Wenn ich das erleben dürfte, daß die Lümmel auf den Reichsfeind, auf die Franzosen klopfen dürften! Und mit ganz Deutschland! — Armer Traum! Gegenwärtig große Verhandlung im Bundestag um gleiches Kaliber für die Muskete. Unser Zwergstaat gibt nicht nach; ist ja Selbstherr, natürlich! Und Kopfbedeckung! Jeder will einen anderen Kübel. Könnt' ich ihnen drauf hauen, daß die Reife und Dauben flögen!
Wenn nur meine Gesundheit hält! Ich bin doch eigentlich nicht „veiclich getân“, wie Hagen von Chriemhildens Knaben Ortlieb sagt. Was will der Doktor immer? Ich laß mir nicht Angst machen. Spricht wieder und dringender von einem Urlaub! Soll ich jetzt, jetzt schon von der Arbeit weg?
Halt! ich folg' ihm. Ein Stück helleres Leben im Weiten, Freien, Großen kann gut thun. Kann mich konserviren, erfrischen für die Zeit, die da kommt.
[]Norwegen. Christiania. Schlimmes kann doch auch Gutes tragen, zum Beispiel Sorge vor Emphysem ein freies Jahr. Möchte schon lang Italien sehen, aber auch Norwegen. Gut, gut, Herr Doktor, Sie wollen mich nach Italien, aber da ist Juli und August zu heiß, dagegen in Norwegen die Zeit der hellen Nächte, also zuerst Norden, dann Süden! Durchgesetzt und — einmal ein Glück — ein Stellvertreter geschickt zur Hand, Urlaub herausgeschlagen, fort, fort!
Wie freier schon die Brust, seit ich das Meer wieder gesehen! Eigentlich zum ersten Mal; denn damals auf Sylt und Föhr habe ich es noch nicht so recht verstanden, brachte noch nicht Ernst genug. Zuerst groß, unendlich in Stille. Dann mäßig bewegt, also Alles sehen dürfen: die Großheit der Horizontale, Helldunkel, Farbe, Durchsichtigkeit, Spiel der Reflexe und der herrlichen, schwanenhalsigen Bogenlinien! Die Seele jauchzte mir. O, da gibt es viel Gott!
Jetzt bald in die Berge! Hinein zu den Asen, den alten Göttern! Brause mir entgegen, Odin, Lebensathem! Zerschmettre, Thor, mit dem Donnerhammer meine bösen Geister! Baldur, du Guter, du Schöner, laß meine Seele nicht zu stolz und wild werden, wenn sie unter den alten Riesen wandelt, []und führe mir Bragi herbei, seine Gattin Idun an der Hand mit den Alles verjüngenden Wunderäpfeln! Du aber meide mich, wie ich dich meide, liebreizende Freyja! Behüte mich vor ihr, Heimdall! Warne mich mit dem Gjallarhorn, wenn sie mir naht!
Was erlebt!
Von Christiania nach Kongsberg, dann westlich hinein, die Bekanntschaft der Schneegebirge machen, Melfjeld, Liefjeld, Bleefjeld, Riesenhaupt Gousta; den Tindsee, dann den Rjukanfoß sehen! — Pferd genommen vom Hofe Vig, guter Rappe; trägt mich lustig an's Ziel. Ein Kahn mit drei Personen am Ufer des Tindsees, im Begriff abzustoßen; man bemerkt, daß ich mich nach Fahrgelegenheit umsehe, und läd't mich ein. Ich lehne nicht ab. Führer nimmt das Pferd zurück. Ein älterer Herr, ein junger Mann, eine Dame. Stelle mich vor, wer ich sei, der Herr sich und die Andern. Gebe kaum Achtung, höre nur, daß der Aeltere Dyring heißt und daß sie in Bergen zu Hause sind. Denn welch' ein Weib! Haare, wie ich sie nie gesehen. Nein metallischer, hochgelber Goldglanz, sonderbar, herrlich und unheimlich. Fallen geringelt an der Stirn, den Schläfen herab, darüber rothes Tuch um den Kopf; hat auf dem Bergausflug dieß Stück Volkstracht angelegt; Kopftuch sonst blau, würde ihr besser stehen; []scheint für Roth gestimmt. Reines Profil, markiges Kinn, Unterlippe um's Merken voller, als Oberlippe. Auge zeigt sich noch wenig, läßt einen raschen Blick aus weiter, freier Wölbung über mich hinschießen, senkt dann die Lider wie vorher und sie schaut still vor sich hin; Gestalt groß, zwar noch verborgen unter faltenreichem Ueberwurf.
Vorderer Arm des Sees in furchtbarer Felsschlucht; die Gipfel scheinen sich oben zusammenzuneigen. Dunkel, unterweltlich, dann eine so schmale Spalte, daß eben nur Raum für die Ruder bleibt, dann in's Offene, Breite, rechts leuchten die fernen Schneekuppen des Bleefjelds herein, links stürzt der Gigantenleib des Gousta herab. Alles Ufer steile, nackte Felswand. „Rudre du, Goldrun,“ sagt Herr Dyring, „zeig' jetzt, was du kannst.“ Sie legt den Ueberwurf ab, einer der Schiffer gibt ihr sein Ruder. Welche Gestalt entwickelt sich, welche Kraft und Gewandtheit in der Bewegung und wie mächtig schön treten diese großen Formen, tritt diese energische Schwellung der Hüfte heraus, wenn sie, das eine Bein kräftig vorgesetzt, das Ruder zuckt, eintaucht und drehend nachdrückt! — Wolken, Wind. Schaumbüsche fahren auf an den unnahbaren, unerbittlichen Schroffen der Ufer. „Und nicht wahr, jetzt singen Sie uns etwas?“ sagt Arnhelm, der junge Mann. Sie schaut zurück, sieht mit leuchtendem Blick bejahend den Jüngling an, ein zweiter []fliegt wieder nach mir hin, dann beginnt sie, während der Wind in ihren Goldlocken wühlt, daß sie bald langgezogen in der Luft spielen, bald wellig mit aufschimmernden Lichtern das stolzgehobene Haupt umwogen. Stimme gegen Alt hin, düstre Melodie:
Sie ruhte einen Augenblick. Die letzten Töne hallten lang nach an den Felswänden. Weithin hörte man das Rauschen der schäumenden Brandungen. Mitten aus ihnen schien mir jetzt die verhallende Menschenstimme entgegenzukommen, ein Geisterlaut. Mir schwindelte in tiefster Seele. Sie schaute zurück und ihr []Auge, erglänzend im Wiederschein ungewissen Lichtschimmers, der durch die Wolken brach, ruhte zuerst auf dem einen, dann dem andern der zwei Begleiter — mit einem Ausdruck — o, träfe auch mich ein solcher Blick! Aber mich übergieng sie, ruderte wieder einige Schritte und fuhr dann fort im Gesange:
In diesem Augenblick fuhr ein Fisch von seltener Größe, wohl acht Schuh lang, aus dem Wasser hervor, glotzte sie einen Moment lang an und tauchte wieder unter, sie schlug ihm mit dem Ruder nach und rief: „Das ist ein Wels! Hat dich die Gewitterschwüle heraufgelockt, alter Seeräuber?“
„Auch ein Verehrer,“ sagte Dyring.
[]Die paar Wörtchen wollten mir unheimlich vorkommen. Ich hatte keine Zeit, zu grübeln.
Sie sang zu Ende:
Wer könnte die Töne dieses Gesangs beschreiben! Schweres Dunkel, sich verdichtend, anschwellend, war ihre Grundstimmung. Bei den Lockworten der Nixe giengen sie in eine schmelzende Süßigkeit über, wurden heißer und heißer, man meinte den wollüstigen Jubel zu hören, der nach den gezogenen Klagelauten aus den Wirbeln der Nachtigallstimme auflodert. Sie sanken in ein tiefes Weh gegen das Ende, aber wirklich am Ende, beim letzten Verse stieg wie ein Geist aus den gesungenen Thränen des Mitleids ein Etwas hervor und mischte sich unsagbar mit ihnen, — ein []Etwas — Triumph und Schadenfreude wären ein plumper Ausdruck; auch wenn ich es umschreiben wollte „dahin kann ein Weib einen Mann bringen“, es wäre nackt und roh übersetzt, o, es war unheimlich und doch unwiderstehlich! — Die letzten Töne verklangen im Echo der Felsen und jetzt sah sie wieder zurück, dießmal auf mich. Wer kann sagen, was über ihr Angesicht zuckte! Ein Schatten von Ernst, dann wieder Lust, Reiz, Wonne, Muthwille, Witzgeist, Spott, Uebermuth, helles Siegesfrohlocken, das beim Himmel noch etwas Anderes besagte, als: „so kann ich singen!“ Aber wer hätte das triplex aes circa pectus bewahrt! Ja, so konnte sie singen — und? —
„Jetzt aber rasch an's Land!“ rief Dyring, „es wird bedenklich; und sitze jetzt zu uns!“ Sie gab das Ruder ab, die zwei Bootsmänner strebten mit Macht vorwärts, hinaus aus dem Felsengefängniß, Sanden zu. Goldrun setzt sich aber nicht, sie schaukelt den ohnedieß taumelnden Kahn, trunken von Lust schnalzt sie mit den Fingern, als schlüge sie Castagnetten, und jauchzt in den brausenden Wind hinaus: Evoë! Evoë! Ἰάϰχε, Ἰάϰχε! Wie blitzen ihre großen Augen! Noch muthwilliger als vorhin, halbwild trifft mich ihr Strahl! — Angst wegen des Sturms kann sie mir nicht ansehen. Darum kann sie mich nicht auslachen.
Ein entzückend Weib.
Aber warum fuhr mitten im Entzücken ein paar []mal der Gedanke in mir auf: stoße sie hinab zu den schnappenden Fischen, zum phosphoraugigen Wels, da gehört sie hin!?
Westfjorddalen. Herrliches grünes Thal, Kornfelder, sammetne Matten, Saft und Pracht der Bäume, ein Tempe, von Bergen umschlossen, und majestätisch im Silberglanz ragend die Pyramide des Gousta, sechstausend Fuß hoch. Wir wandeln durch's Grüne, an Hütten, Höfen vorüber. Still, ganz still. Nur der dumpfe Donner des Hongafosses von dort herüber. Goldrun ist wie umgewendet. Sanft. Vater und Mutter früh verloren. Nachdenklich. Dann wieder heiter. Scherz; versteht selbst meine Lust am schlechten Witz. Thut mit. Dann wieder ernste Gedanken über Mensch, Leben, Religion. Sie ist doch gut. Nun an einem klaren Bach hin, Erlen. „Der Ilissus mit seinen Platanen ist's nicht, doch anmuthig Denken schwebt auch hier“, sagt sie. Diese drei Menschen leben in Plato's Ideenwelt. Dyring ihr Lehrer, Freund des früh der Mutter nachgestorbenen Vaters. Er hat sie in die Griechen eingeführt und jetzt athmen sie in der Bergluft des attischen Philosophen. Arnhelm, Schriftsteller, Dichter, nimmt eifrig Theil an den Lehrund Gesprächstunden. — Phädrus. Seele am überhimmlischen Ort die Urbilder schauend, das Gute, []Wahre, und leuchtender das Schöne. Herabgesunken in's Irdische, und nun, wenn sie ein schön Menschenbild sieht: Erinnerung, Staunen, Entzücken, Begeisterung, heiliger Wahnsinn. Wie hat sie's verstanden! Wahre Liebe erziehende Seelenliebe. Dabei lange Blicke gewechselt zwischen ihr und Dyring, wie väterlich die seinen, wie dankbar die ihren! Und Arnhelm, welche reine Glut, womit seine Augen bitten, der Dritte im Bunde zu sein!
Diese Liebe, die erziehende, die seelenbildende, ist entsinnlichend, zähmt das dunkle Roß Begierde. Goldrun sagt es ohne Schüchternheit, philosophisch objektiv. Wir giengen um eine Biegung des Wegs, die Zwei auf Augenblicke zurücklassend. Dieser Gesundheit des Geistes kann ich nicht widerstehen, fasse ihre Hand. Ein warmer, langer Druck der ihrigen sagt mir, wie sie mein Verständniß versteht. „Phile Phaidre,“ sagt sie lächelnd dazu. „Diotima!“ rufe ich.
Rjukan-Foß, wilde Herrlichkeit des Rauch-Falls. — Sie hat's gewagt, mit mir den schwindelnden Fußsteg Maristien hinauf über die fürchterlichen Felswände. Die Anderen nicht, sind unten geblieben. Sie ist von echtem altem Gothenblut! Ja, so müssen die altdeutschen Heldenweiber gewesen sein. — Hoch oben. Der ganze Fluß Maanelv wüthet neben uns herab, tief []unten hinein in schwarzen, zackig umstarrten Höllenschlund, wo er verborgen weiter siedet, donnert, dumpf hinbrüllt. Wie sie wirbeln, hochauffahrend schwellen, dem Rauch einer Feuersbrunst gleich, die Dampfwolken des Wasserstaubs! Schwindellos steht das stolze Weib und schaut und ihr Auge leuchtet. Und ich schaue sie an, fasse und küsse sie. Und wie hat sie's erwidert! Küsse aus der Wurzel gezogen!
Drunten über dem rauchenden Schlund ein dreifacher Regenbogen, glühend, wie ich das Schauspiel nie gesehen. Verkündigst du Frieden? Du brennst auf Dampfsäulen aus Schauertiefen, zitterst an schwarzen Felswänden, schillerst über Todesgrauen — — strahle, Traumbild, streue Schimmerfarben, male Seligkeit über den Abgrund!
Schieße noch höher empor, Gousta, und schau' her unter dem Schneehelm auf mein Glück!
Hinab mit ihr in den Abgrund! — es schoß mir mitten in der Wonne wie ein Blitz, wie ein langer, dünner Dolch durch die Seele.
Im Herabklettern gleite ich aus. Sie hält mich. Nur ein Haar fehlte, und ich zerstäubte, war dahin, lag als Schutt, als Nichts im finsteren Schachte. Aber []sie lacht. Spottet, bei den Zweien angekommen, über meine Bleichheit. Bleibt spöttisch den ganzen Tag. Bleich? War ich bleich vor Todesangst? Warum blieb ich bleich? Hab' ich je den Tod gefürchtet?
Den Kuß und dann die Kralle, So sind sie alle.
Pfui!
Fort? — Sie ist wieder gut, strahlt wieder.
Kann die Thiere nicht leiden, mag die Hunde nicht. Auch kein guter Zug.
Doch wer widersteht! Es geht nach Hardanger. Und soll ich die Gelegenheit nicht benützen? Welt der Prachtwasserfälle, Welt der Gletscher und Gletscherketten soll ich sehen, Hardanger-Jökul, Treßfonn, Folgefonn, weiße Riesenhäupter, ragend, schauend über die Buchten, die grünen Thäler.
[]Im Gebirge redet leis, flüsternd und laut im Donnerton die Natur mit sich selbst. Alles spricht. Selbst innen in den Felsen tönt es von geheimen Stimmen der eingeschlossen fallenden, steigenden Wasser. Wie löst sich aber die Zunge im Wasserfall! Vöringsfoß, mächtig. Hochher über alle Berge ragen von Norden die blauweißen Eismassen des Hardanger-Jökul. Wir stehen, schauen, hören. „Das sind Jötunstimmen,“ sagt sie, „Stimmen der alten Riesen, die noch erzählen vom Kampfe mit Thor.“ Sie kennt den alten Götterglauben, die Heldensagen. Ich habe ihr auch vom keltischen Glauben erzählt und gesagt, er weise doch eigentlich auf mehr Geist; eine Sage, wie die von Gwyon-Taliesin, habe die germanische Religion nicht, man erfahre kaum von Gründung der Civilisation, der Humanität. „Ja,“ sagt sie, „und doch nein. Keine alte Religion hat eine Götterdämmerung. Verglühen alles Endlichen, selbst dessen, was ewig schien, ist doch weit, weit mehr als Taliesin; wissen Sie aus der Edda vom Wettgespräch zwischen Odin und dem weisheitsberühmten Riesen Vasthrudnir?“
„Nein.“
„Der weiß auf alle Fragen Odin's Bescheid, auf eine nicht; Odin fragt ihn: ‚weißt du, was ich meinem Sohne Baldur in's Ohr gesagt habe, ehe er auf den Scheiterhaufen gelegt wurde?‘ Das weiß der Riese nicht — Wird ein Wort gewesen sein vom neuen []Leben nach der Götterdämmerung, Wiedergeburt der Welt, Aufgang der Geistwelt.“
Ich schwieg und dachte: wie konnte ich sie verkennen! Dann sagte ich: „Ja, da liegt Tiefe; im Uebrigen ist Alles wilder, mannhafter, bergiger als im Keltischen; Streitbarkeit ist Grundzug, Heldenkampf, es ist eine Reckenreligion. Doch ist auch ein Geistgott da, ein Apollo: Bragi, der Skaldengott. Und ein Zug von weicher, holder Güte, so recht ein grundguter Zug: Baldur, den alle Götter lieben, durch ihn ist dem Frühling inniges Gemüth geliehen.“
Sie wandte sich heiter zu mir und sagte: „Liebreiz ist ja doch auch, — Freyja, Freyja, die Freundin der Liebenden, die gern ein schönes Liebeslied anhört.“
Ich sagte: „Ein Lied versuch' ich wohl auch noch um einen recht guten Kuß.“ Schimmernd erglänzte die Reihe feiner Goldketten an ihrem Hals, wie sie sich umwandte. Freyja's goldenes Halsband fiel mir ein. Sie biegt sich zu mir her, das hohe, stolzfreie Weib, leuchtend, athmend, ich strecke die Arme aus. Da zuckt mir etwas durch die Seele, was mich bannt, ich weiß nicht, welches innere Stocken. Es muß ausgesehen haben wie Schüchternheit, Blödheit. Ich überwinde es, will in ihre Arme stürzen, strauchle über eine Wurzel und taumle wie ein Tölpel. Sie lacht laut auf, gellend, und geht vorwärts.
[]„Und Katzen ziehen Freyja's Wagen,“ rufe ich erzürnt ihr nach. Sie schaut nicht um, man sieht ihrem Schritt, dem Schwenken der Hüfte an, daß mein Wort ihr einen Stich gegeben. — Aber wie herrlich schreitet das Weib! Die kann gehen, was ja doch Tausende nicht können. Ihr Gang ist hoher Wohllaut. Verloren schau' ich ihr nach.
Natürlich kein Zweifel, daß unser Planet einmal in Stücke fährt und in die Sonne fliegt oder so etwas. Und unser Sonnensystem geht eben auch einmal in Trümmer. Dem Weltall sehr gleichgültig, denn es entstehen immer neue. Götterdämmerung ist immer. Der Geist steht aus der Verglühung des Zeitlichen nie auf oder immer. Es gibt jetzt Wesen, die es erringen, jetzt über der Zeit zu leben, oder es gibt keine. Gibt es jetzt solche, jetzt ist immer, es werden immer solche Jetzt sein, wo zeitliche, empfindende, denkende Wesen sich erheben in das, was nie und immer, nirgends und überall ist. Ist es so, so ist es um keinen Untergang schade. Fragt man: was wird aus dem ganzen Schatze von Erfahrung, Wissen, Bildung, den das Geschlecht auf unserem Planeten mit unnennbaren Mühen, in furchtbaren, ungezählte Jahrtausende langen Kämpfen gesammelt hat? Geht er mit dem Planeten verloren oder ist ein Weg denkbar, []daß er erhalten, anderswo aufgefaßt, dort weiter entwickelt ein Glied bildete in einer unendlichen Kette geistiger Erwerbungen aller denkbaren menschenähnlichen Wesen auf allen bewohnbaren Weltkörpern? Die Antwort ist leicht: verloren geht er, undenkbar ist solch' ein Band, solch' ein Weg. Das scheint trostlos. Ist's aber gar nicht. Alle ansteigende Bildungsarbeit aller Geschlechter erreicht ja nie das Ziel. Gibt es kein Vollglück auf jedem Punkte mitten in der ewig ansteigenden Bahn, so gibt es überhaupt keines. Jeder Augenblick der Freude, der wahren Freude, also vor Allem der Freude im reinen Schauen, Forschen und im reinen Wirken ist aber doch Sein im Ewigen an sich, greift also aus der Kette heraus, unabhängig von ihren Bedingungen, Eins mit sich, frei. Jene Schätze haben ihren Werth in sich selbst gehabt. Was Werth in sich hat, das beglückt, beseligt. Jeder Mensch, der sich in die Welt des in sich Werthvollen erhebt, ist in jeder Minute, in der es geschieht, mitten in der Zeit ewig. Wie viele Menschen, wie lange Zeit Menschen so des Ewigen theilhaftig werden, verändert daran gar nichts. Sind auf andern Weltkörpern menschenähnliche Wesen, sie mögen sorgen, daß sie ebenso in's Unzeitliche sich erheben.
So ist es ja auch mit der Frage nach der Unsterblichkeit des Einzelnen. Du möchtest der Zeit nach ewig leben, mein lieber Piepmeyer? Aber wenn du []auf immer neuen Planeten ewig ein neues Zeitleben lebst, so kommt es in jedem derselben immer nur darauf an, ob du vermagst, in's Zeitlose emporzusteigen. Von der endlosen Zeit, mein Lieber, hast du gar nichts, nicht den geringsten Spaß, sie gähnt dich nur an, ihr gehören ist nicht besser, als ewige Höllenstrafe.
Wir sind nur Bilder; wirklich, buchstäblich nur Bilder. Wir werden ja in jedem Moment erst gewoben, gemalt und auch wieder aufgetrennt, ausgewischt. Was jeden Augenblick erst wird, ist doch kein wahrhaft Seiendes. Wir stehen ja nicht fest, wir schweben ja nur wie ein Traumbild. Wir scheinen so solid wie Bein und Eisen, und sind doch so porös, nur wandelnde Auflösung und Wiederknüpfung.
Das braucht aber Niemand bange zu machen. Sorge du nur dafür, daß du Bild wirst in einem zweiten und besseren Sinn. Laß dich nicht bloß von der Natur hingepinselt, hingestickt sein! Sorge dafür, daß du Bild wirst, aufbewahrt im Geiste der Menschen. Sein ist Schein. Das wahre Sein verdient man sich durch nicht mehr Sein, — wer nemlich gut vorge []arbeitet hat. Das kann auch der Geringste machen, daß ein gutes Bild von ihm in den Seinigen fortlebt. Der große Mann freilich hat als die Seinigen ein ganzes Volk, ganze Völker. Aber man braucht kein großer Mann zu sein; das kleinste Scherflein zum Kapital der Menschheit wuchert fort und fort. Das Brod, das ich heut esse, das Kleid, das mich wärmt, die Gerechtigkeit, die mich schützt im Verein mit Vielen: vor tausend und tausend Jahren haben schon gute Menschen daran gearbeitet. Kannst du's so machen, daß du auch deinen Namen in's Gedenkbuch der Menschheit einschreibst: gut, aber nicht nothwendig; mag dein Gedächtniß nach wenigen oder mehreren oder vielen Generationen erlöschen, geht der Planet auch unter und mit ihm das Gedächtniß der Größten, die unsterblich hießen: Werth und Zeit sind ja zweierlei; in dem Wissen, es werth zu sein, daß man deiner gedenke, bist du ewig, bist wahres, unvergängliches Bild.
Goldrun, du bist eben auch nur ein Bild und darum noch lange kein zweites, kein wahres. Du scheinst es in Manchem, jetzt in mir, doch das ist nur Schimmer. Du schwebst nur. Dein Gerippe wird einst im Grab faulen, wie jedes andere auch, und in wem lebst du dann noch?
[]Ach, was hilft mir alle Philosophie gegen das Traumbild! Mir schwindelt, wenn ich es schweben sehe, mein Gehirn wirbelt.
Weiter, weiter! Berg und Thal, Fjord herüber und hinüber, Buchten, Ströme, Fels, Gebirge, Wasserstürze; gestern unausstehlich launisch, heute wieder sprühend von Lust, Witz, Reiz. Taghelle Nächte, Mitternachtsonne, Geisterglut, banges, fremdes Entzücken.
Gestern! O! —Gelandet in Vikör, Noreimssund. Bauernhochzeit auf Sandven. Tanz. Goldrun verschwindet und erscheint wieder in der Festtracht der Braut, rother Rock, schwarzes Mieder, reiche Ketten um Hals und Brust, „Lilienhaube“: Goldkrone voll schwanker Spitzen, spielender Flitter. Tanzt mit dem Bräutigam, mit zwei andern hübschen Burschen, mit Arnhelm, dann allein. Wer kann da vernünftig bleiben! So hat Herodias des Täufers Kopf weggetanzt. Gehaltene Grazie, dann rascher und rascher, heißer und heißer, endlich Bacchantin, heilige Wuth im stolzen Leib, ihre Locken sausen um's hochgetragene Haupt; so mögen sie in Rom, in Neapel die Tarantella rasen. — Will mich aufziehen, ich danke, will mich nicht lächerlich machen, will schauen.
[]Sie endet. Ich trete Kühlung suchend unter die Thüre. Die Welt brennt im Nachtsonnenlicht, in Hochglut feurigen Goldes. Ein heißer, rascher Athem an meinem Ohr und die Flüsterworte: Ovsthusfoß — in einer Stunde.
Wir hatten am Nachmittage den Wasserfall gesehen. Der Fluß springt im Bogen vom Felskamm, man steht unter dem Fall unbenetzt, sieht durch seinen breiten Silberschleier die Welt. Jetzt, in dieser Stunde, Alles in mystischem Goldglanz, Wasser und Welt! O, hier! In solcher Grotte! Geborgen! „Die Welt wird nie das Glück erlauben, als Beute wird es nur gehascht; entwenden mußt du's oder rauben, eh' dich die Mißgunst überrascht. — Leis auf den Zehen kommt's geschlichen — die Stille liebt es und die Nacht — O, wölbe dich in breitem Bogen, verschwiegner Strom, um uns herum und drohend mit empörten Wogen vertheidige dieß Heiligthum!“ —
Unerträglich! — Verhext —
Fort, verbirg dich, vergehe! verwehe!
Ein Teufel! ein Teufel! Nur ein Teufel kann mir das — böse Geister sind — müssen sein —
[]Und der Hohn seither!
Doch wieder nachgelaufen — Tropf, der ich bin! Jetzt muß ich laufen wie ein Geist, wie eine arme Seel, die keine Ruh' hat im Grab und verdammt ist, umzugehen und zu suchen vergrabenen Schatz, verscherztes Gut. — Natur sperrt sich gegen so viel gleichzeitigen Vorgang im Gehirn — Denken und geheimes Hassen —, und aber wiederum doch —
Bergen. Alter Königssitz; jetzt still trotz Handelsverkehr. Eingemiethet in einer „Stube“ der alten Hansekaufleute. Getäfelt, behaglich. Deutsche Erinnerungen. Tüchtige alte Stadt; bürgerlich, angenehm philisteriös; Almendingsplätze, zum Theil anziehend langweilig mit Gras bewachsen. Festung darüber, hoch auf den mastenreichen Hafen herabschauend. Will arbeiten, einmal wieder etwas lesen, nur selten hingehen. Es regnet viel, mir jetzt recht. Goldrun auf der Herreise lang still, dann voll Spott, höhnte auf Registraturen, Amtsstuben, Sitzen, Verdorren. — Jetzt still und zahm.
Man hat die griechischen Studien wieder aufgenommen; Phädon, dann soll es an den Oedipus König. Ich muß doch theilnehmen; man lädt mich sehr ein.
[]Stille Tage. Gesammelte Abende. Dieser Dyring ist doch dem wilden Wesen ein Halt. Wie sanft ist sie, wenn sie an seinen Blicken hängt, auf seine Worte lauscht! Seine hohe Stirn, sein tiefes Auge breitet Meeresstille aus. Arnhelm in einer wahren Andacht, oft wie verzückt. Das Griechische fließt wie Honig des Hymettus von ihren Lippen; wie ertönt da das klangvolle oϛ der Endungen!
Merkwürdig, wie der Tod Leben entzünden kann! Ueber dem Phädon, dem sterbenden Sokrates gibt's viel zu denken an ihn. Der Tod ist pures Nichts, sage ich, der Tod ist, wobei man überhaupt nichts denken kann. Entweder ich lebe, dann bin ich nicht todt, oder ich bin todt und dann lebt Keiner, der es bedauerte, daß er todt ist. Man hat Angst davor, sich einmal todt vorzufinden, aber der Todte sucht und sieht sich ja nicht. Daher ist es purer Unsinn, an den Tod zu denken. Wenn nur die Phantasie nicht wäre, die uns zwingen will, uns vorzustellen als im Tode lebend und uns todt wissend! Eine Wittwe hat mir erzählt, sie habe den plötzlichen Tod des Vaters dem kleinen Töchterchen einen Tag lang verheimlicht, dann aber das nicht länger gekonnt. Das Kind schweigt eine Weile und sagt dann: aber da wird der Vater traurig sein, daß er todt ist! — Genau wie die alten []Völker: Schattenleben im Scheol, im Hades; — todt und im Tod so viel lebend, um zu wissen, wie unangenehm der Tod sei. — Was ist nun das Uebel? Es braucht Denken, viel Denken, diese Phantasie fern zu halten, als stäcken wir lebend im Tod, und zu begreifen, daß man an den Tod schlechthin nicht denken soll. So kommt es, daß man vor lauter Denken, warum man an den Tod nicht denken soll, zu viel an den Tod denkt.
Das hat nun Goldrun begriffen und mir die Hand gedrückt und mich hat es hoch gefreut, daß sie es begriff. Denn Jugend will ja sonst nichts vom Tode wissen. Vom Alter ja auch nichts. Ich erinnre mich, wie wir als junge Kerle von ungefähr fünfundzwanzig Jahren einen Kameraden auslachten, der dreißig geworden. Dummheit, denkt man, so etwas passirt mir nicht! Man will natürlich fortleben, aber daß man dabei älter wird, das schiebt man einfach aus dem Kopfe weg. Und sterben? Seien wir nur redlich gegen uns: wir sind in Wahrheit Aristokraten des Lebens und sehen spöttisch mitleidig auf den, dem das Sterben passirt, eben doch herab wie auf eine Art von Lump.
Nun hat mich also der Handdruck gar sehr gefreut und ich habe wieder gedrückt und wir haben uns geküßt und nun ist's wieder im Zug.
[]Dieser Arnhelm — jetzt gibt er wieder ein Bändchen lyrische heraus. Wird es ihr widmen. Nun ja, wenn nur ich's nicht lesen muß; — schrecklich! Was will sie mit dem Süßling? In seinen Blicken nach Goldrun liegt doch ein Etwas — feucht sentimentaler Art — so etwas Ansaugendes — hübscher Stutzer, was man schön nennt, Modejournal-Monatrettiggesicht mit aufgedrehtem Bärtchen — Wie, eifersüchtig auf den Wonneflöter? Schäm' dich, Herz!
Wieder verschnupft. Sie meint mich wie armes Würmlein behandeln zu können. „Ei mit Kandiszucker? — Holderthee? Naß Tuch und wollene Binde um den Hals?“ Als ob ich ein Mutterkindel wäre! Spottet auch auf deutsche Verweichlichung, deutsches Wesen, Volk, doch da bin ich gestern sehr grob geworden. Sonst — es soll Humor sein und man will doch Spaß verstehen. Muß ich die verfluchten Hemdkrägen haben und kann nirgends rechte finden. Die haben ganz den Teufel im Leib, halten nicht hinten, rutschen über die Kravate heraus, sitzen auf der bloßen Haut; muß zupfen den ganzen Tag. Sie sieht Alles mit Sperberblick. Schrecklicher Realismus des Weibs, Falkenauge der Mädel für Komisches, für Ungeschicktes im Aeußern.
Das thät' wenig, aber dann wieder bös launisch, []Tage lang; will sichtbar mich doch eifersüchtig machen. Wie hat sie gestern Dyring's Locken gestreichelt, mit Arnhelm geäugelt!
Größere gewählte Gesellschaft in ihren Zimmern. Verehrer, einige Damen. Ihr Wesen vornehm, taktvoll unbefangen, das ganze Benehmen jene gesellige Kunst, die Natur ist. — Singt alte Balladen, auch die Olafballade wieder. Dabei Blick nach mir her, wie damals, Blitz im Auge. Dann Vorlesung aus Antigone. Dann Odyssee: Gesang von der Nausikaa. Sie hat nach deutschen Uebersetzungen mit Dyring's Hülfe gut in's Schwedische übersetzt. Liest abwechselnd mit ihm vor. Er singend, langweilig, sie mit ganzem Kothurngefühl, und wie mächtig das Leidenschaftliche in der Tragödie, wie rein und gehalten das Gefühlte im Epos! — Dann Tanz. Der Arnhelm nimmt sie doch sehr eng um den Leib. Sie tanzt auf Verlangen Solo. Pompejanische Tänzerin, — man meint, wie damals in Hardanger, sie werde jetzt aufschweben. Ich muß mich abwenden, mir wird unheimlich. Jetzt heißer und heißer, wieder die sausenden Tarantellakreise. Klatschen, Beifallstumult — inzwischen — sollte ich mich getäuscht haben? — wie sie athmend stillsteht, — ein Blick zu Dyring hinüber, der am Klavier sitzt — von ihm herüber — über []die jungen Leute weg, die ihr die Hände fassen und tätscheln — nur ein Moment — war das väterlicher Lehrerblick? War das dankbar töchterlicher Blick der Schülerin? — Nicht, als wollten sie sich sagen: nippt ihr immerhin, ihr Fliegen, — wir Zwei — ? — Nein, fort mit dem Gedanken, fort! Er kommt aus der Hölle!
Heut' bringt der Arnhelm das Bändchen lyrische. Bekommt einen Kuß. Kuß doch zu lang für bloß ornamentalen Kuß! Sie merkt mir etwas an, da geht der Spott wieder los.
Die Nagelschmiedin.
Will mir mit Arbeit helfen. Einmal doch wieder Schelling's Abhandlung über die Freiheit vornehmen und gründlich lesen, vielleicht, wenn ich Gedanken darüber zusammenbringe, einen Aufsatz schreiben. Richtig bei einem Antiquar gefunden, da liegt's vor mir: „Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit und die damit zusammenhängenden Gegenstände“. Landshut 1809. Lang her. Noch un []aufgeschnitten; worden wenig Philosophen in Bergen sein. Goldrun hat's auch nicht erwischt. Die könnte sich spiegeln; stammt schnurgerad aus dem dunklen Grund in Gott, den der Philosoph dozirt.
Will nichts werden mit dem Denken und Schreiben. Wollte schreiben, ehe ich recht gedacht, das mechanische Thun der Hand dabei sollte mich an der Stange halten, daß die Gedanken nicht abschweifen. Aber auch dabei stellen mir die Teufel nach. Alles wie verhext. Will ich eifrig fortlesen, so wollen zwei Blätter nicht auseinander. Beim Schreiben ist die Nässe der Tinte, und daß man nicht schon etwas Anderes hat erfinden können, ein heilloser Umstand. Tags hundertmal ein Fließblatt einlegen! Darüber vergißt man die besten Gedanken. Und Sand? Dieß Grüseliche nicht zum Ertragen. Feder will sich nicht schneiden lassen, und mit Metall kann ich nicht schreiben. Alles Papier zu glatt; macht mich nervös, wenn die Feder so rutscht; Spannen in der Herzgrube. Ich liege in einem Ameisenhaufen. Tinte auch klebrig. Und verschüttet, zwei wichtige Seiten im Buch zum Teufel! Drei Blätter zernagt mir des Hausbesitzers junger Hund, sonst liebenswürdig. Alles fällt. Tisch wackelt. Schreibunterlage will sich nicht flach legen. Es ist nicht anders, es muß Teufel geben. Ganze Nester wie Raupennester. Stammen []auch aus dem dunklen Grunde. Hassen den Menschen, weil er aus der Natur heraus — —
Ja, ja, ich muß eine Mythologie daraus entwickeln, und dazu eine überzeugende, ja den eigenen Urheber überzeugende. Doch nicht wie die neuen Pessimisten, die verlangen, man solle ernst bleiben. Cum grano. Es soll erlaubt sein, zu lachen, obwohl —
Mythologie? Werde mir bald selbst zum Mythus! Mich mit dem jungen Schöngeist um das unheimliche Weib als Trabantenpaar herumbewegen! — Der Fant ist auch Romantiker. Spricht da neulich mit Phrasenduft von den Uebertritten der Friedr. Schlegel, Zach. Werner! — Schönfärber. Widerlich! — Dabei ein gewisses Schillern, ein feuchter Glasglanz im Auge und das gescheitelte Haar!
Und sie? Und sie? Ein Mensch oder ein Geist? Solches Metallhaar hat ja doch kein richtiger Mensch. Ist Schmetterlingsflügelstaub oder Vogelfedernschmelz, Fischschuppenglanz. Ihre Augen: blau, grau oder grün? Kann es nicht herausbringen. Es muß eben doch eine Nixe sein. Aber diese Augen antik, das Weiß []der Bindehaut über den Sternen sichtbar. Das glüht! Wie die Augen der Juno auf pompejanischem Wandbild.
Truggespenster um mich! — Treibt sich da seit Wochen eine Figur um mit glattem Elfenbeingesicht und so einem Strich, einem Pli über die Augen herunter, als hätte der Mensch als Magnetiseur sein eigen Gesicht mit der Hand gebügelt; man hält das Ding für einen Jesuiten. Find' ich in der Dämmerung den Arnhelm in vertieftem Gespräch mit dem Gespenst, dort in der Nygaardsallee. Höre im Vorbeigehen die Worte: „Heilige Symbolik — Mariendienst —“ Sollte das Bürschchen gar ein Krypto — nun, es wird eben ästhetische Leckerei sein!
Stachelschweinrauschen! — Sie wird mir immer unheimlicher. Gehe wieder hin, erzähle ihr die Beobachtung, rede vom Proselytenthum jener widerlichen Seelen, die sich vom Schimmer des Katholizismus fangen ließen, Schönheit und Wahrheit verwechselten, predige ihr vom Ernste protestantischer Bildung, zu dem sie gehöre und einfach halten solle — ach, wie man ja immer der Thor ist, bessern zu wollen, wenn man unwürdig liebt! Sie spricht von Pedanterie — eine prédilection artistique sei noch nicht blutiger []Ernst, und derlei mehr. Ich sag' ihr, das Wort habe sie aus einem Brief Wilh. Schlegel's aufgeschnappt, der sei aber auch schon tief genug im Lügenquark gesteckt, nahe genug am Versinken, verlogenes Pack sei das ganze Gelichter gewesen — Wahrhaftigkeit, rufe ich, Wahrhaftigkeit! mit gehobenem Finger. Sie wird schnell bös, fährt vom Sessel auf, ruft mit Furienblick: Prediger! — und dabei in der kurzen Bewegung ein Rauschen der Kleider, so stark wie bei sausendem Fluge. — Wenn das Stachelschwein drohen will, so treibt es den Wald seiner Kiele auf, man vernimmt dabei ein Rauschen, viel zu stark, als daß es aus dem Aneinanderschlagen der vielen Hornspieße erklärt werden könnte, das Thier vermag Luft in die Röhren dieser Organe zu treiben, um durch den windsbrautähnlichen Ton den Feind zu schrecken. Eine ähnliche Vorrichtung müssen die dämonischen Weiber in den Poren haben, um bei heftigem Aufzucken Luft in ihre Gewänder zu pumpen, daß sie geisterhaft rauschen und sausen. — Sie wird mir physiologisch unheimlich, monströs. Und der Zorn, weil ich an Wahrhaftigkeit mahne! Weiß, warum so beleidigt. Dieß Weib ist nicht wahr.
Tagelang wieder gemieden. Gestern Nacht am Haus hin und her gestreift. Sie sang. Das Olaf's []lied. Es schmetterte wie Nachtigallenschlag in die Nacht und dann klang's wieder wie Drohen und Hohn dunkler Meergeister und wieder wie Mitleid, o, wie Klage der Okeaniden, die den gefesselten Prometheus beweinen, — ach, dieß Weib ist doch entzückend!
Dyring krank. Sie viel mit Arnhelm allein. Eigentlich nicht hingewollt. Aber es zog mich eben doch. War mir schwül zu Muthe. Doch eben Sehnsucht! Sehnsucht — Und — gefunden in Arnhelm's Arm — des Knaben — heiß! heiß! — O, jetzt fort, fort, hinweg aus der Hölle!
Geschlagen habe ich sie! Aber — o Schmach! dann — Wie ich sie so gefunden, stürze ich zuerst schweigend fort, kehre nach kurzem Gang wieder um, treffe sie jetzt allein, trete vor sie, sag' ihr die Wahrheit; Metze hab' ich sie genannt. Wie ein schöner gefleckter Panther springt sie gegen mich auf, stößt etwas heraus vom Rechte des freien Weibs — ich packe sie an den Schultern — sie thut einen schüttelnden Ruck mit solcher Brunhildenkraft, daß ich zur Seite schwankend den Kopf an einen Schrank schlage („daz ihm sin Houbet lute an eime Schamel erklank“), jetzt muß ich []mich erwehren, schleudre sie zu Boden und gebe der Fallenden einen Schlag — sie weint — es reut mich — ein Weib! — ich werde wieder weich, weil ich sie weich sehe — hebe sie auf — die Goldlocken umwallen aufgelöst ihr Haupt und Marmorschultern, ich muß selbst weinen, — ach, es ist ja so schade um sie! — bedecke sie mit Küssen, schäme mich vor mir und renne hinaus und begegne draußen wieder dem Monatrosengesicht mit den Belladonnaaugen, dem Fant, dem gescheitelten Schöngeist-Engelkopf Arnhelm, — ein Lechzen sichtbar auf seinen Kirschenlippen — und nun aber endlich aufgepackt und weit, weit fort!
Drontheim. Da wär' ich! Frei! Weit weg! Wie am Ende der Welt! — Wild auf wilden Wegen weiter, immer weiter. — Frei? Wenn nur die Träume nicht wären — auch in's Wachen herein! Diese beständige Bangigkeit, dieß Weh in der Herzgrube! Ich fürchte keinen Menschen und bin doch so athemlos zusammengeschnürt — Träume voll Todesangst — ich bin vergeistert, wohne im Reich der Dämonen.
Hätte mich das Ungethüm zerrissen bei Jostedalsbrä, mir wäre wohl besser. Die Bärenjagd mitmachen, — ich []hoffte eine Kraftkur für die arme Seele. Im ewigen Schnee, am Eis der Gletscher: Kühlung, Kühlung! Will es ohne Schuß wagen mit aufgepflanztem Haubajonet. Bär steht, Stoß fehlt. Die Rothjacke hat mich mit wohlgezieltem Schusse gerettet. Unkraut verdirbt nicht. Aber Tatzenhieb über die Schulter. Gut, daß der Doktor die Jagd mitmachte, der Schwede Erik hat mich in den Gard bringen lassen, verbunden. Wundfieber. Wilde Phantasieen: Goldrun, goldglänzende Bärin, haut mich über die Brust, schleppt mich hinter den Obsthusfoß, umarmt mich dort als Meerfräulein, verwandelt sich plötzlich in den Wolf Fenrir. — Am andern Tage wieder hell, doch schwach. Der Doktor gar guter, gesund nüchterner junger Mann. Sitzt an meinem Lager, der Ton seiner Stimme, der Blick seiner Augen so ehrlich und beruhigend; erzählt: hat sich als Arzt in Bergen niedergelassen, holt bald seine Braut von Schottland herüber. Wird nicht müde, sie zu rühmen, wie reiches Seelenleben und dabei so sanft, gut, brav; Vater ein Schotte, Mutter aus Perugia; heißt Cordelia, „und,“ sagt er, „ist auch Cordelia.“ Malt sich rührend sein nahes Glück aus, — wie die Zimmer einrichten — Alles. Mir tönt das wie ferne Glocken, wie alte Sage von der in's Meer versunkenen Stadt. Einfaches Menschenglück! — Für mich nie!
[]Geheilt weiter gewandert. Ueber wüste Hochebenen, todeseinsam. Oft hungernd fortgeschleppt, bis ein ärmlicher Säter mich aufnahm. Ein Schneehuhn flattert auf, ein Fuchs schleicht, keine Menschenseele. An Bergseen schwerträumend. Hinab? Unter? Nein, weiter! Ich sehe Gestalten im Geist über diese Wüsten schreiten, kriegerische, abgemagert, zerlumpt, ungebeugt, ein jugendlich Haupt ihr Führer. König Sverrir, der du mit deinen kühnen Banden einst hier ringend mit Kälte, Schnee, Hunger umhergeirrt, Kriegern in Birkenrinde gekleidet, oft der Verzweiflung nahe, sich fragend, ob sie sich nicht lieber hoch von den Klippen stürzen oder gegenseitig tödten sollten, — hast ausgehalten mit deiner Schaar, ein halb Jahrhundert gekämpft gegen Priesterherrschaft, drunten im Sognefjord in blutiger Seeschlacht gesiegt, — o, so etwas! wer mir das brächte! — Aber will aushalten! Will mich nicht schämen vor euch Heldengeistern. Bin Mann.
Hinüber in's Jötunfjeld, von den alten Riesen gethürmt gegen die Asen, Gipfel an Gipfel, Zacken an Zacken, ewiges Eis, wüthende Wasserstürze, Hochthal dazwischen schauerlich schön —, geisterhafte Seen —, ich schaue empor an den unerbittlichen Krystallen — fällt mir ein aus der Edda, wie es von Brynhild heißt:
[]Die Wilde in Bergen könnt' ich mir auch so denken. Muß ich sie überall finden?
Was soll ich aber hier in dem Drontheim da wieder unter den Menschen? — Einst, welchen Zauber hätte für meine Phantasie gehabt so uralt, fremd, fern hochnordische Krönungsstadt! — Jetzt, was geht's mich an, was es hier gegeben hat seit Olaf Trygvessön? Die Domkirche studiren, ihre alten Königsgräber? Norwegischgothische Zickzackornamente nachzeichnen? Zickzack genug in mir selbst. — Auf dem Fjord im Sturm gefahren, hat wohlgethan; doch, wo Wasser, fällt mir der Tindsee wieder ein, immer, immer —
Ja, wenn's noch Vikinger gäbe! Hinaus auf dem Wellenroß in Sturm, in blutigen Krieg! Das wäre für mich!
Warum nicht hinweg? Jetzt auf, fort, hin nach Italien? Es hält mich mit Geisterknoten; es bannt []mich. Ich mache mir vor, ich müsse Stimmung abwarten, innen austoben lassen, bis Sammlung zu ruhiger Kontemplation —, als ob man die nicht suchen müßte durch Weithinwegeilen. Aus den Augen, aus dem Sinn! Im selben Land ist immer noch in den Augen. Ist es aber ganz nur Selbstanlügen? Mir ist immer: es fehlt noch ein Punktum. Ach, immer noch der unerlöste Geist von damals!
Daß aber doch auch das Denken nichts, gar nichts helfen will! Besinne mich auf alle Weisheitssprüche — was ich nur aufgraben kann, aus dem gefrornen Gedächtniß heraushauen — Sprüche Salomonis, Weisheit der Bramanen, Sakja-Muni’s herrliche Arzneien gegen die Leidenschaft, Kongfutse’s Weisheit, Sieben Weise Griechenlands, Plato — ach, über dem fällt mir der sanfte Gang in Westfjorddalen wieder ein, unsere Plato-Abende in Bergen, jede Stunde, wo sie gut war und vernünftig fort, weiter: die Stoiker, Markus Aurelius, der reine Kühlbrunnen seines εἰς ἑαυτὸν —, Goldworte des Neuen Testaments —: da thaute aus Knabenzeit wieder in mir auf: „Denen, die den Herrn lieben, müssen alle Dinge zum Besten dienen,“ — die Augen wurden mir feucht —; mein Spinoza — Kant — der fiel mir nach langer Zeit wieder ein, sein ehrliches Schriftchen: „Von der Macht []des Gemüthes, durch den bloßen Vorsatz seiner kranken Gefühle Meister zu werden“, — u.s.w. u.s.w. u.s.w. — Und Alles umsonst! Die Leidenschaft ist eine profunde Sophistin. Was sagt sie? Sie sagt: Alles ganz wahr und schön, mag auf alle Fälle passen, nur auf diesen nicht; der ist von absoluter Be sonderheit. Das Diese kämpft gegen die Wahrheit und Macht des Allgemeinen, will sich in seiner zäh gebackenen Dichtigkeit nicht von ihm perforiren lassen. Ja die Dießheit, das ist etwas gar Dunkles, Schweres, ein großes Geheimniß.
Und diese Einsicht in den Sophismus der Leidenschaft nützt mir auch nichts, rein nichts, hilft mir nicht, meine Seele wieder holen, die mir abhanden gekommen, die nicht mehr mir gehört. Mein Centrum ist außer mir, heißt Goldrun, wandelt, wo es mag, mißhandelt mich, entehrt mich. Ich bin nicht mehr Ich.
Dämonisch ist das Weib, dessen Reiz noch fortwirkt, während man sie schon verachtet. — Eine Definition unter anderen, es gibt noch mehrere.
Oft war sie zwischen Herrschsucht, Siegeshohn ganz unterthänig, mehr als recht.
[]Den ersten habe ich zu wenig bekämpft, den zweiten nie benützen mögen. Ach, in der Liebe, meint man ja, gelte nur Ein Gesetz: unendlich gut sein!
Vertrakte Zufälle führen mich ganz gegen meinen Sinn und Geschmack an eine Table d'hôte. Rede nach Gewohnheit, weil ich in der Jugend für meine Zuthulichkeit gar so schwer Lehrgeld gegeben, am Wirthstisch überhaupt nichts, außer wenn Nachbarn mit mir anfangen. Alles schweigt, nur da und dort kurze gedämpfte Gespräche. Dauert zwei Stunden, hab's Eine ausgehalten, weil erst nach einer Stunde das Stückchen Braten kam, das gesunde Nahrung. Dann fort. — Unendlich rohe und gemeine Sitte, zwei Stunden lang stumm fressen, den Magen vollstopfen. Kuh an der Raufe frißt gebildeter.
Wieder hinaus in die Berge. Etwas erfrischt. Rothmützige, dunkelbraune, schmalaugige Lappen gesehen, Rennthiere weidend. Die haben's gut, still bei den stillen Thieren mit den sanften Augen. Fressen auch beide an keiner Table d'hôte.
[]Es ist gar trocken heiß, wir sind stark im August. Alles seufzt nach Regen. Alle Abend Wolken, lang Wetterleuchten und reicht doch nicht, kann doch nichts werden. So ist's in mir. Es muß noch einen Durchbruch nehmen. —
Endlich! Ein Prachtgewitter. Wie hat mir's wohlgethan! So mächtig durchschlagen! — Da hat sich mir unvermuthet die Muse einmal wieder eingestellt.
Mir auch, mir auch so — Schlag, Sturz, Kühlung !
Gehe spazieren. Fjord prachtvoll. Luft mild. Selbst Nußbäume. Fluren saftig. Kröne mich mit Stille, salbe mein heißes Haupt mit Oel des Friedens, alte Krönungsstadt Nidaros!
[]Will keine Gesellschaft. Am wenigsten die Engländer da, die ich zum dritten Mal in der Speisewirthschaft finde. Verwünschte Sprache. Ein Gott hat sie im Lachkrampf erfunden und gesagt: eine Sprache soll sein, die sei zweckmäßig kurz und doch reich, dadurch fast zur Weltsprache geeignet, aber im Klang so, als brächte man zum Spaß unanständige Töne hervor. — Uebrigens kann man die Sprachen auch so eintheilen: das Englische reine Auster, schleimig mit Seegeruch. Das Italienische Rothwein mit Orangen. Das Französische Liqueur und Biscuit. Das Deutsche gutes Roggenbrod mit Rettich und Bier. Das Holländische ganz Häring.
Doch alles dieß ist auch wieder gleichgültig, denn jede Sprache hat außerdem noch Nektar im Keller. Da sind die Dichter die Schenken, ideale Kellner. In der lächerlichsten aller Kultursprachen hat Shakespeare geschrieben.
Mich einmal wieder über die Menschen empört. Einige Herren, dabei Vater mit Sohn, am selben Tisch drüben im Kaffeehaus. Die Unterhaltung geht in Zoten über, eckelhaft. Man sollte gar nicht mehr unter die Menschen gehen. — Gewiß enthält das Geschlechtsleben des Menschen reichen Stoff des Komischen. Es wäre abgeschmackt, diese Quelle für Lachen []und Witz verpönen zu wollen. Wo fängt nun aber das Gemeine, das Wachtstubenmäßige an? Was ist die Grenzlinie? Habe oft darüber nachgedacht, es ist schwer finden. Ungefähr so: das Gemeine beginnt, wo der Stoff nicht mehr durch zufälligen komischen Kontrast oder durch erzeugten, d. h. durch Witz verflüchtigt wird, sondern wo er als Stoff schon komisch interessant sein soll. Es muß ein Plus von komischem Kontrast oder Witz über den puren Stoff da sein. Wie eckeln mich die Kerle an, die meinen, es sei an sich schon witzig, wenn man Dieß oder Jenes auf das Geschlechtliche bezieht! Dann das Augenzwinkern, Zunicken: weißt, wir verstehen, wir kennen das! Dann das stinkige Bocksgelächter. Diese Schweine in Glacéhandschuhen haben sogar vor dem Vater und Sohn, die neben einander saßen, Zoten gerissen. Schamlos; es sind Dreckseelen. — Man kann die Menschen nicht keusch machen, aber die Schamhaftigkeit sollten sie sich erhalten, Mann wie Weib. Keuschheit verloren ist noch nicht Scham verloren, sonst wäre ja die Ehe etwas Schamloses. Schamhaftigkeit zum Teufel, so ist die Schwungfeder zu allem Idealen in der Seele zum Teufel. — Das Geschlechtsleben ist an sich ehrwürdig, heilig. Der unverdorbene Jüngling verehrt unbewußt in der Jungfrau das geheimnißvolle Gefäß von Menschenkeimen. Das Geschlechtliche steht also an sich schlechtweg in keinem Kontrast zum rein Spirituellen in der Liebe. Der []tiefste Geist kann so Tiefes nicht erfinden, wie das Wunder der Zeugung. Natürlich jedoch müssen Beleuchtungsmomente eintreten, wo scharfer Kontrastschein entsteht. Höchsten ethischen Zwecken, Gefühlen gegenüber fällt auf das Sexuelle das Schlaglicht des Thierischen, ja Mechanischen. Man hat über diesen Kontrast gelacht, so lang die Welt steht, auch das reinste Weib. — Gut, dann lacht! Sucht es aber nicht, macht nicht Jagd nach solchen Beziehungen, meint nicht, es sei schon witzig, anzudeuten, daß euch der Geschlechtsprozeß und seine Lust bekannt sei; das ist ja Koth! Das heißt ja: sich freuen, Thier zu sein, unter dem Thier, das Thier reißt keine Zoten!
Ihr Götter, was fange ich an zu fühlen! Himmelsthau: lange Weile! O gegrüßt, das ist Zeichen der Genesung!
[]Draußen am Lerfoß gewesen, eine Gesellschaft getroffen aus Christiania, wobei ein Prachtweib, groß, durchaus stylvoll gebaut. Weg, will nichts davon! Will kein Rasseweib mehr sehen! Es ist ein Elend, daß unser Einem kein Weibesgebild gefallen kann, wo der Teig sitzen geblieben; bei den Rasseweibern ist er gut gegangen, aber der Teufel hat den Herd geheizt.
Sammlung wächst, wenn ich nicht ganz irre. Glaube mich auch gewappnet gegen die heißen und plastischen Weiber in Italien. Muß nun doch bald hin, dort Heilung vollenden. Noch eine, zwei Wochen vorher lateinische Klassiker lesen, wird gut thun. Objektive Sprache; wird kühlen. Dann auf und hin zum Süden!
Die Träume sind mir doch noch gefährlich. Diese Nacht vor Einschlafen surrt mir der letzte Vers des Gewittergedichts im Ohr. Träumt mir, das getränkte Erdreich öffne sich und ihm entsteige ein nacktes Prachtgebilde. „Dieß ist nicht das Meer,“ sage ich, „du bist nicht Anadyomene.“ Sie nickt, ich meine das schöne Weib zu erkennen, das ich draußen am Lerfoß gesehen. „Laß mich!“ rufe ich. „Komm',“ flüstert sie, []„ich zeige dir Anadyomene.“ Wie magnetisch zieht sie mich, schwebt mit mir über Gebirge, Meere, der Himmel wird tiefer blau, Inseln schwimmen, rein gezeichnet, in Azur getaucht; ein Vorgebirge steigt auf, eine Landzunge in's Meer vorgelagert; „hier ist Knidos,“ spricht die geisterleichte Trägerin, läßt mich vor einer Tempelhalle nieder, ich trete ein und da steht sie, die Gewänderablegende, — leuchtend, das Höchste, was kunstgewordene Natur erschaffen kann. Schauen will ich, spricht's in mir, und fern bleiben. Da seh' ich Lebenswärme durch den Marmor rieseln, das Antlitz färbt sich, das Haar wird Gold und ich erkenne Goldrun. Sie regt sich, winkt. Der Boden wankt. Ich versinke.
Hier findet sich ein Blatt von fremder, weiblicher Hand, ein Brief in griechischer Sprache. Es geht zur Hälfte ein Riß hindurch; der Empfänger, scheint es, wollte ihn zerstören und ließ wieder ab. Ich gebe den Inhalt in deutscher Uebersetzung.
Der Herausgeber.
Hinweggegangen bist du und hergeschritten ist mit ehernem Fuß der langhinstreckende Tod, im Hades wandelt der Freund, der Enkel der Hellenen, der Weise, der Deuter des göttlichen Platon; sterbend hat er dich genannt und gestammelt: er nun dein Schutz und []Hort. — Geschieden ist der Jüngling, der kurze Blindheit hellem Geist hat angehaucht. — Du zürnest, zürne nicht länger!
Also spricht Psappha, die Lesbierinn, also spreche ich, also sprich auch du, o Freund!
Einsam bin ich, o Guter, wandle seufzend wie Schatten am Acheron.
Vielfach sind die Bewegungen des Eros, sanft die einen, gewaltig die anderen, um dich aber, o Freund —:
Ich habe zu seiner göttlichen Mutter gefleht:
Und gekommen ist sie, Sperlinge, zierlich flinke, die eilenden Flügel schwingend, trugen den goldenen Wagen
Und Lächeln im unsterblichen Antlitz fragte die ewig Heitere:
Wisse, o Freund, am Sjöstrand dort, am Ufer des Sognefjords war Baldur's Hag, und Frithiof, der junge Held, fürchtete nicht des Gottes Zorn und der gute schöne Gott duldete es, daß er in seinem Haine Götterstunden lebte mit der süßen Pflegschwester Ingeborg, König Beli's Kind.
Komm', du Guter, Theurer, komm', Phaon, in die Arme deiner
Psappha Chrysostoma.
[]Aus ist's, ich kann nicht widerstehen. Es ist eben doch ein gutes Weib. Kurze Verirrung des Gefühls — warum soll man sie schließlich nicht verzeihen? Wird mit Arnhelm doch nicht zu weit gegangen sein, und übrigens muß man sie eben überhaupt als Griechin auffassen. Und ihr Spott war und ist eben Humor. Solch' ein Weib findest du ja doch nicht wieder! Auf! Heute noch vorerst Eisenbahn bis Stören, dann weiter zu Schiff, zu Fuß, zu Pferd, Skyds-Fuhr im rumpelnden Stolkjären, in schaukelnder Carriole, fort, fort durch Dick und Dünn, fort zu Baldur's Hag! Nach Haus, ja nach Haus, zu Haus bin ich doch nur, wo sie ist!
Lekanger am Sogne-Fjord. Getroffen. — Sjöstrand eine Lustaue, als wäre man in Italien. Fruchtgarten an Fruchtgarten. Vögel girren und schlagen, Eichen und Eschen flüstern, Bäche rieseln, groß brandet die Woge. Aber welche Berge, welche Schneehäupter ragen herüber wie Ewigkeit in den Moment der Wonne! Ja hier, hier! Gönne mir mein Glück in deinem heiligen Hage, deiner alten Friedens- und Opferstätte, du Jugendgott mit den blühenden Wangen, gönne mir's, Baldur! Hast's auch Frithiof nicht mißgönnt, als er herübersteuerte von Framnäs, des Vaters Haus, auf seinem Schiff Ellidi, und sie besuchte, die Gespielin seiner Kindheit, die holde Ingeborg, ihm verweigert von den stolzen Brüdern Helgi und Halfdan und verwahrt in deinem Heiligthum!
Selige Tage, nur Tage, denn noch scheint die Mitternachtssonne unsern Entzückungen.
[]Wir rudern her und hin am Fjord, hinüber nach Balholmen an König Beli's Grabhügel, hinüber nach Vangsnäs, dem alten Framnäs, wo er seine Kindertage lebte, der starke, der liebende, der treue Held.
Welche Großheit wieder, wenn sie das Ruder schwingt, wenn sie vorgestreckt den starken Druck übt, dann die Schaufel dreht, das Ruder zurückzieht und aufrecht wieder in ihrer Gliederpracht steht, herumschaut und geröthet vom tüchtigen Werk mich mit den großen Augen anlächelt! So war sie ja auf dem Tind-See, da hat sie mir's angethan, nur hat sie mich so sonnig aufgeblüht noch nicht angeschaut!
Gestern Sturm. Wir hatten schwer zu kämpfen. Wie trotzig stand sie wieder, wie herrlich wühlte wieder der Wind in ihren Goldlocken! Frithiof fiel uns ein, wie er auf König Helgi's Gebot fort muß, weg vom heißen Glück, und Jarl Angantyr zwingen, daß er Schatzung zahle, und wie draußen in offener See der tobende Schneesturm auf sein Schiff Ellidi gestürzt kommt. Sie sang aus dem alten Liede:
Ich nahm die Strophe auf:
Der Sturm warf Regen und Hagel, die Kälte schüttelte uns. Da lachte sie und sagte: „Auch die Götter froren; als Frithiof zurückkam, fand er Helgi's Frau, wie sie Baldur am Feuer wärmte.“ — Wie verheißend zuckt es dabei über ihre Züge, welcher süße Frevel spielt auf ihren Lippen!
O ihr Asen hoch im Himmel! O Bragi, o Baldur! Nicht zu Ran, nicht zur dunkeln Hel im Abgrund, nein, als ehrlichen Kämpfer mit den Einherien zu Walhalla laßt mich einst fahren! — Es wird unheimlich um mich! —
Meine Eisenbahnverse haben wenig Glück bei ihr gemacht. Sie mag den gerührten Ton nicht.
[]Diese Nacht, wie ich so die Schlummernde, Hingegossene beschaute, warum kam denn plötzlich ein Grauen über mich? Ich bin doch so sehr im Vollglück. Und warum beim Anblick von Dyring's Bild, das sie auf Medaillon am Busen trägt? Er war doch so eine platonische Natur, so ernst, so edel!
Warum wächst denn dieß Grauen und muß mir einfallen, wie Faust in der Helena, die ihm der Teufel zuführt, ein Gerippe umarmt?
Habe den griechischen Einladungsbrief wieder gelesen. Wo war meine Nase? Zur Lust locken hart am Grabesrande des väterlichen Freundes? — Und sollte er, er sterbend sie an mich —, ist's glaublich, wenn ich mich gewisser Blicke — doch nein, diese Mißgeburt stoße aus, mein krankes Hirn! — Aber der Brief! Ein Geflicke aus Lappen der Sapphobruchstücke! —
Mit ihrem Griechisch ist es auch so weit nicht her, als ich meinte. Dyring und Arnhelm haben ihr immer geschickt nachgeholfen.
[]Diese anhaltende alte Angst kommt wieder, diese Zusammenschnürung der Herzgrube.
Ich meine immer, ich müsse ihr recht fürchterliche Predigten halten und dafür solle sie mich recht küssen. Vereinigter, gleichzeitiger Kußregen und Ohrfeigenregen — so steht's hier um's Wetter, dieß wäre meine Losung.
Könnte jetzt mit andern Versen aufwarten.
Soll ich's ihr zum Lesen geben?
Ensetzlich! Unmöglich! Und doch! — „So war ich mit ihm.“
Mit dem Platolehrer! — Sind mit dem Knaben Arnhelm zwei gleichzeitig, drei so gut als gleichzeitig! []Denn daß sie mit dem jungen Schöngeist auch „so war“, wie könnt' ich noch zweifeln! — Und hingesagt hat sie's leichtweg, als verstände sich's nur so von selbst!
Wirklich, er hat's angenommen. Er muß arg hungrig gewesen sein, der Köter. Mir ist zu Muth, als nähme kein Hund mehr ein Stückchen Brod von mir an. Der wenigstens verachtet mich doch nicht. Bäume, Berge, Schornsteine grinsen auf mich her, Wasser blinzeln nach mir her und sagen: uns eckelt an dir!
Sie niederstoßen? — Ein Weib? — Daß ich ihn erreichen könnte — das Messer bis an's Heft in die Brust und zwölfmal darin umdrehen! — Einen Dolch muß ich mir doch anschaffen — einen schönen, spitzen, langen, recht blank — nur öfters ansehen und denken —
Lachst du, Heuchlerfratze? Verkreuchst dich in deinen Fuchsbau drunten und kicherst herauf? Wart, wart, Larve, man kann auch einen Todten — — Mein Gehirn siedet, — es rieselt mir so oben herüber — []Schatten, Wolken — auch der triefende Schweiß zurückgetreten, in dem ich von ihr fortstürzte — hinaus in den Sturmwind — verkältet in's Mark hinein — böse, böse Mischung —
Hier ist es, wo die Blätter des Tagebuchs auf eine lange Lücke schließen lassen. In diese Lücke tritt, was ich von Mac-Carmon in Wasen vernommen habe. Ich lasse ihn sprechen.
„Mein Schwiegersohn Erik lernte A. E. kennen auf einer Bärenjagd in den Jostedalsgebirgen und behandelte ihn als Arzt, da er verwundet wurde. Er schien auch in der Seele wund, — sie kamen sich im Austausch ziemlich nahe, doch nur aus hingeworfenen einzelnen Worten konnte Erik auf eine Verstörung schließen, deren bestimmtere Ursache ihm undeutlich blieb; einige abgebrochene Reden, die er in der Phantasie des Wundfiebers hervorstieß, legten aber den Schluß auf eine schwere Erfahrung mit einem Weib nahe.
„Erik kehrte nach Bergen zurück, wo er sich niedergelassen. Von A. E. wußte er nur, daß er sich Drontheim zugewendet. Ein paar Monate waren vergangen, da glaubt er Nachts beim Schein einer Laterne A. E. zu erkennen, der in wildem Laufe []keuchend an ihm vorüberstürzt. Er vernimmt ein heiseres Fluchen, von Husten und Niesen seltsam, fast komisch unterbrochen, und erinnert sich, daß A. E. öfters über Neigung zu katarrhalischen Affektionen geklagt hatte. Der kurze Lachreiz vergieng ihm, als er im Nachschauen etwas wie einen Dolch in der Hand des nächtlichen Springers funkeln sah. Er kann noch wahrnehmen, daß die dunkle Gestalt einem Hause zueilt, das vereinzelt an einem Kanale des Hafens steht; er sieht Jemand aus dem Hause treten, A. E. den Begegnenden anhalten, er meint zu beobachten, wie er den blinkenden Stahl gegen ihn hebt, dann aber den Ruf zu vernehmen: ‚Nein, nicht dir!‘ Verworrene Laute gedrängter Bewegungen lassen auf ein Ringen der Beiden schließen, es folgt ein platschender Schall, wie wenn ein Körper in's Wasser fällt, Erik ist inzwischen näher gekommen, sieht einen Schwimmenden sich an die gegenüberliegende Kanaltreppe durcharbeiten, A. E. aber in dem Hause verschwinden. Es war ihm nicht unbekannt, daß hier eine durch Schönheit und Geist ausgezeichnete, aber von dunkeln Gerüchten umsponnene Dame wohnte; er bemerkt Licht in den Zimmern zu ebener Erde; nach wenigen Minuten hört er hinter den Fenstern einen Schrei, einen dumpfen Fall, kurz darauf stürmt A. E. aus der Hausthüre und sinkt nah an der Schwelle zu Boden. Er beugt sich über ihn, befühlt ihn, kann kein Blut []entdecken; ‚Nichts, nichts!' hört er ihn hauchen. Er läßt vorerst von ihm ab, denn ohne Verzug muß erkundet werden, was im Hause geschehen ist. Erik tritt rasch ein, sieht eine Thüre offen, aus welcher Helle dringt, und im Zimmer eine weibliche Gestalt am Boden liegen; eine Dienerin ist um sie beschäftigt, Erik bemerkt einen Dolch am Boden und ruft: „Hier ist ein Mord geschehen!“ Bei diesem Laut erwacht die Hingestreckte und stöhnt: „Kein Mord! kein Mord! Schweigen! Um Gottes willen, geheim halten!“ Die Dienerin stottert hervor, sie sei dem Hineinstürmenden nachgedrungen, habe noch gesehen, wie er unter wilden Ausrufungen, die sie nicht verstanden, der Herrin einen Dolch an den Kopf schleuderte, dann sei er fortgestürzt. Erik nahm den Dolch auf, es war kein Blut an der Klinge, aber mit Grausen warf er ihn weit von sich, als er näher hingesehen hatte. An der Stirn der Dame glaubte er eine kleine Ritzwunde zu bemerken. Er eilt nun, sich des Ohnmächtigen anzunehmen, bringt ihn durch Benetzen mit kaltem Wasser aus dem nahen Brunnen zu sich und schafft ihn, halb führend, halb tragend, in seine nahe Wohnung, wo er, entkleidet, auf ein Bett gelegt, verworrene und doch nur zu verständliche Worte fiebernd herauszustoßen beginnt. ‚Unter die Erde verschlüpft, Plato? — Man findet dich!' — Hier fieng er an mit den Händen Bewegungen zu machen, als hiebe und scharrte er mit []einer Haue. — ‚Haben wir dich? — Grinsest du? Höhnst mich? Ziehst du die halbverwesten Lippen in Fältchen zusammen und pfeifst mich aus? Her die Brust, woran sie gelegen! — So! So! — schon ziemlich weich! — Pfeifst wieder, loser Schalk? Auch aus der Brust?‘ Der Phantasirende rührte dabei die Arme, als stieße und wühlte er, und brach dann in ein entsetzliches Gelächter aus. Nun sah man seine Arme und Beine zucken wie die eines Schlafenden, dem man anmerkt, daß er zu laufen träumt, auf einmal bäumte er sich auf seinem Lager, schien gewaltsam zu schütteln, dann wie mit einem heftigen Ruck etwas feindlich Umschlingendes hinwegzuschnellen und man hörte die Worte: ‚Da, kühl' dich, Jesuit!‘ Es folgte eine Pause, dann keuchte er hervor: ‚Erschrickst, Sappho? — Nur keine Angst — da hast deinen Plato!‘ Er hatte dabei den Arm wie zum Schleudern gehoben, ließ ihn schnell wieder fallen und sank nun mit schweißbedeckter Stirne matt in die Kissen zurück.
„Am frühen Morgen ließ Erik den Kranken wohlverwahrt in dessen eigene Wohnung schaffen, kehrte das Nöthige zu seiner Pflege vor und eilte dann zuerst auf den Kirchhof. Hier fand er den Todtengräber in starrem Staunen vor einem aufgewühlten Grab stehen, darin einen offenen, sichtbar zerschlagenen Sarg und im Sarg eine Leiche mit zerrissener, breitklaffender Brust. Er vermochte den Mann zu über []zeugen, daß es ein gutes Werk sei, diese That eines Wahnsinnigen geheim zu halten; er glaubte in dem Einen Falle kein Unrecht zu thun, wenn er seine Gründe mit einer Summe Geldes unterstützte, die dem bedürftigen Mann eine Wohlthat war und Niemand ein Uebel brachte. Während der Beschenkte sich schnell an die Arbeit machte, das Grab wieder zu schließen, eilte Erik in das Haus, wo der grasse Auftritt vorgefallen war; er fand die Dame im Fieber, die leichte Stirnwunde erschien etwas entzündet, er rieth ihr dringend, sogleich den eigenen Arzt herbeizurufen und ihm das Vorgefallene nicht zu verhehlen, er versicherte sie, daß er selbst für Wahrung des Geheimnisses gesorgt habe und weiter sorgen werde; die Kranke suchte ihn festzuhalten, Geständnisse schienen auf ihren Lippen zu schweben, aber er konnte und durfte nicht verweilen. Erik hatte in diesen Tagen Alles zu einer Uebersiedlung nach Christiania vorbereitet, wo durch Abgang eines gesuchten Arztes ihm eine ungleich bedeutendere Praxis in Aussicht stand. Es war keine Zeit zu versäumen, der Zweck forderte dringend seine baldige Abreise, es gab viel zu thun, Anordnungen schnell abzuändern, die vor Kurzem noch unter andern Umständen getroffen waren. Erik hatte eben um diese Zeit seine Braut in Edinburg abholen wollen. Ich selbst mußte ihm unter diesen Umständen rathen, davon abzustehen, ich beschloß, meine []Tochter nach Christiania hinzubringen und die Hochzeit dort zu feiern. Und in diesem Momente war dem edlen jungen Manne die Pflege jenes Unseligen aufgebürdet! Er konnte, er wollte ihn nicht im Stich lassen, zu tief bewegte ihn dieß dunkle Menschenschicksal. Auf der andern Seite, da er denn einmal die Fürsorge für ihn wie eine Pflicht fühlte, war die Sachlage doch auch nicht ungünstig zu nennen, da ihr Drang zugleich das Mittel der Rettung aus drohenden Gefahren darbot; zwar daß der unfreiwillig Gebadete ausschwatzen werde, war offenbar nicht zu befürchten, aber wer konnte bürgen, ob von anderer Seite das Geheimniß bewahrt bleibe? Ob dem Todtengräber nicht ein unvorsichtiges Wort entfalle, ob sich die verstörte Dame nicht selbst, ob der Kranke sich nicht verrathe, wer wissen, wie der andere Arzt, den Erik nicht kannte, im Gewissenskonflikt sich entscheiden werde? Aufwühlung eines Grabes, Vergehen an einem Leichnam, — die Behörden mußten thätig werden, ein allgemeines Aufsehen mußte entstehen und die unheimlichen Folgen waren nicht zu überschauen. Besser konnte nicht vorgebeugt werden, als wenn man den Mann, auf den vor Allem das allgemeine Aufsehen sich werfen mußte, den Thäter, den Kranken hinweg, weit hinwegschaffte — aus den Augen, aus dem Sinn!
„Erik fand ihn, als er nach wenigen Stunden ihn besuchte, ruhiger, meist schlummernd, doch stark fiebernd, []ein Typhus war sehr zu befürchten, trotzdem war es nicht allzu gewagt, ihn zu Schiffe fortzubringen, die Seeluft konnte sogar heilsam wirken; rasch wurden die Vorbereitungen getroffen, die Abreise bewerkstelligt, das Wetter war schön und versprach, es zu bleiben; wirklich begünstigte es die Dampfschifffahrt um die Südspitze der Halbinsel und ohne störenden Zwischenfall wurde Christiania erreicht. Für Unterkunft und Pflege des Kranken konnte ausreichend gesorgt werden, ein Nebenhaus der Wohnung, die Erik bezog, bot passenden Raum und ein verschwiegener Krankenwärter wurde bald gefunden. Sehr glückliche Umstände! Denn jetzt brach das befürchtete Nervenfieber aus, furchtbar schüttelte es den Unglücklichen und entsetzliche Phantasiebilder jagten sich in seiner Seele. Er glaubte, das falsche Weib als Drachen über Eisberge zu verfolgen, mit ihr vom Rjukansoß durch Felsschluchten in's Innere der Erde hineingeschlagen zu werden, er verwechselte sich mit der mishandelten Leiche und glaubte, Goldrun wühle mit dem Dolch in seiner Brust, dann träumte er wieder von der Sognebucht, vom Baldurshag, seine Ausrufungen ließen auf beseligende Bilder schließen, aber schnell vertauschte sich die Bucht mit dem Tindsee, er sang Verse von Olaf, den die Meernixe verführt, plötzlich sah er sich von einem Ungeheuer der Tiefe verfolgt, rettete sich auf ein Schiff, fuhr als Vikinger hinaus in die Welt, er ließ Schlachtrufe vernehmen, []er glaubte verwundet niederzustürzen, er röchelte wie ein Sterbender. Endlich traten die ersten Symptome der Genesung ein, Erik hatte von Anfang an vertraut, daß der gute Schatz männlicher Kraft in seiner Natur die starke Krankheit besiegen werde. Doch drückte ihn eine dunkle Sorge: er befürchtete Schlimmes von dem Moment, wo mit der völligen Helle des Bewußtseins die Erinnerung des wirklich Geschehenen sich einstellen müsse. Nur zu begründet war die Besorgniß; die schwachen Versuche, dem Fragenden die Wahrheit zu verhüllen, konnten nicht vorhalten, die tagende Besinnung fand den Weg zum Ausgangspunkte seines Leidens, die kaum erstarkenden Nerven hielten die Erschütterung des furchtbaren Lichtanbruchs nicht aus: der Rückfall war da. Erik's Kunst und Sorgfalt hat auch dieß überwunden; doch nicht allein — ihm stand jetzt eine Gehülfin zur Seite. Es war seine junge Frau, es war meine Tochter Cordelia. Ich hatte mein liebes Kind dem Harrenden herübergebracht. Auf einen dunkeln Grund war nun freilich das junge Glück der Neuvermählten gesetzt. Aber nur um so reiner strahlte der Edelstein dieses braven Gemüthes. Sie war eingeweiht, hatte geschaudert, begriffen, verziehen, denn das Element ihrer Seele war das Mitleid. Von den Tagen an, wo der Kranke wieder bei klarem Bewußtsein war, aber noch sehr matt niederlag, machte sie tägliche Besuche bei ihm im Nebenhaus. Es war zu []erkennen, daß diese Besuche höchst wohlthätig wirkten, und früher, als man gehofft, konnte er als genesen betrachtet werden.“
Mac-Carmon wußte mir von A. E. des Weiteren nichts zu erzählen, was nicht auch aus dem folgenden Inhalt des Tagebuchs zu entnehmen ist, der den Leser in die Lage setzt, vom Innern aus zu sehen, was sich ferner begeben hat, die Dinge in der Beleuchtung zu erblicken, die von der Seele des Erlebenden ausgeht.
Es bleibt mir als Zwischenredner nur noch übrig, zu sagen, daß indessen der Winter weit vorgerückt, der Februar des Jahres 1848 über die Hälfte verflossen war, und daß ich von Mac-Carmon zum Schluß auch über das Ende der Urheberin so großer Leiden noch Kunde erhielt. Bei einer Begegnung mit dem Arzte in Bergen, der sie behandelte, erfuhr Erik, daß sie kurz nach jener Nacht an Blutvergiftung gestorben, daß es gelungen war, die wirkliche Natur ihrer Krankheit und ihrer Ursache, sowie den ganzen Hergang geheim zu halten, und daß sie neben dem Manne begraben lag, dem die Raserei einer empörten Seele die Grabesruhe gestört hatte. Und nun mag denn das Tagebuch wieder sprechen.
Hat sich der Himmel über mir geöffnet? Ist aus goldenen Höhen ein Engel niedergeschwebt in's Thal []der Fieberträume, in's Land des Bangens und der Folterqual? — Ich erwache vom Schlummer. Weiche Hände an meinem Haupt, ein feuchtes Tuch auflegend, ich fühle so eine sanfte Kühle um meine heiße Stirn —, über mich gebeugt eine schlanke Gestalt — flüstert mir zu: „Stille halten, ruhig bleiben, fortschlummern“ — sie geht hinweg — mit Schritten — nicht Schritten — berührt sie den Boden? — Mildes Dämmerlicht im getäfelten Zimmer, gedämpfter, warmgelber Schein der Abendsonne —
Ich nickte wieder ein — seliger Traum — Traum wie Raphael's, als er seine Sixtina träumte — Augen weich beflort, — in beschatteter Höhle aufdämmernd, — so menschlich gut und so fremd himmlisch — sagen — was sagen sie? Das faßt kein sterblich Wort, das nennt keine Zunge, wie es dort ist in jenen Gefilden — selig — Gefilde der Güte, des Friedens — so sagen diese Augen. Was stammle ich? Wer bin ich?
Es ist ein Wesen von Fleisch und Blut. Erik's junges Weib, und heißt Cordelia. Er hat sie an der Hand mir an mein Qualenlager geführt. Da ist mir wieder Alles eingefallen — „Ja, ja! — berührt mich nicht,“ rief ich, — „mir keine Hand — in die Hölle []zu den Teufelsfratzen gehöre ich — grausen soll euch vor mir“ — „Cordelia,“ sagt Erik, „leg' ihm die Hand auf die Stirne“ — sie thut es, läßt sie über meine Locken gleiten, — da fällt mir König Lear ein — träumend, nur halb bewußt, halb kindisch — erwachend im Arm seines guten Kindes — hat große Thorheit, schwere Schuld begangen, viel gelitten, in Sturmnacht umgewüthet, all' seiner Würde vergessen in Wahnsinn getobt — und jetzt gebettet in Kindesliebe, sanft gepflegt, zu ihm geneigt die Gute, die Reine — läßt seine armen Locken durch ihre weichen Finger gleiten —
Und ihre Stimme „sanft, mild und leis, ein köstlich Ding an Frauen“.
Gestern kommt sie mit einem Zeitungsblatt; „Erik schickt's Ihnen,“ sagt sie. — Was? Die Welt in Flammen? Sturmbrausen von Frankreich herüber? Deutschland aus dem Schlaf geweht — SchleswigHolstein will frei werden, deutsch —
„Einhart,“ sagt sie, „Sie sollen leben, es gibt zu thun!“
Ich Elender, ich hatte nur an mich gedacht — mein Vaterland vergessen! Hab' Alles verdient — []Abgrund von Schuld! Auf nun — da büße, da kämpfe, da arbeite — da ist die Heilung!
Ich erstarke, ich darf bald fort!
Hamburg. Schwerer Abschied! — Von Cordelien noch ein reiner Kuß. Meine Lippen sind entsündigt! — Nicht Schmerz brüten! Morgen hinüber!
Krusau bei Bau. Dank den ewigen Mächten im Himmel droben! Es geht los! Wir sind noch schwach, können die Preußen nicht abwarten — sei's drum, der Himmel wird weiter helfen!
Kleines Gefecht bei Hökkerup, der Feind aus Rinkenys vertrieben. Zwar kein Gewinn, der kleine Sieg kein guter Anfang, der Feind im Vortheil frischer Rachwuth. Großer Fehler, den selbst ein Laie in der Kriegskunst leicht erkennt, Freiwillige, Ungeübte hier als Vorhut auf so wichtigem Posten auszusetzen: Studenten, Turner, ungenügend bewaffnet, dabei nur eine Handvoll Linie. Der Feind zur starken Uebermacht ein Regiment Reiter und die Kanonen der Kriegsschiffe dort im Hafen, — werden hübsch drein fegen. Sei's auch darum! — Ich darf mich nicht anlügen, daß mir das Herz nicht klopfe, aber was ist []dieß bischen Angst gegen jene Geisterbangigkeit drüben, so lang ich in den Banden war! Etwas Beklemmung vor Fleisch und Blut, was will das heißen gegen die Seel' und Leib zusammenschnürende Gespensterangst! Und wie viel leichter zu bezwingen! — Ich will mich gut halten. Sie haben mich zum Offizier gemacht, habe das Mögliche gethan, sie einzuüben, zu ordnen. Meine alte Vorliebe zum Soldatenwesen kommt mir jetzt zu gute.
Kiel. Unsichere Züge, sichtbar mit der Linken geschrieben. Anm. d. Herausg. Wieder einmal ein Koboldstreich der Dämonen. Ich hatte den Kerl so richtig auf's Korn genommen, muß mir der gute Stutzen versagen! — Kann eben noch den Säbel ziehen und pariren, doch der Pallasch ist stärker und nun mit dem zerhauenen Arm unbrauchbar! — Doch was will mein kleines Leiden sagen — da lagen sie, die Blüte des Landes — hingemäht! Ich hatte Freunde gewonnen in den wenigen Wochen. Dieser Karl, ein Jüngling wie ein Siegfried, da sank er neben mir, reicht mir noch seine Büchse, da er den Dragoner auf mich herjagen sieht; sein letzter Blick, im Tode brechend, ich werd' ihn nie vergessen.
[]Trost, die Preußen sind da, Wrangel dringt vor. Mein Urlaub zu Ende, jetzt beruhigt heim! Mit dem Blut in Bau ist mir aller alte Wahnsinn ausgeflossen. Das Hirn ist kühl geworden. Aber die versagende Büchse! Gibt zu denken — Zufallsteufel.
Wieder im Amt. Stete Arbeit. Wohlthat! Wenn ich nur nicht zusehen müßte, wie die Narrenapostel den Pöbel berauschen und wie sie die schöne Saat eines neuen Staatslebens verwüsten!
Waffenstillstand von Malmö. O Pfuhl der Schmach! — Darüber Barrikaden in Frankfurt — schnöde Mordthaten des Gesindels — niedergeschlagen — und das ist der Todestag der großen Bewegung. — Wär's der Sinn, der über den Unsinn gesiegt!
Hier unter den Leuten, man kann kein Gespräch mehr führen. Die Menschen wissen nur von Partei, und keine versteht die andere. Ich fasse mich am eigenen Nasenzipfel. Neulich hörte ich Einen husten, und zwar auf sonderbare Art. Ich ärgerte mich. Er darf husten, aber er soll husten, wie ich huste. So ist es auch mit Speisen. Da ißt Einer ein Gericht, das ich nicht []mag, und mit Appetit. Esel! denke ich und spüre Lust, ihn zu injuriren. In einer sehr soliden Wirthschaft auf dem Lande ward neulich der Wirth sehr unangenehm, da ich sein Sauerkraut nicht mochte, das er mir höchlich anrühmte. — Wenn es nun so steht mit sonst leidlich vernünftigen Menschen, wie kann man sich verwundern, daß vollends Halb- und Ungebildete sich nicht in den Andern versetzen können? Da diese Kunst, sich in die Menschen versetzen, so selten, so schwer ist, wie begreiflich der blinde Haß, die Extremreiterei der Parteien! — Wenn sie nur nicht so schädlich wären!
Die hab' ich doch gekriegt! Spitzbubenrotte mit kommunistischen Führern. Von Katzenmusiken nach und nach zu Diebstählen, Einbrüchen. — Dem rothen Peter die Pistole aus der Hand — geht mir an der Nase los. Gut gelungen, Alle eingethan. Zu meiner Erbauung im Heinrich VI. den Aufruhr von Hans Cade wieder gelesen. Wie wahr!
Die Zeit wird stiller. Kann wieder mehr lesen. Muß auch, denn in der Welt steht's so, daß ich gar nicht hinsehen mag. Kehre zurück in dich! Ich hoffe, wieder ganz zu mir zu kommen. Nur von Zeit zu []Zeit ein Schwindel in der Seele, da ist mir, als fiele ich in den Tindsee. Dann kann ich nicht fortarbeiten. Ich muß noch ein Ablenkmittel haben. Aeltere Liebe, Thierwelt.
Hund eingethan; Pudel. Lustig und doch sehr rationell. Gutes Vieh. Rührend. Wie viel wedelt doch so ein Hund den Tag über! Wenn man bedenkt, daß jedes Wedeln eine heitere oder wohlwollende Empfindung ausdrückt, wenn man dann beobachtet, wie oft ein Hund wedelt: wie viel Herzensfreude, wie viel Menschenliebe, Güte zieht also den lieben, langen Tag durch so eine Hundeseele! Auch wie viel Humor, denn das Wedeln ist ja auch Surrogat für Lachen. Unendlich merkwürdiges Supplement für Mienenspiel, psychographischer Schwanz.
Merkwürdig, doch ganz konstant stehender Zug: wenn ein Hund in große Freudenbewegung geräth, wenn er z. B. im höchsten Entzücken auf den ersehnten wiedergefundenen Herrn losstürzt, muß er mitten im Sprung einhalten und sich kratzen. Dieß kann erklärt werden
Welche Erklärung ist die tiefere, a) oder b)?
Verhalten des Hunds, wenn ihm ein Fremder lockt. Da sieht man die Charaktere. Der eine folgt und schmeichelt: Kalfakter — schlecht. Der andre fletscht die Zähne, brummt, beißt sogar: Charakter, aber unschön harter Charakter. Ein dritter, und das ist der gute Hund, bleibt sitzen, wedelt ganz schwach und flüchtig und blinzt den Fremden an mit einem Blick, der höchst verständlich sagt: bedaure — könnte vielleicht ein ganz angenehmes Verhältniß werden — habe aber schon einen Herrn — bedaure wirklich. Dieß ist der schöne Charakter, Würde mit Anmuth; so ist mein Pudel.
Goethe's Hermann und Dorothea wäre ein Dichtwerk, dem man das Prädikat der Vollkommenheit zuerkennen müßte, wenn nicht Eines darin fehlte: ein Hund. Gehört doch gewiß in ein Idyll. Goethe konnte aber bekanntlich die Hunde nicht leiden. Hätte []er sie gern gehabt und selbst einen gehalten, so wäre gewiß seine spätere Poesie natürlicher geblieben und namentlich sein zweiter Theil Faust nicht so ganz fleischlos ausgefallen.
Wenn ein Hund seinem Herrn oder einem Freunde seines Herrn sich bemerklich machen, seine Anwesenheit ihm anzeigen möchte, kann aber nicht beikommen, weil der ihm den Rücken bietet, so stupst er ihn ein Weniges mit der Nase an die Wade. — Mit seinem feinsten Organ. Wie zart!
Wieder viel geärgert. Das Objekt stellt mir doch wieder sehr nach. Ein Aktenstück hat sich ruchlos verkrochen, — verzweiflungsvoll gesucht — umsonst. Katarrh mit drei Tagen ordentlichem, dann sechs Wochen latentem, von keinem Arzt zugegebenem Fieber. Sonntags auf's Land. Mich doch sehr aufgeheitert über einem Bock. Etliche Buben fahren auf einem Reiberschlitten den Hügel am Pfarrhaus hinunter, mit großem Hallo, pfeilschnell, sitzen unten ab, ziehen den Schlitten wieder hinauf, dann wird wieder hinabgerutscht und so fort. Ein großer, schöner Bock dabei, der sich ganz zur Gesellschaft zählt; wenn's allemal wieder losgeht und die Buben jauchzen, springt er hoch, steigt und schlägt zugleich aus wie []ein Pferd und meckert. Das heitere Bild hat mich ordentlich aufgerichtet. Die Hausthiere rechnen sich ganz zu den Kindern.
Und kaum wieder da, Montag, so fängt der schnöde Schabernak wieder an. Amts- und Studirzimmer, Alles happert, zwickt, klemmt, klebt den ganzen Tag und Abend. Ein Glas, ein Plättchen, worauf meine Tasse, dann meine Lampe, begehen hinter einander dasselbe Bubenstück, sich nicht schieben zu lassen; pappen fest, es braucht stärkeren Druck, darauf lauert das Teufelspack, fällt um und schüttet seinen Inhalt auf meine Papiere. — Sind mit der niedrigen, giftigen Reaktion in der Welt draußen auch die Privatteufel wieder ganz los? — — Alles, Alles rings um mich wie die versagende Waffe im Gefechte bei Bau und — o Symbolik! — stille!
Das darf ich doch auch sagen: wer nicht intensiv arbeitet, hat gut predigen über Geduld mit den kleinen Hindernissen. Wer nur mit halbem Willen an die Arbeit geht, nicht ganz dabei ist, den macht das Härchen in der Feder, der Tintenfleck, das Verkriechen nöthiger Blätter, das Uebereinanderrutschen aller Papiere nicht wüthend, er verliert darüber keinen Gedanken []zusammenhang. Ja, es ist ihm wohl gerade recht, denn er kann sich anlügen, das Mühen mit diesen knirpsigen Dingen, das Zupfen, Nörgeln, Krabbeln und Zappeln sei auch gearbeitet.
Abends in der Dämmerung, da kommt's über mich. Die Nerven werden ruhig. Oft fühl' ich's wie ein zartes, lindes Wehen. Frieden. Sie erscheint mir, beugt ihr Haupt über mich, blickt so himmlisch gut, kühlt mir die heiße Stirne. Erinnerung! — Aber ich darf nicht, darf ja nicht oft, nicht zu innig mich hineingeben, — ach, es könnte Sehnsucht werden und darf ja nicht! — Trauerst du mit mir, Himmelsbild, daß es so gekommen im Vaterland, daß ich dafür, dafür mein Blut vergossen?
Schwarz zu sehen, dazu hätte ich ja wohl Grund genug. Das erleben! Und ich meine nicht das Aergste, Sturz in den Abgrund, in's Dämonenreich. Da war ich schuldvoll, — obwohl doch auch ein wenig, wenig entschuldbar: warum? mag's mir selber nicht nennen. Und mein ganzes Leben der ewige Schund, Marterkampf mit den teuflischen Zwerggeistern des kleinen und doch so furchtbar großen Uebels ist doch auch ein Abbüßen. Es muß ja ein Nest irgendwo geben, wo []sie brüten, von wo sie ausgehen. Muß weiter nachdenken; jetzt ernstlicher an meine neue Mythologie gehen. Dunkler Naturgrund, dort die Eier. Haß gegen den Menschen, weil er über die Natur aufsteigt, lichte Ordnungen gründet, Lichtreich. Dort muß es liegen. Richtig. — Nun mein Amt. Polizei üben ist ein gar enttäuschendes Thun. Könnte den Pessimisten noch viel Stoff liefern; hab' oft Eckel an den Menschen, an Allem; aber sintemalen ihr Stoff ist, ist die Polizei eben auch. Ich arbeite, und nicht wie ein Karrengaul, ich arbeite gern. Ich bringe nicht so viel vorwärts, als ich will, aber ich bringe nicht Nichts vorwärts, sondern Etwas. Es wird besser in meinem Amtskreis, ich nütze. Dieß ist Wesen und so lebe ich im Wesen.
Hab' auch oft über das Nichts geträumt, aber es ist nichts mit dem Nichts. Es kann nicht Nichts sein, das Nichts kann nicht sein. Zu: Nichts kann man nicht setzen das Verbum: sein, außer wo man von einem bestimmten Einzelnen, das war oder zu sein scheint, auszusagen hat, es sei Nichts mehr oder Nichts. Weil nicht Nichts sein, weil das Nichts nicht sein kann, darum, einfach darum ist die Welt. Zu dem Begriffe des Nichts gelangt man anders nicht als an der Springstange des Seins. Irriger Weise auch an der Stufenleiter des Seins, absteigend nämlich. Man geht []von entwickelteren Wesen zu ärmeren, einfacheren herunter bis zum einfachsten, dem unorganischen Stoff, und unter diesem, meint man, einmal in's Niedersteigen hineingekommen, sei das Nichts. Da ist auch die Verwirrung des Zeitbegriffs, während Schopenhauer doch im Uebrigen die Zeit als bloßen Schein erkennt. Zuerst sind die Weltkörper entstanden als feuerflüssige Kugeln, ihre Oberfläche ist erstarrt, bewohnbar geworden, es wurden Pflanzen, Thiere, niedrige, immer höhere, bis zum Menschen, da kam Empfindung, in diesem höchsten Wesen Geist. Darüber vergißt man zwei Dinge: daß, wenn auf der Spitze der Geist ausschlüpft, er irgendwie zuunterst als künftige Möglichkeit schon stecken muß; ferner, daß unser Präteritum unwahr ist. Vergangenheit und Zukunft finden lediglich keine Anwendung auf das Weltall. Muß die aufsteigende Bewegung vom sogenannten Stoff zum Höheren und Höchsten immer gewesen sein (auf andern Planeten) und immer bevorstehen, wiederkehren, so fällt das Vorher und Nachher weg und ist ewige Kreisbewegung. Es wird noch kommen, daß der Nihilismus aufstellt, die Welt werde sich zurück in's Nichts auflösen; folgt, daß sie auch in der Zeit einst aus dem Nichts entstanden sei, — eine Vorstellung, so roh und kindisch, daß sie in keinem Hirn auftauchen sollte, das nur zwei Minuten lang philosophisch denken gelernt hat.
[]Gleich kindisch ist es, dem Universum das Prädikat schlecht beilegen. Was absolut, was nothwendig ist, steht unendlich über Gut oder Schlecht. Das Universum ist, weil es ist, und ist so wie es ist, weil es so ist. Das Prädikat gut oder schlecht ertheilen wir, indem wir unsern Standpunkt über und außer dem Gegenstand nehmen und ihn mit andern Gegenständen vergleichen. Wir können aber aus dem Universum ja nicht hinaus, es gibt kein Universum neben oder über demselben, auf das wir uns stellen und das Universum abschätzen könnten. — Ich kann mein Vaterland verlassen und die Welt sehen, ich kann sie auch durch Bücher kennen lernen und ich gewinne so einen Standpunkt über meinem Land und seinen Leuten, zu denen ich selbst gehöre und mit denen ich vorher unkritisch und selbstzufrieden in der Masse dahinschwamm, so daß ich sie nun einer Schätzung, einem Urtheil unterwerfen kann. Aber aus dem Universum kann ich nicht fortreisen, kann nicht andere Universa durch Bücher kennen lernen, kann es aus keiner Vogelperspektive sehen. Davon gar nicht zu reden, wie winzig der Theil des Einen und einzigen Alls ist, den ich übersehe. Gibt es nun da neben dem, was wir gut nennen, Vieles, was wir übel nennen, was kann ein vernünftiger Mensch Anderes dazu sagen, als: ich übersehe zu wenig, um die Summe zu ziehen, und da das Universum nothwendig ist, so wie es ist, so wird []es auch recht sein. Recht: das heißt gerichtet nach absoluter Richtschnur.
Ich hab', glaub’ ich, schon einmal in diese Blätter geschrieben, dem Pessimismus gehe ein verborgener Rest von Theismus nach. Sie wollen sich’s nicht gestehen, daß sie den Kinderbegriff von einem Gott nicht los werden, der zwischen verschiedenen möglichen Welten wählte. Das beweist eben ihr Schlechtfinden „dieser“ Welt. Gut oder schlecht kann im Grunde nur sein, was Jemand gemacht hat. Die Welt kann nicht gemacht sein, weil die Kategorie Kausalität nur innerhalb des Ganzen, nicht für das Ganze gelten kann. Was von selbst ist, ist weder gut noch schlecht, sondern nothwendig. Es kann Einzelnes im Naturreiche für mich gut oder schlecht sein, aber nicht vom Naturreiche bloß (gegenüber dem moralischen Reiche) spricht man, wenn vom Universum die Rede ist und man es nothwendig nennt, sondern vom Ganzen. Wer dieß Ganze tadelt, der meint, es sei ein Machwerk. — Eine gute Arznei gegen die Uebel darin oder eigentlich gegen die Klage darüber ist und bleibt Beyle’s Satz: ce qui excuse Dieu, c'est, qu'il n'existe pas. Uebrigens war der Taugenichts Beyle ein Narr, der trotz diesem guten, echt religiösen Wort einen persönlichen Gott glaubte und haßte wie der Krämer von Brackniz.
[]Nun aber ist die Aufgabe, in dem, was ist, zu unterscheiden, was sich als wesenhaft bewährt und was zwar nothwendig, aber nicht wesenhaft, sondern nur Moment ist, damit Wesenhaftes sein könne. Das vermögen wir. Wesenhaft ist nicht die Materie, das meint ja auch Schopenhauer nicht. Wesenhaft sind die Gattungsformen. Wesenhaft ist die Wissenschaft. Wesenhaft ist die Kunst. Wesenhaft aber auch alle redliche Arbeit. Denn sie ist Arbeit an der sittlichen Weltordnung.
Ob es aber eine solche gibt? Nein, was man so sagt: „es gibt“, das nicht. Das „es gibt“ ist überhaupt, angewandt auf das wahre Sein, das nichts Einzelnes ist, ein Unsinn. „Gäbe“ es einen Gott, so wäre er ein Einzelner, also nicht das Absolute. — Die sittliche Weltordnung ist nicht außer dir. Sie ist nur durch dich. Glaube sie und du hilfst sie — mit allen Guten — machen. Da ist der Glaube die Ursache dessen, woran er glaubt. So ist es mit allem ethischen Glauben: was er glaubt, macht er. Vom Glauben im Sinne der positiven Religion ist hier nicht die Rede, das gehört in ein anderes Kapitel.
So ist es auch mit der Lust. Unser Glaube an Lust macht Lust. Wie kann man also meinen, man []habe die Lust wegdisputirt, so lang man diesen Glauben nicht wegdisputiren kann!
Wie wir Studenten waren, giengen wir einmal draußen vor der Stadt an einer Sumpflache vorüber, worin ein Schöpfkübel mit langer Stange lag. Will sich ein knotiger Bursch den Spaß machen, einem Kameraden rücklings den Kübel über den Kopf auszugießen. Schöpft, hebt hoch und der Inhalt fällt ihm selbst auf den Kopf. So macht's nach den Pessimisten der Weltgeist.
Eier von Lustspielen oder Possen. Ein Onkel will seinen Neffen, lustigen Studenten, der öfters zu viel trinkt, einmal abfassen. Begibt sich in das Wirthslokal, wo die Studenten sitzen, in ein Nebenzimmer, um von da im rechten Moment hervorzubrechen und den Jüngling im Blütezustand seiner Sünde zu ertappen. Trifft Gesellschaft, trinkt, trinkt fort, und endlich findet der Neffe, der in's Nebenzimmer tritt, den Onkel vollständig reif, vom Neffen nach Hause geführt zu werden.
In einer Vorstadt von . . . . . traf ich noch einen alten Briefträger, der halb blind und halb taub war. []Das gäbe Motiv zu mehr als Einem Lustspiel: Liebesbriefe, Schuldbriefe, Scheltbriefe, Amtsschreiben falsch ausgetragen, — benützt von heiteren Schelmen, Intriganten, es steigt ein ganzes Gewimmel von Ansätzen zu komischen Verwicklungen aus dem Samenkorn auf. Wenn ich nur etwas der Art machen könnte!
Junger Mann tritt auf in einem Gasthof. Ist in die Kreisstadt gereist, um seine Scheidung zu betreiben. Sieht am Fenster gegenüber eine reizende Erscheinung. Es beginnt ein Roman auf Distanz während der langen Weile des Prozesses. Zeichen, Briefchen u. s. w. Muß gesteigert, gespannt, auch gelegentlich exponirt werden, daß er kurzsichtig ist. Endlich Zusammenkunft. Die Unbekannte ist seine Frau. Versöhnung.
Ließe sich nicht die Agnes Bernauer noch einmal behandeln? Folgendes gäbe eine hochtragische Szene: Prinz Albrecht ist von Straubing, wo er Agnes im Schloß geborgen glaubt, Ingolstadt zugeritten, mit lustiger Begleitung. Macht Halt bei einem Dorf. Ahnt nichts vom Vorgehen des Herzogs gegen Agnes, vom Hexenprozeß. Selig in seinem Glück, übermüthig. Man zecht im Freien, in der Nähe eines Bauernhofs. An dessen Wand liest Albrecht den Spruch:
[]„Wisch' ab!“ ruft Albrecht einem der Begleiter zu. Dieser sträubt sich — warnt — tiefe Scheue. Der Prinz will ihn zwingen, vergeblich; „verlangt's nicht, Herr! Mir hält ein Geist die Hand.“ Albrecht ergreift eine Hellebarde und schürft den Spruch aus. Im selben Augenblick kommt ein Bote und berichtet, wie Agnes vertränkt worden ist, mit allen grassen Einzelheiten des Hergangs. — Albrecht fällt in Ohnmacht.
Schon gut, aber was helfen mir die ungebrüteten Eier! Ich bringe nichts fertig. Bin ich ein tragischer Mensch? Nein, ich bin ein richtiger Polizeimann. Aber es füllt mich nicht aus. Poesie, Philosophie: bringe nichts fertig. Ich bin ein rüstig marschirender Stelzfußmann.
Ich glaube, mit der bildenden Kunst befasse ich mich noch zu wenig. Meine paar Bilder, Kupferstiche, Galeriegänge auf Reisen in Deutschland genügen eben nicht. Die bildende Kunst ist mir doch so wohlthätig, []weil ruhig, weil ganzes Gegenüber dem Subjekt. Auge, stiller, contemplativer Sinn. Heraus aus mir, aus meiner rings von Brennnesseln zerstochenen Haut, mich in Objekt versenken — anschauen — das könnte calmiren. Musik? Nein. Verstehe zu wenig und so wie ich den Faden des Gesetzes im Tönegewirbel verliere, stellt sich das Auge ein und ich denke nichts als: was haben denn die Kerle, daß sie so reiben, zwicken, kratzen, schlagen, die Backen aufblasen, oder die Sänger: das Maul so aufreißen? Aber wo ich verstehe, da zu pathologisch — Alles aufgewühlt — tief — Herzbangigkeit, Herzgruben-Geisterspannung kommt wieder, der Schwindel, der Tindsee. — Ich muß mich gegen das Gefühlswesen verhärten, mein Auge muß wie Horn werden gleich dem des Odysseus, da sein Hund Argos ihn sterbend noch erkennt.
Es ist hohe Zeit, hereinzuholen, Italien zu sehen. Wenn ich hin könnte! Rom — da sollte Manches in mir sich setzen. Umbrien, Heimath ihrer Mutter, sehen — meiden? Könnten zufällig da sein — oder doch hin?
Ich habe Stiche gesehen nach Pietro Perugino und wenige Bilder von ihm in deutschen Galerieen. Von Raphael's Jugendwerken die Madonna del Granduca, []wo er noch Peruginesk, in — gewiß sehr unzulänglichem — Stich, — welche keusche Holdseligkeit muß im Originale sein! — o diese umbrischen Köpfe! Ich muß doch hin.
Die Alten haben vom Ich, von dem Gespenste des Ich eigentlich noch nichts gewußt. Die Italiener werden auch nicht darüber grübeln. Man wird das also los werden dort? Doch ja nicht so ganz! In dieser Krankheit ist auch Wahrheit! — Fast allgemein unverstanden ist doch J. Paul's Schoppe geblieben, wie ihn das Brüten über das Ich wahnsinnig macht! Es ist eines der tiefsten poetischen Motive dieses Dichters. Nur fehlt in diesem Brüten eine Unterscheidung. Wenn ich so Nachts im Bett vor dem Einschlafen über das Ich nachdenke, fühle ich immer gar gut, wie man darüber wahnsinnig werden kann. Doch nicht eigentlich, daß Ich ist, ist so seltsam, daß es verrückt machen könnte, darüber nachzudenken. Die Natur mußte auf der Spitze ihrer Bildungen den Sprung über sich hinaus machen, daß sie Wesen schuf, in denen sie sich selbst erfaßt, in denen also der Zirkel besteht, daß Erfassender und Erfaßter Eines ist. Aber dieser Ich! Daß es da Einen gibt, der A. E. heißt, der infolge Geburt von diesen Eltern, infolge Vererbung aus unendlicher Ahnenreihe, auf Grund unzählbarer Um []stände so und so beschaffen ist, aussieht u. s. w. — was ist es denn nun mit diesem? Wer ist er? Was thut er da? O, daran kann man gar nicht hin, das ist rein unfindbar, rein nicht zu heben, zu erheben! Warum denn? Nun, weil er eigentlich irrationell, nun, weil es eigentlich nichts damit ist; dieser Kerl, dieser Einzeltropf ist undenkbar, daher ist es nichts Rechtes, ist es nicht geheuer mit ihm, ist er nur ein Schein und daher muß er auch wieder fort. — Wieder auch hier das ungeheure Räthsel der Dießheit!
Ich wäre gewiß gesetzter, wenn es nur nicht so langweilig wäre. — Sitze ich bei Holzköpfen, so reizt mich ihre Fadheit, Langweiligkeit, wichtige Wohlweisheit und leerer Ernst, zu salzen, zu versalzen, zu übertreiben, meine Rede auf alle Art in's Leidenschaftliche zu steigern, um die Klötze zu erschrecken, aufzuregen, aufzuwecken. Natürlich verstehen sie es nicht, meinen, es sei mir Alles ernst, belehren mich, spotten, werden unangenehm.
Cum grano! Cum grano! Cum grano salis! Wie Blutwenige verstehen's! Man kann nichts sprechen, wo sie nicht gleich meinen, es sei Alles buchstäblicher, dicker, blutiger Ernst. Hören die Obertöne nicht; bei einem lebendigen Menschen schwirren ja neben dem []Grundton seiner Worte immer noch Obertöne. Daher, mag er pfeffern so stark er will, es ist nie so schlimm, als es scheint, läßt Luft, Spielraum, hat etwas Unmaßgebliches, etwas Flüssiges, etwas Strahlenstreuendes. Und das verstehen dann die guten Leute nicht, wissen nichts von Hintergrund in der Malerei. Ja, unrechte Nebenbeziehungen suppliren, das können sie, das thun sie gern. So ist auch ihr eigenes Reden entweder ohne allen Oberton oder mit dem falschen der List. — Das führt auch wieder auf die Parteien in allen Streitfragen. Kein Mensch von schwingendem Gehirn hängt niet- und nagelfest an der Hälfte einer ganzen oder der einen Seite einer zweiseitigen Wahrheit.
Fordert es aber Zweck und ernster Augenblick und exakte Bestimmung, so wird kein rechter Kerl die Kraft der Einseitigkeit scheuen.
Noch etwas bereitet mir viel Noth. Wenn ich mich für einen Satz, irgend eine Vorstellung erwärme im Gespräch, so schwebt mir oft ein imaginativer Gegner vor, gegen den ich hitzig werde, mich heftig ereifere, während der wirkliche Mensch, mit dem ich rede, ganz mit mir einverstanden ist, oder, wenn nicht oder nicht ganz, mich dach mit keinem Worte gereizt hat. Das pflegt nun der nicht zu verstehen, bezieht es auf sich, und so — wie oft bin ich mißverstanden worden, wie oft []habe ich ordentliche Leute abgestoßen, von mir entfernt! Die Phantasie thut doch dem Menschen viel Schabernack an! — Sehr oft hält man mich dann auch für betrunken.
Wenn ich mich unter dem Lärm vieler umgebender Gespräche mit Jemand unterhalten soll, wenn ich daher schreien muß, um verstanden zu werden, so erzeugt sich mir sehr oft aus meinem Schreien die Vorstellung, ich habe Streit, und ich muß mich dann sehr zusammennehmen, nicht heftig, nicht beleidigend zu werden gegen ganz harmlose Mitsammenredner.
Uebrigens habe ich kaum je erlebt, daß mein Nachbar in einem von Gesprächen durchschwirrten Lokale mir den Gefallen gethan hätte, die Stimme so weit zu erheben, daß ich ihn verstehen konnte. Mich lassen sie geruhig die Lunge anstrengen und den ganzen Abend fragen: „Was?“ — „He?“ — „Wie?“ — O Sinnenrohheit! Sinnenstumpfheit — !
Nestelt sich da gestern einmal wieder in Gesellschaft Einer an mich an und legt sich mir mit einem Seitengespräch in's Ohr, ja einem subtilen über feine Fragen, die in Stille bedacht sein wollen; vergeblich bedeute ich []ihm auf alle Weise, daß ich bei einem Gesammtgespräche betheiligt bin. Ein andermal ebenso auf der Straße unter Wagengerassel. Und das ist ein im Uebrigen ganz gebildeter Mensch! — Aber es spreche Niemand von wahrer Bildung, der ungebildete Sinne hat!
Einmal wieder bei einem Leichenbegängniß gewesen, im Zuge gegangen; sehr verdienstvoller Mann begraben. Es war wieder, als zöge man mit einer wandelnden Kaffeevisite; man schwatzt, gestikulirt, lacht, man mäßigt nicht einmal die Stimme. Und es sind lauter Männer aus den gebildeten Ständen! Also nicht einmal so lang, nicht einmal, wo es doch gilt, den Ernst des Todes, die Religion des pietätsvollen Andenkens auch nur wenigstens der Form nach darzustellen — auch das nicht! Könnt ihr denn auch absolut nur Ordnung halten, wenn ihr den Stock seht? Ein Beamter gieng neben mir, redete mich immer an und begriff nicht, warum ich ihm keine Antwort gab. Der wird mich nun auch für ein Ungeheuer halten, für einen Schweigtyrannen, während man mich da, wo Sprechen vergönnt ist, für einen Gesprächtyrannen hält.
Auch die besten Todten haben eine Unart, sie ziehen beim Begräbniß gern die Freunde zu sich hin []unter, indem dabei gewöhnlich Zugluft geht, die Leute bei den Grabgebeten den Hut abnehmen müssen und sich verkälten. Wie Unzählige haben da den Tod geholt! — Ich werde testamentlich verordnen, daß man an meinem Grabe während sämmtlicher Bestattungsformen den Kopf bedeckt halten darf. Ein Todter muß nicht anspruchsvoll, muß billig sein.
Ich werde doch oft Menschenfeind, was doch gar nicht in meiner Art ist. Das Misanthropenwesen ist im Grund eine affektirte Geschichte aus dem Zeitalter der Sentimentalität. Es müßte sehr langweilig sein, die Maske festhalten. Einfach unlogisch; ich bin ein Individuum der Gattung, ein so kleiner Bruchtheil, daß ich allein mir doch nicht die Gattung sein kann. Nun trifft man freilich nur allzu Viele, die bloß nominell der Gattung, eigentlich dem Thierreich angehören, aber man soll bedenken, daß man Eins in's Andere rechnen muß, läßlich sein, zuwarten, bis man auf einen Zähler trifft. Es kann nicht lauter Brocken, es muß auch Brühe geben. Schiller's „Menschenfeind“ ist eine gesuchte Macherei. In Shakespeare's „Timon von Athen“ ist's anders, der flieht die Menschen, aber er braucht sie doch immer, um sie anzuwettern und anzufluchen. Dieß ist energische Art.
[]Uebrigens hat man, wenn man es zeitenweis bei den Menschen nicht mehr aushält, die Thiere. Aus meiner Kinderzeit freut mich nichts so sehr, als wie ich eine „Arche Noä“ zum Christtag bekam.
Der Hund — abgesehen vom Amtshund — ist wesentlich und vor Allem Gassenjodel, eben ganz wie ein Bub. Dabei furchtbarer Renommist. Sein Fest ist, hinauslaufen mit dem Herrn, namentlich mit Pferd und Wagen. Er stürzt, wenn's fortgeht, hinaus mit wüthendem Lärm, er thut, als wollte er die Welt zerfleischen, ja, das Kantische Ding an sich zerschlitzen. Hallo! Wir sind da! Hellauf!
Wenn ich mit Caro an einer Wiese vorbeigehe, so springt er hinein, hält, sieht mich an, und jeder Zug, Blick, jede Bewegung sagt: Wohlan denn! Eh bene! Eh bien! — Ich soll mit ihm Fangens spielen.
Höchst komisch ist das Scharren des Hundes, wenn er Wasser gelassen hat. Er vergißt vollständig, warum er es thut, fällt ihm nicht ein, dem Zweck des Zudeckens gemäß zu verfahren; hält sich für ein Pferd, das []ausschlagen kann, und bellt mit großer Prahlerei. Also Zweckbewegung zum reinen Ornamentspiel geworden in großem Unterschied von der Katze, der es Ernst damit ist, rein zu machen.
Die Thiere sind auch sehr eitel. Zeigen, was sie können: fliegen, springen, apportiren, klettern u. s. w. Die Katze folgt dem Herrn, der Frau in den Garten, klettert auf die Bäume und sieht oben herunter: da guck her! mach's nach, wenn du kannst! Kommt ein Besuch, so hüpft sie auf den Sopha zu ihm, schmiegt sich ihm an und sagt mit jedem Zuge: siehst du, das ist nun unsere Stube! und ich gehöre auch dazu. — Pferd, Kuh sogar, wissen sehr wohl, wenn sie aufgeschmückt, bekränzt sind.
Ein ganzes Hauswesen wäre schon recht, aber — aber — wer das erfahren hat! — Und, wenn je ein gut Weib, ob sie meinen Kampf mit dem Objekt verstünde? Und wenn das nicht, wenn wohlweis, welches Elend!
Frauen sind die Schützerinnen der Unlogik. Ohne sie würden die Männer pedantisch. Tausend und tausend Fälle gibt es immer, wo es nicht die Logik, []sondern der rasche oder der warme Blick thut; mit der Logik kann man ja kein Ganzes einholen.
Anders, wo es auf Logik ankommt, da können sie abscheulich werden.
Bist du irgend ein Mensch, der gern nachdenkt, und willst heirathen, so nimm ja kein Weib, außer ein philosophisches. Unter philosophisch verstehe ich hier eigentlich das Gegentheil von philosophisch und doch auch wieder nicht das Gegentheil. Das Weib soll nur so viel des Ahnenden in sich haben, daß sie fühlt: mit Gemeinplätzen ist es nicht gethan. Erwischest du ein Weib — es mag in weltlichen Dingen noch so gescheut sein — in göttlichen Dingen platt rationalistisch (von dumm pietistischen nicht zu reden), so gibt es im besten Fall eine lahme Ehe, wahrscheinlich eine unglückselige. Das Weib wird dir zuerst langweilig, dann nach und nach verhaßt werden. Nun ist aber die Mehrzahl der Weiber natürlich höchst zufrieden mit der geläufigen Lösung des Welträthsels: der liebe Gott hat die Dinge eben so gemacht, Punktum. Und da das Weib äußerst zur Wohlweisheit neigt, ist es auch fähig, einen Mann, der weiter denkt, lächerlich zu finden, sogar ihm noch zu predigen. Ergo: du thust unter Anderem auch darum gut, nicht zu heirathen.
[]Man darf nur auf der Straße Kinderspielen zusehen und die kleinen Fratzen beobachten, so wird man den Satz nicht bestreiten, daß Wohlweisheit ein Hauptlaster des Weibs ist. Ach, weil „Weibersinn spannenlang ist“, darum ist ihnen Alles so schrecklich klar! Vielleicht weil Sokrates gestand, daß ihm nichts klar sei, wurde Xantippe zu einer Pantoffelmeisterin und zu einem Drachen.
Aber: incidit in Scyllam — noch viel schlimmer das Weib, das die Seichtigkeit der Gemeinplätze erkennt, aber nun den Weg der Unweiblichkeit einschlägt, das eigentliche Philosophiren anfängt und Blaustrumpf wird. Nein! nein! still ahnend und bescheiden, im stillen Ahnen begreifend, daß ein denkender Mann mit Grund, wenn auch ohne ganzen Erfolg, sich forschend abmüht: so ist das rechte Weib. Das Weib ist in seinem helldunklen Wesen eine geheimnißvolle Einheit der Weltpole Natur und Geist. Will es zugespitzt aus dieser Einheit heraustreten, so wird es actu weniger, als es im Wesen ist, theilt sich, verliert sich, wird unangenehm, widerwärtig. Es gibt eine Dummlichkeit, die unendlicher Anmuth voll ist. Eine Desdemona, eine Ophelia webt mitten in dem Traum, worin der Weltgeist dichtet.
[]Es gibt auch eine mittlere Gattung: ahnende Weiber mit einzelnen scharfen Gedankenblitzen — die geistreichen. Es kann scheinen, dieß wäre ja das Rechte. Aber da sie es zum Ordnen der Gedanken doch nicht bringen und da sie übrigens sehr gesalzen sind, so sind sie beunruhigend und öfter bös, als gut. — Man kommt immer auf's Einfachste zurück: wünsche dir ein Weib, gut, wiewohl nicht dumm, verständig für die Welt, ahnungsstill in tieferen Dingen und dann etwa den Tagmenschen dummlich erscheinend, — thut nichts —. Es wird auch solche geben, aber sie zu finden müßte man mehr Glück haben, als unsereiner, und übrigens ohnedieß — o stille, an solche Sachen sollte ich gar nicht denken!
Im Elend dieser Zeiten, in dieser Aera der Konkordate, der Staaten, die ihre ganze Aufgabe darein setzen, „Feuerlöschanstalten“ zu sein, des verrathenen Schleswig-Holsteins, des entehrten Preußens, des knabenhaften Gedankens, dafür in Neuenburg Lorbeeren zu holen, nun dieser Dinge in Italien, da Deutschland, Europa den Spieler in Frankreich groß und größer werden, sich ganz über den Kopf wachsen läßt, — ich kann es einem Philistersmann nicht verdenken, wenn er auf's Heirathen verfällt, um sich in seine vier Wände warm einzuspinnen, und zu dem Zweck nun []das schrecklich mühsame Geschäft auf sich nimmt, die schriftlichen Sachen, Taufschein, Leumundszeugniß u. s. w. herbeizuschaffen. Der Ehebruch einer Frau ist hauptsächlich deßwegen schändlich, weil es sich der Ehemann damit so sauer hat werden lassen müssen. Für diese Plackerei sollte er doch billig sein Weib allein haben dürfen.
Wie klafft doch immer die alte Lücke in mir, das versäumte Italien! In die Kunst, in's Große der Kunst — hier mich einspinnen, hier mich mit ganzer Seele häuslich einrichten! Da jetzt im Leben Alles, Alles so styllos liegt, nichts Durchschlagendes, nichts, was Hunde vom Ofen lockt. In Italien zwar ein Hinderniß für mich, daß es jetzt in politischen Geburtswehen liegt. Eben, weil mich das so zwiespältig bewegt. Bin kein ästhetischer Ruhkopf, gönne der Nation, daß sie wird. Aber gerade weil mich das beschäftigt, ich aber dabei nichts zu thun habe und weil ich als Deutscher den Würfler hasse, dem sie's verdanken, und ferner, weil ich dort nur der Betrachtung leben will, so weiß ich doch kaum, ob ich jetzt hinreisen sollte, wenn ich könnte.
Zu meiner armen Seele Stärkung einmal wieder im Aeschylos gelesen. Agamemnon. Wie Klytämnestra []vom Mord herauskommt, die Axt auf der Schulter, den Bluttropfen auf der Stirn — wie grausig groß! — Plötzlich weggeworfen, weil mir — ein Weib einfiel, das ich mir so denken könnte. Mich ermannt, wieder gelesen und nun frei im Elemente des Großen.
Möchtest du es zum großen Styl bringen in der Kunst, in der Dichtung? Ich weiß dir ein Rezept dazu: habe eine große Seele. Wenn man's nur in der Apotheke bestellen könnte!
Es kommt Alles darauf an, ob Einer ein Kerl ist, das heißt, ob er Kaliber hat. Wie viele hübsche Sachen bringt Tieck! Er hat Geist, Witz, viel bildliche Erfindung, Anmuth, schwebendes Spiel, aber er hat kein Kaliber und so ist er doch eigentlich nicht unsterblich geworden. Die Zeit ist eben eine starke Worfelschaufel.
Uebrigens führt das zu schweren Fragen. Die Formalisten werden sagen: gut, so kommt bei den Künstlern, Dichtern, die Größe haben, zum ästhetischen Werth ein zweiter, ein ethischer, hinzu. Aber ich bitte! Die innere Wucht in der Seele der großen Künstler hat ja doch eben die Formen selbst gestreckt! Das Große ist doch nicht neben den Formen! Also handelt es sich doch um eine völlige Einheit zweier Dinge: „der Gehalt in deinem Busen und die Form in deinem Geist.“ Oder vielmehr dieses Wort Goethe's ist selbst []dualistisch; Busen und Geist sind die eine Seite, Phantasie ist die andere, und Form, große, echte Form ist die Einheit von beiden.
Soll auf einige Wochen nach Schwaben reisen, städtische Anstalten einsehen, Gefängnißwesen und Anderes. Auch gut, verluste mich nebenher, möchte auch bei der Gelegenheit die alte süddeutsche Malerschule besser kennen lernen; Zeitblom muß etwas von Styl haben und Farbe dem Giovanni Bellini verwandt.
Einen heiligen Sebastian von ihm aufgetrieben um viel Geld, das Geld fast so gern ausgegeben wie für großen Opferakt an rebellischem endlichem Objekt. Wahr, wahr, auch da ist Styl: Feier, Gesammeltsein tief in sich vor Gott. Farbe warm verarbeitet, leuchtend. Aber etwas Geschmackloses, etwas Vertraktes muß hinein, anders thun sie's nicht, unsere alten deutschen Meister. Bei Zeitblom außer der eckigen Dürre überall die dumme, bornirte Schwellung über der Nasenwurzel, die Nase selbst immer roth angeflogen. Will er, muß er damit die gewisse Verknopfung im schwäbischen Wesen ausdrücken?
[]Meine, sie nun zu kennen, diese Schwaben. Schwerblütig, unvermögend, sich aus sich herauszuleben. Wie leichtlebig dagegen selbst unsere mitteldeutschen Stämme! — Und dabei merkwürdig starkes Stammesgefühl. Meinen, ihre Eigenheiten seien bessere, eignere Eigenheiten, als die Eigenheiten anderer Stämme. Meinen, sie haben die Gemüthlichkeit gepachtet.
Gemüthlichkeit? Es ist jeder Dialekt gemüthlich und behüte uns der Himmel vor Dialektlosigkeit! Sie mögen Recht haben, daß sie durch alle Stände daran halten. Aber es ist auch Gefahr in diesem Hegen, es bildet sich ein behagliches einander Mögen und Gernhaben im engen Kreise, ein Element, aus welchem schwer zum resoluten Aussprechen der Wahrheit aufgetaucht wird, wenn sie unangenehm ist. Die Vettermichelsgemüthlichkeit liegt so nahe an der unwahren Höflichkeit, als der weltglatte Bildungsschliff, mag sie auch am unrechten Orte manchmal grob sein. Man sollte Jedem, der unfrei im Dialekt hängt, auf zwei Jahre den Gebrauch desselben bei Strafe verbieten und nachher wieder erlauben.
Nachdenkliches Wesen, viel Talent, aber stellt das T und L um, bleibt latent. Sind so gescheut wie nur irgend Jemand, haben aber wie die Schildbürger []beschlossen, heimlich gescheut zu sein. Will nichts heraus. Kein Zusammenleben, keine Gesellschaft — denn verhockte Wirthshauskreise sind nicht Gesellschaft — kein Gespräch. Man trifft freilich im kleinsten Winkel vereinzelt unterrichtete Menschen, wenn man sie anbohrt, oft und viel, — guter Verstand überall. Aber kein Gespräch, will sagen, kein geselliges, verbreitetes, Städte durchfliegendes Ventiliren neuer Dinge, die Jedermann interessiren. Kein warmes Wort, kein lebendiger Ideenstreit über neue Bücher, Theaterstücke, Kunstwerke, aufregende politische Ereignisse oder Fragen. Scheint mir auch verstockter Eigensinn zu Grund zu liegen. Machen Gesichter, die sagen: jetzt, weil Jedermann davon spricht, weil alle Welt meint, davon müsse die Rede sein, jetzt gerade erst recht nicht. — Sind übrigens auch fremdenscheu, fremdeln.
Auch Gutes in dieser Verstocktheit? Hassen windiger Volubilität? Flunkerhaften Leichtredens? Gewiß, und darin viel Recht. Begründeter, gerechter Widerwille gegen das Umsichwerfen mit vergriffener Sprachmünze bei so manchen Norddeutschen, gegen die Schwatzvirtuosität und Wohlweisheit des Berliners. — Auch eine gewisse edle Scham, das Innere nur so geschwind herauszugeben? Selbstgefühl, das sich gegen Modelebtag sperrt? Ja, auch davon ein Korn, im Uebrigen []Phlegma, oder ist es anders zu bezeichnen? Man meint oft, diese Leute müssen ja Fischblut haben, wird irre, wenn man wieder den nachhaltigen Zorn sieht.
Die Schwaben sind zornig. Muß namentlich vom Neckarwein kommen, der bös macht; hab’s in jenen Wochen an mir erfahren. Schiller veredelte diesen Zorn zum Zorn gegen das Gemeine. Das Volk sehr roh, so viel ich an Sonn- und Feiertagen auf der Eisenbahn bemerken konnte. Besonders wüstes Fluchen. Auch wilde Thiermißhandlung. Beamter in Stuttgart, klarer Mann, fähig, aus Vogelperspektive zu sehen, sagte: was ein rechter Schwab ist, wird nie ganz zahm. — Sehr häufig die „oculi truces“ des Tacitus.
Formlosigkeit prinzipiell gemacht: sie gilt für wahre Natur; Form gilt für affektirt, vor Allem: höher belebte Form, doch auch einfach richtige Form, zum Beispiel reines Deutsch. Wissen aber doch in Kunst und Wissenschaft sehr wohl, was große Form ist.
Vieles offenbar auch Folge der langen Abgeschlossenheit vom großen Verkehr. Weltlosigkeit, Versessenheit, Stagnation. Hauptstadt in einem Kessel, können nicht oben hinausgucken. Entsteht ein deutsches Reich, []so wird sie vielleicht die Luftdurchströmung wecken; wird etwa sein, als ob man einen großen Fluß durchleitete. — Doch gewiß langsam.
Halten sich in ihrer Selbstliebe für besonders ehrlich, solid, reell — während es mit der Gewissenhaftigkeit in Handel und Wandel, im Handwerk um kein Haar besser steht als irgendwo in unserer Zeit. Herrschend selbst in Städten, lang sogar in der Hauptstadt, lumpiger, fünf Zoll dicker Holzriegelbau, Nomadenzelte. Von diesen gefälschten Mauern muß ein Geist der Unsolidität in alle Geschäfte ausströmen. — Hören gern: „biedre Schwaben“. Der wahre Biedermann wird aber die Biederkeit haben, dieß Prädikat nicht anzunehmen, weil es klingt, als ob die Leute anderswo nicht bieder wären.
Das viele Talent sichtbar in viel Humor. Aber dieser Humor öfters in's Kleine, eng Lokale verkräuselt. Lach- und Spottneigung; gefährlich, kehrt sich leicht gegen wahres wie gegen falsches Pathos. Spottlust dadurch etwas entschuldigt, daß man sie selbst viel verspottet und doch viel mit Unrecht. Auch ihren Dialekt verspottet man oft ungerecht; unter all' seiner Unschönheit ist doch ein feiner Sprachsinn verborgen, ein Ohr, ein Nerv von viel Schärfe für Sprachfehler moderner []Abschleifung, naturloser Sprachkultur. Habe zum Beispiel niemals den Akkusativ und Ablativ, nie das Her und Hin, Hier und Dort verwechseln hören.
Beamtenstand habe ich in Mehrheit sehr gewissenhaft gefunden. — Auch die Sitte im Ganzen und Großen noch etwas intakter, als anderswo. Verkehrsanstalten exakter Dienst. — Viel Tüchtigkeit. — Schulwesen höchst solid.
Summa: Völklein schwer zu begreifen; Gutes und Schlimmes verknäuelt wie kaum irgendwo. Ueberrascht aus seiner engen Existenz die Welt auf einmal mit einem Schiller, Schelling, Hegel. Vielleicht kann man sagen: unter dem dichten, knorpligen Schildkrötenschild ein stets gesparter, obwohl auch viel zu sehr gesparter Schatz von Talent und Kraft. Dieß die mildeste Ansicht und billigste Entschuldigung. — Nur der Lebtag von der Gemüthlichkeit sehr verdammenswerth, erregt Ueberdruß.
Das ist übrigens auch wahr: keinen einzigen blasirten Menschen habe ich gefunden, und bin doch mit Vielen umgegangen. Dieß besagt nicht wenig.
[]Gemüth ist warmes, inniges Eingehen in Zustände, Thiere, Menschen, Scharfer Gegensatz gegen die Sinnesart, die mit Begriffen oder Zwecken sich nur von außen über die Dinge herspannt, daher humorlos ist und zum Beispiel nicht begreifen kann, warum ich auf der Straße stehen bleibe, dem Spiel junger Hunde zuzusehen. Ist sehr arm an Sinn für's Naive, versteht vom Komischen fast nur das Ironische. Hierin nun sind die Schwaben sehr gut organisirt, auch die Bajuwaren; die Franken, zu denen ich mich rechne, obwohl nahe der alten Sachsengrenze, bin ich noch so eitel zu nennen. Das Niederdeutsche ist laugiger, neigt mehr zum schelmischen Aufziehen (Reineke Vos). — Zum Finden oder Erzeugen des Komischen gehören zwei Dinge: jenes Eingehen, Mitsein, sich Mitfühlen im Andern, also selbst noch naiv sein; gleichzeitig aber darüber schweben mit Blick der Geistesschärfe. Wem das Erste fehlt, der mag lieber gar keinen Versuch machen, echt Komisches zu genießen, mag sich mit der sauern Dünnkost des Spottes begnügen. — Gut, also Gemüth. Etwas Anderes ist Gemüthlichkeit, sie ist verbreiteter Gemüthston, ist Gemüthston als Lokal- oder Provinzialkostüm, namentlich im Dialekt (zum Beispiel starker Gebrauch von Diminutiven). Nun aber, wenn dieß Ton, Kostüm geworden, so spricht und thut auch der Spitzbube, der Betrüger, ja der Mörder gemüthlich. Damit verliert es allen []Werth; konventionell gewordenes Gemüth ist kein Gemüth mehr. Man kann höchstens sagen: denen, die doch wirklich Gemüth haben, hält ringsherrschender Gemüthston das Wesen des Gemüths in stets frischer Erinnerung und dient ihnen zugleich als Mittel, das Gemüth in angemessener Sprachform auszudrücken.
Noch Abstecher in die Schweiz. Tüchtige Männer kennen gelernt, brave, gastfreundliche Häuser. — Schon auf der Eisenbahn aufgefallen: man sieht mehr ganze Köpfe als anderswo. Ganz: worüber die zermürbende Egge der Kultur mit ihren theils nützlichen, theils charakterebrechenden feinen giftigen Spitzen nicht gegangen ist. Man hört auch gottlob nicht so viel von Gemüthlichkeit. Was ich von jungen Leuten aus der Sphäre wissenschaftlicher Bildung kennen gelernt, frisch, frei von Ironie. — Schulen blühen, Dörfern ein schönes Schulhaus Ehrensache. Reinlichkeit höchst wohlthuend. — Habe bemerkt, daß die Wahrheit mehr in's Gesicht gesagt wird, als in unserer verschlissenen Welt, obwohl oft stroblig rauh; doch wie viel besser dieß, als nach dem Maul schwätzen! Aber ernste Männer klagen über den reißenden Fortschritt des Geldgeistes. Monarchieen, sagt ein Schweizer selbst, ein guter Republikaner, zu mir, öffnen den menschlichen Leidenschaften mehr Abzugskanäle, zum Beispiel Titel, Adels []diplome, Hofdienste, Orden dem Ehrgeiz, der Eitelkeit; hier aber wirft sich aus Mangel an Anderem die ganze Sinnlichkeit fast allein auf's Geld; dazu das Unglück, daß unser Land von der unendlichen Reiseflut überschwemmt wird; das ist ein Fluch, das muß verderben. Ach, schloß er, wir brauchen bald eine neue, große Bluttaufe, einen furchtbaren Kampf um unser Dasein; ich vertraue, es sei noch so viel alte Schweizertugend da, ihn zu bestehen. — Gebe ihm der Himmel Recht, dem braven Manne! Denn daß inmitten unserer monarchischen Großstaaten noch eine Republik besteht, auf altgesunder Grundlage, verständig, nicht ideologisch, gut konservativ: das soll sein, ist recht und in der Ordnung. Wenn sie sich nur auch vor der modernen Demokratie brav hütet! Gerade einer Republik nichts verderblicher, als der falsche, abstrakte Freiheitsbegriff!
Wieder zu Haus. kleine Reise will in der Nachkur nicht vorhalten. Wenn ich mich vom Amt verschnaufe und meinen Zeitblom ansehe, seinen Ansatz zur Streckung der Formen und daneben doch das Verwachsene, Unfreie, Verknorrte, so kommt mich's nun erst recht an: ich sollte eben doch hin, muß hin, muß den freien, großen Styl in der Kunst endlich einmal anders schauen, als nur in Gypsabgüssen und Stichen. Ein []unwiderstehlich Sehnen kommt mich an, wie ich da schreibe: die Formen strecken. In meinem Leben, in dem Rattenkrieg mit dem kleinen Uebel ist Alles geknittert, gekettelt, genörgelt, gezupft, klein gebrochen, knopfig genestelt. Strecken! An dem, was dem Auge große Bahnen gibt, muß ich mich selber strecken. — Ich muß sehen, wie ich's mache. Muß aber dann, wenn es gelingt, mit aller Kraft meinen Vorsatz halten, nach den politischen Werdekämpfen Italiens nicht hinzusehen. Verzeih' mir's zum Voraus, Genius eines aufstrebenden, geistvollen und liebenswürdigen Volks!
Und ihrer Mutter Heimat sehen, das wird ja erlaubt sein und nicht zu stark an der Seele zucken, so daß sie aus der Ruhe der Betrachtung gerissen würde.
Bravo! Noch einmal Bravo! Zwei Dinge auf einmal: Neues Amt, größere Kreisstadt und vorher Urlaub! Doktor wieder brav; schreibt mir Zeugniß: „Abgearbeitet — akute und chronische Affektion der Schleimhäute — gestörte Verdauung — mildere Luft — Bewegung — mildes Klima —“ Wollte eigentlich Kairo, doch läßt mit sich auf Italien herunterhandeln. Regierung willfährig, insbesondere weil ich dazumal mit dem kommunistischen Gesindel fertig ge []worden und weil ich die Faust fest auf die verrotteten Volksbeglücker drücke. — Daß man mich nur nicht für gar zu brav hält! — Doch für jetzt schon recht! — Aufgepackt, fort! Von Caro schwerer Abschied, doch in guter Hand!
Sammlungen von Pfahlbewohnerresten — Bodensee — Schweizerseen — Steinzeit, Bronzezeit. Man wird ganz zu Hause, haben es auf ihre Weise ganz bequem gehabt, glaubten sich gewiß auf Bildungshöhe. — Gedanke einer Pfahldorfgeschichte. Mondsymbole — halt, daraus kann eine Religion für die Pfahlmenschen herausgesponnen werden!
Desenzano. Muße zum Schreiben, Strafe für meine Dummheit und vielleicht doch gut, daß ich mich etwas sammle von der Hast. — Durch die Schweiz gehetzt, will jetzt nichts von Gebirgsland, vollends wenn vollgestopft mit Reisegeziefer. Abgeleckte Idylle. Wenn einlassen, dann brauchte es mehr Zeit, erst im Volk, fernab von den Gasthöfen, zuzusehen, wie viel noch alter Kern da ist. Hat mich nur der Splügen gefreut und wie flott der Postknecht die Zickzackwendungen hinabfuhr nach Chiavenna; das Resolute thut wohl, die hohen Berge sind auch resolut, aber mir für jetzt zu hart, zu formlos. []Dürste nach anderen, schwungvolleren Erdbildungen, auch nach großen Wasserflächen, dieß hat mir doch Norwegen angethan mit seinen zwei Größen: Gebirg und Meeresbucht. War mir dann der Comersee doch wieder zu weich, will den Gardasee mit ihm vergleichen und seinen gestrengeren und doch, wie ich aus Beschreibung weiß, schon südlich plastischen Monte Baldo. Unterwegs in Brescia an zwei Gegenständen hoch erbaut: Köpfen weiblicher Heiligen von Moretto und antiker Erzfigur, griechischer Arbeit: Nike. Dort die Züge, hier die Gestalt — rühren mich noch anders, als Hinz und Kunz. Weiß warum; — erinnern. — Den Gardasee hinauf und herab. Meine ich Dummkopf, in Italien geb's keinen Katarrh, kleide mich zu leicht, fange einen gründlichen und sitze nun da und kann ihn ausbrüten. Ufer mit Limonengärten, malerische Steige hinauf nach Ledrothal, Ortschaften wie Schwalbennester hängend, rechts dann die rein modellirten Formen des Monte Baldo, sanft geröthet von Morgenlicht, herrliches Blaugrün des Sees, Alles nur wie im schweren Traum durch verklebten Flor gesehen — hat mich nicht gekühlt, Nase, Ohren, Augen glühend — das der Einstand? Du dort oben auf höchstem Berg, Madonna di Salò, bist gewiß eigentlich die Minerva, die dort sicher ihren Tempel hatte, warum hast du mir nicht gnädig Gehirn kühl, Augen klar bewahrt?
[]Vom Bahnhof aus die Spia d'Italia gesehen, steht bei Solferino auf der Höhe, wo der blutige Kampf war. Nicht hinüber! Das nicht sehen! Die Faust ballt sich mir gegen den glücklichen Croupier, während doch Oesterreich auch recht geschah für seine Lumperei. Aber der Croupier wird's auch noch büßen, das weiß ich. Doch Vorsatz halten! Keine Politik!
Verona. Arme Maulthiere und Esel! Seufzende Kreatur! — Ihr stammt von dem Gesindel, ihr Thierschinder, das einst dort in der Arena die scheuslichen Kämpfe ansah. — Für was lauft ihr in die Kirchen?
Das katholische System ist Reklame, Revalenta arabica, Königstrank, Mailänder Haarbalsam. Kommt zu mir, ich habe eine Apotheke, euch selig zu machen ohne eigene Mühe! Was ihr am meisten fürchtet: das Gewissen und den Tod: ich zieh' euch den Zahn schmerzlos aus!
Doch nett in San Zeno. Ich trete in der Abenddämmerung ein. Dort in einer Kapelle ein gewöhnliches Kerzenlicht. Ich gehe hin: eine alte Nähterin näht an einem Röckchen für's Christkind auf morgen []zum Fest, ein alter, dicker geistlicher Herr steht dabei und fädelt ihr ein, mit großer Brille auf der Nase.
Und nun heut Abend! In der Kapelle der ganze neue Kindszeug ausgestellt: Häubchen, Kittelchen für's Christkind. Gedräng dahin von Mädchen, Frauen. „Ma, quanto grazioso! che carino!“ — Man muß immer wieder lachen. Die Menschen bleiben Kinder.
Bologna. Akademie. Wie wird mir nun meine Vorstellung von diesem Pietro Perugino zur Wahrheit! Zu den Menschen da unten, die in unsagbarer Sehnsucht hinaufweinen, wie, mit welchem Blick der Unendlichkeit neigt aus geöffnetem Himmel die Jungfrau sich herab! Dabei Alles noch grundnaiv, auch die mandorla, die Mandelform der Oeffnung des Himmels. Und doch Farbe schon tief warm, leuchtend von Seele.
Florenz. Hier Nachts im Mondschein! Da wandle mit Andacht! Wo wären wir ohne diesen Quellpunkt aller neueren Bildung? Barbaren, nichts weiter. Dort im Garten lehrten die Griechen. Dann all' die Dichter und Künstler! Die Geisterluft, die von []hier aus wehte, ist weicher noch, als die Lüfte dieser Mondnacht.
Es ist wahr, die Renaissance war nur die eine Hälfte der Wiedergeburt, die andere die Reformation. Diese die ethische, und wie nothwendig! Eine Halbheit zwar, auch mit ihrem eigenen Maßstab, dem der Religion, gemessen. Aber durch Halbheiten geht die Geschichte; die Menschheit erträgt nichts Ganzes. Und wohl der Halbheit, die ein gut Stück vom Centrum, vom Kern des Ganzen hat! Luther hat viel Unnöthiges stehen lassen, aber in ihm brannte Centralfeuer, heiliger Grimm aus heiliger Liebe sprühend. — Deßwegen gehören auch nicht je wieder zwei Völker so zusammen, wie Deutsche und Italiener. Die zwei Hälften der Menschennatur suchen sich. Die Italiener erkennen es jetzt noch wenig, hassen uns historisch-politisch, aber es wird schon kommen.
Wie sich's gestreckt hat, weiß ich jetzt, hab's mit Augen verfolgen können. Kapelle Brancacci in S. Maria del Carmine: Masaccio, der hat den größten Ruck gethan im Strecken. Aber wenn mir ist, als geriethe ich bei diesem Anblick selbst in's Wachsen und freie Auswickeln, wie eigen rührt mich doch gleichzeitig []die holde Unreife, die liebenswürdige Armuth des Nochnichtkönnens! Sie hilft ja, den geschlossenen Kern der Innigkeit streng bewahren, daß er in der entbundenen Form nicht verdunste. Seit ich den Perugino in der Akademie zu Bologna gesehen, ist mir das erst recht aufgegangen. Nun hier weiter zurück der herrliche Fiesole! Auch in ihm ist schon Zug zum Strecken, will da und dort die mündige Form schon ausschlüpfen — welche große Bahnen in den Falten des weißen Mantels, der den auferstehenden Christus majestätisch umfließt — dort in der Klosterzelle von San Marco — aber sein frommes Kinderherz! Welche Welt von Rührung! Wie keusch zusammengehalten !
Und dann, ich kann sagen, wahrhaft gute Stunden genieße ich in S. Maria Novella. Welch ein edel freier, heiterer Mensch ist dieser Domenico Ghirlandajo! Da geht's hinaus in die schöne, sonnige Welt. Und hinein in das Wärmeliche der Zustände menschlichen Behagens. Wie köstlich diese Kindsstuben, das Pflegen der Neugebornen, die Nachfragen der besuchenden schönen Frauen und Mädchen, die wohnlichen Räume! Und wieder, welche Würde der Gestaltung schon, welche ernste Ruhe und adelige Bewegtheit!
[]Pitti. Madonna del Granduca. Nicht ganz, ihr Gesicht um einen Hauch schmäler, aber doch sie! O ja, sie, das ist sie! — Solches Oval, solches Blicken, Neigen, Beugen — nur Raphael, nur er, und er, als hätte er sie gesehen!
Der große Grabmalkünstler von San Lorenzo will mich nicht recht annehmen, stehe dort bald hingerissen, hoch getragen, bald geärgert. Zu dieser genialen Geistertiefe der übertriebne Wurf und so viel widerwärtige Gedunsenheit. — Rom abwarten. Dort laß dich auch von der Antike erst ganz erfüllen, o Seele! Und von Raphael's ganzer Herrlichkeit!
Oft, wenn ich oben stehe bei dem Kleinod altfrommer Baukunst, bei San Mignato, und herunterschaue auf Thal und Berge und Fluß und Stadt, und dann auch jenes Wunderbaren gedenke, dessen Schatten hier umschwebt, des Hölle, Himmel und Welt umfassenden Dante, des Geistes, der einer weitgespannten, hochgewölbten Kuppel gleicht, und wenn ich dann denke, wie viel Wildes und Furchtbares doch auch an den Flächen dieser Kuppel wie mit Glut und Blut gemalt ist, dann entsinne ich mich auch, wie viel doch gewüthet und gemordet worden ist in dieser sanften, []edlen Stadt. Ja, ich weiß, ich kenne, was Wildes im Menschen ist. O ebnet mich, ihr weichen Linien! Singe mich in Schlaf, mild rauschender Fluß! Lindert mich, ihr Oelbäume, kühlet mich, ihr stillen Cypressen, und hebet mich, ihr schlanken Pinien mit der leichten, rundlich geschwungen übergelegten dunklen Krone!
Da beginnt es, in Siena, da sieht man die traumhaft verschleierten, mandelförmigen Augen. Wie stimmen sie mit der Madonnenanmuth der keusch hageren alten Bilder! Ist es etrurisch, umbrisch? Wer waren diese alten Umbrier? Doch gewiß nicht Kelten, nicht Gallier; — Iberer? Dunkles, vorgeschichtliches Volk der Eusken? — Und ihre, ihre Sprache! Lingua Toscana in bocca Romana; nur in ihrem Mund feiner, ganz leiser, entfernt nicht unschöner Anklang des Englischen, — Stimme einer milden Fee, wenn sie lispelt. —
Gute stimmungsvolle Stadt, nicht nur so reich an Bildern, selbst Bild an Bild! Die gothischen Paläste, burgartig, die Zinnenthürme, sie gemahnen den Deutschen deutsch; plaudernd mit deinen freundlichen, feinen Bewohnern lebt man sich zurück in die alten Zeiten, ich wandle mit dem guten Simone Memmi, dem ehrlichen Ambrogio Lorenzetti über den schönen, []eingetieft aufsteigenden, halbrunden Marktplatz und sehe sie ihre naiven Bilder malen in den Rathhausräumen, ich begleite den sanften und doch so gestaltenreichen Duccio nach dem prächtigen Dom und freue mich mit ihm der leuchtenden Augen, womit das Volk seine herrliche Tafel betrachtet; ich sehe die reinen Linien der Marmor-Niellen, Marmor-Intarsien aus feinen Künstlerhänden in die Platten des Fußbodens rieseln. Und hier, in der Libreria, schon Raphael näher, schon seine jugendliche Hand fühlbar in den Fresken! — Für Hände, die schon Alles los haben wie Sodoma, so schön er's oft macht, kann ich jetzt, hier, keinen rechten Sinn in mir aufbringen.
Tiefer hinein in die alte etrurische Welt. Unheimliche Fahrt allein mit spitzbübischem Vetturino. Regen, Einkehr in Casciano: sitze fieberkrank auf dem Herd am Kohlenfeuer. Vetturin flüstert mit den Wirthsleuten, ich merke, das; er mich hier über Nacht festhalten, so den ganzen Kontrakt zu seinem Vortheil verwirren, vielleicht morgen mich Banditen in die Hände liefern will: weigert sich, einzuspannen. Ich springe wie ein Panther vom Herd und herrsche ihn an, daß er schnurstracks gehorcht. Kann doch noch befehlen. Und, Kerl, du ahnst nicht, wohin, wohin mein Sinn steht!
[]Mondnacht. Dort im Bergegürtel, hoch überragt von geisterhaften Gipfeln, blitzt silbergrau zwischen schwarzen Eichen der Trasimenersee auf. Im Röhricht flüstert's von Hannibal und Flaminius. Geisterheer von Reitern jagt die gedrängten Römer hinein in die Wasser, ich meine das Röcheln der Untersinkenden zu hören zwischen dem Schlachtgeschrei, karthagische, römische, gallische Rufe wild durcheinander.
Chiusi. Alter Herrschersitz des Porsenna. Heut Alles grau, schwerer Himmel, wandle durch Hügelland, Eichengründe nach alten Gräbern. Da — reichbemalte Grabkammer, kleiner Aschensarkophag mit stämmiger Figur des Todten. Stilles, stilles Todtenhaus; Geisterstube, ganz wohnlich, ausgestattet mit Allem, was dem Lebenden einst lieb war; sieht sich an der Wand im Bilde jagen, ausfahren mit zierlichen, schlanken Rossen. Todt sein ist doch auch gemüthlich. — Was schwebt im Halbdunkel? Welche liebe Geistgestalt? Warum so bleich, da sie ferne noch athmend im frischen Leben wandelt?
Chieserella bei Citta della Pieve. Jetzt kenne ich ihn noch besser, den guten Meister Raphael's. Die Anbetung der Könige. Madonna schaut über das Kind []hinaus zu Boden im reinsten, sinnenden Nichtwissen. Wie wollt ihr heutigen Nazarener diese holdselige Unschuld zuwege bringen, welche träumend die königlichen Ehren nicht versteht und nicht, wie königlich sie doch selbst ist! Männerköpfe in ernste, wehmuthvoll beglückte Andacht ganz versunken. Formen jetzt runder und voller. — Und wie wenig fragt meine Rührung darnach, daß dieß Alles Märchen ist! Es ist dennoch wahr: Wenige wissen wie ich, warum —
Und nun zur Abwechslung Salvator Rosa in natura: Einkehr in ländlicher Osteria, Wirthschaft in der Küche, Spieß dreht auf dem Herd; ein Jäger in hohen Campagnagamaschen mit Hund sitzt beim Wein. Alle Wände geschwärzt und darüber der rothe Feuerschein der Herdflamme. Hexenhafte Wirthin, höchst malerischer Schmutz ringsum. — Dann hinaus, weiter, von Ochsen hinaufgezogen nach Perugia.
Perugia. Da bin ich. Durfte es ja wagen, sie ist ja nicht da! — Ahnungsvolle alte Stadt, über Bergrücken kletterndes, durch Schluchten geschlungenes Labyrinth altergefurchter Häuser, Kirchen, Paläste, Klöster. Lucumonensitz im grauen Alterthum. Dann Römerpomp, Thor des Augustus, Porta Marzia. Germanenzeit []— ihres Bluts sicher auch ein Tropfen zurück; dann Mittelalter — Hohenstaufen — im Dom von Assisi Friedrich II. getauft, hat Kinderjahre dort drüben auf der Burg verlebt, — dieß Alles auf dem dunklen alten Grund — wie seltsam Alles, Klang einer alten Sage, wie wundersam fremd und magisch anziehend. Auch fürchterliche Zeiten — Bluthochzeit von Perugia! Alter Marktbrunnen mit den Figuren der pisanischen Meister, die aus halboffener Knospe der Kunst so frisch hervorquellen, was plauderst du? Was erzählst du die ganze lange Nacht, wenn's still ist ringsum? Weißt noch, wie du prangtest an Astorre's Vermählungstag? Wie die Mordnacht folgte? Wie Simonetto's Leiche, den alten Trotz im Angesichte, zum Himmel starrte? Und wie die zwei Frauen Atalanta und Zenobia die weißen Gewänder im Blut nachschleppten, als sie giengen, das Herz des sterbenden Grifone zu rühren, daß er seinen Mördern verzeihe? — Fort von den grausen Bildern! — Ihr blauen Gebirge, so feierlich violett am Abend, was habt ihr Alles gesehen! Auf euch hat Raphael's junges Auge geweilt. — Alter Tiberfluß, wie viel Zeiten hast du geschaut! — Und diese Welt war das Bilderbuch der Kindheit ihrer Mutter. In reiner Unwissenheit über das Wilde, was einst in diesen Gassen, diesen Thälern getobt, wird sie den Ernst und im Großen das Sanfte, das Ahnungsvolle eingesogen haben, das rings in diesen tiefen Farben []und gewaltigen Bahnen webt und waltet, wird oft da oben geweilt haben im Kloster Franzesco del Monte und hinab, hinaus in's Weite geblickt! Da ist auch das liebliche Presepio von Pietro Perugino; solchen Bildes mag sie in der Ferne gedacht haben im nebligen Norden, als Cordelia in der Wiege lag; wird dem heranwachsenden Kinde, wenn sie vom hohen Schloßthurm in Edinburg mit ihm hinausschaute auf das graue Meer, erzählt haben, wie viel blauer und sonniger Alles sei in ihrer Heimath und welche seligen Augen dort von Leinwand und Mauer auf fromme Beschauer blicken, und die Künstlergesichte werden wie ein Märchen in die träumende Seele des Kindes hineingeleuchtet haben.
Deutschen Kunstkenner getroffen: nennt Perugino süß sentimental. Man darf ihn nicht an die strengen, kräftig herben florentinischen Realisten halten, sage ich, man muß ihn für sich nehmen, sonst thut man ihm unrecht; seine weiche Welt ist seine Welt.
Das Elternhaus ihrer Mutter erfragt, auch erfahren, daß noch eine Muhme lebt, in Assisi verheirathet. Hinüber! Dort winkt sie schon von Weitem her über die hohen Mauerbögen, die Franziskuskirche. Stigmatisirt, heiliger alter Bruder? Gut. Ich auch. []Wir Alle — wer nämlich in Wahrheit lebt. Wundenmale Christi — erfahren haben, was heißt: Mensch sein. Nur aber fort mit dem Heiligengeruch! — Warum mußte er heilig werden, genügte es nicht, daß er gut war? Ich mag ihn, seit ich seinen Hymnus kenne, jenen Hochgesang, worin er in seinem ehrlichen Altitalienisch den Allmächtigen preist, daß er geschaffen hat Herrn Bruder Sonn — misser lu frate Sol —, der da schön und strahlend ist mit viel Glanz, daß er uns erleuchte für ihn, und Schwester Luna und die Sterne, die er am Himmel gebildet hat klar und kostbar und schön, Bruder Wind und Luft und Wolken und heiteres und jeder Art Wetter, die den Kreaturen ihren Unterhalt geben, Schwester Wasser, welche sehr nützlich und niedrig und köstlich und keusch ist, und Bruder Feuer, welcher ist schön und lustig und gewaltig stark, und unsre Mutter Erde, die uns trägt und führt und hervorbringt mancherlei Früchte und farbige Blumen und Kräuter. — Und am Schluß preist er den Herrn noch für den Tod, er ist ihm weiblich (la morte) und er nennt ihn unsere Schwester.
Die Tante gefunden, gesprochen. Frau Cornelia Ruggieri. Entfernte Aehnlichkeit, mehr latinisch. Gute Frau, echt katholisch, doch ohne Gift. Man sei sich etwas fremd geworden, seit ihre Schwester nach Schott []land geheirathet habe und dort zwar nicht förmlich in's Lager der Unchristen übergetreten, doch, wie man vernehme, nicht mehr zur Messe gegangen sei. Als sie dem Tode nahe mit ihrem Mann nach Perugia kam, habe es sich bestätigt, daß sie der Kirche fremd geworden, und als sie gar auf dem Sterbebett die Sakramente nicht nahm, das sei ein Entsetzen für alle guten Christen gewesen. „Aber,“ fügt Frau Cornelia weinend hinzu, „ich glaube doch, daß sie Gott Vater in Gnaden in den Paradiso aufnehmen wird nach kurzem Fegfeuer, sie war bis zum letzten Augenblick so carina, tanto, tanto buona.“ — Die Tochter, befürchte man, folge der Mutter nach in der Ketzerei, man erfahre wenig von dorther, außer neulich sei eine Nachricht gekommen, daß Cordelia besorglich kränkle; das Klima Schottlands und Norwegens scheine dem südlichen Blute nicht zuträglich. —
Wirst du früh hingehen, hinwegschweben in goldgesäumte Wolken, aus denen du mir kamst? Und ich — dir nachsehen, wie die Apostel auf dem alten Bilde dort im Kloster, gebräunt von Erdensonne, verlassen, arm, hülflos emporschaun, da die Erde nun öde, leer, grau, verwaist?
Werde ich Nazarener? Man spürt hier recht, wie diese alten Bilder es unsern Overbeck, Veit, Steinle []haben anthun können. Bei unsereinem ist aber doch besser dagegen gesorgt, ja gründlich. — Jetzt auf nach Rom! Das Große soll mich aufnehmen, umgeben. Da halt' ich's am ehesten aus, so tief bekümmert, so feierlich bang, wie mir zu Muth ist.
Rom. Es ist wahr, es ist richtig. In Rom erfährt ein nordischer Mensch, daß sich etwas in ihm setzt. Wenn ich sehr übel aufgelegt, Blut im Kopf, Hirn gereizt, Augen trüb, brennend, Ohren roth und blau flammend, dann hat mir öfters ein gutes, gut gegebenes Theaterstück geholfen: Kopf wurde kühl, Augen klar, Alles, was nicht oben im Kopf sein soll, niedergeschlagen. Aristoteles hat seine ϰαϑαρσις halb physiologisch gemeint und muß genau an diesen Zustand gedacht haben. Nun, und so wirkt Rom auf die Grundstimmung. Das Alles ist zu groß, als daß deine Grillen, deine Ich-Aushegungen, Ich-Brütungen, Hirnschnaken dagegen bestehen könnten! Sie werden zu Boden gelegt. Höhere Art von Brausepulver. — Nun auch namentlich die Campagna. Diese plastische Erdhorizontale, dahinter doch reingezeichnete Berge, rechts fern das Meer: da wird der innere Mensch wie mit einem Modellirholz ausgestrichen, Knöpfe, Warzen, Buckeln, Raupen in der Seele planirt.
[]In unserem Klima, seiner Kälte, seinen Scheermesserwinden, strupft, so schneidig angeweht, der ganze Mensch nach innen um und zieht sich krampfhaft auf einen Punkt zusammen: das ärgerliche Ich. Da soll man nicht subjektiv werden! Der Südländer lebt mit seiner gesund transpirirenden Haut von innen nach außen, wir von außen nach innen. Doch mit dieser unserer Krankheit hängt untrennbar auch unser innerer Reichthum zusammen.
Also noch einmal: doch germanisch bleiben, nur lernen, nicht nachahmen, sonst flach, abgeflacht, leer wellenlinig wie die italienisirten, akademisirten Niederländer, denen Rubens und noch viel gröber Rembrandt die Faust entgegenballte.
Nimm dem Albrecht Dürer seine Ecken, Knorren, wurmgeringelten Faltennester: gut, versuch's und sieh' zu, wo du durchschneiden kannst, ohne seine Eigenart gestrengen Charakters, sein Gefühl des warm Beschränkten und traulich oder herb Geschlossenen, seine treulich zusammengehaltene Empfindung mitwegzumähen. Hätte er den freien Fluß der Linie gehabt, den Löwen des heiligen Antonius schlank, rund, plastisch zu zeichnen, hätte er dann das Ganze gezeichnet wie es ist? So gutes, warmes Stübchen, Sonnenbild der runden []Scheiben an der Fensterlaibung, Scheere im Riemen an der Wand, Kürbis an der Holzdecke hängend, ganzer Raum so gemüthlich ausgefüllt, Spitzhund so schmuckelig hingelagert neben dem zahmen Raubthier, und den Heiligen so ehrlich vertieft?
Aber jetzt fort mit Vergleichungen, Unterscheidungen! Sei ganz hier! Wandle unter Göttern im Vatikan! Wesen aus Einem Stück. Haben keinen Pfahl im Fleisch.
Der Künstler will uns sagen und sagt es ganz und rund: hier siehst du Wesen, die auf den Höhen des Olymp und Parnaß wohnen, wo allerdings (den Aufschmückungen der Dichter zum Trotz) bis in Sommers Mitte Schnee liegt, die aber dennoch nie einen Katarrh haben. Die innere unbewölkte Einheit dieser Wesen mit sich fühlt man nun erst im Marmor ganz, dessen körnige Textur, auf der Oberfläche durchscheinend, uns sagt, daß solches System ungestörter seelischer Prozesse spezifisch von ungestörtem Hautleben ausgieng. — O Stubenexistenz unserer traurigen Menschheit!
Man hat aber immer seine Lieblinge. Trauer ist ja dennoch in all' diesen seligen Gestalten. Besagt []Vielerlei, unter Anderem, daß ein solches Volk, das seine Götter so sich dachte, so bildete, weil es so war, nicht lang bestehen konnte: „auch das Schöne muß sterben“. — Besagt mehr, mehr, leise Klage, die durch alles, alles Leben geht. Aber einige dieser Gestalten sind noch anders, sind ausdrücklich traurig. Da ist nun der Eros-Torso und der ist mein Liebling. Selig schöner Halbjünglingknabe, das Antlitz unter dem Lockenwald niederneigend in wehmuthvollem, ahnendem Träumen. Was meinst du damit, Meister Praxiteles? Ist Eros dem Tode verwandt? O ja, er ist es, und nicht bloß, weil ein Ich sterben muß, um im andern aufzugehen. Liebe ist tödtlich schön. Ihr innigster Wunsch kann werden: in Einem Moment sich geliebt wissen und sterben dürfen.
Heute wieder Sixtina. Gewaltensturm im jüngsten Gericht, urgebirgs-, urweltkräftig. Wohl! Aber M. Angelo ist eben nicht mein Mann. Verstehe zwar seinen hohen Zorn, das Herum- und Auffahren seiner Geistmenschen gegen die Welt, das Wetternde, Schmetternde. Dabei aber nun diese geschwollene Ueberstärke und die Begierde, die Zeichnungskunst zu zeigen, und zwischen dem schön Großen das Geschmacklose, das ist und bleibt widerwärtig. Shakespeare — dem so verwandt — ist in seinen Absurditäten unschuldiger. Auch in den []Deckenbildern da und dort eine Form, eine Bewegung abstoßend, ungereimt; sonst — ich bin wohl nicht der Letzte, der die wahre Großheit hier und das mystisch tiefaufglühende Feuer fühlt, dieß abgrundtiefe Brüten dieß sausende Wehen, dieß zuckende Außersichsein des tiefsten Insichseins der Ahnung. Ich bleibe aber eben bei meinem Raphael, obwohl ich seine Achillesferse nun auch kenne, bleibe bei ihm, weil man von keinem Künstler in der Welt so sagen kann: was er gemacht, ist schön; — weiß wohl, was man dagegen hat: wird gar noch eine Zeit kommen, wo ein Künstler nichts mehr gilt, wenn er Schönes bildet. Pathologisch fühlen? Es sei darum! — — ich muß noch einmal hinauf nach Florenz zur Madonna del Granduca — dann auch vielleicht wieder nach Perugia. —
Nein! besser nicht! — Hinauf nach Pietro in Montorio! Dort noch einmal die Abendbeleuchtung! — Zuerst Purpurglut, wie flammt sie über Kapitol, Forum, Palatinus, Kolosseum! Breite ihn, breite ihn, scheidende Sonne, den Kaisermantel über die ewige Stadt, steiget auf im Feuermeer, ihr Riesengeister, die ihr um diese Trümmer schwebt! — Vergiß nicht, Seele, Rom war die Geschichte, Rom war die Welt. Hörst du den wunderbaren Klang in den Lüften? Stimmen der alten Tage, Klagelaut versunkener Götter. []Und jene Wolke dort — ist es nicht Jupiter's bärtiges Haupt, das auf sein Kapitol niederschaut? — Und doch wieder Alles so ruhig sanft; auf Glut- und Blutroth, dann Prachtviolett folgt zarte Rosenröthe, weich weilend auf Albaner- und Sabinerbergen und dem rein gezeichneten Sorakte.
Werde Heimweh haben wie Alle. Noch ein Trunk aus Fontana Trevi. Hast mir oft Kühle in's verglühende Herz gerauscht. Rausche mir so kühlend in mein künftig Leben. — Seele hat sich hier doch angesogen, eingenistet. So tragisch groß und doch auch so gut heimatlich! Das bewohnte Rom, das sich zwischen die erhabenen Trümmer, Paläste, Kirchen gelegt, hat ganz gewöhnliches, ordinäres Aussehen, in Wohnungen findet man gemüthliches Philisterium, gute Mütterchen, die dem Gast ein brodo lungo bereiten. So werden die Straßen, die Häuser bald alte Bekannte. Diese Mischung des Wunderbaren und des vertraut Gewöhnlichen, dieß erst gibt Rom seinen Stempel und macht, daß man so anwächst. Und dazu so viel Stille und die vielen rauschenden Brunnen. — Mag es Italien gönnen, wenn du Residenzstadt wirst, aber ich gehe dann nicht mehr hin. Rom ohne Stille? Nein.
[]Genua. Der hat schön gewohnt, der alte Doria. Altersasyl am Golf, von der Stadt gebaut, „ut maximo labore jam fessus honesta vita requiesceret“. Edle Renaissance, heitere Fresken von Raphael's Schüler, Perin del Vaga. Blick über den Garten mit dem Prachtspringbrunnen nach dem Hafen. Drinnen altes Bild, sehr verwaschen, doch erkennbar: der alte Andrea und ein großer prächtiger Kater. Dieser sitzt auf dem Tisch, der Alte davor, Beide sehen einander an.
Mailand. Bernardino Luini: auch die Holdseligkeit der früheren Meister. Das unsagbar sanfte, liebende Neigen des Hauptes haben sie hier von Lionardo da Vinci. Der Johannes dort auf dem herrlichen Abendmahlbilde, wie der sich zu Christus herbeugt! O, ich kenne dieß Herneigen. Aber der junge Raphael! Sposalizio: ja diese keusche, kinderreine Grazie, — dieß noch sehen ist mir wir noch einmal nach Perugia gehen und ihrer gedenken.
... Da wären wir wieder! Addio, Italia! Alles nur grau hier, was uns blau vorkommt; Grün frischer, das ist wahr. Aber jetzt Schlackerwetter, Entlaubung. Gesichter — doch aber auch fast keins, das nicht ver []zeichnet wäre, verstaucht wie Zangengeburten, Nasen meist aufwärts, daß es hineinregnet. Vergiß nicht, Seele, vergiß nicht: wenn die Natur die Menschen individueller bilden wollte, so mußte sie von der Normallinie abweichen in's Unendliche.
Nimm dich zusammen! Frisch an's Werk! Großes Amt, gibt viel aufzuräumen. — Wenn ich nur gegen das Gesindel, das anständig aussieht und der Polizei nicht verfällt, mehr ausrichten könnte! Welche Charakterwelt! Fuchsschwänzer, Speichellecker und Flegel gegen den, der nicht wieder leckt, Tuckmäuser mit Biedermannston, gemüthliche Seelen mit Taschen voll Steinen, auf die Wenigen zu schleudern, die Charakter haben. Alles soll durch Gunst gehen, Jeder tätschelt den Andern um Gegendienst — Halunkenpack!
Gottlob, tüchtiger Referendär und gute Subalterne. — Hab's gleich bemerkt bei einer Einladung. Bedarfst du gute Arbeitskräfte für irgend ein geduldforderndes Geschäft, so suche die in Frage Kommenden beim Geflügelessen zu beobachten. Wer gern (und säuberlich) nagt, den wähle, wer sich mühelos die Pfaffenschnitten gönnt, mit dem wird nicht viel zu machen sein.
[]Gesuche um Theaterkonzessionen. Die Sache mit den städtischen Kollegien erörtert. Abgeschlagen. Weiß, was die Schufte wollen: etwas wie die jetzigen wiener Vorstadttheater, Variétés- und Café chantant-Schandbühnen in Paris. Wollen die Jugend vergiften. Das könnten wir in unserer Zeit noch brauchen, daß das Lebensalter, dem es noth thut, die Seele mit dem Hohen und Reinen und mit giftfreiem Humor zu nähren, sich gewöhnt, schamlose Weiber anzusehen und anzuhören, und zwar mit Vielen zugleich, wobei Jeder den Nachbar im Zustand der Begierde, in der Hundsbrunst weiß. Für die Deutschen gehört: sera juvenum Venus. Dem Deutschen soll das Weib bis in reife Jahre Mysterium bleiben, sonst verkommt sein Seelenleben, verlottert, fault im Kern, wird gemein.
Im Oeffentlichen noch der alte Stand: Pfaffen überall Oberwasser, Konkordate mehren sich; der Staat, der im Gefühl seiner Sünden die Kirche zu seinem Stab macht, wie wird er's büßen müssen! Einzig rechte, freilich leider nur ideale Formel lautet: der Staat muß die Kirche zerstören, um die Religion zu retten. Es können nicht zwei Arme in Einem Aermel stecken, aller modus vivendi ist nur palliativ, es gibt kein gesundes Verhältniß zwischen Staat und Kirche, denn nie wird sie auf Macht verzichten, und Macht []gehört doch nur dem Staate. Aber wie ein viel besseres Gewissen müßte der Staat haben, wenn er sich getrauen wollte, der einzige Hüter der ethischen Güter zu werden, wie viel ferner müßte die Gefahr byzantinischer Zustände liegen, die uns in dem Staate drohen würden, wie er bisher war und wie er ist! Er hat ein Gewissen wie ein böses Kind, das sich in der Angst an den Rock einer bösen Mutter hängt. — Und Cavour drüben: freie Kirche im freien Staat!? Unverschämte Kirche im feigen Staat!
Im bessern Staat wäre der Geistliche einfach Staatsdiener als Volkspädagog und Kultusverwalter. Jeder magische Nimbus fiele weg; der Nimbus enthält immer den Zauberbegriff in sich, und davon geht alle Unmöglichkeit des Friedens zwischen Staat und Kirche aus.
Die Romanen befreien sich kritisch von der Kirche, aber sie haben keine sittliche Empörung gegen ihre Lügen, Verderbniß, Blutsinn, Frechheit. Das hatte Luther, das ist deutsch. Daher bleibt ihnen die Kirche eine Schachfigur, mit der sie rechnen. Und so werden sie den Giftkörper, den Kanker nicht los. „Il papato è un cancro, che bisogna lusingare,“ sagte neulich ein Minister. Da hat man's.
[]Weiß der Himmel, daß es der Zeit an Religion fehlt! Aber was ist Religion? Wie tausendmal ist's gesagt, und immer vergeblich, daß an diese und diese übernatürliche Person, behauptete Wunderthatsachen und dergleichen glauben nicht Religion ist. Ja, wenn man unter Glauben verstände Glauben an eine sittliche Weltordnung, die wir nicht streng beweisen können! Aber das meint man ja eben nicht bei dem Wort, sondern Glauben an genannte Stücke, das heißt an sinnlich Einzelnes, das übersinnlich sein soll. Ein Kind könnte doch einsehen, daß man das Alles glauben und doch gemein, niedrig egoistisch, seelenroh, undankbar, lieblos sein, überhaupt so leben kann, als müßte das Weltall diesem Ich dienen. Frage dich täglich: bin ich denn das Weltall? So kannst du dich zur Religion anleiten. Religion ist Opfer der Selbstsucht, Religion ist: Durchschüttert-, Durchweicht-, Durchmürbtsein vom Grundgefühl: ich bin ein Nichts im Ganzen, wenn ich ihm nicht diene! Religion ist daher tragische Freude, zu dienen. Was die Moral fordert, dazu gibt Religion die Lust und Kraft, und was ich fehle, nicht leisten kann: da tröstet mich die Religion durch Gefühl und Ahnen der unendlichen Wechselergänzung im Ganzen.
Je mehr getreuer Knecht, um so mehr bist du frei und Herr.
[]Alle positive Religion unterscheidet sich dadurch von der reinen, daß sie sinnliche Formen in's Uebersinnliche, Begriffe, die nur dem Endlichen gelten, in's Unendliche überträgt. Der Fluch der Pfaffen auf uns heißt, richtig übersetzt: seid verdammt, weil ihr vom Uebersinnlichen nicht sinnlich denkt wie wir!
Geistlichkeit und Geistigkeit sind jedenfalls keine Synonyma. — Es ist nur das kleine l, was den großen Strich dazwischen macht. Das l ist hier eine Schlinge, mittelst welcher in das rein Geistige (sittliche Volkserziehung) ein Zauberbegriff hereingezogen wird. Könnten wir den Begriff aufheben, daß die Verwalter des Kultus und höheren Volkspädagogen Magier seien (in den sogenannten Sakramenten), so wäre ihnen und uns geholfen. Ihnen, denn wie viele brave Männer in diesem Stande werden durch den Machtwahn, zaubern zu können, verführt und verkrümmt!
Religion zu haben, nicht die wahre, sondern was dafür gehalten wird, gilt jetzt für vornehm. Mit schöngebundenem Gesang- oder Gebetbuch in Predigt oder Messe! Wenn sie's wüßten, wie falsch sie Recht haben! Ja wohl, ja wohl, Niemand hat Bildung anzusprechen, der nicht Religion hat! Das wahrhaft Bildende ist []nur die Religion; der Feinste bleibt ein Wilder ohne sie. Aber Religion ist eben ein ander Ding, als ihr meint.
Merkwürdig, welche große Rolle in der sogenannten Religion die Neugierde spielt! Einem gastirenden Prediger nachlaufen: wer kann dem widerstehen! War neulich ein Jesuit bei uns von großem Ruf als Redner, Meister in Effekten, Mischung von tragediante und comediante. Eine Masse von Leuten lief ihm hinein, die nach dem Stand ihres Urtheils einen solchen Hanswurst gar wohl durchschauen. Wenn doch die Menschen begriffen, daß man solcher Neugierde nicht folgen darf, ohne Schuld auf sich zu laden! Denn daß ihr mit freiem Urtheil kommt, das sieht euch Niemand an, ihr zählt eben in der Menge mit, und helft also mit, das Ansehen, die Macht des Wahnes, den Glanzerfolg und Ruhm der Charlatanerie zu vermehren. — Neuerdings findet ein Pasquillroman ungeheuern Abgang. Unter den Käufern kenne ich manche, die ihn verachten, aber der Neugierde nicht widerstehen können, ihn zu lesen, sie vermehren also den Succeß des Schlechten. „Einer, das macht ja nichts“, aber so denken Tausende.
Der Hund hat etwas der Religion Analoges in sich, indem er getreuer Knecht ist. — Um dieses Besten []willen ist schändlicherweise sein Name ein Schimpfwort geworden.
Wie oft in Gesellschaft, die sich für so recht gebildet und interessant hält, bei all' dem Gerede und Feinthun seufze ich innerlich: wenn doch nur ein Hund da wäre!
Alle und jede, die in dieser arsenikalischen Zeit noch nicht so stark an Blutvergiftung leiden, daß sie nicht durch strenge Diät noch rettbar wären, sollte man einsperren und zwingen, den Homer zu lesen mit guter Anleitung, und zwar so oft, so lang, bis sie ihn auswendig wissen. Dann könnte man sie frei lassen. Verdorbene, ironisch Durchsäuerte, Blasirte, die nur Verpfeffertes, Muffiges lesen können, sollte man auf Zeitlebens einsetzen mit keiner andern Lektüre als Homer: gute Höllenstrafe.
Ich muß mir mit Anstrengung immer wieder sagen: vergiß nicht, das Gemeine und Schlechte spielt breit auf der Oberfläche, ist haußen auf dem offenen Markte, still in ihren vier Wänden sitzen noch gewissenhafte Beamte, Gelehrte, Künstler, in ihren Werkstätten Hand []werker, in ihren Spitälern Aerzte, und arbeiten ehrlich und ernstlich, oft um kargen Sold. Der Glaube ist eine gewisse Zuversicht deß, das man nicht siehet. —
Aber was jene Hetzjäger um Geld und Genuß eigentlich meinen, dazu reicht mein Kopf nicht, das zu verstehen. Wer nur begriffe, was sie wollen? Muß man sich denn so schrecklich Mühe geben, um sich ein schlechtes Gewissen zu erschinden? Da wäre ein ordentlicher Straßenraub, Mord, Einbruch doch kürzer, rascher, unterhaltender. Meine Kerle hinter Schloß und Riegel sind mir oft ganz achtbar, wenn ich an das für honett geltende Hetzjagdpack denke.
Neulich bringt ein Scheusal im Wahne, die Seinigen vor Verarmung retten zu müssen, Frau und vier Kinder um. Nun schaudert Alles. Es ist grauenhaft, aber viel grauenhafter ist mir das Gift, das jetzt wie ein Geist umgeht und immer tiefer und weiter in die Massen dringt; davor schauern die Leute nicht, weil sie Geister nicht sehen können.
Uebrigens hätte ich den Bluthund fixweg zum Tod verurtheilt. Zurechnungsfähig oder nicht? Als er den []Mordgedanken faßte, da war er unzweifelhaft zurechnungsfähig; es weiß Jeder, daß Mord Verbrechen ist. Er gab ihm Gehör, er hegte ihn, bis er ihm über den Kopf wuchs, bis er halb unfrei von der großgenährten Geburt seines eigenen Gehirnes fortgezogen wurde. Ebendieß bedeutet der Geisterdolch, der den Macbeth magisch nach Dunkan's Schlafgemach zieht. Die Umkehrung der Freiheit in Unfreiheit ist also selbst Schuld.
Ueber Todesstrafe wie oft meine Ansicht gewechselt für und gegen, gegen und für, bis ich mir's ganz gemein einfach so formulirt habe —: An der Gewalt der Abschreckung ist nicht zu zweifeln. Das weiß ich von mir selbst. Es schlummert in Jedem ein möglicher Mörder. Wenn ab und zu der Satangedanke in mir aufschoß, einen rechten Hauptschurken abzumucksen, hab' ich mich alsbald darüber ertappt, daß im selben Moment ein Besinnen eintrat: wie es verbergen, um dem Schaffot zu entgehen? Natürlich nicht immer vermag es die Abschreckung gegen die Stärke der Leidenschaft, aber doch in manchen Fällen, nehmen wir immerhin die wenigeren an. Gut, und nun sage ich so: wenn ich sechs Mörder dem Schwert überliefert habe und es dadurch erreiche, daß in einem siebenten Falle die Angst vor der Todesstrafe einen []Menschen abhält, der große Lust zu einem Morde hätte, daß also ein schon zum Mord ausersehenes Opfer gerettet wird, so sind doch jene sechs wahrhaftig nicht zu gut gewesen, diese Rettung durch ihren Tod zu erzielen. Dieß ist eine schlichte und doch gewiß zugleich sehr expediente Rechnung.
Anderes genügt nicht, die Todesstrafe zu rechtfertigen. Sie ist rein juridisch nicht haltbar. Strafe ist doch Zufügung eines Uebels; das ist nicht die ganze Definition, aber doch ein wesentlicher Theil derselben. Um ein Uebel zuzufügen, brauche ich ein Subjekt, dem ich es zufüge, das es empfindet. Ein Subjekt aufheben heißt aber nicht, einem Subjekt ein Uebel zufügen. Der Tod ist kein Uebel, das ein Subjekt empfindet, denn wenn der Tod da ist, ist das Subjekt nicht mehr da. Etwas Anderes ist die Todesangst. Sie ist das entsetzlichste aller Uebel. Einem Menschen den Tod auf eine bestimmte Stunde, Minute als unentrinnbar ansagen, das stürzt seine Phantasie in eine Hölle von Qualen, die kein Name nennt. Diese Qualenhölle will aber als solche das Recht nicht: es verhängt den Tod, nicht die Todesangst. Also was das Recht will, ist kein Uebel, und was es nicht will, das größte, äußerste von allen. Dem ist aber nicht abzuhelfen, denn sucht man auch auf einen Augen []blick den Unsinn festzuhalten, die Justiz dürfte die Ankündigung der Todesstrafe unterlassen, den Verbrecher im Gefängniß überfallen, wie er sein Opfer überfiel: das müßte ja eingeführt sein, dem Verbrecher wäre also diese Methode bekannt und das Bewußtsein der ungewissen Gewißheit, dieß entsetzliche, grausige Warten stürzte ihn in denselben Höllenabgrund der Angst, wie die Ankündigung. Summa: die Todesstrafe ist keine rechtliche Strafe, aber eine wohlbegründete Sicherungsmaßregel gegen Bestien, vor denen das Menschenleben nicht sicher ist.
Erholt und erquickt nach so viel Grassem, da mich die bildschönen Nachbarkinder besuchten. — Man ist froh, wenn man wieder in ein gutes Kindergesicht sieht. — Am Kindergesicht finde ich dieß das Rührende, daß es so lieblich arm bittend zu sagen scheint: ich kann ja gewiß nichts dafür, daß ich gemacht bin. — Eigentlich von Rechtswegen sollte man Jeden vorher fragen, ob er existiren wolle. Dabei müßte man sein Lebensschicksal wissen, ihm voraussagen, und so dann fragen: willst du unter diesen Bedingungen zur Existenz gelangen? Müßte man nun dem Gefragten ein ganz unglückliches Leben in Aussicht stellen, würde der wohl Ja sagen? — Hier hebt sich die ganze, höchst belehrende Vorstellung von selbst auf. Ja, []freilich würde er Ja sagen! Denn unser Satz nimmt an, er lebe, ehe er lebt, sonst könnte man ihn ja nicht fragen. Dann hat er ja aber das Leben schon verschmeckt, schon sich angewöhnt, und diesem Reiz widerstehe der Teufel!
Wen der Gedanke unglücklich macht, nach dem Tode nicht fortzuleben, der müßte eigentlich an die logische Konsequenz erinnert werden. Es ist doch Niemand unglücklich darüber, daß er einmal erst angefangen hat, zu leben, daß er vor seiner Geburt nicht lebte; ebensowenig sollte er darüber unglücklich sein, daß er einmal aufhören wird, zu leben. Freilich, da ist ein großer Unterschied: in der Zwischenzeit hat er sich das Leben angewöhnt und das schmeckt eben ungeheuer nach mehr, mehr! Wohl, aber dennoch steht jene Logik fest, unwiderlegbar, mathematisch exakt.
„Süßes Leben! Schöne, freundliche Gewohnheit des Daseins!“ So über die Straße gehen; da kommt ein alter Kamerad gestiegen. „Ei, grüß' dich Gott! Was machst auch? Wie geht's? Komm' da herein, wir trinken ein Gläschen!“ — Ja, daß das einmal aufhören muß, lernt sich nicht leicht.
[]Aber es ist nicht anders: wenn wir unsterblich wären, würden wir nicht sterben.
Jeder Mensch ist ein Schwab. Und da ist das Sprüchwort nicht richtig; es ist nichts mit dem Gescheutwerden im vierzigsten Jahr. Was ein rechter Mensch ist, wird nie gescheut. Ein dummer Mensch wird bald gescheut, ein gescheuter bleibt dumm bis an sein seliges Ende. Das Unglück, ganz gescheut zu werden, erlebt aber der Mensch erst, wenn er stirbt. Das einzige absolut richtige Urtheil, das Jeder, auch der Allerdummste fällt, ist der Tod, denn er ist das Urtheil, daß der Einzelne nicht die Gattung ist.
Das Alles sind aber nichts als arme Zeitgeschichten. In jedem Zeitmoment, wo er wahrhaft lebt, lebt jeder Mensch ewig. Der Dummste kann sich wenigstens freuen, — ich meine wahre Freude. Da vergißt er die Zeit und da ist er gescheut.
Wie hoch steht ein spielendes Thier über einer Geldseele, hoch im Idealreich des Zwecklosen! — Jetzt hab’ ich’s, ein Hund muß wieder her, das fehlt mir.
[]Und die Moden! Auf jedem Schritt über die Straßen werde ich beleidigt. Karikaturen auf Weg und Steg. „Jeder nach seinem Geschmack!“ Gut! Nur zu! Nur zu! Man sieht, was dabei herauskommt! — Ich finde, daß ein Mensch, der sich ganz geschmacklos kleidet, ja in seinem Anzug eine förmliche Rebellion gegen den Geschmack aufthut, eigentlich etwas Aggressives für jeden Begegnenden in seiner Erscheinung hat, etwas Kränkendes, Injuriöses. Ich meine nicht alte Herren, die hinter der Mode bleiben, nicht gutartige Narren, die irgend ein Formen- oder Farbenkobold reitet, sondern Stutzer und Stutzerinnen, die eine rohe Unform der Mode flugs mitmachen und noch übertreiben. Sie haben einen Ausdruck im Gesicht, in allen Bewegungen, der stillschweigend dem Mitmenschen zuruft: „Es soll dir doch gefallen! Siehst du, so mußt du mich nun sehen, magst wollen oder nicht! Ich schlage dir mit dieser meiner Verzerrung des richtigen Menschenbilds in's Gesicht und du darfst nicht mucksen!“
Was folgt? Das folgt, daß es auch in diesem Gebiet heißt: der Mensch ist nicht geboren, frei zu sein! Er gebraucht seine Freiheit, die freilich doch nur die Freiheit des Sklaven, nur Modeknechtschaft ist, zu nichts, als zur Mißhandlung seiner Mitmenschen!
Ach! nun aber auch in diesem Stück: woher den Gerichtshof nehmen, woraus ihn bilden, dem man die []Gewalt anvertrauen dürfte, eine Kleiderordnung einzusetzen, nach ihr die wilde Willkür zu maßregeln, frech Gekleidete flugs zu arretiren!
Sonntagsgetriebe. Da fahren sie; gefahren muß sein. Nach den Pferden, ob sie es leisten können, fällt Keinem ein zu sehen, auch keinem Weib. Ich müßt' mich schon vor so einem armen, lahmen, müden Thiere schämen, breit einzusitzen und seine letzte Kraft zu mißbrauchen.
Unglückliche Hundsgeschichte. Dumm genug, einen Bologneser aus vornehmem Haus zu übernehmen. Hieß Ida. Demoralisirte Bestie, gehorcht nicht. Gerichtsakt vollzogen. Wieder teuflischer Rank des Zufalls! — Doch zugleich Lenkung höheren Fingers: muß gerade der Tuckmäuser es sein — heiter, hübsch, wie das Ministerialräthchen in den Koth purzelt, da ihm das pelzige Wurfgeschoß an den Kopf fliegt.
Dießmal noch verpflastert. Das Männlein wollte auf Realinjurie klagen. Steht wieder ab. Sie brauchen mich, weiß. — Bin aber nicht zu Allem brauchbar. Mir ist doch immer vor, es gehe noch einmal zu bösen Häusern.
[]Ich tauge eben nicht in Familiengesellschaften. Kann ja jetzt auch besser Abends zu Haus bleiben, seit Frau Hedwig Haus hält, und etwas plaudern. War das eine verfluchte Geschichte bei dem Stadtpfarrer Zunger, wo ich sonst nicht ungern, weil bürgerliche Bildung. Wieder Choralgespiel. Lachkrampf über dem „verhärteten“. Gerade recht, daß ich durchbrennen mußte, so konnte die treffliche Frau Stadtpfarrerin doch ihr unerträgliches Thema nicht fortsetzen. Will mir kuppeln. „Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei“ und dergleichen. Hat mich schon einmal ganz wild gemacht. Frau Hedwig versteht's besser, begreift, daß man mich damit in Ruhe lassen soll, daß ich einsamer, freier Mensch sein muß, gesellig nur, wenn ich mag und bedarf. Liebt die Thiere; hat mir den jungen Kater eingethan, wahrscheinlich echt ägyptischer Abkunft, blaßgelb, geströmt. Hilft mir, nachdem es nichts war mit der Ida, bessern Hund suchen.
Vortreffliche, vernünftige Art, diese hülfreiche Base. Nüchtern, nie aufgeregt. Kann sogar rechnen. Wenn es nur nicht vier Spezies gäbe, das ist zu viel; ich bringe es über Addiren nicht mehr hinaus. — Und hat doch auch Phantasietalent. Lernt; versteht die Tücke des Objekts und wie gerecht dagegen die Justiz []akte. Nur in Hemdknöpfchen auch sie, auch sie nicht ganz zuverlässig.
Gleich zwei neue aufgegabelt, Hatzrüd und Rattenfänger, beide noch jung. Vom ersten Tag an schon gute Kameraden. Gute moralische Anlagen.
Höhere Thiere, gebildete Hausthiere können doch recht affektirt sein; versteht sich: naiv affektirt zu ihrem Zweck. Der Kleine geht nicht gern in's Wasser. Ich hetz' ihn scharf. Jetzt stellt er sich, als versteh' er mich falsch und fährt wie wüthend auf einen unschuldigen Wanderer auf der Landstraße los.
Spielen ganz reizend mit dem Kater. Hund ganz Pierro, Katze ganz Arlecchino.
Außer dem Hunde wohl nur der Elephant lernt das Deuten verstehen, nie eine Katze, auch kein Affe. Es ist kein Kleines, von der Spitze des Fingers eine geistige Linie nach dem Punkte ziehen, wohin er deutet. Es hat mich einmal ein altes Weib bedient, das es nicht verstand.
[]Das Heulen des Hunds bei Musik ist ein ganz anderes, als wenn er aus gewöhnlichem Schmerz heult. Ich habe einen Hund beim Anblick eines seltenen großen ungarischen Bocks ebenso heulen hören. Es ist Unglück, nicht Klassifiziren zu können.
Die Katze hat neben dem vielen sich Putzen auch dieß mit dem Weib gemein, daß sie gern zu Haus bleibt. Aber noch etwas, was mich oft wirklich erschreckt: die starken Backenknochen; man sehe nach: fast jeder weibliche Kopf hat darin etwas katzenartiges. Nicht alle, gottlob! Kenne Ausnahmen.
Der gebildete Hund leidet auch an wahrhaft menschlichen Krankheiten. Die meisten Hunde in besseren Häusern sind Hämorrhoidarien. Die Katze dagegen hat Schwierigkeiten im Schlingen, engen Schlund. Interessanter Polarismus!
Die Menschen fallen mir sehr ein, wenn ich zu meiner Erheiterung Morgens früh aus dem Fenster die Nachbarhunde beobachte. Einer wie der andere, auch die wohlgenährten Lieblinge seiner Familien machen sich an die Kehrichtfässer und wühlen; dabei haben sie []ein grundschlechtes Gewissen und hängen miserabel den Schwanz, sie schämen sich ihrer Niedertracht vor ihrem Herrn, den sie abwesend wissen und sich doch gegenwärtig vorstellen, ja schämen sich vor sich selbst, vor ihrem besseren Ich, und können doch nicht ablassen. O, es sind noch lang nicht die übelsten Menschen, die wenigstens vor sich erröthen, während sie im Kehricht nach dem alten, schmutzigen Knochen wühlen, den die Mehrheit für Inhalt des Lebens hält.
Wie viel geben die Schreckmittel der Thiere zu denken! Neulich erschrack ich, als ich einen Siphon zu stark drückte und das Wasser zischend, speiend herausfuhr. Fiel mir ein, daß gerade so die Katze thut. Wer hat nun die Katze gelehrt: du mußt, um dich zu wehren, thun, daß der Feind meint, es werde ihm Wasser in's Gesicht gespieen!? Der Siphon war doch lange noch nicht erfunden, als die Katze wurde. Wer die Gans: du mußt dich in eine zischende, züngelnde Schlange oder Drachen verwandeln!? Wer den Hund: du mußt durch einen Schuß erschrecken!? da doch das Schießpulver noch lange nicht erfunden war! Dann im Guten, im Frieden. Als noch gesponnen wurde, wie behaglich hörte sich der Ton des Spinnrads namentlich an Winterabenden an, wenn die Familie gemüthlich beisammensaß! Das weiß die Katze, darum []schnurrt sie, aber es gab doch noch kein Spinnrad, als die Natur die Katze erfand und die Katze das Schnurren.
Nil admirari? Nein, nein: omnia admirari!
Symbolik der Thiersprache. Immer zu wenig beobachtet. Weit mehr Menschenähnlichkeit, als man glaubt. Viel gelernt aus dem trefflichen Buche von Piderit: Wissenschaftliches System der Mimik und Physiognomik. In aller natürlichen Mimik werden physisch motivirte Bewegungen unwillkürlich verwendet, um nach Analogie seelische Zustände auszudrücken. Um zum Beispiel widerlichen Geschmack zu vermindern, entfernt der Mensch den Unterkiefer vom Oberkiefer, denn das Schmecken ist schwächer, wenn die Zunge sich nicht an die Gaumenwölbung legt. Und dasselbe thut man, wenn man moralischen Eckel ausdrücken will. An solchen Uebertragungen fehlt es auch im Thierleben nicht. Der Hund leckt sich das Maul aus, wenn er was Gutes gefressen hat, er thut es auch, wenn er einen guten Bissen vor sich sieht oder ihm nur die hoffende Vorstellung davon aufsteigt; er gibt sich Vorschmack. Diese Gebärde trägt er aber nun über auf Verhältnisse, die für ihn das sind, was für uns []Situationen, welche versprechen, geistig interessant zu werden. Es nähert sich zum Beispiel ein Unbekannter — ein Hund meine ich und rede nicht von Hündin, es handelt sich von Fällen ohne Geschlechtsreiz. Wenn dieser dem diesseitigen Hund bedeutsam erscheint, so daß er sich vorstellt, es werde da ein belebtes Verhältniß, vielleicht flotte Rauferei sich ergeben, so leckt er sich das Maul aus, er gibt sich Vorschmack, nun also rein symbolisch. — Wie fragt ein Hund? Wenn er etwas sieht, was er nicht erkennt, so stellt er den Kopf schief, verändert hiemit den Sehwinkel, um deutlicher wahrzunehmen; dasselbe thut er nun, wenn er einen Befehl nicht versteht oder seinen Herrn fragt, ob er noch nicht nach Hause gehe.
Wenn die Katze von einer ganz angenehmen Vorstellung erfüllt ist, stellt sie den Schwanz kerzengerad aufwärts. Wenn sie angreift, trägt sie ihn von der Wurzel aus in einem Bogen, von da an einfach niederhängend; ebenso wenn sie Ansatz zum Scheinkampf, zum Spiele nimmt. Soll aber das Spiel recht ausnehmend lustig werden, ist sie ganz hanswurstisch gestimmt, dann thut sie von der Seite gesehen dasselbe, jedoch so, daß von hinten gesehen der Schwanz zugleich schief steht. Das heißt doch ganz klar: jetzt soll es einmal ganz schief hergehen!
Es wäre noch viel von dem Ringeln des Schwanzes zu sagen. Es drückt immer prickelnde Gedanken aus, []ernst schlimme oder humoristisch schlimme. Häufiger Ersteres.
Ich sah auf einer Dachrinne ein Schwälbchen sitzen, das flügge war, aber noch nicht jagen konnte. Es wurde von den Alten geäzt, die mit Tausenden in der Luft herumschwirrten. Das Junge sah immer wartend in die Höhe und schüttelte mit der bekannten Bittgeberde die Flügel, wenn eines der Alten herbeigeflogen kam. Es erkannte aber dieselben auf weite Ferne, wenn sie sich noch mitten in der schwärmenden Schwalbenmenge befanden, und dieß Erkennen ließ sich mit Sicherheit beobachten, denn niemals schüttelte es die Flügel, ohne daß bald nachher eines der Alten mit Futter eingetroffen wäre. An was nun aber? Unmöglich an etwas Anderem, als an individuellen Eigenheiten in der Flugbewegung, die kein Menschenauge je entdecken könnte. Unbegreiflich! Da fiel mir aber ein, daß wir unsersgleichen an Eigenheiten der Handschrift erkennen, die um nichts bestimmbarer sind, als jene im Flug eines Vogels. Es gibt kein Maß für die Unterschiede der Führung der Feder bei Schreibung eines Buchstabs, sie sind nicht minder fein, als der Bogen oder Haken, wie diese und keine andere Schwalbe ihn beschreibt, oder die Art der Tragung oder der besondere Umriß ihres Flügels, und doch, wenn uns []eine Handschrift öfter vorgekommen, wissen wir mit dem ersten Blick auf eine Briefadresse, wer den Brief geschrieben. Unerforschliches Wunder der Individualität und der Sicherheit und Schnelligkeit des Schlusses aus der sinnlichen Wahrnehmung!
Zu den stärksten Beweisen gegen den Materialismus gehört die Schamröthe und das Genie. Wenn sich der Mensch schämt, wünscht er, nicht gesehen zu werden, möchte sein Gesicht verhüllen; so ist sein Gefühl, nicht daß er es irgend in Worten dächte. Was thut die Natur? Sie pumpt das Blut in die kleinen Gefäße des Angesichts, um rasch einen rothen Schleier darüber zu ziehen. Das ist freilich kein eigentliches Verhüllen, sie kann es eben nicht besser, sie macht's, so gut sie kann, symbolisch. Wenn nun die Natur so etwas vermag, wenn in dem, was wir Materie nennen, so etwas vorgeht, so muß doch die Materie etwas Anderes sein, als die Materialisten meinen. Sagte ein Gegner, da handle es sich ja nicht von getrennter Materie, sondern von solcher, die in den Zusammenhang aufgenommen sei, welchen wir seelisch nennen: gut; wie könnte aber Stoff, als purer Stoff angesehen, je in solchen Zusammenhang treten? — Das Genie wird geboren. Wird es geboren, so folgt haarscharf, daß die Natur selbst ein Genie ist. Wendet []da nichts von Vererben ein! Es kann durch Vererbungssummationen nichts werden, was nicht potentialiter in den sogenannten Atomen liegt. Zwei Sätze stehen gegen einander und wollen in Einklang gebracht sein: Geist ist nicht, wo kein Träger für Geist (Gehirn). Und: ein Träger für Geist könnte nicht entstehen, wenn die Materie nur wäre, was wir Materie nennen. Die Materie, als Gehirn, denkt, ist Geist, der Geist als Gehirn ist Materie, und umgekehrt.
Materialisten und Spiritualisten: sollte man die Einen nehmen und die Andern damit herumschlagen. Die Materie ist und ist nicht; sie wird stets auf's Neue gesetzt, um in immer neuen Formen in Leben, Empfindung, Geist aufgehoben zu werden. Es gibt Materie und es gibt keine. Sie ist das μὴ ὂν. Die Materie ist nur insofern, als —
Ein Dichter ist immer gescheuter, als er selbst; freilich auch dummer, als er selbst.
Wir stecken bis über die Ohren im Universum. Wir haben bei der Weltwerdung mitgethan, oder, da sie ja ewig ist, vielmehr: wir thun mit. Es sind nur []so Viele, daß die Portion von Mitthun, die auf Einen kommt, unendlich klein ist, und daher sind wir uns des Mitthuns nicht bewußt. So können wir auch nur mit Hülfe schwerer Wissenschaft und nur sehr kümmerlich herausbringen, wie wir beim Bauen unseres untern Stockwerks, des sogenannten Körpers, verfahren sind oder vielmehr verfahren. Ueber der Mühe, die der Aufbau des oberen Stockwerks kostet, haben wir es vergessen oder vielmehr vergessen es jeden Augenblick. So können wir uns durchaus nicht besinnen, warum wir als winzige Theile des Ganzen, doch aber bei ihm mitbeschäftigt, öfters nicht umhin können, uns krank zu machen. Daher kommt uns dieß dann rein als fremde Gewalt vor. Aber es liegt ein großer Trost darin, es zu erkennen, daß eigentlich wir selbst als Theile des unendlichen Ganzen es eben nicht anders fügen konnten, daß also auch der Tod schließlich immer unsere eigene That ist; dieß Denken befreit, macht frei.
Die Natur ist Phantasie und zwar geregelte. Unsere menschliche Phantasie ist vorerst ungeregelt. Wenn sie sich bildet, bringt sie es dahin, der geregelten Phantasie, nemlich also der Natur, obwohl ihr absolut verpflichtet, in freiem Scheinbild nachzuhelfen. Denn die geregelte Phantasie bei aller übrigen Sicherheit leidet doch an sehr großen Lücken, lapsus, setzt []ihre Produkte jedem verderblichen Zufall aus und führt daher ihre Anschauungen nie rein durch, bis sie sich im Menschen als Künstler erst zur Reinheit sammelt und aus den getrübten Formen die Urform herstellt.
Da die δóξα unvernünftig und allgemein ist, so muß, wer besser sieht, nothwendig immer paradox erscheinen. Alle Wahrheit ist paradox. — Man sollte eigentlich Unterricht darin nehmen, in Gemeinplätzen zu reden; hätte man es gut gelernt, so wäre man in Gesellschaft besser gelitten. Es kann den Menschen nicht angenehm sein, wenn man ihnen zumuthet, auf dem Kopfe zu gehen.
Auch im Sehen des sogenannten Kleinen hält man die helleren Menschen für halb verrückt. Im Ganzen sind die Leute doch eben durch ihre Blindheit glücklich. Niemand will an einem Föhntag glauben, daß er die Zeche schon am Abend, in der Nacht, jedenfalls den andern Tag mit Unwetter zahlen muß. Die Menschen haben in Mehrheit auch äußerst grobe Sinne, stumpfe Nerven. Sie geben auch nicht Acht. Sie wollen durchaus im Zerstreuten, im Dusel leben. Wer gefälschte Getränke genießt, dem schwebt wohl dunkel vor, es schmecke etwas Fremdes auf der Zunge, []aber wie gegen den Satan sperrt er sich dagegen, den Eindruck in's Bewußtsein, in's Nachdenken zu erheben. Spürt er Tags darauf die nux vomica im Hirn, so flirrt ihm wohl etwas vor, es sei da oben nicht ganz richtig, aber reflektiren? O, nur das nicht! — Neulich war ich im Gespräch mit einem sehr gelehrten und gescheuten Mann; es kam ihm ein Haar vom Kopf zwischen die Wimpern und hieng ihm gerade über's Auge. Es brauchte ungefähr eine Viertelstunde, bis er etwas bemerkte, dann fieng er an, zu schielen; man sah ihm an, daß ihn etwas störe, er wurde zerstreut, aber da war keine Rede von so viel Konzentration auf seinen Zustand, daß er auf die Ursache hätte kommen können. Ich stand auf, zog ihm das Haar aus den Wimpern und er war sehr verwundert, daß es ihm nun wieder freier und lichter zu Muthe war. — Ach, ja freilich, schon gut, daß die Welt so ist! Wenn die Menschen sehend wären, wo käme ihr Glück hin, so wie die Meisten sind, unfähig, das Glück im Unsichtbaren zu finden! Aber wir Wenigen sind eben auch so, wie wir sind, warum muß also uns die Menschheit so grimmig hassen, so höhnisch verlachen, weil wir das Haar vor ihrem Auge sehen?
Und im Gespräch sind sie auch merkwürdig, selbst abgesehen vom Durcheinanderschreien. Herr N. N. hört []dir gespannt zu, so scheint es. Auf einmal fangen seine Augensterne an, zu fappeln, zu irren, er hört nach einer andern Seite. Die Gedanken auch nur fünf Minuten beisammenbehalten — es wäre ja entsetzlich, nicht zu ertragen! O, dieß Geschlecht kann nur unter der Fuchtel des Unteroffiziers aufmerken, und darunter gehört es auch. — Unter den Künsten zwingt die Musik am wenigsten, die Gedanken zusammenzuhalten, darum ist die Mehrzahl musikliebend. Alle Menschen sind eigentlich Wiener.
Muß jetzt auch mehr in vornehme Gesellschaft — — Was ich doch mit der Form auf gespanntem Fuße stehe! Ich respektire sie eigentlich, ja freue mich an ihr, weiß jedenfalls ganz gut, wie nothwendig sie ist. Dazwischen aber habe ich Stunden, wo ich einem ungeheuren Reiz nicht widerstehen kann, sie vor den Kopf zu stoßen, ihr auf's Muthwilligste zu zeigen, daß ich sie als geistlos verachte, weil sie doch gar so viel Irrationelles enthält und so äußerst zahm ist. Auch Stunden, wo ich zwar ganz zahm, aber durchaus besinnungslos bin in Beziehung auf sie und Dummheiten, Vergessenheiten begehe, die unglaublich sind. Etwas von einer solchen Natur ist in Goethe's „Tasso“ idealisirt. Der Dichter selbst, in der Lage wie sein Tasso, hat sich durch die Angewöhnung einer []steifen Würde herausgeholfen. Das ist die beste Entschuldigung für die seltsame Feierlichkeit, die er nach und nach annahm. Als ein Sohn der Natur und Phantasie konnte er sich nicht gehen lassen, ohne Formen zu verletzen; da konnte ihn nur der Zwang retten, den er sich so lang anthat, bis er ihm saß wie ein getragener Rock. Seine Steifheit beweist also ihr Gegentheil in Goethe's Natur. Wer über die Form erhaben ist, ist ängstlich in ihr.
Es gibt zweierlei Takt: formellen und Herzenstakt. Jener vermeidet das Unschickliche, dieser das Unzarte. Es ist schwer, den ersten sich zu erwerben, er lernt sich nur durch lange gesellige Uebung. Es ist ungefähr wie vier- oder sechsspännig fahren lernen. Der Taktlose gibt nur auf die zwei ersten Pferde Acht, und sieht nicht, ob die vordersten irgendwo anrennen; wer Takt hat, sieht immer auf alle vier oder sechs. Der Herzens- oder Seelentakt aber läßt sich nicht erlernen, man hat ihn oder nicht. Man kann ihn haben und den formellen nicht, man kann diesen haben, ja sehr haben und keine Spur vom Herzenstakt. Gar Manche fahren ganz sicher und geschickt, rennen nie an einen Eckstein, aber es gibt unsichtbare Ecksteine, das sind die zartesten Empfindungen der Menschen, die wir schonen sollen, wir müssen []sie spüren, und der feinste Pferdelenker spürt sie häufig nicht.
Beide Taktarten vereinigen sich aber äußerst schwer und selten.
Die formelle lernen besonders die Gelehrten schwer. Sie spannen sich zum Beispiel im Gespräch mit naivem Eifer direkt auf den Gegenstand, und bedenken nicht, wer die Zuhörer sind. Sie können nur zwei-, fast nur einspännig fahren; es geht immer ungeschickt ehrlich geradeaus auf Beweis, auf Erklärung los. Aehnliches passirt aber auch Phantasiemenschen wie unsereinem; im raschen Bilderzug vergessen sie, wer herumsitzt.
Man meint immer, Einmal dürfe man sich doch gehen lassen. Falsch! Man darf es nie. Es ist kein Moment, wo man nicht gegen innern oder äußern Feind auf der Wacht stehen muß. Die Menschen um uns, selbst die besten, sie schenken uns keine Blöße. Selbst in der Liebe darfst du nie dich gehen lassen. Das liebreichste Weib möchte dich beherrschen. Nie ist Waffenstillstand. Das Leben ist schwer! Wehe dem, der nicht in jedem Augenblick geladen, Zündhütchen auf, Finger am Drücker hat!
Das darf ich diesem Herrn von Y. nicht vergessen, daß ich neulich, als er mitten im friedlichen Gespräch []so bissig gegen mich ausfuhr, nicht gefaßt war, ihm die gehörige Antwort zu geben. Wenn ich unvorbereitet mit scharfem Wort angegriffen werde, geht mir eine türkische Musik im Kopfe los, alles Blut steigt in's Hirn, die rechte Erwiderung fällt mir ein, wenn der Mensch fort ist, und wird dann zu einer vortrefflichen Rede komponirt. So bin ich wehrlos, aber darum darf ich nicht ehrlos sein. Etwas muß doch geschehen gegen den, der mich überfallen hat, als mein Gewehr ungeladen an der Wand hieng, ich meide ihn, ich spreche womöglich nie mehr mit ihm. Blind, wie die Menschen in ihrer Bosheit sind, weiß ein Solcher dann gewöhnlich gar nicht mehr, was er mir angethan hat und warum ich mit ihm gebrochen. Wird es ihm kund, so meint er, ich sei ein Trutzer, ein Nachträger, während ich im Grunde doch mir selbst eine Buße auflege: ich strafe mich für meinen erbärmlichen esprit de l'escalier dadurch, daß ich mir die Entbehrung eines Umgangs auflege, der Werth für mich hatte, worin ich aber jeden Tag unsicher bin, ob ich nicht auf's Neue in den Fall komme, in der Blöße meiner Wehrlosigkeit dazustehen. — Es ist sehr fatal. Aber macht' ich's nicht so, die Menschen würden am Ende Holz auf mir spalten.
Hat mir Jemand Unrecht gethan, so passirt mir oft und leicht die Verwechslung, daß ich mich vor ihm []schäme, statt mich für ihn zu schämen; mir ist, als hätte ich das Unrecht ihm gethan. Anders, wenn es in meiner Macht liegt, ihn zu strafen; ist dieß vollzogen, so bin ich wieder leicht und frei und verzeihe mir, will sagen: ihm, gern und ganz das Verübte. Denn ich strafe eigentlich ungern, wiewohl scharf.
Briefe ohne besondern Inhalt lasse ich nun Frau Hedwig ganz selber komponiren und unterzeiche nur. Aber solche, die ich selbst abfassen muß, da ist eben die alte Noth. O, wie schwer ist ein Brief! Gerade auch an Freunde! — Man meint: da darfst du dich ja gehen lassen, es ist ja doch fast wie gesprochen, ist ja kein Aufsatz, kein Amtsschreiben. Aber was Schwarz auf Weiß dasteht, ist eben ein ander Ding als das Gesprochene: hier ist der Ton der Stimme, Blick, Mienenspiel dabei und bringt zu einem scharfen Wort, einem stark gesalzenen Spaß die erklärende, versöhnende Begleitung, während die schwarzen Haken auf dem Papier abstrakt dastehen und am Leser herumkratzen. Das mag der Teufel lernen, sich gehen lassen und zugleich nicht gehen lassen, einen Besuch machen in Hemdärmeln und doch im wohlgebürsteten und geknöpften Rock! — Zehnmal lieber ein neues Polizeigesetz verfassen oder hundert Paragraphen eines philosophischen Lehrbuchs in Lapidarstyl! Ich schreibe auch []nicht Einen Brief, in den mir nicht etwas Ungeschicktes hineinkommt. Wie viele habe ich verbrannt, neu geschrieben, ein drittes Mal sogar! Aber es dauert einen eben oft die Zeit, da bedenkt man dann nicht, daß man besser jetzt Zeit verliert, als auf Tage, Wochen oder länger die gute Stimmung, und man wirft den Brief in die Postlade. Dann fängt die Reue an zu bohren, zu graben, — dumpfe Spannung, bis die Anwort kommt, — dann sieht man aus dieser, wie man wehe gethan. — Nun aber erst noch das glatte Postpapier und der Racker von Feder! Wie oft habe ich mit spröder Feder grob geschrieben, wo ich freundlich, und mit zu weicher schlaff und breiig, wo ich mannhaft entschieden schreiben wollte!
Verwünschte Kanzleirechnung! — Wieder dreimal verrechnet, da ich sie nicht zu Frau Hedwig hinübernehmen konnte, mir helfen zu lassen. Menschen, die das arithmetische Organ haben, können sich in solche, denen es fehlt, gar nicht genügend versetzen. Es ist nicht bloß, daß man nothdürftig nur noch addiren kann; nein, man hat sich so oft verrechnet, daß man dem ganz Gewissen, dem Ausgemachten nicht traut. Wenn ich irgend eine Amtsrechnung prüfen soll: ich weiß wohl, daß zweimal zwei vier ist; aber könnte es denn nicht ausnahmsweise einmal, zum Beispiel heute []Vormittag, fünf sein? Ein Jammerstand des Bewußtseins, ein tiefinneres Unglück und Elend.
Frau Hedwig, mein guter Privatsekretär, meint, die Briefe, die ich selbst abfassen muß, könne ich ihr ja diktiren. Kann ihr aber nicht diktiren, fällt mir nichts ein, wenn Jemand mit angesetzter Feder wartet. Neulich soll meinem Pferde zur Ader gelassen werden, der Bediente bestellt einen festen, auch darin erfahrenen Hufschmied. Ich sehe zu. Der nörgelt an dem Thier herum, will den Schnepper hier, dort anlegen, kommt nicht zum Schluß, nimmt den Johann in eine Ecke, flüstert mit ihm, und dieser tritt zu mir her und richtet mir aus: ich möge doch verzeihen, der Hufschmied könne es nicht verrichten, wenn ich zusehe. Und es ist ein starker, breiter, nichts weniger als nervöser Mann! So das geschieht am grünen Holze — — —.
Ich suche und ich fliehe die Menschen, bin gesprächig, und kann mich so schrecklich erzürnen über ein dummes Gespräch. Jedes Gespräch, das nicht durch Austausch nach Erkenntniß strebt, ist dumm. Halt! Da muß aber: Erkenntniß in fast unerlaubt weitem Sinn verstanden werden. Ich bin ein nur zu großer Freund von rein närrischen Gesprächen. Sie sind höchst er []laubt, ja von Zeit zu Zeit Pflicht, Pflicht gegen sich selbst, Pflicht gegen Andere, denn Phantasie will leben. Und spielend muß alle Unterhaltung guter Gesellschaft sich bewegen. Doch jede, auch die närrische, führt auf manchen Punkten immer zu dem Bedürfniß, diesen oder jenen Begriff klarzustellen. Da gibt es nun aber Naturen, die sich dagegen sperren, davor verkreuzen wie vor dem Gottseibeiuns. Nur nicht in dem Nebel der Flachheit umrühren, nur auf nichts tiefer eingehen, nur nicht das Messer des unterscheidenden Begriffes an Gemeinplätze legen! Nur Alles in der Brühe, in der Sauce der Unbestimmtheit belassen! — Die stumpfe Denkfaulheit der Menschen. Aber auf diesem Wege verkommt man. Gesellige Unterhaltung von Menschen ohne Erkenntnißdrang ist Sumpf. Das Forschen ist es, was den Menschen zum Menschen macht, ohne dieses auch keine Moral. Forschen ist die Stahlfeder im menschlichen Wesen. Was die Franzosen in ihrer liederlichsten Zeit aufrecht erhalten hat, das waren jene Salons, wo die Gespräche gepflegt wurden, in denen unter Scherz, Reiz des Weibes, Würze der Phantasie nach Erkenntniß, nach Quellen der Wahrheit gebohrt wurde.
Gesellschaft beim Staatsrath X. Zwei Töchter, eine sehr schön und hat den Gebrauch der Schönheit nicht []gelernt. Noblesse oblige, aber beauté oblige auch. Man muß zugestehen: schwer! schwer! Siegesgewißheit auf jedem Schritt und doch streng haushalten! Freude des Anblicks, des Umgangs für Viele, und doch den Schatz der Liebe und ihrer Zeichen, jedes Blicks, jeder Bewegung, jedes Winks, der dahin wiese, streng nur für Einen vorbehalten — ja schwer! Um ein schönes Weib schwirrt es in der Luft von Liebesgeistern, die alle an ihm schieben — hinein in die Koketterie. Kokette misbraucht ihr Pfund, ungerechte Haushälterin. Gleicht endlich dem Trinker, der im einen Weinhaus schon auf's andere denkt, hat beim Malvasier schon Ueberschuß an Durst nach Marsala — — „ein Mädchen, das an meiner Brust mit Lächeln schon dem Nachbar sich verbindet“ — Endlich alt. Was bleibt?
Man sollte schlechterdings Niemand heirathen lassen, der nicht ein Examen über Erziehung bestanden hat. Das Wissen allein macht nicht Alles, aber etwas, ja viel. Es ist Niemand berechtigt, Kinder zu erzeugen, der nichts von Erziehung weiß.
Die meisten Menschen werden in den ersten Lebensjahren, ja schon in den Windeln verzogen; später, wenn sie die ersten Kleider bekommen, am schlimmsten []die Mädchen. Man kleidet sie äffisch nach der Mode der Erwachsenen, preist sie, wie hübsch sie seien, wenn sie herausgeputzt sind, und schon dadurch werden sie für immer zu Fratzen. Im Uebrigen verzieht die Mutter die Knaben, der Vater die Töchter, denn jene sieht in jenen, dieser in diesen das Erinnerungsbild der Jugendliebe heranwachsen. Den Knaben wird es im Ganzen besser, weil es doch in der Schule streng zugeht und Gehorsam durchgesetzt wird. Es ist doch wahr, daß mehr Ehen durch das Weib unglücklich werden, als durch den Mann. Meine nur ja nicht, Bildung und Moralität einer Familie verbürge dir, daß die Töchter gut erzogen sind! Gerade in den Kreisen der Bildung, insbesondere der vornehmen, werden sie erst recht verzogen. Es ist zwar richtig, daß die Mädchen wie Pflanzen den Charakter des Bodens und der Luft annehmen, worin sie stehen, und daß insbesondere das stille Beispiel der Mutter mehr wirkt, als Erziehungsakte, aber manchmal braucht es eben auch bei ihnen ein Donnerwetter väterlicher Strenge, und daran pflegt es zu fehlen.
Wie mich Alles, Alles dorthin, dorthin führt, ich mag es zu unterdrücken suchen, wie ich will! Denn ich weiß ein Weib — eine Oase im Sandmeer. — Jetzt lange her, daß ich ohne Nachricht bin, seit []der Geburt des zweiten Knaben. Glück gewünscht, herzlich, kurz. Ach, dorthin kann ich ja nicht schreiben! Wie oft versucht und ausgestrichen, Feder weggeworfen! Gewöhnliches? Wie nichtig! Inneres — wie wäre das möglich? In Thränen schwämme das Blatt! Und doch ist mir's unheimlich, mein vieles, langes Schweigen. Noch Beruhigung, daß Erik so wenig Freund von Briefschreiben, als ich, und daß man mich dort kennt, daß er ja weiß, daß sie, sie weiß — oder auch ahnt — o nein, Schweigen! Schweigen!
Todt! Erit todt! Erik todt! — Als wäre der Welt ihr Krondiamant ausgebrochen! — Und sie? —
Wie selten wir uns geschrieben, ich wußte ihn doch! In dieser Welt der Falschheit, des Eigennutzes, der Kriecherei, der Ränke — ich wußte, wußte, sagte mir's tagtäglich: es gibt noch Redlichkeit, Geradheit, Treue, Opfer, Mannheit: Erik lebt! — An ihm ein Halt, auf ihn ein Verlaß, eine Ruhe für mein aufgeregt heftig Wesen — Mein Freund, mein guter Kern, mein Fels, meine Tugend — unsichtbar nahe — o, Erik todt! — Verwaist — rings kein Freund mehr! — Und — Soteira? —
[]Auf! Auf! Lebe noch! Es gibt noch zu thun! „Herz, mein Herz, halt aus, schon Schnöderes hast du erduldet.“
Abgeordneter? Gar noch? Ich? Doch es sei — Ruf des Schicksals — mich aufraffen — aufraffen zu mehr als Amt — auch aus dem Schlag! — Auf! — Hab' auch viel auf dem Herzen, es soll einmal heraus an den Tag, einmal in's Große, Oeffentliche!
Wahlkämpfe. Wahlreden. Zungenfechterei, Komödie. Doch gute Sprechübung. Das Reden geht ja besser, als ich mir zugetraut hatte, wenn nur genug Distanz ist. Sobald mir die Leute zu nahe sind, weiß ich nichts oder bleibe stecken. Sie drücken auf mich, sind statt bloße Bilder empirische Existenzen, die mich lästig fragen: Nun, was hast du zu sagen? Wird's bald? Nun, was weiter? — Das wirft mich aus dem Denken an die Sache heraus. In jedem Redner laufen zwei Vorstellungsreihen nebeneinander; die eine beschäftigt sich mit dem Thema, die andere mit den sinnlichen Wahrnehmungen während des Redens. Dieß geht so lang, bis auf die zweite zu viel Accent fällt, dann wirft er um. Zu viel Accent: Ursache entweder eine Beobachtung, z. B. dort wird geflüstert, gelacht []oder also die Leute zu nahe. Distanz bringt Objektivität.
Oft meine ich doch, ich vermög' es nicht länger. Der Schmerz um Erik will im Sturm hervorbrechen mitten in dem Gewühl; aber dann packe ich ihn und werf' ihn gewaltsam hinüber zu dem Zorn auf so viel Schlechtes in unseren Zuständen, zwinge ihn, sich als Zorn auf das Unrecht solchen Todes mit diesem zu addiren. Es muß doch gehen. Wenn ich nur nicht zu heftig werde! Muth! Sei Mann, es gibt zu thun, sei brav wie Erik!
Alte Devise: Adler, über Wolken der Sonne zufliegend mit Schrift: nunc pluat! — sei mir Vorbild!
Zerfetzt! Am Boden! Was jetzt, wie weiter?
Erst nicht verzagen! Arbeiten! Gutes thun, wirken ohne Amt, Vereine für Wohlthätigkeit, — Erziehung Verwahrloster. — Für mich meine Bücher, hab' nun Zeit. Schreiben — halt! an die Pfahldorfgeschichte! — gleich aufnehmen! Fortreisen, noch einige Sammlungen sehen von Ausgegrabnem aus der Pfahlzeit — Studien machen. — Man nimmt an, es seien Kelten —
Das Ueberschnappen der Stimme, das war das Aergste, das scheusliche Auslachen. Alles Andere ertrüg' ich eher. Teufel!
[]Es muß ertragen sein. Dabei noch ein Trost. Jetzt muß ich die Thüre von meinem Amtszimmer in die Kanzleistube doch nicht mehr knarren hören. Einölen schwierig und half so gut wie nichts. Der pfeifende Knarrton that immer ganz deutlich wie „eo ipso!“ O, ja freilich, will's ja glauben, es versteht sich von selbst, daß du knarrst! auch, daß ich gehen muß! — Noch als ich das letzte Mal dort war, auf immer Abschied vom Amte zu nehmen, knarrt das Luder: eo ipso! — Dich, unverschämter Regenpfeifer, dich bin ich doch nun los — Eo ipso!
Es geht ja vorwärts. Fort, ihr Dämonen, sollt mich nicht abbringen! — Ich weiß jetzt, ich mach's wie Luther, der dem Teufel das Tintenfaß an den Kopf warf! Will noch anders reagiren, als mit Exekutionen — literarisch — will euch brandmarken — ein ganzes System gegen euch, euch an den Kopf! Etwa: „System des harmonischen Weltalls“ oder —
Ich bin zu ehrgeizig, um ehrgeizig zu sein. Ich habe ein heimliches, sehr verfängliches Verhältniß, eine unglückliche Liebe zu einer sehr spröden Schönen: der Nachwelt. Daher geize ich so wenig um die Ehre bei []der Mitwelt, versäume so oft schuldige Aufmerksamkeit und bin so zerstreut gegen Formen: wie es eben allen Verliebten zu gehen pflegt. Es ist stolz gesprochen, ach, zu stolz, denn was habe ich gethan, meine Schöne zu erobern? Mein Wirken? — Lächerlich geendet! Da die Pfahlnovelle? Dichterruhm? Pah!
Wie ich das wieder lese — unselige Vergleichung! — Vier Worte, Laute hab' ich ihr geschrieben: „O Gott! o Gott!“ — Mehr nicht? Muß sie nicht einen inhaltvollen Brief erwarten? Wohl zehnmal versucht, verbrannt! Und es wäre doch so natürlich, wäre Pflicht. Ja, aber daß in jeden Brief etwas hinein will, — was doch nicht darf, nicht soll — davon darf kein Hauch — Sie wird wohl errathen, aber — o Knäuel von Verflechtung!
Arbeit will nicht gehen. Fehlt mir doch gar sehr Dienst, Pflichtzwang der Stunde. Daher auch die Teufel wieder in Legionen. Merken wohl meine Absicht, wollen mich vorher aufreiben. Zwei Tage ein entzündetes Auge. Fliegt mir just eine Mücke in's rechte, worein mir kurz vorher ein Funke Brennstoff von einem Zündhölzchen gefahren.
[]Das Leben ist eine Fußreise mit einem Dorn oder Nagel im Stiefel. Felsen, Berge, Schluchten, Flüsse, Löcher, Sonnenglut, Frost, Unwetter, Räuber, Feinde, Wunden, damit müssen wir kämpfen, das will bestanden sein, dazu haben wir die Willenskraft. Aber der Nagel im Stiefel: das ist die Zugabe, kommt außerdem und überdieß dazu, und für den Nagel bleibt dem Manne, der mit den großen Uebeln redlich ringt, keine Geduld übrig. Haben denn die Menschen Zinkblech statt Haut an den Fußsohlen, daß mich darin Niemand verstehen will? — Oder auch: das Leben ist eine Schublade, die nicht geht, stockt, staut, spannt —
In meiner Arbeit mag ich oft einen Haufen Papier, wo ich nothwendig etwas herauszunehmen hätte, stundenlang nicht anrühren, weil ich weiß, beim ersten Griff fährt der helle Teufel hinein, Alles schlüpft, klebt oder entwischt, — was nicht mit soll, geht mit, was mit soll, geht vom Andern nicht los, die Feder fliegt zu Boden und spießt sich in's Holz, daß ich eine halbe Stunde brauche, eine neue zu schneiden, — der vollendete Pöbelaufruhr. —
Lang, lang nicht unter die Leute gegangen — was soll mir — ? Frau Hedwig treibt — hat wohl []Recht. Habe mich doch oft vergessen, bin aufgethaut, wenn ich von Gram und Verdruß zu Stein, zur starren Maske gefroren unter die Menschen kam, eine Mehrheit von Augen wirkt erweckend auf mich.
Das war ein Tag! Wetter: oberer Föhn bei unterem unverschämtem, injuriösem, rechtsverletzendem Nordwestwind, der mir meinen Hut nimmt, den ich doch um mein Geld erstanden habe und daher als rechtmäßiger Eigenthümer besitze. Nerven und Gehirn elektrisch durchzuckt, Blut kochend, Haut stechend. Dennoch und auch unterschiedlichen Teufeln zum Trotz den ganzen Tag scharf gearbeitet. Abends sehr Erholung, Ausspannung bedurft. In Gesellschaft. Und hier? fängt erst die rechte Folter an. Zu acht an einem Tisch, eine Zahl, durchaus nicht zu groß, um recht gut noch eine gemeinschaftliche Unterhaltung zu erlauben. Beginnt folgendes liebliche Spiel:
A eröffnet mit C ein Sondergespräch, dann E mit G, dann H mit F, und D foltert mich B, ich soll mit ihm eines führen. Da jedes dieser vier Sondergespräche das andere übertrommelt, so fangen Alle das Schreien an und nun hört man das eigene Wort nicht mehr. Ich suche auszuwickeln, suche laut ein Gespräch für Alle auf's Tapet zu bringen, — vergeblich, Niemand begreift mich.
[]Nicht genug, weiter! Sie fangen über's Kreuz an: A mit D, C kräht nach mir (B) herüber, E mit H, G mit F. Nun ist zum Beispiel in einer der lieblichen Gruppen von Preußen und Bayern die Rede, in der Diagonale schlagen den zwei Politikern die Namen Dante und Petrarka, von anderer Seite Cervelatwurst und Gansleberwurst, in der dritten Kreuzung scheuslicherweise auch noch die Begriffe Aktien und Prioritäten, in der vierten die Streitfrage über Sängerin Blözke und Grilli auf's Trommelfell.
Noch nicht genug. Eine kurze Pause tritt ein. D fragt A, welcher Altdeutsch versteht, nach einem verwickelten Punkte, nämlich: wann das E geschlossen, wann offen zu sprechen sei. Man sieht, es ist ihm wirklich darum, belehrt zu werden, den Anderen ist es auch von Interesse, mir nicht weniger, und Alle horchen. Während nun der A eben recht im Zug ist, den Punkt auseinander zu setzen, bricht ihm der D, der ihn ja eben selbst gefragt hat, in die Rede mit der Frage, ob er gestern im Konzert gewesen sei, gleich darauf fängt der C mit mir vom Theater an und so läuft es fort: Jeder hat vergessen, daß er soeben sich für einen Zusammenhang interessirte.
Ich schoß auf und fort, zermartert, zerschunden, zerfetzt, zersägt, zerrieben, zerdroschen, zerwirbelt, zerraspelt in allen Nerven kam ich nach Hause. Das war meine Abenderholung: nach schwerer Tagesarbeit []noch schwerere am Abend! Möchte das arme Hirn entlasten und muß mir alle seine Saiten zerreißen lassen.
Die Mehrheit der Menschen besteht nicht gerade ganz aus Betrügern, Räubern, Dieben, Mördern, aber aus sozialen Ungeheuern, und zwar durch alle Stände und beide Geschlechter, die Weiber treiben's ärger, aber die Männer kaum um ein Haar besser. Was habt ihr dumpfe Geschöpfe nur für eine Vorrichtung in den Hörwerkzeugen, daß ihr das eine Gespräch gegen die andringende Lautmasse der fremden Gespräche in eurer Auffassung zu isoliren vermögt? Einen eisernen Rollladen? Einen Ofenschirm von Sturz? Ei was! nichts habt ihr, grobe, stumpfe, abnorme Sinne habt ihr und konfus im Kopf wollt ihr sein und bleiben, Alles schlechterdings nur halb denken, und mich, der ich normale Sinne habe und klar sein will, mich haltet ihr für ein Monstrum! Ihr wollt sprechen und gehört sein, ihr wollt hören, und im Augenblick vergeßt ihr es wieder, weil euch noch viel lieber als Sprechen und Hören das Wirrsal, weil der Durmel euer Element ist.
Für richtige Sinne und für wirkliche Bildung gibt es an einem Tisch, wo nicht so Viele sitzen, daß ein gemeinsames Gespräch unmöglich wird, durchaus keinen Einzelnen. Neben einem plätschernden Brunnenrohr kann man sich unterhalten, denn es spricht keine Worte, welche die Gesprächsworte durch []Bezeichnungslaute aus einem andern Zusammenhang kreuzen, neben einem Separatgespräch ist es unmöglich. Ein Mensch, der gesunde Natur, Disziplin des Denkens und der Form hat, wird sich also im genannten Fall nie, absolut nie an einen Einzelnen wenden, wissend, daß, sobald er's thut, die Losung zum allgemeinen Gesprächschaos gegeben ist, er wird immer nur nach der Mitte, in's Ganze hinein sprechen.
Da nun die Menschen auch hierin wirr, wild, willkürlich und disziplinlos sind, was folgt? Das folgt, daß sie nicht einmal der Gesprächfreiheit im Privatleben werth sind. Das folgt, daß man sie auch hier in das Joch der parlamentarischen Ordnung einspannen müßte. Das folgt, daß eine Gesprächpolizei organisirt werden müßte. Macht mich zum Vorstand und ich verspreche euch, ein Tyrann erster Klasse, ein Nero, Caligula, Attila, Dschengis-Chan, Tamerlan der Gesprächszucht zu werden! Aber Strafgewalt müßt ihr mir geben! Mit Geißeln und Skorpionen will ich sie züchtigen, die Gespräch-Buschklepper, GesprächStrauchdiebe, Gesprächs-Räuber, Gesprächs-Mörder, Gesprächs-Meuterer, in die Wasser der Urflut will ich sie zurückstoßen, diese Gesprächs-Ichthyosauren! Und nie werde ich meine Vollmacht mißbrauchen, nie mir zum Vortheil anwenden, nein, Anderen soll sie zugute kommen auf meine Kosten! Ein Leben, das der Gerechtigkeit gewidmet war, sei Zeuge für meine Betheurung!
[]Ach Gott, es ist ja auch dieß nur ein schöner Traum! Ich weiß ja: ein Unsinn! Da aber der Zustand, wie er besteht, auch ein Unsinn ist, so bleibt's eben dabei: gerade so unfähig, wie einen vernünftigen Staat zu bauen, ist die Menschheit auch, eine Gesellschaft zu bauen, oder umgekehrt, wie man will!
O Einsamkeit, wie gut bist du!
Dabei bin ich erst gar kein Pedant. Ausnahmsweise muß man auch in die Rede fallen dürfen, namentlich wenn sonst der Augenblick für einen guten Witz verloren gienge. Aber bei dem Trätschvolk ist die Ausnahme Regel und der konfuse Lärm Lebenselement.
Wieder lang einsam, hat gut gethan und auch nicht. Wäre mein guter Rappe nicht — ihm verdanke ich, daß ich nicht einhuzle, einschrumpfe. Besuch manchmal vom Referendär, jetzt Assessor; der nicht unerquicklich. Gescheut. Wenn nur nicht auch da die Teufel wären — bleibt aus, wenn ich ihn so recht herwünsche, kommt dann im ungeschickten Moment —
Rezept: — Wenn du einen Besuch erwartest und er kommt lange nicht, so nimm kalt Wasser in den []Mund. Es soll bekanntlich hinter den Zähnen gehalten werden, bis es warm ist, um den Mund auszuspülen, sonst verschlägt es sie. Vergiß, ein Gefäß aufzustellen, wohin du das Wasser ausspucken kannst. Laß den Diener entfernt sein, der einen Besuch in's Wartezimmer führen könnte. — In kurzer Zeit wird es klopfen. Der Mensch draußen hört dich zappeln, begreift nicht, klopft und klopft. — O, ich habe Einen gekannt, sehr gebildet, sehr manierlich, der rieß in der Verzweiflung die Thür auf und sprudelte dem unseligen Besucher die Bescherung in's Gesicht, — bereut innig den schmachvollen Wahnsinn — doch gab es ein Duell; glücklicherweise ohne Blut abgelaufen.
Ich mag es anfangen wie ich will, es vergeht keine Woche, ohne daß ich einen oder mehrere Fehler mache. Und das beim redlichsten Bemühen, es recht zu machen. Ganz blind. Hintennach, meistens erst spät, gehen mir dann die Augen auf und senkt sich mir die Einsicht mit solcher Centnerlast auf die Seele, daß ich, allein in meinem Zimmer, ja auch mitten auf der Straße, laut hinausschreien muß, nur irgend einen Laut bellen, nur um mich etwas zu entlasten. Da meinen dann die Leute, ich sei verrückt, und muß ich mich vor meinem Bedienten schämen, wenn er im anstoßenden Raum ist, oder froh sein, wenn gerade []Katze oder Hund bei mir im Zimmer ist, daß er etwa meinen kann, ich unterhalte mich mit diesen. — Wie geht es denn nun aber Anderen? Machen sie denn keine oder gar so viel weniger Fehler? Oder machen sie ebensoviele, werden sich aber nachher nicht durchsichtig, haben eine Seele von dickem Juchtenleder? — Oder werden sich durchsichtig, schütteln aber die Last des innern Vorwurfes federleicht ab? Geht doch kaum! Warum müssen sie denn also nicht auch schreien wie ich?
Wißt es, ihr Köpfe, mit meinen Fehlern und mit meinem Wahnsinn hab' ich so gut ein Recht, zu existiren, wie ihr mit euern Fehlern und mit eurem Kahlsinn!
Fremdlinge auf Erden lachen gern. Das kommt von ihrem scharfen Auge und von der Höhe ihres Sehpunkts. Aber es ist ein anderes Lachen, als das Lachen gemeiner Seelen. — Auch lachen sie gern über sich selbst.
Du hast lange Weile? Mußt nach Unterhaltung jagen? — Hast du denn an dir gar keine Gesellschaft? Kannst du dich gar nicht in Zwei spalten und hat, []wenn du es kannst, der Eine dem Andern gar nichts zu sagen?
Um mich zu bessern, habe ich schon das Mittel versucht, eine Korrespondenz mit mir selbst zu eröffnen. Ich schrieb mir sehr weise ermahnende Briefe. Nun wurde aber der Ich b über die Altklugheit des Ich a verdrießlich, fieng an, unwirsch zu antworten, wurde grob und gröber, der Ich a blieb ihm die Antwort nicht schuldig, das Ding machte mir Spaß und endlich gab es eine vollkommene Zank- und Scheltkomödie. — Larifari! —
Man soll den Idealismusnarren nicht trauen! Sie sind immer auch böse Narren. Sie werden giftig. Da sie an alle Welt die Forderung der Vollkommenheit stellen, nur nicht an sich selbst, so ist ihnen nichts und Niemand recht, sie verdammen, höhnen, hassen, halten inwendig den ganzen Tag grimmige Monologen, ballen die Faust offen und im Sack, üben Ränke und Tücke. Dahin kommt es mit edlen Menschen, denen die Läßlichkeit fehlt.
Auch den Hamlet macht sein Idealismus bös, grausam gegen die arme Ophelia. Ein Weib schlecht, so werden es alle sein. — Ein Engländer hat einen []unserer Shakespeareerklärer, der die Ophelia für eine leichte Weltdame nimmt, auf Pistolen gefordert. Recht. Der hat meinen Geschmack.
Was ich immer auf's Neue bewundern muß, ist das höchst Stimmungsvolle in allen Theilen dieses Dramas, das doch von Gedankentiefe und scharfer Bewußtheit strotzt. Das Grundgefühl ist Schwüle; dieß ist längst erkannt und oft gesagt, aber es ist nicht bloß Schwüle in dieser bestimmten Situation. Hamlet geht um wie ein Mensch, der zu enge Schuhe anhat und sie nicht ablegen kann, dem daher alles Blut nach Herz und Gehirn schießt und der es daher in seiner Haut fast nicht aushält, und der richtige Zuschauer fühlt nicht nur, wie schwer seine Lage, sondern wie furchtbar schwer das Leben überhaupt ist. Nur der paradiesisch naive, der beschränkte und der gewissenlose Mensch lebt leicht, dem tiefer Gehenden hämmern die Pulse, wenn er bedenkt, welch' ein fürchterliches Schraubenwerk das Leben ist, das uns zwischen Fragen einpreßt bis zum Ersticken. Der Monolog „Sein oder Nichtsein“ ist nach seinem Gedankengehalt sehr überschätzt worden, sein Werth liegt in der Stimmungstiefe: unerreichbar der Ausdruck des Brütens, das nicht weiß, wohinaus, des athemlosen Eingeengt-, Eingeschnürtseins.
[]Ich bin so schrecklich bedenklich, so sehr Buridan's Esel, daß mich der Zweifel’, in welchem Laden ich einen Kamm oder Bürste kaufen, mit welchem neuen Buchbinder ich es versuchen soll, wochenlang umtreiben, in ein wahres Elend von Einklemmung zwischen Für und Wider versetzen kann. Und doch bin ich auch wieder ganz unbedenklich, gehe frischweg darauf los, fürchte nichts und Niemand, und weiß ganz gewiß, daß ich, wäre ich ein Obergeneral und stünde im Felde, den richtigen Moment für eine Schlacht mit zweifelloser Entschlossenheit ergriffe und drauf schlüge. Auch das würde mich nicht irren, daß gezweifelt werden könnte, ob nicht der folgende Tag einen noch günstigeren Moment brächte. Ich würde mir sagen: nach menschlicher Erkenntniß ist der Moment jetzt günstig, ob morgen ein noch günstigerer kommt, kann man nicht wissen, handle ich also jetzt, so habe ich richtig gehandelt, auch wenn's nicht gut ausläuft und wenn sich herausstellt, daß es besser gewesen wäre, zu warten. Daher wäre ich auch ganz fest gegen Reue. — Liest das einmal Jemand, er mag's für Prahlerei halten, aber ich weiß, was ich weiß.
Sonst im bürgerlichen Leben und in allen Lagen, wo es nicht drängt, wo Aufschub nicht Gefahr und Schaden bringt, zapple ich, wenn Wahl ist, endlos []im Hexenkreise der Abwägung. Wer denkend ist, hat eben eine lebhafte Vorstellung von den Hindernissen, von den Möglichkeiten des Mißlingens. Hamlet handelt freilich gerade da nicht, wo es eilt und drängt, im Uebrigen gilt für alle solche Naturen sein hartes Wort: „verzagter Zweifel, welcher zu genau bedenkt den Ausgang — ein Gedanke, der, zerlegt man ihn, ein Viertel Weisheit nur und stets drei Viertel Feigheit hat“. Hamlet ist verklemmt und resolut, beides, — just so geht mir's, ob mir gleich nicht einfällt, mich an Geist mit ihm zu messen.
Und auch diese Selbsterkenntnis; hilft mir nichts, rein nichts. Daß man nicht aus seiner Haut fahren kann!
In welche führe ich? Ja, da fängt's erst recht an mit: wer die Wahl hat, hat die Qual!
Nun! in gar keine!
Es wird schlimmer. Nichts um mich und an mir, was nicht riebe, klebte, zwickte. Es sind keine Ameisen []mehr, es sind Klemmer. Haben mir's wohl extra angethan, daß ich meine treffliche Arbeit: „System des harmonischen Weltalls“, nicht vollenden soll, weil großer Hauptschlag gegen ihr Armeekorps. — Große Singtragödie will auch nicht werden. In dieser Gegend lagen die verrückten Elaborate, von denen der Leser schon weiß. Anm. d. Herausg.Dort liegt die Pfahldorfgeschichte, — skizzirt, kaum angefangen; keine Stimmung.
Ich werde lebendig macerirt, zerstochen, zerkitzelt, zernagt, zerkritzelt, zerbröselt, zerstäubt. Seele, wohin? Wohin? O, eine Leidenschaft! — Die Eine, die arme, die unterirdische, gute, stille und tiefe, — darfst sie dir nicht gestehen! — In den Krieg? O, da lebt man! — „und setzet ihr nicht das Leben ein —“. Aber in diesen? in den, der sich in Deutschland bald entspinnen muß? O! —
Frau Hedwig schickt mich nach Italien. Hat am Ende Recht. Noch Vieles dort noch nicht gesehen. — Pfahldorfgeschichte mitnehmen, etwa im stillen Venedig vollenden, war ja einst auch ein Pfahldorf.
[]Airolo. Ausathmen, ausathmen! O scheuslich, o Streich in der untersten Hölle ausgeheckt! — Meine Sehnen müssen ja doch von Eisen sein! — Das absolut Lächerliche tödtlich tragisch, das Tragische zum Todtlachen! — O, wer aus dem Bewußtsein heraus könnte! — Hinab in die Strudel! Schnell! — Ja, wenn nicht da unten — mit den grünen Nixenaugen, sie — sie — Bist du da?
Gerettet? Heißt man das retten? Oder doch verborgenes Weltgesetz? Daß der gute Mensch sein Leben wagt und daß der zum Retter wird, der gerettet werden soll und — wird? Ist jener zu Diensten aufgehoben für das Leben, zu erklecklichem Wirken? Steht der Zufall in tiefem, nicht zu übersehendem Zusammenhang? Ich, auch ich zu Zwecken gerettet? Ich? o, das ist vorbei!
Ist meine Natur unverwüstlich? Stößt das Verzweiflungsfieber im Exekutionsverfahren aus, daß der Höllenstoff in Scherben dort liegt am Granitblock in Göschenen! Krise? Aber wozu? Sei's wie es will, was ist, ist, muß sein.
[]Immerhin ordentlicher Mensch das, hat's recht vernünftig mitgemacht. Nur komisch, daß er wissen und seinerseits angeben zu wollen schien. — als ob nicht: „Namen sind uns Dunst“. — Cornelia — Augen — seltsam — nicht weiter denken! Fort — dem Lago maggiore zu! Tüchtig marschiren! —
Bellinzona. — Dort bei Osogna! Der Reisewagen — mich verborgen — Sie sind es gewesen, deutlich erkannt — und ich? — Hätte ich nicht doch gedurft? Thor, Thor, warum nicht hervortreten? — Nein, nein, es war besser so!
Aber wohin jetzt, wohin? Sie ist dort. Es zieht mich schwindelnd hin. Und darf doch nicht. Kann nicht, dürfte nicht, auch wenn ich dürfte.
Assisi. — Und doch hieher — im Fluge. — Dort bei den hohen, schlanken Säulen des Minerventempels hab' ich sie gehen sehen, schweben — Nacheilen? Halt, nein! Hinab, fort in's Thal, — sie darf mich nicht entdecken. Muß ihr's ersparen. Nicht anders möglich: das Grausen von damals hieng doch wenigstens mit Furchtbarem zusammen, aber jetzt — Ja, []wenn ich ihr Freund, nur ihr Freund wäre, sonst nichts, — vielleicht nach dem Freund sehnt sie sich trotzdem, aber — es bleibt dabei, es darf nicht sein.
Habe das Dienstmädchen der Muhme umlaufen sehen, schien eilig zu suchen, mich zu erkennen, verdoppelt ihre Schritte — sie soll mich nicht finden!
Verborgen im Gedräng der Anbeter in der Kuppelkirche. — Dumpfe, stumpfe Wahnsinnige, Zerrbilder der Menschheit, die ihr da das Bethäuschen des heiligen Franziskus anplärrt, das Rosenwunder anglotzt! — Und doch Wahnsinn — Wahnsinn des Sehnens auch in mir — Madonna degli angioli!
Hier ist es am besten, in diesem ganz einsamen Hochthal oben hinter dem Kastell. Dieß Thal und ich, wir verstehen uns und es verräth mich nicht. Es ist, als ob diese fast baumlosen Senkungen die wehmüthigen Gedanken schon manches stillen Menschen eingesogen hätten, dessen Seele wohl still war, weil sie auch zu laut war, wie die meinige. Ihr habt wohl auch schon leises Schluchzen gehört, verschwiegene Gelände. — Hier bleibe ich bis zur Nacht, dann die []Nacht durch zu Fuß rückwärts und schnell weiter, hinauf, — wohin?
Hin, wo großes Leben den Todesschlaf schläft — nach Venedig!
Hab' ja auch kein Handwerk mehr. „Der Mensch muß ein Handwerk haben.“ — Wohl sagt Nathan: „Man muß nicht müssen,“ das gilt ganz, wo es sich um That handelt. Anders ist es mit der Thätigkeit, da heißt es: der Mensch muß müssen. Unglücklich, wen kein Dienst an die Zeit bindet, gerade seine Freiheit drückt ihn in's Sklavenjoch der Zeit.
Eingefahren um Mitternacht in die Lagunenstadt. Ganz still, Alles todtenstill. Gerade recht für mich. Ihr erzählt viel, alte Mauern, in aller Stille viel. []Mancher Mensch ist auch so eine still gewordene alte Stadt. — Unter der Seufzerbrücke heraus in's Offene. Der Mond taucht auf. Dogenpalast. Hier Piazzetta, Markus-Löwe, der heilige Theodor mit dem „coco drillo“. Stich zu auf den Drachen, hab' auch ge — — — — still, still, davon still, in's Kühle schauen, in's graue Silber auf den Wellen!
Der Sarg auf der Gondel nach S. Christoforo schwimmend — wie still, lautlos — dort unter Cypressen — am Meere — wie gut — dort ruht auch Leopold Robert — unsere Schatten würden sich leis als Verwandte grüßen —
Die Nacht nicht geschlafen, worauf ich mich nach dem langen Gang nach fundamenta nuove doch gefreut. Zanzare, Moskitos um die Jahreszeit noch! — Verteufelte Symbole meiner Quälgeister! — Auf Lido, sagen sie, sei mehr Ruhe vor ihnen. Also dorthin, in's Einsame, an den frischen Hauch und Wogenschlag!
Lido. So mit mir allein, doch besserer Zustand, ein Freund, das Meer. Gänge am Strand. Täglich []Bad, kühlend tief hinein. Warum so unstät, zapplich, ihr Möven? Meer immer groß stät; auch wenn es die Löwenstimme erhebt, auch im Sturm: immer Rhythmus. Machst mich ruhig, Dank, heiligen Dank, du Großes, du Unendliches! Was Alles liegt begraben in dir, du aber schlägst und wogest ruhig darüber hin, wandellos in ewig gleicher Bewegung. Du überlebst, ich kann es auch überleben. Zerre, zapple nicht mehr, Seele, halt stille!
Die Pfahldorfgeschichte hervorgezogen. Das Wässerige um mich, Ufergeruch, Schilf, Röhricht, Seegras, Binsen am Strand bringt Stimmung zum Seebild.
Kann jetzt wieder unter Menschen. Herüber! — Schöne Wohnung gefunden an der Riva dei Schiavoni. Auch hier Seeluft, frei, frisch, weit. Kann auch wieder lachen. Menschen, selbst die schlimmen, doch alle etwas antik Naives. Puppenspiele drunten, ich stehe gern mitten unter den Kindern, alten und jungen, schaue und lache. Der Hanswurst schrauft seinem Widersacher die lange Nase aus dem Gesicht und haut ihn damit: gut, tief, sehr gut, mir lieber als feine Komödie. Dalmatiner, Montenegriner, Griechen vor den Kaffeehäusern, Feß, Pelzjacken, braune Raub []vogelköpfe. — Und keine Thierqual, kein Fahrlärm: Hauptsache.
Alles groß, geschichtlich stylvoll und doch auch häuslich, heimelig wie bei uns alte Reichsstadt. Die engen Gäßchen hab' ich besonders gern; Gemüth spinnt sich ein, wird zu Hause. Freunde gefunden, brave, heitere Kameraden. Gondolier plaudert mir vor von Kind und Kegel, auch von seiner Großmutter, liebenswürdig. Und dann wieder die hohen Bilder der alten Macht und Größe, die lebensvollen, blutwarmen und doch so adeligen Maler, — die Kirchen, die Paläste; die Farben, die Reflexe im Wasser. Nun ja, man kann doch leben. Hinein in die Kirchen vorerst nicht, brauche Tageslicht, im Helldunkel drohen Gespenster. Die byzantinischen Starraugen an den Wänden in der Markuskirche predigen todten Tod im Leben, widerwärtige Mumien.
Gehe vom Arsenal zurück an der kleinen Kirche St. Martino vorüber, da ist noch einer der Fratzenköpfe mit offenem Rachen für Denunziationen. Hier gegen Ketzer; Inschrift: Denoncie secrete contro Bestemmiatori et Irreverenti alle chiese. Ein Grusel stieg mir auf und nachher mußte ich lachen, []denn ich ertappte mich auf bösem Gewissen. Werden mich schön verketzern, denoncie, nicht secrete, sondern publiche in die Zeitungsrachen stecken, wenn der Reisekumpan sich einst entschließt, meine Pfahldorfgeschichte in Druck zu geben, und wenn sie das Kinderbehör am Fest, die Katechisation lesen. Und ist doch sehr harmlos. Ich muß die Religion der Pfahlbewohner exponiren — die übrigens nicht närrischer ist, als manche alte Naturreligion —, nun, das darf ich doch nicht in eigener Person, nicht direkt thun, muß doch als Poet verfahren, da fällt mir das Motiv ein, es so in Szene zu setzen. Wüßte durchaus nichts Anderes. — An sich habe ich, als ich zu Hause für diesen Zweck das Konfirmationsbüchlein wieder einmal zur Hand nahm, zweierlei gefühlt. Ganze Klumpen von logischen Widersprüchen, die den Kindern, sobald sie zu Verstand kommen, in die Augen stechen müssen, so daß sich ihr Kopf heftig gegen das Ganze sträuben wird, daß sie dann nicht mir herauswachsen, sondern in Widerwillen das Kind mit dem Bad ausschütten werden. Zugleich aber gewisser ehrlicher, guter Herzton, rührend; man sieht, wie felsenfest diese Theologen an die ganze Mischung von Sinn und Unsinn glaubten. Wären wir Neueren so herzfest in der wahren, der reinen Religion!
Halt, ein Gedanke! Ueber dem: Qui si denunzia! []Alpin soll aus Eifersucht Denunziant an Arthur werden! Gut, muß sehen, wie ich's verwende.
Den Kirchenlauf nun doch angetreten. Wo freischöne Bilder, ertrage ich auch den Weihrauchgeruch. Wenn doch einmal Heidenthum, sei es da, wo es seinen Göttern Herz und Schönheit verlieh. Dabei immer die Anfänge oder ersten großen Schritte, das Flügelregen bei noch nicht völliger Flügge so reizend. Dieser Giovanni Bellini, diese Maria mit den musizirenden Engelknaben am Throne, dort in der Sakristei von ai Frari, ist ganz zum innig reinen Verlieben. — Dann reife Schönheit. Heilige Barbara in S. Maria Formosa — jeden Tag dahin. Schreckte mich zuerst, weil die junonische Gestalt mich — ich stürzte hinaus. Doch wieder gewagt — und nun das Etwas um die weichbeschatteten Augen — ganz von ihr — wunderbar. Und diese Weichheit durchrinnt als Welle doch auch die stolze Gestalt — Siegerin über alles Wilde — Und Palmzweig! Ich habe dein Fächeln gespürt! — Gehe nun täglich dahin.
Sonst mag ich die Venetianer doch mehr als Männermaler, trotz Tizian's, Paolo Veronese's, Palma Vecchio's, Pordenone's, Bordone's Weibern. Suche []meist vergeblich jenes Etwas. Aber ganze Mannheit fest, sonnenbraun, im Gegenwärtigen zu Haus und Eins mit sich, keine Sehnsucht, eine zweite Antike. — Tizian doch auch oft sinnlich brünstiger, als echte Kunst soll. Doch in der Verkündigung Mariä zu Treviso und in der Assunta auch das hoch mystisch „ewig Weibliche“. Apostel unten auf der Assunta — schon nah' an überreifer Kunst, wenigstens der eine mit dem theatralisch gestellten rechten Bein; andere herrlich — nun mit voller Herrschaft über die Darstellungsmittel jenes Nachschauen, das mich so in's Mark hinein ergreift, Gefühl: die Welt ein Schattenthal ohne sie.
Stehe oft und gern Nachts auf einer der kleinen Brücken, sehe hinab auf den dunkeln Kanal, da und dort von Lichtschein überblitzt. Wenn dann eine Gondel durchfährt, so ganz still, nur selten der Ruf: Sta li! sonderbar, dann ist mir oft, als liege ich, der da oben zusieht, zugleich todt in der Gondel, und der Todte freue sich zugleich der stillen Nachtfahrt.
Hübsch — neulich auf der Fahrt nach Treviso; ein paar gebildete Venetianer im Wagen; auch ein Abbate, vernünftiger, klarer Mensch, interessante Ausnahme. Wagenfenster offen, auf dem Bocke sitzt ein []hagerer Pfaff. Wir kommen auf Klosterwesen, Cölibat, weiter auf anderes Ungesunde der katholischen Kirche zu sprechen, ganz gesetzt, ernsthaft. Der Pfaff draußen horcht mit halbgewendetem Kopf. Der Wagen hält einige Minuten. Schaut der Pfaff herein mit durchbohrendem Blick und ruft mit Stentorstimme: „Signori, la morte!“ — Er meinte, er dürfe das Wort nur nennen, so werde es uns wie ein Donnerwetter in die Eingeweide fahren. — Es war nicht möglich, nicht zu lachen. — Aber belehrend: da sieht man, an was die Schauspieler den armen, feigen Menschenpöbel packen. — Fürchte den Tod nicht und dir kann kein Pfaff bei! —
Einer der Italiener hat etwas höchst Treffendes gesagt. Ich lobte die Reformation, ich sagte, sie sei die unentbehrliche sittliche Ergänzung zur Renaissance; die Italiener sollten sie irgendwie nachholen, sich beeilen, aus ihrer Kirche hinauszukommen. „Va bene,“ sagt der Herr, „ma poi anderemo più lontano che voi Tedeschi, che vi siete fermati nella prima osteria.“ Wie wahr! Wie hat es die Reformation verderbt, daß sie sich gleich wieder in eine Kirche einschloß mit Dogmengezänk, wie ein Fußreisender, der im ersten Wirthshaus hängen bleibt.
[]Am Rialto, auf dem alten Börsenplatz jenseits der Brücke, meine ich leibhaft den Shylok zu sehen, wie sie ihm auf den Bart spucken, wie er hinwegschleicht, den brennenden Haß gegen die Christen in der Seele. Ja, Shakespeare! — Wenn er Venedig hätte sehen können, wie es jetzt ist! Das Traumgewordne! O, er hätte es ganz verstanden! Wie ist er traumwebend! Und zugleich heller, wacher Tag. Oft ist's, als siedete sein Gehirn vor Phantasiren und doch ist er ganz bei sich, durchdenkt, ordnet, befiehlt. — Auf der Brücke, in der Dämmerung zurückgehend, glaubte ich ihm selbst zu begegnen. Konnte seine Züge nicht sehen, nur seine hohe Stirn. Kein Mensch auf Erden unter allen, die gewesen, den ich so drangvoll verlange von den Todten erwecken zu können, um ihn zu sehen, an seinen Lippen, seinen Augen zu hängen. Und wie würde ich ihn mit Fragen bestürmen! — Aber es ist gut, daß er uns nicht mehr erscheinen kann, er würde zu todt gefragt — mit vielen nöthigen und mit noch weit mehr dummen Fragen.
Pfahldorfgeschichte fertig. Besorge Abschrift für den Reisekameraden; soll bald abgehen. Etwas doch zu Stande gebracht! Wie es auch sei, es kann doch — im Kleinen — ein Ganzes heißen.
[]Goethe hat gesagt, der Humor sei zwar ein Element des Genies, aber sobald er vorwalte, begleite er die abnehmende Kunst, zerstöre und vernichte sie zuletzt. Dieß ist doch nur dann wahr, wenn man unter „vorwalten“ außer dem Ueberhandnehmen besonders versteht eine Einmischung in das Dichtwerk auf Kosten der Objektivität. Belehrend ist hierin J. Paul; das humoristische Ich des Dichters drängt sich zersprengend in das Bild, das er geben soll. Er verwechselt Dichter und Gedicht. Er will Narren oder seltsame Begebenheiten vorführen und statt dessen führt er seltsam und närrisch vor. So wird der reiche, herrliche Geist ungenießbar und Niemand liest ihn mehr, — leider! Sollte es aber nicht eine schöne Aufgabe sein, zu zeigen, daß es auch einen Humor gibt, der dieser Versuchung widersteht und ein Bild des Närrischen mit der Objektivität des Künstlers entwirft und durchführt? Zweite verbesserte Auflage J. Paul's, der mit Unrecht zu den Todten geworfen ist? Auferstandener, genießbar gewordener J. Paul?
Sei's, wie es kann, geh' hin, mein Kind! Und ich kann auch gehen. Abschied wie von einer lieben Heimat. Noch einmal den Colleoni gesehen, ehern, dunkel ragend im Mondschein. Bleibe mir, Bild, erinnere mich Zeitlebens an den Schlachttag! []Dürft' ich einen zweiten erleben und dann so ein eiserner Reitersmann voraus im Pulverdampf: vorwärts! vorwärts! Marsch! Marsch! — Noch einmal Markusplatz in Mitternacht, im Florlicht des blassen Gestirns — ob ich noch einmal herkommen werde? Ich Vergangenheit? — Was bliebe mir noch zu stürmen! — Zu meinem Fenster von der weiten Lagune her köstliche Nachtluft, Seeluft. Dort die Inseln wiegen sich schlafend auf dem weichen, freien, breitergossenen Elemente im Flimmerschleier der leise singenden Nacht.
Nun wieder zu Haus. Im Winter muß man zu Hause sein. Ofen. Ohne Ofen doch kein Gefühl des wahrhaft Heimischen. Völker, wo bloß Kamin herrscht, haben doch immer irgend einen unheimlichen Zug. — Des Reisens vorerst wieder genug. Reisen ist Schund. Reisen heißt, sich über grobe und spitzbübische Menschen ärgern, von Leuten bedient werden, die zu wenig Zeit für mich haben, weil sie zu Viele bedienen müssen, die fortschnurren, wenn ich etwas frage, etwas bestelle. Reisen heißt in Zimmern wohnen, wo der Stiefelknecht fehlt oder zu weit, wo der Schrank nicht schließbar ist, weil der Reisende in Twist oder auch die Gräfin X gestern aus Versehen den Schlüssel mitgenommen hat, oder der Schlüssel zwar steckt, aber nicht geht. Reisen heißt in dummen Betten schlafen (Italien ausgenommen), []auf unsinnig konstruirten Sesseln, in wahnsinnig gepolsterten Coupés sitzen. Reisen heißt schamlos wohnen, in Gasthöfen nämlich, wo überall die Zimmer nur durch eine dünne Thüre vom Nachbarzimmer getrennt sind; der hört also jeden Laut und die Folge ist, daß man nothwendig meinen muß, er sehe Einen auch, zum Beispiel nackt beim Hemdwechsel; reisen heißt mit absurden Menschen sein müssen, wenn man einsam sein will, am meisten, wenn man mit der keuschen Natur andächtig verkehren möchte, dagegen einsam sein, wenn man sich nach Menschen sehnt; reisen heißt ewig packen müssen, und ein Fürst hat es nur scheinbar besser, ihm besorgt die Sache sein Marschall durch die Bedienten, aber wer besorgt ihm seinen Marschall und wer besorgt ihm, daß er nicht besorgt, sein Marschall besorge es ihm nicht recht? Dennoch muß man reisen, denn der Schund stärkt den Charakter. Und übrigens nachher vergißt man all die Noth und eine Welt neuer Anschauungen — wenn anders man zu schauen wußte — bleibt. — Nebenher auch Argument gegen den Pessimismus.
Eine Art zu reisen, ja, die ist Genuß an sich, wohl der reinste Lebensgenuß, vorausgesetzt gut Wetter, gute, wohlausgetretene Schuhe und kein Hühnerauge; eine Fußreise ohne Begleiter außer einem Hund. Nur ja []Niemand mit, und wäre es der Busenfreund, der eigene Bruder, der eigene Sohn — nicht, nicht! Man hat ungleichen Schritt, will sich gern nach dem Begleiter einrichten, vergißt es immer wieder nach wenig Minuten, und der Eine oder Andere zappelt sich ab, ist gehetzt; der Eine will einkehren, der Andere nicht, der Eine reden, der Andere schweigen, dieser gibt nach, und man verschwatzt die herrlichsten Landschaftspunkte, die schönsten Beleuchtungen. Es ist Entbehrung, sich nicht mittheilen zu können, aber dieß negative Uebel viel kleiner als jene positiven. — Wandern, wandern, seiner Rüstigkeit froh, Diogenes mit federleichtem Gepäck, schauen, träumen, viel denken und nichts denken, bei Sennen einkehren, im ländlichen Wirthshaus übernachten, wo es noch einen Hausknecht gibt, der mit der Innigkeit edler Leidenschaft die Stiefel wichst, in dessen Gesicht nicht jeder Zug Trinkgeld heißt, — freundlich plaudern mit Landvolk, mit Hausthieren, schlafen wie ein Sack, in Morgenfrühe weiter, von Lerche, Fink, Amsel begrüßt — kurz, man lebt. — Leider geht's in Italien, wenigstens auf den Hauptlinien, nicht; brennende Landstraßen, zu wenig Feldwege, zu wenig Grün, zu wenig reinliche und zuverlässige Landherbergen.
Warum fährt es manchmal wie ein Blitz in mir auf: gleich wieder fort und hin!? Hast Wahnsinn []begangen dort in Assisi! Das einzige Glück für dein gebrochenes Leben — Nein, nein, so spricht nur der alte Adam in mir! Besser so, es bleibe des Schmerzes Reinheit!
Was aber nun thun? Nachdem die Pfahldorfgeschichte fertig ist? Die Reiseerinnerungen niederschreiben? Gar drucken lassen? Pah! Diese Flut vermehren, unter die Schmierer gehen, die nichts leben können, ohne es zu schreiben? Wieder etwas komponiren? einen Roman, Drama? Pah! als ob dazu dein Talent reichte! Und überdieß — aufwühlen? aufwühlen? — Könnte es ohne das abgehen? — Wie dann noch den Stoff beherrschen?
Philosophie? Etwas zu bauen suchen? Reicht nicht. Ueberdieß das Unglück: die Diskreditirung der Philosophie durch die Systeme. System ist immer Ausbau eines Gedankens, der als Gedanke Eines Kopfs, wenn auch auf und über vielen Schultern und Köpfen, doch immer nur dieses Einen Menschen Gedanke ist. Und trotzdem das Erhabenste, was ein Mensch leisten kann: Versuch, das Weltall im Begriff nachzubauen. — Amphibolische Sache.
[]Er kommt, der Bürgerkrieg. Dialektik darin, die mich rasend machen könnte. Großdeutsch gewesen lang. Immer mit Eifer behauptet: ein Theil kann und darf nicht das Ganze werden, werden wollen. Wird nichts sein, falsche Anwendung der Logik auf das Reale, das aus zu vielen Fäden besteht, um direkt logisch vermessen zu werden. Auch das preußische Wesen nicht leiden können, Essigsäure, Wohlweisheit, Herr Doktor Gscheutle. Zuneigung zu Oesterreich, wußte nicht, wie liederlich. Antipathie, Sympathie — keine Politik. Nun Preußen sehr gute Nase: wittert, daß die deutsche Kaiserkrone im Dünensand Schleswig-Holsteins verborgen liegt, dort auszugraben ist. Oesterreich niedlich dran gekriegt, hineingelockt, um graben zu helfen, — dann aus der Hand schlagen! — Begreife, es will aus Unrecht ein neues Recht aufstehen. Wohl, aber die Menschheit würde charakterlos, schlecht, wenn in solchem Fall Niemand für das alte Recht kämpfte, ob auch hoffnungslos. Und dann — Politik und Privatmoral freilich zweierlei; aber Sieg neuer politischer Form, auf Gewalt gebaut, die durch Listgewebe eingeleitet ist, doch immer auch von entsittlichender Nachwirkung — Moral der Nation trägt eine Schlappe davon. Man wird’s sehen, wenn die neue Form wird — Dennoch —
Die Politik ist doch ein merkwürdiges Gebiet, Theater, worin wie ein Narr sitzt, wer nicht hinter []die Coulissen sieht. Und was dort hinten spielt, ist die List. Sie ist keine kleine Kraft, namentlich wo sie mit sehr vielen und verwickelten Fäden zu schalten hat, aber sie ist doch ein Element niedriger Art. Viel sapientia und doch nur quantilla. Die Katze ist listiger, weit mehr Diplomat als der viel gescheutere und viel edlere Hund. Verdient ein Staatsmann groß zu heißen, so verdient er es trotzdem, daß er in diesem Elemente sich bewegen muß. Den großen Staatsmann führt die Idee, sie ist sein Zweck, die List sein Mittel, — Edles im Unedlen, Hohes im Gemeinen. Man muß nur zum Beispiel bedenken, was da Alles gelogen wird! — Reineke Fuchs — ein Heil, wenn er zugleich ein Löwe ist. — Doch ist Jedem Glück zu wünschen, der mit der ganzen krummen Partie nichts zu thun hat. Was ist Kunst, Wissenschaft, einfache, gerade Amtsarbeit dagegen für ein reines Element!
Es fängt an, spielt sich in unsere Nähe — glaube, Hannover wird eingesackt werden — dieß wäre jedenfalls hochkomische Episode — würdig, einen Aristophanes zu finden. — „Bis an's Ende der Tage!“
Kann in diesem Netz messerspitziger Fragen zappelnd nichts arbeiten. Aus Verzweiflung dummerweise []wieder mehr in Gesellschaft. Da die pure Parteikonfusion, links, rechts, überall; mir schwindelt das Hirn, wenn ich mich in die undialektischen Köpfe versetze. — Noch dummer: nehme gestern einmal wieder eine Einladung an in patente Gesellschaft. Nobles Haus, gastfreundlich, aber wie alle. Wer bewirthet, trägt bei aller Güte doch meist eine Tücke im Herzen; denkt: das Alles erweise ich euch nun, und ihr dürft keinen Heller dafür zahlen; aber dafür verlange ich Eines: ihr sollt euch verkälten. Es werden im Sommer Fenster, im Winter Thüren aufgerissen, die einen Zug geben. Der arme Gast zahlt die Zeche nach mit Elend! o Elend! — 's fängt schon an, beißt in der Nase, ich spür's. O großer Buchbinder Weltgeist, warum hast du mich zu fein eingebunden! — In dieser Welt braucht's Schweinsleder.
Dießmal war's ernst. Schnupfen nicht genug, Zahnweh, acht Tage Gesichtsschmerz. Zwar darin doch Fortschritt: doch der Mühe werth. — Und hat mir über's Aergste draußen in der Welt hinübergeholfen. Blutbad von Sadowa. Entschieden! — Was jetzt kommt? eine gute Weile schließ' ich die Augen.
Nach innen fühle ich ein Etwas befördert, beschleunigt, das freilich auch von selbst die Jahre mit []sich bringen. Geht etwas vor in mir. Es ist wie eine Art Zahnen im Geist. Die Menschen werden mir durchsichtig. Es fällt mir wie Schuppen vom Auge. Eigentlich ein gar schwerer Uebergang! Denn seit die Menschen nackt vor mir stehen, weiß ich erst recht, daß die Mehrheit Lumpenpack ist. Kommt dazu das sichtbar beschleunigte Wachsthum der Schlechtigkeit in jetziger Zeit. Es ist schon zum Bitterwerden. War einst so zutraulich, auch Polizeiberuf machte mich lange nicht mistrauisch, dachte: das sind Ausnahmen, gieng namentlich gern mit dem Bürger um, der Stand kam mir so recht kernhaft vor; fragte nicht lange nach Personalien. Jetzt kann man nicht mehr wohl mit einem Unbekannten sich einlassen, — vielleicht Gründer, — Sattler, der Roßhaar herausnimmt, Seegras hineinsteckt, — Fälscher von Waaren, Lebensmitteln, Kassendieb — und weiß der Teufel, was Alles.
Dennoch soll man sich nicht verbittern lassen. Wenn man nicht zählt, sondern wägt, so wiegt ja doch die anständige Minderheit die schlechte Mehrheit auf; wohl selbst jetzt noch. Ferner: du darfst kein Menschenverächter werden, weil du nie wissen kannst, wer aus der schlechten Mehrheit fähig, empfänglich ist, in die Minderheit heraufgehoben zu werden. Die Grenze zwischen Beiden ist flüssig. Man kann also heiter bleiben trotz der Weltlumperei, und man braucht diese Stimmung, eben um jene Grenze flüssig zu erhalten. Umgekehrt []soll man auch der Festigkeit der Grenze von oben nach unten nicht trauen. Zählst du dich zur guten Minderheit: du magst Recht haben, aber zupfe dich an der eigenen Nase, besinne dich auf die Blindheit deiner Jugend, falle nicht in Sicherheit und Dünkel, insbesondere prüfe dich daran, ob du aktiv bist. Hochmuth kommt vor dem Fall. Eine Minderheit, die nur klagt und schilt, taugt gar nichts, verliert ihren Werth. Nicht ob moralische Uebel vorhanden sind oder nicht, ist die Frage, — sie sind immer vorhanden, weil die Mehrheit schlecht ist, — sondern ob sie bekämpft werden oder nicht, ob die bessere Minderheit thätig ist oder unthätig. Ist sie unthätig, so verkommt sie selbst. Das Menschenbataillon hat eben wie jedes mehr Gemeine als Offiziere. Erst wenn diese faul werden, steht es schlecht.
Wer die Gemeinheit der Welt, den maschinenhaft rohen Druck der Verhältnisse in diesem stoßenden Gedräng, wo Alles vom Interesse geschoben wird und dazwischen die eiserne Schraube der Nothwendigkeit läuft, wer dieß mit grausam täuschungslosem Auge gesehen hat wie kein Anderer, das ist Shakespeare. Die Gröblichkeit der Welt nennt er's einmal, Buckingham sagt's in Richard III.: grossness of this age; this age ist aber jedes age. Alle tragische Literatur aller []Zeiten gibt dieß Bild nicht in so unerbittlicher Schärfe; mit Shakespeare verglichen herrscht überall ideale Beschönigung, die nicht vollkommen ideal ist, eben weil sie noch beschönigt. Gegen diese Wildschweinwirthschaft der Welt brennt nun in ihm wie glühend Eisen der heilige Zorn und läßt er in seinen furchtbaren Tragödien die himmlische Gerechtigkeit mit blitzendem Flamberg durchhauen, und nicht von außen, sondern von innen. Er weiß sehr wohl, daß es so nicht wird in der Mehrzahl der einzelnen Fälle, im besten nicht so leuchtend; aber er vertraut und glaubt, obwohl er es so wenig beweisen kann als irgend ein Sterblicher, er glaubt, daß ein solches Gesetz geheimnißvoll, weil ein nicht übersichtliches Unendliches beherrschend, unserem Auge oft verschwindend, im Großen waltet, und als Dichter faßt er diese zerstreuten Strahlen in den Focus eines einzelnen Falls, der dadurch, wie durch jenes fürchterlich wahre Bild der Welt, hochsymbolisch wird. Dabei werden die tragisch Betheiligten und schuldig Gewordenen nicht, nur die Gesellschaft wird gerettet, die Wahrheit der über alles Einzelne übergreifenden Mächte: Ehre, Liebe, Recht, Vernunft, Menschlichkeit; unter ihrem mit so theurem Blute begossenen Baume können nun Unzählige in Frieden leben. Diese Mächte bleiben, während das Endliche verglühen muß. Shakespeare will durch die Häufung von Leiden und Leichen in seinen letzten Akten den Eindruck der Götterdämmerung, des jüngsten Tags []hervorbringen. Daher ruft Kent beim Anblick Lear's, der die todte Cordelia auf seinen Armen geschleppt bringt: „Ist dieß das prophezeite Weltende?“ und setzt Edgar hinzu: „Ist's ein Vorbild jener Schrecken?“ und Albanien: „Des allgemeinen Untergangs?“
Und dieser Unerreichbare ist mit den argen, argen Flecken behaftet: Aberwitz und eckelhafte Zoten! Der letztere wird von den Anbetern nicht geleugnet, der erstere etwa einmal so zugegeben, wie man mit bedientenhafter Art von Respekt ein Mängelchen an Erdengöttern zugibt. Was ich doch aber auch nicht ausstehen kann, ist die Pietätsmichelei. An großen Männern werden zu Götzendienern Alle und Jede, die keine Spur verwandten Geistes in sich fühlen. So entsteht der Nimbus. Die Menschen müssen Götter haben. Es ist wohl wahr, daß die Sprache arm ist, eine Bewunderung auszudrücken, wie wir sie für so große Genien fühlen, sie kann fast nicht umhin, zu vergöttlichenden Namen zu greifen. Aber wer ihres Geists auch nur ein Tröpfchen in sich spürt, wird darüber nie und nimmer unkritisch werden, ja er wird gegen wirklich entstellende Flecken noch schärfer losgehen, als bei gewöhnlichen Sterblichen, denn der Bewunderte hat schwerere Verantwortung, als andere Menschenkinder. Gegen Mittelgut, wofern es bescheiden []ist: mild, gegen Große streng! — Ich hätte gute Lust, eine Shakespeare-Absurditätensammlung anzulegen — zur größern Ehre des Dichters. Nichts schadet ja dem großen Geiste mehr, als wenn man den guten Leuten zumuthet, ihn mit Haut und Haar zu bewundern; ihnen soll man sagen: siehst du, das und das ist zugegeben als roh, als abgeschmackt u. s. w., damit plage dich nicht, damit du die Seele frei bekommst für das Große, das rein Schöne! — Es ist nicht leicht ergründen, worin eigentlich das Absurde besteht. Wer vermöchte den Abgrund von Aberwitz in folgendem Prachtstück mit Begriffen zu erschöpfen! Romeo im Sonettenstyl über Rosalinde, da Benvoglio sagt, es gebe schönere Mädchen:
Genommen vom Hexen- und Ketzerprozeß: Wasser- und Feuerprobe. — Das sagt nun Romeo zwar im euphuistischen Modeton, man kann sich aber darauf verlassen, daß Shakespeare damit etwas Extrafeines in allem Ernst zu bieten meinte und daß die Gesellschaft seiner Zeit es höchlich bewunderte. Und in keinem deutschen Kommentar auch nur ein Wort gegen den vertrakten, hirnverbrannten Schwulst! — Shakespeare ist mit Einem Bein später aus diesem Geschling heraus, mit dem []andern nicht, noch in seinen reifsten Werken kommen derart Schnörkel. Zeitgeschmack freilich, aber er hat sichtbar seinen Gefallen daran; der Zug zum Versalzen, allen phantasiestarken Geistern eigen, verführt ihn dazu. — Auch Zote war Zeitgeschmack, dennoch begreift man nicht, wie Shakespeare keinen Eckel davor haben konnte. Er steht doch über der Wachtstube.
Habe nebenher leider meinen besondern Spaß am Absurden. Eigenthümlicher Schauer über den Buckel herunter, kitzliches Weh- und Wohlthun, Gänsehautreiz. Was nicht Gänsehaut macht, ist noch nicht recht absurd. Möchte eine Abhandlung darüber schreiben, habe aber den Grundbegriff noch nicht finden können; „Maßverletzung, Grenz- oder Taktverletzung“ ganz oberflächlich. — Auf die Definition müßte eine Eintheilung folgen. Shakespeare's Absurditäten sind falsche, querköpfige Bilder, krumme Ideenassociationen überreicher Phantasie. Eine andere Gattung wäre die wohlweise, die bei ihm nicht vorkommt. Derart habe ich mir Einiges ausgeheckt, um für ferneres Nachdenken über das Wesen der Absurdität gute Beispiele bereit zu haben:
Geistreiche Gedanken eines Schulpedanten.
Idee 1. Er hat sich die Lehre gemerkt, daß ein Dichter Alles individualisiren muß. Schlägt daher []vor, eine Stelle in Schiller's „Wilh. Tell“ zu verbessern oder eigentlich zu bereichern. Monolog in der hohlen Gasse. Stelle:
Hier einzufügen:
Idee 2. Anmerkung zum Schluß des Monologs:
Die ältesten Uhren waren Sand- oder Sonnenuhren. Es gab übrigens auch Wasseruhren. Häufig wird Severus Boëtius im Jahre 510 als Erfinder der Uhren betrachtet, aber er verfertigte nur eine künstliche Wasseruhr. Auch die Uhr, welche der Khalif Harun al Raschid Karl dem Großen schenkte, war wohl eine Wasseruhr, mit welcher jedoch Räderwerk in Verbindung stand, denn sie hatte ein Stundenglas, welches sich alle zwölf Stunden umdrehte. Dem Mönch Gerbert (später Papst Sylvester II., st. 1003) wird häufig die Erfindung der Schlaguhren zugeschrieben; er wurde deßhalb als Zauberer verschrieen; nach Mancher Meinung war jedoch auch dieses Werk nur eine künst []lichere Sonnenuhr. Dante zu Ende des dreizehnten Jahrhunderts beschreibt zuerst eine Schlaguhr. Die ersten bekannten Gewichts- und Schlaguhren sind von Dondi in Italien, von Wallingford in England und von de Wik in Deutschland. Im vierzehnten Jahrhundert hatte man Uhren zuerst in Klöstern, in Städten waren sie bis zu Ende desselben noch eine Seltenheit. — Wie viel mehr in Dörfern! Tell lebte im Anfang des vierzehnten Jahrhunderts; er hat also höchst schwerlich in einer Stadt (— er besuchte wohl überdieß Städte nur selten —), eher etwa in einem Kloster eine mechanische Uhr gesehen. Doch ist wahrscheinlicher, daß Schiller nur eine Sand- oder Sonnenuhr im Auge hat. — Eine Taschenuhr konnte Tell nicht besitzen. Solche sind entweder von dem Nürnberger Peter Hele um 1500, oder nach Anderen von dem Straßburger Isak Habrecht um 1529 erfunden. — Doch wie, wenn der Dichter dem Schauspieler einen kühnen Anachronismus hätte nahe legen wollen? Von großer, ja ungeheurer Wirkung müßte es freilich sein, wenn der Mime bei obigen Worten eine Taschenuhr (— um dem Geschichtlichen etwas näher zu bleiben, nürnberger Ei —) zöge, einen Blick darauf wärfe und dann straff abgienge.
Idee 3. Aufgabe zu lateinischem Aufsatz:
Spiritum illum, qui dicitur Flibbertigibbetius, in tragoediam nominatam rex Lea []rius innectendo quid sibi voluerit inclytus poeta Britannicus Shakespearius, eo, quo decet, acumine enucleetur.
Idee 4. Ibideculus, das heißt: der ebendaselbst befindliche kleine Mann oder sonstige Gegenstand gen. masc. Wie viele geistvoll zweckmäßige Kürzungen dieser Art ließen sich noch in die Sprachen einführen!
Idee 5. Die Hand ist Prototyp für alle Werkzeuge, die der Mensch erfunden hat. So enthält sie im Nagel auch das Falzbein. Dieß dürfen wir als Zeichen, Fingerzeig ansehen, daß der Mensch zum Schreiben, zur Gelehrsamkeit bestimmt ist, und so gewinnen wir ein neues, höchst bedeutsames Argument für die teleologische Weltbetrachtung, für die Theodicee.
Idee 6. Von einem übermüthigen Offizier beleidigt, dichtet derselbe Schulmann zu seiner innern Satisfaktion den Vers: „Wie der Soldat, so hat auch der Civil
Denken, Begehren und dann das Gefühl.“
Niemand aber, selbst dieser Schulmeister nicht, thut's in der Abgeschmacktheit dem Traume gleich. Der leistet hierin das Ideale. So träumt mir gestern, []ich komme Nachts an mein Haus und sehe vor demselben eine große Versammlung von Männern, schwarz angethan, Trauerflor am Hut und mit brennenden Frackzipfeln. Ich frage verwundert, was das bedeute, und erhalte zur Antwort: Hiemit werde das Leichenbegängniß des Herrn A. E. gefeiert und man nenne das einen Frackelzug. Ich war sehr erbaut und belehrt, bestaunte sehr die tiefsinnige Wortbildung, zündete mir selbst den Frackschoß an und gieng mir selbst sehr andächtig in der Klage mit. Zugleich wie furchtbar eitel!
Eines haben die Pessimisten auch ausgelassen: das Lachen. Sie sind ganz humorlos. Eine Welt, wo so viel gelacht wird, kann so schlecht nicht sein.
Gelacht wird über das Verkehrte, auch das Ruchlose, selbst über die größten Uebel, wenn sie nur irgendwie unter den Gesichtspunkt der Zweckwidrigkeit gerückt werden können. Vorausgesetzt ist das humoristische Lachen freier, reiner und universal blickender Gemüther. Sie lachen im Bewußtsein, daß schließlich das Verkehrteste der sittlichen Weltordnung nichts anhaben kann, denn eben die so Lachenden sind ihre Schützer, ihre Retter.
Wir sind von Räthseln umgeben. In dieser Lage ist es das einzig Vernünftige, als wahr anzunehmen, was []uns am wohlsten thut, sofern es nur unleugbaren Verstandesgesetzen nicht widerspricht. Dabei ist nur vorher auszumachen, was wahrhaft wohl thut. Dieß kann ausgemacht werden, denn es ist aus dem Wesen der menschlichen Seele und aus dem richtigen Begriffe der Zeit zu beweisen, daß wahrhaft wohl nur ein gutes Gewissen thut, das man sich erwirbt durch treue Arbeit im Dienste der unzeitlichen Güter. Nun werden wir in dieser Arbeit unendlich bestärkt durch die Annahme, es walte ein unbedingtes Etwas, das aus streng logischen Gründen nicht Person sein kann, das dennoch eine Ordnung erwirke und baue in dem verworrenen Wesen, Welt genannt, und zwar auf dem Unterbau der (auf diesem Auge) blinden Natur und des blinden Zufalls einen Oberbau, worin sich durch immer neue Thätigkeit unzähliger Menschen die Sitte, das Gute, der Staat, die Wissenschaft, die Kunst herstellt. Indem nun diese Annahme uns in der Erwerbung eines guten Gewissens unterstützt, so kommt dieses unser Wohlbefinden zugleich Andern zu gut und das ist Grund genug, zu glauben, was wir nie beweisen können.
Was ich mir immer und immer wieder vom Werthe der Arbeit vorsage, darin bin ich aber gar kein Philister. Gestern Abend kam ein Kauz in die Restauration, []der Vogelstimmen, auch Stimmen mancher Vierfüßler so ausgezeichnet nachahmte, daß Jedermann vergnügt wurde und auch ich auf's Heiterste mich vergaß. Es muß Alles entwickelt werden, was von Fähigkeiten im Menschen liegt, so auch Seiltanzen, Kunstreiten, Jongleur- und Ballinistenwesen. — Der heitere Schelm hatte sichtbar selbst eine Freude an seinen Leistungen, war ganz dabei. Warum soll das nun nicht auch gelten? Als der Spaßvogel anfieng, befand ich mich eben in sehr mißlicher Lage. Saß mir am Tischchen ein Herr gegenüber, der schickt auf einmal aus der Zeitung einen höchst bedeutsamen Blick, einen wahren Couponblick unter der Brille hervor auf mich und sagt: „Amerikaner 70“. Der Mensch war am Ende wirklich fähig, zu meinen, ich verstehe das! Ich werde in solchem Fall leicht unangenehm und es hätte bös ablaufen können. Da schlug die Wachtel und befreite mich. Wer könnte zweifeln, was höher ist, Vogelstimmen nachahmen oder in Papieren machen und davon sich unterhalten? — Der Künstler gieng übrigens von einfachen Rufen zu belebten Szenen über: Plaudern junger Schwalben und Begrüßung der Alten, Gezänke zwischen Vögeln, ganze Katzenkonzerte, große Hunderaufereien, kurz: Idylle, Novelle, Eposfragment, Lyrik, Drama. Wohl interessanter, belehrender, als manches Professors Vortrag über Zoologie. Jedenfalls hat der heitere Schelm ein paar Dutzend Menschen in []der Abendstunde aus dem Gestrüpp und Sumpfschlamm Zeit herausgehoben. Ist er im Uebrigen ein Lump, er mag es mit sich abmachen; hier wenigstens hat er mit seiner Arbeit sich ein Verdienst erworben, worüber sein Bewußtsein ihm ein gutes Zeugniß ausstellen darf.
Ich weiß ein armes Weib von fünfundachtzig Jahren. Sie hat ihr Leben lang das Geschäft des Gassenkehrens getrieben, und zwar mit Eifer, mit Seele. Sie thut über Pflicht; sieht sie auch außer der Arbeitstunde thierische Abfälle liegen, so springt sie nach dem Besen. Das Weib ist heiter, gesund in ihrem Alter, ganz Eins mit sich, ganz zufrieden, klassisch gediegen. Ihr wird kein Monument errichtet werden, sie weiß sich aber als nützliches Glied in der unendlichen Kette wesentlicher menschlicher Thätigkeiten und ist darin unsterblich.
Von der Dichtkunst erwartet die Mehrheit der Menschen, sie solle ihnen ihre gewöhnlichen Vorstellungen, nur mit Flittern von Silber- und Goldpapier aufgeputzt, angenehm entgegenbringen. Da sie in Wahrheit das gemeine Weltbild vielmehr auf den Kopf stellt, so wäre kein großer Dichter je berühmt geworden, wenn nicht die Wenigen, welche wissen, []was Phantasie ist, allmälig einen Anhang gesammelt und denselben mehr und mehr erweitert hätten. Sie haben Stein auf Stein in das stehende Wasser der Meinung geworfen, bis die Wogenkreise den ganzen Spiegel in Bewegung setzten. Wäre dieß nicht, so stände heute noch Wieland, Iffland, ja gar Kotzebue in der Blüte der öffentlichen Gunst, Goethe und Schiller gälten für Phantasten. Man würde sich nur größere Dosis von Schauer ausbitten, als die alten Lieblinge boten, und in diesem Punkt eine Beimischung aus den Ritter-Romanen vorziehen; Wieland müßte noch stimulanter werden, als er schon ist. Nun, an solchen Wielanden fehlt es uns ja nicht. Das merkt sich jeder Elende, daß er seiner Wirkung sicher ist, wenn er mit sexualen Reizen operirt, denn wie dickhäutig ein Leser sein mag, Geschlechtsnerven besitzt er ja doch. Unsere Illustratoren schlagen ebenfalls hübsch Münze aus diesem Umstand. — Auch Humor will man haben, aber wenn er kommt, der Wilde, erschrickt man wie vor einem Geist. Er dürfte wild sein, aber er soll zugleich zahm, anständig sein. Ja, Poeten vor tausend oder etlichen hundert Jahren, die durften im Humor auch den Cynismus wagen, das ist etwas Anderes, wir aber, wir Menschen der „Jetztzeit“, wir sind gebildet, und nicht Wenige von uns gehören zur „guten Gesellschaft“; zwar eine feine Zote, ja das ist was Anderes, das zieht.
[]Diesem ebenso anmaßenden wie platten Philistervolk liebt nun die Poesie, die Kunst von Zeit zu Zeit recht grundsatzmäßig das Phantastische an den Kopf zu schleudern, damit es merke: die poetische Welt ist nicht die gemeine. Dieß ist begreiflich, doch soll der Künstler und Dichter es nicht zum Prinzip erheben wie unsere Romantiker thaten. Das Ideale stellt die gemeine Ansicht von Welt und Leben auch dann auf den Kopf, wenn es die Dinge ganz naturgemäß geschehen läßt. Echtes Kunstwerk hat mitten im Klaren doch immer Traum-Charakter, ist von „Geisterhauch umwittert“. Göthe's Gedichte hören sich wie ein leises Schlafreden, nur um ein Weniges, ganz Weniges deutlicher. Man kann ihren Inhalt nicht greifen, nicht an den Fingern abzählen. Der Charakter im Dichterbild wurzelt, so bestimmt er sich ausladet, in geheimnißvollen Naturtiefen und das Schicksal, die Nemesis, schreitet auch nicht fadengerade, sondern strickt aus gar vielen Maschen unrechenbar das Geisternetz, worin es die vermeintlich frei wandelnden Menschen einfängt. Auch die Zeit ist vor dem Dichter bloßer Schein. Gloster's Schicksal steckt ahnbar schon im ersten kurzen Auftritt des ersten Akts des Königs Lear. Goneril blüht, strotzt in ihrer Bosheit und Frechheit. „Gut, gut, — der Ausgang,“ sagt Albanien, da sie sich ihrer klugen Berechnung der Zukunft rühmt. In den vier Wörtchen liegt die ganze Lehre vom bloßen Scheine []der Zeit. In Goneril's Verruchtheit blitzt schon das Messer, das sie sich, an der Verzweiflung angelangt, in's Herz stoßen wird. Also ist auch ihr Selbstgenuß in ihrer Verruchtheit nur Schein, sie ist schon unselige Selbstmörderin. — Was könnten die Menschen für ihr ethisches Leben lernen, wenn sie den Begriff der Zeit besser studiren würden! Alles Laster, Verbrechen ist schlechte Logik.
Lust fühlen heißt die Zeit nicht fühlen. Darnach jagt nun alle Welt. Aber die Lust ist eine große Kokette; wer sie sucht, den täuscht sie, wer nicht nach ihr fragt, dem hängt sie an und wird am End' eine ordentliche Frau. — Das gibt zu denken über Eudämonismus.
Die meisten Menschen wissen sich nicht zu behandeln, daher stehen sie mit sich selbst auf so schlechtem Fuße.
Vorsehung. Man sollte eigentlich sagen: Nachsehung. Es handelt sich doch vom Zufall. Der Zufall ist eine im Moment ihres Auftretens von keiner Intelligenz überwachte, rein irrationale, gesetzlose []Schneidung der Linien, auf denen die Natur und die Geisteswelt ihre Thätigkeiten, jede an sich gesetzmäßig, ausüben. Nun aber sind alle diesen zwei Gebieten angehörigen Kräfte stets beschäftigt, den Zufall zu verarbeiten: das Günstige, das er bringt, zu benützen, auszubilden, das Uebel zu überwinden, zu heilen, selbst zum Gute und Guten zu kehren. Einen Mann, der verdienstvoll wirkt, der Familienvater ist, tödtet ein Ziegel, der vom Dache fällt. Der Unfall spornt seine Söhne, der Mutter eine Stütze zu werden, der Staat strengt Kräfte an, die Lücke auszufüllen. Es kann auch schlimm gehen, beides nicht geschehen, dann wird das weitere Unglück Kräfte wecken. Es ist ein unendliches Netz, ein unendliches Weben. Das ganze Leben, die ganze Geschichte ist Verarbeitung des Zufalls. Er wird in das Reich des Naturwirkens und des menschlichen Denkens, Willens und Thuns hinein stetig verarbeitet. Vorher, in seinem Eintreten, ist er blind, nachher wird er eine von sehenden Augen geflochtene Masche im unendlichen Netze der Thätigkeiten. Also eigentlich Nachsehung. Aber da die Zeit eigentlich nur Schein ist, so ist das „Nach“ auch falsch, so falsch wie das „Vor“. Soll man etwa einfach sagen: Sehung? Zusehung? Nicht das Auge eines persönlichen Gottes, aber unzählige Augen sehen den blinden Zufall und ihnen dienen unzählige Kräfte, etwas aus ihm zu machen, was er in seiner Entstehung nicht ist. []In der unendlichen Thätigkeit Aller, den Zufall zu verarbeiten, sind nun geheimnißvolle Gesetze thätig, denen die Philosophie der Geschichte mit wenig Erfolg nachforscht. — Gewiß ist freilich Eines: unendlich Vieles fällt durch die Maschen in’s Leere, unzähliges Leben geht elend zu Grunde, ohne daß wir eine Frucht absehen. Da ist nicht zu helfen; darein muß man sich ergeben; da gibt es keinen Trost, als den: sollen die blinden Naturgesetze unendliches Leben schaffen und unendliches Wohl, so geht es nicht anders, sie müssen auch ihre Opfer haben. — Und erst der meskine, der ganz knirpsige, lumpige, nüssige Kleinzufall, der niemals Frucht tragen kann, was ist es mit dem? Nun eben, hier tritt als einzige Auskunft meine Dämonologie in’s Mittel. Aber es wird ja auch gegen die Dämonen gekämpft. Die Canaillen haben mich doch nicht untergekriegt, ich habe nie am obern Stockwerk gezweifelt und treulich daran gebaut, was ich konnte.
Ueber Freiheit und Nothwendigkeit, nachdem ich mir an der Frage fast das Hirn lahm gearbeitet, bin ich endlich bei einem ordinären Behelf angekommen, der mir doch seine Dienste thut. Es sei so, daß es Wahlfreiheit des Willens nicht gibt. Also schwindet die Zurechnung; es gibt nicht Schuld, nicht Verdienst, der Verbrecher muß. Allein, da doch Alles noth []wendig, so müssen Die, welche ihn strafen, auch. Sie strafen ihn, weil sie ihn für zurechnungsfähig, für schuldig halten, und da sie ihn strafen müssen, so ist es so gut, wie wenn er es wäre. Geschieht Heilsames, so freuen sich die guten Menschen und lohnen es, — nicht alle, doch viele, — als ob es Verdienst wäre. Sie müssen und der Mann, der sich verdient gemacht, hat auch gemußt. Aber da beide müssen, so ist es ebenso gut, wie wenn beide frei handelten. Und so kann ich ganz getrost nach den gewöhnlichen Begriffen von Freiheit des Willens leben, befehlen, strafen, loben, lohnen, und thut die Menschheit recht, sich an dieselben zu halten; denn da, wenn Nothwendigkeit waltet, nicht das Eine nothwendig ist, das Andere nicht, sondern sowohl die Gegenwirkung als die Wirkung, so bleibt gut gut und schlecht schlecht.
Nur gegen Den soll man nachsichtig sein, der Schnuppen oder gar Grippe hat, das ist etwas Anderes, da hört die Freiheit in jedem Sinn auf.
Nennt mich neulich ein junger Fant liebenswürdig. Dieser, Männern gegenüber von Männern gebraucht, unverschämte Ausdruck kommt immer mehr auf. Ich habe dem naseweißen Geck gesagt: Danke, bin nicht liebenswürdig, bin zufrieden, wenn man Respekt vor mir hat.
[]In was Alles ich mich nicht gefügt, weiß man und rechnet mir dick auf. In was Alles ich mich aber still gefügt, weiß oder bedenkt man nicht.
Ihr verlacht, verachtet mich wegen meines Grimms über die Kreuzung durch das Kleine. Ihr würdet mich verstehen, wenn Größe in euch wäre. Ich will gar nicht stolz reden; — ich meine darum nicht, ich sei Alexander der Große, Karl, Friedrich der Große, oder Plato, Aristoteles, Spinoza, Kant, oder ihr sollt es sein. Aber etwas von Größe, ein Ansatz dazu ist doch in jedem rechten Kerl. Großen Uebeln begegnet das Große in ihm groß, der Schund mit dem Kleinen, dem Winzigen muß ihn empören.
Ich lasse meinen meisten Zorn an Schubladen, Töpfen, Hemdknöpfen und dergleichen aus. Das kommt den Menschen zugute, daß so viel Wuth nach der Seite abläuft. Doch nie den schlechten.
Wer das Leben nach seinem Idealwerthe schätzt, ich frage, ob der nicht wüthend werden muß, wenn er auch nur ungefähr überschlägt, wie viel Kraft und Zeit uns das Bagatell raubt, ich meine das recht []eigentliche Bagatell, das nicht des Nennens werth ist. Wer von jenem Werthe durchdrungen ist und doch geduldig bleibt: gut, recht, er soll ein Engel sein. So lang ich aber nicht sonst Proben habe, daß Einer engelgleich ist, bin ich so frei, zu glauben, daß er den Kampf mit dem Bagatell nur darum leicht nimmt, weil er grobe Nerven hat oder nicht vergleicht, nicht rechnet. Rechnen wir nur sehr schwach: per Tag 1½ Stunden für An- und Auskleiden und dergleichen, hiezu nur ¾ Stunden für speziellen Kampf mit Knöpfen und Anverwandten: macht per Woche 105¾ Stunden. ) Sie! Anm. d. Herausg.) Nehmen wir hinzu, daß nur Einmal wöchentlich noch speziellere und ganz tragische Kämpfe sich ereignen, wie verzweifeltes Suchen eines Blatts, einer Notiz, und bedenken wir, das ein solcher Vorgang das Hirn, das ganze Nervenleben in eine ähnliche Betäubung versetzt, wie Verirren Nachts im Walde, also für einen ganzen Vormittag arbeitsunfähig macht, thut 6 Stunden: Summa in der Woche 1056¾, Stunden: welche Zahl!*)
Was ich nicht aushalten kann, das ist ein Mensch ohne Leidenschaft, und ein Mensch, der gemeine Leidenschaften hat.
[]Nur keine Geschichten, nur keine Szenen! So denken die Meisten und so zum unendlichen Schaden der Welt namentlich Staatsmänner. Es soll nichts aufgerührt werden, es soll Alles beim Alten bleiben, und wenn ein Kind einzusehen vermag: es kann nicht beim Alten bleiben, es muß ja doch brechen. Aber: après nous le deluge!
Das Weib ist schamhafter als der Mann, weil es weniger unschuldig ist. Das Mädchen weiß das Geschlechtliche weit früher als der Knabe, lernt früh, wenn auch noch unbetheiligt, das ganze Listgetriebe des Männerfangspiels kennen, das Weib ist sich des Geschlechts weit bewußter als der Mann, und hat dieß Wissen zu verbergen, daher muß es mehr Scham haben. Dieß ist im geringsten keine Schande für das Weib. Es erhebt sie. Sie ist mehr Naturwesen als der Mann, und wird sittliches Wesen, indem sie es verhüllt, mit Bildungsleben zudeckt.
Bedarf übrigens der Mann weniger Schamhaftigkeit, so ist das lange kein Freibrief für Schamlosigkeit. Ein Mann, der keine Scham bewahrt, ist fertig, ist hin, er mag dieß und das noch treiben, ja leisten, aber er ist eben gemein, und gemein ist gemein. Den Mann, der darin richtig bestellt ist, wird man besonders []daran erkennen, daß er gut unterscheidet, wo Cynismus berechtigt ist, wo nicht, und daß er gut erkennt: der gröbste Cynismus ist unschuldiger als der feinste Obscönismus.
Darin liegt eine große Schwäche des Weibs, daß es im Gespräch so gern Nebenbeziehungen findet, Anspielungen, Stiche, Ausfälle, wo davon keine Spur ist. Der Mann redet gewöhnlich einfach und ehrlich auf die Sache los und denkt nicht daran, was man dabei sonst und nebenher noch denken könnte.
Die Frage nach dem Werthe des Weibs ist eine der zweiseitigsten, die es gibt. Der Mann ist weit commensurabler. Mit diesem Wort ist sogleich der Grund der beunruhigenden Schwierigkeit in der Frage ausgedrückt. Incommensurabler ist das Weib im Guten; Großthaten des weiblichen Enthusiasmus leuchten in Menge wie Sterne am Nachthimmel der Geschichte, incommensurabler auch im Bösen: „o, undistinguish'd space of woman's will!“ (König Lear IV, 6.) Wie sieht es mit der Geduld aus? Das Weib ist sowohl viel geduldiger, als auch viel ungeduldiger, als der Mann. Jenes z. B. im Katarrh mit Zubehör und bei Krankenpflege, dieses bei Meinungs- und Willens []kreuzungen. Ein Bekannter, der in ganz erträglicher Ehe lebt, sagt neulich, er habe so rührend schöne Ideen gehabt, wie er Geduld lernen wolle am sanften Bande der Ehe; „ja, oha!“ fährt er fort, „hab' sie wohl lernen müssen, aber anders, als ich meinte: im Widerstand gegen Ungeduld.“
Gestern an unserem Tisch im Gasthoflokal mischt sich ein Herr in's Gespräch über das Weib und läßt sich sehr gemein aus, erlaubt sich auch Zoten. Sonst formell ganz anständiger Mensch, doch etwas anrüchig wegen Benehmens in Ehrenfragen. Wir schweigen ihn an, und fühlbar, da er fortmacht, keimt und wächst im Kreis eine Neigung, ihm die Thüre zu weisen. Plötzlich bricht er auf und geht von selbst. Staunen. Sagt X: „Mir scheint, der Mensch hat einen inneren Hausknecht — einen Rest von Scham —, der hat ihn hinausgeworfen.“ Gut.
Nun muß sich aber hintennach in dem Menschen doch die Vorstellung ausgebildet haben, er sei von uns hinausgeworfen worden; er münzt es auf mich und verdächtigt mich politisch in einer Zeitung. „Schmutz riecht sich selber nur,“ habe ich erwidert.
[]Menschen, die einander ohne thatsächlich klaren Grund nicht trauen, trauen sich selber nicht.
Diese Art Menschen kann man auch mit ziemlicher Sicherheit daran erkennen, daß sie nicht gern allein sind, obwohl man natürlich den Schluß nicht umdrehen darf, denn die Mehrheit ist nur aus Leerheit nicht gern allein. Auch spazieren können sie nicht recht gehen, denn eine gemeine Seele ist keiner Contemplation fähig.
Man muß arbeiten können, man muß aber auch müßig gehen können, nur betrachten. In diesen Momenten muß man sich verhalten können, wie bloße Natur oder eigentlich sich selbst betrachtende Natur. In glücklichem Wechsel mit Arbeit sind sie so gut, so werthvoll wie Arbeit.
Vater und Sohn, an einem See vorbeigehend.
Knabe. Papa, heut Nacht ist der See, glaub' ich, doch ein bischen unartig gegen mich gewesen.
Vater. Was hat er dir denn gethan?
[]Knabe. In der Schul hat gestern der Schulmeister gesagt, was ein ordentlicher Mensch sei, müsse auch eine ordentliche Beschäftigung haben; darnach müsse man bei Jedem fragen. Jetzt hat mir's heut Nacht geträumt, ich komm' an den See und frag' ihn: „Herr See, mit was beschäftigen Sie sich?“ Jetzt hat der See gesagt: „Ich beschäftige mich damit, naß zu sein.“ Ist das nicht ein wenig grob?
Vater. Je nun!
Wenn ich Poetisches gelesen habe, zum Beispiel Jamben, und komme nachher an Prosaisches, so meine ich einige Minuten lang, es auch als Jamben lesen zu müssen. So gieng es mir einmal mit einem Regierungsschreiben. Zufällig liefen die ersten Zeilen ganz ordentlich. Ich las:
So weit gieng's, aber weiter nicht, das Folgende war nicht in Jamben zu bringen und ich erwachte zur Prosa. Uebrigens belehrender Beitrag zur Psychologie der []Rhythmik oder eigentlich der idealen Nervenlehre. Fortschwingen des rhythmusfühlenden Nervs. — Da liegt die Abschrift des Schreibens vor mir, die ich mir zum Andenken genommen habe, — Erinnerung an alte Zeiten.
Nachts hatte ich dann einen recht kindischen Traum. Ich kam in ein besseres, beglücktes Land, Wohnsitz hochgestimmter Menschen. Hier wurden alle amtlichen Schreiben, Regierungs- und Behördenerlasse, Reskripte, Ausschreiben, Gesetzurkunden, Protokolle, all' Dieses und Aehnliches in Versen abgefaßt und zwar stets in einem zum Inhalt passenden Metrum. Einen Staatsanwalt hörte ich im Geschwornengericht die Anklage gegen einen Mörder in centnerschweren kurzen Stabreimen vortragen. Das Protokoll über den Thatbestand erklang fürchterlich im Versmaß des Eumenidenchors des Aeschylos. Der Vertheidiger suchte in weichen sapphoartigen Strophen zu rühren. Das Strafgesetz bestand in lastenden Trochäen. Das Dienstreglement für meine Polizeimannschaft bewegte sich in gemessenen Dantesken Terzinen. Ein Gesuch um Freinacht bei Anlaß einer Hochzeit gewährte ich in hüpfenden Anapästen und Daktylen und gieng gegen den Schluß in Zeilen über, die in freiem Spiele zwischen gebundener und ungebundener Form dithyrambisch schwebten. Dafür aber bekam ich einen Verweis von der Kreisregierung []in gemessenen Alexandrinern, worin mir eröffnet wurde, daß Dithyramben fast eine Einladung zur Trunkenheit und jeder Art von Exzeß repräsentiren. Daran erwachte ich. Den Verweis überbrachte mir ein in die toga hirsuta (Zotteltoga) gekleideter Kanzleidiener. Die Beamten trugen die toga praetexta, untergeordnete mit breitem, höhere mit schmalem, feinem Streifen oder clavus. — Es war kurz vor den Dingen, die mich mein Amt gekostet haben, — ahnungsvoll!
Das habe ich doch meist bewährt gefunden, daß man den Menschen im Schlaf ihren Charakter ansieht. Seit es Eisenbahnen gibt, hat man mehr Gelegenheit. Da habe ich nun auch eine Gattung Menschen entdeckt, die ein Gesicht machen, als kostete ihnen das Schlafen Mühe. Es sind meist hart arbeitende Leute, denen der Ausdruck vom Wachen her auf den Zügen stehen bleibt. Doch nicht bloß, man kann es auch bei gebildeten und sicherlich nicht schwer beschäftigten Menschen beobachten. Das sind nun offenbar Naturen, denen alle Geistesfreiheit abgeht, denen im Wachen Alles, selbst die Freude, Geschäft ist, die niemals zu schweben verstehen, daher entbindet auch der Schlaf ihre Züge nicht. Ich nenne den Ausdruck ungernig, sie sehen aus, als schliefen sie ungern.
[]Es ist auch deßwegen in Ordnung, daß der Mensch endlich stirbt, er soll sich schon deßwegen gern darein fügen, weil sich mit der Zeit gar zu viel Sach um ihn ansammelt. Man erfährt das so recht bei einem Umzug. Nicht nur Bücher, — Briefe, Blätter, Blättchen, Zeitungsnummern, Büchsen, Schachteln, Salben, Pulver, tausend Geräthe. Wie oft, alter Narr, willst du die alte Papiertute hinten in der Schubladenecke noch einmal hervorziehen, öffnen, finden, daß ein Rest Holder- oder Wollblumenthee darin steckt, dich besinnen, ob du ihn wegwerfen willst, ihn noch einmal behalten? — Mach', geh' fort, nimm Abschied auf einmal von all' dem Quark!
Ballast! Ein- für allemal zu viel Ballast! — So stark bin ich nicht, daß mir nicht manchmal eine Sehnsucht aufstiege: nur ein Jährchen lang nach dem Tode noch auf einem Planeten, wo man keinen Schneider, Schuster, Schreiner braucht und wo es überhaupt gar kein Wetter, also auch keinen Katarrh gibt! Nicht unsterblich, o nein, nur dieß Jährchen! — Aber das sind schwache Stunden.
Vitam, non mortem recogita! Altes Motto.
[]Aber man muß den Tod recogitare, um ihn nicht zu fürchten. Nun ist das nicht die Art der Menschen. Daß sie in Masse überhaupt auf kein Uebel gefaßt sind, hat seinen guten Grund. Sie wären, — so muß der erste Satz von mehreren Sätzen lauten —, sie wären ja Narren, sich das künftig mögliche Uebel vorzustellen, sie würden sich nur die Gegenwart verbittern. Lebe voll und ganz in der Gegenwart!: das ist ja richtig. Wer würde zum Beispiel die Geliebte an den Altar führen, wenn er sich recht darein vertiefte, daß Eines von Beiden vor dem Andern sterben muß! — Allein der zweite Satz lautet: Stelle dir das Uebel dennoch vor, sonst trifft es dich ungefaßt und vor Allem das scheinbar schrecklichste, der Tod. Also Widerspruch zwei gleich wahrer Sätze. Folgt, daß es eines dritten Satzes bedarf. Stelle es dir nicht nur vor, sondern durcharbeite, durchbohre, durchsetze, durchäze es ganz mit klaren Gedanken, bis du damit fertig bist, dann schwindet das Drohende des Schattens und du kannst frei die Gegenwart genießen, bist auf unendlich höherer Stufe, was das Thier auf seiner ist: sorglos blind für die Zukunft. „Gefaßt sein ist Alles.“
Schiller hat gesagt, der Tod könne kein Uebel sein, weil er allgemein sei. Man denke sich einmal, ein []Theil der Menschen müsse sterben, ein anderer nicht, und Niemand wisse, ob er zur einen oder andern Klasse gehört: wie entsetzlich! Stelle dir immer vor, du fallest in der Schlacht, wo das Zusammensterben den Tod so sehr erleichtert. Das Allgemeine ist nothwendig, ist ein Gesetz. Ein Gesetz fürchten ist kindisch. Du kannst doch nicht ansprechen, die Gattung zu sein! Was dir aber sicher hilft, das ist: lebe in der Gattung, im Allgemeinen, dann stirbst du nicht, obwohl du stirbst, und kannst sagen mit dem Römer: non omnis moriar.
Träger, schwerfällig trauriger Nachmittag. Unten im Hofe wird Holz gemacht. Ich muß immer dem Sägen zuhören. Zuerst ein scharfkratziger Ton, dann tiefer, breiter, dann kommen hohe Klagetöne des Scheits, als riefe es: jetzt kann ich nicht mehr lang widerstehen! es folgen noch einige kurze, gerupfte, schnell in der Skala sinkende, mürbe Laute und man hört die Klötze fallen. — So sind mir die Freuden des Lebens durchgesägt worden, eine um die andere, ich höre jetzt noch die Stümpfe zu Boden rumpeln.
Aber mit dem Holz hab' ich mir doch einen Ofen geheizt, den ich mir selbst gebaut habe.
[]Ofen freilich wie er eben sein kann in Anbetracht der Umstände. Hat einen Riß, raucht. Doch etwas besser, als keiner.
Eine große Gunst ist mir doch widerfahren: ich bin im Krieg gewesen, habe ein Treffen mitgemacht. Habe erfahren, wie es dem Mann in der höchsten Anspannung aller seiner Kräfte zu Muth ist.
Beklagen, daß ich damals nicht gefallen bin, wäre gemacht sentimental. Wenn ich aber nur wüßte, ob mir nicht das noch begegnet, daß ich lächerlich sterben muß! Es sähe mir ganz gleich. Oder gar ein Krüppel werden auf solchem Weg? Noch hübscher! Einem Soldaten wird ein Auge ausgeschossen; es geschieht auf dem Felde der Ehre. Ich wette, ich werde noch ein Auge durch ein Knallbonbon verlieren.
K. v. Suckow „Aus meinem Soldatenleben“ erzählt von einem Hauptmann, der sich mit ihm aus Rußland fortschleppte, mit ihm hungerte, und unter diesen Leiden nicht aufhörte zu rühmen, was für trefflichen Zwiebelkuchen seine Frau machen könne; es sei sein Leibessen, und wenn er nach Hause komme, müsse []das Erste sein, daß die Theure ihm einen bereite. Sein Idealtraum gieng nicht in Erfüllung, er hat den Zwiebelkuchen nicht mehr gesehen, gegessen, ist in Wilna am Nervenfieber gestorben. Ach, so sterben wir Alle, Jeder trägt in sich den Traum vom Zwiebelkuchen und muß in die Grube, eh' er Wahrheit geworden.
Auch ist das ganze Leben ein russischer Feldzug. Allgemeiner wilder Stoß und Schub im Menschengetümmel ist die Beresinabrücke. Kanonenschläge dazwischen: das Unglück rechter Art, das drastische Uebel; dieß Glück wäre mir nicht widerfahren. Für mich Lanzen der Kosakenschwärme, die Wespenstiche des kleinen Uebels. Das Aergste soll aber doch gewesen sein ein beständiger, fein messerscharf schneidender Wind, und — wer nicht fiel, nicht verhungerte, nicht am Typhus starb — hinsiechend in beständigem Katarrhfieber.
Hab' auch wieder einen, werde mir bald die Füße zum Mund heraushusten.
Frau Hedwig und der Doktor schicken mich noch einmal über die Alpen. Will gehorchen; muß Neapel, []Sizilien nachholen — Nachholen? Sonst nichts? — Gesteh' dir, Mensch, — eine Unruhe, als ob dein noch etwas wartete — Willst suchen? — Nein! — Doch?
Ich muß, ehe es fortgeht, mein Jugendthal noch einmal sehen. Wird zum letzten Mal sein. Träumt mir neuerdings mehr als sonst davon.
Geschrieben in der Felshöhle am Klosterberg in St....l.
München. Zuerst einmal hier verweilen, Kunst ansehen. Pinakothek. O Gott, o Himmel, wie trifft mich's! Da liegt sie unter königlichem rothem Baldachin, konnte die Kerze nicht mehr fassen, die ihr der weinende Johannes reicht; Alles rings getreulich nach den Formen der Zeit; Wohnraum, Geräthe, Kultushandlung beim Tod einer hohen Person, Weihwasser, Weihrauch, Gebetformeln aus dem Buch, die Apostel hartgemeißelte Köpfe, unfeine Gestalten aus der gröblichen Wirklichkeit, überall voller Schein des Lebens bis hinaus auf []den Reflex der Kohlenglut im Gesichte des Jüngers, der in's Rauchfaß bläst. In Allen Ein Schmerz, der Widerklang dieses Todes in diesen ehrlichen Seelen. Und sie! Seligkeit der Auflösung in den Aether reinen Daseins, Verschweben im seligen Traum! Ein Kopf, Züge — reiner Krystall für durchscheinendes Himmelslicht! O, so, so stürbe — — und ich, ich grobe Erscheinung, ich gemeine Erdbildung, wenn — wenn dieß — wenn — dabei Zeuge sein, das schauen — Verwehe, Traum!
Pisa. Habe widerstanden, bin nicht östlich hinüber von Pistoja; morgen nach Livorno, zur See hinunter. — Wie schön hier Alles beisammen: Dom, Baptisterium, Campo santo, und wie gut ruhig, friedlich ringsum! — Komme mir vor wie der schiefe Thurm dort, der hält, obwohl geknickt. Im Campo santo — hätte den ganzen Tag da bleiben mögen, ja möchte hier wohnen, mich an den rührenden Bildern freuen wie ein Kind und ganz stille sein.
Pompeji. Die Gypsformen der Todten — genau in dem Moment, wie sie vor fast zweitausend Jahren im Todeskampf zuckten. Sonderbar — das thut sonst der Bildhauer aus Kunstzweck: er fesselt einen Zeitmoment im Raume. Hier hat die Natur dasselbe []gethan: die Sterbenden erstickend umhüllt, die Umhüllung verhärtet und nach achtzehnhundert Jahren einem scharfsinnigen direttore degli scavi so die Gußform dargeboten, die er nur ausgießen durfte.
Ich möchte gerade nicht in einer solchen Todeszuckung nach Jahrtausenden als Gypsfigur wieder aufstehen, übrigens rasch und gewaltsam sterben ist doch auch so übel nicht.
Gegenwärtige Vergangenheit, vergangene Gegenwart, — aufgehobene Zeit — Traum, wunderbar. Komme mir selbst vor, als sei ich schon lange gestorben und sehe dort aus einem Denkmal der Gräberstraße mir zu, wie ich nun umgehe, schaue, staune. Oder als sei ich gerade vor einer Stunde gestorben und der Tod habe mir noch auf einen Tag Ferien gegeben, da spazieren zu gehen, als alter Pompejaner zu schlendern. Wir haben auch in Wahrheit Alle in allen entschwundenen Menschengeschlechtern schon gelebt und werden leben mit den künftigen. Doch möchte ich herausbringen können, wie mir zu Muthe gewesen, als ich noch ein antiker Mensch war, Mensch aus Einem Guß, ohne Riß mittendurch, ohne mehr Augen, als nöthig. Aber wenn vielleicht doch auch jene Ein []fachen — ? Muß untersuchen, ob man an der Zehenhaut nichts mehr entdecken kann. — In Kleinasien, ja in Aegypten hat man in Schädeln plombirte Zähne gefunden. Also jedenfalls doch auch schon Zahnweh. Gibt sehr zu denken.
Droben qualmt der Vesuv. Bin doch hinauf zum Krater. Empedokles hat sich in den Aetna gestürzt, das Naturgeheimniß zu ergründen. Könnte man Element werden und zugleich wissen, was Element ist!
Zuerst Corricolo, dann ausgestiegen. Golf. Wie die Menschen, solche Linien, solche Kurven, solche Farben, solches Rauschen des ewigen Meeres vor Auge und Ohr, ihr Nachbar-Naturwesen, das Thier, so teuflisch mißhandeln mögen — o, fehlte mir nicht die Macht!
Sorrent. Alles kocht im Segen, man meint, man spüre die Frucht des Oelbaums, die Beeren der Traube sich mit Säften füllen. — Tasso's Wohnung — wir kennen uns. — An die Marine. In einer Fischerhütte bildschönen Knaben mitgenommen. Sieht dem putto gleich rechts unten auf Raphael's Sixtina, der den Kopf auf die Aermchen legt und so küssenswerth []den Zuschauer ansieht. Starke Brise. Wie weit kann man auf die Klippen jetzt hinaus? „Paolo weiß schon.“ Brandung wilder und wilder, ein göttliches Wüthen. Wir stehen mitten drin auf einer der durchfressenen Klippen. Schaumwelt wie ein wahnsinniger Traum, Riesenfächer ausgebreitet, Federbüsche, breite Wasserraketen aufschießend, bäumende Rosse, Bären, Elephanten, Centauren, Fabelungeheuer, — Gestalt in Gestalt verrinnend, Zischen, Speien, Pfeifen, Heulen, Klagen, Jauchzen, Kichern, Johlen, Wiehern, Brüllen, Baß- und schrille Hochtöne einer Riesenorgel, — Kanonenschüsse, Donnerschläge, — wir zwanzigmal überschüttet, Paolo's rothe Mütze fort, in den Strudeln umgezerrt — o, so wohl, so frei ist mir's nur in der Schlacht gewesen, mir, der sonst mäßigen Wind nicht erträgt. — Paolo schlägt die großen dunklen Augen unter den triefenden langen Wimpern doch etwas ängstlich nach mir auf. „Sei ruhig, caro ragazzo, uns geschieht nichts. Das kommt nicht von den Teufeln, kommt von guten Geistern, mir zu Ehren aufgeführt, zur Labung nach all' der Qual!“ — Ich stürme, wirble, jauchze, donnere mit, entbunden, frei Alles und Jedes, was Kraftahnung in mir ist. Hohe, herrliche Trunkenheit!
Abends im Albergo geplaudert mit den schönen Wirthstöchtern und ein paar frischen Burschen aus []Nachbarhäusern. Fällt den jungen Leuten das Tanzen ein. Ich muß die Kastagnetten dazu schlagen. Es kommt toller und toller, aber stets anständig, wildes Feuer, doch ohne einen Hauch von Frechheit. Vom Saltarello zur Tarantella. Herr meines Lebens, welch' mänadisches Sausen! — Plötzlich fällt mir Vikör und die Abendgesellschaft in Bergen ein. Die Kastagnetten entfallen meiner Hand, ich stürze hinaus, höre hinter mir sagen: „pare, che il Signor soffre.“ Ja wohl, ja wohl! — Hinaus in Mitternacht wieder an's Meer. Es ist still, sanft geworden, Mondlicht. — Habe doch schlafen können.
Von Castellamar über den Monte S. Angelo nach Amalfi. Räuber? Warnt mich nicht! Thun mir nichts. Beglückender Marsch, gerollten Mantel über der Schulter. Oben oft wie deutsch, Dörfer zerstreut, Holzhäuser mit steilem Giebel, Meisen schlagen, Buchfinken schmettern ihr Reitersignal, aber dann weit, weit der Blick hinaus auf diesen, dann auf jenen Golf. So gelöst, so entlassen! Himmelsluft!
Ravello. Das ist nun aber doch auch ganz wie ein Traum! Hoch, hoch über dem Golf von Salerno alte, einst reiche, mächtige Stadt, ursprünglich maurisch. []Paläste, Thürme, Stadthaus, Spitäler, uralter, in Zopfschnörkel entstellter Dom. Baustyl behielt übrigens im Rococo immer arabische Anklänge, das Gerollte, Geschweifte lenkt in maurische Motive ein. Brunnen mit geflügeltem Löwen und Adler erzählt von sieben Jahrhunderten. — Nicht zerstört, aber fast ausgestorben. Große Terrasse weit vorspringend, schwebend auf Felsfläche über der steilen Tiefe. Unten tiefblau der Golf, Aussicht drüber hinaus wie in's Unendliche. Einsam, einsam, nur ein paar alte Herren dort, sonnen sich, sind wohl von den wenigen Nachkommen der stolzen Familien, gedenken wohl still an vergangene Zeiten wie an alte Märchen. Dort der Greis ist vielleicht ein Ruffoli aus dem Prachtpalaste da drüben. — Mein Leben wird mir auch ein Vergangenes, eine alte Sage von Einem, der — —
Eigentlich gefällt es mir so ganz doch immer nur da, wo es traumhaft aussieht. Freilich doch auch im Deutlichen, Klaren. Aber Beides kann sich ja gut vereinigen.
Jetzt durch's Mühlthal herab nach dem Golf. Meer schäumt auf an Felsen und alten Sarazenenthürmen, Gang zwischen Oliven, Johannisbrodbäumen, []Limonen, Orangen, Feigen, Agaven, Piniengruppen, Himmel bedeckt, laue Luft, Vogelsang aus allen Zweigen. —
Amalfi. Was ist aus dir geworden, stolze, reiche, weitherrschende Republik! Dein alter Andreas dort in seiner Kathedrale, dem verbleichten Reste deiner Pracht, er hat dich nicht geschützt vor Pisa's, Genua's Schwert und dem Rachen einstürzender Meerflut. — Da oben aber im einstigen Kapuzinerkloster, wie wohnt es sich so einzig still, so frei gehoben! Als Einsiedler da herabschauen? Nein, nicht Ritter Toggenburg! — Weiter, Salerno zu, immer am Ufer hin, rechts das mächtige Rauschen, den ernst stahlgrauen Spiegelglanz des göttlichen Elements, links ein Paradies zwischen Fels, strengem Gebirgszug und all' dem herrlichen Grün mit der klassischen Zeichnung und ernsten, gesättigten Farbe. — Mittags im Nest Minari nach Kaffeehaus gefragt; weist man mich da zu der Alten. Enger Raum, Küche und Stübchen zugleich; das Weib am großen Spinnrad. Ganz gemüthlich geplaudert und Kaffee gut. Was gibt es behagliches Schwatzen in Italien mit alten Frauen! Gründliche Kinderunwissenheit. Lebt so da eingesponnen im Engen, um sich dieß Elysium. Gehört auch in ein altes Märchen.
[]Salerno. Lang dem Meer zugehört im Bett. Tempo: stilleres, feierliches Rauschen, dann anschwellen zu Donnerton. Erzählte viel von Völkern, Griechen, Römern, Karthagern, Longobarden, Normannen, Sarazenen; sah die Roßschweife wallen, hörte ihr Allah il Allah! — Aber was raunst du mir, was rufst du mir? Darf ich bald hin in's ewig Große?
Oder kommt mir noch ein Großes hier auf diesem geballten Weltstoff? Darf ich's noch erleben und dann zerschäumen wie die Woge? — Darf ich, — wag' ich's, zu hoffen? — mein Vaterland noch groß sehen? — Wohin mich die Wanderschritte tragen, von Deutschland ist wie von einem Nichts die Rede. Jetzt zwar Respekt vor Preußen. Gestern Abend wieder im Gasthof: Signore è Prussiano? Hab' der Wahrheit die Ehre gegeben: „nein“, und dann, als ich mein Ländchen nannte, giengen den Herren alle Begriffe aus. — Nach Pestum. Schwere, dunkelgraue Wolkenwand, darunter der Himmel offen, feuchtfett, giftig schwefelgelb glühend. Dunkel auf diesen Hintergrund gesetzt die alterbraunen Tempel, voran die stämmigen Säulen des Neptuntempels mit den breit ausgeladenen Wülsten. Da malt sie der Himmel hin, die Elegie des Völkerschicksals. — Bin doch plötzlich wieder aufgebrochen, es gieng zu tief jetzt, jetzt, da ich horche, wann die []Sonne in Donnergang aufsteige für mein Volk. Und - die fiebergelben Menschen, die mich anbetteln, denen ich nicht helfen kann! Da regt sich die alte Zwecknatur wieder: entsumpfen, dann Anbau? reißt mich aus der Betrachtung des Bildes als Bild — in Pein hinweggereist.
Palermo. Fahrt hieher von Neapel in reinem Aether, alle Götter günstig, Phöbus strahlend, Poseidon lachend, Delfine umher spielend, in Bogenschüssen sich elastisch aus den Wogen schnellend, in unmalbarem Blau schwimmen die seligen Inseln und Vorgebirge. Es war ein Schweben, keine Erdenschwere mehr.
Das Schönste des Schönen der Monte Pelegrino. Unter allen Berglinien der Welt eine edler und in allem Adel leichter gezeichnete kann es nicht geben. Wie klar und ruhig legt oben die Fläche sich über, wie anmuthig biegt sich das Profil ein, ehe es hinabrinnt, sich in die Horizontale von Land und Meer aufzulösen! O, wären die Linien meines Lebens so wie diese, o, senkte es sich so schön herab, in so reiner Kurve, wie dieser Berg sich herniedersenkt zum Meere! Und wäre die Farbe meines Lebens so rein blau wie das Meer, das ihn wiederspiegelt!
[]Die Hohenstaufengräber in der Kathedrale kann ich nicht zum zweiten Mal sehen. Hic situs est magni nominis Imperator et rex Siciliae Fredericus II. — — Kann nicht zur reinen Anschauung, nicht zur ungetheilten Stimmung gelangen vor dem Porphyrsarg. Der Hohenstaufen schiebt sich mir in die Bildkammer der Phantasie herein, wie ich ihn einst gesehen, in Formen so schön, als stände er nicht neben deutscher Alb, — kahl, matt röthlich beleuchtet von der Abendsonne. Verliere mich in die Frage, ob es geschichtliche Nothwendigkeit gewesen, daß diese großen Kaiser Stiefväter ihrem Heimatland waren. Erwäge das vielbesprochene Für und Wider. Es gräbt, bohrt, sticht in mir, daß unsere Geschichte Gipfel hat, die keine Gipfel für unsere Nation sind. Alte Pein, einem belächelten Volk anzugehören, wacht auf. Werde mir nun selber bös, daß ich angesichts des großen Gegenstandes Auge und Gefühl nicht rein gegenständlich stimmen, meinen Vorsatz, die Politik zu lassen, nicht halten kann. Also eben fort, hinaus wieder an den Hafen, meinem Liebling, meinem Herzblatt gegenüber, dem Monte Pelegrino!
Die reinen Heiden sind sie doch! Man muß zürnen und lachen, lachen und zürnen. Führen da ihre Heilige als Puppe auf Prachtwagen herum wie []die Alten ihre Götter. Blumenwesen, Feuerwerk mit Girandola, Musik, große Gugelfuhr. Wer war wohl einst die heilige Rosalia? Geborene Minerva, Diana, Juno? — Es sind Kinder, enfants terribles, diese guten Leute, gestehen nur ganz, sagen nur heraus, was allerwärts nicht besser ist, nur anderswo mehr inwendig stecken bleibt.
Immer mit einer wahren logischen Beunruhigung lese ich die Urtheile der Römer und Griechen über das Christenthum in seinen Anfängen. Es hat der Welt eine neue Seele eingesetzt. Es ist Religion der Herzlichkeit. Der Stifter war ein Mensch freien, wohlwollenden, lichthellen Gemüths, will uns sanft, liebevoll, verzeihend, gut. Das hatte keine der Naturreligionen, es war ganz neu; was Plato, was Stoiker, was jüdische Sekten lehrten, ist in Manchem verwandt, hat vorbereitet, aber dieser Einheitspunkt, dieß vertiefte Herz war das grundeigene Geheimniß des Mannes Jesus, von dem wir so wenig Geschichtliches wissen; Bergpredigt — himmlischen Geistes voll. Dazu ist gekommen oder daraus hat sich entwickelt die richtende Einkehr des Menschen in sich selbst, wie keine frühere Religion sie hatte, Geist der sittlichen Selbstkritik, begreiflicherweise zuerst zu negativ, finster dualistische Verwerfung der Sinnlichkeit, doch auch so Grundlage für eine neue Ethik.
[]Nun war dieser Kern im Ursprung schon getrübt, mit Mythologie umhängt. Der Stifter selbst schon glaubt Engel und Teufel, glaubt wiederzukommen als Königmessias und das himmlische Reich auf Erden zu gründen. Kaum todt, so vermehrt sich die Mhthenglorie: Wunder, Auferstehung, Christus wird Gottessohn, sein Tod Opfertod nach alter, blutiger, ja grasser Opferidee, bald dann Maria Göttin. Müßte auch wunderbar zugegangen sein, wenn zu den jüdischen Wahnvorstellungen nicht die bekehrten Heiden zeitig die ihrigen zugebracht hätten: Göttersöhne, Frühlingsgötter, Osiris, Adonis, Mithras, Herkules, dann Urgöttinnen, Isis, Here, Venus, Astarte, Mylitta, Rhea, Kybele und wie sie heißen, — nachdem im Teufel schon der Ahriman eingewandert. Dort in Pompeji die aufgehängten Votivbilder im Tempel der Venus, kranke Arme, Beine, Hände, Nasen von Zinn, Silber, Thon, die sie heilen sollte, — sie ersetzen eine ganze religionsgeschichtliche Abhandlung über christliches Heidenthum.
Nun, wenn ich lese, wie die Römer und andere Polytheisten über das Christenthum urtheilten, so peinigt mich ein eigenes Gefühl: ich muß mich vor ihnen schämen für jene frühen Christen, wie ich mich heute noch schämen muß, wenn Missionäre den Heiden unsere []Märchen bringen und diese sagen, sie haben das auch und reichlicher. Durch die beigemischte Trübung wurde die neue Religion in die grundschiefe Lage der Konkurrenz mit dem Heidenthum gesetzt. Mit Mythologie konnte das auch aufwarten, und mit einer volleren, schöneren. Es ist wahr, die christlichen Götter hatten einen neuen Seelenblick und hoben dadurch dem verborgenen Sinne nach ihre Jenseitigkeit in Immanenz, hoben also ihre eigene Personifikation wieder auf. Aber diese Innigkeit verstand kein Römer, kein Syrier, kein Lydier, kein Aegypter, kein Grieche, und wenn: es war Niemand da, ihm den letzteren Sinn zu deuten.
Dazu noch etwas gar Fatales. Die neue Liebeswelt, die neue Religion, aufgegangen in einem unterjochten Volk, wußte und wollte nichts von Staat, von öffentlichem Leben — heute noch ein- für allemal ein ungeheurer Mangel des Christenthums. Wollen wir Bürgerpflichten daraus ableiten: es muß auf mühsamem Umweg künstlicher Argumentationen geschehen. Man denke zum Beispiel: zur Vorschule des Mannes für sein politisches Pflichtleben gehört Gymnastik. Dem Griechen sagte das auch ohne Wort der Gott am Eingang der Palästra. Wie höchst verzwungen aber sind Versuche, vom Christenthum aus so etwas als Pflicht []zu deduziren! — Die Alten haßten und verachteten die Christen darum am meisten, weil ihnen der Staat gleichgültig, ja Aergerniß war. Allerdings verwickelt sich das: den heidnischen Staat mußten die Christen freilich verabscheuen. Aber damit ist jene arge Lücke nicht hinwegdemonstrirt. Das Christenthum ist an sich eine apolitische Religion. Die Konsequenz haben wir heute noch: die Kirche leugnet den Staat und will den doch vorhandenen beherrschen. Da der Mensch ein handelndes Wesen und das Christenthum diesem Wesentlichen seiner Natur abgewendet ist, so hat sich ergeben, daß es endlich zu einem System von Handlungen wurde, die gegen das System des vernünftigen Handelns, den Staat, gerichtet sind.
Wie ist es nun mit der mythologischen Trübung? — Ich nenne sie, diese Bilderwelt der Religion, kurzweg Pigment. — Dieß führt auf eine Betrachtung, die bei der reinen, verzweifelten Rathlosigkeit anlangt. Die Sache liegt schlechthin amphibolisch, antinomisch.
Für —: Ohne Pigment keine Religion — denn Religion muß ja doch eine Gefühlsgemeinschaft sehr Vieler und ein Kultus sein. Es kann keine farblose Volksreligion geben. Die Andacht muß etwas zum Anreden haben, also vorgestellte übersinnliche Person, Personen und, zum Anschauen, Ansingen, auch That []sachen. Woher sollte die Kirchenmusik — und Musik ist doch das Unentbehrlichste zum Kultus — ihren Text nehmen? — Das weiter zu demonstriren, wäre vom Ueberfluß. Kurz „Stützen“, wie es Lessing nennt.
Gegen —: Diese Stützen sind ebenso sehr Spieße in's Mark der Religion. Der tiefstliegende Schaden ist: sie dienen als Surrogate für's Wesen; die Menschen, wie sie einmal in Mehrheit sind, meinen, sie dürfen sich dafür, daß sie an das Pigment glauben, die Religion ersparen. Da haben wir nun den „Glauben“, der = Religion gilt. Millionen Seelen, die nie von einer Ahnung des Unendlichen, nie von einem Gefühl der erhebenden Tragödie des Lebens durchhaucht worden sind, gelten nun sich und der Welt als religiös, weil sie glauben. Diese schnöde Verwechslung hat sich als allgemeines Vorurtheil fixirt, mit Macht bekleidet, gefoltert, verbrannt, gekreuzigt, gepfählt, lebendig geschunden, Gedärme aus dem Leib gehaspelt, geblendet, verstümmelt, lebendig begraben, erdolcht, gespießt, vergiftet, — es gibt keine so wildviehische und keine so teuflisch durchdachte Grausamkeit, die nicht die gläubige Verfolgungswuth mit technischer Vollendung ausgeübt hätte. Bekreuzt euch nicht davor, stillgläubige Seelen! Das folgt haarscharf aus der Verwechslung des Pigments mit dem Wesen! Bekreuzt euch nicht, gebildete Konsistorien! Ihr verbrennt, []kreuzigt, pfählt nicht mehr, aber nun haben wir der Unzähligen noch nicht gedacht, denen ihr moralisch das Herz gebrochen, das Gewissen mißhandelt habt, indem ihr sie in die Wahl stießet: gläubiges Bekenntniß gegen die eigene bessere Ueberzeugung oder mit Weib und Kind zum Bettelstab greifen! Und du, zahmer Vermittler, sage nur ja nicht, der todte Glaube tauge freilich nichts, der Auferstandene müsse Leben in uns werden, und wie du es sonst schön ausdrücken magst. Nein! nein! Glauben und Religion sind zweierlei, und jener hat dieser von je mehr geschadet als genützt. Was „den Glauben beleben“? Nichts da, fort mit dem Glauben und die Religion kann leben!
Ihr lobt euern Schiller, ihr kennt sein Distichon:
„Welche Religion ich bekenne? Keine von allen, Die du mir nennst. Und warum keine? Aus Religion.“
Aber ihr lest es im gewohnten Dusel und seid zu denkfaul, zu begreifen, was es besagt, was daraus folgt.
Also der helle Widerspruch von Für und Gegen. Und also, wer weiß nun Rath? — Es scheint da eine Auskunft. Die wohlbekannte: symbolisch nehmen! Man muß wirklich sagen: es ist dieß die Auskunft []aller edleren Geister von humanistischer Bildung, und ihre Gemüthslage ist darin nicht so einfach als es scheint, es ist da ein sehr interessantes Helldunkel. Wir sind der christlichen Bilderwelt entwachsen, und sie ist uns zum freien ästhetischen Schein geworden, wie die alte Mythologie. Doch nein, wir, auch wir stehen nicht gleich zu beiden. An jene knüpft sich für uns eine Rührung, die einen Anklang an Glauben hat, ohne eigentlich Glauben zu sein, — innige Reminiscenz unserer Kinderzeit. Faust am Osterfest, — Weihnachtsrührung, — und am stärksten: Versetzung in die Schönheit des Madonnenideals, der heidnischen Göttin, deren Bild das durchweichte und entzückte Herz des Mittelalters mit der Ahnung aller Unschuld und sittlichen Güte echter Weiblichkeit durchläutert hat.
Die Sprache selbst könnte ohne den religiösen Glaubensapparat des Christenthums rein nicht mehr auskommen. Könnte die Liebe und könnten die Dichter die Engel entbehren? Und wo bliebe Goethe's Faust ohne den Teufel und seine Gesellen? Und wo meine treffliche Mythologie?
Aber das hilft eben auch nichts, damit ist natürlich auch nicht auszukommen. Es handelt sich ja um []die Masse, um das Volk, das sich auf Symbolik ein- für allemal nicht versteht. Und da stehen wir vor einer noch ganz andern, stehen wir erst vor der eigentlichen, verzweifelten Amphibolie — :
Ein Satz: Die Masse braucht in alle Ewigkeit ein geglaubtes Bilderbuch. Wie viel immer das Pigment schaden mag, es ist doch auch Stütze. — Religion fort: auch Moral fort. Gefärbte Religion doch besser als keine.
Anderer Satz: Ein sehr großer Theil des Volks ist allerdings aus der Bilderwelt herausgewachsen, das nimmt nun aber zu in geflügelter Progression; noch ist es nicht die Mehrheit, aber bald wird sie in die Strömung gezogen sein. Wer nur irgend sich etwas umsieht, Handwerker, Arbeiter, Kaufmann, wer immer von Physik und Geschichte auch nur einigen Lichtstrahl empfängt, ist rein fertig mit Allem, was übersinnliche Figur, was Regierung des Universums von außen, was Wunder heißt, kurz mit dem ganzen Pigment. Nun sind aber alle diese hülflos in's Leere geworfen. Die gefärbte Religion sind sie los, zur reinen reicht es bei ihnen nicht, und wenn es reichte, wer reicht sie ihnen? Niemand. Unsere Priester bieten nimmermehr Religion ohne Pigment, und man muß auf Grund des ersten Satzes zugeben: es wäre nicht möglich. Eigentlich ist die reine Religion allerdings nicht farblos. Zur Farbe hat sie nichts Geringeres als die Weltgeschichte, die mythenlos wahre. Das aber ist []von viel zu langer Hand, mit dieser ungeheuren Palette kann der religiöse Volkserzieher nicht malen, da braucht es einen idealen Auszug, nämlich eben die Mythen. Und so fallen denn die Armen in's Leere, die über das mythisch illustrirte Christenthum hinaus sind. Es liegt in der That so traurig, daß man jammern möchte. Die alte Ehrfurcht sind sie los, für eine neue können sie die Begründung nicht finden. Moral ruht schlechterdings auf Religion, und da sie mit der bunten Religion die reine wegwerfen, so werden sie Lumpenhunde, lassen sich in den Wirbel der Hetzjagd reißen, die jetzt los ist, der Hetzjagd nach dem Glück, das keines ist. Ihnen sagt Niemand, zeigt Niemand einfach aus dem innern Wesen der Seele und aus dem Verhältniß der Einzelseele zur Seele der Menschheit, das; und warum es keinem Menschen wohl wird, außer im Guten. Sagt man es ihnen je, so hängt man doch den Märchenkram wieder daran, den sie nicht mehr ertragen, und so laufen sie weg.
Weiß der Himmel, wie sehr ich selbst mich oft sehne, mir von einem guten Redner die ermattende Seele aufrichten zu lassen, aber da schenkt uns ja keiner den Farbenzusatz, von dem wir nichts mehr wollen, der unserem erhellten Auge widersteht.
[]Wenn die allgemeine Zuchtlosigkeit zunimmt, wenn sie zu Verbrechen auf Verbrechen führt, wird der Staat meinen, die bestehende Religion mit Zwangsmitteln aufrechtzuhalten, wiederherstellen zu müssen. Vergeblich! Eine in der Auflösung begriffene Religionsform läßt sich nicht halten; man pflanzt nur Heuchelei. Drakonische Strenge wird gut thun, aber eine Reaktion in dieser Richtung würde den Staat nicht stützen, nur noch mehr untergraben; er würde sich nur die Ruthe der Pfaffengewalt noch lästiger auf den Rücken binden, und wollte er nachher wieder einlenken, lockern, so würde ein Ravaillac nicht ausbleiben.
Oft in dieser Noth meines Herzens um die hülflose Menschheit denke ich: ehe Luther kam, ahnte auch kein Mensch, daß ein solcher Reformator erscheinen werde. Niemand von Allen, die in das Elend ein Einsehen hatten, wußte Rath. In solcher Stunde ist es doch schon mehr als Einmal geschehen, daß der rettende Genius geboren wurde. Das ist nun freilich pure Hoffnung, ganz blind, ohne jeden Begriff; denn alle Begriffe führen ja eben in's Rathlose. Luther ließ einen guten Theil des Pigments stehen, das bedurfte ja die Mehrheit, und wenn jetzt die Mehrheit dem entwächst, so ist sie doch nicht die Allheit, ein Rest Bedürftiger bleibt in alle Zeit. Wie sollte nun []ein neuer Luther etwas schaffen können für Beide: für Die, welche der Kinderkost bedürfen, und für die Anderen, die sie nicht mehr verdauen? — Oder bildet sich vielleicht eine Gemeinschaft für die reine Religion, die sich allmälig ausdehnt? Nichts, nichts, da ist ja kein Kultus möglich!
Allerdings ist es eben auch so eine Sache mit den Lokalen für den Kultus. Gebildete Persönlichkeiten pflegen sich da zu verkälten. In bitterem Ernste: kommt uns je ein Retter aus obiger Noth, so denke ich mir gern, er werde zuerst als Erfinder auftreten, der eine urwohlthätige Grundlage für die Stimmung herstellt: Luft in geschlossenem Raum und doch kein Zug! Wer diese Aufgabe löst, wird einer der größten Wohlthäter der Menschheit sein. Ist dieß erst entdeckt, so werden die Menschen milder, launenloser, klarer, gemüthsfreier, sie werden besser, sie werden edler werden. Ja, damit wird der erhoffte Reformator beginnen, auf diesem Grunde wird er aufbauen!
Bin wahrlich kein Freund vom Allegorisiren, aber wem soll's nicht einfallen: ja, Schwüle oder Zugluft oder Beides beisammen: so lebt die Menschheit. Wär' ich ein Egoist, mir könnt's ja Eins sein. Warum []muß ich dieß Sensorium haben, daß mich ihr Loos so bekümmert, mich nicht schlafen läßt? Die breiige Föhnluft ihres dumpfen Vorstellungslebens versetzt mir den Athem und wenn sie die Fenster aufreißt und die tollen Windstöße verkehrten, abstrakten, fanatischen Ideenzugs hereinläßt, so bestürzt mich für sie die pneumatische Grippe. O Elend! O Leiden des Mitleids, das nicht rathen, nicht helfen kann! Ich habe Stunden, wo ich die träge Seele beneide, die ihr Stück Käs in Ruhe verzehrt. Bis unter die Nägel brennt mich's, bis in die Zehen durchzuckt mich's. Dann veracht' ich mich wieder, daß ich, ich mit den dunklen Flecken auf meinem Leben, ich vor mir poche, gar ein Jesus patibilis zu sein! Ach, es ist Zeit, daß ein Ende werde! Nehmt mich, wiegt mich, lüftet mir die Brust, singet den Schlaflosen in Schlaf, gute Geister, wo ihr schweben mögt, in Lüften oder im Meeresschooß! Macht's gnädig, führt mich noch in eine Reinheit, eine Klarheit und laßt in Ehren mich enden. — Gute Geister! Einen weiß ich. Zu ihm seufze ich, rufe ich, wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser.
Was? Was war das? Welcher Abgrund sendet mir das? — Bist du da — dieß Bild? — Engel und Boten des Himmels, steht mir bei! — Unter den Lustwandelnden auf Corso Garibaldi. — Nur etwas []kleiner und kein Metallhaar, sonst ganze Doppelgängerin — hat bemerkt, wie scheu ich sie ansehe, läßt einen mürrisch fragenden Blick über mich herlaufen. — Gesichter hier sind eine Bilderreihe zur Geschichte der Insel. Dort ein rein latinisches, adlernasiges, hier noch ein Rest griechischen Profils, jetzt tiefbraun arabischer Typus, jetzt glaubt man schwäbisches Gepräge aus Hohenstaufenzeit zu erkennen, mitunter glüht Afrika herüber: äthiopische Wulstlippen und Plattnase, Farbe fast schwarzbraun, dazwischen aber auf einmal normannisch: da und dort ein weibliches Gesicht blond, helläugig, selbst mit dem mattsammtenen Hautton nördlichen Klimas — trotz der Sonne Siziliens. Und nun da — Hat einst ein Normanne, ein wilder Wikinger, Ururahns Bruder, hier mit einem Meerweib die Ururahne dieser Erscheinung gezeugt?
Der Traum dieser Nacht sei aufgezeichnet, schnell, bevor er sich verwischen kann! So gut ich's vermag nach so viel Grausen, Beben und Entzücken.
Ich wandle wieder auf dem Corso. Der Himmel wie neulich in Pestum. Die schwere Wolkenwand sinkt herab und schließt den Spalt, durch den man dort die Abendsonne im trüben Sciroccogelb leuchten sah. Nacht. Die Begegnenden sehen sich nicht mehr. Schwül und schwüler, endlich fast zum Ersticken. So muß es in []und um Pompeji gewesen sein, als der alte Plinius den Athem aufgab. Jetzt langsam wächst eine Ziegelröthe über den Himmel, geht in feuerrothes Glanzlicht über. Stille, todesbang. — Horch, welcher Ton? Man hört ein wehendes Blasen, etwas wie ein Fegen, es wird zu einem lauten und lauteren stürmischen Speien, jetzt knallen Donnerschläge dazwischen — jetzt wankt zuckend die Erde unter mir — ich schaue um und auf, der Monte Pelegrino hat sich in den Aetna verwandelt, offen ist die fürchterliche Esse, glutroth fährt die Lohe aus der Unterwelt empor und rings am schrecklichen Geisterberg schlängeln sich Lavabäche zu Thal und verlöschen zischend im flammenden Gewässer des Hafens. Die Feuersäule aber, die zu oberst emporschießt, wölbt über sich hoch in Lüften eine rabenschwarze Wolke, aus der ein Regen von Asche, Steinen, Lavaklumpen niederprasselt rings über die bebende Menge, die dort fliehend auseinanderstäubt, hier in wilden Knäueln sich drängt und stößt oder Gebete heulend sich am Boden wälzt. Ich stehe schauernd, aber fest, und schaue in die brausende, sausende Lohe, still staunend, einsam unter den vielen, vielen Menschen. Da — was hebt sich aus dem Krater empor? Ein Drachengespann — es reißt hinter sich einen Wagen aus dem Schlund — er scheint leer — dann richtet sich ein Schatten in ihm auf — jetzt schwebt er wie auf sicherem Boden in ebener Linie durch die Lüfte — herwärts der Stadt, meinem Standort zu, — ist []das nicht etwas wie eine weibliche Riesengestalt, was aus ihm emporragt? — — der Wagen senkt sich — schwebt sinkend näher und näher — deutlicher im schweflichen Glut- und Blutschein wird die Lenkerin des Drachenpaars — Augen wie Fackeln brennen aus ihrem Antlitz — ihre Locken sind von Gold, ringeln sich aber wie Schlangen, blaue Funken knistern aus ihren Spitzen, — jetzt wankt mir der Muth, ich denke an Flucht, die Beine sind mir lahm, angewurzelt stehe ich, denn das ist ja — sie! sie! das Weib, das mir die Seele ver— Der Wagen hält in Lüften — ein Blick — was für ein Blick! Ich kenne ihn! — trifft mich, streift dann über die Köpfe der Menge hin —; sie wirft stolz ihr Haupt auf und erhebt die Stimme, — es ist der Ton, mit dem sie einst jene Stellen des Olaflieds sang, woraus es hervorklang wie Mitleid und Hohn zugleich, — nur lauter jetzt, greller, ein Herrscherton — so mag einst Libussa ihre Schlachtbefehle gerufen haben — „Adoratemi! Sono la santa Rosalia!“ Das Volk starrt sie an, dann rufen Stimmen: Auf die Kniee! Seht ihr das Kreuz auf ihrer Stirn? — und Alles sank auf die Kniee. Ich sehe hin nach ihrer Stirne und erkenne mit Grausen — — „Betet nicht an! das ist kein Kreuz! schaut besser hin — eingeätztes Bild eines Dolchs!“ — Das entsetzliche Weib wendet den Blick wieder nach mir und herrscht mir jetzt griechische Worte zu: Ἄνω τὴν κεφαλὴν! []Βλέπε ἄνω! Ich schaue über ihr Gorgonenhaupt hinweg, hinauf nach dem speienden Krater. Da fliegt wie eine Rakete emporgetrieben ein schwarzer Körper zwischen den Flammengarben auf, hält dann im Schweben still, fängt an mit den Beinen zu gaukeln, zu zappeln wie ein Hampelmann, tanzt baumelnd, sich überschlagend eine Weile in den Lüften, kugelt dann abwärts und herwärts, immer näher, bis er über meinem Haupte flattert, und beginnt nun mit kreischender Stimme zu stottern: „Gu — gu — guck mich an!“ Ich lache, doch verzwungen und angstvoll, und rufe: „Du bist der Stotterer vom Theater S. Carlin in Neapel!“ „Oho, oho,“ stammelt es jetzt, „wie du — du — dumm! Ich bin ja der Pla — Pla — Plato! der Plato! Kann auch pfei — pfeifen!“ — Er pfiff, der schrille Ton gieng in eine Schelmenmelodie über und es war jetzt, als pfiffen zwei Stimmen, eine höhere und eine tiefere, und die tiefere schien aus einem großen Loch in der Brust zu kommen. — O, ich hatte mir's nur verhehlen wollen, — schon vorher hatte ich die verzerrten Züge, die halbgrauen, nun wild flatternden Locken erkannt, die mir einst so ehrwürdig erschienen. Eine Wuth befiel mich mitten in der Versteinerung, im kalten Schauer, der mir vom Wirbel zur Fußsohle niederrieselte. „O, ein Gewehr, ein Gewehr,“ brachte ich mit halb gebannter Stimme mühsam hervor, „wie einen Geier, wie einen Schuhu []hole ich dich, Schandfetzen, aus der Luft herunter!“ — „Da, nimm!“ höre ich jetzt eine freundliche Stimme mir über die Schulter sagen, drehe mich um und in rothem Hemde steht ein Mann vor mir mit den bekannten Zügen Garibaldi's und reicht mir ein Gewehr, doch war es auch wieder nicht Garibaldi, sondern der arme, treue Karl, der mir bei Krusau sterbend seine Büchse herbot; „da, nimm, sie ist geladen und auch schon gespannt!“ „O Dank, Dank, Dank!“ Ich ergreife die Waffe, lege an, ziele, drücke — sie versagt! Nicht plötzlicher Donnerschlag, nicht Kanonenknall kann erschrecken, wie dieß Ausbleiben eines Schalls, dieser Nichtschuß mich entsetzte.
Ich erwachte, fuhr auf, eiskalt rann es mir durch die Glieder, aber schnell wiech die tödtliche Kälte einer brennenden Fieberglut. Mir war, ich fühle mein Gehirn in seiner Höhle kochen. Mein linker Arm war noch ausgestreckt, als hielte er den Lauf des Geschoßes, mein rechter gekrümmt und der Zeigefinger gebogen, als läge er noch am Drücker. Ein Krampf spannte mir alle Muskel auf die Folter. Als ich klarer zu mir kam, war mein ganzes Wesen nur Ein Sehnen, nur Ein Seufzer nach Ruhe, Stille, Kühlung. In diesem Gefühle schlief ich wieder ein. Der Traum nahm sein Spiel wieder auf und knüpfte seinen Faden an den ersten Gang, lose, wie er zu thun pflegt. Ich fand mich unterwegs aus der Stadt. Ich will []jetzt auf meinen lieben Berg hinauf, sagte ich mir, hinauf nach der Grotte der wahren Rosalia, da will ich Kühlung suchen. Ich wanderte und wanderte, zwischen Villen, zwischen Alohecken, Gartenmauern weiter und weiter und konnte den Weg nicht finden, den Berg nicht gewahr werden. Da sehe ich unter dem Blätterbusch einer blühenden, hochaufgeschossenen Alo einen Zwerg sitzen, der mich sinnend, freundlich, mitleidig ansieht. „Könnten Sie mir nicht sagen, guter Herr Nano,“ rede ich ihn an, „wo es auf den Monte Pelegrino geht?“ — „Verehrter Herr Pilger, Excellenza irren sich,“ ist die Antwort, „der Berg ist jetzt umgekehrt im Meer drunten — wissen Sie nicht, der Aetna hat ihn weg- und umgedrückt — wenn Sie nur gefälligst —“
In dem Augenblick fühlte ich mich von Wasser umgeben und sinken. Ich sank tiefer und tiefer, nicht mit Bangen, sondern voll labenden Gefühles der Kühlung. Delfine huschten vorbei und sahen mich mit klugen Augen an, als wollten sie sagen: nicht wahr, hier ist es gut, hier sind keine feuerspeienden Drachen? Endlich fühlte ich Grund und der Zwerg stand wieder neben mir. „Hier,“ sprach er, „hier ist die Grotte.“ — „Das ist ja keine Grotte,“ sagte ich, denn ich stand vor einem Hochaltar mit vergoldetem reichem Schnitzwerk, das über den geschlossenen Flügeln des Diptychon aufstieg. „Thut nichts,“ flüsterte der Zwerg, []den Zeigefinger der linken Hand an die Lippen legend, indeß er mit der rechten einen Schlüsselbund aufnahm, der an seinem Gürtel hieng. Er suchte lang, während ich in gespannter Erwartung nach dem geschlossenen Schreine hinsah und mich vergeblich bemühte, zu erkennen, was die verwaschenen Heiligenbilder auf den Flügeln vorstellten. Jetzt zog er aus dem Stahlring einen silbernen Schlüssel, öffnete, schlug die Flügel auseinander und —
Hat sich der Himmel aufgethan? Vor mir wölbte sich die blaue Grotte von Capri, nicht Bild, nicht Gemälde, sondern Wirklichkeit. Und doch auch wieder nicht. Denn wohl raunt das Volk von gewissen Felshöhlen an jener Inselküste, es seien Spiriti darin, aber was leuchtet hier, welch' Unbekanntes, Neues, welchen Wunderkern umschließen diese blau erglänzenden Wölbungen? Eine Erhöhung des Felses ragt aus dem Wasser, wie zur natürlichen Ruhestätte gebildet, auf weißer Decke, die darüber sich breitet und faltenreich niederfällt, in weißem Gewande, das Haupt auf weißem Schlummerkissen ruht ein Weib, mir entgegengekehrt, das Angesicht mir gegenüber, halbgeschlossen sind die von langen Wimpern überschleierten Augen. Friede wohnt auf ihrer Stirne, ein seliges Lächeln umspielt ihre Lippen, Verklärung ist dieß Antlitz. Das magische Licht, das auf Correggio's berühmter „Nacht“ vom Christuskind ausgeht, auf den Gesichtern []der anbetenden Gruppe wiederscheint und im Dunkel der Hütte, der nächtlichen Landschaft verschwebt, es ist stumpf und erdig gegen die Lichtfülle, die von diesem Himmelsbilde ausströmt und doch nicht blendet, sondern mondscheingleich das Blau, das vor lauter Leuchtkraft wie Roth auf das Auge wirkt, zu sanfter Kühle ermäßigt. Ich sollte die Züge dieses Weibes kennen, sprach es in mir. Nur so wagte ich es im Innern zu sagen, denn sehr wohl beim ersten Blicke kannte ich sie. Doch drang es mir über die Lippen: „Soteira!“ flüsterte ich und trat um einen kleinen Schritt näher; das Wasser, das ihr Felsbett umschwankte, schien zugleich fester Boden, der dem Fuße Stand und Gang erlaubte. Sie öffnete jetzt die Augen und ließ sie auf mir ruhen. Wer beschreibt den Blick! Mir war wie damals, als sie sich über mich beugte und das feuchtkühle Tuch auf meine Stirne legte, nur dasselbe Gefühl in's Unmeßbare, in's Unsagbare erhöht. Nun sprach sie, — es war jener grundgute Ton, der mir einst in's Herz des Herzens gedrungen —: „Nicht wahr, hier ist es gut still und kühl?“ — „Ja, du Gute,“ sagte ich, „aber das ist ein Ort für Reine, da darf ich nicht bleiben; verzeih', verzeih', daß ich hier eingedrungen; aber du glaubst nicht, o, du glaubst nicht, wie fürchterlich es droben aussieht im Thale der Schrecken.“ Wie vorher ruhten diese Augen auf mir mit dem Blick der Güte und des Mitleids, den keine Zunge nennt. Dann []hob sie langsam den Arm, bot mir die schneeweiße Hand und sagte: „Reiche die deine, das kühle Lichtblau hat Alles, Alles abgewaschen.“ Zitternd hob ich die Hand und faßte die ihre. Sie war kalt, aber nie im Leben hat der Druck einer warmen, lebendigen Hand einen Menschennerv und ein Menschenherz so selig durchzittert, wie mich die Berührung dieser weichen, zarten Finger, die wie aus Schnee gerundet schienen. Ich hielt sie fest und flüsterte: „Ewig.“ — „Ja, ewig,“ hauchte sie.
Ich glaubte sie noch zu halten, als ich erwachte. Dieß Erwachen! Hinweggespült aus meiner hämmernden Brust ist der Krampf und Brand des Lebens, sanft geht mein Puls. Ich bin frei.
Aber da bin ich noch und was nun thun? Der aufzuckende Gedanke, ich müsse nun auf und fort, hinwärts, dorthin — nein! Mein Traum und die Fragen, die Zwecke der Wirklichkeit: zwischen ihnen ist kein Verhältniß, keine Gleichung. Auch den Gedanken, mein Gesicht könne eine Ahnung gewesen sein, halte ich nieder. Ich mag mich mit keinerlei Fragen einlassen. Mir ist Alles vollendet. Ich bin. Ich habe das Gefühl, zu sein. Mit ihr, in ihr. Tief in der blau schimmernden Grotte. — Die Dinge am Tageslicht sind mir nun pure Gegenstände, nichts mehr mit mir verwachsen.
[]Wenn man nicht weiß, was nun thun, so thut man vorerst nichts, das heißt, man treibt, was der Tag bringt. Ich bin einmal in Palermo, will mich erst noch weiter umsehen. Ich will doch die Einladung des fremden Herrn annehmen, den ich beim Frühstück getroffen, mit ihm zwei Bilder von Crescenzio zu sehen, einem merkwürdigen Maler des Quatrocento, eines im Hofe des Hospitals, das andere eine Stunde von der Stadt im Kloster S. Maria di Gesu.
Freske im Kreuzgang des Hospitals: eine Art von Todtentanz — trionfo della morte. Sieht sich fast deutsch an, blonde Köpfe, herb individuelle Formen; Sage von einem flandrischen Meister, doch möglich von Crescenzio unter frühem nordischem Einfluß. Der Tod rennt als Gerippe auf magerem Klepper durch die Luft, Pfeile vom Bogen schießend, Arme und Krüppel, die ihn um Erlösung flehen, übergehend, Hohe und Ueppige ereilend. Links eine heitere Gesellschaft: festlich gekleidete Mädchen zum Tanz antretend nach dem Klang einer Zither, aber schon von Todesblässe überzogen, dabei ein Paar, das verlobt wird. Ihr verlobt euch gültig, der Tod wird kopuliren. —
Die Fresken im Kloster draußen großentheils verdorben; monochrom. Erhalten eigentlich nur eines der Seitenbilder: der Leichnam des heiligen Franziskus, []umgeben von trauernden Mönchen und Volk. Der Meister, schwerlich Crescenzio, hat die streng auf die Sache losgehende Art des Giotto. Schmerz, andächtig rührungsvolles Schauen in die stillen Züge des Todten, diese Affekte in ihrer Einfachheit, ohne Zusatz feinerer Mischung, aber auch ohne abflachende Rundungen, und nur um so ergreifender. Die ausgewachsene Kunst füllt Formen und Ausdruck, spielt aber stets an der Grenze hin und über sie, wo das fühlbare Zeigen ihres Könnens beginnt. An der vollen Krone des Baums, der in Sommers Mitte prangt, findet man immer schon einige welke Blätter. — Eigenthümlich hat mich der todte Franziskus berührt, der tiefe Friede in seinen hageren Büßerzügen. Was ist es, worin er liegt? Ein gläserner Sarg? Nicht mehr zu erkennen. — Als Ort wird Assisi zu denken sein. —
Jetzt weiß ich, wohin! — Der Fremde im Rückweg lange schweigsam. Ich auch. „Die Bilder,“ beginnt er endlich, „haben mich seltsam ergriffen, — auch darum, weil die Szene, die wir zuletzt gesehen, in Assisi vorzustellen ist. Ich habe eine traurige Nachricht: der Tod zielt jetzt eben in meine Verwandtschaft.“ — Er nennt mir seinen Namen, sein Vaterland Schweden, seinen Heimatsort Gothenburg und seinen Stiefbruder — Erik. Dessen Wittwe, ein Juwel aller []Frauen, liege todkrank nieder in Assisi. — Zu Schiff, zu Schiff!
Neapel. So weit wär' ich. Der Seesturm überstanden, ich wußte gut, daß er mir nichts anhaben könne. Das Dampfschiff gilt für altersschwach, es müsse noch dienen, so lang es halte; der Kapitän stand immer an der Maschine, sah hinab, horchte, ob sie noch gehe. Bald Alles seekrank außer mir und der Bedienung des Fahrzeugs. Halte mich am Mast und schaue und höre. Ton durchaus wie von Millionen Trommlern, die mit anwachsender Schlaggewalt zum Sturme wirbeln, immer wieder von vorn beginnend. Wo möglich furchtbarer das dünne, schneidend scharfe Pfeifen des Winds in den Tauen, wie wenn Einer auf der scheermesserschmalen Kante von Papier pfeift, — dieß in's Unendliche gesteigert. Wogen — eine Welt; nicht jede gelingt, die gelungenen herrlich in der Linie ihrer Hohlkehlen und Roßhalsrücken, drüber die Schaummähnen, die der Sturm flockig hinausbläst. Wälzt sich eine heran, man meint jedesmal, sie müsse das Schiff umstoßen oder überflutend begraben, doch sie nimmt es auf ihre Schultern, dann schießt es in's nächste Wogenthal hinab. Welches Brausen und Donnern! Kann sonst den Wind nicht ausstehen; so gefällt er mir, wie neulich in Sorrent auf der []Klippe: wenn einmal doch, dann auch recht! — Weinen, Jammern, Beten ringsum. Ich lasse mir stark den Syrakusaner munden; der Kellner preßt sich, um einschenken zu können, an Mastbaum oder Wand, wenn ich dann nicht schnell trinke, ist der Wein fort, als schlüge Jemand mit Gewalt unten an's Glas. Nacht, unmöglich oben zu bleiben, ich muß hinab in meine Koje und wie ich entkleidet bin, beschleicht mich eine kurze Anwandlung von Feigheit. Was doch Kleider, namentlich Stiefel, ein Gefühl von Halt geben! — Da unten ist's unheimlich; an der Schiffwand höre ich mitten unter dem dumpfen Brummstoß der Wellen und dem Aechzen aller Rippen des hohlen Baues manchmal etwas wie Saugen und Gurgeln, als lutschten da draußen die Mollusken so vorläufig am Holz in Aussicht auf bessere Speise. Auf der Treppe sitzt ein großer, schöner Kerl mit langem Bart, in flotter Uniform, Leibjäger irgend eines vornehmen Herrn, und weint wie ein Kind; — vielleicht ein andermal beherzt; sind halbantike Menschen, lassen Alles heraus. Im Damenkabinet liegt eine seekranke Frau mit Kind; ruft alle Viertelstund: cameriere! come sta? Und der sagt jedesmal: cosi, cosi. Die Laterne hängt in immer spitzerem Winkel von der Decke; wenn sie mit ihr gar keinen Winkel mehr bildet, sondern parallele Linie, so sind wir fertig. Kommt ein Kapuziner und bittet mich, mit halbem Leib in []meine Koje hereinliegen zu dürfen, die unterste von je dreien; ich erlaub' es, der Kapuzenzipfel kitzelt mich im Gesicht und überdieß heult und jammert der Tropf, betet wimmernd den heiligen Antonius an und alle Heiligen noch dazu. Ich halte nun dem Wurm von Menschen eine Predigt — die erste in meinem Leben — ziemlich wohlgesetzt, im Wesentlichen des Inhalts, er sehe mich, ein Weltkind, ruhig, er solle sich doch schämen, daß er, der all' Tag und Stund die Erde als Jammerthal schmähe, den Tod und den Himmel preise, nun so erbärmlich verzweifle. Hat natürlich den Teufel gefruchtet, obwohl der Vortrag nicht bloß leidlich gut eingetheilt, sondern auch rhetorisch hübsch geschmückt war. — Gegen Morgen ermattet die Sturmwuth; man kann auf das Verdeck, doch als ich mich gesetzt und eingenickt, rollt mich ein Ruck wie eine Kugel das Verdeck entlang. Hat mich gefreut, daß ich wieder hell lachen kann. — Der Sturm mit all' seinem Lärm ist mir ganz still vorgekommen in Vergleich mit dem höllischen Traum, mit dem stummen Brüten in der Luft, das den Larven vorangieng, und mit ihren Hohnrufen.
Rom. Nur eine Wanderung hier über das Kapitel hinaus. Morgen vorerst Perugia. — Dum Capitolium scandet cum tacita virgine pontifex. Horaz hatte []doch Momente. Cum tacita virgine — begleite mich, Bild der priesterlichen Jungfrau — mit ihren, ihren Zügen! — Ueber das Forum hinaus ein Stück in die Campagna, an diesem stillen Abend im Mondschein. Mein Leben wird Vergangenheit, es ist müdes, weiches Verdämmern ohne Empfindungsschwäche. Tiefes Weh nur, wenn ich vergleiche. Trümmer von so Großem — und mein Dasein niemals mit vollem Band an Großes geknüpft. Schäme mich vor den Geistern, die hier schweben. Horaz kann sich doch wenigstens rühmen, das äolische Versmaß der lateinischen Sprache angeeignet zu haben. Aber die Männer, die Helden! Und ich? Ja, einmal, einmal, da wollte es werden, habe gekämpft für ein Vaterland. Kurzer Traum! Ihr Gewaltigen habt Reiche besiegt, habt die Welt beherrscht.
Wohl seh' ich auch im Geist, wie blondlockige Gothenschaaren dort auf den Palatinus hinauf und in's Kolosseum dringen und die Mauern brechen. Alte Geschichten. Mein Deutschland schläft wieder, nachdem eine Halbheit auf zweifelhaften Wegen zu Stand gekommen. Man muß auch das lernen: hingehen, ohne ein Vaterland erlebt zu haben. Gefaßt, ganz gefaßt. Und so wird's wieder ruhig in mir, sanft. Ich sauge eure Größe ein in süßem Diebstahl, ihr Trümmer, athme Heldenluft in großer Stille.
[]Was haben die deutschen Künstler da drin im Café Greco? Haschen heftig nach den Zeitungen. Wird auch der Mühe werth sein! — Mich kümmern keine Neuigkeiten mehr.
Perugia. Es ist so, sie liegt drüben in Assisi; man hat sie in die freiere Bergluft gebracht zur Muhme Cornelia. Ihr Vater, ihre Söhne bei ihr. Habe an ihn geschrieben, ob ich erscheinen darf. Mir war nur still und feierlich zu Muthe; jetzt bin ich nicht mehr so ruhig. Mutharm, schwer, bang, daß mir fast Arm und Fuß den Dienst versagt, bis Antwort da ist. — Stehe wieder vor dem Geburtshaus ihrer Mutter, verwechsle sie immer und wenn ich da nach der Loggia hinaufsehe, sehe ich statt ihrer Cordelia als Kind dort zwischen den Oleandern herabschauen.
Man erwartet mich, soll kommen, schnell. Mir wird schon leichter. Ich darf.
Es ist gewesen. Es ist. Ja, wie dort auf dem Bilde des Kölner Meisters die heilige Jungfrau, so umgeben von Weinenden, Vater, Kindern, so lag sie. []Und auch wie der selige Geist im blauen Lichtmeer der verklärten geheimnißvollen Grotte.
Knieend an ihrem Bett — sie weint — weint sie auch um mich? — Es gibt Krieg, sagt sie. — Ich wußte nichts von der Welt draußen. — Der Vater bestätigt: Krieg Deutschlands mit Frankreich. — Ist die Stunde wieder da, wo in Christiania — ihr Aufruf — ? Sie mahnt nicht, dießmal nicht. — In mir Entschluß, augenblicklich. Nun weiß ich meinen Weg, sage ich, — sie schweigt, sie weint, reicht mir die Hand, die weiße, bleiche, — hebt sie, nachdem ich sie lang gehalten, und legt sie auf mein Haupt, segnend, Worte flüsternd, unhörbar, meine Thränen strömen, — sie bedarf Ruhe — Leb' wohl! leb' wohl! — Ein sanftes „wohl“ kann ich noch vernehmen — ein Blick ruht auf mir — ich werd' ihn ewig sehen. Und du, Erik! — dein Geist über uns — ich sah ihn freundlich nicken. — Ja, ja, nun weiß ich meinen Weg. —
Hier endigt das Tagebuch. Weitere Aufzeichnungen haben sich nicht gefunden; nur die Tage der Schlachten jenes Sommers sind noch eingetragen, zuletzt der Entscheidungstag von Sedan.