Schon vor vielen Jahren fiel mir der Name dieser Dichterin, sowie ihr sonderbares Schicksal als merkwürdig auf. Es war im Jahre 1792, als ich in Dodsley's collection of old Plays zuerst die Tragödie Websters las: The white Devil, or Vittoria Corombona. Dieses Schauspiel wurde 1612 in London gedruckt und auch damals oft gespielt. Ich vermute, daß es nach irgendeiner Novelle, die vielleicht um 1600 mag geschrieben sein und die sich jetzt verloren hat, gedichtet wurde, denn es enthält nur eine Anklage und gibt alle Umstände, die uns bekannt sind, in Entstellung wieder. Quadrio erwähnt die Unglückliche im zweiten Bande seiner Geschichte der Poesie und lobt und rechtfertigt sie: nach ihm zitiert sie Tiraboschi in seinem großen Werke nur kurz. Riccoboni in seiner Geschichte der Universität Paduas erzählt ihren Untergang, ebenso Marosini in seiner Venetianischen Geschichte. Auch Lebret erzählt in seiner Geschichte von Venedig die Ermordung Vittorias; die meisten Nachrichten finden sich aber im Magazin dieses Geschichtschreibers. – Die neuere Darstellung des Herrn E. Münch habe ich erst gesehen, als meine Arbeit schon vollendet war. Dieser wunderbare und tragische Vorfall mußte die Zeitgenossen und ihr Mitgefühl in Anspruch nehmen. Ist die Geschichte ihrer Ermordung, sowie der Bestrafung des Luigi Orsini in vielen Büchern klar und deutlich erzählt, so ist die Ermordung Perettis, ihres ersten Gemahls, um so dunkler, und in allen Umständen und Motiven verwirrt Wahrscheinlich verschwiegen alle Zeitgenossen geflissentlich den Zusammenhang, denn selbst der geschwätzige und erfindungslustige Leti geht nur kurz und eilig über diese Begebenheit hinweg, und scheint es selbst gar nicht gewußt zu haben, daß der Neffe des Kardinals mit der Virginia Accoromboni (wie Quadrio sie nennt) vermählt gewesen ist. So war es denn dem Dichter erlaubt, mit seinen Mitteln die Lücken dieser sonderbaren Geschichte auszufüllen und das Dunkel derselben mit poetischen Lichtern aufzuhellen.
Vieles in diesem Roman ist aber nicht erfunden, sondern der Wahrheit gemäß dargestellt. So ermordete im J. 1576 in der [] Nacht des 11. Julius Pietro der Mediceer auf seinem Landhause seine Gemahlin Eleonore von Toledo, und den 16. Julius desselben Jahres starb auf dem einsamen Schlosse des Paul Giordano, Herzogs von Bracciano, dessen Gemahlin Isabella auf rätselhafte Weise. (S. Galluzzo Gesch. der Großherzoge von Toscana, Bnd. II.)
Ein Gemälde der Zeit, des Verfalls der Italienischen Staaten sollte das Seelen-Gemälde als Schattenseite erhellen, und in das wahre Licht erheben. Diese Vittoria, oder Virginia Corombona oder Accorombona wird, so hofft der Dichter, die Herzen der reinen und starken Gemüter für sich gewinnen, und so die Verleumdung des alten englischen Tragikers verdunkeln, dessen poetischer Wert (im Gegensatz früherer Tage) von manchen neueren Kritikern viel zu hoch angeschlagen ist.
Dresden, im Julius 1840.
L. Tieck
[]Es war in dem Jahre des Jubiläums 1575, als sich die Familie Accoromboni in einem Gartenhause in dem anmutigen Tivoli aufhielt, um dort, während der heißen Monate, die frische Kühle, den Anblick der Wasserfälle und die schöne Aussicht auf den stürzenden Teverone und die zauberischen Hügel der reichen Landschaft zu genießen. Die Mutter der Familie, eine große stolze Matrone, noch im Alter kräftig und nicht ohne Spuren ehemaliger Schönheit, regierte, obgleich nicht reich, ihr Haus mit so vieler Umsicht und Kenntnis, daß Anstand und Fülle sich zeigte, und Fremde gern in dieser Familie verweilten, wo sie Bildung, musikalisches und poetisches Talent und selbst Gelehrsamkeit antrafen.
Diese Mutter, eine edle Römerin von hoher Gestalt, war die beseelende Kraft des Hauses, denn ihre mächtige Gegenwart gebot allen Bekannten und Fremden Ehrfucht. Sie war stolz auf ihre edle Abkunft, sowie auf ihre Kinder. Sie stammte von einem alten adlichen Geschlecht, und ihr Gatte Accoromboni war in Rom ein angesehener Rechtsgelehrter gewesen, der für die Großen, sowie den Staat die wichtigsten Angelegenheiten verwaltet, bedeutende Prozesse mit Ehren geführt und gewonnen hatte. Schon dessen Vater hatte als Rechtsgelehrter die Liebe und Achtung der Römer gewonnen und beide Männer standen in vielfachem Verkehr mit Fürsten, den Patriziern und den berühmten Gelehrten und Schriftstellern in allen italienischen Staaten. So war das Haus der Accoromboni bekannt und besucht, und selten kam ein ausgezeichneter Fremder nach Rom, der sich nicht der stattlichen Mutter der Familie hätte vorstellen lassen.
Die meiste Befriedigung fand die hohe Frau aber in ihrer Familie und in Gesellschaft ihrer Kinder. Der älteste Sohn war durch seine Beschützer, unter welchen der große Kardinal Farnese obenan stand, schon Abt, und die Mutter rechnete darauf, ihn bald als Bischof begrüßen zu können, wohl gar etwas später ihm im Purpur des Kardinals ihre Verehrung zu bezeigen, denn er war als Gelehrter geachtet und als feiner Weltmann beliebt.
[] Marcello, der zweite Sohn, war wild und unbändig, streifte oft viele Tage im Gebirge umher, ohne nachher der Mutter Rechenschaft abzulegen, wo und mit wem er seine Zeit zugebracht habe. Sosehr die Mutter mit dem stolzen Blick aus dem großen blauen Auge alle Menschen zur Ehrfurcht und gewissermaßen zum Gehorsam zwang, sowenig vermochte sie über das starre Gemüt dieses Marcello, der sich zu erniedrigen glaubte, wenn er einem Weibe gehorchte.
Sie hatte allen ihren Einfluß anwenden wollen, diesem Unbeugsamen die Stelle eines Hauptmanns in der Garde des Papstes zu verschaffen, er selber aber hatte am meisten dagegen gearbeitet, weil er seine Freiheit noch nicht aufopfern und sich keiner Disziplin fügen wollte.
Flaminio, der jüngste Sohn, schien ganz das Gegenteil von jenem. Er war schmiegsam, fein gebaut, zart in seinem Wesen, fast mädchenhaft, ein verehrender Diener seiner Mutter, deren Wink und Blick ihm Gebote waren. So war er der Geschäftige, alles Besorgende im Haushalt, der Aufseher der Dienerschaft, der Bote über Land, der Ratgeber anderer Jünglinge und der Liebling junger Mädchen, um deren Wohlwollen er aber, so freundlich er in seinem Betragen war, sich nicht sonderlich bemühte. Denn es schien, daß er seine ganze Liebe dem jüngsten Wesen in der Familie, seiner holdseligen Schwester Vittoria, oder Virginia, wie sie auch zuweilen genannt wurde, zugewendet hatte. Ein Fremder, der sie beobachtete, hätte ihn eher für den verliebten Bräutigam, als den Bruder der lieblichen Erscheinung halten sollen.
Diese Vittoria glänzte wie ein Wunder, oder wie eines jener Bilder aus der alten Zeit, die der entzückte Beschauer, einmal gesehn, niemals wieder vergessen kann. Kaum in das siebenzehnte Jahr getreten, war sie fast schon so groß wie ihre Mutter, ihr Antlitz war blaß und nur mit leichter Röte gefärbt, die oft, bei selbst schwacher Bewegung des Gemütes völlig entfloh, oder sich, schnell wechselnd, so seltsam erhöhte, daß sie dann als ein anderes, dem vorigen fast unähnliches Wesen erschien. Ihr zart geformter Mund glühte in rubinroter Farbe; sein Lächeln unendlich erfreuend, sein Zürnen oder Schmollen erschreckend. Die längliche, sanft gekrümmte Nase hatte den edelsten Charakter im Oval des schönen Antlitzes, und die Augenbrauen fein gezogen, dunkelschwarz, belebten den Ausdruck des feurigen Auges. Ihr Haar war dunkel, und hatte im Lichte Purpurschimmer, es floß geregelt über Nacken und Schulter: saß sie nach [] denkend, die langen schneeweißen Finger in die Fülle des Haares halb vergraben, so hätte Tizian kein holderes Modell zu seinem schönsten Bildnisse antreffen können.
Aber weder Tizian, noch irgendein Maler hätten den Blick des Auges, das fast schwarz zu nennen war, den Ausdruck und das Feuer desselben auch nur schwach andeuten können. Dieser Ernst des Blickes, dieser Tiefsinn, dann wieder die aufblühende Freundlichkeit übten einen seltsamen Zauber, das Zornfeuer war selbst dem Frechen unerträglich. Es war ein liebliches Naturspiel, daß die langen Augenwimpern fast blond, oder gelb waren, so daß sie wie Strahlen in der Bewegung blitzten, oder so wundersam schimmerten, wie jene lichten Goldstrahlen, die wir zuweilen an altgriechischen Bildnissen der Minerva wahrnehmen.
Wie mit beschränkten Mitteln die verständige Mutter Julia allen ihren Kindern auch eine gute Erziehung, Unterricht und Wissenschaft hatte geben können, so war doch Vittoria, diese hohe Erscheinung, ihr Liebling, und diejenige, auf welche sie ihre stolzesten Hoffnungen gründete. Sie selber war oft über den früh gereiften Verstand dieses ihres Kindes erstaunt, sie mußte das Gedächtnis bewundern, in welchem Vittoria alles Gelesene und Gelernte aufbewahrte, wie sich die Mutter nicht weniger des Talentes erfreute, welches aus den Versen der Tochter hervorleuchtete.
Die Familie saß im Saale beisammen, als Marcello seinen Hut und Mantel nahm, den Degen umgürtete, und von der Mutter Abschied nehmen wollte, indem diese mit ernster Miene fragte: »Wohin wieder?«
»Freunde, Bekannte besuchen«, erwiderte der ungestüme Jüngling; »der Morgen ist so schön, und ihr alle werdet mich nicht vermissen.«
»Man hat mir sagen wollen«, erwiderte die Mutter, »du haltest im Gebirge mit dem verdächtigen Ambrosio Umgang. Der rohe Mensch soll ja mit jenen Banditen in Verbindung stehn, die in der Gegend von Subiaco streifen.«
»Ei! meine Mutter«, sagte Marcello, »man nennt heutzutage alles Banditen, was nicht Schulmeister, Priester, oder Advokat ist. Und doch plündern diese oft mehr, als jene freien Menschen die sich zuzeiten aus sehr gegründeten Ursachen mit dem langweiligen Staate überworfen haben, und unter denen man angesehene Grafen, tugendhafte Leute, ja Männer antrifft, die von fürstlichen Häusern abstammen.«
»Mein Sohn«, sagte Julia sehr ernst und nahm dem übermütigen [] Sohne den Hut aus der Hand, den sie auf den Tisch legte: »du sprichst, wie ein unbesonnener Knabe, der weder mit Welt noch Moral bekannt ist: magst du kindisch bleiben, wenn das dein Stolz ist, nur das vergiß niemals, daß dein herrlicher Vater, so wie dein verehrter Großvater Advokaten waren.«
»Gewiß nicht«, sagte Marcello, »stehn doch ihre Namen in so manchem verdrießlichem Buche verzeichnet, daß man schon deshalb versucht wird, ein ganz entgegengesetztes Metier zu ergreifen.«
Hastig riß er den Hut vom Tische hinweg, und sprang so eilig aus der Tür, daß der Mutter die beginnende Rede auf der zürnenden Lippe erstarb.
Flaminio stand auf und schloß die Türe wieder, die der Fortstürmende in seiner eilenden Hast offen gelassen hatte.
Vittoria sah von ihrem Buche auf, um mit einem sanften Lächeln dem Auge der Mutter zu begegnen. »Was denkst du, mein Kind?« fragte Julia.
»Ich bin schon seit lange der Überzeugung«, antwortete die Tochter, »daß man den Burschen gewähren lassen muß. Er sucht einen männlichen Stolz und Trost darin, dir nicht zu gehorchen, sondern zu widersprechen: je mehr du also ermahnst, je mehr sucht und findet er Gelegenheit, das zu tun, was du verbietest. Zeigst du dich seinetwegen unbekümmert, so wird er von selbst zur Vernunft zurückkehren, weil er sich dann einbilden kann, als freier Mensch zu handeln.«
»Wenn nur nicht vorher Unglück geschieht«, bemerkte die Mutter seufzend.
»Das, wie alles, muß man der Vorsehung anheimstellen«, sagte Vittoria, »denn er ist doch der Erziehung und Ermahnung entwachsen.«
»Woher nur«, fing die Mutter wieder an, »hat der Knabe diese Unbändigkeit? Sein Vater war milde und sanft, nachgiebig, folgsam, ein Feind alles wilden ungestümen Wesens: die Ruhe und Gesetztheit selbst. – Von wem?«
»Gewiß von dir«, sagte Vittoria lachend.
Die Mutter stand auf, ging nach dem Fenster, sah in die Landschaft hinaus, kehrte dann um, betrachtete die Tochter ganz nahe mit großen Augen und sagte kurz und schneidend: »Von mir?«
Vittoria ließ sich nicht irremachen, schloß ihr Buch, legte es in die Kapsel und sagte ruhig: »So denke ich mir die Anstammung dieses tobenden Blutes. Dein fester Sinn, dein großes, starkes Gemüt, dein edles Wesen, das für seine Überzeugung Blut und [] Leben hingeben würde, ist in ihm als Mann in diese jugendliche Roheit umgeschlagen, die sich später selber erziehn wird. War ich doch auch ein wildes Kind, und gewiß warst du nicht allzu zahm, als du noch mit deinem Püppchen spieltest.«
»Du magst recht haben«, antwortete die Mutter, »mir ist der Gedanke noch nicht eingefallen. Freilich vergessen wir nur allzuleicht in späteren Verhältnissen, wie wir in unsern frühesten Jahren waren.
Ich habe da wieder den Camillo Mattei gesehen«, fing die Matrone von neuem an; »er schien auf unser Haus zuzugehn: ich weiß nicht, was er immer hier will.«
»Er ist ja ein allerliebstes Kind«, sagte Vittoria erfreut; »man neckt sich mit ihm so hübsch, er ist dabei so ehrlich und treu, daß man ihn liebhaben muß.« –
»Was soll er uns?« fragte Julie, und wendete das Haupt unwillig ab; »er ist unwissend, einfältig, von geringem Herkommen; nun liegt er schon dem armen Weltpriester, seinem Ohm, seit Wochen zur Last: kann er nicht nach Rom zu seinen Eltern, den Bürgersleuten zurückkehren, um seine Schulstudien fortzusetzen?«
»Laß ihn, liebe Mutter«, bat Virginia, »er gefällt mir, und uns allen im Hause; unsere Familie ist als eine gastfreundliche bekannt; sollen wir bei diesem guten Mattei eine Ausnahme machen? Frage nur unsre Amme, oder unsern alten Guido, wie gut und lieb dieser immer freundliche Camillo ist.«
Die Mutter zwang sich heiter zu erscheinen, als Camillo eintrat, sich demütig verbeugte und schüchtern stehnblieb, bis sich Flaminio zu ihm gesellte, und ihm einen Sessel in seiner Nähe anbot.
»Camillo«, fing Vittoria an, »Ihr habt neulich die Zeichnungen von den Bildern sehen wollen, die der Kardinal Farnese in seinem neuen Schlosse Caprarola von Zuccheri hat malen lassen: seht, hier ist das schöne Buch, er hat es uns gestern geschickt.«
Camillo blätterte und sagte dann etwas beschämt: »Ich verstehe zuwenig von diesen großen und sinnreichen Sachen. Und an diesen Kämpfen und Schlachten kann ich mich vollends nicht erfreuen. Freilich wohl, die Schlacht des Konstantin, oder Attila von Raffael –«
»Läppischer Mensch!« rief Vittoria, halb zürnend und halb lachend, »wenn er mit Raffael kommt, muß sich alles verkriechen. Und doch meint der Kardinal wohl, und sein Maler noch mehr, er könne es mit dem jungen Manne und seinen vatikanischen [] Zimmern aufnehmen, und stehe auf der Leiter der Kunst noch einige Stufen höher. Und diese Bilder hier aus dem Saale des Schlafs und der Träume sind auch echt poetisch; diese herrlichen Erfindungen werden immer als Muster gelten können.«
»Kann alles sein«, erwiderte Camillo etwas verdrießlich: »es ist aber ein so schöner klarer Morgen, und dabei noch gar nicht heiß, daß wir lieber mit den verehrten Damen einen Spaziergang machen sollten.«
Die Mutter nahm ihren Sonnenhut, und Vittoria folgte ihrem Beispiel. »Gehn wir dann nach der Villa Este«, sagte die Matrone, »und besehen einmal wieder die Herrlichkeiten des neuen Palastes und alle die Künste und Schönheiten des Gartens.«
»O nein!« rief Vittoria unwillig, »alle diese kleinen Springbrunnen und Bildchen in Marmor, so fein gelegt und geschnitzt – wären nicht die Zypressen hingesetzt, die doch dazwischen ein ernstes Wort reden, so wäre diese Anstalt ganz unerfreulich. Nein! hin zu den allerliebsten Wasserfällen! Zu Mäcens Villa, der Neptuns-Grotte, da löst sich unser Herz und Gemüt, und die liebliche, unendlich schöne Natur faßt mich wie ein großer Dichter vertraulich bei der Hand, und sagt mir so herzliche, rührende, erhebende und lustige Dinge in mein horchendes Ohr, wie sie in keinem Buche und in keiner Handschrift stehn.«
Flaminio führte die Mutter und Camillo ging an der Jungfrau Seite. Man konnte es ihm ansehn, daß er sich neben der hohen schönen Gestalt beschämt und klein fühlte, und doch zugleich geschmeichelt, daß er mit ihr so vertraulich wandeln durfte.
Als sie in die Nähe der Wasserfälle gekommen waren, setzte sich die Mutter mit ihrem Sohne in den Schatten der Olivenbäume, und ließ ihr Auge sinnend an den Formen der schönen ölbekränzten Hügel umherschweifen. Vittoria aber sprang an ihr vorüber, um sich in der Nähe des Wassers zu ergötzen. »Wie vieles wißt Ihr«, fing Camillo leise an, »wie Unermeßliches – und ich – –«
»Laßt alle den Kram«, rief Vittoria übermütig und ging schneller. »O seht die alltäglichen Wunder dieser Landschaft und diese Wasser, diese Märchen und goldenen Fabeln, die es nicht müde werden, sich immer wieder selbst alles das poetische Zeug vorzuerzählen, und die uns doch, sosehr wir sie auswendig wissen, immer neu bleiben. Hier laßt uns Kinder sein, wahre Kinder, die sich immer in ihrem Spielwerk vergessen.«
Indem lief ihr ein Kaninchen vorüber, in den Berg hinein. Vittoria sprang ihm nach, und warf einen buntgefärbten Ball, den [] sie bei sich trug, dem kleinen weißen Tiere nach. Der Ball rollte den Hügel hinab, nach dem Flusse zu, der sich hier mit Brausen von bedeutender Höhe in die Tiefe stürzte, und mit seinem Strudel unten einen Trichter bildete, den viele die Grotte des Neptun nannten. Aus Furcht, der Ball möchte vom Strudel fortgeführt werden, rannte sie so eilig hinab, daß Camillo ihr kaum folgen konnte, aber auch so unbesonnen, daß sie, unten angelangt, und sich zu eilig und stark nach dem glänzenden Spielzeuge hinabbeugend, wirklich in den tosenden Strudel stürzte. Überwältigt und besinnungslos schrie Camillo laut auf und stürzte sich nach, erfaßte die schöne Gestalt, die sich nur eben noch an einem vorragenden Gesteine festhielt, fiel hart auf das Geklipp, und rang sich mit der Beute, Brust an Brust verzweifelnd gedrängt, empor: er gewann Kraft, und schneller, als es sich spricht, hatte er sich mit ihr gerettet. Unbewußt und mit der Verzweiflung Riesenkraft trug der Kleinere die größere Gestalt fort, zwar nur wenige Schritte empor, aber doch enfernt genug, um in Sicherheit im blitzenden Grase neben der Geretteten ruhen zu können. Die Strahlen des nahen Wasserfalles spritzten, abstäubend vom fernen Fels wie Staub, oder gewebter farbiger Glanz über ihre Körper und Angesichter. Leichenblaß, aber still lächelnd, saß Vittoria im Grase, dankbar blickte sie ihren Retter an, und reichte ihm die zitternde Hand. Camillo, erschrocken noch und entzückt, taumelnd, betäubt, küßte die dargebotene schöne Rechte mit Inbrunst. -»Wie kann ich dir lohnen?« fragte sie. -»So!« rief er aus, indem der Blöde, Verschämte, brennende Küsse auf die schönen Lippen drückte. – Sie schwieg, wehrte ihn nicht ab, und nur, als der Berauschte von neuem und heftiger begann, wandte sie das Antlitz ab und schlug ihn lächelnd mit den glänzenden Fingern auf seinen heißen Mund.
Jetzt besann er sich, und es wurde ihm nun erst möglich, sie zu sehn und zu betrachten. Der Hut war mit dem Balle in den Wogen verlorengegangen, die schwarzen Locken des Haares waren aufgelöst, noch floß und triefte das Wasser vom Haupte, der schöne Busen mit seinen jugendlichen festen Marmorhügeln war fast ganz frei und glänzte blendend im lichten Dämmer, das Baum und Fels lieblich verbreiteten, an Leib und Hüfte schmiegte sich, die herrliche Form bezeichnend, das nasse Gewand, und so erschien sie dem Jüngling, wie man wohl die Nymphen der Quellen in schönen Gemälden abbildet, oder Amphitriten selbst, die hehre Gemahlin des göttlichen Neptun, der sie vielleicht vor wenigen Augenblicken von Liebe betört in seiner Grotte hatte [] zu sich entraffen wollen. Sie erfreute sich des Spiels, welches die Sonnenstrahlen in Dunst und Nebel des stäubenden Wassers trieben, denn viele glänzende Regenbogen tanzten und wogten wie selbstständige Wesen im aufgelösten Kristall. »Sieh, Camillo!« rief sie freudig aus, »ich halte die Fabel und das Unmögliche hier sichtbar in meiner Hand. Ja, ich kann sogar, so spielen die Geister der Natur, dir sichtlich und körperlich diese bunt glänzende Woge hinreichen, das lachende Kind der Sonne. Und sieh! zu meinen Füßen spielen ebenso im Grase die lieblichen, neckischen Gespenster, die Tages-Irr lichter, die dem Apollo mit freundlicher Widerspenstigkeit aus dem Dienst gelaufen sind. Und nun noch, Freund, hat uns der Waldvogel von drüben zum besten, der schreit ein höhnendes Triumphlied, als wenn wir ins Wasser gefallen wären, um uns unter die Fische anwerben zu lassen.«
»Aber«, sagte Camillo zögernd und warnend, »wir müssen zur Mutter zurück und nach Hause; du wirst dich erkälten, und davon und vom Schreck krank werden.«
»Der Schreck ist längst verschwunden«, sagte sie, indem sie sich zögernd erhob und ihr Busentuch ordnen wollte, dessen Verlust sie erst jetzt mit einer kleinen Beschämung gewahr wurde. »Ja wohl müssen wir zurück«, sagte sie dann mit leiser Stimme. -»Müssen wir? – O über alles dies Müssen in unserer Alltagswelt. Freilich, die Fabel fliegt fort mit Schmetterlingen, Schwalben und Nachtigallen, wir kommen immer an das letzte Wort auch des schönsten Gedichtes, machen das Buch zu und legen es in den hölzernen Schrank. Nach dem herrlichsten Gesang erschallt die heisere Stimme des elenden Dieners, und ladet die Gesellschaft an den Eßtisch. Muß denn das alles so sein? Oder könnten wir nicht mit einem Gott oder einem hohen Geist ein Pactum schließen, daß es anders sich gestaltete?«
Camillo sah sie mit großen Augen an, und führte sie an der Hand den hohen und steilen Berg hinauf. Flaminio kam ihnen oben mit der Mutter schon entgegen. Wie erschraken beide, als ihnen Camillo mit kurzen, eiligen Worten das Abenteuer und die überstandene Gefahr erzählte. Flaminio erblaßte und ward so schwach, daß er sich an einen Baum lehnen mußte. Die Mutter ergoß sich in Danksagung und Lob Camillos über seine Kühnheit und Geistesgegenwart. »Kommt mit uns«, beschloß sie, »teuerster Freund, kleidet Euch um, Flaminio wird Euch von seinen Kleidern geben, wärmt Euch in einem Bett, trinkt glühenden Wein und laßt Euch unsre Pflege gefallen.«
[] »Nein! nein!« rief Camillo, »Eure Güte und huldreiche Freundlichkeit erkenne ich mit Dank, aber ich bedarf sie nicht. Ich fühle vom Wasser nichts, die Sonne scheint warm, ich laufe zu meinem Oheim, der gar nicht weit ist, und kleide mich um. Meine Wonne, daß ich Euch so habe dienen und Euch Eure herrliche Tochter retten können. Ein unverdientes Glück!«
So lief er fort, und die Matrone, ohne zu sprechen, führte ihre Kinder nach ihrem Hause. Vittoria war nachdenkend und Flaminio tief gerührt.
Als Camillo zu seinem alten Oheim kam und ihm die sonderbare Begebenheit erzählte, sagte der verdrießliche Mann: »Immer Kindereien getrieben, die zum größten Unheil ausschlagen können. Wenn ihr nun beide ertrunken und vom Strudel verschlungen wärt! Ich hab es dir schon oft gesagt: der Umgang mit diesem hochmütigen Volke ziemt dir einfachem Bürgerkinde nicht. Was kannst du von ihnen erlangen? Du wirst mit deinem Stande unzufrieden werden und deine Zeit verlieren, und wenn du jeden Tag mit Leib-und Lebensgefahr einen von ihnen aus dem Wasser ziehst, hast du keinen Dank davon. Das geht mit Kardinälen und Baronen um; wenn der hochnasige Abt, der älteste Bruder einmal herkommt, sieht er mich kaum über die Achsel an. Der lange Mensch wird mir niemals etwas zu Gefallen tun, sosehr ich mich auch vor ihm demütige. – Jetzt in deine Kammer da hinein! Zieh dich aus, kriech ins Bett, daß du warm wirst, ich will dir das Essen hineinschicken.«
Camillo gehorchte ihm gern, nur um mit sich allein zu sein. Fast ohne zu wissen, was er tat, kleidete er sich aus, legte sich nieder, und träumte die Begebenheit immer wieder von neuem. »Gott im Himmel!« sprach er zu sich selbst: »wer bin ich? Und sie hat mich du genannt. Diesem himmlischen Munde habe ich Küsse rauben dürfen, und, ich habe es im Taumel wohl gefühlt, sie hat mich wiedergeküßt. Nachher wendete sie sich weg, aber wie freundlich, wie zärtlich! Und das Angesicht! der Busen! O was kann Marmor, Farbe nachbilden, wenn die Wahrheit, das Leben sich uns nahe und wirklich so hinstellt! – Ich habe gelebt. – Diesen Körper nahe am meinigen gefühlt, gedrückt, das Pochen ihres Herzens empfunden. – Und – der eine Augenblick – wo sich das Gewand weghob im Emporringen, und Bein und Knie sich entblößten. – Kann ich diesen Glanz je wieder vergessen? Wird die Erinnerung daran mich nicht elend, wohl gar rasend machen? – Wie matt ist Licht und Schimmer und Farbe und glänzendes Weiß gegen den Glanz und die Herrlichkeit, die uns [] der Körper eines schönen Weibes offenbart! Und diesen Himmel, einmal geschaut, will das Auge immer wieder sehn. – Wozu noch leben? Diese Momente kehren niemals, niemals wieder. – Hätte ich nicht vielleicht besser getan, mich mit ihr vom Strudel nieder in den ewig dunkeln Abgrund hinunterwälzen zu lassen? Sie zu morden, statt sie zu retten? Wissen wir denn, was der Tod ist? Mir wäre er Wollust, Himmel, Seligkeit gewesen, wenn auch im Grauen der Verzweiflung.«
So phantasierte Camillo und konnte weder den Schlaf finden, noch wirklich wach sein.
Da die Familie Accoromboni sehr viele Bekannte und Freunde hatte, vorzüglich im nahen Rom, so war es natürlich, daß alle diejenigen, die von ihnen wußten, bald durch das Gerücht jene Begebenheit erfuhren, und zwar mit Übertreibungen, so daß manche glauben mußten, die junge und schöne Vittoria sei der Welt durch einen frühzeitigen Tod entrissen worden. Die Mutter, welche ihre tiefe Rührung verbarg, da sie die Äußerung einer jeden Schwäche scheute, hoffte den jungen Camillo bald wiederzusehn, und ihm noch einmal Dank zu sagen, und bei ihm selbst zu erforschen, auf welche Art sie ihm vielleicht auf seinem künftigen Lebenswege nützlich sein könne. Als er aber nicht erschien, ward sie besorgt, und Vittoria noch mehr, daß der Jüngling wohl erkrankt sein könne, denn sie konnten nicht glauben, daß er, ohne von ihnen Abschied zu nehmen, nach Rom zurückgereiset wäre. In dieser Erwartung sagte die Mutter zur Tochter an einem Morgen: »Mein Kind, es ziemt sich nicht, daß wir uns um den jungen Menschen, dem wir dein Leben zu danken haben, so gar nicht kümmern. Er ist arm, seine Eltern, wie ich gehört habe, leben in der Stadt nur sehr kümmerlich, man sagt, daß er sich dem geistlichen Stande widmen soll, wir müssen also irgendeine Summe ihm oder seinen Eltern einhändigen, damit er seine Studien bequemer fortsetzen könne, und ihn nachher einigen unsrer wohlwollenden Gönner dringend empfehlen, damit er bald zu einer einträglichen Stelle befördert werde, so daß er nachher seine armen Eltern selber unterstützen kann. Bei solchen Gelegenheiten kehrt mir immer wieder der Wunsch zurück, daß ich reich sein möchte, um durch meine Wohltat das Glück eines solchen Hülfsbedürftigen auf dauernde Weise gründen zu können. Auf jeden [] Fall werde ich ihm die hundert Scudi geben, die ich neulich für unerwartete Fälle von meinem Ersparnis zurücklegen konnte. Empfehlung, wenn sie wirksam ist, kann nachher als eine große Summe angerechnet werden. Was meint ihr, Kinder, Flaminio und du, Vittoria, zu dieser meiner Absicht?«
Flaminio stimmte unbedingt der Mutter bei, doch Vittoria schüttelte lächelnd den Kopf, so daß die Mutter sie betroffen ansah und mit ihrem forschenden Blicke ihre Meinung erraten wollte. »Nein! nein!« rief das lebhafte Mädchen, »glaubt mir nur, unser Camillo ist ganz anders, als wie ihr ihn euch denkt. Ich habe ihn seit lange beobachtet und kenne ihn ganz genau. So blöde das junge Wesen scheint, so schwachgemut und ungewiß in seinem Denken und Tun, was vielleicht daher komme, daß sein Charakter noch nicht ausgebildet ist, so stolz ist doch dieser Jüngling, so daß er gewiß, verwundet und gekränkt, diese Wohltat, die ihm wohl gar als eine Bezahlung erscheinen möchte, ausschlagen würde. Glaube auch nicht, liebe Mutter, daß es sein Wunsch ist, ein Geistlicher zu werden. Er hat mir schon vor einigen Monaten in Rom bekannt, daß ihm dieser Stand verhaßt sei; Soldat möchte er werden, oder als Handelsmann auf Reisen gehn, eine Seefahrt versuchen und fremde Länder sehn. Wunderliche Schicksale der Seeleute, der großen Feldherren und Condottieri – das reizt ihn, solche Bücher, wie das alte Gedicht von dem Feldhauptmann Piccinini, liest er am liebsten, und versäumt, wie er nur irgend kann, Messe und Gottesdienst, so daß ihm auch viele seiner Schulgenossen feind sind und ihn erbost nur den Ketzer und Lutheraner nennen. – Und dann – hundert Scudi! Liebe Mutter – wenn ich nun doch einmal bezahlt werden soll bin ich denn nicht mehr wert? Diese Taxe ist allzu gering, dafür schlage ich mein Hündchen noch nicht einmal los.«
»Törichtes Wesen!« sagte die Mutter lächelnd, »wie kindisch du zuweilen sprechen kannst, da dich doch viele kluge Männer in manchen Stunden wegen deines Verstandes bewundern wollen. Das Unbezahlbare, das Höchste läßt sich niemals mit Münze ausgleichen, das weiß ich so gut, wie du. Aber eben deswegen muß ein Leben, wie das des Kindes, das die Mutter, wenn es entflohen ist, nicht mit Millionen zurückkaufen kann, mit Dank, mit Kleinigkeit, mit Hülfe erwidert und belohnt werden. Der Wohltäter fühlt dies auch selbst und nimmt das, was Freundschaft reicht, wenn er es bedarf, mit Rührung an, als wenn es ein großer Schatz wäre. Sind wir doch immerdar mit dem Leben und den Elementen, die uns beherrschen, im Kampf: kann ich dem Nebenmenschen [] diesen erleichtern, so tue ich, selbst durch eine Kleinigkeit, etwas Gutes.«
»Alles wahr«, sagte Vittoria, »aber darum ist auch in diesem Falle, der so gewichtig ist, Wohlwollen und Freundschaft, ein Entgegenkommen im Vertrauen, ein kindliches und brüderliches Verhältnis, so daß ein solcher Wohltäter mit zur Familie gehört – für den Zartfühlenden der wahre Dank und die größte Belohnung. So sollten wir mit diesem freundlichen und bescheidenen Camillo sein, und auch in Rom seine arme Eltern manchmal sehn, die sich gewiß durch solche Auszeichnung sehr geschmeichelt und beglückt fühlen würden.«
Die Mutter stand auf, und ging heftig im Saale auf und ab. »Also dahin sollte es kommen?« sagte sie und setzte sich wieder langsam in den Sessel. »Vielleicht bereitet sich uns allen von diesem Zufalle aus ein trauriges Schicksal. Eben alles dies, was du mir deklamierend hergesagt hast, wollte ich vermeiden und unmöglich machen, weil ich das menschliche Herz besser kenne als du. Weil sich so natürlich ein vertrauliches Verhältnis, eine brüderliche Annäherung aus solchem Unglück entwickelt, weil für dieses ein eigentlicher Dank und eine Belohnung unmöglich sind: so will der erst so großmütige Wohltäter nur gar zu leicht das gerettete Wesen selbst an Zahlungs Statt, und vernichtet so seinen Dienst, indem er sich das Liebste eigennützig zum Opfer bestimmt; die Gerettete ist oft im Überschwang des Dankes schwach genug, eine solche Schuldforderung anzuerkennen, ohne einzusehn, daß sie auf diesem Wege nur später eines andern Todes stirbt. Und sollte ich dich je auf diese Weise verlieren können, so wäre es mir eben auch nicht schmerzlicher, wenn dich die rasenden Wogen dort verschlungen hätten. Gerade darum muß nun dieser Mattei unser Haus so wenig wie möglich betreten; wir sind ihm zum höchsten Dank verpflichtet, aber wir müssen uns ihm mehr als je entfremden: er muß fühlen, daß wir in verschiedenartigen Elementen leben, und daß unsere Lebenskreise sich niemals berühren können.«
»Ihr überrascht mich, Mutter«, sagte Vittoria hoch errötend. »Nein, ich bin diesem kleinen freundlichen Camillo so gut, fast wie unserm Flaminio da – aber deswegen – – was du andeutest Frau Julia, davon könnte ja niemals die Rede sein. Du sagst, du kennst das menschliche Herz besser als ich – kann sein; aber ich kenne mein eigenes Herz, mein Wesen, das dir doch vielleicht in einigen Teilen noch fremd und unbekannt ist.«
»Wie die Jugend in ihrer Unerfahrenheit spricht!« antwortete [] die Matrone nicht ohne Heftigkeit. »Dein Herz! dein Wesen! Hast du denn schon etwas der Art, da du noch gar kein Schicksal, keinen großen, mächtigen Schmerz erfahren und erlebt hast? Ehe das Eisen geschmolzen, gehärtet und gehämmert wurde, ist es eine unscheinbare Erdscholle, ohne elastische Kraft, Schneide und Widerstand. Dein Wesen ist nur noch Traum und Ahnung; was du bis jetzt warst und geworden, ist nur noch Widerschein meines Geistes, Denkens und meiner Erfahrung. Glaube mir, Kind, es schlafen in uns gräßliche Gespenster, tief im Hintergrund unserer Seele, wohin der Blick der spielenden Jugend und die vorlaute Phantasie niemals reicht. Man lernt alle Menschen früher als sich selber kennen. Wäre nun dieser Camillo immerdar um dich, gewöhnte sein Gemüt so an deinen Umgang, daß dieser ihm zu seinem Dasein unentbehrlich würde, und du wolltest ihn nun als einen Überlästigen abschütteln, so würde er aus Eitelkeit, verletztem Gefühl, Zärtlichkeit und Kränkung in eine solche tödliche Leidenschaft geraten, so in Wut, Eigennutz und Aufopferung rasen, so vor deinen Augen hinsterben, daß dein Mitleid, Kummer, Gewissen, die Vorwürfe, die du dir machtest, dein eignes Wesen dir ganz verhüllen könnten, daß du auch auf eine Zeitlang glaubtest, dieselbe Leidenschaft zu empfinden, und du zu spät deine Aufopferung bereutest. Glaube mir, alles dies geschieht, sogar nicht selten, und so erwachsen nur zu oft aus scheinbarer Liebe die unglücklichsten Ehen. In gewissen Stimmungen werfen wir unser Selbst und Heiligstes mit mehr Leichtsinn hinweg, als wir dem gierigen Hunde den Knochen hinschleudern. Eine freie und edle Wahl, meine Vittoria, muß deine Vermählung mit einem ausgezeichneten und hochstehenden Manne herbeiführen, er muß deiner wert sein, so daß dein reiches Wesen durch ihn gewinnt. Dazu gehört vor allen Dingen, daß er dich versteht, daß er die Welt und den Adel echter Geister kennt; ein solcher muß dich erheben, du nicht ihn. Das dürftigste Schicksal, das kläglichste, entwickelt sich in den Ehen, in welchen das Weib höher steht, als der Mann.«
Vittoria hatte ihr feuriges Auge sinken lassen, ihr schönes Haupt ruhte zwischen beiden Händen, indem sie die Arme auf den Tisch stützte, so daß die fließenden Haare dunkel, wie eine Wolke, niederwallten. Plötzlich sah sie auf, wie von einem Traume erwachend, und erschrak fast, als sie ihren Bruder Flaminio in der Nähe erblickte. Sie stand auf, flüsterte dem Bruder leise etwas zu, worauf dieser das Zimmer verließ. »Was hast du, Tochter?« fragte die erstaunte Mutter.
[] »Ich wollte dir nur sagen«, erwiderte sie, »und das sollte mein junger Bruder nicht hören, daß ich gar nicht, niemals heiraten will und werde.«
»Du hast heute deinen törichten Tag«, erwiderte jene: »kann mein Kind sich so etwas vornehmen oder beschließen?«
»Ich sehe wohl, Mutter«, sagte Vittoria tief bewegt, »daß du mich, trotz deiner Liebe, nur geringe schätzest. Was nützen uns Bücher, der Umgang mit verständigen Männern, die Kenntnis der Vorzeit und alles, was uns die edelsten Geister singen und sagen, wenn das alles nur wie an Klötzen und Steinen vorübergeht und nicht zu unserem Geiste sagt: stehe auf, die Morgenstunde ist da, rufe aus allen Kammern deines Herzens und Gehirns die Diener, daß sie an die Arbeit gehn, daß in den Wellen des Blutes Entschlüsse und Kräfte erwachen, die das Geistige, Unsichtbare in Tat und Wahrheit verwandeln! Ja, Mutter, und so bin ich geworden, bin so geschaffen, daß ich ein Grauen vor allen Männern empfinde, wenn ich den Gedanken fasse, daß ich ihnen angehören, daß ich ihnen mit meinem ganzen Wesen mich aufopfern soll. Sieh sie doch nur an, auch die Besten, die wir kennen, auch die Vornehmsten: wie dürftig, arm, unzulänglich und eitel sind alle, wenn sie alle Verlegenheit der ersten Besuche ablegen und sich so recht frei und offen zeigen. Diese klägliche Lüsternheit, die aus allen Zügen spricht, wenn das Wort Liebe oder Schönheit nur genannt wird; diese alberne hohnlächelnde Tugend, die jene andern, welche für moralisch gelten wollen, zur Schau tragen; diese Dienstbeflissenheit und das Kriechen vor den Weibern, die sie doch in ihrem Herzen verachten – o weh! wenn ich in diesen Gesellschaften meine Heiterkeit behalten soll, so muß ich mich in einen Traum von Leichtsinn hüllen und meine Beobachtung zum Schlaf einwiegen. Und diesen Herzlosen, Gelangweilten, Geldgierigen, nach Ehrenstellen, und Lob der Großen Durstenden soll ich das Kleinod meines reinen Leibes, meiner Keuschheit und Unschuld hingeben, wie man sich Tisch, Gefäß, Buch oder sonst ein Totes aneignet? Und – nur mit Entsetzen kann ich an diese Aufgabe unsers Lebens denken – wie aus einem Schrank, wie aus lebendigem Sarge soll mir unter Qualen ein Wesen genommen werden, das ich bin und doch nicht bin, das in seinem ersten materiellen Blödsinn mich ebensowenig kennt, vielleicht weniger, wie die Nelke, die ich in meinem Scherben erziehe. O mir graut, nur davon zu sprechen. Und dies Leiden, den Graus, den Abscheu zu erleben, wirklich zu erleben, ich ertrüg es nicht! Wie sehr tatest du recht, Mutter, mir unsere Bandello,[] Boccaz und den leuchtenden Ariost nicht zu verschließen, wie manche Eltern tun, denn statt zu verlocken, hat sich diese sogenannte Liebe, die immer nach diesem entsetzlichen Ziele strebt, die berühmte allwaltende Leidenschaft mir nur verhaßt gemacht.«
»Welche Unnatur!« rief die Mutter aus, »Kind, deine entartete Phantasie ist es nur, die dir Grauen erregt, nicht diese Bedingung des Lebens selbst, die durch göttliche wie menschliche Gesetze ihre Weihe, wie alles Heilige, erhalten hat.«
»Ich verstehe ja auch«, erwiderte die Tochter, »den Willen Gottes und der Natur, ich verehre diese Satzung und begreife ihre Notwendigkeit – aber warum soll ich mich ebenfalls dem Ausspruch fügen und nicht zurücktreten dürfen, wie so viele Priester, Nonnen und Heilige?«
»Und in ein Kloster wolltest du dich vergraben, du lebensmutiges Kind?«
»Nein, Mutter«, rief Vittoria aus, »lieber sterben! Ich verehre die Ehe; bist du, herrliche Julia, doch Mutter geworden, und Mutter vieler Kinder; muß ich dir doch dafür danken, da ich nur durch dich in dies freundliche Dasein gerufen wurde. Laß mich gewähren. Vielleicht erzieht mich Zeit und Erfahrung noch anders. Du meinst, der Mann müsse höher stehn, als das Weib. Noch habe ich keinen gesehn, der sich dir nur vergleichen dürfte; meinen teuern Vater habe ich nicht gekannt und kann mir kein Bild von ihm machen; aber müßte ich durchaus dem Gesetz nachgeben, so scheint mir vielmehr ein Mann, wie Camillo, meiner Ehe zu passen, den ich eigentlich ohne alle Bitterkeit unter mir fühle.«
»Ich werde noch lange«, sagte die Matrone, »über unser Gespräch und deine sonderbaren Meinungen nachzudenken haben. Demjenigen, was allem Lebensreiz, bewußt und unbewußt, der Poesie und aller Kunst zum Grunde liegt, dem willst du entsagen, und doch bist du für Malerei und Poesie begeistert, doch hast du Sinn für die männliche Schönheit: wie willst du mit deiner Unnatur dich in geselligem lebenden Kreise bewegen?«
»Mit Mut und Entschlossenheit macht sich alles«, erwiderte die Tochter mit heiterer Miene. »Gestern noch las ich das hübsche Büchelchen von der Tullia d'Aragon, ›Über die Unendlichkeit der Liebe.‹ – Sieh, diese weltberühmte Frau hat sich niemals vermählt, und wurde von der ganzen Welt vergöttert, in Bildnissen verherrlicht, und der große Bembo, der herrliche Poet Bernard Tasso und so viele andere berühmte Namen haben ihr gehuldigt.«
»Kind! Kind!« sagte die Mutter mit schwerem Seufzer – »wohin [] gerätst du? Dieses Wesen, so schön, so poetisch sie war, durfte sich an Tugend und Hoheit niemals mit der vermählten Colonna und andern Dichterinnen vergleichen: Du weißt auch, daß sie zum Teil deshalb bekannt und beliebt war, weil ihre Sitten, so sagt man, sich durch Leichtsinn auszeichneten; ihre platonische Liebe soll mehr als einmal zur irdischen herabgestiegen sein, und so könnte, weil auch du schön bist, dein Eigensinn dich statt zur Gattin, zur Buhlerin machen.«
Vittoria legte der Mutter den Finger auf den Mund und sagte: »Bitte! bitte! Was sagt die Welt nicht alles von großartigen Frauen. Ich denke mir, daß sie ein schönes reines Leben führte, das Edelste jener Gelehrten, Fürsten und Dichter sich aneignete, die zu ihren Füßen saßen. Hat nicht der ernste pedantische Orthodox, der alte Speron Sperone in Padua einen eigenen Dialog über die Liebe geschrieben, wo sie auftritt und von dem großen Bernardo Tasso verehrt und gepriesen wird. Dieser herrliche Dichter verleugnete auch nie, daß sie seine Göttin war.«
»Vergiß nicht«, sagte die Matrone, »daß der finstere Sperone damals jünger war, und daß er gewissermaßen in einem spätern moralischen Dialog alle jene Äußerungen und Meinungen zurückgenommen hat.«
»Um so schlimmer für ihn!« rief die Tochter aus, »denn was einmal wahres Eigentum unsers Geistes war, sollen wir niemals wieder weggeben. Wer gegen sich selbst nicht treu ist, kann es gegen niemand sein. Wer sich verleugnet, wird auch das Göttliche verleugnen. Da helfen sie sich denn freilich mit den traurigen eisernen Schranken einer dürren Moral und einer mißverstandenen Religion.« –
»Camillo vergessen wir ganz darüber«, sagte die Mutter, indem sie aufstand. Sie ging in die Gesindestube, und fühlte, daß dieses Gespräch eine Epoche ihres Lebens bilde, denn sie war dadurch in eine ganz andere Stellung zu ihrer Tochter gerückt worden. Diesen strengen Geist des eben erst aufgeblühten Kindes hatte sie nicht geahnet, sie sah jetzt ein, daß der poetische Leichtsinn, das Harmlose des schönen Wesens, der oft kindliche Übermut ebensoviel Vorsatz, als Temperament war. Sie sorgte jetzt, das Düstere der Vorstellungen möchte einst über die Heiterkeit den Sieg davontragen. Schwanken wir nicht immerdar, sagte sie zu sich, an der Grenze des Wahnsinns hin? Arbeit, Pflicht, Scherz und Andacht müssen uns immerdar zerstreuen, um nicht in den stets offnen Abgrund hineinzutaumeln, wie sie vor wenigen Tagen dort in den Wassersturz.
[] Sie sendete Ursula, die alte Amme, da Flaminio nicht zugegen war, zum Weltpriester hin, um zu erfahren, ob Camillo Mattei nicht gar von jenem Wagnis krank geworden sei, da er noch immer nichts von sich hatte hören lassen. Die berührige geschwätzige Alte freute sich, in dem kleinen Orte, in welchem sie nur wenige Unterhaltung fand, wieder einmal eine neue Bekanntschaft zu machen. Nachdem sie ihre Kleidung verbessert und einen weißen Schleier umgelegt hatte, begab sie sich in das kleine Haus des Priesters. Der Alte sah verdrießlich von seinem Gebetbuche auf nach der unbekannten Besucherin hin, die sogleich redselig die Grüße ihrer Herrschaft hersagte, und sich dann erkundigte, warum denn der junge, liebenswürdige Mattei noch nicht wieder gekommen sei, um die herzlichsten Danksagungen der ganzen Familie zu empfangen.
»Setzt Euch, alte Person, ruht Euch aus«, sagte der Priester; »das Schwatzen muß Euch sehr müde machen. Mein Neffe, Gott tröste ihn, ist krank. Die junge fröhliche Dame ist, wie ich höre, mit weniger selbst als einem blauen Auge davongekommen. So geht es immer mit den Vornehmen und Reichen: wir armes Gesindel müssen alles ausbaden und den Schaden bezahlen. Das Wasser hat meinem jungen Bengel nicht geschadet, aber beim Hineinspringen ist er so heftig auf die spitzen Steine aufgeschlagen, daß Rücken, Rippen, Hüften, alles ein Schmerz ist. Er hat Beulen und ist so blau gefärbt und angelaufen wie der damaszierte Stahl. – Das wißt Ihr doch von Eurer Jugend her, aus der Naturgeschichte, Ihr altes Kind, daß Steine nicht so weich sind, wie das Wasser?«
»Lieber Himmel, nein«, sagte Ursula, »das habe ich noch nicht vergessen. Ich habe alle meine Herrschaften aufgesäugt, sonst wäre meine gnädige Signora Julia auch wohl nicht so schön geblieben, und alle die Kinder, vorzüglich aber das älteste, der Herr Abbate, mögen mir vielen Verstand und Einsicht, auch Gedächtnis weggesogen haben, womit sie nun in der Welt prunken und Aufsehen erregen, aber diese Kenntnis und Einsicht ist mir doch geblieben. Ja, ehrwürdiger Herr, Steine sind in der Regel hart, aber auf verschiedene Art, nach seiner Temperatur ein jeder; aber darauf hinstürzen, ist keinem Körper gesund. Sonst hätten die bösen Juden den heiligen Stephanus gar nicht steinigen können, wenn in den Kieseln nicht eine gewisse Harte wäre.«
»Eure Kenntnis wandelt auf dem ganz richtigen Wege«, fuhr der Priester fort; »man freut sich, mit Menschen von Geist und Erfahrung Bekanntschaft zu machen, denn die Welt verdummt [] immer mehr. Aber meinen Neffen, den haben die Herrschaften, so scheint es mir, verbraucht, denn wenn er auch wiederaufkommen sollte, wird er doch zeitlebens ein Narr bleiben. Da phantasiert und tollt er auf seinem Lager herum, und spricht von den alten heidnischen Göttern, von denen er wenigstens ein Dutzend, so schreit er es aus, da unten im Wasserfall, kennengelernt hat. Dann sagt er zur Abwechselung, er sei selbst eine von den alten Gottheiten, und Euer hochgewachsenes Fräulein habe ihn dazu gestempelt. Er meint in seiner philosophischen Raserei, er hätte sich eigentlich, wenn er Menschenverstand gehabt hätte, neulich umbringen sollen, und die überweise Vittoria zugleich mit, so würden die beiden jetzt in den elysischen Gärten spazierengehn, und die reifsten und süßesten Maulaffenbeeren von den Bäumen herunternaschen. Von der Religion will er nun gar nichts wissen, weil er meint, die könne ihm zu seinem künftigen Fortkommen in der Hölle doch von keinem sonderlichen Nutzen sein, denn Herr Pluto und dessen unterirdische Richter examinierten die Kandidaten nach einem gar andern Katechismus. Kurz, der Bursche ist mir und der ganzen Christenheit dermalen verdorben, und das hat einzig Eure superkluge Herrschaft: zu verantworten, die das junge Blut als einen Pudelhund mit sich nahm, um verlornen Hochmut aus dem Wasser wieder heraufzuholen. Ich habe sogleich den Apotheker müssen kommen lassen, der ihn bepflasterte, und ihm Latwergen und Tränke und Tropfen mitgebracht hat, die ich armer Gesell aus meiner knappen Wirtschaft nun alle bezahlen muß; alles bittres, verfluchtes, niederträchtiges Zeugs, wo sie mir noch viel Geldes dazugeben müßten, wenn ich sollte überredet werden, das gottlose Höllengesöff hinterzuschlucken. Der einzige greifliche Vorteil bei der ganzen verfluchten Geschichte ist, daß das dumme Lammsgesicht in den ersten zehn Jahren nicht wieder braucht geprügelt zu werden, weil ihm Rücken und Rippen von der remarkablen Geschichte beinah zerquetscht und zertrümmert sind.«
»Geistlicher Herr«, sagte Ursula, »Ihr beliebt so klug und so quatsch durcheinanderzusprechen, daß es fast unmöglich ist, Eure Meinung zu kapieren. Wenigstens macht Ihr es den Laien ziemlich schwer.«
»Nun, so seht Euch die Bescherung selbst an«, sagte der Geistliche, »wenn Ihr Euch aus meiner Legende nicht zu vernehmen wißt.«
Sie gingen in die Kammer, wo der Kranke sich unruhig auf seinem schlechten Lager wälzte. Seine Augen glühten, und als die [] beiden eintraten, rief er ihnen entgegen: »Teuerster Monsignore Charon, bringt er sie jetzt herüber, meine längst angetraute Gemahlin, die Dame Vittoria? Ei was! Ist sie schon seit den kurzen dreihundert Jahren so sehr gealtert, wie muß ich dann erst aussehn, der ich schon vor meiner Geburt ein alter Kerl war? – Wie? Runzeln in dem braunen Gesicht? Warum gerade so? Kann das Alter denn nicht bloß ehrwürdig erscheinen, warum muß es gerade lächerlich sein?«
»Nein, nein, junges Blut«, rief Ursula unwillig aus; »ich bin nicht die Herrschaft, ich bin die Amme, die sie großgesäugt hat, darum laßt Eure Pasquinaden und wendet Euch an Gott, damit er Euch gesund mache und Euren verfallenen Verstand wiederherstelle.«
»Ihr habt sie mit Eurem Blut, mit Eurer Milch, mit Euren Lebenskräften gesäugt?« rief der Kranke; »kommt näher, Musterbild aller Schönheit, denn auf die Weise hat sie ja nur von Euch ihre Vollkommenheiten. Ehe sie selber war, ruhten ihr Auge, die süßtönende Rede, die Himmelslippen, alle die Verse, die sie weiß und selber dichtet, schon in dieser verknöcherten, kastanienbraunen Brust? O kommt und reicht mir auch etwas von dieser Nahrung, damit ich doch einige Ähnlichkeit mit ihr bekomme.«
»Pfui!« schrie die Alte erbittert, »er sollte doch wenigstens auf eine dezente Art rasen, daß wohlerzogene Frauenzimmer sich über seine Liebesphrasen nicht zu schämen brauchten.«
Sie ging böse und scheltend fort und erstattete der Herrschaft nur einen sehr unvollkommenen und verwirrten Bericht. Die Signora Julia schickte durch ihren jüngern Sohn eine bedeutende Summe zum Pfarrer, damit ihm der kranke Neffe nicht zu viele Ausgaben veranlasse, auch sorgte sie dafür, daß ein verständiger Arzt außer dem halbgelehrten Apotheker sich, auf ihre Rechnung, des Leidenden annahm. Auch kühlende Sachen, eingemachte Früchte und andere Erfrischungen besorgte sie, und so hoffte sie, bald von der Besserung und Genesung des Camillo Mattei zu vernehmen.
Es hatte sich mit Camillo gebessert. Die kräftige frische Jugend kämpfte das Fieber und die Krankheit nieder. Der Beistand, den ihm die Signora Julia durch ihre Bemühung verschafft hatte, indem [] sie ihm einen verständigen Arzt sendete, die Beruhigung, die sie durch ihre Unterstützung dem alten Priester gewährte, alles dies hatte die Wiederherstellung des jungen Mannes beschleunigt. Er meldete sich bei der Familie, um seinen Dank abzustatten, und die Mutter empfing ihn freundlich, aber zugleich mit einer gewissen Feierlichkeit. Auch Virginia, von dem strengen, beobachtenden Auge der Mutter beherrscht, hatte einen andern Ton gegen ihn angenommen, als den er bisher gewöhnt war, und so fühlte sich Camillo, der nach jener Szene ganz andere Erwartungen mitgebracht hatte, verletzt und gedemütigt; er war verlegen, und wenn ihn die Gesellschaft nicht beschämt hätte, so würde er sein Gefühl wohl in heißen Tränen ergossen haben.
»Ihr werdet nun wohl«, sagte die Mutter, um das zögernde Gespräch in Bewegung zu setzen, »zu Euren Eltern nach der Stadt zurückkehren, um weiterzustudieren. Seid Ihr erst etwas vorgeschritten, mein lieber junger Freund, so werde ich nicht ermangeln, Euch meinem Sohn, dem Abte, zu empfehlen, ja ich werde vielleicht die Gelegenheit finden, zu Eurem Besten mit dem großen Kardinal Farnese zu sprechen, der jetzt wahrlich, zunächst unserm Heiligen Vater, den größten Einfluß auf die kirchlichen Angelegenheiten hat. Zeigt Ihr Euch nun wacker und unterrichtet, darf man später von Eurer Rechtgläubigkeit überzeugt sein, so wird es Euch gelingen, bald in eine einträgliche Stelle versetzt zu werden, von welcher Ihr allgemach höher steigen mögt, um auch Euren teuren Eltern ihre Liebe, und die Opfer, die sie Euch gebracht haben, vergelten und ersetzen zu können.«
Vittoria war im Innern über diese wohlgesetzte Rede aufgebracht, aber sie hatte nicht den Mut, in Camillos Gegenwart ihr Erzürnen kundwerden zu lassen, um nicht einen vielleicht unziemlichen Auftritt herbeizuführen. Die Mutter merkte ihre Verstimmung, sie hatte sich aber fest vorgenommen, sich durch nichts in ihrem Entschluß irremachen zu lassen. Camillo erwiderte stotternd und mit hoher Röte im Gesicht: »Signora, ich werde noch acht Tage hier in Tivoli verbleiben, so hat es mir der Arzt befohlen, den Ihr mir zu senden die Gnade hattet. Ich werde dann nach Rom zurückkehren, aber ganz in Zweifel und Ungewißheit, mehr als je, ob ich auch würdig genug sei, mich dem geistlichen Stande widmen zu können. Es ist gar zu schmerzlich, sein ganzes Leben einem Berufe zu weihen, den man mit entschiedenem Widerwillen antritt. Ihr wollt mich beschützen – oh, wie glücklich würde ich mich fühlen, wenn Ihr mir irgendwo, sei es in [] Venedig, Florenz, oder wo es auch wäre, eine Stelle und Aussicht beim Soldatenstande schaffen könntet. Oder wenn sich ein Kaufherr in Genua oder ein Venezianischer meiner annehmen wollte. Ich fürchte, ich bin nicht fromm; zwinge ich mich also, ganz gegen Neigung, in das geistliche Wesen hinein, so ist zu besorgen, daß ich aus Tücke und Widerspruch, wie der Mensch nun einmal ist, auf gar arge Ketzereien geraten, und in dem Zustande Leib und Seele verlieren möchte.« –
»Junger Mensch«, sagte die Matrone mit kalter Sicherheit, »Ihr kennt Euch selbst noch nicht hinreichend. Folgt meinem Rate, denn er ist gewiß der beste. An meinem eigenen Sohne Marcello erlebe ich es, wie schwer es ist, den Söhnen eine andere Laufbahn, als die der Kirche, zu eröffnen. Beim Soldaten hat der Edelmann immerdar den Vorzug, und alle die großen Häuser in Italien sorgen dafür, daß bei allen Fürsten in den Ländern ihre Schützlinge und Anverwandten die einträglichen Stellen erhalten. Mit Kaufleuten stehe ich in gar keiner Bekanntschaft, denn meine Verbindungen, durch welche ich Euch nützen könnte, erstrecken sich eben nicht über Rom hinaus. Bei der Bestimmung unseres Lebens dürfen wir nicht zuviel auf unsere Neigungen oder Leidenschaften hinhören, denn das Schicksal des Daseins, dem wir in dem Augenblicke der Bestimmung entgegentreten und es herbeirufen, ist zu ernst, um Spiele und Gewöhnungen der Kindheit, jene leichten Blüten, die den Früchten weichen sollen, mit hinüberzunehmen. Dadurch, daß Ihr uns bekannt seid, daß wir Euch so innig verpflichtet wurden, so daß ich gezwungen bin, für Euch wie für einen lieben Verwandten zu denken und zu sorgen, dadurch, daß es sich fügt, daß wohlwollende Gönner und Freunde von großem Einfluß, auf meine Worte, Bitten und Empfehlungen achten: dadurch, lieber Mattei, zwingt Euch das, was ich Schicksal nenne, Euch dieser Bestimmung und keiner andern zu ergeben. Und seid Ihr denn gar nicht stolz, junger Freund? Seht um Euch, wie große Männer allenthalben aus Armut und Niedrigkeit sich auf diesem so ehrenvollen Wege emporgeschwungen haben. Hier, im geistlichen Gebiet, ist die echte Republik, die Gleichheit aller Geschlechter und Stände. Kirchendiener, Bischöfe, Heilige, ja Päpste sind aus Armut und Dunkelheit emporgestiegen, um der Welt zu leuchten, und ihre Familie zu verherrlichen. Haben wir nicht ganz in der Nähe ein Beispiel an unserm Kirchenfürsten, dem gelehrten großen Kardinal Montalto, dessen Familienname Peretti ist? Wer spricht im römischen Staat, ja in ganz Italien diesen Namen Peretti nicht[] mit Ehrfurcht aus? Und er ist einem so armen, niedrigen, schwachen Hause entsprungen, daß Eure wackern bürgerlichen Eltern sich gegen seine Familie wohl eine vornehme dünken mochten. Als Knabe war dieser große Geist genötigt, das Vieh zu hüten, durch Almosen ward er großgezogen, schwache, armutselige Priester und Mönche waren seine ersten Beschützer – und jetzt! Ist er auch nicht reich, so kann er doch, wie jeder Kardinal, in wenigen Jahren wohl selbst Papst werden. Seht, mein Freund, der Stand, den Ihr nicht achten wollt, ist einzig der, wo Fleiß und Charakter sich geltend machen, und die Schwächsten, hier durchgedrungen, die Welt beherrschen können.«
Die Frauen erschraken, als in diesem Augenblicke der erst verschüchterte Camillo ein lautes Lachen aufschlug. »O ja«, rief er, »ich kann auch nach Asien wandern, mich für heilig ausgeben und der große Mogul werden. Was hindert mich, es auf den weltberühmten geheimnisvollen Priester Johannes anzulegen? Von Melchisedek und den drei Königen aus dem Morgenlande weiß man auch die Abstammung nicht. Dürfte es nicht auch geraten sein, sich mit dem Ewigen Juden zu assoziieren und sich von dem Brausewind zum Kompagnon annehmen zu lassen? Der macht ja auch Geschäfte mit und in aller Welt.«
Plötzlich schwieg er still, sah starr vor sich nieder, und trocknete sich heimlich eine Träne aus dem Auge. Mutter und Tochter sahen sich mit Erstaunen an, und die sonderbare Blässe des Marmors stand auf Vittorias Angesicht. Camillo richtete sich in mächtiger Verwirrung auf und sagte mit gebrochener Stimme: »Verzeiht mir, ihr Hochverehrten, meine Ungezogenheit. Ich bin ein elender Mensch, und verdiene nicht, in guter Gesellschaft zugelassen zu sein. Mir geschieht recht, wenn ich von den Edlen ausgestoßen werde.«
Er erhob sich zitternd. Demütig nahte er der Signora Julia und küßte ihre Hand, dann näherte er sich der Tochter, faßte ihre Finger, hielt sie lange fest, und konnte dann seine Lippen kaum entfernen, indem er fühlte, wie sein Druck, wenn auch nur leise, von der schönen Jungfrau erwidert wurde. So wankte er dann, wie ohnmächtig, zur Tür hinaus.
Mit dem Ausdruck der Heftigkeit stand die Matrone vom Sessel auf und ging an das Fenster. Vittoria blieb auf ihrem Stuhle und sah mit etwas scheuem Blicke nach der Mutter hinüber. -»Also schon jetzt!« rief die Mutter aus; »ich habe es ja gesagt! So ist die elende Beschaffenheit unsrer menschlichen Seele, daß aus jedem Ohngefähr tolle Hoffnungen erwachsen, deren sie [] sich schwindelnd bemächtiget. Nun ist man stolz, und trotzt und pocht in verächtlicher Aufregung einer rasenden Leidenschaft. Man spielt den Herrn der Welt, indem man tief unter dem blödsinnigen Bettler steht. Und eigentlich hast du es verschuldet!«
»Ich?« fragte die Tochter erschreckend.
»Weil du kindlich und unerfahren dein Herz und deine Zunge nicht genug bewachtest. Deine unschuldige Neigung hat er in seinem männlichen Eigennutz ganz anders gedeutet: diese angeborne Eitelkeit und Anmaßung des Geschlechts hat dich ihm schon erniedrigt, weil du höher standest, als er, weil du ihm reizend und wünschenswert erscheinst, seine Einbildung hat dich schon in Besitz genommen, und daß sein Irrsinn schon zur wahren Leidenschaft herangewachsen ist, zeigt seine Raserei, die wir von ihm haben ertragen müssen.«
»Was kann ich aber für das alles?« warf Vittoria mit Schüchternheit ein.
»Wie? Törin?« eiferte die Mutter, »sah ich es denn nicht (o ja, du kannst es meinem scharfen Auge nicht ableugnen), daß du ihm noch beim Abschied die Hand drücktest?«
»Und wenn es ist«, sagte Vittoria, »gibt es etwas Unschuldigeres? Er tat mir so leid, weiter habe ich mir nichts dabei gedacht.«
»Und du meinst«, antwortete die Matrone, »daß der Ungestüme sich diesen Druck nicht ganz anders wird ausgelegt haben? Für eine Liebeserklärung von deiner Seite hat er ihn genommen. Liebst du ihn wirklich, so tatst du etwas sehr Unrechtes, aber du handeltest ehrlich; liebst du ihn aber nicht, so war es ein armseliger Betrug, und gehört zu jenen schlechten Künsten, mit denen Weiber, die mit Recht verrufen sind, Handel und Wandel treiben, und nur gar zu oft durch fortgesetzte Unwahrheit die edelsten Männer zur Verzweiflung bringen.«
»Du gehst im Eifer zu weit«, sagte die Tochter mit großer Ruhe. »Gibt es denn außer wilder roher Leidenschaft, die unbedingt auf Besitz dringt, und jener kalten toten Gleichgiltigkeit, nichts Edles, Freundliches, Zartes, was zwischen diesen Äußersten liegt? Und, daß ich es dir nur gestehe, ich war dem kleinen Camillo immer gut, aber noch niemals hat er mir so sehr gefallen, als in seiner aberwitzigen komischen Rede, die dich so sehr gegen ihn aufgebracht hat. Diese Kraft hätte ich ihm niemals zugetraut. Ist es denn also möglich, wie du neulich äußertest, daß ich auch noch Leidenschaft und Wunsch nach der Ehe würde kennenlernen, nun so erzieht sich vielleicht meine Zärtlichkeit für [] meinen Mattei noch zu dieser Liebe. So laß denn diesen Gefühlen ihren Lauf und es ergibt sich nach Jahren vielleicht, daß du richtig gesehen hast.«
»Daß der Wahnsinn ansteckend ist, erfahre ich nunmehr ganz deutlich«, sagte die Mutter und sprach nun kein Wort mehr. –
Camillo ging indessen langsam und zögernd nach dem Hause seines Oheims zurück. Ja, ja, sprach er bei sich selbst, recht hat der alte verdrießliche Mensch! Die Vornehmen – sie taugen alle nichts! Nur bei der Armut wohnt Liebe und Tugend! das sehe ich an meinen Eltern, an so vielen Elenden! O dieser verächtliche Hochmut der armen, vergänglichen Sterblichen! – Und diese hochgetürmte weise Hoffarts-Dame! Was ist sie denn Großes? Die Witwe eines wohlhabenden Advokaten und Richters: dazu hätte mein Vater auch gelangen können, wenn er das Vermögen besessen hätte, zu studieren. Sie ist freilich aus einem adlichen Hause: ist aber doch auch zu einem Rechtsgelehrten hinabgestiegen! – Unsinn, daß sich mit dieser Ungleichheit auch die niedrigen Stände brüsten! – Ich, ein Geistlicher! Lieber Kohlenbrenner, Räuber, Bandit! – Und sie – ach ja, da im Saal ist es anders, als da unten, so nah an der Hölle, wo sie sich mir mit allen Kräften und Schönheiten ergab. Warum war ich so dumm und töricht, in diesem Taumel, wo wir die ganze Welt vergessen, nicht mehr zu verlangen? Sie hätt es nicht geweigert. Und was ist es denn Großes? Das Nächste, Natürlichste, was ein einfach unverdorbener Mensch nur denken und begehren kann. War doch Busen, Knie und glänzender Leib schon mein, und in den Küssen entfloh meine Seele über ihre himmlischen Lippen in ihr Wesen hinüber. – Nichts! nichts! Alles ist eitel! Auch sie verwelkt und vergeht, nichts ist echt und wahr, als nur die Zeit und der Augenblick; und diesen muß der Kluge ergreifen! wenn er dazu entschlossen ist, so gehört ihm die Welt.
Zu Hause angelangt, legte er sich nieder, denn er war wieder ein Raub des Fiebers.
Nach Tische wurde der Familie der allbekannte Hausfreund Don Cesare Caporale gemeldet. Mutter und Tochter waren erfreut, den wackern Mann begrüßen zu können, durch welchen sie aus ihrer Verstimmung gerissen wurden, und der ihnen durch seine unzerstörbare Heiterkeit eine anmutige Zerstreuung versprach.
Cesare Caporale war einer jener hohen schlanken Gestalten, die durch den Ausdruck harmloser Gutmütigkeit die Häßlichkeit ihres Gesichtes vergessen machen können. Sein Anstand und [] die Gebärde war edel, und man sah ihm an, daß er viel in der großen Welt gelebt hatte. Die kleine, zurückgekrümmte Nase in dem langen, gebräunten Gesicht, die vielen Falten, gaben ihm neben dem fast Geringen und Possierlichen den Anschein eines höheren Alters, als er wirklich erreicht hatte, denn er war noch nicht fünfzig Jahr. Seine grauen, kleinen und lebhaften Augen verrieten den Schalk, denn sie begleiteten jedes seiner Worte mit so geistreichem Ausdruck, daß viele seiner Aussprüche von seinem Munde witzig schienen, die man oft als Rede eines andern für unbedeutend würde gehalten haben.
Mit seiner gewöhnlichen Gutmütigkeit schüttelte er den beiden Damen die Hand, setzte sich behaglich nieder und sagte: »Da bin ich wieder einmal bei euch, ihr Gotteskinder, und das tut mir wohl, wie die Frühlingssonne dem Kranken. Ich war wieder da hinten in meinem geliebten kleinen Perugia und habe eine Zeitlang fröhlich mit meinen Freunden in meiner Vaterstadt gelebt. Das liebe Nest steht noch auf dem alten Fleck, keine meiner Bekannten ist in diesem Jahre gestorben, in meinem Vaterhause ist mein Quartier für mich immer offen, und so habe ich denn auch die Kirchen wieder besehn, die Berge besucht, und mich an den Gebilden unsers alten Meisters Pietro und seines großen Schülers Raffael erfreut. Wie ich nach Rom komme, höre ich zu meinem Entsetzen, ihr alle hier wäret ersoffen, oder mit Erlaubnis zu sagen, ertrunken, was aber beinah auf eines hinausläuft. Das war ein Lamento bei allen den schönen geputzten jungen Narren, daß es nicht auszusagen ist. Je nun freilich, wenn man hübsch ist, wird man eher vermißt, als wenn man, wie ich leider, mit einer so fatalen Fratze herumläuft. Aber sagt um des Himmels willen, was habt ihr eigentlich angefangen, daß man euch so verleumden darf: denn ich sehe ja, daß ihr hier ganz als vernünftige Wesen auf dem Trocknen beisammensitzt. Die hochgesinnte Mutter, die ausbündige Vittoria, und der hoffnungsvolle Flaminio sind alle wohl behalten, wenn auch etwas nachdenkend, wo nicht gar gelangweilt, was ich aber doch nicht zu voreilig annehmen will.«
Die Mutter übernahm es, ihm in kurzen Worten die sonderbare Geschichte, die so leicht tragisch hätte endigen können, zu erzählen. »Seht! seht!« sagte Cesare am Schluß. »ich habe immer behauptet, daß unsre Virginia für ihre große Gestalt in ihren Gebärden und Bewegungen zu hastig und berührig ist. Dergleichen schickt sich nur für kleine Persönchen, die es manchmal auch recht gut kleidet. Darum halte ich mich mit meinem hohen [] Körper, den langen Beinen und Armen immer so majestätisch. Fällt mir ein lumpiger Ball ins Wasser (ich trage aber niemals einen mit mir herum), so lasse ich ihn wegschwimmen; und dort gar in dem Höllenrachen, den ich immer die Grotte des Neptun genannt habe, obgleich strenggenommen der gewaltige Mann sich mit den Flüssen des Landes gar nicht einläßt. Wenn Ihr dort umgekommen wärt, so hätte ich Euch wohl gar, als Euer alter Anbeter besingen und beklagen müssen, obgleich mir noch niemals ein ernsthafter Vers hat gelingen wollen.«
»Aber habt Ihr uns keine neue Komposition mitgebracht?« fragte die Mutter.
»Der Poet«, antwortete Caporale, »ist zuweilen an Entwürfen und Plänen so reich, daß er darüber gar nicht dazu kommen kann, einen einzigen auszuführen. Ich lief in der schönen Gegend von Perugia viel herum und meditierte. Mein Gedicht über das Leben des Maecenas ist nun fast fertig, aber außer einer neuen Komödie ist mir auch noch ein komischer Vorwurf dort in der Einsamkeit aufgestiegen. Ich dachte mir nämlich, wie Apollo auf seinem Jagdschloß eine Versammlung könnte ausschreiben lassen, daß sich alle, die sich für Poeten hielten, zu ihm einfinden sollten, um aus seinem Munde und von verständigen Richtern und Beisassen ihr Urteil zu empfangen. Die Aufgabe ist häklig und kitzlig: denn wie viele unserer jetzt lebenden Pedanten, oder talentlosen Reimer würde man da ärgern und kränken müssen, darum gebe ich den Gedanken auch vielleicht wieder auf, wenn ich nicht einen anständigen Mittelweg entdecken kann.«
»O Bester!« rief Vittoria lebhaft aus, »da müßt Ihr alle meine Lieblinge recht loben, und diejenigen, die mich immer geärgert haben, recht beißend durchziehn und schwarz abschildern.«
»Zum Beispiel?« fragte der Poet.
»Wen kann man wohl mehr loben«, fuhr sie fort, »als den edlen herrlichen Bernard Tasso, und dessen Sohn Torquato, wegen seines himmlischen Aminta, Schelten müßt Ihr auf den rechhaberischen kritischen Sperone.«
»Geht schon deswegen nicht«, antwortete der Dichter, »weil ich ihn jetzt eben in Rom gesprochen habe, und er sich recht freundlich gegen mich erwiesen hat. – Also um fortzufahren: ich wandelte dort in den Bergen von Perugia sinnend umher, voll Launen und Projekte, Verdruß und Freude. So kam ich auf ein grünes Feld in der Abendstunde, die Sonne ging unter und es gemahnte mich, noch immer draußen zu bleiben. Mit einem Male [] blitzt mich aus dem grünen Gebüsch vor mir etwas so großäugig an, so unnatürlich feurig, daß ich dachte, die Sonne wäre vielleicht umgekehrt: und nun sah ich's, und es war Venus, der Abendstern. Aber noch nie hatte ich ihn in dieser Herrlichkeit gesehn. Nun gut, ich ließ es mir gern gefallen, daß es etwas so Schönes in der Welt und der Natur gab, und ging immer weiter, an mein dummes Gedicht denkend und spekulierend. Auch gibt es wirklich Epochen in unserem Leben, in welchen man die sogenannte Zeit völlig vergißt. So war es mit mir. Der Abend hatte mich ausgehn sehn und die stille Nacht fand mich noch draußen. Wie ich noch so fortwandelte, deucht mir, es erhebe sich im Osten eine Art von lichtem Grau, ein klarer, wallender Schimmer, und wie ich mich noch darüber verwundre (denn ich hatte ganz vergessen, daß es wohl Morgen sein könne), fahre ich im Schrecken zurück, denn wieder blitzt eine solche Glutmaschine, so ein Jupiter, als wenn er eben einer Liebschaft wegen zur Erde gesunken wäre, mir entgegen, ein göttlich glänzender Stern, dicht auf dem grünen Boden, äugelnd im feuchten Grase und den triefenden Granaten liebkosend – und siehe da, was ich für einen zerschnittnen Vollmond hielt – nur reiner, weißer glänzend – sei es Jupiter, Mars, Sirius – mir war es, dem Unwissenden, die göttliche Aphrodite, die Göttin der Liebe. –
Ihr holdseligen Frauenbilder, da besann ich mich mit wahrer Andacht auf euch; Ihr Julia seid mein leuchtender Abend –, Ihr Vittoria mein strahlender Morgenstern und nun ließ es mir keine Ruhe, bis ich wieder hierher zu euch kam. Mag der Himmel mit Millionen Gestirnen prangen, für mich hat er doch nur die eine Venus. Nicht wahr Gevatterin?«
»Ihr seid galant, Don Cesare«, erwiderte Julia, »und dabei ein Poet. Wie schade, daß Ihr und so manche Euresgleichen doch Weiberfeinde seid.«
»Glaubt Ihr an das Märchen?« fragte Caporale. »Nur häßliche Männer, und die von den Frauen nicht begünstigt worden, stellen sich als Weiberfeinde. Es ist keinem Sterblichen Ernst damit und kann es auch nicht sein. Denn diese Kaprice der Natur, daß sie Weiber geschaffen hat, ist es doch einzig nur, weshalb es sich, der Mühe lohnt, zu leben. Alle die Schwächen, Widersprüche, Treulosigkeit, Mangel an Charakter, ausgemachte Schlechtigkeit selbst, was diese Moralisten immer und immer wieder aus heiserer Kehle ausschreien, ist ja immer nur die weibliche Natur, die sie nicht zu würdigen wissen. Wer jemals ein Weib geliebt hat, wen jemals auch nur ein Weib wahrhaft beglückt hat, der wird [] ihre Lügen und Albernheiten höher als Aristoteles, Wahrheit und Platons Weisheit schätzen. Und so – kann ich den Morgenstern kritisieren? Verlang ich Tugend oder Moral von ihm? O du ewige, unbegreifliche Schönheit, du himmlisches, unsterbliches und doch so vergängliches Kleinod der Liebe und Wollust, wie roh gehn auch mit dir die Menschen um, und hantieren so abgeschmackt mit der Göttlichkeit, als wenn es eben auch ein Brett oder hölzernes Gestell wäre, um alten vergessenen Plunder darauf aufzubewahren.«
»Werdet nicht so ernsthaft«, sagte die Mutter, »und erzählt uns lieber, was Ihr in Rom Neues erfahren habt.« –
»Potz Blitz!« rief der Poet aus, »das ist eben das Kennzeichen unsers Jahrhunderts, daß es gar nichts Neues gibt. Wenn Ihr das nicht etwa so nennt, wodurch jeder Quark eine Neuigkeit wird. So bastelt unser Heiliger Vater Gregor immer und ewig an seinem neuen Kalender, als wenn wir damit ein reelles Gut gewönnen, daß das Dümmste und Unbegreiflichste der Schöpfung, die Zeit, neu eingeteilt würde. Das neue Jahr soll nun nicht mehr mit Ostern und dem Frühling, sondern mit dem kalten trivialen ersten Januar anheben; und so mehr dergleichen. Bis jetzt glaubten wir, daß die Päpste nur für die sogenannte Ewigkeit sorgten, aber jetzt werfen sie sich auch in die irdische Zeit, um da aufzuräumen. – Neues in Rom? Nun, daß die Kardinäle gegeneinander intrigieren, daß viele Fremde wegen des Jubiläums nach Rom gekommen sind, daß die Kirchen und die heiligen Orter besucht werden, daß man erzählte: der ruchlose Ambrosio sei mit einer ganzen Bande eingefangen worden.«
»Ambrosio?« fragte die Mutter; »wo ist der Bösewicht gefangen worden?«
»Man sagt in Subiaco«, antwortete der Dichter ruhig: »die Bande hatte dort in der Nacht das Haus der Magistratsperson erbrochen und geplündert, den Mann aber selbst höher in das Gebirge hinaufgeschleppt, um an ihm Rache zu nehmen, weil er sich im Verfolgen der Räuber besonders tätig erwiesen hatte. Doch haben die freiwilligen Milizen sie in ihrem Schlupfwinkel überrascht und das ganze Nest aufgehoben.«
Die Matrone ward nachdenkend, und Caporale begriff nicht, wie diese Neuigkeit sie so verstimmen könne. »Es ist furchtbar«, nahm Vittoria das Wort, »wie diese Räuberscharen sich in unsrer Zeit vermehren und noch täglich anwachsen. Von den Großen und Mächtigen beschützt, hat fast jede Familie ihre Bande, man bekämpft sich öffentlich, wie in einem Kriege.«
[] »Ja«, sagte Cesare: »diese Orsini, Colonna, die Florentiner, die Ferrareser, alles hat seine geworbenen kleinen Heere in unserer Stadt und dem römischen Gebiet. Der Heilige Vater sieht durch die Finger und fühlt sich zu schwach, dem Unwesen zu steuern. Rache und Meuchelmord werden als Edeltat angesehn und es herrscht eigentlich nur so viel Sicherheit, als jene Mörder uns gönnen wollen. Auch der Privatmann ist fast gezwungen, mit dieser oder jener Bande einverstanden zu sein, um nicht von allen beschädigt zu werden.«
»Ich mag an alles dies gar nicht denken«, warf jetzt die Mutter ein; »denn ein Grauen befällt mich, als wenn unser Eigentum und Leben nur vom Zufall abhingen und wir jedem Entsetzen preisgegeben wären. Alle Gespenstergeschichten, die ich in meiner Jugend hörte, erwachen dann in meinem Innern, und unser Geist ist der Sklave von nichtswürdigen Vorstellungen, die in unsern Nerven auf und ab rieseln und uns das Haar emporsträuben.«
»Nein, Mutter«, rief Vittoria: »scheltet mir nicht auf meine lieben Gespenster und das poetische Grauen, das bei Anhören dieser Geschichten unsern Geist gefangennimmt. Das ist wie kühler Morgenwind, der durch den Eichenwald braust und alle Blätter in zitternde Bewegung setzt. So erfrischend und wundersam sind auch die Legenden von wiederkehrenden Gestorbenen, von den dunkeln Dämonen, die an einsamen Seen ihr Wesen treiben, jener seltsamen Kobolden, die uns in gefährliche Sümpfe, oder im Gebirge an Abstürze locken sollen; dann die Orakelstimmen in einsam abgelegenen Tälern, die Fähigkeit Wahnsinniger oder Kranken, die Zukunft deutlich zu sehn, oder in fernen Gegenden den Freund wahrzunehmen, und alle die Märchen von Zauberern und Beschwörern, von den Bündnissen mit bösen Geistern. Schon des wunderlichen und rätselhaften Abano oder Pietro Apone wegen möcht ich gar zu gern einmal nach Padua reisen, um mir sein Haus mit dem großen Saal und seinen Brunnen zu betrachten. Käme so ein großes oder kleines Gespenst in mein einsames Zimmer, so würde ich freilich erschrecken, aber mich auch dieses Erschreckens freuen, und es recht bis in meine innersten Kräfte hinein mit meinem Bewußtsein durchgenießen. Ansehn würd ich mir das Wesen, das mich seiner Bekanntschaft würdigte, und gewiß ohne fieberhaftes Entsetzen von ihm Abschied nehmen. Ich habe mir den Fall oft genau durchgedacht und bin meiner Fassung gewiß. Nein, das Geisterreich bietet uns die Schrecken nicht, die der Wirklichkeit zu Gebote stehn.«
[] »Wie meint Ihr das, Ihr poetische Amazone?« fragte Don Cesare.
»Eine Vorstellung«, antwortete die Jungfrau, »verfolgt und ängstigt mich von meiner frühesten Jugend. Ich bin allein in der tiefen Nacht, meine Familie ist schlafen gegangen, meine Dienerin ist verabschiedet, ich will mein Lager besteigen und die Lampe löschen, als plötzlich vor mir schreckliche Bösewichter mit geschwärzten Gesichtern und dräuenden Waffen stehn: ich wende mich um, Hülfe rufend, und auch von dort treten mir scheußliche, unbekannte Figuren entgegen. Nirgend Rettung, Hülfe; das Wort stockt mir im Munde, der Atem versagt, die Brust klopft zum Zerspringen; ganz ohnmächtig und doch klar alles sehend, rücken die Verruchten und der Mord mir näher und näher. – Seht, indem ich davon spreche, bin ich halb wahnsinnig vor Entsetzen. – Hinweg du abscheuliches Bildnis! – Und könnt Ihr leugnen, daß nicht dergleichen schon hie und da vorgefallen ist? Wir alle haben von solchen Überfällen gelesen! Und kann dergleichen sich nicht wiederholen?«
»O Kind«, rief Cesare, »Ihr ängstigt mich über die Maßen. Beruhigt Euch, entfernt diese niederträchtigen Vorstellungen aus Eurem Gemüt, verbannt sie völlig, zerstreut Euch und entwurzelt diesen Unsinn, der in Euren Geist so scheint es, schon tief hineingewachsen ist. Denn Eure Darstellung erweckt zu meinem Grausen auch mir eine alte Grille in meinem Innern. Ich kann mich nämlich durchaus nicht von dem Aberglauben losmachen, daß dergleichen, wenn man es sich immer und immer wiederholt am Ende eben dadurch, wie durch unbewußte Magie zur Wirklichkeit hinauswächst. Die Phantasie ist auf die Weise der Boden, in welchem später dieses giftige Unkraut als wahrhaftiges hervorsprießt. Um Gottes willen, laßt diese fatalen Spiele der Imagination bleiben.«
Die Mutter schauderte. »Sollte denn«, sagte sie nach einer Pause, »unsre Seele diese ungeheure Kraft besitzen, durch die Vermittlung der Imagination so was zu erzeugen? Oder ist es nur die Fähigkeit, das Unvermeidliche der Zukunft vorauszusehn, die sich in dergleichen Furcht und gespenstige Vision umbildet? Was ist doch überhaupt mein Ich? Warum sagen wir immer so leicht hin: mein Geist, meine Seele, als wenn noch ein andrer Regent höher über diesen Regierenden in uns stände?«
»Ja wohl«, sagte Caporale, »kommt man mit dem Denken über diese Geheimnisse niemals zu Ende. Wir erkennen uns nur in den Funktionen unserer Kräfte, in unserer Tätigkeit: so wendet [] sich unser Bewußtsein und unsre Denkkraft immerdar von uns ab, und sieht sich nur entstaltet und unkenntlich in einem trüben, schlecht geschliffenen Spiegel, der unser Wesen verzerrt. Ist nun unser Geist, oder unsre Seele schon einmal dagewesen? Ist er ein gesunkener Geist, der in bestimmten Perioden seiner Verwandlung in einen frühern seligen Zustand durch Tat, Reue, Buße, hiesiges Leben zurückkehrt? Ist er ein Funke aus Gott, bei der Geburt neu entflammt herabgesendet?«
»Ihr seid ein arger Ketzer«, sagte die Mutter.
»Ich frage nur zweifelnd an«, antwortete der Dichter, »was unsre Seele sei, so wie Schrift und Kirche, soweit ich sie kenne, auch nichts Bestimmtes darüber aussagen. Es bleibt immer nur übrig: Ich bin ich.«
»Kinderei!« rief lachend Vittoria: »wer es wissen will, was die Seele ist, der komme nur zu mir, denn ich weiß es ganz genau.«
»Du?« sagte die Mutter, indem sie groß aufsah.
»Ich möchte mich«, sagte der Poet, »zu Euren Füßen niederwerfen, und so, demütig im Staube, von der hohen Sybille das heilige Orakel empfangen.«
»Vernehmt!« rief die Tochter – »die Seele ist ihrem wahren Wesen nach, eine kleine graue Maus.«
»Virginia!« rief die Mutter zürnend, »schämst du dich nicht, so albern zu sein? Oder soll diese Kinderei Witz und schalkhafte Laune bedeuten?«
»Auch in Bernis Gedichten«, sagte Caporale, »die doch so manches Unbegreifliche erzählen, erinnere ich mich nicht, diesen oder auch nur einen ähnlichen Ausspruch gefunden zu haben.«
»Es soll aber auch gar nicht Spaß bedeuten«, erwiderte die Jungfrau, »sondern es ist mein vollkommener Ernst. Die Kenntnis der Sache ist mir auch schon vor mehreren Jahren geworden, wo sie mir in einem allerliebsten Buche vorkam, dessen Titel ich leider nachher in meinem Leichtsinn vergessen habe. Es ist nämlich eine Geschichte, der ich meinen Glauben verdanke, und diese will ich euch jetzt erzählen:
Vor alten, uralten Zeiten gab es einen Herzog von Burgund, der irgendwo in von hier weit, weit abgelegenen Gegenden sein Land, seine Herrschaften, und hochgelegenen Schlösser hatte. Irre ich nicht ganz, so lebte und regierte er in einem Teile von Deutschland, nicht fern vom Rheinstrom. Nun war dieser Herr oft von seinen Feinden bedrängt, doch war er immer siegreich aus allen Kämpfen nach seinem Schlosse zurückgekehrt. Es war schon damals eine Erfindung und ein Unglück aufgekommen, [] welche uns auch in den neuesten Zeiten oft quälen. Der Herr hatte nämlich Schulden; der Krieg hatte für Vasallen und Söldner seinen Schatz gänzlich ausgeleert. Sooft er in seine Schatzkammer ging, sah er nur die leeren Wände, und wenn er Truhen und Schränke aufschloß und hineinschaute, so blickte ihm immer wieder ein trostloses Nichts entgegen. Um sich zu zerstreuen, ritt er mit einem vertrauten Knappen in einen schönen dichten Wald hinein. Es lief schon seit Jahrhunderten im Volk ein Märchen um, daß irgendwo, aber kein Mensch konnte den Ort bestimmen, ein unendlicher Schatz von Gold, Perlen und Juwelen aus Bosheit sei versteckt und verzaubert worden, so daß keine Wünschelrute, kein Beschwörer und Hexenmeister diese Fülle unermeßlicher Kostbarkeiten je wiederentdecken könne. Wie es wohl die Armen, Notgedrängten zu machen pflegen, so hatte sich auch der gute Herzog mit seinem treuherzigen Knappen von diesen verzauberten Goldklumpen unterhalten, und sich an diesen versteckten und verlornen Diamanten und Rubinen getröstet und erfrischt. Müde vom Reiten und Schwatzen, nachdem sie tief in den schönen grünen Wald hineingeritten waren, stieg der Fürst vom Pferde und band es an einen Baum. ›Wir haben selbst den Fußsteig verloren, hier ist es so schön ruhig und einsam still‹, sagte der Herzog; ›bewahre und bewache mich, mein getreuer Gottfried, denn eine süße Müdigkeit schleicht mir in mein Gehirn und drückt mir die müden Augen zu.‹ So geschah es, der Herzog fiel in einen erquickenden Schlaf, und der Diener wachte, daß kein Tier oder Gewürm seinem verehrten Herrn nahen und ihn beschädigen möge. Der Atem des Fürsten, die Brust ging hin und her und auf und ab: er lächelte, denn ihn mochte ein angenehmer Traum besuchen. Plötzlich stockte der Atem, im Gesicht zeigte sich Aufspannung und Anstrengung, und mit einem Male sprang ein ganz kleines graues Mäuschen aus dem halb geöffneten Munde. Nun lag der Herzog da, wie tot, ohne Atem und die mindeste Bewegung. Das kleine Mäuschen aber sah sich mit funkelnden Äuglein im Grase neugierig um und schlüpfte endlich zwischen den Blumen fort und etwas mehr in den Wald hinein, doch nicht so gar weit vom Fürsten, der nur als starre Leiche noch regungslos dalag. So war der Knappe denn in seinem Erstaunen und Schrecken doch begierig, was sich aus dem Wunder ergeben würde: er ging also ganz leise und behutsam dem Tierchen nach, behielt aber dabei immer seinen totscheinenden Herrn im Auge. Bald mußte das Mäuschen stille stehn, denn es kam an einen Bach. Das Wässerchen war nur so schmal und klein, [] daß es jedes Kind mit einem Schritte überschreiten konnte, und es floß so still und bescheiden über die Wiese und unter den grünen Büschen hinweg, daß es die Reiter vorher weder gesehn noch gehört hatten: für die Maus aber war es ein Strom, breiter als unsere Tiber. Und da sie durchaus hinüber wollte, lief sie ängstlich, bald links, bald rechts dem Ufer entlang, ob sie wohl eine trockene Stelle fände, oder ob irgendwo vielleicht das Bächlein so schmal würde, daß sie hinüberspringen könne. Der gutmütige Knappe sah nicht ohne Teilnahme, wie das kleine Wesen sich abängstigte. Er schaute sich um, fand aber kein dürres Holz, zog also seinen Hirschfänger mit dem silbernen Griff aus der Scheide und legte die blanke Waffe über das Wasser. Die Maus schien erst erstaunt, trat dann aber behutsam und zögernd auf den glatten, spiegelnden Stahl und ging hinüber, worauf sie sich bald in das nahe Gebüsch verlor und in eine kleine Höhle sprang, die sich in einem grün bemoosten Felsensteine zeigte. Der Fürst lag noch tot, wenige Schritte hinter dem Knappen. Diesem ward bange, wie der Ausgang sein würde, und seine Angst stieg immer höher, je länger das Tier ausblieb. Wie, wenn der Fürst sich gar nicht wiederbelebte? Würden die großen Vasallen, würde der Thronerbe ihm wohl diese Mausgeschichte glauben? Da wohl mehr als eine Viertelstunde verflossen war, wollte er schon seinen Degen wieder in die Scheide stecken, den starren Herren aufrütteln, und wenn dieser sich gar nicht regte, vielleicht in alle Welt reiten, um nicht für einen Mörder, der vom Feinde bezahlt sei, angesehn zu werden. Siehe da springt das kleine Wesen, seine Augen noch heller glänzend, wieder aus dem Gebüsch hervor, sieht sich um, setzt die netten Beine prüfend wieder auf den Stahl und wandelt behutsam bis an den Griff. Gottfried nimmt seine Waffe und die Maus rennt wieder zum Herzog. Der Diener zweifelt, ob er sie nun nicht doch greifen und festhalten soll, weil es ihm unziemlich dünkt, daß ein solches Getier seinem Herzog im Gesicht herumspazieren, oder gar in den Mund kriechen soll. Aber ehe er noch einen Entschluß fassen kann, ist jene schon wirklich zwischen den Lippen des Fürsten wieder in diesen hinein. Kaum war es geschehn, so kehrte auch das Lächeln auf das Antlitz zurück, die Brust atmete wieder, und nach kurzer Zeit richtete sich der Herr auf, sah um sich, die Besinnung wiederzufinden, und schüttelte sein Haupt, als wenn er die letzten Flocken des Traumes aus seinen Haaren schütteln wollte. Lächelnd sah er den Knappen an und sagte dann zu diesem: ›Setz du dich noch zu mir her in dieses grüne Gras, denn ich muß dir den seltsamsten Traum erzählen, [] der nur jemals mein Gehirn besucht hat. – Ich war kaum hier auf dieser Stelle eingeschlafen, als mir dünkte, ich ginge von hier weit, weit in den dicken, dunklen Wald hinein. Aber wie war um mich die Natur verwandelt! – Das, was ich für Gras halten mußte, waren hohe, hohe, dicke Binsen, die weit über meinem Haupte hinwegragten: ungeheure Büsche schlugen über mir zusammen, und als ich schon weit gewandelt war, hörte ich plötzlich ein ungeheures Tosen, und ein Brüllen, wie von großen Wasserfluten. Und so war es denn auch. Ein breiter Strom, dessen jenseitiges Ufer ich kaum absehn konnte, stand mir gegenüber. Ich lief bald hier-, bald dorthin, denn etwas Unbeschreibliches trieb mich an, als wenn ich durchaus jenseits des breiten Flusses gelangen müsse. Ich spähte aufmerksam nach einem Schiffe, Fahrzeuge, oder dem kleinsten Kahn; aber so weit ich auch lief, sosehr ich auch mein Auge anstrengte, war nirgend dergleichen zu erspähn. Noch viel weniger eine Brücke, die mir das Liebste gewesen wäre. So in Verzweiflung geschah plötzlich etwas, wie man es nur in alten Wunderschriften vernimmt. An demselben Orte, wo ich mich vergeblich umgeschaut hatte war plötzlich eine große, lange und breite Brücke – aber welche! von purem, spiegelblanken, geschliffenen Stahl, ohne Geländer und Brustwehr im Sonnenstrahl blendend und glänzend. Was war zu tun? Behutsam, vorsichtig betrat ich die glatte Bahn, langsam vorschreitend, um nicht auszugleiten und in den mächtigen Strom zu stürzen. Ich kam glücklich hinüber. Nun war ich wieder in einem dichten, dunkeln Walde, und nachdem ich noch viel gewandert war, geriet ich in eine hohe, geräumige Felsenhöhle – und – was erblickt ich da? Tonnen, hohe, dick mit Goldstücken angefüllt; ich mußte lange, lange hinanklimmen, um den Rand der mächtig hohen Fässer zu erreichen; schwere Goldbarren lagen auf dem Boden, vermischt mit dem köstlichsten Gestein von aller Art und allen Farben. Ich besahe mir alles genau, und verharrte lange in diesem verzauberten Schatzgewölbe. Ich nahm mir vor, mir die Merkmale genau einzuprägen, um die Stelle wiederzufinden, und so verließ ich endlich den dämmernden Felsenkeller. Ich ängstigte mich, ob die stählerne Brücke auch noch da liegen würde. Richtig, sie war nicht verschwunden. So nun wieder den langen Gang hierher – und ich erwache, traurig, daß alles nur ein Traum gewesen ist. Sieh so war dies Gesicht nur eine Fortsetzung unseres Gespräches, die Begier nach Schätzen, die in meiner Armut wohl natürlich und verzeihlich ist. – Aber du sprichst nichts Gottfried? – Du schüttelst den Kopf? Du glaubst mir nicht.‹
[] – Dieser gute Mann war in seinem poetischen Erstaunen nur darüber verlegen, wie er es seinem Herrn eröffnen solle, daß er ihn selber als Maus aus seinem Körper habe auswandern sehn. Er faßte sich endlich ein Herz und erzählte ganz einfach, was er erlebt hatte. Sie gingen die wenigen Schritte, sprengten mit den Schwertern die Öffnung der Höhle, um sie zu erweitern, und fanden dann wirklich einen unermeßlichen Schatz von Gold und Edelsteinen. Der Herzog blieb als Wächter zurück, der Knappe eilte nach der Stadt, holte Rosse, Geschirre, Wagen und getreue Diener und der Tag verging, ehe man alle Kleinodien aus der Höhle aufgeladen hatte. So wurde dieser burgundische Herr der reichste Fürst seiner Zeit und demütigte alle seine Feinde unter seinem Szepter. Und ich wenigstens habe aus dieser wahren Geschichte soviel gelernt, daß unsere Seele in ihrem natürlichen Zustande eine graue Maus sei.«
»Gesegnet der Mann«, sagte Caporale nachdenkend, »der dich einmal heimführen wird. Ich verlasse euch jetzt, ihr geliebten Weiber, und bitte nur um die Erlaubnis, auch morgen einen Gast herzubringen, der euch, Signora, und auch diese junge Dichterin will kennenlernen. Ihr seid ja Fremden immer gütig und werdet mir meine Bitte nicht versagen.«
»Wollt Ihr nicht«, fragte die Mutter, »Euer Stübchen oben in Besitz nehmen?«
»Nein«, erwiderte jener, »ich darf es diesmal meinem Dornherrn nicht abschlagen, der mich schon mit dem Abendessen erwarten wird.«
Indem hörten sie ein lautes, gewaltsames Klopfen an die äußere Tür. Es war schon finster geworden, und der Diener eilte mit dem Licht hinaus. Verstört und die Kleider in Unordnung stürzte Marcello herein. »Um Gott!« rief die Mutter, »was gibt's? was ist dir?«
»Versteckt mich nur auf einige Tage«, rief der verwilderte Jüngling, »daß mich keiner bei euch findet. Ha! Don Cesare? Nun, der lustige Poet wird mich ja wohl nicht verraten.«
Die Mutter ging im Saale auf und ab und rang, Tränen vergießend, die Hände. Sie hatte ganz ihre Fassung verloren. »Mein Sohn ein Bandit!« schrie sie, »vogelfrei! Wohl ein Preis auf seinen Kopf gesetzt! O Himmel, wodurch habe ich mich so schwer verschuldet, daß ich dies erleben muß. War es doch immer mein stolzer Traum, daß ich, wie die Mutter der Gracchen, in meinen Kindern, um die mich die Welt beneiden müsse, meine höchsten Kleinodien sehn könne.«
[] »Fackelt nicht lange!« schrie Marcello ungezogen; »diese lieben Söhne der prahlerischen Cornelia wurden auch nachher als Rebellen und Meuterer von andern sehr würdigen und tugendhaften Männern totgeschlagen.«
»Kommt morgen«, sagte der Fremde, »in meinem Wagen mit mir nach Rom. Ihr könnt meinen Diener vorstellen, und in der großen Stadt mögt Ihr Euch viel leichter auf einige Zeit verbergen, bis Ihr nachher mit Sicherheit die Flucht ergreifen könnt. Ich werde Euch morgen mit Tagesanbruch abholen.«
Die gedemütigte Mutter half den Jüngling in einem abgelegenen Gemach, in dem sich ein tiefer Brunnen befand, verbergen. Als am Morgen Don Cesare den Flüchtling abholen wollte, war er verschwunden, und auch Camillo hatte seinen Oheim ohne Abschied verlassen. Man mußte vermuten, daß sich beide mitsammen entfernt hätten. –
Die Mutter war durch den neuesten Vorfall so erschüttert, daß sie am folgenden Tage lange auf ihrem Lager blieb, und sich erst erhob, nachdem ihr Sohn Flaminio und Vittoria die fremden Gäste schon angenommen hatten. Als sie in den Saal trat, fand sie die Gesellschaft im lebhaften Gespräch. Sie suchte sich zu zerstreuen und spannte sich zu einer erzwungenen Heiterkeit.
Der fremde Mann, welcher mit dem wohlbekannten Dichter gekommen war, schien ohngefähr dreißig Jahr alt zu sein. Er war schlank, groß und wohlgebaut, seine Gebärde edel, das Auge schön und feurig. Vittoria vermutete, daß auch dieser ein Dichter sein könne, da er mit dem alten Hausfreunde erschien, und die Gelehrten aus allen Provinzen Italiens gern die Familie der Accoromboni aufsuchten. Der Fremde war sehr freundlich und von den edelsten Sitten, mehr ernst als heiter, und auf seinen Wunsch beschloß man die Villa d'Este zu besuchen, von deren Pracht und Schönheit in ganz Italien die Rede war.
Als sie die Villa erreicht hatten, ward ihnen der Eingang gestattet, weil die Besitzerin nicht zugegen war. Der Fremde schien sehr aufgeregt und ward von den Kostbarkeiten, Gemälden und dem Schmuck der Zimmer entzückt: und begeistert. »Wie glücklich«, sagte er, »könnten die Fürsten sein, denen alles dies zu Gebot steht, und die sich ein solches Dasein bereiten mögen. So umgeben, nichts Niedriges, Ärmliches in ihrer Nähe, wohin sie [] blicken nur von Kunst angeschaut, von Schönheit umleuchtet, Erinnerung an Geschichte und große Vergangenheit, die edelsten Geister, die Raffael, Michelangelo und Julius der Römer für sie in Tätigkeit – und doch –«
»Ja wohl«, sagte die ernste Matrone, »wohnt nur sehr selten in diesen herrlichen Palästen das wahre Glück. Das Schicksal und die Umstände, die Verhältnisse des Menschen sind immer mächtiger, als der Mensch selber. Der Einsame, Unabhängige stürzt sich aus seiner Freiheit in Dienst und Abhängigkeit, um das zu suchen, was er Glück nennt: und jener, der im Glück zu schwelgen scheint, von vornehmen Freunden umgeben, im Glanz des Reichtums, wünscht sich nur allzuoft in die verlassene Einsamkeit des dürftigen Waldbruders. Freiheit ist ein edles Wort und hat einen herrlichen Klang, es ist aber nur ein Wort, ein verhallendes, ohne Wesen und Inhalt. Die wahre Freiheit ist nur im Tode.«
Der Fremde sah die hohe Frau verwundert an, und Caporale sagte: »Ihr seid heut, verehrte Freundin, aufgeregt; gönnt der Natur und dem schönen klaren Licht, das so herrlich dort die Gebirge beglänzt, Euch aufzuheitern.«
»Zu zerstreuen«, sagte sie: »muß doch das Edelste der Natur und Schöpfung nur gar zu oft, sich herabwürdigend, dazu dienen, uns von uns selbst zu entfernen.«
»Um uns doch nur«, bemerkte der Fremde, »dort in diesen Gegenständen edler und vollkommener wiederzufinden. Das Wahre, Gute in uns kann uns niemals verlorengehn.«
»Weil es vielleicht nicht da ist«, sagte Signora Julia, tief seufzend. »Verzeiht, mein edler Herr, dessen Namen ich noch nicht einmal weiß: Eure Liebenswürdigkeit hat mich verleitet, Euch nach dem ersten Anblick als einen alten Freund des Hauses zu behandeln, vor dem ich nicht nötig habe, meinen Kummer zu verbergen. Doch ist es wohl besser und schicklicher, hier in diesen poetischen Umgebungen eine andre Sprache zu führen.«
Jetzt verließen sie das Haus und betraten den schönen, künstlichen Garten. Vittoria ging schweigend an der Seite der Mutter, auch der heitre Don Cesare war ernst geworden, und der Fremde war ganz der Betrachtung und Bewunderung der vielfachen Anlagen, dem Wechsel der Gebüsche, der Majestät der Bäume, der Pinien und Zypressen, dem schimmernden Glanz der vielfachen Blumenbeete hingegeben. Am meisten entzückten ihn aber die mannigfaltigen Wasserkünste, die in sinnreichen und versteckten Erfindungen bald in kleinen Erzfiguren den Gesang der Vögel nachahmten, bald aus menschlichen Gestalten die Töne der Laute [] und vielfachen Gesang bildeten; so wechselten Sirenen und Wassertiere in seltsamen Gruppen, so spielten die Nereiden und Pan und Schäfer die Wasserorgeln, die Syrinx und Flöten und Pfeifen, dort klang die ländliche Schalmei und ferner ab rieselte das Element, welches erst zur künstlichen Musik abgerichtet war, als klarer Bach in seinen Naturtönen dahin.
Als der Fremde in den Ausdrücken seines Lobes immer enthusiastischer wurde, konnte Vittoria nicht länger schweigen, sondern ließ sich, beinah zürnend, in diesen Worten aus: »Ich weiß es wohl, daß alle Welt diesen Garten und diese tönenden Kunststücke bewundert. Ärgert Euch nicht an mir, teurer Mann, wenn ich Euch gestehe, daß ich immer nur ohne Freude diesen Plan betreten habe, da es mir schien, als wenn Kunst und Natur hier gleich sehr verletzt würden. Die wahre echte Kunst ist hier in eine Künstlichkeit, in eine Seltsamkeit hineingeschraubt, die wohl Erstaunen und Verwunderung, nicht aber wahre Freude erregen kann. Die Natur ist gewissermaßen vernichtet, denn sie muß hier in den sklavischen Dienst von gezierten Spielereien treten, die nicht einmal eine Täuschung hervorbringen können, und die ermüden, wenn man den ersten Genuß der Neugier und Verwunderung hinter sich hat. Wie anders wirkt ein gutes Gemälde, ein Werk des Bildhauers, Palestrinas Musik, eine freie Landschaft, dort der himmlische Wasserfall. Ist es nicht hier, als wenn man die Träume eines Fieberkranken wirklichmachen, und etwas erreichen wollte, was über unser menschliches Vermögen hinausreicht? Jedesmal aber, wenn der Mensch einen solchen Versuch eitlen Hochmuts unternimmt, sinkt er unter sich selber hinab.«
»Ei! ei! mein schönes Fräulein«, rief der Fremde, sie verwundert ansehend, »wie erklingen in so zarter Silberstimme aus so reizendem Munde diese herben, verdammenden Worte? Hat Euch niemals eine Sestine, oder eine recht künstliche Kanzone begeistert? Wie haben unsre Natursprache, den Laut, der immer so gern wieder in das Bäurische zurückfällt, unsere Petrarka, Bembo, Molza, Bernard Tasso, und so manche andre erzogen! Und diese mechanischen Erfindungen, die an sich selbst nur Staunen und ein leichtes Ergötzen erregen könnten, sollten vom Genius nicht in seinen Dienst genommen werden, um auch diese Dinge, die auf Linien, mathematischen Grundsätzen und arithmetischen Zahlenverhältnissen ruhen, in die höchste poetische Freiheit der Phantasie einzuführen? Wenn Euch dort die Natur und der erhabene Wasserfall mit Recht begeistert und für Momente [] Eure ganze Seele ausfüllt, so ist hier dieselbe Natur in ihrer lieblichen Erscheinung nur in eine Regel gebunden, um sie wieder auf andre Weise in die höchste poetische Freiheit hineinzuführen. Diese geraden Baumgänge, diese abgeteilten und abgezirkelten Blumenbeete sind ja nur wie die Stanzen oder Terzinen eines lieblichen Gedichts, wo das Wort der gewöhnlichen Rede auch mit wahrer kindlicher Freude, mit Übermut, in die Regel hineinspringt, um sich selber süß und edler zu vernehmen. Und diese Wasser, Bildsäulen, Vögel, Scherz und Ernst, Schauer und sanfte Wollust, in diesen krausen Gebüschen, zwischen Myrten und Lorbeer und den finstern Zypressen, die ausgebreitete Pinie dort, das Rieseln, Flüstern in den Wipfeln, mit Duft und Echo gemischt, diese fast menschlichen Töne, der Vogelgesang, dort das Gebirge, über uns des Himmels lichte Bläue, das süße Spiel der Lichter, der dunkelnde Schatten – braucht der Mensch in diesem Traum der Wollust noch jenen Jupiter um seine Göttersäle zu beneiden?«
»Schön!« sagte die Mutter, »sieh, mein Kind, da hast du einmal einen Gegner gefunden, der dir deinen Eigensinn brechen könnte, wenn es ihm wichtig genug wäre, dich in die Lehre zu nehmen.«
»Kann sein«, sagte Vittoria, »daß dasjenige, was ich Natur, Schönheit und Freiheit nennen möchte, doch wieder ein zu enger Begriff ist, der wohl wieder zur Gebundenheit und Unfreiheit führen könnte. Und doch mag ich mein Wesen nicht willkürlich erziehn; ich muß erst das selbst in mir erleben, was eben jetzt der werte Fremde ausgesprochen hat: es ist mir unmöglich, nachzusprechen, was ich nicht selbst einsehe, oder künstliche Wege zu suchen, um mein nächstes Gefühl gegen meine Natur mir zu erziehn. Auch bei Büchern und Gedichten habe ich es nie vermocht und ich will lieber für mich selbst irregehn, als nachfühlend und sprechend mit einem andern recht haben.«
Doch, meinte der Fremde, müsse man sich vielleicht in Schriften und Gedichten nach andern und jenen Regeln fügen, die sich schon seit alten Zeiten als Kritik geltend gemacht hätten.
»So widersprecht Ihr Euch aber selber!« rief Vittoria aus. – Sie hätten wohl länger gestritten, wenn nicht eine merkwürdige Erscheinung, die sich jetzt in der Nähe zeigte, ihre Aufmerksamkeit in Anspruch genommen hätte. Ein alte Frau trat in Begleitung eines jungen, sehr reich gekleideten Mannes, aus dem nahen Gebüsch. Sie war groß und stark, von männlichem Ausdruck und bräunlicher Farbe, an Kinn und Oberlippe zeigte sich selbst ein [] leichtes Bärtchen. Alle verbeugten sich ehrerbietig, standen still, und ließen die beiden Gestalten vorübergehen, die sich dem Schlosse zuwendeten. Als sie enfernt genug waren, fragte der Fremde: »Wer war diese Dame, die fast das Ansehn eines starken, ältlichen Mannes hatte?« -»Die jetzige Besitzerin dieser Villa«, nahm Caporale das Wort, »jene weltberühmte Margarete von Parma, die Tochter des großen Kaisers, des fünften Karl.«
»Ist es möglich«, rief der Fremde aus, und schlug die Hände ineinander, »daß ich gerade hier eines solchen Anblicks gewürdigt werden soll? Dieses Denkmal alter Begebenheiten, dieses große Monument mächtiger Zeiten, dieser freie große Charakter unsrer Geschichte ist an mir vorübergegangen, wie ein Bild des Phidias oder Lysippus. Aus dem Traum der Poesie und Kunst halb erwacht, stehe ich plötzlich in der Wundersage der Historie, und es fehlt mir an einem Maßstabe, mich gleich wieder zurechtzufinden. Sie, die Arme, die aus Politik, fast noch ein Kind, einem grausamen, wilden Medicäer, dem Herzog von Florenz, Alexander vermählt ward, die dann seine Ermordung erleben mußte, (volle vierzig Jahr sind es jetzt,) die nachher wieder verheiratet wurde, dann vom Bruder als Regentin nach den Niederlanden geschickt ward, wo sie sich als wahre Königin klug, stark und groß zeigte, in der schwierigsten Lage, ein echtes, edles Gegenbild jener großen Elisabeth von England, bis sie falscher Politik, der Kabale und dem blutdürstigen Herzog Alba weichen mußte. Was hat sie alles gesehn, erlebt und erfahren. Wie müssen ihr die Welt und deren Fürsten, die Widersprüche, die Schwächen der Menschen, Unglück und Glück erscheinen.«
»Ja wohl«, antwortete Donna Julia, »nun bewohnt sie seit einiger Zeit diese Villa, wird aber, wie sie mir neulich sagte, vielleicht noch in diesem Jahr zu ihren Schlössern in den Abruzzen und dem Neapolitanischen reisen. Sie schien heut sehr im Gespräch vertieft, da sie uns außerdem wohl angeredet hätte, denn sie zeigte sich immer meiner Familie, vorzüglich meiner Tochter, sehr gnädig und huldreich.«
»Sie ist eine einzige Frau«, rief jetzt Caporale. »wenigstens habe ich noch nie eine ähnliche gekannt, oder von ihr gehört. Glaubt ihr wohl, daß sie noch jetzt auf der Jagd, so alt sie ist, die rüstigsten Weidmänner müde macht? Sie tummelt sich auf jedem Rosse und scheut sich auch vor dem wildesten nicht, sie reitet und jagt allen Stallmeistern voraus, kurz sie ist eine echte Virago, in der edelsten Bedeutung dieses Wortes.«
[] Jetzt eilte der junge Mann, der mit der Fürstin vorher gesprochen hatte, auf die Gesellschaft zu, und bat den alten Dichter Caporale, ihn der Familie vorzustellen, der er schon seinen Besuch zugedacht hatte. Caporale sagte: »Nehmt meinen jungen, trefflichen Freund wohlwollend auf, verehrte Damen, den Grafen Pepoli aus Bologna.«
»Wir haben von Euch und Eurer edlen Wohltätigkeit gehört«, sagte die Mutter: »kein Bolognese kommt zu uns, der nicht Euren Ruhm singt.«
Der Graf verbeugte sich zierlich und erwiderte mit einer andern diese Artigkeit. Sie gingen hierauf nach Hause und alle setzten sich zu einem einfachen Mittagsmahle nieder. Es gibt Charaktere, die, wenn sie auch nicht einen starken oder ausgezeichneten Geist besitzen, doch durch unverkennbares Wohlwollen und Menschenfreundlichkeit, sowie durch feines Betragen alle Herzen gewinnen. Zu diesen gehörte der Graf. Auch war man bald mit ihm vertraut, als wenn er schon lange zur Familie gehört hätte. Er bildete einen angenehmen Kontrast gegen den zweiten Fremden, der viel edler, aber nicht so vornehm erschien: das freie, leichte Betragen des Grafen war so, daß man fühlte, er habe sich von Jugend auf in den glänzendsten Kreisen bewegt, daß er zum Edelmanne erzogen sei und den großer angeerbter Reichtum von den frühesten Jahren, nicht nur über jede Not, sondern selbst Unbequemlichkeit des Lebens hinweggehoben hatte. Der andere Gast, dessen lebhaftes Auge so geistreich glänzte, dessen Lippe so fein zu lächeln verstand, glich doch mehr einem Gelehrten, ob man gleich keinen Professor einer Universität und noch weniger einen Geistlichen in ihm erkennen mochte.
Nach Tisch begaben sich alle in einen kleinen Gartensaal, wo man sich an der Frische und der Aussicht in die schöne Landschaft erfreute. »Hier, in diesem lieblichen Aufenthalt«, rief Caporale, »sollten wir, wie es jetzt allenthalben geschieht, eine kleine poetische Akademie formieren, und über ein gegebenes Thema improvisieren; oder sollte die Deklamation zu unbequem fallen, so entwerfe man schnell aus dem Stegreif auf diesen Blättern hier ein kleines Gedicht, oder auch ein größeres, wie es nun gerade die Muse begehrt.«
Die Mutter entschuldigte sich und ging um notwendige Geschäfte zu besorgen, und Flaminio begleitete sie, um ihr hülfreich zu sein. Die übrigen setzten sich um den runden Tisch, und Caporale sagte: das Thema sei die Gewalt der Liebe.
[] Alle dichteten, und nach einer stillen Pause, als alle ihre Blätter beschrieben hatten, sagte Cesare: »Ich bin kein Dichter, sondern nur ein Spaßmacher und so spricht es auch dies Sonett aus.« Er las es, es enthielt eine Entschuldigung, er habe immer nur der Parodie gehuldigt, und seine Eitelkeit bestehe darin, daß man seine Gedichte nicht unzüchtig nennen könne, wenn er auch in Spaß und Witz einen Berni, oder andre berühmte Poeten niemals erreichen könne.
Der Graf Pepoli sagte: »Wer ist jetzt in Italien wohl nicht ein Dichter? Es gehört zur Erziehung eines jeden Gebildeten, Verse machen zu können, und wir haben den großen Vorteil daß unsre schöne, fein ausgebildete Sprache schon selber für uns dichtet. Ohne nachahmen zu wollen, wiederholt der Dilettant, selbst ohne es zu wissen, das schon oft Gesagte.« – Seine fein gewendeten Stanzen erzählten in zartem Bilde von dem unerwarteten Glück, in so ausgewählter Gesellschaft auf wenige Minuten den Dichter spielen zu dürfen.
Der Fremde las ein Sonett, daß die nahe, begeisternde Schönheit der edelsten Jungfrau, die Mutter derselben, die große Fürstin, deren Anblick er gewürdigt worden, ein Garten zur himmlischen Wollust und Traumseligkeit erschaffen, alles dies ihn zwinge, die höchsten Töne der Poesie anzuschlagen; aber die Muse schüttle das Haupt und lege den schönen Finger auf die Lippen, ihm zuflüsternd: »Eben weil du zu glücklich bist und zu selig im Genuß, kannst du in diesem Augenblick nicht dichten, lebe und sei zufrieden: Schmerzen und Poesie werden schon zu dir zurückkommen.«
Vittoria sah den Fremden verwundert an und dann sinnend vor sich nieder, denn dieses Sonett schien ihr vortrefflich und von einem echten Dichter herzurühren. Dann sagte sie mit großer Lebhaftigkeit: »Die Herrn alle, selbst unser Vorstand, haben in ihren Versen das aufgegebene Thema nicht einmal erwähnt viel weniger durchgeführt; alle verbeugen sich mit der höflichen Entschuldigung, nicht dichten zu können, und ich Ärmste habe mich, wie wir unterdrückte Weiber immer müssen, geschmiegt und im Gehorchen ein schlechtes und langes Gedicht geschrieben.« – Sie las eine Kanzone, deren Inhalt ohngefähr dieser war: –
»Gewalt der Liebe.«
»Alles, so sagen die Dichter und viele andre Sterbliche, wird von der Liebe regiert. Ich, zu jung, um sie zu kennen, zu schüchtern, um sie herauszufordern, wie soll ich sie besingen? Wohl [] sind mir viele der Hymnen bekannt, die ihre Gottheit verherrlichen sollen; aber auch andere dithyrambische Gesänge, in welchen Venus und Amor nicht minder kräftig geschmäht und gelästert werden. Da erscheinen alte Fabeln und große historische Sagen vor meinem Blick. Das mächtige Kind der Tauben, die hohe Semiramis, fand sich plötzlich als Königin von Babylon. Eine große und schöne Stadt, doch zu klein und unbedeutend für ihre schaffende Phantasie. Ihre ganze Seele ward trunken, als sie den großen Schatz des Goldes, die unermeßlichen Reichtümer in ihren Kammern entdeckte. Künstler, Staatsmänner, Diener und Bürger, Maurer, Steinmetzen und Handlanger kamen nun ihren königlichen Träumen willig entgegen.
So erhob sich aus diesen Kammern und ihrem Geiste dies Babylon, das Wunder der Welt. – Wie aber, wenn ein andrer Geist, vielleicht ebenso stark und kühn, diese Paläste, Türme, hängenden Gärten und ewige Mauern aufführen wollte, und fände nur ein kleines, kleines Kapital in seinem Vermögen? Ein lächerliches Unding würde entstehen, ein armseliger, verächtlicher Versuch, vor jedermann zum Spott, oder zum Mitleid den Bauenden hinstellend. – So vergleiche ich dem großen, mächtigen Willen dieser schaffenden Phantasie die Liebe, und der Gegenstand, auf den diese Liebe sich wirft, sind (ein seltner Fall) die unerschöpflichen Goldkammern der Semiramis – oder – das armselige Vermögen, aus welchem sich mit Sicherheit und als vollendet nur eine Hütte zusammenflicken läßt. Laß ruhen das Bauen, und entsage der Liebe, wenn der Geist, den du lieben und anbeten, ihm gehören möchtest, nicht in seinen Tiefen die göttlichen Kräfte aufbewahrt, durch die allein die Liebe ihre Würdigung finden kann. Darum bleibe mir fern, holdselige Venus, mit deinen Gaben; denn nur im Fabelreiche wohnt der Held, dessen Seele mir als Goldstrom jener Taubentochter entgegenleuchten könnte, um die himmelhohen Türme, Paläste und schwebenden Gärten meiner Phantasie aufzubauen.« –
Der Fremde neigte sich bewundernd, und küßte die schöne Hand der Dichterin, der Graf sagte in feinen Worten eine zierliche Schmeichelei, und Caporale rief ein herzhaftes: »Brava! – Nun«, fuhr er fort, »teilt uns nach Versprechen noch ein Fragment, einige Verse aus Eurem größeren Gedichte mit, an dem Ihr arbeitet, mein verehrter Freund.«
Der Fremde nahm einige zierlich geschriebene Blätter aus seinem Mantel, indem er sagte: »Ich will Euch eine Episode des [] Werkes vorlesen, und mir über diese Euer freimütiges Urteil erbitten, da viele Verständige sie schon bekrittelt, oder selbst völlig verworfen haben.«
Er fing an zu lesen, von Erminien und ihrer Liebe, als Vittoria ahnungsvoll rief: »Und der Name Eures Werkes?«
»Das befreite Jerusalem,« sagte der Fremde, wie beschämt und etwas errötend.
»Oh, um Gottes willen!« sagte Vittoria, laut schreiend -»so seid Ihr ja jener Torquato Tasso, von dessen Gedicht schon ganz Italien spricht – der schon vor vielen Jahren uns den herrlichen Rinaldo gab – von dem der himmlische Aminta herrührt, von welchem uns der tückische Caporale einzelne Stellen, wie die über das goldene Zeitalter, mitgeteilt hat. – Ha! Bösewicht!« so wendete sie sich an diesen – »also so boshaft könnt Ihr sein, den großen Dichter so zu verschweigen?«
»Es geschah in guter Absicht«, sagte der Alte lächelnd. »Wußtet Ihr, wer Euer Gast war, so hieltet Ihr gewiß mit Eurem Wesen an Euch; denn das liegt einmal in unsrer Natur, daß wir es einem Fürsten oder großen Manne durchaus recht machen und keine Blöße geben wollen, keinen Widerspruch versuchen. Wußtet Ihr, wer dieser Unbekannte war, hättet Ihr Euch gewiß nicht mit ihm gezankt. So aber seid Ihr nun wie alte Bekannte und ich bin mit mir zufrieden, daß ich es durchgesetzt habe: denn er wollte erst gar nicht einwilligen, weil er meinte, es setze Eitelkeit und Stolz voraus, so inkognito in eine liebe Familie einzutreten.«
»Niederknieen müßte man«, rief das lebhafte Mädchen wieder: »so ist es ziemlich, wenn eine Gottheit den Sterblichen würdigt, seine niedere Hütte zu besuchen.«
Sie erhob sich und eilte in heftiger Bewegung zur Tür. »Wie könnt ich es verantworten«, sagte sie eilig, »wenn ich nicht meine Mutter und den Bruder davon benachrichtigte, welchen Gast wir heute bewirtet haben.«
Als die Männer allein waren, sprach Graf Pepoli mit großem Verstande zu Tasso, über das Glück, ihn persönlich kennengelernt zu haben. Tasso war aufgeregt und konnte mit den Lobsprüchen, die der gebildete Mann ihm mit der größten Überzeugung und Aufrichtigkeit spendete, wohl zufrieden sein. Die Mutter und Flaminio erschienen, und der Gast sah sich, von so vielfältiger Verehrung und Freundschaft angeregt, um so mehr veranlaßt, jene berühmte und schöne Stelle seines Gedichtes, die damals von so vielen anmaßlichen Kennern und Kritikern verworfen wurde, mit Freude und Genugtuung vorzutragen.
[] »Wie trocken und nüchtern«, sagte die begeisterte Vittoria am Schlusse, »muß die Seele dessen sein, der die Schönheit dieser Dichtung nicht empfindet. – O teurer, einziger Mann! ich hoffe, wenn Ihr nur irgend in Rom verweilt, daß wir uns noch wiedersehn; aber für jetzt schlagt mir meine Bitte nicht ab, daß ich die Hand, die so schöne, so himmlische Worte niederschrieb, in innigster Verehrung an meine Lippen drücken darf.«
Tasso erhob sich und sagte: »Beschämt mich nicht so sehr, schöne Jungfrau. Aber der Dichter dürfte vielleicht vor allen andern sterblichen Menschen ein andres Anrecht in Anspruch nehmen, welches ihm die Musen verliehen haben. Laßt mich, in Gegenwart Eurer verehrten Mutter, zum ewigen Angedenken dieser schönen Stunde, einen Kuß von diesen schönen Lippen pflücken.«
Die beiden dichtenden schönen Wesen umarmten und küßten sich innig, und es blieb, in diesem poetischen Taumel, nicht bei dem einen erbetenen Kusse, da Tasso fühlte, daß sie seine begeisterte Berührung mit den süßen, vollen Lippen erwiderte.
Als man Abschied nahm, sagte der Graf: »Ich würde um die Erlaubnis nachsuchen, morgen meinen Besuch wiederholen zu dürfen, wenn mich nicht teure Verpflichtungen nach Rom hinzwängen. Ein Verwandter von mir, ein ferner Vetter, aber ein reicher Mann, ist von den Banditen aus Subiaco, dort im Gebirge, fortgeraubt worden, und die Räuber verlangen für ihn ein unermeßliches Lösegeld. Das schlimmste aber ist, daß keiner weiß, wohin sie den Armen geschleppt haben. Nun sind viele eingefangen und nach Rom gebracht worden, und von diesen ist mir einer bezeichnet, der vielleicht die Kunde, die genaueste, von jenem Vorfall haben mag.«
Die Fremden beurlaubten sich und Flaminio geleitete sie, um dem großen Tasso, den er innigst verehrte, noch einige Zeit näher zu bleiben.
»Wir reisen morgen auch nach Rom«, sagte die Mutter plötzlich zur Tochter.
»Himmel!« rief Vittoria, »wie erschreckst du mich, Mutter! Ich hoffte, wir würden die Villagiettura noch recht fröhlich hier fortsetzen, da jetzt erst so manche unsrer Freunde herausziehn werden; denn der Herbst hat ja erst angefangen.«
»Es muß sein«, sagte die Matrone.
»O Mutter!« klagte die Tochter, »ich kann es dir nicht aussprechen, wie schrecklich und gespenstisch mir diesmal die Stadt vorkommt. Dies große, ewige Rom, um das uns so viele Fremde beneiden, und den Aufenthalt dort als einen glückseligen preisen[] – o wie greulich, furchterfüllt, entsetzlich erscheinen mir diesmal seine Straßen und Plätze! Ich habe eine Vorempfindung, als wenn mir dort das allergrößte Unglück meines Lebens begegnen, als wenn ich dort untergehen müsse. O laß uns noch verweilen. Warum diese Hast?«
»Warum?« rief die geängstete Mutter; »weil ich Kinder habe, die mein Stolz und meine Freude sein sollten, und die mir zur Höllenqual werden. So wisse denn, Unglückselige, daß sie unsern Marcello zum zweitenmal eingefangen haben: in dem Briefe, den ich heute erhielt, spricht man von Hinrichtung, wenigstens von der Galeere. Er hat sich wieder bei den Banditen betreffen lassen. Ich muß nach Rom; unser Schützer, der Kardinal Farnese, muß sich unserer annehmen, sonst sind wir verloren.«
»Um Gottes willen«, sagte Vittoria in Tränen, »– dieser unglückliche Bruder – diese seine Unruhe und Wildheit, die er für Kraft und Tugend hält! Aber Liebste, o du meine einzige Freundin! schütze mich nur dort vor allen den rohen, unbändigen Gesellen, die mich zu lieben vorgeben, die meine Freier vorstellen wollen. O dieser abscheuliche Luigi Orsini, dieser entsetzliche Mensch, so im Wesen, wie ich mir den Herzog Alexander Medici von Florenz, oder gar den verruchten Cesar Borgia denke – nur vor diesem und andern seines Gelichters beschütze mich – sonst wäre mir ja wahrlich besser gewesen, dort im Wassersturz unterzusinken.«
»Darüber beruhige dich, meine Tochter«, tröstete die Mutter, »– dieser Orsini, dieser Ludwig, soll nicht über unsre Schwelle schreiten.«
»Gib mir noch ein Versprechen!« rief Vittoria. –
»Nun?« –
»Daß du deine Einwilligung gibst, daß ich mich gar nicht zu vermählen brauche! Ich hasse, ich verachte die Männer! Ich könnte eher einen vergiften, als mich ihm unterwerfen. Dies scheint mir das ärgste, schändlichste aller Verbrechen. Nein, Mutter, zwinge mein Gemüt nicht, daß es sich empört und sich lieber in alle Greuel taucht, die Namen haben, als daß es sich der Gemeinheit ergibt, die so viele jämmerliche Menschen Tugend und Notwendigkeit nennen.« –
»Tochter! Tochter!« sagte Julia geängstigt, »vielleicht empfinde ich in Zukunft um dich noch mehr Angst, als mir jetzt der unglückliche Marcello macht. O Gott! Was ist das Leben? Rüste dich zur Reise.«
[] Als sich Vittoria allein sah, blickte sie zum Abendhimmel empor. – Der Mondschein zeigte ihr die Berge, sie hörte in der Stille der Nacht den Wasserfall brausen. »Lebt wohl«, rief sie, »alle ihr geliebten, teuren Wiesen und Bäume! – hab ich nicht heut gesehn, daß dieser göttliche Tasso auch nur ein Mann, ein schwacher Mann war? – Nicht stärker als Camillo. – Wo find ich ein Wesen, das ich ehren und lieben könnte? – Gut denn: der Tiberstrom wird immer noch ebenso tief sein, wie der Teverone; – wenn man frei sein will, wahrhaft will, so gibt es kein Schicksal, das uns Ketten anlegen könnte!«
[]Als die Familie in Rom angekommen war, richtete sie sich in ihrer einfachen Wohnung wieder auf die frühere Weise ein. Es fehlte nicht an Besuchen, als die Römer erfahren hatten, daß alle aus Tivoli zurückgekehrt seien. Die Mutter suchte sogleich ihre mächtigen Beschützer in Anspruch zu nehmen, um ihren unglücklichen Sohn von der Schande oder einem noch härteren Lose zu befreien. Sie fand aber jetzt mehr Schwierigkeiten, als sie sich dort in ihrer ländlichen Einsamkeit hatte vorbilden können, denn fast alle Parteien waren einstimmig der Meinung, die Gerichte wären bis jetzt zu nachgiebig gewesen, und es sei zum Wohl des Ganzen notwendig, dem Volke wie den Räubern ein auffallendes und abschreckendes Beispiel zu geben. Am schwierigsten zeigte sich, was die Mutter am wenigsten vermutet hatte, der mächtige Kardinal Farnese, der vieljährige Freund und Beschützer der Familie. Die Fürstin Margareta von Parma hatte sich auf dringendes Ansuchen des Grafen Pepoli persönlich an den Kardinal gewendet, ihr und der guten Sache in diesem schändlichen Handel beizustehn, und wenigstens den Anstalten, welche die Regierung für notwendig halten würde, nichts in den Weg zu legen. Farnese war so aufrichtig und mitteilend, daß er der Matrone selbst den Brief der Fürstin zu lesen übergab. »Die letzte Äußerung, werte Freundin«, sagte er dann lächelnd, »werdet Ihr ebensogut begreifen, als ich selber. Wie vielen Verdruß haben mir meine Feinde, vorzüglich die Partei der Medicäer erregt, weil sie mich mehr als einmal beschuldiget haben, daß ich mit verschiedenen Anführern der Banden in Verbindung stände, um meinen Gegnern Schaden zuzufügen. Meinen großen Prozeß, wegen der abgeschickten Banditen, die mich draußen in meiner Villa von Caprarola auf Anstiften dieser Partei und des Großherzogs hatten ermorden wollen, kennt Ihr ja, Ihr werdet Euch auch des traurigen Ausganges dieses Handels erinnern, der mir, meinem Ruf und Ansehn so nachteilig wurde: weil geschickte und verschmitzte Advokaten die Sache so zu drehen wußten, daß viele einzusehn glaubten, von mir selbst rühre dies Komplott her, ich habe die Bösewichter angestiftet, um dem Großherzog [] und dem Hause der Medici einen empfindlichen Schlag beizubringen. Nun hat jetzt der Kardinal Ferdinand, der Bruder des Fürsten, mehr Einfluß gewonnen als je, er hat sich mit dem frommen Carl Borromeo verbunden, und diesen beiden, die den Ruf großer Tugend sich verschafft haben, folgen viele andre, die auch für rechtlich gelten möchten. Alle diese haben sich gleichsam das Wort gegeben, mir gemeinsam, entgegenzuhandeln. Der alte gebrechliche Montalto hat sich ebenfalls ihnen beigesellt, der Schleichende, der, wenn er auch nicht nutzen kann, doch wohl zu schaden vermag. Der Heilige Vater selbst ist froh, wenn er von allen diesen Geschichten nichts vernimmt, um seinen Studien, der Angelegenheit der Religion und seinem geliebten Sohn, dem General und Gubernator von Rom zu leben. Beim Papst vermag ich, in dieser Zeit wenigstens, vollends nichts auszurichten, weil er mit der größten Eifersucht in mir seinen etwanigen Nachfolger zu sehen wähnt, und fürchtet, daß ich nach seinem Tode seiner Familie allen möglichen Schaden zufügen möchte. Seht, so sehr hat es mir geschadet, daß man mich seit Jahren den Mächtigen, den Einflußreichsten, ja den Despoten genannt hat, der das Kollegium der Kardinäle eigensinnig beherrscht. Geschadet hat es mir, daß ich beim letzten Konklave so viele Stimmen für mich hatte. Also beruhigt Euch, ich will überlegen, wie man der bösen Sache auf irgendeinem Wege beikommen kann. – Aber warum setzt uns auch Euer Sohn in diese Verlegenheit? Es ist zu verdrießlich, wegen eines Verbrechers, der nicht zu den großen Häusern gehört, Autorität und Macht auf das Spiel zu setzen. – Weint nicht, geehrte Frau; so viel werden wir vermögen, und dahin will ich viele meiner Kreaturen stimmen, den Prozeß in die Länge zu ziehn, daß es nicht so bald zum Spruch und zur Entscheidung kommt, und Ihr wißt wohl, in manchen Fällen heißt es mit Recht: Zeit gewonnen, alles gewonnen. Indessen kann in einem oder zwei Monaten sich vieles ändern, und stehe ich einmal auf einem andern Platze, so können alle meine Freunde, zu denen Ihr gehört, meines Schutzes gewiß sein.«
Donna Julia fühlte wohl, wieviel sie selber beim Kardinal durch die schlechte Aufführung ihres Sohnes verloren hatte. Sie sah ein, daß der mächtige Mann nicht eines ganz unbedeutenden jungen Menschen wegen etwas Auffallendes tun, oder sein Ansehn für seine Rettung wagen könne: Farnese konnte also nur noch handeln als persönlicher Freund des Hauses, und insofern konnte sie noch auf Wohlwollen, Unterstützung, aber nicht auf das Einwirken des Kardinals rechnen.
[] Als dieser ihre tiefe Bekümmernis sah, faßte er ihre Hand und sagte freundlich: »Mir fällt etwas ein; geht doch einmal, zum Überflusse, zum Montalto; der Alte setzt etwas darein, für hülfreich zu gelten, er bekehrt gern die Sünder und tröstet die Leidenden; er kann vielleicht den Medicäer, und dieser den Borromeo und den Gouverneur zu Eurem Besten stimmen, so daß die Richter nachher durch die Finger sehn, oder im äußersten Fall den Delinquenten entspringen lassen.«
Mit so geringen Hoffnungen mußte die Donna den Palast verlassen, und sie überlegte unterwegs, wer von ihren Bekannten wohl am fähigsten sei, sie auf eine würdige Art beim Kardinal Montalto einzuführen, dessen Bekanntschaft sie noch nie gemacht, den sie in keiner Gesellschaft sah, weil er sehr zurückgezogen lebte, sich nur den geistlichen Pflichten widmete und, seiner Kränklichkeit wegen, die Mußestunden in seinem Garten zubrachte. –
Vittoria hatte indessen bei Freundinnen einige Besuche gemacht, war dann in der Kirche Maria Maggiore gewesen und ging nun, von ihrer Amme und dem alten Diener begleitet, nach ihrem Hause zurück. Als sie sich von dem Tempel nach der nächsten Straße wendete, kam ihr ein Zug von geputzten jungen Leuten entgegen. In ihrer Mitte wandelte mit leichtsinnigem Ausdruck ein Jüngling von mittlerer Größe, schlank aber schwach gebaut, mit ganz hellblondem Haar, das er nur wenig gekräuselt auf den Schultern schweben ließ; sein Auge war blau, und der Ausdruck seines Gesichtes kein bedeutender. Vittoria war im Begriff, ihn anzurufen, so ähnlich erschien er dem wohlbekannten Camillo: doch noch einen Schritt näher, und sie sah, wie sehr sie sich getäuscht hatte; denn in diesem Jüngling war keine Spur jener bäurischen Treuherzigkeit, die ihr an ihrem Jugendgespielen immer so wohl gefallen hatte, und sie erschrak fast, als sich in diesem Augenblick sein schwebendes, unbedeutendes Lächeln in einen Ausdruck von rohem Trotz und Gemeinheit verwandelte; denn er zankte plötzlich mit einem seiner Begleiter und drohte diesem, einem großen starken Menschen, sogar mit der Faust. Vittoria war getröstet und beruhigt, als sich unerwartet der alte Hausfreund Caporale zu ihr gesellte. Indem beide nach der Wohnung der Accoromboni gingen, fragte sie: »Wer ist dieser junge Bursche, der sich so seltsam gebärdet? Er scheint eins von jenen verzogenen adligen Muttersöhnchen, die sich durch Erbärmlichkeiten wichtig machen wollen. Solche alberne Kreaturen fangen oft aus leerem, langweiligen Mutwillen Händel an, die zu Unglück und Verderben ausschlagen.«
[] »So ist dieser nicht«, antwortete Don Cesare; »er ist das friedfertigste Gemüt auf Erden, und meint nur als römischer Neuling, er müsse sich doch vor jenen jugendlichen Schmeichlern und Dienern durch Mienen, lebhaftes Gespräch, scheinbaren Eigensinn und nicht ernstgemeinten Zank ein Ansehn geben; am eifrigsten so bemüht, wenn Fremde ihn beobachten, oder gar eine Dame ihn ihrer Aufmerksamkeit würdiget. Und so war es nur ein kleines, improvisiertes Schauspiel, was er Eurer schönen Gegenwart als Huldigung darbot.«
Vittoria lachte und der Dichter fuhr fort: »Dieses Bürschchen ist der Abkömmling von armen Bauersleuten, sein Oheim hat ihn unterhalten und ihn in einem ganz kleinen Städtchen die Schule besuchen lassen; dann haben ihn Mönche in die Zucht genommen und unterrichtet, und endlich, da er ganz erwachsen ist, hat ihn derselbe Oheim nach Rom kommen lassen, um zu sehn was aus ihm zu machen wäre. Dieser Vormund ist nämlich kein anderer, als der alte, hinfällige Kardinal Montalto, der vor seinem Ende diesen Neffen wenigstens noch anständig versorgt sehn möchte. Er wollte ihn zum Geistlichen machen, weil er, da ihm Reichtum und liegende Besitztümer fehlen, ihn in der Kirche am leichtesten emporbringen konnte. Davon will aber der schwache Mensch, in dem Punkte eigensinnig, nichts wissen, und Ihr habt selbst gesehn, wie wenig er zum Priester geeignet ist.«
Indem entstand hinter ihnen ein großes Geschrei, und sowie sich Caporale umwendete, stürzte ihm zu seiner großen Verwunderung derselbe Jüngling, von welchem sie eben gesprochen hatten, leichenblaß und mit allem Ausdruck der Angst an die Brust, indem er laut schrie: »Er kommt! er kommt!« Vittoria blickte um, und zog mit ruhiger Bewegung den Dichter noch zur rechten Zeit auf die Seite, welchem der junge Bursche mechanisch folgte, der sich noch immer mit dem Alten fest umarmt hielt. Einer von den Stieren, die frei, an langen nachschleppenden Seilen in Rom von mehreren Reitern, die im Trabe oder Galopp nebenbei rennen, eingeführt werden, war seinen Aufsehern entsprungen und rannte nun die Gassen hinab, Schlächter, Jungen und Alte hinterdrein, die Menschen, die entgegenkamen, zur Seite springend, um nicht beschädigt zu werden.
»Die Gefahr ist vorüber, mein Herr Peretti«, sagte der Dichter. »faßt Euch, Ihr zittert und seid fast ohnmächtig.«
»Wir sind unserer Wohnung ganz nahe«, sagte Vittoria, »tretet zu uns ein und erquickt und erfrischt Euch.«
»Sehr gnädig, Signora«, sagte der Jüngling; »es ist aber [] schändlich, wie meine Freunde und Begleiter entflohen sind und mich im Stich gelassen haben.«
Sie traten in den frischen kühlen Saal und die Magd flüsterte ihrer Herrschaft zu: »Es ist schon einer drinnen, der gnädige Herr, die Exzellenz, der mächtige Don Ludovico Orsini.«
Vittoria erblaßte und sagte nur leise vor sich hin: »Dies Untier ist gefährlicher, als jenes.« Ein großer, kräftiger junger Mann trat ihnen jetzt mit dem Ausdruck eines frechen Übermutes entgegen. Er begrüßte die übrigen nur ganz leicht, indem ein verachtender Blick schnell über den jungen Peretti hinstreifte, und als der Diener Stühle gesetzt hatte, wendete er sich, stark betonend, mit den Worten zu Vittoria »Ihr werdet meinen Brief erhalten haben.«
»Ja«, erwiderte diese nicht ohne Verlegenheit. –
»Und?« fragte der Graf fast in schreiendem Ton.
»Wie kann ich Euch antworten? Was Euch sagen?« sprach Vittoria, »Ihr kennt meine Gesinnungen, an jenem Abende, ehe wir nach Tivoli gingen, habe ich, Ihr müßt es Euch erinnern, meine Überzeugung erklärt. Warum soll ich noch öfter wiederholen, was mir peinlich ist auszusprechen?«
»Ha ha ha! seltsam genug!« rief der Graf mit schallendem Gelächter: »ich, aus einem der ältesten Häuser, reich, von Einfluß ich, vor dem Hunderte zittern, biete einer unbedeutenden Bürgerin meine Hand, und mit dieser mein Vermögen und meinen Rang, und sie kann mir nichts dagegen schenken, als ein artiges Lärvchen, einen schlanken Wuchs und weiße Gliedmaßen: bin ich denn rasend, da ich in den Familien der Herzöge und Fürsten nur wählen darf?«
»So wählet doch!« rief Vittoria, die jetzt ihren Stolz und Mut wiedergefunden hatte: »wer zwingt Euch, ein armes, unbedeutendes Bürgermädchen zu belästigen? Ich werde es für Gnade von Euch und wahren Gewinn achten, wenn ich Euer Antlitz niemals wiedersehe.«
»So?« rief der rohe Mensch, im höchsten Zorn, »es kann sich aber doch fügen, daß ich Euch noch zu mei nen Füßen knieend im Staube sehe, um Euern verehrten Bruder vom Galgen loszubitten.«
»Das ist zu viel!« schrie Vittoria, ganz außer sich: »Elender! entferne dich gleich, gleich jetzt in diesem Augenblick! So ein Armseliger, Verächtlicher, will vorgeben, sich herausnehmen, sich so stolz dünken, mich lieben zu dürfen! Er, für den jede Dorfmagd noch zu gut ist, er, den ich so tief verachte, daß der Galeerensklave in meinen Augen höher steht.«
[] Orsini sprang auf, und man konnte fürchten, daß der freche Mensch etwas Schreckliches unternehmen könne. Caporale eilte ihm entgegen und hielt ihn gewaltsam zurück. Mit dem Ausdruck unbeschreiblicher Verachtung wendete sich der Graf um und betrachtete stillschweigend den alten Mann: »Elender Versedreher«, sagte er dann, »Ihr wagt es, mich körperlich anzugreifen.«
»O ja«, rief dieser erzürnt; »solange ich Hand oder Fuß rühren kann, werde ich als Mann auch mit meinem Blut eine Dame, meine Freundin, gegen Gewalttätigkeiten schützen.«
»Sklave!« rief der Graf, und machte sich aus der Umarmung Caporales frei.
»Herr Graf«, erwiderte Caporale ruhig; »ich bin unabhängig, frei, man hat mich gewürdiget, mich in der Provinz zum Governatore zu ernennen.«
»O ja«, sagte jener; »von ein paar armseligen Burgflecken. Und wenn ich zwanzig meiner Leute hinsende, so brennen sie dem Herrn Gouverneur seine Wohnung ab und schleppen ihn in Ketten und Banden auf mein Schloß. Ihr seid mir aber zu verächtlich, um mit Euresgleichen Krieg zu führen. – Und Euch, Accorombona, laß ich nicht, und wenn Ihr mich noch schimpflicher behandelt. Die Worte eines Weibes verletzen nicht; und der Teufel, der mich in Glut für Euch entzündet hat, wird mir auch Mittel und Wege zeigen, Euch zu besitzen. So oder so müßt Ihr die Meinige werden.«
Er stürmte fort und rannte fast die Mutter um, die ihm in der Tür entgegentrat. Vittoria warf sich laut schluchzend an den mütterlichen Busen, diese aber kam ihr auch mit Tränen entgegen. Caporale tröstete, soviel er vermochte, doch wußte er für den Augenblick keinen Rat. Jetzt empfahl sich der junge Peretti den Frauen, indem er höflich um die Gunst ersuchte, seinen Besuch wiederholen zu dürfen, und die Bekanntschaft, die unter so seltsamen Umständen begonnen hatte, fortzusetzen. In der Tür sagte er halb für sich: »Eine schlechte Polizei in Rom; die wilden Stiere stoßen die Menschen in den Straßen um, und die rasenden Grafen rennen in die Häuser hinein.«
Graf Pepoli war für seinen Verwandten eifrig bemüht; aber sosehr die Gerichte den besten Willen zeigten, so wenig war doch Aussicht, daß ihm seine gute Absicht gelingen würde. Der reiche [] Signor Velluti war verschwunden, und von allen eingefangenen Banditen wollte kein einziger den Ort kennen, wo man ihn hingeschleppt, oder wer ihn in Verwahrung habe. Prozeß und Verhöre gegen die Verbrecher waren noch nicht weit gediehen, und ein Advokat, den der Graf schon reichlich beschenkt hatte, gab diesem zu verstehen, es müsse irgendeine mächtige unsichtbare Hand im Spiele sein, die, wie es schon öfter der Fall gewesen, alles verzögere, um diesen oder jenen zu beschützen, oder zu verhindern, daß nicht irgendein Vornehmer ebenfalls in den traurigen Handel verwickelt werde. In den Gefängnissen selbst, die der Graf fleißig besuchte, hörte er von einem Verbrecher, der schon früher eingefangen war, und jetzt wegen anderer Frevel sein Todesurteil empfangen habe, daß dieser vielleicht imstande sei, einige Nachweisung zu geben. Graf Pepoli ließ sich zu diesem verwilderten Mörder hinführen, der mit schweren Ketten an die Wand seines finstern Kerkers geschlossen war, und den er, als geöffnet wurde schreiend traf, indem er eben ein Gassenlied jubelnd absang.
Als der Verruchte hörte, von wem der Fremde zu ihm gewiesen sei, rief er: »Ei! lebt die alte ehrliche Haut noch, und ist noch nicht gehängt? Nun, das freut mich, grüßt den Kumpan nachher von mir recht herzlich, er wird es wohl schon erfahren haben, daß ich mich übermorgen auf die große Reise begebe. Ja, ja, mit mir ist es dermalen aus, und ob man noch einmal von vorne anfangen kann, steht dahin. Je nun, ich bin seit lange darauf vorbereitet; nach den Gesetzen hätte ich schon zehnmal den Tod verdient. Versteht mich, was man so nach den Gesetzen nennt, die aber niemals ausgeübt werden, als wenn unsereins keinem mehr schaden oder nützen kann. Ja, ich habe, und nicht bloß durch meine eigene Schuld, meine Beschützer verloren. Ehemals war ich besoldet von recht frommen, tugendhaften Leuten auch großen und mächtigen: die haben mir oft durchgeholfen. Ich war nur Dolch und Messer: diese Reichen, Verehrten, denen jedermann mit Respekt aus dem Wege ging, waren die Hand. Meinethalb, ist doch die Welt einmal so eingerichtet.«
Als der Mörder das Gesuch des Grafen vernommen hatte dachte er ein Weilchen nach, dann sagte er: »Kommt mir einmal ganz nahe, werter Herr, daß ich eure Physiognomie betrachten kann, denn es ist so verdammt finster hier, und Ihr seht wohl daß ich nicht zu Euch hinrutschen kann. – Ah ja! Ihr seht recht ehrlich, ja sogar recht weichmütig aus, es wird also wohl keine Finte sein, um noch andere gute Kameraden in das Elend zu bringen. Wir hatten ehemals einen lieben herrlichen Menschen [] unter uns, Ascanio genannt, ein sanfter Kerl, der uns mit seinen Predigten immerdar vom Morden abhalten wollte; er war ein halber Pfaff und dachte sich vielerlei Gutes bei den Worten Himmelreich, Gewissen, Religion und dergleichen Schnurren, die uns tätige Menschen nichts angehn. Dieser Ascanio war immer der Vertrauteste mit dem Oberhaupt jener Bande bei Subiaco, dessen Namen wir alle nicht wissen; denn der närrische Ambrosio, den hier die Richter dafür halten, ist nur so ein Beiläufer, einer, der das Mus einrühren hilft, selten aber etwas zu fressen kriegt. Dieser Ascanio war immer wie unser Staatsminister oder Geheimschreiber. Der weiß, was der Teufel selber nicht weiß aber dabei ein Mensch, wie ein Lamm. Den guten Burschen haben sie jetzt in Castell Angelo eingesperrt, unter dem Vorgeben, er hätte falsche Münzen geprägt und ausgegeben. Ist es wahr, so macht das dem pfiffigen Kerl alle Ehre, nicht wahr? und er ist ja fast ein Genie, wie unser Benvenuto Cellini. Es kann aber auch sein, daß es nur ein Pfiff der Unsrigen ist, daß sie ihn mit falschen Aussagen dahin gebracht haben, damit er in ihrem Banditenprozesse nicht mit figurieren soll. – Seht mal, guter Freund, ich vertraue Euch das alles so treuherzig an, weil Ihr mir ehrlich ausseht. Und Ihr mögt darüber denken, wie Ihr wollt, in meiner langen Erfahrung habe ich immer die meiste Treue und Ehrlichkeit unter Spitzbuben, Dieben und Mördern angetroffen. Es ist ja auch ganz natürlich, die tugendhaften Menschen in Eurer Welt leben von der Tugend, das ist ihr Gewerbe wie es aber irgend ihr Vorteil mit sich bringt, daß sie mit der Schelmerei mehr gewinnen können, schrammen sie aus und spazieren nebenbei. Besonders, wenn sie keine Entdeckung zu besorgen haben. Dagegen wir armen ehrlichen Schelme! Das Regiment bei uns könnte ja keine vierundzwanzig Stunden bestehn wenn wir nicht untereinander Treue und Glauben hielten. Und welcher Bischof, Graf oder Kardinal würde uns denn jemals vertrauen, wenn er uns für ausschwatzendes Gesindel hielte? Vor zehn Jahren etwa haben sie mich zweimal auf die Folter geworfen, aber der große Herr lebt noch in Ehren, Glück und Würde, so wußte ich meine Zunge im Zaum zu halten. Und wahrlich, die Schmerzen, die sie mir künstlich antaten, waren nicht klein. Ich habe auch jetzt den großen Mann um Hülfe angesprochen, aber er lacht mich nur aus, und mit Recht, denn es ist zu lange her, die Sache ist vergessen, keiner würde mir glauben, ja kein Richter und Advokat mich nur um das ganz verschollene Ding anhören wollen.«
[]Der Graf ließ dem Unglückseligen ein Geschenk zurück, damit er sich noch einmal an Wein und einem Lieblingsgericht erheitern könne. Als er sich in Castell Angelo beim Governadore wollte melden lassen, vernahm er, daß dieser in einem wichtigen Geschäft über Land sei, und erst morgen zur Stadt wiederkehre. Er nahm sich also vor, seinen Abend bei einem Freunde zuzubringen, um sich von diesen traurigen Geschäften in einer edlen Gesellschaft wieder etwas zu erholen.
Der Freund des Grafen, ein angesehener Römer, sah vorzüglich gern Gelehrte und Dichter in seinem Hause. Graf Pepoli, sooft er nach Rom kam, wohnte bei diesem Gastfreunde, der sein Verwandter war. Als man sich im heitern Kreise gegenseitig begrüßt hatte, trat auch Caporale herein, und bald nach ihm der alte Speron Sperone. Dieser feierliche Mann, welcher gern die jüngeren Leute beherrschte, erschien in einem langen, dunkelfarbigen Talar, weder die Tracht eines Priesters, Rechtsgelehrten, noch Professors, sondern ein Gewand, das er sich selbst ersonnen hatte, und das vielleicht an die römische Toga erinnern sollte, doch hatte es Ärmel und war um die Hüften mit einem breiten Gurt umschlossen. Dieser Dichter, für welchen er sich gerne gab, war hoch und schlank, sein Gesicht hatte den Ausdruck des Feierlichen, auch war seine Sprache langsam und seine Rede gesucht.
Die übrige Gesellschaft bestand aus einigen angesehenen römischen Familien, Edelleuten, die ihre Frauen und Töchter hergeführt hatten, hauptsächlich in der stillen Erwartung, den berühmten Torquato Tasso kennenzulernen, von dem man wußte, daß er sich seit einiger Zeit in Rom aufhalte. Bald aber entstand eine allgemeine Trauer, als der Wirt erklärte, der große Dichter habe zu ihm gesendet, und seine Abwesenheit entschuldigt, indem er krank geworden sei.
Einige junge schöne Damen äußerten laut ihr Mißvergnügen und beklagten den Armen, der so oft an Unpäßlichkeit litt, und sich doch in seinen Arbeiten durch die wiederkehrenden Leiden nicht stören ließ. »Vielleicht«, sagte eine junge schöne Frau mit lachender Miene, »kommt Tasso nicht, weil er erfahren hat, daß er seinen großen Gegner, den strengen Herrn Sperone, hier antreffen würde«.
»Gewiß nicht deshalb«, sagte der ernste Mann; »denn waren wir je entzweit, so haben wir uns jetzt wieder versöhnt, und keiner ist so geneigt als ich, den Gaben dieses Jünglings Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Er hat mich, weil ich schon ein vertrauter Freund seines außerordentlichen Vaters war, freiwillig [] zum Kritiker seines großen Werkes ernannt, und was kann ich dafür, wenn meine Überzeugung mich antreibt, dem Vater den Preis des größeren Dichters zuzuschreiben? Und ist dies ihm eine Schande? Darf es ihn wohl kränken?«
»Der Ruhm bleibt wenigstens in der Familie«, sagte Caporale, »und wenn unser Bernard nur noch lebte, so müßte er sich mit seinem Sohne in den genau abgewogenen Preis teilen.«
»Er ist ein Dichter«, bemerkte eine der Damen, »der die Sprache so in seiner Gewalt hat, wie vor ihm noch kein anderer; daher sind seine Verse so süß und musikalisch, daß sie ein jedes Ohr entzücken.«
Der alte Sperone schien über diesen Ausspruch empfindlich zu werden, denn er sagte mit etwas spitzigem Ton: »Süß und lieblich, ja, aber die Männlichkeit fehlt.«
»Diese Schlachten«, warf Caporale ein, »diese aufmunternden Reden der Helden, sind doch in heroischer, kräftiger Tonweise. Schade, daß er das Gedicht, da es nun doch einmal fertig ist, nicht sogleich drucken läßt, damit sich ganz Italien daran erfreuen könne.«
»Im Gegenteil!« rief Sperone, »er kann nicht zu lange damit zögern, damit ein Werk, das die jetzige Zeit überdauern soll, die notwendige Vollendung erreichen möge. Er ist freilich empfindlich über diese Verzögerung, und doch ist er wieder seinen jüngern und ältern Freunden dankbar, wegen der Weisungen, die sie ihm zukommen lassen. Nur tadelt freilich einer oft das, was der andere lobt; mir scheint völlig überflüssig, was ein jüngerer höchst notwendig findet. Diese Strophe will der eine ausmerzen und ein anderer durchaus beibehalten. Das süße Liebesgekose, üppige, ja unzüchtige Stellen sind dem Gutdenkenden in diesem Gedichte, das die Religion zum Gegenstande hat, ein Greuel, und ein junges leichtsinniges Gemüt nennt diese sündlichen Ottaven die Licht- und Glanzpunkte des Werkes, um welche es sich einzig und allein der Mühe lohne, das weitläuftige Gedicht zu lesen. So verschieden ist der Sinn der Menschen, und es wäre deshalb besser gewesen, einem einzigen klugen Manne die Revision unbedingt anzuvertrauen.«
Man stritt noch hin und her, und als die entschiedenste der Damen zu verstehen gab, der bejahrte Kritiker möchte doch vielleicht zu einseitig verfahren, und manche Schönheit nach seinem System gewissermaßen vorsätzlich und willkürlich verdammen, sagte der Alte mit einiger Erbitterung: »Mein Zwiespalt mit dem jungen Tasso schreibt sich eigentlich gar nicht von der [] abweichenden Ansicht seines Gedichtes her, sondern er ist viel älter und aus einer ganz andern Ursache entsprungen. – Als der Jüngling vor Jahren sich in den Dienst des Herzogs von Ferrara begab, war ich unter seinen Freunden der einzige, der ihm ernsthaft von diesem Schritte abriet. Er ist kein Hofmann, man muß als solcher geboren sein, man muß nichts anders sein wollen, nichts anders kennen und achten, als den Hof, am wenigsten aber den Dichter dorthin mitnehmen wollen. Er konnte Professor in Padua oder an einer andern Universität werden, er konnte ein Staatsamt übernehmen, und sich auf diesem Wege, da er kein Vermögen ererbt hat, unabhängig machen. Da lockte aber und blendete ihn der freundliche Herzog, die Prinzessinnen, dessen Schwestern, Lob und Bewunderung von allen Seiten. Meine Warnung schien ihm die törichte Rede eines Murrkopfs, wohl gar eines Pedanten, der ihm seine glänzende Stellung beneidete. So bin ich denn auch in seinem Schäferspiel Aminta als verdrießlicher Mopsus aufgetreten, im Gegensatze seines vortrefflichen Pigna, oder Elpino. Meinethalb, man kann nicht allen Menschen gerecht und beifällig leben, am wenigsten der Selbstständige, dem es mit Leben und Wissenschaft Ernst ist. Was ist ein Dichter an dem Hof eines verwöhnten, selbstsüchtigen Fürsten? Niemals wie der ebenbürtige Freund und Verwandte, keinesweges wie der nützliche und notwendige Rat und Staatsmann. Anfangs Günstling, Vertrauter, Liebling, Gegenstand einer unverstandenen Bewunderung; späterhin der Gemißhandelte, der die Launen seines eigensinnigen Beherrschers ertragen muß. Hat er sich berühmt gemacht, so wollen nun andere Höfe, Regenten und Weiber ihn lieben, bei sich sehn; ihm geschehen Anerbietungen, er fühlt sich wieder geschmeichelt, unterhandelt hinterrücks halb und halb, die Aufpasser verraten es seinem Herrn, und dieser, der sich für den Wohltäter, ja den Schöpfer des Armen hält, ist erbost, sieht in seinem vormaligen Liebling den frevelnden Verbrecher, und sinnt, wie er sich an ihm rächen und ihn bestrafen könne, ohne sich der Welt und den Verleumderzungen zu sehr bloßzugeben. Wie sich dieselben Fürsten in ihren Gärten eine Sammlung der wilden, seltenen und ausländischen Tiere halten, die zuweilen wegen der Federn, oder des wundersamen Rüssels von ihnen und den Fremden in Augenschein genommen werden, so steht ein Poet an solchem Hofe in seinem kümmerlichen Futter. Und dann wird noch von Beschützung der Künste und Wissenschaften gesprochen und gesungen, und Perikles und Alexander oder Augustus angeführt, zum Verdruß und Ärger eines denkenden [] Mannes, der diese Szenen kennt, und öfter in seinem Leben gesehn hat.«
»O Ihr böser, zorniger Greis!« rief Caporale aus, »wenn Ihr so traurige Erfahrungen gemacht habt, so seid Ihr doch nur halb im Recht, denn Ihr vergeßt es ganz und gar, auch das Gute eines solchen Verhältnisses herauszuheben.«
»Das meiste«, antwortete Sperone, »sieht in der Welt so aus, wie es der Mensch sehn will. Aber seid versichert, die Lage dieses armen Tasso ist gerade so, wie ich sie beschrieben habe, und der Erfolg wird meine Aussage rechtfertigen. Ich weiß es, daß er seiner Lage dort in Ferrara schon gänzlich überdrüssig ist: er sehnt sich nach neuen Verhältnissen, kann ohne Beschützer nicht leben und dichten und hat also den Mut nicht, offen mit dem Hofe zu brechen. Der neue Großherzog von Florenz, Francesco, ist eitel genug, um einen berühmten Mann in seiner Nähe haben zu wollen: stille Botschaften, Vermittelung von Fremden, Anerbietungen, alles bedrängt den Armen, er will und will nicht: nun ist sein Fürst, die Weiber sind einmal wieder freundlich zu ihm, sie schmeicheln und liebkosen ihm und seinem Talent; da sieht er wieder goldne Tage, und schwimmt selig in der Abendröte. Aber der Ferrarese weiß es recht gut, daß er auf dem Sprunge steht, von ihm abzufallen; es fehlt nicht an Klätschern, die dies benutzen, ihn gegen den Ärmsten zu erbittern. Er war erst mit Pigna vertraut, auch der Sekretär Guarini schloß sich ihm freundlich an: jetzt sind sie gegen ihn und der letzte ist sein erklärter Feind, ein schlauer gewandter Mann, und der die Haltung besitzt, die dem Torquato fehlt, dabei auch ein Poet, und ein begabter; da muß die Eifersucht entbrennen. Nun hat ihn sein wahrster Freund und Beschützer, Scipio Gonzaga, hierher nach Rom berufen; der Herzog hat ihm nur ungern den Urlaub bewilligt, weil er weiß, daß hier mit dem Kardinal Ferdinand Medicis des Tasso wegen verhandelt werden soll, ja Scipio denkt wohl gar, den Papst selbst für den Dichter zu gewinnen, daß dieser ihm hier ein Kanonikat oder eine Präbende zuweisen möchte; dieser aber will natürlich um eine Nebensache Ferrara nicht beleidigen; Florenz will nicht zu offen mit seinen Anerbietungen heraustreten; Ferrara nimmt aus Eitelkeit den Gegenstand wichtiger wie die andern, auch vertrauen diese dem schwankenden Charakter Tassos nicht und seiner Unentschlossenheit, und so verwirrt und verwickelt sich das Verhältnis von allen Seiten so, daß es zum Unglück des Poeten ausschlagen muß.«
[] »Eure Schilderung ist freilich eine traurige«, sagte eine junge schöne Dame, »und wenn Euer Wahrsagergeist ein richtiger ist, so möchte ich schon jetzt den lieben Tasso beweinen. Aber Euer Wort trifft eigentlich jedes menschliche Verhältnis: jeder Stand muß sich durchkämpfen, jeder geistreiche Mann hat seine Feinde, der Minister und Rat findet Verlockung, seinen Pflichten ungetreu zu werden, wer nicht als Eremit lebt, gerät in Verwicklung und muß kämpfen, sinnen und arbeiten.«
»Ihr habt nicht unrecht«, antwortete der Greis, »und doch treten dem Poeten noch viel mehr Schwierigkeiten entgegen. Hat er kein Staatsamt, oder gelehrtes, ist er nicht Priester, so ist sein Beruf ein doppelter, durch welchen er eigentlich ein ganz rätselhaftes Wesen wird. Verwickelt mit der Welt, ist er in seiner Beschäftigung, in seinem Beruf doch ein wahrer Einsiedler; denn auf den Weltlauf hat seine Arbeit auch nicht den allermindesten Einfluß. Dadurch aber verliert er auch allen Maßstab, sich an sich selbst oder den übrigen Menschen zu messen; denn an keinem einzigen Abende kann er zu sich sagen: heut hast du einmal etwas Nützliches getan, du hast dem, du hast jenem fortgeholfen, jenen verwirrten Handel hast du aufgeklärt, diese Gesellschaft, jene Zunft, der Angeklagte, jener Vornehme muß dir danken. Ist er ohne Begeisterung, so fühlt er sich, als sei er ganz ohne Bestimmung, besucht sie ihn, so meint er alle Menschen zu überragen; dann ertönt das Lob der Freunde, die laute Bewunderung der Menge, das Entzücken der Weiber und Mädchen – glaubt ihr, meine Freunde, daß es viele so starke Männer, so feste Charaktere gebe, die mit richtigem Sinn das alles genießen und fassen, die den Lorbeer nicht für strahlender als die Königskrone halten, im Rausche nicht dahintaumeln, und das Leben eigentlich verlieren sollten?«
»Ja nun freilich«, sagte Caporale, »kann es nur selten solche Menschen geben, wie unser großer Ariost war. Tasso ist weicher und nicht so selbstständig.«
»Was die Fürsten betrifft« – fing Sperone mit einiger Feierlichkeit wieder an – »traut doch dem alten Ausspruch: procul a Jove, procul a fulmine. – Vor einigen Jahren besuchte ich auch eine Sammlung wilder prächtiger Tiere am Hofe eines vortrefflichen Fürsten. Der größte Tiger lag in seinem Käfige und sonnte sich, indem die bunten Flecken seiner schönen Haut; im Lichte freundlich schimmerten. Man war oft so grausam gewesen, ihm lebende größere oder kleinere Hunde als Atzung in seine Zelle hineinzuwerfen. Ich war daher nicht wenig verwundert, als ich [] ein klaffendes Hündchen bei ihm sah, das uns mit munterem Bellen begrüßte und auf seinem Tyrannen hin und her sprang, welcher sich allen Mutwill von ihm gefallen ließ. Der Wärter erklärte meiner Verwunderung die sonderbare Erscheinung. Vor mehreren Monaten war der Tiger an entzündeten eiternden Augen erkrankt, so daß er sehr verstimmt und verdrießlich war. Es ist schwer, einer solchen Bestie einen Doktor und Arznei beizubringen und, da der hohe Patient auch kein Gemüse, oder Fastenspeise genießen mochte, so fürchteten sich die Wärter selber vor dem Unwillen des zornigen Kranken. Man fuhr fort, ihm Fleisch und zuweilen wieder lebendige Tiere in sein Behältnis zu werfen; denn dies schien das einzige, woran er sich erfreute und zerstreute. Ein kleines Hündchen ward ihm lebend zugeworfen. Dieses, ohne Furcht und Zittern, sprang auf ihn freundlich zu, und leckte seine wunden Augen; jener ließ es sich gefallen, fühlte sich erleichtert und tat dem Tierchen nichts. Dieses wiederholte seine Kur und Bemühung so fleißig, daß der mächtige große Tiger in wenigen Wochen vollkommen gesund, und wieder schön und heiter wurde. Seitdem konnte der Hund mit seinem furchtbaren Gebieter tun und beginnen, was er nur wollte und ihm die Laune irgend eingab. Wenn sie beide ihre Fleischportion verzehrten, durfte der Tiger sich dem kleinen Günstling nicht nahn; kamen einmal Fremde und der Tiger war zu träge, um aus seinem hintern Behältnis vorzuschreiten und sich den Neugierigen zu zeigen, so sprang der Kleine so lange auf dem Großen hin und her, zerrte ihn am Fell, biß ihn in die Tatzen, bis der Tyrann sich erhob; denn der Kleine, Unbedeutende tyrannisierte diesen. Der Fürst stand mit seinem Favoriten vor dem Käfig, als dieses erzählt wurde; sie freuten sich der Naturerscheinung, und der junge Edelmann, halb Freund, halb Narr des Fürsten, erlaubte sich manchen derben Spaß über den Hof, die Damen, ja die nächsten Verwandten der Familie, worüber der Fürst herzlich lachte. – Mir war schauerlich zumute, da keiner von beiden (vielleicht der Tierwärter) an die Nutzanwendung dachte. Es waren noch nicht sechs Monate verflossen, so hatte in einem Anfalle von Unmut der Tiger seinen kleinen Freund doch zerrissen und aufgefressen, und der junge witzige Edelmann lag im Kerker eines Schlosses in Ketten und Banden.« –
Caporale begleitete den Grafen Pepoli noch durch die Stadt. Sie gingen dem Hause der Accoromboni vorüber, und der Graf bemerkte: »Sollte man nicht glauben, daß alle jene ausgezeichneten Menschen durch ihren höhern Geist ein trauriges Geschick fast[] freiwillig auf sich herabziehn? Oder sind es unsichtbare, neidische Mächte, die in der Menschheit nichts dulden wollen, das sich über die traurige Mittelmäßigkeit erhebt?«
»Fast scheint es so«, erwiderte der Poet, »der alte Wahrsager in seinem jüdischen Talare dort hat wohl im wesentlichen recht. Und so zittere ich auch für dieses schöne, so vielfach begabte Mädchen dieses Hauses. Sie kann nicht: die gewöhnlichen Wege wandeln, und der schwärmerische Geist der Mutter, statt sie auf die richtige Bahn zu lenken, treibt sie in das Seltsame hinein, aber ihr heftiger Geist wirft sich in den Widerspruch, und sie sucht noch steilere Bahnen und größere Wunder. Dazu dieser abscheuliche Luigi Orsini, welcher sie mit seiner rohen Liebe verfolgt, dieser Mensch, so schön und wohlgebildet, und doch ein Schandfleck unsers römischen Adels.«
Vor der Tür erblickten sie die Leute des Kardinals Farnese; der alte Fürst schritt aus dem Hause, sah und erkannte den Cesare Caporale, und lud ihn ein, mit in seinen Wagen zu steigen, weil er mit ihm etwas Wichtiges zu sprechen habe. Das Gespräch, welches beide führten, war sonderbar genug.
Der Kardinal Farnese hatte das Haus der Accoromboni noch niemals so oft besucht, als jetzt. Man empfing ihn jedesmal, wie es sich von selbst versteht, mit der größten Ehrfurcht, und doch fühlte es die Matrone nur allzudeutlich, daß sie, ungeachtet der Freundlichkeit des Fürsten, nicht mehr so, wie sonst, auf ihn vertrauen konnte. Man meldete ihn wiederum, und da die Tochter in der Messe war, so empfing ihn die Mutter, und es schien ihm lieb zu sein, sich mit dieser allein unterhalten zu können.
Donna Julia fühlte, so fein auch der Kardinal war, daß er heut etwas Besonderes ihr mitzuteilen habe; denn er war halb zerstreut und doch aufgeregt, sein schönes großes Auge glänzte mehr als sonst und er fing ein Gespräch an, und ließ es wieder fallen, fragte, ohne die Antwort abzuwarten, und zeigte in seiner Miene, die bald ernst, bald freundlich wechselte, daß er etwas Wichtiges vorhabe.
»Was Ihr mir von dem jungen Orsini erzählt habt«, so begann er endlich, »hat mich wahrhaft erschreckt, und ich bin in der Tat in Verlegenheit, welchen Rat, oder welche Hülfe ich Euch anbieten könnte. Daß Eure Tochter den jungen Bösewicht verabscheut, [] ist natürlich, und an eine Vermählung mit ihm, so reich und vornehm er auch ist, ist nicht zu denken. Selbst wenn Vittoria nicht dagegen wäre, würde ich doch mit allen Kräften abraten, denn es ist zu fürchten, daß das Schicksal dieses jungen Mannes ein furchtbares sein wird. Er, der jedes Gesetz verachtet, der die Gefahr stündlich herausfordert, der den Rat keines Menschen hört, er muß, wenn er sich nicht einmal völlig umkehrt, tragisch endigen. Und doch – wer ist stark genug, seine Gewalttätigkeiten abzuhalten? Sein Anhang ist groß, hundert verwegne Abenteurer, einige aus guten Häusern sogar, umgeben ihn, die besoldeten Banditen ungerechnet; alle diese sind auf einen Wink von ihm zum Tollsten und Abscheulichsten bereit. Dieses Unwesen unsers Staates ist so mächtig geworden, daß der Heilige Vater und wir alle dem nicht steuern können. Neapel und andere Staaten ermuntern und unterstützen diese freien Banden, um uns zu schaden, der König von Spanien triumphiert, daß wir in dieser ängstlichen Verlegenheit sind, und Florenz ist jenem Monarchen fast dienstbar und widersetzt sich ihm nie. So groß ist das Übel und so furchtbar angewachsen, daß wir alle selbst zuweilen in diesen abscheulichen Verbindungen unsere Hülfe suchen müssen, um nicht unbedingt dem fremden feindseligen Einflusse zu gehorchen. Treibt nun ein Orsini, oder ein andrer vornehmer Bösewicht es einmal zum Äußersten, so ist höchstens der Bann seine Strafe, und er wird in Neapel, Florenz und Venedig mit offnen Armen empfangen, man gibt ihm bedeutende Ämter und Unterstützung aller Art. – Was soll also hier geschehn? Wer soll Euch in diesem kleinen Hause mächtig beschützen? wer diesem Orsini Furcht einflößen?«
»Aber Ihr selbst, hochverehrter Freund; kann nicht ein so mächtiger Kardinal für seine Schützlinge stärker einschreiten?«
»Liebe alte Freundin«, sagte der Kardinal seufzend, »unsere Macht, unser Einfluß unterliegt ewigen Schwankungen. In diesen besteht nur, wenn Ihr Euch darum erkundigt, die Geschichte unsers geistlichen Regiments. Handeln irgend andre Mächtige gegen uns, offen oder unter der Hand, so entstehn Hemmungen, Widersprüche, wir gehn vorwärts, kämpfen, und plötzlich fühlen wir uns gelähmt und ohnmächtig, weil ein heftiger Schlag blitzschnell von einem Orte herkommt, wo wir es am wenigsten vermuten konnten. Ist schon an den Höfen ein beständiger Wechsel von sich ablösenden Intrigen, von Dienern und Vornehmen, die einer des andern Kraft zu vernichten suchen, so ist dies noch viel manichfacher, stärker, feiner und gewaltsamer in [] unserer Priesterherrschaft, wo nicht bloß Kardinal und Bischof, der Herzog und Gesandte des Hofes, sondern auch wohl der bettelnde Mönch durch seinen Einfluß einen groben Querstrich durch unsere besten Kalküls ziehn kann. – Alles das wird mir jetzt bei Eurem Prozesse klar, der nun schon seit zwei Jahren in der Schwebe hängt. Meine Advokaten wissen, wie es mein ernster Wille, ja mein Befehl ist, daß alle jene Schikanen niedergeschlagen werden, die Euch den größeren Teil Eures mäßigen Vermögens streitig machen wollen, alle meine Klienten kennen meinen Willen – und doch – doch ist es möglich, daß Ihr gerade jetzt unter den obwaltenden Konjunkturen Eure gerechte Sache verliert.«
»Um Gottes willen!« rief Donna Julia, und sank erblaßt in ihren Sessel zurück, »so träfe mich ein ungeheurer Schlag da, wo ich es am wenigsten fürchtete! Auch noch Bettler werden? Es wäre entsetzlich!«
»Nicht gleich das Ärgste fürchtet«, sagte Farnese, indem er ihre Hand faßte und sie freundlich drückte; »im schlimmsten Falle hättet Ihr reiche Freunde, die Euch keinen Mangel würden leiden lassen.«
»Keinen Mangel?« rief sie aus, »– und von Almosen leben! von Brocken, die man uns auch willkürlich entziehen könnte! – In eine enge abgelegene Gasse flüchten, die Tür für jeden anständigen freien Mann verschlossen halten müssen! Nicht mehr imstande sein, einen Armen durch eine Gabe zu trösten, viel weniger einem alten Gastfreunde eine Schüssel vorsetzen können! Das also wäre dann der Beschluß meines Lebens.« – Aus ihren großen Augen stürzten brennende Tränen, sie schien es nicht zu bemerken.
Die große Gestalt des Farnese erhob sich und beugte sich tröstend über sie, indem der zierliche Mund die freundlichsten Worte sagte. Als sie wieder mehr beruhigt schien, sagte der Kardinal: »Nicht wahr, Ihr habt Vertrauen zu mir, Ihr seid meine bewährte Freundin, und Ihr glaubt von mir, daß ich alles für diejenigen tun will und werde, die ich die Meinigen nenne?«
»Ihr seid mein einziger Schutz«, sagte die Matrone; »wenn Ihr mich aufgebt, so bin ich ganz unter die Füße getreten.«
»Macht es mir nur möglich«, rief der Fürst, »ganz mit aller Kraft für Euch zu handeln, daß ich mit begründetem Anspruch ohne mich lächerlich zu machen, auch das Äußerste versuchen und ausrichten darf.«
»Wie meint Ihr das?«
[] »Seht«, fuhr er liebreich fort, »die Päpste haben ihre Nepoten, die sie nicht nur beschützen, sondern reich und mächtig, oft, wenn sich die günstige Gelegenheit bietet, zu unabhängigen und regierenden Fürsten machen. – Könnte ich nun Euch und die Eurigen nicht auf ähnliche Weise adoptieren?«
Die Mutter sah ihn forschend an.
»Ich habe aus Vittorias eignem Munde«, begann der Kardinal wieder: »daß, wenn es nach ihrem Willen geht, sie sich niemals vermählen wird. – Und sie hat recht. Denn welches Glück könnte diesem hochgestimmten Wesen wohl in der gewöhnlichen Ehe blühen? Glanz, Pracht muß sie umgeben, sie muß ein fürstliches Dasein führen und durch ihren erhabenen Geist Einfluß in die Händel der Welt gewinnen. So gelang es dieser merkwürdigen Bianca Capello, die als eine arme Flüchtige und Verbannte nach Florenz kam, und jetzt dort den Herzog und den Staat regiert, knieend von allen verehrt wird, und ihre Schönheit von aller Welt bewundert. – Erlaubt mir, fortzufahren. – Vittoria ist schöner und begabter als diese Bianca, deren Geschichte der Welt ein Märchen dünken möchte. Ich bin kein regierender Herzog, aber ich kann Euch und den Eurigen eins meiner großen Schlösser schenken, hier in Rom, oder auf dem Lande das prächtige Caprarola oder ein anderes, ihr und den Eurigen auf ewig so fest und bündig verschreiben, daß keiner meiner Verwandten Einwendungen machen kann, die ich auch unter den strengsten Bedingungen so reichlich entschädigen will, daß auch der frechste von diesen keinen Widerspruch wagen soll. Ja, daß ich es nur bekenne, meine Leidenschaft für die göttliche Virginia ist mit jeder Woche gewachsen: ihre Zuneigung und Liebe ist zu meinem Dasein unentbehrlich. – Übereilt Euch mit keiner Antwort, und da ich einmal so weit gegangen bin, laßt mich alles sagen. Gehört Ihr mir auf diese Weise an, sind wir so innigst verbunden, so gebe ich Euch mein fürstliches Wort, ja leiste Euch, wenn Ihr es verlangt, die heiligsten Eidschwüre, meine äußerste Gewalt, ohne alle Rücksicht auf meine Kollegen oder weltliche Fürsten, auf Papst und Kurie, anzuspannen, um Eure und meine Wünsche durchzusetzen. Ihr wißt aus meiner Geschichte, daß ich Tage erlebt, wo ich auch schon ohne Furcht und Zagen handelte. Dann seid Ihr reich und mächtig, ich setze alles daran, Euern ältesten Sohn zum Bischof zu machen, Flaminio erhält einen einträglichen Posten, und Euer Marcello, der jetzt in naher Todesgefahr schwebt, wird ein angesehener, wohlhabender Mann. Auf diesem Wege könnt: Ihr Euch erretten und glücklich sein.«
[] »Indem mein Kind eine Buhlerin wird?« rief sie ihm mit gedämpfter Stimme entgegen, und warf aus dem großen feuerstrahlenden Auge ihm einen so zürnenden und verachtenden Blick zu, daß er scharf errötete, den Strahl nicht ertragen konnte, und sein Auge niederschlug, indem seine feinen schönen Lippen in Verlegenheit zitterten.
Er faßte sich bald wieder und sagte: »Teure Freundin, Ihr seid in der Welt aufgewachsen, und habt beobachten können. Seht um Euch, und erinnert Euch alter und neuer Geschichten. Wer war Lucretia Borgia, die eine verehrte Herzogin von Ferrara wurde, und vor der selbst ein großer Bembo in zärtlichen Seufzern kniete? Solltet Ihr denn, die Hochdenkende, so klein bürgerlich gesinnt sein, um jenes Wort im Ernst aussprechen zu können? Hoheit und Glanz versiegelt jede Lippe, und selbst den Armen, Erbitterten, welche lästern möchten, ist es nicht Ernst mit ihrer finstern Tugend. Wäre ich nicht ein Verpflichteter meines Standes, so würde ich Vittorien freien Sinnes meine Hand anbieten, so kann ich ihr nur meine Liebe geben. Und ist dies Gefühl, diese Verbindung, die aus ihm entspringt, nicht die allernatürlichste der Welt? Oh, das müßt Ihr ja selbst erfahren haben, wie könntet Ihr sonst so edel und verständig sein; und wart Ihr denn nicht auch einmal mit dem Grafen Orsini Pittiliano verbunden? – O freilich, Euer Erröten sagt genug. – Nur jetzt keine Antwort so schnell, sie möchte eine Übereilung sein. – Erwägt meine Vorschläge und Freundschaft in einer ruhigen Stunde.«
Er empfahl sich mit einem zärtlichen Handkusse, und als man die Tür öffnete, glänzte von draußen die hohe Schönheit Vittorias in das Zimmer herein: sie kam aus der Messe, von Caporale und dem jungen Francesco Peretti begleitet. -»Was macht das junge Flachsgespenst in Eurem Hause«, sagte der Kardinal, indem er noch einmal rasch umkehrte; »aus dem wird sein eselhafter Oheim, der eingeschlafene Montalto niemals etwas machen können; warum ließ er ihn nicht draußen, bei seinen Kälbern und Rindern?«
Zärtlich Vittoria anschauend und mit einem Blick der tiefsten Verachtung auf den jungen Peretti verließ er das Haus, indem er noch im Vorbeigehen dem alten Caporale vertraulich die Hand schüttelte, worüber die tief sich verneigenden Diener in das höchste Erstaunen gerieten.
Als sich Donna Julia allein sah, warf sie dem Fortgegangenen eine drohende Gebärde nach und sagte für sich hin: »O du gleißender [] Priester! du Abscheulicher! Also so hast du es mit uns im Sinne? Oh, welche Welt ist dies! – Und war sie wohl jemals anders? – Der schleichende Fuchs mit der Taubenmiene! – Es bliebe uns also nichts, als daß sich dort das alte Schauspiel mit der Lucretia wiederholen könnte, oder der Decemvir hier mich zwänge, mit dem Stoß eines Messers meine Virginia aufzuopfern. – Was träumte ich mich, (zum Lachen!) die Mutter der Gracchen zu sein! – Und doch waren ihre Mörder auch Römer!«
Sie hörte im andern Zimmer ein lautes Lachen, und der Ton schnitt ihr durch das Herz. »So ist es«, sagte sie zu sich; »laute Fröhlichkeit dort, hier Verzweiflung! und nur eine dünne Wand zwischen beiden! Wie hat er nur, der sich meinen alten Freund nennt, den Mut haben können, mich an die Geschichte meiner Jugend zu erinnern! – O nein, er fühlt nicht, wie bei der Erinnerung hundert schartige Messer durch meinen Busen gehn.«
Sie öffnete die Tür zum andern Zimmer und rief den alten, bewährten Freund, den einfachen ehrlichen Caporale zu sich. Sie setzten sich, und in krampfhafter Rührung und unter Tränen begann die Mutter den Bericht. »Quält Euch nicht so ohne Not« sagte der Alte, »ich habe schon gestern abend alles erfahren, die hohe Eminenz nahm mich so freundschaftlich in ihren Wagen der Kutscher mußte einen Umweg fahren, damit der geistliche Fürst in unserer Einsamkeit nur Zeit genug behielt, mir sein ganzes Herz auszuschütten, und keinen Umstand der weitläuftigen Geschichte zu vergessen. So bin ich denn in meinem Alter nolens volens sein Kuppler geworden, denn es war keine Möglichkeit, seinen angenehmen Geständnissen zu entrinnen.«
»Und was ist dabei zu tun?« fragte die Mutter bewegt.
»Alles oder nichts.« –
»Und was ist die Meinung dieser Worte?«
»Entweder sein Erbieten mit Dank annehmen, oder sich bis auf den Tod widersetzen. Ja, bis auf den Tod, denn es gilt alsdann das Äußerste. So nimmt Vittoria denn den wilden Orsini zum Gemahl, und der wird ihr schon mit Dolch und Feuergewehr vor den andern Unholden Ruhe zu verschaffen wissen – oder, sie stirbt, was ihrer starken, aufgeregten Natur vielleicht am nächsten liegt. Denn glaubt nur nicht, diesmal wohlfeilen Kaufs loszukommen, oder daß sich alles in leere Drohungen auflösen werde. Der Kardinal hat mit seiner feinen Spürkraft diesen Moment schon seit lange herannahen sehen; er ist klug genug, um sich die Gelegenheit nicht entschlüpfen zu lassen. So gleißend, wie möglich, hat er mir alles eröffnet, in wehmütiger Stimmung, indem [] er mir oft, als seinem intimsten Freunde, die Hände drückte, und mich beim Abschiede noch herzlich umarmte, mir in den größten Lobeserhebungen von meinem ungeheuren poetischen Talente sprach, das alle jetzigen Dichter weit überragte, indem er mir unaufgefordert beteuerte, nicht eher zu ruhen, als bis er mir eine viel vorteilhaftere Stelle verschafft habe, als meine jetzige sei. So werde ich auch noch durch Euch zu einem mächtigen Manne werden. – Soviel ist gewiß, wenn Ihr Euch jetzt dem Kardinal entzieht, so geht Euer Prozeß verloren und Euer Sohn stirbt unter Henkershänden.«
»Nicht wahr?« rief sie mit grellem Ton; »es gibt doch Freunde, wahre Freunde in dieser Welt!«
»Ich habe diese Nacht nicht schlafen können«, sagte der Alte: »mir war unser Dasein mit seinen Bedingnissen noch niemals in diesem seltsamen Lichte erschienen. Der Angelstern, den wir in unsrer Brust für einen ewigen hielten, droht zu erlöschen, und es ist einem zumut, als wenn das Gewissen nur ein Märchen wäre, wenn alte Männer, Priester, Fürsten, vom Volke Verehrte so ruhig und sicher ihre Verruchtheiten, als wären es ebenso viele mathematische Lehrsätze, dem erstaunten Zuhörer auseinanderlegen.«
Der Dichter wollte sich entfernen, doch bat ihn die Mutter, zu ihrem Troste noch zu verweilen, weil es ihr in dieser Stimmung unmöglich falle, mit ihrer Familie allein zu sein. Ungern nur erfüllte Caporale diese Freundespflicht, weil er fühlte, daß sein Rat von keinem Nutzen sein könne, er neue gewaltsame Szenen fürchtete, und selbst nach diesen Erschütterungen und der durchwachten Nacht der Ruhe bedurfte. Im Zimmer befand sich Vittoria allein: Flaminio war mit Peretti gegangen, um diesen zu begleiten, denn der neue Fremdling hatte dem jungen Accoromboni eine glühende Freundschaft aufgedrungen. Vittoria schien sehr heiter, denn sie lachte noch und fütterte mit Brosamen aus dem Fenster ihre Tauben, die sie sehr liebte.
»Was erfreut dich, mein Kind?« fragte die Mutter mit schwerem Ton.
»Ei, daß ich schon wieder, fast wie Circe«, sagte sie übermütig »mir einen neuen Liebhaber eingefangen habe, den ich kaum noch in ein Tier zu verwandeln brauche, denn er tritt mir selbst als freiwilliger Gimpel entgegen. Er schwört mir zu, daß eine ewige, unüberwindliche Leidenschaft ihn zu meinen Füßen feßle, um ohne Trank und Speise vom Anblick meiner schönen Augen zu leben. Er will seinen alten Oheim zu seiner Einwilligung bewegen, oder augenblicks des schrecklichsten Todes sterben. Er hat [] mir in der kurzen Zeit, daß er jetzt bei mir war, mehr vorgeschwatzt und mir mehr Albernheiten gesagt, als alle meine vorigen und jetzigen Anbeter in Wochen. Wenn man nicht selbst von diesem Wahnsinn befangen ist, so gibt es auf Erden doch nichts so Lächerliches, als diese Liebe.«
»Und deinen Orsini hast du schon so bald vergessen?« fragte die Mutter.
»Nun ich den ersten Schreck überstanden habe«, antwortete sie, »muß ich auch über diesen Rodomont lachen. Er gefällt sich im Toben, seine Liebeserklärung weiß er nur in Flüche einzukleiden. Und am Ende kann man diese Sacripante und Rolande doch mit einem ruhigen, verständigen Blicke regieren.«
»Laß deine Tauben«, sagte die Mutter, »und setze dich zu uns.«
Vittoria nahte sich mit beobachtendem Blick und sagte: »Dir muß wieder etwas begegnet sein, denn du trittst mit einem ganz verwandelten Gesichte zu mir her. Ich wollte mit dir von diesem meinem Peretti sprechen, und herzlich in deiner Gesellschaft lachen. Hast du das schon in einem Gedicht oder Novelle gehört, daß ein wilder Ochs der Kammerherr ist, der den fremden, angekommenen Prinzen der geliebten Fürstenbraut vorstellt? Selbst unter den Tollheiten des Ariost würde diese noch als die verwunderlichste erscheinen: und doch ist die Sache buchstäblich wahr, und sie hat gerade mir begegnen müssen.«
»Wir stehn jetzt auf einem ganz andern Punkte«, sagte die Mutter; »seit gestern hat sich alles völlig geändert, das kann mir dieser bewährte Freund hier bezeugen.«
»Nun so sprich denn«, sagte Vittoria ganz gelassen, »ich denke, ich kann alles hören, solange noch das Tageslicht scheint; in der Nacht bin ich freilich viel furchtsamer.«
»Wir müssen verzweifeln!« rief die Mutter von neuem heftig aufgeregt, »alle Mittel entweichen, alle Hülfe läßt von uns los: Armut, Schande, Elend, Tod und Entsetzen stehn dicht vor unserer Tür, alle pochen laut und ungestüm an, und verlangen eingelassen zu werden, und unsre schützenden Wächter des Hauses sind entwichen und verleugnen uns.«
»Aber wir sollen uns nicht verleugnen, und solange meine Seele mein eigen ist, ruht auch mein Schicksal in meiner Hand. Nie, nie werde ich mich beugen, nie dem nachgeben, was die Menschen Notwendigkeit oder Verhängnis nennen. Welch Wesen kann zu uns treten und sagen: Du sollst mir gehorchen! Solange ich noch ein Glied regen kann, werde ich mich nicht vor Menschen, auch nicht vor Tod und Schicksal demütigen.« So sprach Vittoria.
[] Die Mutter sprang wütend auf, die Tochter hatte sie noch niemals so gesehn und Caporale entsetzte sich. »Ungeratene! Verblendete! Aberwitzige!« schrie sie mit gellenden Tönen, in Haltung und Gebärde aller Grazie völlig entkleidet. »Sieh her, vor einem kleinen Brosamen, vor diesem hier, das deiner Taube bestimmt, vor diesem Hundertteil eines Pfennigs kannst du knien und flehen müssen, zu ihm um Erbarmen schreien, und dem die rohen groben Hände küssen, der es in der Hungersnot mit Verachtung dir hinwirft, wenn ich gestorben bin, deine Freunde tot sind, deine Liebhaber dich verachten!«
Vittoria wandte sich zitternd und leichenblaß von der Mutter ab. Sie verstand deren Wesen nicht mehr; sosehr sie war erschreckt worden, sosehr sie sich auch vor diesem wilden Ausbruch der Wut und der Verzweiflung entsetzt hatte, so konnte sie sich doch nicht bergen, daß ihr die verehrte Frau zum erstenmal im Leben gering und häßlich erschienen sei. Diese Fremdartigkeit verschlang in diesem Moment alle andern Gefühle, sie kam sich edler und höher vor, und darum sagte sie ganz ruhig, selbst mit einer Art von kalter Verachtung: »Sollte es denn so sehr schwer sein, zu sterben, und das ängstigende Buch zu schließen, ohne alle Blätter desselben durchzulesen?«
»Verzeiht mir, Don Cesare«, sagte die Mutter jetzt zerknirscht und weinend, »ich habe mich wohl unwürdig betragen, und Ihr seid ein Zeuge meiner Schwäche geworden. Immer höre ich von der Törin wieder die Worte: Freiheit! Sterben! bei denen sie sich nichts denkt. Es stirbt sich nicht so obenhin; – und wenn auch – alles das erst durchleben zu müssen, was einem solchen Tode vorangeht!«
»So sprecht mit mir verständlich, ruhig«, sagte Vittoria. »weiß ich doch gar nicht einmal, wovon die Rede ist.«
Julia ging noch einigemal im Saale auf und ab, um sich zu sammeln, dann ergriff sie die Hand Don Cesares, wendete sich zur Tochter und sagte: »Vergib auch du mir.« Sie setzte sich dann, und erzählte mit zitternder Stimme, die aber im Fluß der Rede nach und nach erstarkte, von dem Prozeß, der wahrscheinlich, und mit ihm ihr Vermögen, verlorengehn würde, von der nahen Hinrichtung des Bruders, ihrem Verarmen, der Möglichkeit der Gewalttat von seiten Orsinis, und wie endlich der so freundlich scheinende Kardinal, er, fast der angesehenste Mann des Staates und des erlauchten Collegii, jene Vorschläge getan, die auch Caporale schon kenne, weil er sie kalt überlegt diesem ebenfalls mitgeteilt habe. »Und nun du alles weißt«, schloß die [] Mutter, »so brich nicht in unnütze Wut aus, sondern rate und hilf jetzt, wenn du denn so mächtig bist.«
Die Mutter und Caporale zitterten jetzt vor dem Ausbruch der heftigsten Wut, den sie mit Bangen erwarteten; – doch wie waren sie erstaunt, als Vittoria ganz ruhig blieb, ja sich noch kälter und gelassener zeigte, als zuvor. Endlich sagte sie, fast im höhnischen Ton: »Nun, Mutter, was ist es denn nun weiter? Ich dachte, welche Wunder Ihr mir zu entdecken hättet. Wir können in kein fremdes Land flüchten, dazu fehlen uns die Reichtümer; hier in den Provinzen, oder unserm Vaterlande ist keiner so mächtig, oder uns so befreundet, daß er uns schützt und erhält, wir sind der Willkür, der Ungerechtigkeit, der Gewalt und wohl dem Morde preisgegeben. Der einzige Widerstand, der uns noch übrigblieb, ein edler, freiwilliger Tod, wie ihn die großen Römer nicht selten an sich vollstreckten, diesen wollt Ihr nicht billigen, weil Ihr meint, das göttliche Gesetz, unsre Religion, habe den Selbstmord für die unverzeihlichste Sünde erklärt; – also – warum die Vorschläge unsers besten Freundes, des großen mächtigen Kardinals, nicht annehmen? Reichtum, Glanz, die Freiheit des Bruders, das Aufblühen unsrer Familie, alles wird uns großmütig angeboten. Kein andrer wird dabei aufgeopfert als nur ich allein. Und wenn ich also nun mit dieser Anordnung zufrieden wäre? Ja, wäre der Freund, der mir mit diesen Lockungen entgegentritt, ein so großer Mann, wie es der Papst Julius der Zweite war, wäre er ein Lorenzo Magnifico, so wäre es selbst kein Opfer von meiner Seite, denn ein so großer Charakter wurde mich zwingen, ihn zu lieben. Und wie ich von der hergebrachten Ehe denke, weißt du ja längst, Mutter. Diese willkürliche Hingebung an schwache gewöhnliche, ja verächtliche Männer – wie soll ich glauben, daß eine priesterliche Weihe, eine Zeremonie, dieses elende Verhältnis heiligen könne? Nur für das blöde Auge der Menge, für den zünftigen Priester, für jammervolle alte Gevatterinnen kann zwischen der privilegierten und scheinbar verbotenen Verbindung ein Unterschied stattfinden. Wenn mir alle Männer gering und armselig erscheinen wenn die Ehe selbst mir widerwärtig ist, und du doch behauptest, jedes weibliche Wesen müsse sich ihr fügen; so begreife ich deine zürnende Empörung über unsern alten würdigen Beschützer nicht.«
»Ich erkenne dich nicht mehr für meine Tochter«, sagte die Mutter kalt und verließ das Zimmer.
Caporale war so erstaunt, daß er nicht wußte, ob er richtig [] gehört oder verstanden hatte. »Laßt mich!« rief jetzt Vittoria mit dem heftigsten Ausbruch der Tränen: »ich will allein sein; es ist mein Schicksal, von keinem Menschen verstanden zu werden.«
Der alte Kardinal saß sehr tiefsinnig in seinem Zimmer, verstimmt und zugleich gerührt. Der junge Neffe, Francesco Peretti, stand verlegen im Winkel des Gemachs, seine Augen waren rot und feucht, und man sah ihm an, daß er eben heftig geweint hatte. »Alle meine Pläne«, fing der Alte jetzt nach einer langen Pause an, »brechen zusammen; die Freude meines Lebens ist dahin. Seit ich dich, Unglücklicher, sah, hat sich eine fast rätselhafte Liebe zu dir meines Herzens bemächtigt: in dir wollte ich meiner armen Familie alles vergüten und ersetzen, was ich zu meinem Schmerz meinen vielbedrängten Eltern nicht habe widmen können, weil sie früher dahingingen, als ich in irgendeinem Wohlstand mich befand. Die Schwester, den Bruder wollte ich in dir beglücken, und dich als Grundstein niederlegen, auf welchem meine Familie einst das Gebäude ihres Ansehns und Einflusses aufführen könnte. Du kommst an, der Tag, wo ich dich wiedersah, war beglückend für mich, in der Täuschung war er der schönste meines Lebens. Denn freilich, mußte ich den Irrtum schon früh gewahr werden; du bist schwach, fast ohne Charakter und Männlichkeit, scheust die Arbeit und lebst am liebsten in Zerstreuung, und was noch schlimmer ist, in schlechter Gesellschaft. So mußte ich es bald aufgeben, dir die geistliche Laufbahn zu eröffnen, auf welcher ich dir am hülfreichsten sein kann, da du deinen Widerwillen gegen den ehrwürdigen Stand auch gar nicht verhehltest. Schon damals schwankte ich in meinem Entschluß, ob ich gut getan, dich nach Rom zu rufen, oh ich dich nicht lieber sogleich wieder auf das Land zurückschicken solle. Es kam aber noch schlimmer. In meiner Gegenwart zitterst du vor mir und beugst dich meinem Willen, und hinter meinem Rücken bist du ausgelassen, frech und spielst den Frevler, nimmst die Manieren an, die du von den hiesigen Erben der großen Häuser siehst, als wenn du zu ihnen gehörtest. Die Studien, die ich dir aufgegeben, die dir einmal Achtung und bedeutende Staatsämter erringen sollen, vernachlässigst du, jeder deiner Lehrer klagt dich an, keiner will, so gern sie mir schmeicheln möchten, Hoffnung für dich schöpfen. Nachher hast du dich von [] deinen verächtlichen Gesellschaften verleiten lassen, liederliche verrufene Weibsbilder zu besuchen, du gehst in den schändlichsten Lüsten unter, und es ist so weit gekommen, daß meine törichte Liebe sich gewöhnen muß, deinen Tod für kein Unglück mehr zu halten.«
Peretti kam näher und kniete demütig vor dem alten Oheim nieder. – »Eminenz«, sagte er flehend, »erlaubt mir Eure liebe wohltätige Hand zu küssen. O liebster, vortrefflichster Oheim, vergebt doch noch einmal einem irregeleiteten jungen Menschen. Ich werde mich bessern, ich werde künftig Euern Ermahnungen mehr Gehorsam leisten: Nur –«
»Nun ja!« rief der Kardinal mit Heiligkeit aus: »nun tut sich ein neues Abenteuer hervor, das tollste noch von allen! Das junge Blut will jetzt schon heiraten, das flachsköpfige Bürschchen ohne Bart, Verstand und Erfahrung, will einen Ehemann vorstellen und eine Haushaltung führen. Sollte eine Vermählung stattfinden, so war dazu nach manchem Jahre noch die Zeit, wenn du in der Welt bekannt, wenn du die Achtung angesehener Familien genossest – aber jetzt schon! Und wen? Eine Unbedeutende, wie man sagt talentvolle Dichterin! Bekannt durch Schönheit und viele Liebhaber- alles abgeschmackt!«
»O liebster, verehrtester Vater«, rief Francesco aus, »– ja so muß ich Euch nennen, denn so väterlich, gütig, liebreich, mehr als ehrwürdig erscheint Ihr mir. Glaubt mir es doch daß diese Liebe keine jugendliche Übereilung ist, daß Eure gnädige, liebreichste Einwilligung mich glücklich und zu einem ganz andern Menschen machen könnte. Seit ich die himmlische Accorombona nur gesehen habe, bin ich verwandelt und gebessert; meine Gesellschaft, die Ihr mit Recht tadelt, habe ich verabschiedet und mag sie nicht mehr sehn, denn ich weiß es jetzt, wie edle Menschen den ken und sich betragen müssen. Erhebt Ihr mich zu meinem höchsten Glück, so werde ich Euch gewiß Ehre und Freude machen. Könnt Ihr mir nicht Eure Einwilligung geben – ach! Teuerster, Einziger – Ihr nennt mich schwach, und ich bin es auch – aber, wenn Ihr unerbittlich seid, so wird sich meine Schwäche in Verzweiflung verwandeln und meinen Untergang bereiten.« –
Er weinte von neuem und warf sich wieder in der heftigsten Bewegung vor seinem Oheim nieder. Dieser blieb ganz ruhig, betrachtete ihn gelassen von oben, und spielte dann nachdenkend mit seinen blonden Locken. »Die Jungfrau soll groß, kühn und keck in ihrer Gesinnung sein«, sagte er dann; »ich habe sie nie gesehn, aber den rechtschaffenen Vater habe ich wohl vorzeiten [] gekannt: wie wird diese Starke dich lieben und achten können, wenn auch sonst alle Hindernisse gehoben wären?«
»Der Bruder Flaminio, dem ich mein Herz eröffnet habe«, erwiderte der Jüngling, »gibt mir Hoffnung; er hat mir von der Schwester gesagt, wie wunderbar ihr Wesen sei. Sie verabscheut den Luigi Orsini, der sich schon seit lange mit der größten Heftigkeit um sie bewirbt, und erklärt: nur mit einem stillen, friedlichen Mann, von sanftem Charakter, könne sie in der Ehe glücklich sein.«
»So segne dich der Herr«, sagte der Kardinal, indem er wieder die Hand auf das Haupt des Knieenden legte; »er erfülle deine Hoffnungen. Du weißt es aber selbst, Francesco, daß ich dich nicht mit Reichtümern ausstatten kann, ich kann jetzt nur wenig für dich tun. Sprich mit der Mutter, die man als eine kluge, verständige Frau rühmt. Bringe mir ihre und der Tochter Einwilligung. Vielleicht entspringt dein und unserer Familie Glück aus dieser Verbindung, wenn sie möglich ist. Daß sie den großen, mächtigen Orsini ausschlägt, gibt mir von ihr einen guten Begriff, daß sie sich einen einfachen sanften Mann wünscht, zeugt von ihrem Verstande, und daß ihr ein kleines stilles Glück höher steht, als Glanz und Pomp. Geh, wir sprechen uns wieder.«
Der junge Francesco war so entzückt, daß er nicht wußte, wie er aus dem Hause gekommen war, als er sich auf der Straße sah. Einer seiner vorigen wilden Bekannten wollte ihn anreden er wies aber den unnützen Burschen mit der größten Verachtung zurück, ohne ihn eines Wortes zu würdigen. Er flog nach dem Hause der Accoromboni.
Hier war die Mutter allein in ihrem Zimmer, und hatte ihre Fassung mehr errungen, indem sie mit einiger Ruhe ihr Schicksal und ihre mögliche Zukunft überdachte. Sie wollte sich im äußersten Fall in die Abruzzen zu einer wohlhabenden Muhme begeben und bei dieser in der Einsamkeit mit den Trümmern ihres Vermögens leben. Zwar graute ihr vor der Lebensweise dort, die sie schon kannte, wenn ihre Phantasie sie ihr ausmalte, und sie sich aller Umstände errinnerte, die sie vor Jahren gesehn und beobachtet hatte. Sie grübelte dann wieder, weshalb sie, die Ältere, eine so viel größere Scheu vor dem Tode, als ihre widerspenstige Tochter habe, sie entsetzte sich weniger, wenn sie sie auch nicht begreifen konnte, vor diesen ketzerischen Ansichten von der Ehe, dem guten Ruf und allen diesen hergebrachten Regeln des Anstands und der Tugend, die sie doch in ihrem Leben so oft von den höchsten, edelsten Männern, sowie von den geistreichsten [] und vorzüglichsten Weibern hatte verletzen sehn. Ihr graute vor diesen Verirrungen, und dennoch schien ihr die Tochter auch nicht ganz unrecht zu haben, wenn diese die gewöhnliche, rechtliche Bahn des Lebens, wie so viele Menschen sie wandelten, eine trübselige, unbefriedigende nannte. Ihre eigene Jugend erschien ihr wieder in einem lebhafteren Lichte, und viele Erinnerungen und Gefühle, die sie längst abgestorben wähnte, tauchten mit neuer Gewalt aus ihrem Herzen auf.
Es war ihr daher, wie ein Wink des Schicksals selbst, wie die glücklichste Wendung, die sie nur hätte ersinnen können, als Francesco Peretti mit seinem Liebesantrage hereinstürmte und in seiner Hast zugleich die errungene Einwilligung seines Oheims meldete. Die Mutter antwortete dem jungen Menschen sehr freundlich, und gab ihm alle Hoffnung. Er erschöpfte sich in Dank und Entzückung, und konnte es nicht müde werden, die schönen Hände der kündigen Schwiegermutter immer wieder und wieder zu küssen. Sie versprach, mit der Tochter zu seinem Besten zu reden, und mochte sich gern selbst überzeugen, daß sie dem Jüngling sichre Hoffnung geben könne.
Sie ging nach dem Zimmer Vittorias; diese aber war nicht zugegen, und wahrscheinlich in der Kirche, oder zum Besuch einer Nachbarin. Francesco nahm Abschied, um noch vor Abend wiederzukommen, und sich die Bestätigung seines Glückes zu holen. »Vergeßt aber nicht, junger Mann«, rief ihm die Mutter nach, »daß mir die Eminenz einige Punkte bewilligen muß, die nicht unbillig sind, ohne welche aber die Vermählung nicht vor sich gehen kann, wenn auch meine Tochter selbst ihre Einwilligung gibt.«
Es hatte sich im Hause ein seltener Gast eingefunden, der Pfarrer aus Tivoli nämlich. »O seht, Freund Guido«, sagte die geschwätzige Amme zum alten Diener, als der Priester eingetreten war, »seht da den verehrten geistlichen Herrn; o der ist so schrecklich gelehrt, daß er lauter unvernünftiges Zeug spricht was kein Mensch versteht. Ach, das ist überhaupt der Nutzen vom Studieren, daß der Mensch die Gabe erhält, ganz fließend und hintereinander so recht geläufig, ohne nur zu stocken, lauter Unsinn zu sprechen, wo unsereins über jedes Wort tagelang grübeln müßte.«
Der alte Priester legte seinen breiten Hut auf den Tisch, setzte sich nieder und sagte: »Ist das Geschwätz bald zu Ende?«
»Was verschafft uns denn die Ehre?« sagte Ursula, indem sie sich vertraulich zu ihm niedersetzte. Guido legte den Hut beiseite [] und stellte vor den alten Mann ein gutes Glas Wein und einige Früchte hin. Indem der Priester nur gleichgültig mit einem Nicken des Kopfes dankte und trank, fing er so an: »Ich war hier in der Stadt bei den armen Eltern des Camillo Mattei. Sie sind in Verzweiflung, die elenden Personen. Der junge Bengel ist schon seit lange von mir fortgelaufen, aber nicht nach Rom wie ich mir einbildete; Vater und Mutter haben ihn, seit er zu mir kam, gar nicht wiedergesehn. Nun wollte ich Euch fragen, liebe verständige alte Person, ob er zu Euch hierher geraten sei. Eure Herrschaft ist keine vornehme und angesehene, das weiß ich wohl, also wird er hier keinen Haushofmeister, Sekretär, oder Cabinetsrat vorstellen können.«
»Nein«, unterbrach sie ihn, »solche Würden kennen wir hier in unserm Hause gar nicht.«
»Richtig«, fuhr der Priester kaltblütig fort, »ich dachte auch nur, ob der Bengel nicht vielleicht als irgendein Haustier zum nützlichen Gebrauch angestellt sei. Im Hundehause habe ich mich schon umgesehn, die Stelle ist aber schon von einer andern würdigen Person besetzt und eingenommen, die mich auch in ihrem Amtseifer recht derbe angeschnauzt hat. Ich wollte mich bei dem Truthahn erkundigen, er kollerte ebenfalls was Zorniges daher, und der stolze Pfau wollte gar nichts von mir wissen. So komme ich denn von jenem unvernünftigen Vieh zum philosophischen und ausgebildeten Teil der weitläuftigen animalischen Schöpfung, um mich bei Euch zu erkundigen, ob Ihr denn von meinem Neffen gar nichts wißt.«
»Seht Ihr, Guido«, rief die Alte, »was der durcheinander welscht und kaudert, je kunter, je bunter, wie man zu sagen pflegt. Nun denkt er gar, sein Neffe wäre zu den unglücklichen metaviehischen Wesen übergegangen, was doch keinen Menschenverstand in sich hat. Nein, mein Lieber, vielfach redender Mann ich kann Euch das Naturwunder wohl besser erklären, wie es mir schon seit lange deutlich geworden ist.«
»Nun?« sagte der Geistliche.
»Ja, es ist nur«, sagte sie nach einigem Bedenken, »daß Ihr gewiß ein ungläubiger Freigeist seid, der alles aus der Natur und seiner Philosophie erklären will. Aber soviel werdet Ihr doch wissen und in Eurem Katechismus gelernt haben, daß es unsichtbare Wassergespenster gibt.«
»Gewiß«, sagte der alte Geistliche, »kein Mensch zweifelt daran.«
»Diese Amvibien nun, und Truthohnen, und Amfulotriten [] und Neptuns, und wie die Bestien sonst noch heißen mögen, denn ich habe meine liebe Vittoria, die ich selber lange gesäugt und gestillt habe, das heißt freilich in ihrer frühen Jugend, wo sie alle diese marterlogischen Kenntnisse noch nicht haben konnte, diese habe ich oft von diesen Geschöpfungen und krüppelgamischen Kreaturen reden hören und mir das Wichtigste und Nützlichste daraus gemerkt, wenn sie so mit ihrem Herren Serschanten oder Corporale, wie er auch heißt, oder mit ihrer Mutter reden tat.«
»Ihr könntet Professor der Mythologie an einer Universität werden«, sagte ganz trocken der Priester und leerte seinen Becher.
»Ach! warum nicht gar«, lächelte die Alte, »nach so was ist meine Amputation niemals gegangen. Man kann nicht alles sein. So ein Professor läßt freilich einen ganzen Saal voll junger Studenten an sich saugen, daß ihm auch mit der Zeit Geist und Seele ausfährt, und er zuletzt nur noch was daherstammert, was weder Kind noch Kegel mehr ist, so hat er sich in das Ungewaschene und Ungehauene und Ungestochene vertiefen müssen. – Doch wieder auf diese Wasserteufel zu kommen, so kann ich Euch zuschwören, und ich will es vor jedem Gericht bestätigen, daß sie da in Tivoli, in Eurer Nähe ganz besonders hausen. Ihr müßt sie ja auch oft genug gehört haben: denn in dem großen Wassertümpel, in dem fürchterlichen Abgrund, den sie die große Gaskonade nennen, da kollern sie und bullern und brüllen und brällen ja so abscheulich, daß einem Hören und Sehen vergeht. Denn da bin ich einmal in der Nacht oben vorbeigegangen, ich habe mich immer gehütet, in die Hölle hinabzukriechen, und da habe ich es in der stillen Nacht ganz deutlich immer schreien und brüllen gehört: ›Komm runter! komm Ursel! Trauben kriegen! Fressen haben! Herrlich hier! Komm, komm, du Maulaffe!‹ – Da schrie ich aber wieder hinunter, so laut ich immer konnte: ›Gehorsamer Diener! sucht Euch einen andern Maulaffen!‹« –
»Nun, der hat sich auch gefunden? Nicht wahr, Frau Ursula?«
»Gewiß«, antwortete sie, »und das ist ja eben Euer dummer, einfältiger Neffe. Ich habe es wohl gesehn, wie die Vittoria damals den bunten Fangeball strickte, da kam der Camillo einen Nachmittag und brachte ihr ein Flausch, oder Papier, oder Zettel; den steckten sie in den Ball hinein und lachten dabei, als wenn sie was Besonderes getan hätten. Das war nun aber das Paktum, womit sie sich den Wassergespenstern verschreiben wollten, [] denn immer war von Neptun und Apoll, und andern Greueln die Rede. So gingen sie aus und das Karnickelgespenst, das weiße Koboldchen mit den roten Augen stellte so gleichsam einen Abgesandten in seinem weißen unschuldigen Felle vor, wie die Herrn Ambassadors denn auch gar zu gern so recht unschuldig tun, wenn sie es am dicksten hinter den Ohren haben; nun dieser Karnickel fragt denn auch ganz freundlich und fromm: ›Kommt ihr jetzt?‹ ›Ja!‹ schreit die übermütige Vittoria, ›gleich!‹ und schmeißt den Ball auch mit dem inwendigen Paktum in das strudlige Wasser. Das Wasser läßt sich das auch nicht zweimal sagen, sondern schluckt den Ball gleich in seinen Rachen hinunter. Nun müssen sie nachspringen, aber die Vittoria, der es doch leid werden machte, kehrt wieder um. Camillo macht sich auch noch davon, aber die Sappermenter von Elementsgeister geben ihn doch nicht wieder frei. Ihr habt es selbst gesehn, alter einsichtsvoller Mann, und habt es mir gewiesen, wie er so blitzblau auf seinem Rücken von den Teufeln gezeichnet war, daß er wie eine Brombeere, oder schwarze rote Maulbeere ausschaute. Ihr wißt ja, wie man die Schafe und Hammel auch auf ähnliche Art mit Rotstein zeichnet, daß man auf der Gemeinweide, oder auch beim Verkaufen weiß, wem sie gehören. Nun hat er sich also doch freiwillig wieder bei seiner Compagnie melden müssen. Und so hängt die Sache natürlich zusammen. Nun fürchte ich immer, wird mein Vittorchen doch auch noch nachgeholt, wenn sie auch hier in Rom auf dem festen Lande ist; aber die Belzebubs von da können gewiß in die Tiber hineinschwimmen. Denn sie hat wenigstens in diesen Tagen schrecklich viel geweint und geheult, und die Mutter nicht weniger. Auch haben sie sich fürchterlich gezankt. Nicht wahr, nun habt Ihr's begriffen?«
»Ja wohl«, sagte Vinzenz, der Priester:, »ich danke Euch für diesen gründlichen Bericht; Guicciardini selbst hätte ihn nicht besser abfassen können.«
Als die Mutter eines Geschäftes wegen in die Kammer trat und den Priester bemerkte, lud sie diesen an ihren Mittagstisch, wo sie und die Tochter, nebst dem Dichter Caporale ziemlich heiter waren.
Alle nahmen sich vor, sich nach Camillo zu erkundigen, und der Priester entfernte sich dankbar, da er diese freundliche gastliche Aufnahme von den Leuten, deren Stellung er in der Welt als eine hohe betrachtete, nicht erwartet hatte, die Mutter ihm auch noch zur Erleichterung seiner Reise ein Geschenk verabreichte.
[] »Wie froh bin ich«, sagte sie hierauf zu ihrem alten Freunde, »daß diese Unbändige sich endlich doch hat zähmen lassen. Ich habe sie wirklich nicht genug gekannt, denn ich glaubte nicht, daß ihre frevle, unnatürliche Gesinnung sie so weit führen könne. Morgen werde ich den Kardinal besuchen und mit ihm die Bedingungen des Ehekontrakts verabreden. So wird Ruhe und Friede in unsre Familie kommen und wir können glückliche Tage erleben.«
»Aber«, warf Caporale ein, »paßte dieser Eidam auch zu der großgesinnten Tochter?«
»Es mußte zum Schluß kommen«, sagte sie.
»Wenn es nur nicht der Anbeginn anderer, ebenso schlimmer Verwicklungen ist«, bemerkte der Alte.
»Alles«, rief die Mutter, »läßt sich leichter ertragen, als der Schwindel, in welchem wir uns jetzt taumelnd bewegten, daß mit jedem unbewachten Augenblick das Elend unerwartet hereinbrechen konnte. Die Notwendigkeit, die Verhältnisse zügeln und zähmen von nun an den wild umfahrenden Zufall, durch diese Alltäglichkeit wird sie dem Leben und der Natur wieder zurückgegeben, und der Gatte wird an ihrer Seelenstärke emporwachsen, sich an ihr erstarken und zum Manne reifen. Indessen geht unvermerkt die stürmische Jugend vorüber, und das Leben hat sie in die notwendigen Gleise hineingewöhnt, in denen es doch nun einmal laufen muß, wenn es sich nicht selbst zerstören soll.«
Als sich Caporale entfernte, traf er draußen auf dem Hofe die junge Freundin, welche ihre Tauben fütterte. »Und Ihr wollt Euch vermählen? Und an Peretti?« fragte er. »Ihr hofft doch glücklich zu werden?«
»Folgt mir in den kleinen Garten«, antwortete sie; »Ihr seid uns in diesen wenigen Tagen so nahegekommen, daß ich zu Euch vertraut, wie zu einem älteren Bruder sprechen kann.«
Sie gingen in eine Baumpflanzung, die über ihnen lieblich rauschte. -»Was sollen wir glücklich nennen?« fing sie an; »ich sehe mit jedem Tage mehr ein, daß dasjenige, was ich mir so nennen wollte, nur ein albernes Kindermärchen ist, und doch ist alles, was jenseit dieser Wünsche liegt, nicht der Mühe wert, es vom Boden aufzuheben, wenn es auf dem Spaziergange vor unsern Füßen schimmert. Ich werde eingespannt, wie der Ackerstier, in das Joch der alltäglichen Gewöhnlichkeit, so ziehe ich denn nun auch die Furchen der hergebrachten und regelrechten Langeweile, wie die übrigen Menschen.«
[] »Konnte es Euch aber wirklich Ernst sein«, fragte Don Cesare wieder, »mit jenem Farnese? Ich berge es Euch nicht, ich war über Euern Ausspruch ebenfalls erschrocken.«
Sie sah ihn mit ihrem scharfen glänzenden Auge an und erwiderte: »Und wenn ich Euch nun gerade hin sagte, daß es mein Ernst wäre – was gibt es denn da zu erschrecken? Ob ich so oder so verkauft werde, wenn ich dann doch einmal verhandelt werden soll, kommt doch wohl auf eins hinaus. Wer versteht denn von euch, oder auch von Weibern und Müttern, die Hoheit, den reinen Adel einer echten Jungfrau? Alle haben es ja längst in Geschäften, Pflege des Mannes, Wartung ihrer Kinder vergessen, wie es in diesem Heiligtume aussieht. Die Entweihung soll unser Beruf sein, so sagen sie alle, ich habe es aber nie geglaubt: zwang die eiserne Not einmal, der sich auch der Kühnste beugen muß, wie ich es jetzt erlebt habe, nun so war ein Mehr oder Weniger der Entwürdigung immer nicht so gar wichtig. Weggeworfen bin ich, vernichtet, es hat so sein müssen, ich erlebe meine sogenannte Bestimmung, das heißt in meiner Sprache: die Nichtswürdigkeit.«
»Und immer wieder muß ich vor Euch erschrecken«, sagte der Dichter.
»Wie ich vor dem Leben«, antwortete sie mit scharfem Ton: »ja wohl habe ich in dieses kalte ekle Schlangengewinde, in dieses Durcheinander des widrigsten Ungeziefers erst jetzt den wahren, richtigen Blick hineinwerfen können. – Ich möchte weinen, und ich muß eben lachen, wie Ihr seht.«
Caporale fuhr vor dem lauten krampfhaften Lachen wie schaudernd zurück. »Ja, ja, es ist nicht anders«, fuhr sie mit feurig glänzenden Augen, wie phantasierend fort: »zum Lachen ist alles das mehr als zum Weinen. Nie habe ich meine Mutter so gesehn, nie mich vor ihr gefürchtet, mich noch niemals in meinem Innern von ihr abgewendet. Muß denn auch der edelste Mensch in der Zorngebärde, in der Verzweiflung etwas Geringes und Unedles zustande bringen? Warum denn aus dem empörten Abgrund die widerwärtige Schlacke heraufwälzen? Doch freilich, wenn es vielleicht der Geist – wo kommt sie sonst her? Es ist ja das Innere, was man so nennt, mit Worten. Oh, man könnte darüber wahnsinnig werden. – Diese ihre ungeheure Heftigkeit, so warnte mich die entsetzende Stimme meiner sündlichen Prophetengabe – diese brausete hervor, und sie hätte mir vielleicht gar ihren Fluch gegeben, um doch, wenn das Unheil nun geschehen, wie Pilatus die Hände waschen zu können. – Nun trat [] denn doch die große Herrlichkeit ein, denn meine böse Verkehrtheit hatte keiner Ermahnung nachgegeben: leidend, still, verschlossen nahm sie daran teil und genoß den Glanz der Welt. Seht, darum will ich die Gattin dieses kleinen Peretti werden, um nicht noch einmal alle diese Leidenschaften zu erregen. Ich mache Ernst aus dem Opfer, was mir vielleicht angedeutet wurde, um meine Widerspenstigkeit erst recht zu erregen. – Tue ich aber ihr, oder der Menschheit, hiermit nur das allerkleinste Unrecht, so bedenkt einmal, und schaudert, welche Schlacke sich jetzt aus meiner niederträchtigen Seele heraufgewälzt hat. – Und habt Ihr schon je erfahren, wie es in Euerm Innern beschaffen ist? – Lebt wohl, mein Freund, denn das müßt Ihr mir von jetzt mehr als je sein und bleiben.«
Caporale schüttelte das Haupt, als er sich auf der Gasse befand. In diesem ernsten Lichte hatte er das Leben noch niemals betrachtet. Welche sonderbaren Eröffnungen und Bekenntnisse hatten ihm in so kurzem Zeitraum die Mutter, die Tochter und der Kardinal Farnese gemacht, deren Vertrauter er, ohne sein Zutun, geworden war.
Beim Gouverneur, dem mächtigen Buoncompagno, erhielt Graf Pepoli leicht Zutritt und eine freundliche Aufnahme. Die schriftliche Empfehlung der fürstlichen Margareta von Parma bestimmte den feinen Mann, einen so ausgezeichneten Bittenden anders, als die Mehrzahl von Supplikanten zu behandeln. Dabei hatte diese Entführung der angesehenen Magistratsperson großes Aufsehen gemacht, so daß der Regierung selber viel daran lag, einen solchen Frevel auffallend zu strafen und den Gemißhandelten frei zu machen. Dem Grafen ward also gern bewilliget, allein und ungestört mit Ascanio, dein Gefangenen, zu sprechen, und von ihm die Möglichkeit der Rettung des alten Mannes zu erkundigen.
Ascanio, ein blasser, schmaler Mensch, erstaunte sehr über den Besuch des vornehmen Mannes. Als er den Gruß vernahm, den ihm Pepoli von dem hingerichteten Strada brachte, schrak er zusammen, doch noch weit mehr, als er vernahm, um welche Angelegenheit es sich handle, und daß vom alten Velluti, und dessen Befreiung die Rede sei. Der Gefangene rang die Hände und brach in ein heiliges, laut klagendes Weinen aus. »Ich sehe«, rief er [] nach einer Pause, »ich bin auf eine schreckliche Weise verloren, mein Verbrechen, falsche Münzen geschlagen zu haben, wird nun um so mehr geglaubt werden, und obenein zieht man mich nun in den neuen Prozeß hinein! Ihr habt mich bei dieser verruchten Sache schon dem Gouverneur genannt, man wird weiter forschen, mir die Folter nicht ersparen und mich dann auf schmähliche Weise hinrichten. Ach Himmel, warum ist es dem Menschen doch nicht immer vergönnt, einen einfachen und rechtlichen Lebenswandel zu führen! Ich wäre ja so gern im engsten Kreise froh und zufrieden gewesen.«
Der Graf suchte ihn zu beruhigen und nach und nach sein Vertrauen zu gewinnen. Die Freundlichkeit des jungen Mannes, seine Liebenswürdigkeit brachen auch allgemach den Starrsinn des Verbrechers und lösten seine Verzweiflung auf. »Ich will Euch vertrauen«, sagte er endlich, »ich lege mein Schicksal in Eure Hände, wenn Ihr leichtsinnig oder zweideutig seid, bin ich verloren, daran kann ich nicht zweifeln; aber, wenn Ihr klug sein wollt, so bleibt Ihr ehrlich, denn Euer Los ist, wenn Ihr mich preisgeben solltet, auch vielleicht geworfen, denn Ihr seid durchaus ein Fremdling auf dem Boden, den Ihr jetzt zu betreten wagt.«
Der Graf nannte ihm seinen Namen, Stand, und daß er reich sei, und gesonnen, eine bedeutende Summe nicht anzusehn, um dies gute Werk, das er sich vorgesetzt, durchzuführen.
»Ich hoffe«, sagte Ascanio, »Ihr werdet mich belohnen, aber eine Bedingnis muß jeder andern vorausgehen.«
»Und die ist?«
»Der Gouverneur muß mich freilassen, unbedingt, er muß meinen Pardon unterschreiben, alles muß zwischen uns abgetan und vergessen sein. Könnt Ihr es durch Euren Einfluß dahin bringen, so glaube ich Euch die Freiheit und das Leben Eures Verwandten versprechen zu können.«
Der Graf erschrak über diesen Vorschlag. »Glaubt mir nur«, rief Ascanio, »kann das nicht geschehen, so ist alles unmöglich und wir wollen jede Rede darüber jetzt und für immer abbrechen. Und wenn Ihr mir die Freiheit verschafft habt, und wenn ich draußen bin und Euch geholfen habe, ist mein Leben noch immer in Gefahr.«
»Wer aber steht mir dafür«, sagte der Graf, »wer gibt mir die Gewährleistung, daß Ihr, sowie Ihr im Freien seid, nicht entflieht, und ich mit meinem Mühen so weit bin wie jetzt?«
»Ich weiß nicht«, antwortete der Gefangene, »warum ich [] Euch mehr als andern Menschen vertraue; aber, wenn Ihr mir Euer Ehrenwort gebt, mich zu befreien, so sollt Ihr mich jetzt noch hier im Kerker lassen, und mich nur erlösen, wenn Ihr meine Aussagen wahr befunden habt. Kehrt Ihr dann frei und überzeugt zurück, so erfüllt Euer Versprechen und wir sind uns beiderseits durch Dank verpflichtet.«
Der Graf ging wiederum zum Gouverneur, erinnerte ihn, wie so manche Verbrecher aus Gnade schon befreit worden wären, wie man durch diesen völlig reuigen Sünder etwas Gutes stiften wolle, daß dieser sich anheischig mache, im Fall er begnadigt würde, niemals wieder mit irgendeinem Trupp von Banditen gemeine Sache zu machen, und wie man doch gestehen müsse, daß manche dieser Räuber mehr durch Schicksale, als durch ihre Neigung zu diesem Stande getrieben würden, viele Vornehme selber diese Wegelagerer aufmunterten und in ihren Sold nähmen, so daß man bei diesem Armen, Zerknirschten sich wohl einmal eine Abweichung vom Gesetz erlauben dürfe.
Buoncompagno war als ein edler Mann von großer Gesinnung nicht unwillig, Pepolis Begehren zu erfüllen, weil er selbst am besten das Elend seines Vaterlandes kannte, und weil das Verderbnis des gemeinen Mannes hauptsächlich von den Großen, selbst den Fürsten ausging, die durch diese Unordnung und Verwirrung die Kräfte und das Ansehn des römischen Staates schwächen, und, wo möglich, vernichten wollten. Er gab also dem Grafen den unterzeichneten Pardon, indem er ihm den besten Erfolg wünschte.
Als dieser in den Kerker zurückkam, fand er den Gefesselten beschäftigt, einen Brief durch Wachs und eine Chiffer, die in Holz geschnitten war, zu versiegeln. Der Gefangene war sehr erfreut als er den Gnadenbrief sah, der ihm seine unbedingte Freiheit versicherte. »Ihr seid ein Ehrenmann«, sagte er, »wie es wohl heutzutage nur wenige geben mag, ich verdanke Euch Leben und Luft und daß ich nun meine Kinder und Gattin wiedersehen kann. Das ist mehr als Leben. Auch wollt Ihr mich noch beschenken, so daß ich mit Sicherheit einen neuen Lebensplan anheben mag. Ihr sollt sehn, verehrter Mann, daß Ihr Euch keinen Unedlen verpflichtet. Aber so lieb Euch Ehre, Leben und Gewissen sind, handelt nun auch genau nach meiner Anweisung, und läßt keinen Sterblichen, ohne alle Ausnahme, wissen, was unter uns beiden vorgefallen ist. Darauf gebt mir Eure gräfliche Hand zum Pfande.« – Es geschah. -»Nun nehmt«, fuhr er fort, »dies mit Wachs versiegelte Blatt, aber zeigt es keinem Menschen, und wenn Ihr [] es aufbrechen solltet, würde ich Euch für einen Treubrüchigen und Meineidigen halten müssen, und es würde Euch und mir zum Verderben gereichen. Ihr würdet nichts inwendig finden, kein einziges geschriebenes Wort, sondern nur eine Chiffer, die Euch völlig unverständlich wäre. Dieses stumme Blatt, ohne Aufschrift, diese Chiffer enthaltend, werdet Ihr dort abgeben, wohin Euch dieses zweite kleinere verhüllte Blatt anweiset, welches, wie Ihr seht, auch ohne alle Aufschrift ist. Versprecht mir feierlich, dies Blatt auch nicht zu öffnen, bevor Ihr aus den Toren Roms seid. Niemand muß wissen, daß Ihr diese beiden Zeichen bei Euch habt. – Das Geschäft, so hoffe ich gewiß, wird Euch glücken; ich bleibe hier und erwarte Euch, und sowie ihr zurückkehrt, führt Ihr mich zur Freiheit hinaus. Ihr seht also, ich vertraue Euch weit mehr, als Ihr mir, denn Ihr könntet ja, wenn Euch die Sache gelungen ist, mit meinem Gnadenbrief in alle Welt gehn, oder ihn dem Gouverneur wieder zurückstellen. Ich hoffe aber und weiß, wir beide sind von besserer Art, als mit so kleinen Ränken zu schachern.«
»Wohl ist es so«, sagte der Graf, fast gerührt, »und darum nehmt und behaltet diesen Euern Pardon, damit dieser Euch bleibt, wenn ich vielleicht verunglücken sollte. Ich gehe sogleich noch einmal zum Gouverneur, ihm dies zu erklären, und ihn zu bewegen, Euch die Tore zu eröffnen, im Fall mir etwas Menschliches zustoßen sollte.«
Der Gefangene rief ihm noch nach: »Vergeßt nicht, daß das Lösegeld für den geraubten Mann nur eine tolle unmögliche Forderung zum Schein ist, denn kein Fürst könnte es auszahlen. Die ganze Sache sollte nur die Milizen, das Militär und die Gerichtsbeamten schrecken, daß sie in ihrer Pflicht saumselig würden und den Mut zu solchen Wagestücken, wie der Alte unternommen hatte, verlören; auch wollte man die Unterhändler kennenlernen, und im äußersten Fall den Gefangenen auf eine gräßliche Art ermorden.«
Der Kerkermeister trat herein, um dem Gefangenen, auf Befehl des Gouverneurs, vorläufig die Ketten abzunehmen, und der Graf verließ die Stadt. Als er im Freien war, öffnete er das ihm bestimmte Blatt, und sah, daß es ihn nach Subiaco hinwies an einen Apotheker Tommaso. Er verwunderte sich, daß er nach dem Orte geschickt wurde, wo das Verbrechen verübt war. Er merkte den Namen des Mannes, und vernichtete dann den Zettel sorgfältig, daß sein Diener, der ihn zu Pferde begleitete, oder irgend sonst wer, das Blatt nicht lesen könne. In der Nähe [] der Stadt ließ er seinen Begleiter in einem Dorfe des Gebirges und wandelte zu Fuß nach dem kleinen Ort. Auf seine Erkundigung vernahm er, daß der Mann, den er suchte, gleich am Eingang des Ortes seinen kleinen Laden hatte. Er trat zu ihm ein, sah sich behutsam um, und ersuchte ihn, mit ihm allein in seinem Zimmer zu sprechen. Tommaso brachte ihn in ein Cabinet, und Pepoli übergab ihm das Billet ohne Aufschrift. Wie der Apotheker das Siegel aber betrachtete, erriet er, von wem es kam, erbrach und wurde sichtlich blaß, als er die Chiffer innen erblickte. Diese ließ er sogleich am Licht, welches dastand, verbrennen, setzte sich nieder und schrieb ein andres Zeichen, welches er behutsam mit seiner Hand verbarg. Er siegelte hierauf das Blatt, welches er ebenfalls ohne Aufschrift ließ, und sagte dann zum Grafen: »Wenn Ihr diese Straße hinuntergegangen seid, so trefft Ihr etwas rechts, auf einem kleinen Platz, ein ziemlich großes, weißes Haus, an welchem sich über der Tür das Bildnis der Madonna zeigt; vor dem Hause ist eine steinerne Schwelle von drei Stufen; Ihr könnt gar nicht fehlen. Wenn Ihr angeklopft habt, so wird Euch ein ganz kleines dürres Männchen die Haustür aufmachen; diesem sagt leise ins Ohr: ›Semphoras‹ – dann wird der Euch schon zurechtweisen. Sollte, was aber nicht leicht geschieht, eine Magd öffnen, so wartet stillschweigend, bis der kleine Dürre zu Euch tritt.«
Der Graf ging verwundert und sinnend über die Gasse. Als er fast schon jenes bezeichnete Haus erreicht hatte, kam ihm Geschrei und Getümmel entgegen; es war der Barigell, ein großer starker Mann mit fast herkulischen Gliedern, der mit seinen Häschern einen Verbrecher in das Gefängnis führte. Der Graf klopfte an das Haus, die Tür öffnete sich, und die schmalste vor Dürre fast klappernde Figur trat ihm blaß und mit eingesunkenen Augen entgegen und fragte ihn mit feinkrähender Stimme, was sein Begehren sei. Graf Pepoli neigte sich an sein Ohr und flüsterte ihm jenes ihm anvertraute rätselhafte Wort zu. »Ah! das ist was anderes«, sagte der Kleine, verbeugte sich und sah ihm dann freundlich lächelnd ins Gesicht: »Ihr wißt die heutige Parole!« – Er führte den Fremden dann mit vielen Verbeugungen eine Treppe hinauf, öffnete eine Tür, und schob den Grafen in ein großes, ganz leeres Zimmer hinein. »Einen Augenblick warten!« krächzte der Kleine, indem er die Tür von außen wieder verschloß. Der Graf ging im Zimmer auf und ab. Die Fenster waren so hoch, daß man nirgend auf die Straße sehen konnte, wodurch das Gemach fast das Ansehen eines Kerkers erhielt.
[] Nur zwei Sessel standen im großen Raum und ein verschlossener Wandschrank war noch sichtbar; sonst kein anderes Mobiliar. Graf Pepoli wurde nach und nach verdrießlich, daß er so lange warten müsse, er horchte nach der Tür und Treppe, vernahm aber kein menschliches Wesen. Er wurde besorgt, denn es schien ihm nicht unmöglich, daß diese Vorschwornen, die mit so künstlichen Mitteln verbunden waren, ihn selbst gefangenhalten konnten, wenn sie vielleicht fürchteten, daß er schon mehr von ihnen wisse, als ihrer Sicherheit zuträglich sei. Er rasselte an der Tür; sie war fest verschlossen, und jede Anstrengung, sie zu öffnen, vergeblich. Indem er noch nachsann, was er wohl beginnen könne, stand zu seinem Erschrecken plötzlich ein großer Mann dicht hinter ihm, der ihm auf die Schulter klopfte. Er sah um, und erriet nun, daß eine unbemerkte Tür in der Wand sich leise geöffnet hatte. Er erstaunte aber von neuem, als er den Mann erkannte, der kein anderer war, als jener stark gebaute Anführer der Häscher, den er vor weniger Zeit auf der Straße in seiner Amtsverrichtung als Obrigkeit gesehen hatte. »Was verlangt Ihr von mir, werter Freund?« fragte ihn die hohe Figur in einem ernsten, fast verdrießlichen Ton. Pepoli überreichte ihm schweigend das Blatt des Apothekers. Der Barigell ging beiseit, nahm die Chiffer heraus, betrachtete sie mit gerunzelter Stirn und zerriß das Papier dann in die kleinsten Fragmente. – Der mächtige Antonio, so hieß dieser Vorstand der Häscher, ging mit schwerem Tritte schweigend und, wie es schien, zürnend, im widerhallenden Saale auf und ab. -»Euer Name, Stand, Aufenthalt?« fragte er dann, indem er zugleich den festverwahrten Wandschrank aufschloß. Der Graf nannte sich, seinen Stand und seinen Wohnort Bologna. Unter vielen großen, geschriebenen Büchern, welche eine Menge alphabetisch geordneter Namen zu enthalten schienen, nahm er das eine, schlug nach, suchte und las eifrig. -»Ich finde nicht«, sagte er nach einer Weile, »daß Ihr einer unserer Verbündeten seid – der gute, dumme Tommaso hätte Euch besser nicht hergesendet – erzählt mir Eure Sache, weshalb Ihr uns aufsucht.« –
Der Graf erfüllte sein Begehren. Mit immer zunehmendem Verdrusse hörte ihm jener zu. -»Ja«, sagte er dazwischen, »den alten Kerl halten sie immer noch gefangen, und mit Recht. Wenn es mehr solcher gäbe, oder wenn sie aufgemuntert würden, hätte die Brüderschaft bald ein Ende.« – Als er nun vom hingerichteten Strada hörte, wurde er noch ungeduldiger: »– und dieser Nichtsnutzige«, rief er, »hat er Euch zu dem zweideutigen Ascanio gewiesen? [] Und dieser hat die Frechheit gehabt, Euch hierherzusenden? – wir hatten den Schlauen künstlich genug auf die Engelsburg geschafft, wo er wohl mit zehn Jahren auf der Galeere davongekommen wäre; aber er ist klug, er benutzt sogleich Eure Bemühungen für den alten Bösewicht, um sich ganz frei zu machen.« – Er verschloß die Bücher und ging dann, die Hände auf dem Rücken, im Saale ziemlich lange auf und ab. Hierauf stellte er sich dicht vor den Grafen hin und sagte mit barschem Ton: »Wie wär es denn, wenn ich Euch lieber gleich hierbehielte? Wenn Ihr auch nicht viel wißt, so wißt Ihr doch genug, um mich und den guten Gevatter da unten in seiner Apotheke verraten zu können. Am kürzesten zum mindesten wäre es so entschieden. Der schlaue, vielwissende Ascanio bliebe am Ende auch am sichersten dort.«
Der Graf, ohne die Fassung zu verlieren, erklärte noch einmal bündig seine Absicht, und wie es von je sein Vorsatz gewesen sei, eine bedeutende Summe für die Befreiung des Gefangenen zu verwenden, daß die Grausamkeit, ihn selbst zurückzubehalten, oder gar zu ermorden, eine ganz überflüssige sei: auch würden seine Anverwandten in Bologna, die Gerichte dort in Rom, ja die Kardinäle, der Gouverneur und wohl der Papst selbst die genauesten Nachforschungen anstellen, da sich die Größten des Landes, wie die Fürstin Margareta von Parma für ihn und sein Unternehmen interessiert hätten: ja, da, wie nicht unbekannt, Herren und Fürsten selbst diesen Bündnissen heimlich zugehörten, so könnte er wohl gar von diesen wegen seines Attentats hart bestraft werden. Auch warte in der Engelsburg Ascanio auf seine Rückkehr; dieser würde, im Fall sein Beschützer ausblieb, gewiß nicht schweigen und da dieser so sehr alle Fäden in der Hand habe, ihnen wohl den allergrößten Schaden zufügen, weil unter solchen Umständen ihn der Gouverneur schwerlich seiner Haft entlassen würde.
»Ihr seid ein kluges Männchen, Graf«, sagte Antonio, »und habt fast so viele Fassung wie unsereins. Die Sache, wie Ihr sie da vorstellt, ist nicht ohne. Der verwünschte Ascanio weiß gar zu viel, und so klug wir uns zu sein dünken, ist er denn doch vielleicht noch klüger. Nehmt nur, wenn ich Euch freigebe, die eine Überzeugung mit hinweg, daß, wenn Ihr Euch gelüsten ließet, irgendeinem sterblichen Menschen nur eine Silbe von dem zu verraten, was Ihr seitdem erfahren habt, Ihr auch keine Stunde Eures Lebens sicher sein könntet. Übrigens ist Euer Ansuchen zu wichtig, die Sache zu verwickelt: ich für mich selbst kann nichts [] entscheiden, ich darf es nicht auf mich nehmen, und viele der Schiedsrichter sind nicht zugegen. Nur ein Mittel gibt es. Kommt mit dem Neumond mit Eurem Ascanio selber wieder hierher: dann ist der große Rat versammelt. Übrigens kennt Ihr mich und den Gevatter niemals.« –
Der Graf begab sich wieder auf den Rückweg, indem er die seltsamen Verhältnisse der Welt übersann, wie er so freundlich und höflich noch vor wenigen Tagen von Kardinälen und fürstlichen Damen aufgenommen und beschützt war, und wie er in diesem Augenblicke in der Abhängigkeit eines gemeinen Menschen gewesen sei, der ihm eine große Gnade in seiner Meinung dadurch erwiesen habe, daß er ihn seine Straße wieder frei habe ziehen lassen.
Indessen verhandelte die Mutter Accorombona mit dem alten, verständigen Kardinal Montalto wegen der Verbindung seines Neffen mit ihrer Tochter Virginia. Der alte Mann erstaunte über die hohe Gestalt der noch schönen Matrone, über den Ausdruck dieses klugen Auges und ihre edle und vornehme Haltung. Er faßte dadurch sogleich ein gutes Vorurteil für den Geist und den Charakter einer Frau, die sich mit solchem Wesen ankündigte. Donna Julia hatte bis jetzt den Kardinal nur in kirchlichen Funktionen gesehn, weil er die gewöhnlichen Zusammenkünfte der Menschen vermied; sie verstand aber sein kluges Auge und wußte durch den verstorbenen Gatten, wie konsequent, umsichtig und beharrlich er sich von je in allen Geschäften des Lebens betragen hatte.
Nach den ersten höflichen Begrüßungen sagte die Matrone: »Eminenz, es gehört zu den glücklichsten Vorfällen meines Lebens, mit einem so echten, wahrhaft tugendhaften Mann in nähere Verbindung zu kommen. Haltet es für keine Schmeichelei, denn ich spreche nur Wahrheit, daß ich unter allen Umständen ein solches Bündnis meiner Tochter den Anerbietungen der reichsten, vornehmsten, ältesten Familien würde vorgezogen haben.«
»Ich glaube Euch, würdige Dame«, antwortete der Kardinal; »denn Euer hoher Sinn, Euer Edelmut wird von aller Welt gerühmt. Auch ist Euer und Eurer Tochter Entschluß deshalb zu loben, weil ihr es beide sehr gut Wißt, daß ich diesem meinem angenommenen Sohne keine großen Reichtümer, Schätze oder liegenden Gründe übermachen kann; denn ich habe jene krummen Wege, mir Reichtum zu erwerben, immerdar vermieden. Aber ein gut eingerichtetes Haus mit einem angenehmen Garten werdet Ihr erhalten, und ein so anständiges, ja reichliches jährliches [] Einkommen, daß Ihr Euch dieser Vermählung wegen nicht einzuschränken braucht, und wenn das Haus, welches Ihr machen werdet, auch nicht zu den glänzendsten gehört, so wird es jeder Billige doch gewiß zu den anständigen und wohlhabenden rechnen. Ihr werdet Gesellschaft sehn, Diener halten; die Mobilien, die Zierden des Hauses, sind edel, wenn auch nicht kostbar, und wenn Ihr noch Euer Vermögen mit diesen Einkünften vereinigt, werdet Ihr allen Sorgen des Lebens enthoben sein, und Freunden Euch gastfrei und wohltätig erweisen können. Auch ich hätte für meinen Neffen wohl eine berühmte hochadliche Familie finden können, die ihn nicht ungern aufgenommen hätte; doch bin ich überzeugt, daß er in solcher Umgebung zugrunde gegangen wäre. Meine Familie, die mich ans Licht gebracht hat, war eine der ärmsten in der ganzen Mark, mit saurem Schweiß erbeutete sie ihr Leben; sosehr es meine ackerbauenden Eltern auch wünschten, so konnten sie doch nicht das mindeste für mich tun; wie mein frommer Freund und Beschützer, der in Gott selige Pius der Fünfte, bin ich in meinen frühsten Jahren nur ein Bettler gewesen, der lange von Wohltaten anderer leben mußte, die fast ebenso dürftig waren, als ich selbst. Glaubt mir, edle Frau, in der Armut, Hülflosigkeit, wo wir immerdar auf des Himmels Gnade und den persönlichen Beistand Gottes aufschauen müssen, tut sich eine Heiligkeit, eine süße Weihe kund, von der die Wohlhabenden niemals etwas erfahren. Und auf diesem Wege habe ich die Güter der Welt geringe achten lernen, ohne sie vorsätzlich zu verschmähen, aber kein Schmeichelwort hat mir je Gold und Goldeswert erkaufen dürfen; in Venedig, Spanien, in meinen Diözesen, immerdar war ich mir und meiner Überzeugung getreu. Diese meine Erfahrungen habt Ihr freilich nicht machen können, aber Ihr habt Euch ebenfalls nie verleugnet, nicht den Großen aufgesucht, seines Einflusses wegen, noch vor dem Reichen, seines Goldes wegen, gekniet. Stark und fest seid Ihr, männlich und hochdenkend, und das hat mich hauptsächlich bestimmt meine Einwilligung so schnell zu geben, obgleich mein Neffe, streng genommen, zum Ehegatten noch zu jung und unreif ist. Ich sah es aber, wie bald er von dieser jungen Vornehmen durch deren Frechheit verdorben wurde; ich liebe das Kind, ich wäre fähig, für diesen Jüngling alles zu tun, und drum übergebe ich diesen weichen und schwachen Charakter Eurer weisen Führung, daß Ihr ihn zum Manne bildet, daß er Recht von Unrecht, Wahrheit von Lüge unterscheiden lernt.«
»Die Aufgabe ist nicht leicht«, erwiderte die Matrone; »damit [] es aber völlig gelingen könne, ist es notwendig, auch für das Heil meiner Tochter, daß Ihr mir eine Bitte bewilligt, und sie auch mit den Mitteln durchsetzt, die Euch gewiß zu Gebote stehen.«
Sie erzählte ihm hierauf von der wilden, fast tierischen Leidenschaft des jungen Luigi Orsini, und wie er in brutaler Weise die Tochter bedroht habe, wie man vor ihm und seinen nichtswürdigen Helfershelfern, wie den besoldeten Banditen, in jeder Stunde zittern müsse.
Der Kardinal versank in tiefes Nachdenken. »Diese Ruchlosigkeit«, sagte er dann, »ist der wahre Wurmfraß unseres Staates, das Gift, welches schon seit lange alle seine Lebensadern durchdringt. Ein Drako täte uns not, der aber auch Kraft und Ansehen genug besäße, um seine bluttriefenden Edikte durchzusetzen. Und doch kann es nur auf diesem Wege besser werden, wenn es ja irgendeinmal besser werden soll. Unser verehrungswürdiger Heiliger Vater ist zu schwach, zu friedliebend, ja er ist so sehr Menschenfreund, daß er gern noch im tückisch verruchten Mörder das Bildnis seines Bruders anerkennt. Er vergißt nur, daß ein verziehener Mord zehn neue erzeugt. – Doch seid ruhig, denn in diesem Falle ist es meine heiligste Pflicht, dem drohenden Übel zu steuern, und es wird mir auch gelingen. Ich verspreche es Euch bestimmt, der wilde Jüngling soll Eure Schwelle niemals wieder betreten, und Euch weder in Gesellschaft, noch auf öffentlichen Straßen, oder in den Tempeln verletzen, wenn er nicht den Bann auf sein Haupt herniederziehen will. Das wird mir der Papst bewilligen, wenn er auch sonst nicht mein persönlicher Freund ist; aber hier wird seine eigene Ehre, die meinige unmittelbar in Anspruch genommen. Er wird in dieser Sache die strengsten Befehle erteilen, und sie auch seinem Sohne, dem Gouverneur, schärfend mitteilen; auch diesem werde ich noch heute selbst meinen Besuch machen. – Dann werde ich Rücksprache nehmen mit einem ältern Vetter des jungen Irrwisches, dem Herzoge Paul Giordano, dem tüchtigen, gedienten Bracciano. Vor diesem Mächtigen, wenn er sich erhebt, zittern alle diese Wildfänge; ihm entgegenzuhandeln, wagen sie nicht, und er hat sich bisher immer als mein persönlicher Freund erwiesen. Also seid über diesen Punkt ohne alle Sorge.«
»Ihr nanntet, Verehrter«, fuhr die Donna fort, »mein Vermögen; es ist für eine Witwe wohl nicht unbeträchtlich, doch aber kaum zureichend, da ich noch Söhnen damit, die unversorgt sind, forthelfen muß. Und, was das schlimmste, ich bin nahe daran, es durch Schikanen einzubüßen.« – Sie erzählte ihm kürzlich, [] wie gerecht ihre Sache sei, wie sie schon zu ihren Gunsten entschieden worden, und wie nur kürzlich, um sie zu quälen und vielleicht ihre Tochter zu verderben, ein Großer, den sie nicht nennen wolle, auf krummen Wegen es so weit gebracht, daß ihre Advokaten scheu zurücktraten, und die feindliche Partei nahe daran sei, zu gewinnen.
»Ich kann wohl den erraten«, sagte Montalto, »den Ihr mit so vieler Klugheit verschweigt; seid ruhig, ich werde diese Sache selber in die Hände nehmen, und meine tugendhaften Kollegen, der Medicäer Fernando und Borromäus werden mir Beistand leisten. Jener Ungenannte wird es niemals wagen, mit seinem offnen Angesichte hinter dem Vorhange herauszutreten, und so werden Advokaten und Richter ihre Bahn von selber wiederfinden.«
Jetzt stand die Donna auf, faßte die Hand des Kardinals, küßte sie mit Inbrunst, indem sie von ihren heißen Tränen benetzt wurde. -»Was ist Euch?« fragte der Alte erschrocken. -»O jetzt, jetzt«, rief sie schluchzend, »die größte Gnade das größte Opfer, das Ihr mir noch bringen müßt, um das Elend, das mich ins Grab drückt, wenn Ihr mein Flehn nicht erhört, abzuwenden – das Leben meines ungeratenen Sohnes!«
Er hörte die Geschichte des verirrten Jünglings ruhig an, und sagte am Schlusse: »Auch diese Bitte gewähre ich Euch, ob eine solche Verzeihung gleich meinen Gundsätzen und Überzeugungen völlig widerspricht. Auch dies muß mir Papst und Gouverneur bewilligen; denn es ist das erstemal in meinem Leben, daß ich dergleichen verlange. Wenn aber dieser Marcello wiederum abfallen sollte, er wieder in schlechte Gesellschaft und durch diese in die Bande des Gerichtes gerier, so sind, das vergeßt mir nicht, für ihn meine Lippen versiegelt.«
Sie trennten sich, beide füreinander mit der größten Hochachtung erfüllt. In ihrem Hause angelangt, fand die Mutter den Kardinal Farnese neben der Tochter sitzen, mit der er schmeichelnd zart, verbindlich und fein, vielfache Gespräche führte. Die Matrone, als sie hereintrat, erschrak fast über die Schönheit der Tochter, die sich so blühend wie in dem Meisterwerke eines großen Malers von dem alten, klugen und edlen Gesicht des Staatsmannes abhob. Vittoria benutzte die erste Gelegenheit, sich auf ihr Zimmer zurückzuziehn, und als die beiden allein waren, sagte Farnese mit der unbefangensten Freundlichkeit: »Wo wart Ihr bis jetzt, geehrte Freundin?«
»Beim Kardinal Montalto«, antwortete jene.
[] »Was wollt Ihr bei dem Duckmäuser?« rief Farnese laut lachend; »dieser kriechende, träge Esel aus der Mark, der in seinen Gebärden noch immer den Bettel seiner Eltern zur Schau trägt, der noch immer die Sprüchwörter der Kärrner und Viehtreiber von dort im Munde führt, ein würdiger Liebling jenes fanatischen Pius des Fünften, der ebenso armutselig entsprossen war – warum erniedrigt Ihr Euch zu solchen Gesellen, von der besten Gesellschaft, die Ihr gewohnt seid, so tief hinab?«
»Mäßigt Euch, Verehrtester«, sagte sie gelassen, »soeben haben wir abgeschlossen; sein Neffe ist der Verlobte meiner Tochter.« –
Dem Kardinal versagte das Wort im Munde, er war totenbleich geworden. Er, der dafür berühmt war, daß er nie, auch bei den größten Vorfällen des Lebens, in Verlegenheit geraten könne, konnte die Rede nicht wiederfinden, stotterte heftig und sagte endlich in lallendem Ton: »So? – Das habt Ihr, wie Ihr glaubt, klug gemacht? herrlich fabriziert! Diesen gelblichen Strohgimpel, diesen unflüggen Krammetsvogel in Euer Dohnengarn zu verstricken und ihn verzappeln zu lassen!«
Er stand auf, stampfte mit den Füßen und knirschte mit den Zähnen. -»Ich dachte«, fing er wieder an, »Ihr würdet als eine verständige, erfahrne Frau, meine Vorschläge reiflich erwägen – aber nein, auch sie ist eine gackernde tugendhafte Gans, wie die übrigen schwatzenden regelrechten Maschinen.«
Es war ihm unmöglich, seine Wut zu verbergen, und so verließ er das Haus.
Nach kurzer Zeit, nachdem Graf Pepoli nach Rom zurückgekommen war, machte er sich mit dem frei gewordenen Ascanio auf den Weg nach den Sabinischen Bergen. Als sie im Felde waren, sagte der Freigewordene: »Nur zwei Arten von Menschen wissen das Glück der Luft, der Landschaft und des hellen Wetters zu würdigen, der Kranke, der eine tödliche Krankheit in seinem Bette überstanden hat, und sich nun wiedererholt, um die Natur noch lange Zeit mit neu anwachsenden Kräften zu begrüßen, und der Gefangene, der monatelang im dumpfen Kerker schmachtete. Ach, welches Glück, Licht und Luft zu genieren! Wen sie so in die freie Landschaft hinaushängen, der ist auf keinen Fall so übel daran, als dem sie in einem engen Gefängnishofe den Kopf abschlagen.«
[] »Habt Ihr nun Hoffnung«, fragte der Graf, »daß wir unser Geschäft bald vollenden, und sogleich den armen Alten werden befreien können?«
»Wenn ich aufrichtig sprechen soll«, erwiderte jener, »so habe ich dazu die Hoffnung immer mehr und mehr aufgegeben, je mehr ich mir die Sache und ihre Schwierigkeiten überlegt habe. Denn ich sehe ein, sie haben seit meiner Gefangenschaft das ehemalige Zutrauen zu mir verloren; viele Dinge müssen sich geändert haben, daß jener Antonio mit Euch so barsch verfahren durfte. Wenn Ihr mir also mißtraut, mein Wohltäter, oder wenn Ihr irgend zagen wollt, da ich selbst nicht mehr weiß, wie ich mit jenen ruchlosen Menschen stehe, so mögen sich hier unsere Wege auf immerdar trennen, und ich werde mich ewig Eurer Wohltat erinnern, die ich Euch nicht habe vergelten können.«
»Und jener arme Gefangene?« rief Graf Pepoli aus, »dessen einzige Hülfe und Hoffnung ich auf Erden bin? Nein, mein guter Ascanio, laßt uns beide das Letzte, das Äußerste versuchen. Wenn man nur den Mut nicht verliert, so gestalten sich die Sachen immer besser, als man es erst erwarten konnte.«
»Ich wandle mit Euch«, rief jener, »und wenn es in den Tod ginge.«
Sie näherten sich dem Gebirge, und Ascanio fand es jetzt notwendig, sein Antlitz und seine Tracht zu verstellen. So kamen sie nach Subiaco, und ohne sich beim Apotheker aufzuhalten begaben sie sich in das Haus des Barigello. Der Kleine lächelte verschmitzt, als er ihnen die Tür öffnete. Oben saß in einem andern Zimmer, als jenem leeren, das Oberhaupt der Häscher. »Richtig«, rief ihnen dieser entgegen, »heute haben wir Neumond, und ihr seid weder zu früh noch zu spät gekommen. Wir gehn hinauf, nach dem Gebirge, denn die Versammlung ist dort. Ihr, Ascanio, kennt den Ort wohl: dort ist schon manches Urteil gesprochen worden, dort hat sich auch schon manche Strafe und Hinrichtung vollstreckt.«
Antonio hatte indessen auch eine gewöhnliche Tracht angelegt, und unten im Hause trafen sie vier Sbirren, welche als Bauern gekleidet waren. Ascanio betrachtete diese Anstalten mit großen Augen, denn sie schienen ihm nichts Gutes zu verkündigen, und der Graf, der die Angst seines Reisegefährten wohl bemerkte, fing auch an, unruhig zu werden.
In der Einsamkeit, als sie den Hügel überstiegen hatten, begegneten ihnen immer mehr und mehr Menschen, die sich ihnen anschlossen, so daß nach einiger Zeit ihr Zug ein sehr ansehnlicher [] war. Ascanio schaute ängstlich um sich, redete diesen und jenen an, da ihm aber keiner antwortete, so schwieg er endlich verlegen und überließ sich gefaßt und stumm seinem Schicksal.
Jetzt waren sie mitten im Walde, weit abgelenkt von der gewöhnlichen Straße. Sie standen auf einem runden, grasbewachsenen Platze, der mit hohen Felsenstücken steil umgeben war. Hier wurde haltgemacht, und hinter den Felsen traten mehrere Gestalten hervor, die dem Ascanio sehr wohl bekannt waren, die aber alle beim ersten Auftreten sich so fremd gegen ihn stellten, als wenn sie ihn niemals gesehn hätten. Plötzlich sprang ein großer, rüstiger Mann in ihre Mitte und rief: »Jetzt sind wir beisammen, um Gericht zu halten.«
Derjenige, der so rief, war in seiner Gestalt und seinem Antlitz auffallend genug. Er war ganz schwarz gekleidet: ein breiter Hut bedeckte sein Gesicht, auf welchem eine schwarze Feder schwankte. Sein Gesicht hatte den Ausdruck ungeheurer Wildheit, von einer großen Narbe, die quer über die linke Wange lief, noch mehr entstellt; in seinen Gebärden, wie in seinen Reden war er sehr hastig, so daß er in seiner Eile oft stotterte und manche Worte nur undeutlich zu vernehmen gab.
»Hierher, Ascanio!« schrie dieser unbändige schlanke Mann: »Rechenschaft wird abgelegt, wen du von uns verraten hast, und warum du mit einem ganz fremden Mann ein Komplott geschmiedet hast, um uns alle an das Messer zu liefern?«
Ascanio erzählte alles genau und umständlich: seine zufällige Gefangennehmung, wie man ihn von den übrigen getrennt und auf die Engelsburg gesetzt habe, ein Ereignis, das ganz gewiß von den Anführern der Brüderschaft selber herrühre. Nun sei der bekannte Strada zum Tode verdammt, dieser habe dem Grafen Pepoli, der sich um den Gefangenen aus Subiaco großmütig bemüht, zuerst den Ascanio genannt, weil dieser vielleicht Mittel und Wege angeben könne, den wohltätigen Zweck zu erreichen. Sei irgendein Verrat vorgefallen, oder etwas dem Ähnliches, so sei einzig und allein dieser Verbrecher zu schelten. »Es war wohl natürlich«, endete der Sprechende, »daß ich meine Freiheit wünschte, und die Gelegenheit ergriff, die mir ein edler Mann anbot, und ihr solltet alle jubeln darüber, weil ich nicht weiß, was die Schwäche meiner menschlichen Natur auf der Folter oder die Furcht vor dieser möchte ausgesagt haben. Nun seid ihr dieser Besorgnis los und es gilt nur noch, wegen des alten Gefangenen mit dem Grafen zu unterhandeln, und dabei überdies ein ansehnliches Geld zu verdienen.«
[] »Nein!« rief der große, wilde Mensch, und stampfte dazu mit den Füßen; »keine Auslösung, wenn es nach mir geht! Wozu haben wir den alten Graubart dort seinem weichen Bett entrissen? Um ein Beispiel aufzustellen, um die Gerichtshöfe, Häscher und Soldaten einzuschüchtern, daß keiner allzu dreist uns in die Zügel zu greifen wage. Der Preis, den wir festgesetzt, sollte nur dienen, Überkluge, Vorwitzige herbeizulocken, und die kennenzulernen, die uns etwa jetzt oder in Zukunft gefährlich werden könnten. Auch diese wollten wir verderben, und nachher die Glieder des Alten, zum Schrecken und Entsetzen der Gerichte und Häscher, in den Städten und Dörfern als Denkmal unsrer Macht und unerbittlichen Grausamkeit aufstecken. Nun soll alles dies durch Wort und Rede eines schwächlichen Verräters und auf sein Ansinnen vergeblich sein und widerrufen werden? Nein, ihr meine männlichen starken Freunde, laßt euch nicht so arg von einer glatten Zunge betören. Der Fremde, der so vorwitzig unsere Kreise betrat, er falle zuerst, zum abschreckenden Beispiel anderer Überklugen und Anmaßlichen. Nachher mögen wir untersuchen, ob uns Ascanios Leben oder Sterben nützlicher sei, denn er weiß allerdings zu viel, als daß wir ihn nicht als eines der bedeutendsten Glieder unseres Bundes betrachten sollten. So zieht denn die Schwerter!«
Mit einem wilden tierischen Geschrei waren mehr als hundert Waffen entblößt. Bei diesem Anblick sprang Ascanio wie rasend von seinen Begleitern fort und stellte sich dem Redenden gegenüber. »Halt!« schrie er, so laut er es vermochte: »seid ihr unsinnig? Bist du, Hauptmann, trunken? Diesen Großmütigen, den harmlosen Fremden wollt ihr in eurer tierischen Wut aufopfern? Und ich soll ihn auf die Schlachtbank geliefert haben? Ich, der Befreite, seinen Wohltäter? Wenn ihr denn nicht Mensch, wenn ihr denn rohes Vieh sein wollt, so nehmt mein Blut zuerst, so treu ich euch und dem Bunde immer war, schlachtet mich zu eurer Sicherheit, der ich um alle eure Geheimnisse weiß, aber ihn, den edlen Mann laßt zu seiner Heimat sicher und ungefährdet zurückkehren. Das sei das letzte Zeichen eures Wohlwollens für mich, eures ehemaligen Vertrauens, daß ihr mich statt seiner, als freiwilliges Opfer annehmt.«
»So sei's fürs erste!« schrie der Unbändige mit schäumendem Munde, und so war es in einer Sekunde um Ascanio, und wohl auch um den Grafen geschehen, wenn nicht in demselben Augenblick schnell wie ein Blitz vorspringend, ein schöner schlanker Jüngling vor dem Wütenden gestanden hätte. -»Steckt eure [] Degen und Dolche ein«, rief er mit lauter, wohlklingender, aber doch gebietender Stimme; »ich habe alle eure Reden vernommen, ich war noch kürzlich selbst in der Stadt, und kenne die Umstände genau; ich weiß, Ascanio ist unschuldig, und ganz im Recht, ihr wart im Begriff einen Mord zu begehn, anstatt ein Strafurteil zu vollziehen. Willst du, Ascanio, nun wieder zu uns treten, oder darfst du es wagen, für dich selbst dein Leben zu führen, uns unbekannt, und keinen kennend, wer dir auch von uns jemals wieder erscheinen wird?«
»Das letzte ist mein Wunsch, edler Hauptmann«, sagte Ascanio mit bittender Stimme.
»Und Ihr, Graf«, fuhr der Jüngling fort, »wünscht Euren alten Vetter wiederzuhaben, und selbst ungefährdet aus diesem zornigen Kreise zurückzukehren?«
»So ist es«, antwortete Pepoli.
Der junge Mann entfernte sich hierauf mit dem Grafen tiefer in den Wald, wo sie von niemand gehört werden konnten. »Ihr seid mir dankbar«, fing er an, »wenn ich Euern Wunsch erfülle?«
»Ohne Zweifel.«
»Und was tätet Ihr wohl, wenn das alles in Freundschaft, und selbst ohne das mindeste Lösegeld erfüllt würde?«
»Alles«, antwortete der Graf, und sah ihn mit Verwunderung an.
»Es geschehe«, fuhr jener fort, »wenn Ihr mir Euer Ehrenwort gebt, niemals, von allem, was Ihr gesehn und gehört, zu irgend jemand zu sprechen, keinen von uns zu kennen, wo Ihr ihn auch wieder treffen mögt, oder ihn gar auf diese Begebenheiten anzureden – und, zweitens, wenn Euch jemand diese Chiffer bringt, ihn aufzunehmen, einige Stunden zu verbergen, und heimlich und sicher weiterzuschaffen. Wenn Euch diese Kleinigkeit ein Äquivalent ist für jenes Alten und Euer eigenes Leben so reicht mir die Hand an Eides Statt, daß Ihr diese nicht schweren Bedingungen erfüllen wollt.«
Der Graf gelobte.
»So geht denn mit Eurem Ascanio zur kleinen Stadt zurück ruht und erholt Euch dort im Gasthofe, binnen einer Stunde wird der Alte, der so lange entfernt war, bei Euch sein«
So geschah es. Der Alte ward zu seinem Verwandten, der um ihn so viel gewagt hatte, unbeschädigt und ziemlich wohl hingeführt: die Freude, sich wiederzusehn, wurde von beiden nicht ohne Tränen gefeiert. Man machte Anstalten, bequem nach Rom [] zu reisen, Ascanio aber, der eine Sehnsucht zu den Seinigen hatte, die im Florentinischen lebten, wollte auf dem kürzesten Wege zu diesen eilen. Der Graf gab ihm die ganze Summe zum Geschenk mit, die er für die Auslösung seines Verwandten bestimmt hatte.
Langsam und bequem ward jetzt mit dem kränkelnden Alten die Reise nach Rom unternommen. In der Nähe der Stadt stieg der Graf vom Wagen, um zu Fuß durch das Tor zu gehn. –
Am frühsten Morgen schon hatte Donna Julia den feinsten und zierlichsten Brief vom Kardinal Farnese empfangen. Er sagte in diesem: der sicherste Beweis, welche Leidenschaft ihn schon seit lange für Vittoria entzündet habe, sei die rohe Ungezogenheit, zu welcher er sich in seinem vorgerückten Alter habe hinreißen lassen, wodurch er sich und seinen Stand entwürdigt, sowie seine liebste und teuerste Freundin gekränkt und verletzt habe. Wie es aber edlen Seelen anstehe, dergleichen traurige Augenblicke, in welchen wir uns nicht selbst angehören, zu vergessen, so sei er auch überzeugt, die Großmütige habe ihm schon vergeben, und sein Bestreben solle sein, durch alle nur irgend möglichen Beweise der Freundschaft sie auch diese schwarze Stunde vergessen zu machen. Er hoffe also, als ein Zeichen der Vergebung die Erlaubnis erneuert zu sehen, ihr Haus besuchen zu dürfen, um Zeuge des Glückes zu sein, und seinen Geist, wie es immer geschehe, an diesen herrlichen Gemütern der beiden Frauen zu erheben und zu erfrischen. –
Es war beschlossen, das Fest der Vermählung nur mit wenigen der vertrautesten Freunde zu feiern. Der Kardinal fühlte sich zu unwohl, um zugegen sein zu können, doch war der alte Caporale eingeladen, einige Edelleute mit ihren Frauen, und der Graf Pepoli, von dem man aber erfuhr, daß er verreist sei und keiner den Tag seiner Wiederkehr bestimmen könne. Jetzt trat aber Graf Pepoli umgekleidet vor die Kirchentür, indem der Zug der Hochzeiter sich aus dem übervollen Tempel drängte, denn Adel und Unadel waren zugegen gewesen, um die Zeremonie anzusehen. Der Graf begrüßte die Mutter nicht ohne Bewegung, indem er sagte: »Wie glücklich ist dieser junge Bräutigam, wie sehr könnte ich ihn beneiden!« – Die Mutter flüsterte ihm entgegen: »Wenn Ihr mir früher im Ernst so gesprochen hättet, wäre ich auch wohl glücklich.« – Pepoli stutzte. Geputzt, mit dem frischesten Ansehn der Gesundheit zeigte sich Marcello mit dem Bruder Flaminio. Die Braut erschien als ein Wunder, so groß und glänzend, daß der kleinere Bräutigam neben ihr sich als [] unmündig, und beinahe lächerlich zeigte. – »Ich werde es Euch gedenken!« sagte eine Stimme halb leise hinter Vittoria; »ein Ehemann, dessen Ihr Euch schämen müßt! wir sprechen uns, trotz aller Verbote, doch wohl ein andermal wieder.« – Sie sah sich scheu um, der wilde Luigi Orsini stand hinter ihr.
Der Zug stieg die Treppe hinab. Ein Tumult erhob sich auf der Straße. »Sie führen die Galeerensklaven vorüber«, sagte ein Bürger. Man hörte das Getöse und Klirren der Ketten. Alle verweilten, um den Zug vorüberzulassen. – »Ha! Fluch! Fluch euch!« schrie eine laute Stimme in Verzweiflung. Virginia war einer Ohnmacht nahe, denn sie erkannte in dem Gefesselten Camillo. – »Du Braut!« schrie dieser wieder: »Marcello neben dir mit Edelsteinen, und ich in Ketten! Ja, der Himmel, alle Heiligen verfluchen diese sündliche Ehe! Die Hölle jauchzt und die Teufel steigen frohlockend aus dem Abgrund, dir den Brautkranz, die süße Myrte aufzudrücken!«
Alle entsetzten sich. Die Geißel der treibenden Häscher schwirrte, und tosend, klappernd zog die gefesselte Bande vorüber; viele in dieser lachten laut, schadenfroh, andere grinseten boshaft, und wiesen im tückischen Lächeln die weißen Zähne. Die Hochzeit begab sich nach dem aufgeschmückten Hause und zum festlichen Mahl.
[]So war die Ruhe in der Familie der Accoromboni hergestellt worden. Der junge Gemahl fühlte sich glücklich, Vittoria lebte still und ruhig, den weiblichen Arbeiten, oder dem Lesen ihrer vielgeliebten Schriftsteller hingegeben, bald spielte sie auf der Laute und sang mit ihrer wohltönenden Stimme die zarten Lieder, von denen sie selbst viele erfunden hatte, bald dichtete sie und schrieb Briefe an ihre Freunde. Viele Sonette und Kanzonen oder Stanzen ließen damals ihre Freunde und Verehrer, denen sie sie mitgeteilt hatte, drucken, doch ohne ihren Namen; manche ihrer Poesien liegt noch in den Bibliotheken Italiens als Manuskript verborgen. So schien sie vergnügt und ihres einförmigen, stets mit denselben Genüssen wiederkehrenden Lebens gewohnt, mit sich und aller Welt zufrieden.
Das Haus der Accoromboni, jetzt Peretti, war von Fremden und Gelehrten, auch Vornehmen mehr als je besucht. Alle Welt sprach von der Wissenschaft, Tugend und dem Talent der schönen Vittoria, und diese Besuche von ausgezeichneten und vornehmen Frauen und Männern, die poetischen Akademien, die Improvisationen, Musik und Gesänge, zuweilen der Vortrag einer gelehrten oder philosophischen Untersuchung, scharfsinnige Streitfragen und zierliche Disputationen, alles dies hatte das anmutige Haus gleichsam zu einem Musenhaine umgeschaffen, in welchem sich der heitere Mann, wie der ernste Jüngling wohlgefiel. Der Kardinal Farnese besuchte wie sonst die Familie, ja fleißiger, weil er jetzt manche seiner Freunde, Bekannten und noch mehr Unterhaltung hier fand, als vorzeiten. Er war immerdar fein und artig, und kein Augenblick verriet mehr seine ehemalige Leidenschaft, so daß man glauben mußte, daß er von dieser gänzlich geheilt sei. Er nahm sich mit großer Freundschaft des jungen Peretti an, und dieser durfte ihn oft besuchen und an seiner Abendgesellschaft in seinem Palaste teilnehmen, welches noch öfter geschehn sein würde, wenn ihn nicht sein Oheim, der Kardinal Montalto, der ehemalige Frater Felix, vor diesem Umgang gewarnt hätte. Denn da dieser sich immer mehr dem Hause Medici und dem Kardinal Ferdinand anschloß, und die Medicäer [] und das Haus Farnese in offner Feindschaft lebten, so konnte Montalto nicht wünschen, daß sich sein junger unerfahrner Neffe zu genau mit ihrem mächtigsten Gegner verbände; er warnte diesen daher vor jenes Treulosigkeit und Falschheit, die Farnese mit gewandter Klugheit sehr geschickt zu verbergen und durch seine Liebenswürdigkeit der Tücke und Bosheit den Anschein der Treuherzigkeit zu geben wisse.
Die Mutter, Donna Julia, hatte sich seit der Vermählung von der Tochter auffallend zurückgezogen. Sie behandelte diese ganz anders, als vormals, denn sie fühlte wohl, daß Vittoria in dieser neuen Lebensepoche ganz selbständig und unabhängig sein müsse. Es schien auch, als sei durch jenen letzten gewaltsamen Sturm der Leidenschaft ein gewisses scheues Mißtrauen zwischen beide getreten, so daß sie sich ebensosehr vermieden, als sie sich gegenseitig beobachteten. Beide fühlten es wohl, ohne es sich zu gestehn, daß jenes frühere unbedingte Vertrauen, jene hingebende, rücksichtslose Mitteilung vorüber und erloschen sei: beide Geister waren voreinander erschrocken, und durch den Schreck, der sich zwischen sie geworfen hatte, waren sie sich fremd geworden. Waren sie allein beisammen, so sprachen sie über Gegenstände der Literatur oder gleichgültige Sachen, so daß nun in späten Jahren die Mutter an sich irre wurde, ob sie ihren Kindern auch die richtige Erziehung gegeben habe. Der Abt, welcher jetzt eine einträgliche Präbende durch Montaltos Bemühungen in Rom erhalten hatte, war in seinen Äußerungen fast feindselig gegen die Mutter und die mit Mühe durchgesetzte Vermählung seiner Schwester. Er sprach bei jeder Veranlassung geringschätzig vom Montalto, behandelte dessen Neffen, den jungen Peretti, mit unverhohlner Verachtung und machte ganz auffallend dem alten mächtigen Farnese den Hof, dem er oft aufwartete, und welcher ebenfalls den jungen Mann mit der größten Auszeichnung behandelte.
Montalto, welcher fast alle seine Zeit den kirchlichen Pflichten und frommen Übungen widmete, besuchte nur selten die Familie, und wenn es geschah, so war es nur in jenen Stunden, von denen er wußte, daß er sie allein, und ohne Gesellschaft finden würde. Mit der Mutter unterhielt er sich am liebsten, deren Geist und Verstand er verehrte; vor der Tochter, sosehr ihm ihre Schönheit auffiel, sosehr er sich über ihre scharfen Urteile verwunderte, schien er doch eine Art von Furcht zu fühlen, wie vor einem ihm ganz fremden Wesen. Lieber war ihm der schwache, unbedeutende Flaminio, den er gern zuweilen belehrte und ihn [] freundschaftlich auf dieses und jenes aufmerksam machte, was der leichtsinnige Jüngling noch niemals beachtet hatte. Geflissentlich vermied er dagegen, wo er nur konnte, den ungestümen Marcello. Er hatte selbst den Dank des jungen Mannes für die Lebensrettung nicht annehmen wollen, weil er sich dieser seiner Wohltat schämte. Er wollte sich überhaupt an diesen Punkt niemals erinnern lassen, weil diese Landplage der Banditen, sooft er nur von ihr hören mußte, ihn in Zorn versetzte, und leider wurde jedermann in Rom nur allzuoft, ja stündlich, durch Furcht, Missetat und erschreckende Nachrichten aus den Provinzen und Gebirgen an diese Pest des Staates gemahnt. – Marcello fühlte wohl, wie widerwärtig seine Gegenwart dem verehrten Alten war, er verließ daher in der Regel das Zimmer, sowie Montalto eintrat. –
Welche Freude, sagte die Mutter in manchen Stunden zu sich selber, habe ich denn eigentlich nun an meinen Kindern, oder jemals an ihnen gehabt? Wie war es nur möglich, daß Marcello mit diesen Gesinnungen an meiner Seite aufwachsen konnte? Ihm vertraut keiner; welche Stelle wird er in der Gesellschaft einnehmen können? Sooft ich Vittoria betrachte, fließt ein leiser Schauer durch meine Nerven, wenn ich mich ihrer leidenschaftlichen Reden und Gedanken erinnere. Und warum will dieser Flaminio so gar nicht zum Manne werden? Er ist gut, ja, weil gar keine Kraft in ihm ist, böse zu sein! Und der Älteste? Was ist es mit ihm, daß er so gar keiner Liebe fähig zu sein scheint! Er hat es ganz vergessen, wie ich für ihn gesorgt, was er mir zu verdanken hat. – So quälte sie sich und machte sich Vorwürfe, da sie gegen eines ihrer Kinder zu strenge, gegen ein andres zu schwach und nachgiebig gewesen sei, daß sie durch ihre freie Gesinnung, die sie selbst immer geäußert, sie vielleicht unfähig gemacht habe, sich dem bürgerlichen, gewöhnlichen Leben zu fügen.
Der alte mürrische Sperone hatte vor seiner Abreise auch noch einigemal die Familie besucht, sich aber in ihrer Umgebung nicht allzusehr gefallen, weil man ihm nicht unbedingt in allen Behauptungen recht geben wollte. Er äußerte zu seinen Freunden: »Diese Vittoria erinnert mich an jene ehemals berühmte Tullia Aragona, die ich in meiner Jugend wohl einigemal gesehn habe: nur erscheint mir diese neue anmaßliche Muse viel schöner, und ihr Ausdruck ist ein tragischer, als wenn ihr Schicksal nicht so gleichgültig und mittelmäßig, wie jener Tullia, ausgehen könnte. Bei solchen Gesichtern fällt dem gereiften Manne, der von den Reizen nicht mehr bestochen wird, vieles ein: sie kommen mir [] vor, wie jene Bildchen und großartigen Physiognomien, mit denen oft gute Künstler unsre Dichter in Andeutungen und Allegorien haben ausschmücken wollen: sind diese kleinen Werke in ihren Verbindungen und Gruppen auf dem Titel, oder den Blättern selbst anziehend, und gut geraten, so lieset man in ihnen selbst wieder ahnend ein Gedicht.«
Caporale, sooft er sich in Rom aufhielt, besuchte das Haus sehr fleißig. Er war allen Mitgliedern der Familie notwendig geworden, denn jedes fand in ihm das Vertrauen belohnt und erwidert, indem er allen auf fast gleiche Weise mit unparteiischer Liebe zugetan war, wenn er auch Vittoria so auszeichnete, daß seine Freundschaft an unbedingte Verehrung grenzte. Über ihr eheliches Verhältnis sprach er niemals zu ihr, weil er es wohl gefühlt, wie sie es vermied, auch nur das kleinste Wort über diesen Gegenstand fallenzulassen. Er zwang sich, gegen den jungen Gemahl freundlich zu sein und ihn zuweilen mit einer gewissen Ehrerbietung zu behandeln: doch erschien es ihm in vielen Augenblicken als eine komische Begebenheit, daß dieser unreife Jüngling in einem Hause, in welchem Kunst, Poesie und Gelehrsamkeit herrschten, durch welche die beiden weiblichen Wesen allen Männern interessant waren, als Oberhaupt der Familie sich ziemlich unwissend zeigte, und es gern, wenn er konnte, vermied, an den literarischen Gesprächen oder poetischen Übungen teilzunehmen. Zwar war es nicht zu verkennen, daß der junge Mann sich eifrig bestrebte, nach allen Richtungen hin seine Kenntnisse auszubreiten, allein die Grundlage seiner Bildung war zu schmal, und es fehlte ihm ganz an jenem Enthusiasmus, der auf seinem kürzeren Wege den Geist mit Schätzen bereichert, und selbst ein weniges zu vielem machen kann.
Als Caporale an einem Abend das Haus verließ, kehrte er in der Tür des Zimmers noch einmal um, und wendete sich zu Mutter und Tochter: »Ich muß euch, werte Freunde, doch noch ein kleines Abenteuer erzählen, welches mir vor wenigen Tagen begegnet ist. Ihr wisset schon, wie gern ich im Lande umher streifte, am liebsten allein, wo die Straßen nur irgend sicher sind. So war ich nach Albano hin geraten, ganz meiner Laune und den Gedanken der Einsamkeit ergeben, indem ich in einem kleinen Hause vor der Stadt mein Quartier genommen hatte. Bei meinem Umherstreifen, auch im Hause selbst hatte ich zuweilen einen großen, starken Mann, von herrischem Aussehen, wahrgenommen, der mir durch sein Wesen, Miene, Anstand und Gebärde außerordentlich auffiel. Ich wollte endlich nach Rom zurückkehren, [] und siehe da, meine Geldbörse war mir irgendwo entwendet worden, oder ich hatte sie im Gebirge verloren. Der Wirt des Hauses, der mich nicht kannte, weil ich es liebe, ohne Titel und Würden auf meinen Zügen zu leben, fing in seiner Weise ein lautes Gezänk an, sprach von Landstreichern und Betrügern, und benutzte mein Phlegma, sich immer eifriger in seinen Komödienzorn hineinzuarbeiten. Plötzlich flog der Mann in einen Winkel seiner Stube, und ich begriff nicht, welche Gewalt ihn dahin gezaubert hatte, als ich in selbem Augenblick meinen Unbekannten vor mir stehen sah. ›Lump!‹ rief er jenem zu, der sich am Boden krümmte; ›so einen Edelmann zu behandeln! Siehst du nicht, wen du vor dir hast?‹ – Der bleiche Mensch empfing zitternd aus der Hand des Starken seine Bezahlung, und ein übriges, um ihm den Schreck zu vergüten. Als ich dem Fremden meinen Namen zugleich mit meinem höflichen Dank sagen wollte, rief er: ›Unnötig, laßt uns noch eine Weile, so namenlose Bekannte und Wandersleute bleiben. Erlaubt mir, ebenfalls für Euch ein simpler Reisender zu sein.‹ – So streiften wir noch einige Tage umher, und als wir ankamen, sah ich, daß er ein Haus nicht weit von der Porta Capena besitzt, wo er nach seinem Eigensinn, fast ohne Bedienung lebt. Seitdem haben wir uns öfter dort im Felde wiedergesehn. Ich habe ihm viel von Euch erzählt, und er wünscht lebhaft, daß ich ihn bei Euch einführen möge. Aber er ist eine Art von Menschenfeind, besonders hat er, so scheint es, einen Haß auf die große Welt. Als er erfuhr, daß Euch der übermütige Farnese nicht selten besucht, gereute ihn schon sein ausgesprochener Wunsch, doch bittet er durch mich, wenn Ihr einmal allein seid, ihm zu erlauben, Euch zu sehen, und wenn ich nicht irre, seid ihr morgen abend ohne Gesellschaft. Darf ich den barschen Mann dann bringen?«
»Gern«, sagte Vittoria, »nur hütet Euch, Bester, daß ihr keinen von den berühmten Banditen in unsre Haushaltung führt die uns nachher wohl gar ausrauben und ermorden.«
Caporale lachte laut und erwiderte: »Nein, schöne Freundin den Anschein hat er durchaus nicht: er eröffnete mir endlich, er sei ein wohlhabender Kaufmann aus der Lombardei, und habe sich von dort entfernt, weil die Pest, wie wir alle wissen, in Oberitalien auf eine furchtbare Art wütet.«
»Du vergissest, Vittoria«, sagte die Mutter, »daß morgen der Celio Malespina hier sein wird, und Euer junger Freund Don Cesare, der redselige Boccalini.«
»Die beiden werden ihn wohl nicht stören, oder ihm im Wege [] sein«, sagte Caporale: »doch will ich es ihm ankündigen, damit er kommen oder wegbleiben kann. Ihr seid aber auch von der Güte, alle andern Fremden zurückzuweisen.«
So geschah es. Die Familie war am andern Abend versammelt, und der junge Boccalini, ein großer Verehrer des Dichters Caporale hatte sich zuerst eingefunden. Bald darauf erschien Malespina, der in Florenz bei dem Herzoge Francesco, welcher erst vor einigen Jahren die Regierung angetreten hatte, seit einigen Monden die Stelle eines Sekretärs bekleidete. Er war jung und wohlberedt und sein neuer Eintritt in die große Welt, wo er plötzlich blendende und mächtige Verhältnisse aus seiner Nähe in einem andern Lichte sah, schien ihn sehr glücklich zu machen. Er spottete mutwillig über viele Gegenstände, die ihm vor einem Jahr vielleicht ein ehrfurchtvolles Schweigen aufgelegt hätten. Er kannte außerdem die Literatur, und viele Gelehrte persönlich. –
Jetzt trat Caporale mit seinem neuen Freunde ein. Dieser begrüßte sie alle höflich, mit den feinen Manieren eines Weltmanns sagte dann schmeichelnd, wie er seit lange gewünscht, die berühmte Accorombona näher und persönlich kennenzulernen, deren Ruhm durch ganz Italien verbreitet sei: er fühle sich überrascht, daß der Ruf der Schönheit von einem so zauberreichen Wesen noch zu wenig gesagt habe. Auch der Mutter war er verbindlich und vergaß oder übersah auch Peretti nicht, sowie die beiden Fremden, so daß er sich durch sein sicheres Wesen, und seinen gebildeten Ton, der ihn als einen Mann von tiefer Erfahrung und mannigfaltigen Schicksalen ankündigte, mit allen Gegenwärtigen sogleich in ein gutes Verhältnis setzte.
Celio Malespina erzählte von Florenz, Boccalini spöttelte über einige römische Gelehrte und berühmte Staatsmänner, Caporale suchte die zu scharfen Urteile zu mildern und Virginia war so ausschließend mit der Betrachtung des Fremden beschäftigt, dessen Sonderbarkeit ihr auffiel und sie fesselte, daß sie fast nur mit einigen lachenden Antworten an dem Gespräch der übrigen teilnehmen konnte. Auch die Mutter beobachtete diesen und sie suchte emsig in ihren Erinnerungen umher, ob sie dem bedeutenden, großen und stark gebauten Mann, mit diesem feurigen gebietenden Auge, nicht schon früher in ihrem Leben begegnet sei. Peretti drückte eine gewisse Scheu und Furcht vor dem Fremden aus und war in seinen Äußerungen, wenn er an der Unterhaltung teilnahm, noch furchtsamer und blöder, als gewöhnlich.
Malespina erzählte, daß jetzt einige unvollendete Gesänge des [] befreiten Jerusalems von Tasso nach Florenz gekommen seien, die den ganzen Hof in Entzücken versetzt hätten. »Es ist wohl gewiß«, fuhr er dann fort, »daß dieser junge Mann jetzt der größte Dichtergenius unsers Vaterlandes ist. Es erheben sich sogar hie und da einige Stimmen, die ihn schon über unsern großen Ariost erheben wollen.«
»Über das ewige Streiten und Erheben und Subordinieren!« rief Caporale unwillig aus. »In seiner Sphäre wird der göttliche Ariost niemals wieder erreicht werden; Tasso betritt, soweit ich sein herrliches Gedicht kenne, eine ganz andere Region der Poesie. Diese beiden magischen Kreise können sich in keiner Gegend ihres Zauberbanns berühren. Die Kristallpaläste Ariosts sind vom strahlenden Lichte des Scherzes und der Lust umgossen, vom zarten Mutwillen durchströmt und der Ernst des Lebens ist in ein leichtes, wenn auch tiefsinniges Spiel verwandelt. Tasso wandelt mit den Gestalten seiner Sehnsucht und Poesie in einem grünen dämmernden Hain, die Liebe ist süß, doch ohne Schalkheit, Krieg und Abenteuer, Helden und Jungfrauen, alle sind von einer sanften Weihe durchdrungen, und eine freundliche Wehmut erfaßt und durchschauert unsern Geist, indem wir uns dem poetischen Taumel ergeben. Wie so ganz anders das blendende, verwirrende und verlockende Labyrinth unsers Ariost! wo uns im innersten Gemach, wenn es in diesem neckenden Garten ein solches gibt, statt des Minotaurus ein Reigen scherzender und übermütiger Nymphen und Satyrn überrascht, die uns laut wegen unserer Erwartungen verlachen.«
»O wie wahr!« rief jetzt Vittoria aus: »mag Ariost für den Kenner, welcher die Waagschale in prüfenden Händen halten darf, der größte Dichter sein, unser zärtlicher Tasso wird sich immer neben ihn stellen dürfen.«
Boccalini sagte: »Glaubt mir, auch die schönsten Werke müssen erst, den Mispeln ähnlich, eine Weile still und ungenossen liegen bleiben, bis sie für den Gaumen der Menge die weiche Reife erlangt haben, daß diese den Geschmack an ihnen finden. Der Enthusiastische versteht sie früher und gewissermaßen im voraus, so wie der wilde, leicht erhitzte Ungebildete bald dieses bald jenes wesenlose Gespenst als seinen Gott anbetet, und ihm einen Dienst weiht, der viel größer ist, als der nüchterne Götze selbst.«
Der wohlbeleibte Fremde warf dem jungen Mann einen scharfen prüfenden Blick zu, indem er bemerkte: »Wahr! Die Begebenheit aller Zeiten; aber ist die Zeit selbst immer die Wurfschaufel, welche die Spreu links und die Körner rechts wirft?
[]Und hat selbst die Geschichte, die unbefangene Nachwelt niemals geirrt? Ja, wenn diese sogenannte Zukunft nicht zerstreut und vergeßlich wäre! Sie vergißt auch nur allzuoft an den neuen Schätzen, was sie schon früher an Juwelen besaß; das Neue ist ihr oft nur das Bessere, weil die Politur die frischere ist, und das massive Gold voriger Tage von Staub unkenntlich gemacht wurde. Hat nicht der leuchtende Ariost und der spaßhafte Berni unsern edeln Bojardo zu früh in die Vorratskammer der Altertümer hineingestellt?«
»Gewiß!« rief jetzt Donna Julia aus, »und es freut mich, daß ein edler Sinn einmal diese gehaltreiche Frage aufwirft. Der Erfindungsreiche hat uns diese Bahn geebnet, er war trunken im süßen Wein der schönen Fabel, und nun hat er doch Undankbaren die duftenden Trauben seines reichen Berges gekeltert.«
Vittoria betrachtete mit Freuden ihre Mutter, von deren schönem Munde ein so poetischer Ausspruch gefallen war.
Malespina erzählte wieder vom Tasso, wie er seinen Nachrichten zufolge, unzufrieden am Hofe von Ferrara sei, wie er sich fortsehne, und besonders mit dem florentinischen Fürsten, dem Großherzoge Francesco in heimlichen Unterhandlungen stehe. Auch sei ihm der Fürst geneigt, und vielleicht noch mehr dessen Geliebte, Bianca Capello. Nur sei der Poet so schwankend und unentschlossen, daß die Anfragen und Unterhandlungen niemals weiterrückten: und der florentinische Hof wolle natürlich auch nicht zu rasch und bestimmt entgegenkommen, um dem Herzoge Alfons, der schon seit Jahren die Medicäer hasse, keine Blöße zu geben. -»Überhaupt«, fuhr Malespina fort, »wird den armen, krankhaften Tasso früher oder später ein unglückliches Schicksal ereilen. Er ist verzogen worden, und zugleich gedemütigt, manche erheben ihn seines Gedichtes wegen zum Gott, andere tadeln eigensinnig und unermüdlich, und er ist schwach genug, alle, die für Kenner gelten, anzuhören und ihnen selbst das Richtschwert in die Hand zu drücken. Wollte er allen folgen, so bliebe kein Vers seines Werkes übrig, oder unverletzt; das Notwendigste und Schönste würde ganz verworfen; weil die pedantischen Kritiker diese herrlichen Zwischenhandlungen unter dem Namen der Episoden verdammen, welche nach ihrer Einsicht in keinem epischen Gedichte sein dürfen. Wehrt sich der Ärmste nun rechts und links gegen diese Vertilger, so muß er die alten Phrasen von der Poeten-Eitelkeit hören, von dem leicht erregten Zorn der Dichter, und dergleichen lateinische Sprichwörterchen. Er meint es ernst mit seiner Dichtung, vielleicht zu ernst, seine Splitterrichter [] aber pedantisch; diese nun, zum Erbarmen, indem sie ihn schmerzlich verletzen, spielen die Gekränkten und Beleidigten, als wenn er ihnen noch großen Dank sagen müßte, daß sie das Werk, dem er Jahre von Fleiß, Studium und Liebe geopfert, das ihn so viele Nachtwachen gekostet hat, zerfleischen und vernichten.«
»Ja, ja«, sagte Caporale, »ein solches Elend kann nur ein Dichter ganz mitfühlen.«
»So soll der Unglückliche«, fuhr Malespina fort, »jetzt mit sich und der ganzen Welt unzufrieden sein. Er wünscht zu reisen, je weiter, je lieber: der Herzog Alfons aber will ihn nicht entfernen; manche der Hofleute, die ihm neidisch sind, möchten ihn vertreiben, falsche Freunde halten ihn wieder fest, um sich schadenfroh an seinem Kummer zu weiden, daß derselbe Mann schon so tief gesunken ist, den sie eine Zeitlang so sehr über sich erhoben sehen mußten.«
»Man möchte weinen«, rief jetzt Vittoria mit bewegter Stimme aus, »wenn man es sieht, wie in unserm armen Vaterlande der Genius, fast wie ein Hofhund, an den Ketten fürstlicher Gnade gefangen liegt. Ein Spielwerk der Launen, ein Putz für den Hochmut, ohne wahre Achtung und noch weniger Liebe: wie das Talent nicht erkannt, und dennoch in Knechtespflicht gehalten wird, dann zufällig aufgeopfert, oft dem gemeinsten Interesse sogar geschlachtet. – Oh, das wäre ein Gegenstand für unsere Tragödie, viel ergreifender und durchdringender, als jene kalten Exerzitien eines Sperone und Trissino.«
»Ja wohl«, erwiderte Malespina. »Aber er selbst, unser Torquato, ist allzu schwach. Selbst seinen gutgesinnten Freunden zwingt er durch manche Dinge ein halbverachtendes Lächeln des Mitleidens ab. Könnt Ihr es glauben, Verehrte? Er hat sich neuerdings so weit erniedrigt, daß er sich zum Inquisitor begeben, und sich über seine Rechtgläubigkeit hat examinieren lassen. Dieser hat ihm ein Zeugnis ausstellen müssen, daß er ganz mit ihm zufrieden sei, so wie man es wohl Kindern oder jungen Kandidaten gibt. Aber das ist ihm nicht genug, auch nicht, daß gelehrte, ihm wohlwollende Bischöfe ihn einen orthodoxen katholischen Christen nennen: dringend liegt er immerdar seinem Herrn an, daß er ihn nach Rom schicken soll, damit hier sein Glaubensbekenntnis untersucht werde. Er ist auch wiederum, sagt man, zu einem andern Inquisitor gewandert, der wiederum auf sein Flehen seinen ungefälschten Glauben hat bestätigen müssen. Dieser große Mann, der den Plato und Aristoteles liest und kommentiert, der selbst so schöne, tiefsinnige Dialogen schreibt [] dieser fällt so ganz von seiner Würde – oh, nicht wahr, man weiß nicht, ob man weinen oder lachen soll. – Es ist doch zu erbärmlich um diese unsere menschliche Schwäche.«
Als diese Worte ausgesprochen waren, stand Vittoria in der heftigsten Bewegung auf und wandelte mit großen Schritten durch den Saal; dann stellte sie sich hoch aufgerichtet vor Malespina hin und sagte mit Tränen im feurigen Auge: »Mann! Don Celio! Wo kommt Ihr denn her, aus welchem einsamen Winkel des wilden Kalabriens? Wie seht Ihr die Welt und die Menschen an, wie leset Ihr die Geschichte?«
Don Celio erschrak sichtlich vor dieser Anrede; die schöne Frau erschien ihm in diesem Augenblicke furchtbar.
»Ihr ein Hofmann?« fuhr sie mit lauter Stimme fort, »ein Menschenkenner? O wahrt Euch, wahrt Euch, daß Euch dieses Lächeln über Tasso nicht einmal den Hals bricht. Ihn verlachen, den Ärmsten? Ja, wären noch die Zeiten des Julius und Leo des Zehnten, als witzige Lästerer selbst Präbenden für ihren lustigen Atheismus erhielten, als Bembo, der galante, eben wegen seiner Feinheit, Kardinal ward, als Peter, der Aretiner, von Priestern, Päpsten und Kaisern geehrt wurde. – Aber jetzt! habt Ihr es denn gar nicht erfahren (und es ist doch noch nicht so tief in die Vergangenheit entrückt), wie Euer wahrhaft großer Fürst, der erst vor zwei Jahren gestorben ist, damals dem fromm-wütenden Papst seinen Tischfreund, seinen Vertrauten, den gelehrten Carnesechi aufopferte? Den edlen Mann, der hier in Rom enthauptet und verbrannt wurde? Und weshalb ward dieser Busenfreund, den der große Cosmus, der so viel Edles und Schönes ausgerichtet hat, so schnöde auslieferte, preisgegeben? Um jenen alten Präzedenzstreit endlich zu schlichten, daß Cosmus vor Ferrara und andern ginge, die Hoheit erhielte, und statt Herzog Großherzog tituliert würde. Weshalb der Haß Ferraras und der übrigen Fürsten noch fortbrennt. Kann nun Alfons, wenn er sich von seinem Hofdichter beleidigt dünkt, diesen den Religionswächtern in die Hände spielen, glauben diese in blindem Eifer wirklich, oder auf höhern Befehl an Tassos Ketzerei, so darf sich der Fürst von Ferrara ohne weitere Bemühung oder Zorn zurückziehen, und nur unsere liebende Kirche walten lassen Möglich, daß Tasso zu ängstlich ist, aber ihn deshalb zu verlachen ist wahrlich keine Ursache.«
Der Fremde, der sich nur Don Giuseppe nennen ließ, stand auch wie in Begeisterung auf, ging hin und faßte die schöne junge Frau bei der Hand, führte sie zu ihrem Sessel zurück, und [] sagte mit bewegter, aber sehr wohlklingender Stimme: »Ihr habt da ein sehr wahres Wort über die Fürsten gesprochen, und noch mehr, als diese Einsicht, verehre ich Eure Ketzerei. Oh, was wären wir Italiener, wenn viele Tausende so dächten, und diese Million denselben heroischen Mut hätte, es so laut und dreist auszusprechen!«
Die Mutter war erst über die heftige Rede der Tochter erschrocken, jetzt war sie es noch mehr über die Bemerkung des fremden Mannes, und über die Art und Weise, wie er gleichsam, als wenn es so sein müsse, den ganzen Kreis ihrer Familie regierte. Vittoria sah den kecken Mann mit einem ganz eigenen Blicke an, dann senkte sie das Haupt, ward auf ihre seltsame Weise rot und dann viel blasser als gewöhnlich, und man bemerkte, sosehr sie es auch verbergen wollte, daß sie Tränen vom Auge trocknete.
Dem jungen Peretti war alles, was sich jetzt zugetragen hatte, nicht aufgefallen, er sprach eifrig mit Flaminio über eine Stadtneuigkeit. Marcello, dem alle diese Gespräche langweilig waren, hatte sich schon längst entfernt, um irgendeine seiner Gesellschaften aufzusuchen, in denen es lauter, wilder und lustiger herging.
Um wieder in die gleichgültige und ruhige Bahn einzulenken, führte Caporale das Gespräch auf die Dichtungen zurück, und ersuchte seine junge Freundin, über irgendein Thema zu improvisieren; denn Don Giuseppe habe viel von dieser ihrer Gabe gehört, und wie schön sie sich in dieser Übung von Enthusiasmus und Begeisterung über alle gewöhnlichen Grenzen fortreißen lasse.
»Der fremde Herr«, erwiderte sie, »hat schon gesehen, wie unziemlich ich mich von einem gewissen Dämon kann einnehmen und beherrschen lassen, den Ihr so freundlich Enthusiasmus nennen wollt. Darum sei es für heute genug. Besser ist es vielleicht, wenn jeder ein aufgeschriebenes Gedicht von sich mitteilt, um unsern Abend auf echt italienische Weise zu beschließen. Ich bin es gern zufrieden, dann auch eine Grille herzulesen, die ich neulich gedichtet habe.«
Ohne weiter umzufragen, zog Caporale einige Blätter aus dem Busen, und sagte: »So will ich den Anfang machen.« – Er las einige Kapitel aus seinem neuen komischen Gedicht über die Gärten des Maecenas, welche alle Zuhörer in eine heitere Stimmung versetzten. Dann gab Flaminio einige Verse zu hören, die die Schwester ihm wahrscheinlich verbessert hatte. Donna Julia nahm aus dem Schrank eine moralische Kanzone, die sie mit [] wohlklingender Stimme vortrug, und der blonde Peretti brachte ein Lied vom Glück des Landlebens herbei, welches er so stotternd und unrichtig vorlas, daß man wohl daran zweifeln durfte, ob es auch von ihm selber herrühre.
Hierauf sagte Don Giuseppe: »Jetzt, meine Damen, da die Reihe an mich gekommen ist, fällt mir dermalen nichts ein, (am wenigsten ein Vers, da ich in meinem ganzen langen Leben noch keinen geschrieben habe,) als eine Stelle aus jenem weltbekannten Kindermärchen von den drei Orangen. In diesem heroischen Zaubergedicht kommt eine eiserne Tür vor, die darüber ächzt und winselt, daß sie so furchtbar knarren und krächzen müsse, weil ihre Angeln, ich weiß nicht, seit wie vielen Jahrhunderten, nicht mit öl sind getränkt worden. So müßte ich auch noch auf irgend eine Muse warten, die mir, um Verse sprechen zu können, die Kehle geschmeidig mache. Nehmt, Verehrte, diese Erinnerung an ein Gedicht für ein Gedicht, und diesen meinen Scherz für Ernst.«
Boccalini las in den heiteren daktylisch-gleitenden Versen ein Gedicht, wie der erzürnte Apollo einst den schlafenden Amor überrascht habe. Noch böse über die Liebeswunden, die ihn so oft geschmerzt, habe er den tückischen Bogen des Kleinen zerbrechen wollen. Wie er ihn zusammenkrümmt, ertönt, wie klagend, die Sehne: so biegt der Gott ihn um, und erschafft die Leier. Darum will sie immer nach Liebe tönen, auch oft, wenn der Musengott nach andern Weisen sucht. Der Satyr erprobt nicht selten, wenn Apollo ihm freundlich ist, das Instrument der Sehnsucht: in seiner Faust schwirrt es halb zum alten Bogen zurück und schießt oft bittre, vergiftete Pfeile. Doch unser Satyr, von Vittorias oder Junos Majestät verschüchtert, läßt dem gutmütigen Caporale nur leichte Scherze von der feinklingenden Sehne fliegen, und Apollo und Vittoria lächeln ihm Beifall.
Die übrigen applaudierten und Virginia suchte jetzt, indem sie mehr Caporale als Boccalini mit einem lächelnden Blicke begrüßte, aus einer Sammlung vieler Blätter einige heraus und sagte: »Ich weiß nicht, soll ich diese Erfindung Ballata, oder wie die Spanier Romanze, oder nur Grille betiteln.« Sie las, und es waren in Versen ohngefähr folgende Worte; –
»Der schwarzbraune Bräutigam.
Der junge Fürst nahm Abschied von der Braut. Sie war ihm seit einem Monat anverlobt. Er dachte nur an sie, und ritt jetzt in das Gebirge hinein, um seinen Vater zu besuchen, und ihn auf die Ankunft der Schwiegertochter vorzubereiten.
[] ›Verlaß mich nicht‹, klagte die schöne Braut, ›mir ahnet Unheil. Warum gerade in diesem Augenblicke von mir gehn?‹ – ›Ich muß‹, sagte der Prinz, und küßte sie zärtlich: ›unsere Liebe wird diese Trennung nur lächelnd überdauern.‹
›Nein!‹ klagte sie weinend; ›ich sehe dich nicht wieder. Als gestern abend die dunkeln Wolken so eilig durch den Himmel flogen, erblickte ich in ihnen lauter abscheuliche Gesichter, grinsend, in fürchterlicher Schadenfreude verzerrt. Es sind die Göttinnen des Schicksals, oder Dämonen, die dir auflauern. Sie wollen uns trennen, sie wollen dich töten! sie fürchten, die Schadenfrohen, daß du deine Länder beglücken wirst, sie wollen nur Unheil säen.‹
›Gespenster‹, sagte der Liebende, ›sind nichts Wirkliches, darum zittere, darum bange nicht, mein holdes Liebetraut. Daß wir uns lieben, ist Wahrheit: davor weilt und steht kein Dämon. Deine Phantasie ist krank, die Wirklichkeit gesund. Um so viel du in Schmerzen leidest, um so mehr jauchze ich in Lust. Der gute Geist muß Sieger sein.‹
›Kannst du es wissen?‹ sprach sie, und umschlang ihn inniger. ›Sie meinen es nicht gut mit uns, das habe ich in allen meinen Träumen gesehn. Du bist mir Leben, Gegenwart und Zukunft: wenn sie dich fortreißen, wo ist noch eine Zeit für mich?‹
Da ward sein schwarzes, hohes Roß vorgeführt, sein Lieblingsroß. Wie er dem edlen Tiere gut war, so war das Pferd mit wunderbarer Freundschaft dem Herrn zugetan; es hatte ihm schon oft das Leben gerettet. Und der Herr war dem Rappen dankbar. Die Liebe, die den Menschen an die Tiere knüpft, ist wunderbar.
Im Tale, tief unten, im Felsenkessel, von Schierling, Bilsenkraut und giftigen dunkeln Blumen umgeben, hausten in der Einsamkeit weibliche Dämonen. Ihre Freude war Unglück, Verderben, Krankheit. Das aufschlagende Feuer, das die Hütte des Armen verzehrte, war ihnen, wenn es durch die Nacht hin leuchtete, ein Freudenzeichen; der Verzweifelnde, wenn er ihnen begegnete, war ihnen ein Narr und Geck, an dem sie sich belustigten. Sie hatten oft den schwarzbraunen schönen Prinzen gesehn, sie liebten ihn alle, weil er so herrlich war, und alle wollten sich gegen ihre Natur, ihm gefällig beweisen. Bald kam ihm die eine als Zigeunerin entgegen, um ihm wahrzusagen, bald kam eine andere als Bettlerin; jene, die Wildeste dort, mit dem ruchlosen Auge, wollte ihm den kürzeren Fußpfad durchs Gebirge zeigen; – aber so sehr sie auch schmeichelten, so fein sie auch sangen, [] so tief sie sich beugten, so sehr in verwandelten Larven sie ihn anlächelten; er achtete ihrer nicht, und ihre Liebe verwandelte sich in bittere Galle und essigsauren Haß.
›Da braust er heran, auf seinem nachtdunkeln Roß‹, sagte jetzt Alrune, die mit der gelben Haut, den großen stechenden Augen und dem langen Rabenhaar. – ›Das Pferd ist auch schön,‹ sagte Geldrude, die falsche, deren einer langer Zahn weit über den blassen Lippen vorragte. – ›Wie es stampft! die Erde zittert bis hierher!‹ sprach Gudula, die bösartige, die die kleinen Kinder stahl und sie tot und krank aufgeschwollen den jammernden Müttern wieder in den Weg legte. – Alrune rief kreischend: ›Ich will uns alle an ihm rächen! Gebt acht, er soll den alten Vater, er soll die schöne Braut nicht wiedersehn!‹
Sie stellte sich, die Scheußliche, unsichtbar an den Weg. Da, an der Ecke des Waldes, wo kein Kruzifix, kein Bildnis der gottgesegneten Mutter in der Nähe war. – Da braust es heran, da klingt der Felsengrund, da weht der Mantel des schönen Reiters im Frühlingswind, und der Wald duftet, und die Vögel singen laut.
Sie streift, das schreckliche Gespenst, die Gewänder ab. Ein Scheusal zeigt sich den Geistern, denn das sterbliche Auge sieht sie nicht, aber die greulichen Schwestern der Unholdin freuen sich der entsetzlichen Schönheit ihrer Genossin. Wie ein brauner Zweig steht sie an der Waldecke, wie eine aufgerichtete dunkelgelbe Giftschlange, wie eine hoch aufgeschossene ekle Pflanze, vor der sich die Morgenluft scheu zurückbeugt und das Licht Tau niederweint, daß es den Graus beglänzen muß.
Holla! da sprengt der schöne Jüngling heran. Er singt ein fröhlich Lied; die dunklen Locken fliegen ihm spielend nach, und fächeln liebkosend seine braune Wange. Er denkt einen Liebesgesang und ruft: ›Wie schön ist die Natur! wie berauschend der Lenz! wie überglücklich ich!‹
Nun ist der Reitende dem Grausal nahe. Ihr Auge jubelt. Mit einem Sprunge ist sie hinter ihm, sitzt schrittlings; die braunen Schenkel leuchten von der Schwärze des Rappen abscheulich zurück, ihr schiefer großer Mund lacht, die weißen Zähne glänzen. Den dürren ausgereckten Arm, an dem die langen Nägel wie Klauen stehn, schlägt sie, um sich festzuhalten, dem Reiter um die Brust. Er weiß nicht, wie ihm geschieht, er sieht sie nicht sein Herz bebt, der Rappe schaudert. – Nun sprengen sie hin, das Pferd sperrt weit die Nüstern und schnaubt, daß die vorüberfliegende Wespe forteilt im Schreck.
[] ›Wohin, mein Rappe?‹ ruft der bestürzte Jüngling; ›du rennst aus der Bahn.‹ Das Pferd stemmt sich gegen den Zügel, es gehorcht nicht Sporn, nicht Ruf. Die Schwestern sehn es jauchzend, wie Roß und Reiter dahinstürzen, über hohe und niedere Felsgesteine und bemooste Felsenblöcke; der Reiter blickt sich scheu um, er will die unsichtbare Klammer von seiner Brust lösen, und vermag es nicht. Bein und Fuß schlägt die Wilde in die Weichen des Rosses, das immer toller, immer unbändiger rennt: ihr struppigtes, starres, greises Haar fliegt wie Borsten im Winde, man sieht das Grinsen des Antlitzes, das Zähneblöcken. – ›Welch böser Geist regiert mein Pferd!‹ schreit nun der Königssohn: ›was preßt mir so mit eisernen Klammern Brust und Herz, daß ich vor Schmerzen schreien möchte? – So steh denn in der Hölle Namen!‹ So reißt er mit Riesenkraft sein Pferd herum, der Rappe zittert in allen seinen Fibern wie Espenlaub, doch hinter dem Reiter schlägt die Gelbbraune die Beine schnalzend an die Weichen des Rosses, und nun stürzt es wie rasend zurück, der Hut entfällt dem Reiter, auch seine Haare flattern im Winde ihm nach, nun wüten Pferd und Jüngling heran, dem Zauberkreise, dem Giftbrunnen, das Roß bricht zerschmettert nieder, der sterbende Fürst wirft noch einen, den letzten Blick in den lichten, blauen Himmel hinein, und wahrnimmt die kleine Wolke, die, ihn beklagend, sanft vorüberschwimmt. –
Nun stehn sie, die Scheußlichen, mit gierig starren Blicken umher, und freuen sich ihrer Tat. Was kümmert es sie, daß der Vater sich härmt, und am gebrochenen Herzen stirbt, daß die Braut weint, und jeder schöne Jüngling ihr nur als Leiche erscheint? –
Und so jagt manchen ein unsichtbarer Dämon mit wilder Schadenfreude in seinen Untergang. Je schöner, je edler das verfolgte Wesen, je mehr Scheuel und Greuel sein niederträchtiger Feind, der ihn vernichtet, er weiß selber nicht warum.
Und das nennen sie nachher Schicksal, unvermeidliches Verhängnis, die kurzsichtigen Sterblichen. Oh, könnten ihnen doch die Augen aufgetan werden, damit sie es wahrnähmen, mit wem sie es zu tun haben.«
»Ei!« rief der alte Poet, »wie kommt ihr auf eine so trübselige Erfindung? Ist dies wohl ein Gegenstand, ihn in einer heiteren poetischen Akademie vorzutragen?«
Don Giuseppe schien anderer Meinung und lobte das Gedicht. »Es mag wohl«, sagte er, »nur zu sehr ein wahres und trübes [] Bild unseres Lebens sein. Außerdem aber habe ich es mir zur Pflicht gemacht, alles, was die Signora Peretti tut und sagt, zu bewundern.«
»So ist es recht«, rief Vittoria, jetzt wieder ganz aufgeheitert, »eine solche Verehrung, die durchaus keinen Tadel zulassen will, ist einzig und allein die richtige. Nicht wahr, an unserm Ariost oder Dante noch mäkeln, diese Stelle so, jene anders wünschen, das ist nur die Art schwacher Geister? Und so behandelt Ihr mich, Don Giuseppe, wie ein vollendetes Kunstwerk, und ich danke Euch dafür.«
Als man sich jetzt zu Malespina wandte, sagte dieser: »Ich muß, wie Don Giuseppe, um Entschuldigung bitten; ich darf mich in einer solchen Gegenwart wohl nicht für einen Poeten geben, und wenn ich auch diese Kühnheit hätte, so trage ich doch kein Blättchen mit Versen bei mir, und mein Gedächtnis ist mir nicht treu genug, etwas ungelesen rezitieren zu können. Wenn Ihr es aber nicht mit Unwillen aufnehmen mögt, so will ich Euch zur Abwechselung und Aufheiterung eine jener an sich unbedeutenden komischen Begebenheiten vortragen, die sich in Residenzen und an Höfen wohl oft ereignen. Nur muß ich bei den verehrten Damen im voraus um Entschuldigung bitten, wenn die Erzählung wie wohl die meisten komischen, hier und da, wenn auch nur ganz wenig, verletzend sein sollte.«
Caporale erwiderte: »Es läßt sich fast alles erzählen, wenn man nicht selbst eine unziemliche Lust am Unziemlichen empfindet.«
»Sehr wahr«, sagte die Mutter, »das möchte wohl die richtige Art bezeichnen, weshalb viele unserer Autoren von mir rein genannt werden, die bei andern in einem sehr übeln Rufe stehen Wer sich selber unsittlich aufreizt, um gemeine Lüsternheit in andern zu erregen, nur einen solchen sollte man unmoralisch nennen.«
»So bin ich denn dreist genug, den Spaß, der sich wirklich so zugetragen hat, zu beginnen«, sagte Malespina.
»In unserer Residenz lebt schon seit längerer Zeit ein komischer Mann, der unzählige Blößen gibt und sich fast immer lächerlich zeigt, dessen ohngeachtet aber eine gewisse Hochschätzung mit Recht in Anspruch nimmt: es ist dies der alte Conegiani, der Gesandte von Ferrara an unserm Hofe. Dieser Mann ist lang und hager, blaß, von eingefallenem Gesicht und tiefliegenden Augen, zuweilen, wenn er nachdenkend aussieht, wie ein Bild des Jammers; wenn er leicht und ausgelassen sein will, so reißt [] er im schmalen, dürren Gesicht den großen Mund so weit auf, daß man sich entsetzen möchte.
Dieses Bild des Schreckens also, oder diese klapperdürre Figur, welche die Natur in bizarrer Laune scheint hervorgebracht zu haben, weiß aber von seiner Lächerlichkeit nichts; so verblendet ist er und so von sich selbst eingenommen, daß er sich für schön hält, für anmutig und geistreich; darum tanzt er gern noch auf den Festen, spielt den Zärtlichen, den Witzigen, und versagt keinen Spaß oder keine Ausgelassenheit, die die jungen, übermütigen Kavaliere ersinnen, und welche sie oft nur erdenken, um ihn hineinzuziehn, und sich an seiner Possierlichkeit zu ergötzen.
Sein vertrauter Freund ist ein junger reicher Edelmann aus Padua, der ein schönes, witziges Mädchen unterhält; und bei diesem speiset, ohne andere Gäste, der Gesandte fast jeden Abend.
Die größte Schwäche des Alten ist nun, daß er glaubt, jede Dame sei in ihn verliebt; so daß die Frauen ihn närren und necken, oft die Zärtlichen spielen, um ihn zum Gelächter zu machen, wie es sich von selbst versteht. Ganz öffentlich aber hat er sein fühlendes Herz vorzüglich der witzigen und schönen Donna Isabella gewidmet, die auch zum Schein seine Liebe erwidert, seine Zärtlichkeiten beantwortet und den Alten in so wunderliche Posituren versetzt, daß dieses öffentliche Verhältnis zu den Lustbarkeiten des Hofes gehört.«
»Wer ist diese Isabella?« fragte Don Giuseppe, der sehr aufmerksam der Erzählung zuhörte.
»Sie ist«, antwortete Malespina, »die Schwester unsers Großherzogs und die Gemahlin des Herzogs Bracciano, des berühmten Orsini Paul Giordano, der sich schon in verschiedenen Feldzügen ausgezeichnet hat, wie Ihr wissen werdet. Diese Dame ist vielleicht die schönste unsers Hofes; sehr viele erkennen ihr den Preis vor unserer berühmten Schönheit, der Bianca Capello. Alle Welt ist von ihrer Anmut bezaubert, von ihrer witzigen Unterhaltung hingerissen. Dabei ist sie in ihrem edlen Betragen so gutmütig, daß die Armen und Bürgerlichen sie verehren: ihre Gewandtheit und Lebensklugheit ist so groß, daß unsere kränkliche und ernste Großherzogin sie ebenso liebt, und ihr ebenso vertraulich ist, wie jene übermütige Bianca. Gewiß ein seltnes Beispiel da die regierende Fürstin gewiß nicht leichtsinnig über die Leidenschaft ihres Gemahls denkt, und ihre Nebenbuhlerin nur mit innigem Grauen neben sich dulden kann.
So gab es denn im letzten Karneval einen unendlich spaßhaften Auftritt am Hofe, im Saale der regierenden Fürsein. Es [] war ein trauriger Regentag, und die Fürstin, sonst ernst, fast melancholisch, schlug Tänze und Spiele vor, weil sie sich vorgenommen hatte, an diesem Tage recht heiter zu sein. So wurde denn getanzt, und in allen Wendungen, feierlichen wie lebhaften Tänzen, figurierte jener beschriebene Conegiani, und spielte seine zärtliche Rolle mit der Herzogin Isabella. Nachher ward gesungen, dann trieb man das Spiel, schwere Worte hintereinander schnell zu sagen, was die tollsten Redensarten, burleske unsinnige Silben hervorbrachte; wer aber fehlte, stotterte, oder falsche Worte sagte, erhielt von einer kleinen vergoldeten Kelle einen derben Schlag in der flachen Hand, so wie es wohl den kleinen Kindern in den Schulen geboten wird. Viel Schläge, und heftige, bekam unser Gesandter, denn die Dame, die das Strafamt verwaltete, spaßte mit ihm nicht, wenn er wegen Fehler gezüchtiget wurde, so daß seine Hand am Ende rot aufgelaufen war, und er mit den lächerlichsten Grimassen die schmerzende an seinen Kleidern rieb.
Jetzt schlugen die jungen Leute ein tolles Spiel vor, das Affenspiel, Mattacini genannt, in welchem einer der Herren hüpft, springt, Gebärden macht, und alle übrigen nachahmen und ebenso tun müssen. Bei dieser Tollheit sind die Damen natürlich nur Zuschauer. Man legt bei diesem Spaß die Mäntel ab und zeigt sich im Wams, ein nachlässiges Kostüm, in welchem schöne junge Männer, welche gut gewachsen sind, nur gewinnen können, in welcher Tracht aber das dürre, arme, fleischlose Skelett, an welchem man weder Waden, Schenkel noch Hüften wahrnehmen konnte, sich vollends erst wie ein aufrecht wandelnder Affe ausnahm. Dieses übermütige Spiel führte nun ein Vetter der Herzogin Isabella an, der Graf Troilo Orsini, ein großer schöner Mann, in voller Kraft der Jugend, und so mit Grazie begabt daß alle Weiber in ihn vernarrt sind. Dieser ersann nun die tollsten Sprünge, Stellungen und Gebärden, und wie einem reizenden Jünglinge, der seinen Körper in der Gewalt hat, und sich kennt, um zu wissen, was er sich erlauben darf, alles schön steht, und er auch das Komische und seltsam Abgeschmackte veredelt so erschien an unserm Gesandten selbst das Gewöhnliche verzerrt und widerwärtig, das Absurde aber abscheulich. Ihr könnt euch die Lust und Freude der übermütigen Jugend und der Weiber und Mädchen vorstellen; ich habe die edle Großherzogin noch niemals so lachen sehn. Wie wurde es aber erst, als der tolle Troilo anfing, seinen ihm Vorstehenden mit aufgehobenem Bein und Fuß einen Tritt in die Hüften zu geben. Wie ein kreisendes [] Rad ging diese Gebärde mit der größten Schnelligkeit durch die Versammlung: mancher Getretene fiel um, mancher Tretende war in Gefahr: am schlimmsten erging es dem armen Conegiani, dessen lange, dürre Figur sich zuweilen vom gewaltigen Tritt hintenüber bog, wie ein Bogen. Die Gesichter, die er dabei schnitt, lassen sich gar nicht beschreiben. Er versäumte es aber auch nicht, es nach Vermögen seinen Mitspielenden zu vergelten, so daß er, wie die übrigen, in Schweiß geriet, die Großherzogin sich aber von Lust und übermäßigem Gelächter so angegriffen fühlte, daß sie nach diesem Spiele den Saal verlassen mußte. – Nun kleidete man sich wieder an, und der Gesandte setzte sich freudetrunken nieder zu seiner angebeteten Donna Isabella, im Wahn, wie zauberreich er in diesen verschiedenen Windungen und Gebärdungen die Schönheit seines Körpers entfaltet habe. Sie drückte ihm die Hände, lobte seine Gewandheit und er war entzückt« –
»Doch der Gemahl der Isabella – trieb er auch diese geistreichen Spiele mit?« fragte Don Giuseppe.
»Ihr scheint es nicht zu wissen«, sagte der Fremde, »daß der Herzog Bracciano schon seit Jahren von Florenz abwesend ist; wenn er nicht im Kriege ficht, so lebt der schon bejahrte Mann hier und dort. Er hat, sagt man, seine Gemahlin nie geliebt, und sie ihn wohl ebensowenig. So sieht man auch fast niemals unsern Fürsten Francesco in den Zimmern seiner Gemahlin, wenn diese ihre Gesellschaften hat. Bei unsern Großen fällt dergleichen kaum mehr auf, wie Ihr es ja auch aus eigener Erfahrung wissen müßt. – Erlaubt aber, daß ich jetzt zu jener seltsamen Geschichte übergehe, zu welcher das Bisherige nur die Einleitung sein sollte, um den Helden derselben kennenzulernen.
Der junge Troilo unterhielt, der Wohnung des Gesandten gegenüber, ein schönes junges Mädchen, die auch mit der Geliebten des Paduaners, des Freundes unsers Conegiani, sehr vertraulich war, wie unter diesen jungen Wesen, die das ganze Leben von der leichtsinnigen Seite nehmen, diese Verbindungen sehr natürlich sind. Da der alte Gesandte das Kleinod des Troilo täglich aus seinen Fenstern, sich ziemlich nahe gegenüber sah, so ward er leichtsinnig, wie er ist, in dieses artige Wesen entbrannt, und es schien ihm um so merkwürdiger, daß sein Herz neben jener hohen, erhabnen Leidenschaft für die Herzogin, auch noch einer leichteren Empfindsamkeit fähig war, und er schadenfroh imstande sei, einem jungen Manne auf diese Weise Eintrag zu tun.
Da sein Liebäugeln, Kußwerfen und Grimassieren mit jedem Tage zunahm, so erzählte die mutwillige Kleine diese Neuigkeit [] ihrem Troilo. Dieser jubelte auf, als er seinen Conegiani wieder von dieser Seite kennenlernte. Er befahl der kleinen Lisa, sich gegen den Alten freundlich zu stellen, und ihm Hoffnung zu machen, als wenn sie sich ihm und seinem Liebreiz wohl nach einiger Zeit ergeben könne. Dem stets lustigen Paduaner wurde auch mitgeteilt, was sich ergeben solle, und dessen junge, leichtfertige Giannina mußte ebenfalls darum wissen, um das möglich zu machen, was der Graf Troilo entworfen hatte. Dieser nämlich erzählte seiner Muhme, der Herzogin Isabella, sogleich alles, und diese heitere Dame, die gern mit ihrem Vetter lachte, ging sogleich auf dessen Absicht ein, zum Teil auch wohl, um den Alten recht auffallend bloßzustellen, und auf diese Weise seine lästigen Bewerbungen abzuschütteln, da ihr jetzt wohl schon die Rolle der Zärtlichen, im Angesichte des ganzen Hofes, lästig fallen mochte.
Man beredete also die kleine Lisa, daß sie dem zärtlichen Gesandten durch ihre Freundin Giannina eine Nacht zusagen ließ, wie sie zum Abendessen mit dieser Freundin und dem Paduaner bei ihm sein und nachher bei ihm bleiben wolle. Alles ward dazu veranstaltet.
Nun war eben seit zwei Tagen eine junge, aber überaus häßliche Sklavin von Livorno angekommen, die, ich weiß nicht, zu welchen Diensten, im Palast gebraucht werden sollte. Sie schielte furchtbar, hatte einen widerwärtig großen Mund, und war von jener fast safrangelben Farbe, die durch Vermischung mit Europäern die Kinder erhalten, und so eine Race bilden, häßlicher, als die Schwarzen selber. Diese Widerwärtigkeiten abgerechnet, war sie übrigens kräftig und gut gebaut.
Als Mann verkleidet, um nicht aufzufallen und von den fremden Dienern erkannt zu werden, ging Donna Isabella mit Troilo nach dem Hause des Gesandten. Sie führten die häßliche Sklavin mit sich. Troilo, der im Hause sehr bekannt und durch seine Freigebigkeit auch beliebt war, merkte in den untern Gemächern, die zu den Ställen gehören, einen jungen Diener. Die Sklavin, die nur ihre barbarische Sprache zu reden wußte, hatte sich indessen schon auskleiden müssen. Der junge Mensch führte die drei Personen auf der kleinen Treppe zu den innern Zimmern, und von da in das Schlafgemach des Gesandten. Der Stallbediente verstand etwas von jener barbarischen Sprache, und mußte also der Wilden bedeuten, daß sie sich im Bette ganz ruhig halten müsse. Die Garstige bequemte sich gern, in ein so aufgeschmücktes, flaumweiches Bett zu steigen, in welchem sie [] durch Müdigkeit und gesunde Natur auch sogleich in den festesten Schlaf versank. Der Diener verließ sie, und Troilo und Isabella hörten jetzt aus dem benachbarten Saale Scherz, Lust und lautes Gelächter. Der Alte saß neben seiner geliebten Lisa, trank und jubelte; mit ihm war sein vertrauter Freund, der Paduaner, und dessen Giannina. – Indem der Alte Lisa einschenkte, rief er laut: ›Trink von diesem edlen Monte Pulciano! Wie oft hat mir Donna Isabella einen Becher dieser Traube kredenzt! Fühlst du denn auch wohl, Kleine, wie sehr ich dich erhebe, da ich vom Besitz einer solchen Gebieterin zu dir hinabsteige?‹
Der Schmaus war geendigt, und Giannina nahm den Alten beiseit und flüsterte ihm zu: ›Vergönnt, verehrter Freund, daß sich Lisa jetzt einsam dort auskleide, und, ihr Gefühl zu schonen, sie Euch im Finstern empfange.‹ Er bewilligte, befahl auch den Dienern, sich wegzubegeben, und harrte seines Glücks. Auch der Paduaner nahm Abschied, Lisa wartete auf der Treppe, und Giannina kam jetzt zurück, um mit ihrem Freunde auch das Haus zu verlassen. Nun begab sich der Gesandte im Finstern in sein Schlafgemach. Er stieg in sein Bett, nicht wenig erstaunt, daß seine Gefährtin nach so wenigen Minuten schon so fest eingeschlafen sei. Anfangs hielt er es für Schalkheit und Verstellung, aber ein allzu gesundes Schnarchen überzeugte ihn bald vom Gegenteil. Erstaunt schüttelte und rüttelte er die Eingeschlafene heftig, aber lange vergeblich. Endlich wurde sie munter, und erhob, da sie einen Mann neben sich merkte, der ihr, wie sie glauben mußte, Gewalt antun wollte, in ihrer barbarischen, unverständlichen Sprache ein mörderliches Geschrei. Da sprang der Gesandte mit Entsetzen vom Lager, schrie nach Licht und allen seinen Dienern, so sehr harte er die Fassung verloren. Das ganze Haus wurde wach. Als Licht gebracht wurde, sah man ihn zitternd dastehn, von seinem langen Schlafrock nur dürftig bekleidet. Ohne daß er die Sache begriff, ward die Sklavin von den Dienern fortgeführt, jener Vertraute gab ihr unten im Stall ihre Kleider wieder, und betäubt, fieberhaft zitternd setzte sich der Alte, alles Rates beraubt, in seinen Sessel. Wie ward ihm jetzt, als in der Einsamkeit zwei Figuren aus einer Nische auf ihn zutraten, und er in dem einen Mann seine hohe Gebieterin, Isabella, wiedererkannte! Er glaubte, das Haus müsse mit ihm versinken. – ›So lerne ich Euch kennen‹, redete ihn jetzt die mutwillige Donna an, ›Euch, der sich für meinen Herzgeliebten, für meinen unwandelbar treuen Schäfer ausgeben will? Seht! welches scharfe Auge die Eifersucht hat, die Euch schon seit Tagen [] unermüdlich beobachtete, und nun Eures Treubruches, Eurer Schändlichkeit innegeworden ist. Ich wollte es meinem Vetter Troilo nicht glauben, daß Ihr alter, boshafter, ungetreuer Mann einer solchen Unwürdigkeit fähig wäret. Er hat Euerm Leichtsinn, Euerm Wankelmut, Eurer Sucht, die Weiber zu verführen, niemals getraut, er hat mich immer vor Euch gewarnt. Aber, daß Ihr von mir, die Ihr anzubeten vorgebt, so tief herabsteigen, daß Eure verirrte Lust, Euer schwaches Gemüt zu einem solchen Scheusal sich herabwürdigen könne, das hätte ich keinem, auch dem zuverlässigsten Manne nicht, geglaubt, wenn es mein eignes Auge, zu meinem unendlichen Schmerze, nicht gesehn. Könnt Ihr wohl noch ein einziges Wort zu Eurer Entschuldigung hervorbringen? ‹
Der Alte wußte nicht, ob man ihn närre, ob die Rede Ernst sei, er sank in die Knie, und bat, in Demut und Wehmut aufgelöst, um Verzeihung. Er konnte immer noch seine Fassung nicht wiederfinden. Er mochte nicht sagen, und wagte es am wenigsten in der Gegenwart des Troilo, wen er eigentlich erwartet habe. Er flehte nur, als man sich trennte, seine Verirrung und sein Mißgeschick zu verschweigen. Dies wurde ihm zugesagt, und Donna Isabella war auch froh, als sie sich, von den Dienern des Hauses unerkannt, wieder im Freien befand. – Das Abenteuer des Gesandten blieb aber nicht verschwiegen, und er mußte Anspielungen auf seine Sklavin hören, von der man in seiner Gegenwart wie von einer fremden Schönheit sprach, die mit seltsamen Reizen ausgestattet sei. Isabella aber zog sich seitdem ganz von ihm zurück, und er durfte sich nicht darüber beklagen.« – –
»Diese possierliche Begebenheit«, bemerkte die Matrone, »wenn sie nicht sehr ausgeschmückt ist, belehrt uns wieder, wie es an Höfen und bei den Vornehmsten ganz anders hergeht, als wir Geringeren es uns denken können.«
»Es ist unbillig«, sagte Vittoria, »Menschen so zu kritisieren, als wenn sie etwa ein Buch wären, aber ich muß gestehen, daß ich diese Donna Isabella gar nicht begreife. Schön, verständig, witzig, unterrichtet – und doch die Zeit mit so nüchternen Späßen hinbringen zu können. Fühlt sie denn nicht, daß, indem sie den alten Gesandten dem Gelächter preisgibt, etwas, wenn noch so weniges, auf sie selber von dieser Geringschätzung zurückfällt? Die edlen Naturen müssen am meisten darüber wachen, wen sie zur Gesellschaft wählen; denn die zartesten, höchsten, leiden am meisten vom schlechten Umgange: der Mittelmäßige braucht [] nicht so ängstlich zu sein, denn in seiner Unbedeutendheit schützt ihn eine Waffe, die dem feinern Geiste mangelt.«
»Sehr wahr«, sagte Don Giuseppe, »der flache Mensch kann durch den Hochbegabten weder zur göttlichen Natur aufsteigen, noch durch den Nichtsnützigen zum Bösewicht verwandelt werden. Je feiner, zarter die Natur, so leichter ist sie der Verderbnis ausgesetzt.« –
Man trennte sich, denn es war spät geworden. Indem Don Giuseppe von den Damen, vorzüglich von Vittoria Abschied nahm, fühlten diese beiden wohl, in welcher Bewegung sie waren. Er zögerte, sah Mutter und Tochter mit bedeutenden Blicken an, und bat dann um die Erlaubnis, seine Besuche wiederholen zu dürfen. Sie wurde ihm gern zugestanden, denn beide Frauen konnten es sich nicht verhehlen, daß ihnen dieser fremde Mann sehr bedeutsam erschienen war, wenn sie auch nichts Bestimmteres von ihm wußten.
Caporale begleitete diesen noch; und als sie in die einsame Gegend des Coliseums gekommen waren, stand der Fremde einen Augenblick still, faßte die Hand des Dichters und sagte: »Wie sehr muß ich Euch danken, Vortrefflichster, daß Ihr mich in diese Familie eingeführt habt, und wie glücklich seid Ihr zu preisen daß Ihr sie schon seit Jahren, und als vertraute Freunde kennt. Um des Himmels willen, wie ist diese Vittoria an diesen Mann, oder an dieses Männchen geraten? Sie, die, wie ich meine, nur unter den Fürsten Italiens hätte wählen dürfen. Dazwischen muß eine höchst sonderbare Geschichte liegen. Steht er nicht neben ihr, wie ein gemaltes Püppchen, das nur da ist, um den Saal ausfüllen zu helfen? Kann die Mutter wirklich viel von der Verwandtschaft mit dem Montalto erwarten? Mag der Mann fromm und tüchtig sein, aber niemand achtet ihn; er wird niemals einen großen Einfluß erringen, dabei ist er alt und schwächlich.«
Caporale antwortete nur obenhin, weil er die Geschichte der Familie einem Fremden, den er nur noch so wenig kannte, nicht preisgeben wollte.
»Die junge Frau«, fuhr Don Giuseppe fort, indem sie weitergingen, »ist ein wahres Wunder zu nennen. Mir ist noch niemals in der Schönheit die wahre Hoheit und Majestät des Weibes so erschienen. Wie sie spricht! Welcher Ton! Und welch ein Labsal ist es, sie nur anzublicken! Diese purpurdunkeln Haare, die rabenschwarzen Brauen, unter diesen, wie Goldstrahlen, die langen gebogenen Augenwimpern! Kein Maler hat je in seiner [] schönsten Begeisterung so etwas ersonnen. Und habt Ihr wohl das liebliche Rätsel bemerkt – oder, wie soll ich es nennen? – daß in dem linken Augenlide fünf oder sechs dieser Goldfäden mangeln? Schlägt sie nun das Auge nieder, oder blickt sie gar auf und sieht Euch an, so ist, als wenn Amor plötzlich aus dem Goldsaum flöhe und unverhüllt sichtbar auf dieser entblößten zarten Stelle des Auges dastünde. – Nicht wahr? für einen Mann von Jahren schwärme ich noch so ganz leidlich? – Ich werde gewiß von dem erhabnen Wesen träumen.« –
Am andern Tage ging Caporale mit schwerem Herzen zu seinen Freunden. Die junge Frau traf er im Garten, der, sehr verschieden von dem ehemaligen Gärtchen, sich weit hinter der schönen Wohnung ausdehnte. Vittoria eilte auf ihn zu. – »Nun?« rief sie ihm entgegen.
»Ich begrüß Euch«, sagte der Poet.
»Ich dachte«, antwortete sie schmerzlich, »Ihr hättet mir etwas Neues zu hinterbringen, und etwas Gutes, oder wenigstens Wunderbares. – Ach! Freund! ich habe die ganze Nacht nicht schlafen können, und wenn ich auf Augenblicke einschlummerte, so standen die Bildnisse der alten Heroen vor meinen Augen. – So habe ich doch wirklich einen wahren, wirklichen Mann gesehen.«
»Im Traum also?« fragte Don Cesar.
»Wie Ihr sprecht!« rief sie lebhaft; »gar nicht, wie ein Poet, sondern wie ein Krämer, der alles mit der Elle ausmißt: Euern Don Giuseppe mein ich, oder wie er sich nennen mag. Ich freue mich, ihn wiederzusehn, von ihm zu hören und zu lernen, denn jedes Wort ist gewichtig, das von seinen Lippen fällt.«
»Ihr seid begeistert«, erwiderte der Freund sehr ernst; »wäre der Mann noch jung, aber er ist ohngefähr von meinem Alter so würde ich Wunder was von Euch denken.«
»Was Ihr wollt!« rief sie unwillig: »immer und ewig muß ich das alte, abgedroschene Märchen von Jugend und Alter wieder hören. Wer ist denn jung? Ist es denn etwa mein uraltes, längst gestorbenes Männchen, dieser Peretti, weil er blonde Haare und rote Wangen hat? Alle sprechen immerdar von der Unsterblichkeit, von der hohen Würde ihrer Seele, und geben dann doch dem Kleide, dem rohen Überzuge den Vorzug. Jugend! ist sie nicht eine Einwohnerin des Himmels und der seligen Gefilde? Läßt sie sich denn in trägen Gefühlen, in albernen Gedanken beherbergen? – Ich kann es jetzt ahnen, wenn auch noch nicht verstehn, was die Liebe zum Manne sein möchte. Und [] wenn mir diese Vision, die Gotterscheinung nahe tritt – wer hat ein Recht, sie zurückzuhalten? Wer ist es, der fordern darf, ich soll mich von dieser Weihe abwenden? Weshalb? Wem habe ich es versprochen, mir, oder ihm, oder Gott, daß ich diesen kleinen Francesco lieben will? Lieben! als hätte ich nur gewußt, was das Wort zu bedeuten habe.«
»Armes Kind!« sagte Caporale, »jetzt muß ich selbst fürchten, die Vermutung, die im Scherz neulich ausgesprochen wurde, sei eine richtige: daß ich Euch nämlich einen alten Banditen ins Haus gebracht habe. Denkt nur, ich spreche heut bei ihm vor – alles ist verschlossen – endlich, nach vielem Klopfen öffnet ein altes Mütterchen. Er sei schon vor Sonnenaufgang abgereist, kein Mensch wisse, wohin, keiner, ob, oder wenn er wiederkomme: das sei einmal so seine Art und Liebhaberei. Keine Seele könne auch von seiner Hantierung Rechenschaft geben, denn sooft er das Haus betreten, sei er so schweigsam, wie das Grab; auch dürfe man ihn nicht viel fragen. Kurz, er ist ein Rätsel. Und wohin? Warum? Da er Euch, wie er mir so lebhaft versicherte, heut abend wieder besuchen wollte? Da er von Euch, Euren Gaben, Eurer Schönheit, so entzückt ist? Da er ebenso schwärmerisch von Euch spricht, wie Ihr von ihm? Könnt Ihr Euch diese Seltsamkeit erklären?«
»Jetzt erst weiß ich«, sagte sie, »daß ich unglücklich bin, ich weiß es, bis dahin träumte ich es nur.« – Sie lehnte das Haupt auf die Schulter des Alten und weinte heftig – »Ihn nicht wiedersehen? Er sollte ein Verräter, ein Mörder sein? – Meinethalb. Und wenn er mir entschwunden ist, wenn er dem Hochgerichte angehört, wenn er ein Bettler ist, meine Seele ist auf ewig mit der seinigen verkettet. – Versteht Ihr mich, Alter? Ihr, der dieselben Jahre, ebenso viele Sommer hat kommen und schwinden sehn, wie er? – Ja, wenn Ihr nur auch vom Trank der Unsterblichkeit gekostet hättet! – Aber Ihr seid nur ein eingefleischter alter Mann, zähe und unwandelbar, aber dabei gut, wie ein Lamm. Ob Euch wohl jemals das Lieben angewandelt ist? – Ihr seid bei alledem ein komischer Patron.«
Sie warf die dunkeln Haare nach hinten, die ihr in das Gesicht gefallen waren, stieß ihn gelinde zurück und lief laut lachend nach einer fernen, dunkeln Laube, in welcher sie sich verbarg. Don Cesar stand wie betäubt, schüttelte das Haupt und sagte halb verdrießlich, indem er den Garten verließ: »Es ist eine unangenehme Sache, der Vertraute von Personen zu sein, die über der Linie der gewöhnlichen Menschen stehen.«
[]Don Giuseppe, der am Abend erfahren hatte, daß Malespina am folgenden Morgen wieder nach Florenz zurückreisen würde, hatte, da ihm ein plötzliches Geschäft zugekommen war, sich schnell entschlossen, mit diesem unterrichteten Manne die Reise gemeinschaftlich zu machen. Noch in der Nacht war die Abrede genommen worden, und sie waren schon früh, vor Anbruch des Tages außerhalb der Tore Roms.
Der gesprächige Malespina beantwortete gern, soweit er konnte oder durfte, alle Fragen des wißbegierigen Lombarden und sagte unter anderm: »Es ist gewiß und augenscheinlich, daß unsre Zeit so vieles an das Licht bringt und zur Wirklichkeit macht, was ganz die Gestalt hat, wie es jene Märchen liebende Poeten erzählen. Darum darf man sich auch nicht wundern, wenn vieles, das auf die Dauer bestehen sollte, sich ebenso schnell entwickelt und plötzlich beschließt, wie es unerwartet aufgetreten war. Wie arm und hülfsbedürftig kam diese jetzt allmächtige, kluge Bianca Capello mit dem jungen armseligen Gatten flüchtig von Venedig. Der junge Prinz Francesco sah sie; bald war sie seine Geliebte: so schlau und verständig ist dieses schöne Wesen, daß er jetzt nach dreizehn Jahren noch ebenso leidenschaftlich ihr ergeben ist, wie in den ersten Wochen. Wir alle sind überzeugt, daß, wenn etwa seine Gemahlin sterben sollte, er Bianca zur Großherzogin erheben würde. Als der vorige Mann der Bianca sich durch Übermut allen verhaßt gemacht hatte, ward er ermordet und niemand beklagte ihn. Überhaupt, so gern unser Fürst streng sein möchte, haben die Meuchelmorde in der Stadt wie in der Provinz außerordentlich zugenommen, denn es scheint den Mächtigen immer das kürzeste, den Gegner, der Verdruß und Verwicklung erregt, aus dem Wege zu räumen.«
Die beiden Männer konnten sich in ihrem Fuhrwerk so frei und ungestört unterhalten, weil Giuseppe keinen Diener bei sich hatte und der Florentiner seinen Wagen von einem halbtauben Menschen lenken ließ, der nur seine Pferde beachtete.
»In Eurer Erzählung gestern«, fing Don Giuseppe an, »ist mir manches unklar geblieben, und ich zweifle selbst, ob sich alles so habe zutragen können, und doch scheint Ihr sehr unterrichtet, ja Ihr waret bei jenen läppischen Spielen am Hofe wohl selber zugegen.«
»Gewiß«, erwiderte jener. »Aber, mein Freund, wenn Ihr niemals an Höfen gelebt habt, so wißt Ihr auch nicht, was [] Übersättigung und Langeweile alles erzeugen können. Wieviel Aufwand, übertriebene Pracht, Gold in Haufen weggeworfen, übermäßige Belohnung der Künstler und Gewerbe bei Hochzeiten – und daneben unwürdige Knickerei und Geiz. Die edelsten Geister unserer Zeit so oft in Tätigkeit, das Vollendete, Große hervorzubringen, wovon unsere Nachkommen noch mit Bewunderung sprechen können; – und unmittelbar darauf solche Spiele und Späße, welche ihr eben läppisch genannt habt. Der Großherzog sieht seine kränkelnde Gemahlin nur selten, er wünscht sich männliche Erben, damit sein Reich nicht an seine Brüder falle: der Kardinal Ferdinand ist ein vortrefflicher Mann, fein, gewandt und edel, aber der Großherzog betrachtet ihn natürlich mit Neid und Eifersucht. Der jüngste, Don Pietro, der viel in Spanien gelebt, und mit einer Spanierin aus dem Hause Toledo vermählt ist – was soll man von diesem sagen? diesem wilden ausschweifenden Mann, den Krankheiten ausgehöhlt haben, der in seiner Wut kaum einem Menschen gleicht – er wird gefürchtet und gehaßt, und setzt ebendadurch alles in Schrecken, er herrscht dadurch, daß er es gar kein Hehl hat, wie er keine Rücksichten kenne und sich alles für erlaubt halte.« –
»Da Ihr Euch so gerne mitteilt, Don Celio, so erlaubt mir noch einige Fragen, und löst mir einige Zweifel auf, die Eure Erzählung von jenem lächerlichen Gesandten aus Ferrara mir erregt hat«, sagte Don Giuseppe. »Jener Troilo von Orsini, den Ihr nanntet und als einen schönen jungen Herrn beschriebet, muß mit der Herzogin von Bracciano, jener Isabella, auf einem sehr vertrauten Fuße leben, ich möchte das Verhältnis verdächtig nennen, da er so ganz keine Rücksicht auf ihren Stand und Ruf zu nehmen scheint, daß er sie zu diesen nächtlichen Spaziergängen und Verkleidungen mißbrauchen darf.«
»Mein geehrter Herr«, sagte Celio, »Ihr nehmt diese Verhältnisse zu streng und feierlich. Wie die arme Großherzogin, die doch eigentlich in keiner wahren Ehe lebt, sich oft in Langeweile, Verdruß und Eifersucht verzehrt, und sich daher gern in zuweilen schlechten Späßen ergeht und erheitert, so ist es auch auf ähnliche Weise mit Donna Isabella beschaffen. Ihr Gemahl, der Herzog von Bracciano, ist ein tapfrer Herr, ein Mann in hundert Rücksichten ausgezeichnet, aber der Liebe mag er wohl nicht fähig sein. Seine Bravour hat sich früh im Dienst der Republik Venedig erwiesen, er ist schon etlichemal leidenschaftlicher Soldat gewesen, noch vor drei oder vier Jahren hat er sich im Kampf gegen den Türken vielen Ruhm erworben, und schon vor zwölf [] Jahren ging er von Venedig aus zur See: aber die arme Gemahlin hat ihn nur noch wenig gesehn.«
»Ihr kennt den Mann nicht persönlich?« fragte der Fremde.
»Nein«, antwortete Celio, »denn er hat sich schon seit Jahren nicht in Florenz gezeigt; aber alle, die von ihm sprechen, achten ihn hoch, wegen seiner männlichen Tugenden; aber sie fürchten ihn auch, denn er ist barsch und unerbittlich, wenn er erzürnt ist; selbst der Großherzog hat eine gewisse Scheu vor ihm. Nun geht er seiner Laune nach, lebt bald hier, bald dort, und hält in Rom ein prächtiges großes Haus, wo es ihm sein großes Einkommen erlaubt, die Kardinäle und andere Fürsten zu überglänzen. Dann ist er wieder auf Reisen, unterstützt die armen Anverwandten und bändigt diejenigen, die sich zu trotzig erweisen. Aber die arme Isabella! Er soll sie nur aus politischer Rücksicht geehlicht und niemals geliebt haben. Nun hat sich dieser leichtfertige Ton am Hofe eingeführt, der einem Fremden auffallen könnte, welcher aber nur sehr selten ärgerliche Geschichten oder Verhältnisse hervorruft. Und so steht Donna Isabella auch ganz rein und unbescholten da. Aber die Langeweile, das einsame Leben, ein unbefriedigtes Dasein führen sie dahin, vielleicht mit zu großem Ernst diese läppischen Späße zu verfolgen.«
»Hat sie Kinder?«
»Nur einen Sohn und eine Tochter, den Virginio, der noch unmündig ist, und den sie wie ihre Virginia liebt. Sie hat sich sehr jung, fast noch selbst als ein Kind verheiratet.«
»Wie ist es nur möglich«, begann der Fragende wieder, »da dieser Troilo doch immer ihren Verehrer und Liebhaber vorstellt, daß er den Mut hat, eine so hohe Dame mit seiner besoldeten Geliebten bekannt zu machen, daß er es wagt, sie zusammenzubringen: was muß Donna Isabella von ihm denken? Wie ihn ansehen, wenn sie ihn etwa lieben sollte? Und woher diese ganz unbegreifliche Vertraulichkeit, wenn ihr Verhältnis kein unerlaubtes ist? Seht, das ist ein Rätsel, welches ich mir gar nicht auflösen kann.«
»Weil Ihr die Höfe nicht kennt!« rief Celio lachend; »weil Ihr alle diese Stümpereien und Kleinigkeiten aus einem zu moralischen Gesichtspunkte anseht! Daß der junge Graf seine Liebschaft der Herzogin anvertraut, ist ja der sicherste Beweis, daß beide nur Scherz und Zeitvertreib suchen: denn außerdem würde sie doch wohl eifersüchtig sein und ihn nach einer solchen Eröffnung von sich entfernen. Wenn der regierende Herr, wie es bei uns der Fall ist, öffentlich in einem Verhältnisse lebt, das nicht [] ganz den Gesetzen gemäß ist, so ahmt die Umgebung ihn nach und übertreibe und überbietet jene Ungebundenheit. Darum ist er auch schon einigemal mit Zorn und Bestrafung hart, ja grausam dazwischengefahren. Jedoch, um ein Beispiel zu geben und abzuschrecken, vergeblich.«
»Und sich als Mann zu verkleiden!« fing Don Giuseppe wieder an: »so in finsterer Nacht mit dem jungen Manne allein auszuwandern! Im Stall mit einem Diener und einer Sklavin zu verweilen.«
»Überlegt doch nur«, sagte Celio halb unwillig, »daß es nur auf diese Art möglich war, den ganzen Spaß durchzuführen. Die Diener des Gesandten durften sie doch nicht als Donna Isabella erkennen: ein langer Mantel verhüllte sie ganz, sie gab sich nachher nur dem Gesandten zu erkennen, um diesen recht zu beschämen.«
»Nun meinethalb«, sagte Don Giuseppe: »was geht mich auch die ganze widerwärtige Geschichte an? Aber ein Verwandter der Dame dürfte es doch höchst anstößig finden, daß sie mit dem jungen Menschen, wenn er auch ihr weitläuftiger Vetter ist, auf der Straße und unten im Hause so lange im Finstern verweilt: dann wieder im Schlafgemach im Dunkeln, jener unzüchtigen Szene ganz nahe. Alles das setzt in der Dame einen Leichtsinn voraus, den meine Einbildung mit weiblicher Tugend durchaus nicht zu reimen weiß.«
»Hab ich je einen so schwerfälligen hartnäckigen Mann gesehn!« rief Celio aus: »gut, daß Ihr es nicht nötig habt, an Höfen zu leben. Ihr gemahnt mich fast wie der ehrbare Sperone, der sich in Rom hauptsächlich dadurch bei den Vornehmen verhaßt machte, daß er in jeder Gesellschaft in seinem selbsterfundenen langen Professorhabit erschien, der ihm so ehrwürdig auf die Füße reicht, und hinten nachschleppt, ein Talar, wie ihn weder ein Professor noch ein Philosoph jemals in Italien getragen hat; am wenigsten in vornehmer Gesellschaft. – Die Gemahlin des Prinzen Pietro, diese ist es, die ein öffentliches Ärgernis erregt. Sie nimmt gar keine Rücksicht, hoch und niedrig, alles ist ihr gleich willkommen: und dabei bemüht sie sich nicht einmal, ihre Schande und Ausschweifung den Augen der Welt zu entziehn. Freilich ist ihr Gemahl noch schlimmer und ruchloser, der mir dem allerniedrigsten Pöbel verkehrt, in den schmutzigsten Kneipen sich schimpfliche Krankheiten auflieset, aller Welt schuldig ist, weder Treue noch Glauben kennt, und ihr, der Verlornen mit einem gottlosen Beispiel vorangegangen ist. Über das ruchlose [] Leben der beiden ist selbst der Großherzog empört: nur hegt er, so stark und stolz er ist, doch vor dem Bruder eine gewisse Scheu: und sie verlacht in Leichtsinn und Frechheit jede Ermahnung. Man hat mir immer gesagt, daß wenn die züchtigen, eingezogenen Spanierinnen einmal den Zwang abgeworfen haben, sie viel wilder und unzüchtiger als unsre Landsmänninnen sein sollen. Der Fürst selbst hat den Bruder der Frau ermahnt, ihr Zaum und Gebiß anzulegen: es ist ihm selbst befohlen worden, an den Vater der Ausgelassenen zu schreiben, damit dieser von Neapel herüberkomme, um sie zu züchtigen, und das Ärgernis wenigstens zu mildern, wenn er es nicht ganz aufheben kann. Man ist nun gespannt, ob es zur Scheidung kommen oder ob man sie in ein Kloster verstoßen wird. Vielleicht, daß der Gemahl sie auch so tief verachtet, daß er sich um ihren Lebenslauf nicht mehr kümmert.« –
So, unter mancherlei Gesprächen verging den Reisenden die Zeit. Celio Malespina wußte vielerlei von Gelehrten sowohl, wie von Staatsmännern. Was er auf seinen Reisen gesehn und erlebt, hatte sich seinem Gedächtnis gut eingeprägt, und er wußte auch kleine, unbedeutende Begebenheiten gut vorzutragen, weil er ihnen eine frische, lebendige Färbung gab, so daß die Figuren und Sachen den Hörenden vor Augen standen.
Don Giuseppe war sehr abwechselnd in seinen Launen: bald heiter, bald wieder sehr ernst, ja finster. Wenn ihn Malespina befragte, antwortete er nur: einige Verlegenheit in seinem Kaufmannsgeschäft, das er dort in Mailand ordnen müsse, mache ihn nachdenklich, wenn er sich den Verdruß denke, der ihn dort erwartete.
Sie hielten sich unterwegs nirgend auf, weder in Bologna noch Siena. Oft, in der Zeit, wenn die Pferde der Ruhe bedurften, ging Don Giuseppe durch die Stadt, oder über Feld, seinen Reisegefährten nicht beachtend: ein andermal war er wieder sehr freundlich und ließ sich kostbaren Wein und herrliche Früchte nachtragen, die er selbst eingekauft hatte, und in Fröhlichkeit mit seinem redseligen Reisegefährten teilte.
Als sie in die Nähe von Florenz gekommen waren, verweilte Giuseppe in einem Borgo, der nur noch wenige Miglien von der großen Stadt enfernt lag. Er sagte zu Celio: »Hier, mein teurer Gesellschafter, muß ich mich von Euch trennen: liegt der Ort Eurer Bestimmung doch ganz nahe vor Euch, wo wir ja doch voneinander scheiden müßten. Ich werde hier noch im Gebirge einen alten Ohm besuchen, den ich, wenn ich ihn jetzt versäumte, [] vielleicht niemals wiedersehen würde.« – Jetzt erhob sich, indem sie freundlich Abschied nehmen wollten, ein Streit der Höflichkeit, denn der Mailänder wollte dem Florentiner die ausgelegten Reisekosten so reichlich vergüten, daß er sie dadurch wohl ganz allein bezahlte. Malespina weigerte sich, der Lombarde aber war so dringend, empfindlich, ja halb befehlerisch, daß Celio endlich nachgeben mußte. -»Ich bin reich«, sagte der Lombarde, »wenn mein Geschäft dort nicht ganz verunglückt, gewiß viel reicher als Ihr. Ich habe es wohl gemerkt, daß Ihr einigemal meinetwegen auf der Reise zögertet, daß Ihr hie und da, meiner Person zu gefallen, mehr aufgehen ließet, als wenn Ihr allein gewesen wäret, und so dürft Ihr meinetwegen keinen Schaden leiden, denn Ihr seid noch ein junger Hofmann, und Euer Glück noch keineswegs entschieden.«
»Alter Herr«, sagte Celio empfindlich, »ich habe Euch mehr als einmal daran erinnert, daß Ihr von Höfen nichts wißt. Es ist auch ganz natürlich; denn wenn der reiche Kaufmann auch einmal mit den Herrschaften in Berührung kommt, so kann er immer nur ihre ganz oberflächliche Außenseite gewahr werden, die doch immer nur eine Maske sein muß.«
»Ihr habt nicht unrecht«, erwiderte jener, »und doch möchte ich, als der ältere Mann, Euch, dem jüngern, noch zum Abschied einen Rat geben, der weit mehr wert ist, als jene unbedeutende Summe, über welche wir so unnötig gestritten haben.«
»Und der wäre?« –
»Sprecht, da Ihr ein Hofmann sein wollt, weniger, erzählt das was Ihr glaubt gesehn und erlebt zu haben, nicht andern, am wenigsten Fremden.«
»Alter Herr«, rief Celio verdrießlich, »ich sollte Euch für Euern gutmeinenden Rat danken, und doch weiß ich es nicht anzufangen. Ich bin der Sekretär der Chiffer bei meinem gnädigsten Herrn, und ich verdiente gehängt zu werden, wenn ich auch nur das allerkleinste Geheimnis, ja nur eine Nachricht, die mir beim Dechiffrieren früher als jedem andern zukommt, verraten, oder ausplaudern wollte; auch die gleichgültigste. Was ich Euch gesagt habe, und dort in Rom gesprochen, erzählen sich die Kinder auf den Gassen.«
»Wenn gleich«, erwiderte der Ältere: »man gäbe oft viel darum, auch ein gleichgültiges Wort wieder zurücknehmen zu können. Nur allzuleicht kommt man durch diese Redseligkeit in eine gewisse Abhängigkeit von Menschen, mit denen man lieber nichts zu tun haben möchte; mindestens erzeugt es mit [] Unbekannten oder Fremden eine gewisse Art von Vertraulichkeit, die uns auch drückend werden kann. Wen man als Redseligen kennt, dem kann der kluge Verleumder auch leicht etwas anheften, und von ihm das glaubwürdig machen, was er niemals gesprochen hat.«
So trennten sie sich, beide verstimmt.
Es war im Beginne des Julius, welcher in diesem Jahre mit ungewöhnlicher Hitze eintrat. In Italien ist es schon oft bemerkt worden, daß in diesen heißen Monaten die meisten Untaten und Verbrechen geschehn. Im Norden will man wahrgenommen haben, daß auch bei anhaltender übermäßiger Kälte das Gemüt des Menschen sich verhärtet, und der Grausamkeit zugänglicher ist, als bei milderem Wetter. – In dem schönen Florenz sah man in allen Häusern und Palästen die Vorkehrung, sich eine anmutige Frische und Kühlung zu verschaffen, viele der reichen Familien bezogen ihre höher liegenden Schlösser im Gebirge, und auch der Hof hatte schon beschlossen, einige der angenehmen Paläste auf dem Lande zu besuchen.
In seinem Palast war der Großherzog Francesco mit Arbeiten beschäftigt. Noch nicht weit in Jahren, fing er doch schon an, stark zu werden. Der Ausdruck seines Gesichtes war milde und freundlich, sein Auge verständig und leuchtend, er affektierte aber gern einen starren, abschreckenden Ernst, wie er in Spanien, wo er lange gelebt hatte, vom Könige und den Ersten des Reiches gesehn hatte, die er sich gern zum Muster nahm, wodurch er seinen italienischen Dienern und Untertanen oft unbequem wurde. Sein Sekretär Malespina stand vor ihm, mit dem er zufrieden schien, indem er wohlgefällig dessen Berichte aus Rom anhörte. Es war ihm nicht unwillkommen, alle die Kleinigkeiten zu erfahren, die ihm sein Geheimschreiber von seinem Bruder, dem Kardinal, mitteilen konnte. Mit Schadenfreude hörte er einige Anekdoten aus dessem Privatleben an, und von den kleinen Blößen, die sich doch auch im Eifer oder Nachlässigkeit der Mann gibt, der sich am meisten bewacht.
Ein Kammerherr trat ein und meldete den Herzog Orsini von Bracciano. Francesco erschrak sichtlich und sprach halblaut mit dem Ausdruck des tiefsten Verdrusses im Gesicht: »Bracciano? Wo kommt der ungestüme Mann her? Was will er in Florenz? [] Das ist ja so plötzlich und unvermutet, wie ein Donnerschlag aus heiterm Himmel.«
Er winkte dem Edelmann, dieser ging hinaus, die Flügeltüren wurden geöffnet, und in seinem glänzenden Kleide trat der große starke Fürst mit königlichem Anstande herein. Mit einem von Freude strahlenden Gesicht ging ihm Francesco bis zur Tür entgegen und umarmte ihn herzlich. Der Sekretär aber riß groß die Augen auf und glaubte, der Palast müsse mit ihm versinken, denn dieser eintretende Herzog Bracciano war niemand anders, als jener Don Giuseppe, sein Reisegefährte von Rom her. Indem der Großherzog den Fürsten Bracciano zum Lehnsessel führte entfernte sich Malespina blaß und bestürzt, ohne daß Paul Giordano die mindeste Kenntnis von ihm nahm, als wenn er ihn schon gesehen hätte. Der Sekretär begriff, daß es klüger sei, von jenem Abend zu Rom und der Reise hierher mit diesem vornehmen Begleiter zu keinem Menschen ein Wort verlauten zu lassen.
Nach kurzer Zeit trat auch der jüngste Bruder des Herzogs, Don Pietro, der wilde, herein. Blaß und abgezehrt, wie er war, so ein irres Feuer auch aus seinem unstät rollenden Auge blitzte, so erkannte man doch die edle Grundgestalt der Medicäer in seinem Angesicht. Er war heftig aufgeregt, und sprach von der Schande seines Hauses, er schalt auf die Familie, daß weder Vater noch Bruder sich herbeibemühen wollten, ein Weib, das so öffentliches Ärgernis gebe, zu bestrafen. »Und was soll nun geschehn?« rief er mit zorniger Gebärde. »Denn ich dulde diesen Schandfleck unseres Hauses nicht länger.«
Bracciano sprach von Scheidung, und die Verirrte in ein einsames Kloster zu verbannen. »Um noch mehr Aufsehn zu erregen?« fragte der Prinz, indem er mit dem Fuß heftig auf den Boden stampfte. »Eins ist kürzer und sicherer, ohne Gerichte und Priester zu bemühen.«
»Was sinnst du?« fragte der Herzog.
»Hast du so lange in Spanien gelebt«, antwortete jener, »und kannst noch zweifeln? Nur bei der Wahrscheinlichkeit, nicht einmal beim Beweise, daß der Mann vom Weibe beschimpft sei, zeigte sich dort der stets fertige Dolch.«
»Mein Prinz«, sagte Bracciano, »überlegt kühl und ruhig bevor Ihr zum Äußersten schreitet. Diese Eleonora ist schön und klug, Ihr habt sie vormals geliebt, erspart Euch, ihr und der Welt das Traurige. Gebt der Verleumdung und der Tadelsucht nicht von neuem Gelegenheit, Euer erlauchtes Haus [] zu verunglimpfen, in welchem das Schicksal schon so oft mit blutigem Finger die glänzenden Blätter seiner Geschichte bezeichnet hat.«
Als der Großherzog in demselben Sinne sprach und Mäßigung anriet, rief Don Pietro im höchsten Unwillen: »Was kann der ältere Bracciano von dem wissen und fühlen, was in meinem jugendlichen Herzen tobt? Sei er doch mäßig, gelinde und phlegmatisch: unsre witzige, übermütige Schwester wird sich so mehr ihres häuslichen Glückes, oder ihrer Ungebundenheit erfreuen können. Ihr, Herr Herzog, seid jahrelang abwesend, Ihr seid im Grunde von Eurer Frau geschieden, Ihr denkt und handelt wie ein Italiener, Ihr seid auf jenem Ehrenpunkte nicht so empfindlich: auch gibt Euch die Schwester keine Veranlassung zur Wut und Rache. Und mein fürstlicher Bruder! Er weiß sich doch auch immer auf eine kurze Art Ruhe zu schaffen, wenn ihm jemand im Wege steht. So wenig Ihr, mein gebietender Herr und Bruder, Euch auch um Eure Gemahlin kümmert, so würdet Ihr doch gewiß, wenn ihre Schande so offenbar wäre, dieselbe Bahn betreten, die ich im Sinne habe. Und das ist auch das größte Vorrecht unsers Standes, daß wir nicht, wie die kümmerlichen Menschen dunkler Geschlechter nach Form und Recht zu fragen brauchen. Lassen wir uns mit diesen ein, so wird der geborne Fürst immer in Nachteil geraten; denn die kleine bürgerliche Schadenfreude und der Neid zwacken an seinem klaren Recht dann so hin und her, daß er auch das Notwendigste endlich nur mit Verdruß und Demütigung erlangt.«
Der Großherzog schien durch sein Stillschweigen diese Aussprüche zu billigen. Das Gespräch nahm eine andere Wendung und Don Pietro entfernte sich. Der Großherzog sah ihm sinnend nach und schien innerlich zu erwägen, wieviel Gewalttätiges sich schon im Hause der Medicäer ereignet habe, wieviel er selbst veranlaßt und wieviel Tragisches noch im Schoß der Zukunft schlummern möge.
Bracciano beurlaubte sich, indem er sagte: daß es seine Absicht sei, einmal auf seinen Jagdschlössern hier sich zu ergötzen, sich mit der liebenswürdigen Gattin, die er zu sehr vernachlässiget habe, völlig auszusöhnen, sich der Erziehung seines Sohnes zu widmen, und durchaus den Hausvater zu spielen: einen Zustand und Charakter, den er in seinem bewegten Leben fast noch gar nicht habe kennen lernen. Der Großherzog lächelte freundlich aber zweideutig, als wenn er alle diese Reden in einem andern Sinne verstände. Bracciano entfernte sich, um in seinem Palaste [] die nötigen Befehle zu geben, weil er auf seinem Schloß im Gebirge eine große Jagdlust veranstalten wollte.
Don Pietro reisete auch mit seiner Gemahlin und wenigem Gefolge ab. Donna Isabella empfing ihren Gemahl Bracciano mit einiger Verlegenheit, da sie ihn seit Jahren nicht gesehn hatte. Sie verwunderte sich noch mehr über seine freundliche Vertraulichkeit, die sie auch in früheren, besseren Zeiten an ihm vermißt hatte. »Ja«, sagte er, »ich will einmal diesen Sommer ganz mir und meinem Genius leben; mein schönes Jagdrevier in Cerreto habe ich seit zu lange vernachlässigt, auch du siehst dich gern zu Pferde im frischen kühlen Walde und scheust dich, wahre Heldin, nicht vor dem wilden Eber. Diese schönen Tage sollen uns ungestört von lästiger Gesellschaft dahinfließen: nur wenige Freunde werden uns besuchen und nur Jagdgenossen. Ich begreife selbst nicht, warum ich meine Schlösser hier nicht schon mehr ausgebaut, und bequemer eingerichtet habe: geht mir doch mein Schwager, der Großherzog, mit so trefflichem Beispiel voran. Er kann auch freilich bequemer die großen Summen in seinem Pratolino aufwenden, als ich es vermöchte.«
Die Herzogin Isabella befand sich wie in einer neuen Welt Auf diese Rückkehr ihres Gemahls hatte sie niemals rechnen können: ihre ganze Lebensweise mußte durch dieses unerwartete Ereignis eine andere Einrichtung gewinnen. Sie glaubte den Gemahl und seine Eigenheiten zu kennen, und doch erschien er ihr jetzt in einem ganz neuen Lichte, als wenn sie gewissermaßen jetzt zuerst seine Bekanntschaft machte. Sie ward ängstlich, und wollte sich doch ihre Angst, als eine grundlose, ableugnen.
So begab sie sich in den Palast, um von dem Großherzog ihrem Bruder Abschied zu nehmen. Sie fand ihn allein in seinem Arbeitszimmer. Er war still und nachdenkend. Die schöne Frau die fast größer war, als der Bruder, umarmte diesen mit Herzlichkeit und empfahl sich seinem Wohlwollen und Schutze. Er antwortete nur wenig, und sie zögerte noch zu gehen, und wußte selbst nicht, weshalb sie zauderte. »Du siehst krank, mein geliebter Bruder«, sagte sie endlich, »blaß und ermüdet.« -»Ich wollte von dir das nämliche bemerken«, antwortete er, »du scheinst aufgeregt und eine fieberhafte Röte brennt auf deinen Wangen.«
»Werden wir uns fröhlich und gesund wiedersehn?« fragte sie fast weinend im Ton. Sie erschrak vor dem stechenden Blick den sie aus seinem Auge empfing, doch verschwand dieser scharfe Glanz plötzlich und wich einer sanften Zärtlichkeit in seinem Auge, indem er ihr die Hand drückte und sie zur Tür geleitete.
[] Sowie sie über die Schwelle schreiten wollte, umarmte sie der Bruder noch einmal mit ungewöhnlicher Heftigkeit, er drückte sie lange an sich, indem er zitterte und entließ sie dann mit dem Ausdruck tiefster Wehmut. Außerhalb dem Vorhang der Tür, dünkte es ihr, als höre sie den starken, kalten und verschlossenen Bruder weinen, und sie wollte schon wieder umkehren, aber die Kammerherren und Hofdamen, die sie feierlich umringten, um sie nach den entfernten Gemächern der Großherzogin zu führen, verhinderten sie daran.
Sie traf die kränkelnde Fürstin blaß und erschöpft auf ihrem Ruhebette liegen. »Ich habe schon erfahren«, sagte diese, »wie glücklich du bist, daß du dich mit deinem Gemahl wieder versöhnt hast, du Beneidenswerte. Nur mich verfolgt das Elend in allen Gestalten, und es ist sehr wahrscheinlich, daß ich euch bald verlasse: bin ich doch auch mir und allen Menschen nur zur Last.«
In der Bewegung, in welcher die Herzogin sich befand, küßte sie feurig die Hände der kranken Fürstin. »Du bist gut, geliebte Schwester«, sagte diese; »so wild und leichtsinnig du auch manchmal sein kannst, du liebst mich, ich habe es immer gefühlt, wenn du auch mit jener da, die ich nicht nennen mag, auf einem zu vertrauten Fuße lebst – wohl deinem Bruder zu gefallen mehr, als weil du sie wahrhaft achten könntest. – Verscherze nun nicht wieder die Liebe und Achtung deines Gemahls; er hat große Eigenschaften, er ist großmütig bis zur Verschwendung, tapfer, ein Edelmann und Fürst in jeder Ader, dabei nicht jähzornig und rachsüchtig, wie es so viele der Unsrigen hier sind.«
Von der Fürstin begab sich Isabella zu Bianca. Sie traf sie in ihrem Ankleidezimmer, beschäftigt, Putz, Kleider und Schmuck zum heutigen Feste auszuwählen. »O Törin!« rief ihr Bianca entgegen, »daß du jetzt schon reisest, und nicht das heutige Fest noch abwarten willst. Sieh mich einmal an, ich habe heut zum erstenmal die neue Schminke versucht, die mir der Doktor empfohlen hat: sie ist etwas zu rot, hebt aber dadurch freilich das Feuer der Augen noch mehr hervor. Mein kleiner Francesco ist entzückt von dieser Erfindung. Nicht wahr, er fängt an, recht dick zu werden? Aber es kleidet ihn nicht übel; doch ein anderer Mann, wie der Kardinal Ferdinand, der kalte, abgemessene Mensch, der lauersame. Denke! – unser, oder dein Troilos ist verschwunden; er soll wo draußen auf dem Lande krank liegen aber kein Mensch kann sagen, wo. Ich hatte schon so sicher auf ihn gerechnet, daß er mit seinen Späßen unser heutiges Fest beleben[] sollte. – Hüte du dich nur etwas vor deinem Bracciano: er war hier bei mir und er gefällt mir gar nicht. Er hat sich in den Jahren, daß ich ihn nicht gesehen habe, recht verändert. So herrisch, gebietend, sich so breit machend: und in seinem hoffärtigen Auge so eine Art Verachtung, selbst gegen mich, als wenn er Kaiser wäre und ihm die Welt gehörte. Diese tückischen, bösartigen Männer, die sich selber alles erlauben, und uns armen Weibern dann die kleinsten Schwächen vorrücken wollen! Hast du gehört, wie Pietro, der ungezogene Mensch, gegen seine Frau gewütet hat? Es ist wahr, sie ist etwas zu weit gegangen, die Tolldreiste, und wir alle haben ja auch deswegen jeden Umgang mit ihr abbrechen müssen; aber wer ist er denn, der ausschweifendste aller Menschen? darf er die Tugend predigen wollen?«
So ergoß sich das herzlose Geschwätz noch eine Weile, dann nahm sie mit gleichgültiger Freundlichkeit von Isabellen Abschied und sagte beim Scheiden: »Ich weiß es, liebe Herzogin, du bist immer meine wahre Freundin gewesen; du hast mir auch immer das Wort geredet, wo es die Gelegenheit gab, oder es notwendig war; das werde ich dir niemals vergessen, und es findet sich gewiß eine Zeit und Veranlassung, wo ich dir vergelten und dir auch hülfreich sein kann.« – Sie hüpfte fort, weil eine Schneiderin sie im nächsten Zimmer erwartete.
Isabella konnte die verschiedenen Betrachtungen nicht loswerden, die sich ihr wider Willen aufdrängten. Wodurch übte diese Capello, die ihr heute fast häßlich erschienen war, diese unbeschreibliche Gewalt, diese alles vermögende, über den Bruder aus? Der Großherzog war klug, nicht so fest, wie Cosimo, sein Vater, aber in seinen Angelegenheiten ein starker, unbeugsamer Mann; er war unterrichtet, fein, stolz, er hielt auf seine Würde, und suchte seinen Hof prächtig und bewundert zu machen. Es überschlich sie der peinigende Argwohn, daß sie doch auch in mancher Hinsicht dieser Bianca ähnlich sein möchte und daß der stolze, durchaus männliche Bracciano sie dann nicht ganz ohne Grund habe verachten dürfen.
Sie reiseten ab. Der Herzog nahm nur seine Jäger und vertrauten Diener mit; sie einige Kammerfrauen und die alte Amme des Hauses, denn man wollte draußen im Waldschlosse recht einsam und behaglich leben. Es war die Laune des Herzogs, daß er zuzeiten alle Etikette und die Zeichen seines Standes von sich entfernte, und dann wieder plötzlich die glänzendste Pracht entfaltete. So wenig konnte er den Zwang der Regel dulden, daß [] alles dies oft ohne alle Vorbereitung geschah, was die Umgebung wie die Dienerschaft zuweilen in die größte Verlegenheit versetzte.
Wie mit Feierlichkeit empfingen sie in der Wildnis das einsame Schloß und die Diener und Beamten, die dort zur Aufsicht angestellt waren. Als sich Isabella in ihren Zimmern befand, und aus ihren Fenstern die Aussicht auf den Wald und die grünen Hügel betrachtete, sagte sie zu sich: Was ist es nur, daß mir hier aus Bäumen, Wänden und Felsen diese Schauer rieselnd entgegenquellen? Ich war schon sonst hier, aber damals erfreute mich diese Einsamkeit, die jetzt quälend auf mich drückt.
Sie ritten in den Wald hinein, und der Herzog schien in dieser frischen Natur, die er schon als Knabe geliebt hatte, wie verjüngt. Er scherzte über den sichtbaren Mißmut seiner Gemahlin: ihn ergötzte der kühle Schatten, ihn erquickte das Blasen der Waldhörner, die er von seinem Jägermeister in gewissen Entfernungen hatte aufstellen lassen. »So phantasiert es sich lieblich«, sagte er: »alle wunderlichen Gestalten des Ariost und Bojardo begegnen uns hier; man sieht eine poetische Vorzeit durch die Dämmerung wandeln und geistig schwanken. Nicht wahr, hier müßte es einem Dichter recht wohnlich sein?«
Sie stiegen ab an einer anmutigen Stelle, wo ein kleiner Brunnen, den der Herzog im Walde erschaffen hatte, durch sein rieselndes Geschwätz zur Ruhe einlud. Man genoß hier nur Wein und Bracciano fuhr phantasierend fort: »Hier gemahnst du mich in deinem Jagdkleide, dem grünen Hut und deiner Schönheit, wie die Königin Ginevra, die etwa hier an diesem Zauberbrunnen nach ihrem Lancelot ausschaut. Es fehlen nur die Frühlingsvögel, um mit ihrem sehnsuchtsvollen Gesang das Poetische dieser schönen Stelle zu vollenden. – Nur du hast deinen dichterischen Mutwillen eingebüßt und ich muß hier allein phantasieren.«
»Du hast in Rom«, erwiderte sie, »oder wo es sein mag, deine Dichterschwingen entfalten lernen, denn früher habe ich dich in solchen Reden und Gleichnissen niemals vernommen.«
Bracciano wurde plötzlich sehr ernst und tiefsinnig; denn ein holdseliges, großes, glänzendes Bild stieg in seiner Imagination auf. Gegen diese Erscheinung war diese, die zu ihm sprach, nur eine geringe, unbedeutende – und jene, wie fern ihm! Von den Verhältnissen der Welt ihm entrissen. Er und die Herrliche angekettet an dürren Zwang, der in sich selbst weder Kraft, Notwendigkeit, noch fesselnde Gewalt zu haben schien. Das ist von jeher [] den starken Gemütern das traurigste, kläglichste Gefühl gewesen, sich diesen Zufälligkeiten fügen und sich demütig dem Einspruche resignieren zu müssen, den ihr Herz verachtet.
Plötzlich fuhr er auf, und sie ritten nach der Wohnung zurück. Als es finster geworden war, erhob sich ein Sturm und Gewitter. Der Wind brausete furchtbar durch die Waldung, die alten Stämme schüttelten sich und die brechenden Zweige krachten zum Erschrecken. Dann kam ein starker, sausender Regen, und ihm folgten Blitze und brüllende Donnerschläge. Man setzte sich zum Abendessen, die Herzogin zagend, der Mann frohen Mutes, denn ihn ergötzte stets bis zu lauter Freude dieser Aufruhr in der Natur.
Ein alter Kammerdiener, der aus Florenz kam, ließ sich noch am späten Abend melden. »Wer sendet dich? Was willst du?« rief ihm Bracciano entgegen.
»Vergebt, mein gnädiger Herr«, antwortete der Alte, »daß ich so naß und triefend vor Euch erscheine: es ist aber die Nachricht nach der Stadt gekommen, daß auf dem alten Schloß der Medicäer, dort in Cafaggiolo, die Dame Eleonora plötzlich verschieden ist.«
»Wie?« rief Isabella, und ward totenbleich.
»Woran ist sie, so jung noch, gestorben?« fragte Bracciano ganz ruhig.
»Am Herzklopfen«, sagte der alte Diener; »der Prinz Pietro ist selbst in größter Eile mit dieser Trauerbotschaft nach der Stadt geritten. Er selber ist aber gar nicht traurig, sondern wüst und wild wie immer. Deshalb wird auch schon allenthalben laut geschwatzt und vielerlei erzählt: und er selbst soll gar nicht einmal widersprechen, sondern gleichsam durch sein Stillschweigen alles zugeben: daß er sie nämlich im einsamen Zimmer mit eignen Händen erwürgt, oder erdrosselt habe, um sie wegen ihres schlechten Lebenswandels zu bestrafen. Es ist aber immer hart und grausam, eine solche Rache zu nehmen.«
»Gewiß«, sagte Bracciano, »ebenso unverzeihlich, als unnatürlich. Sie hat zwar aller Sitte Hohn gesprochen und den erhabnen Namen der Medicäer, sowie das Haus Toledo geschändet; aber der Prinz hat dennoch wie ein Ruchloser gehandelt. Freilich war es unverzeihlich, daß sie als Mann verkleidet in dunkler Nacht durch die Stadt lief, mit Jünglingen im vertrauten Verkehr war, sich zu Sklaven und Sklavinnen mit leichtsinniger Vertraulichkeit herab erniedrigte, maskiert in fremde Häuser ging, um unzüchtige Szenen zu belauschen und ihre Freude an ihnen [] zu haben; – alles dies war unverzeihlich: – aber ermorden! mit eignen Händen! – Dadurch hat der Prinz sich selbst auf Lebenszeit gebrandmarkt. Das ist die verruchte spanische Sitte jener blinden Eifersucht und verabscheuungswürdigen Rache, die in unserm Italien niemals einheimisch werden sollte.«
Er verabschiedete den Alten, und befahl ihm, sich umzukleiden, ein Abendessen zu genießen und sich zeitig niederzulegen, damit er nicht erkranke. Es geschah so. – Isabella saß wie vernichtet an dem Speisetische. Das Zimmer ward ihr zu enge, und doch zwang sie sich, zu genießen, was der Gemahl ihr mit scheinbarer Freundlichkeit vorlegte.
»Denkwürdige Begebenheiten!« sagte er nach einer Weile: »so watet die Leidenschaft und das heiße Blut immerdar in unsern großen Häusern. Wie einfach war die Lebensweise des alten Cosmus, jenes ehrwürdigen Vaters des Vaterlandes, wie rein und edel steht jener große Lorenzo Magnifico da! Aber nun mit dem Herzog Alexander brechen Untaten und Unglück herein. Diese Söhne des edeln zweiten Cosimo, die so rätselhaft in früher Jugend sterben: die Blutszenen, die schon jetzt, seit der kurzen Regierung deines Bruders vorgefallen sind. Von andern Familien jener Papst Alexander, und sein scheußlicher Sohn Cesar Borgia, noch manche Päpste, die Familie der Visconti und Sforza in Mailand, der Ferrarese, der den eignen Sohn hinrichten läßt – und alles wird erregt durch Liebe, Wollust, Eifersucht, Rachgier, Eigennutz und Herrschbegier!« –
Er ging im Saale auf und ab und sagte dann: »Keine größere Wonne, als nach so furchtbarem Gewitter im Finstern durch den erfrischten Wald zu schreiten: das war von Jugend auf meine Lust.«
Er nahm den Degen und die Jagdflinte und entfernte sich. Isabella saß in stummer Verzweiflung und rang die Hände. Dahin war also nun der schwärmende Leichtsinn des Lebens ausgeschlagen! Sie irrte durch die Zimmer: in den Vorstuben, vor den Türen, allenthalben ihr fast unbekannte Diener, mit strengen Angesichtern. Da kam die alte Amme und winkte ihr geheimnisvoll, so daß sie, entfernt von allen, sie in der Schlafkammer ganz allein sprechen könne. Als sie sich sicher wußten flüsterte die Amme: »Hier! nehmt das Blättchen! Der Alte sagte mir, wie er ankam, er hätte deswegen nur die traurige Botschaft übernommen, um Euch das Blättchen, wenn auch mit Lebensgefahr, abzuliefern. Er ist zwar reichlich belohnt – aber das Leben geht doch über alles.«
[] Isabella nahm zitternd das Papier. Sie kannte die Hand wohl; es enthielt nur: »Um Gottes willen! flieht! gleich! im Augenblick, da Ihr dies empfangt!«
»Wohin? Wie?« rief Isabella in Verzweiflung; »die Fenster zu hoch, der Wald unwegsam und mir unbekannt; kein Pferd, kein vertrauter Mann – wenn jener Alte vielleicht aus der Stadt –«
»Alles umsonst«, heulte die Amme, »ich bin schon an seiner Tür gewesen, sie haben ihn eingeschlossen. – Wohin man sieht, stehn die ernsten, verdrießlichen Wächter mit finstern Gesichtern; wir sind wie in einer Festung verriegelt.«
An alle Fenster ging die geängstigte Isabella, um einen möglichen Ausweg zu entdecken; aber alles war umsonst. Jetzt kehrte der Herzog zurück und die Amme verließ ihre Gebieterin. Er stellte Flinte und Degen wieder in die Ecke, zog die Handschuhe aus und sagte: »Es ist doch beinahe kalt geworden, man sollte sich mehr vor solchem schnellen Wechsel der Witterung in acht nehmen. Solltest du es glauben, der ehrliche Alte, der so unbesonnen und hastig herausritt, um uns jene Trauerkunde zu bringen, er hat sich so erhitzt, und nachher durch das Gewitter so erkältet, daß er jetzt schon in dem Zimmer unten tot liegt.«
Isabella stieß einen laut gellenden krampfhaften Schrei aus, indem ihr ganzer Körper zitterte. Von ohngefähr ging ihre vertrauteste Kammerfrau, die schöne junge Stella, an der Tür vorbei: diese kam, da sie diesen ungewöhnlichen furchtbaren Aufschrei vernahm, schnell herein. Sie sah, wie Bracciano um die leidende Gemahlin bemüht war; er hielt sie in den Armen und sagte: »Ist es die Reise, ist es die Furcht, welche ihr das Gewitter erregte? sie ist wie von einem Schlagflusse getroffen worden.«
Stella rieb ihr die Schläfe: die halb ohnmächtige Herzogin warf einen fast sterbenden Blick auf die befreundete Gestalt, drückte ihr die Hand und lispelte: »Bei mir bleiben!«
»Sie wird immer schwächer«, sagte Bracciano; »Ihr seht meine Angst, Stella. O schnell, schnell laßt Euch unten von meinem Oberjägermeister das Elixier, das heilsame, geben, das ich ihm anvertraute, im Fall mir im Walde auf der Jagd etwas zustieße: schnell!«
Es dünkte der Kammerfrau, als wenn die schwache Ohnmächtige sie festhalten und ihr etwas sagen wollte; aber sie vermochte es nicht und Bracciano rief wieder: »Ihr seht, wie meine Gemahlin leidet. – Eilt!«
Stella flog fort. – »Seht«, sagte der Herzog leise, »da fällt das [] Billet des Troilo aus Eurem Busen; warum habt Ihr es nicht gleich zerrissen?«
Jetzt kam Stella in fliegender Eile und herzklopfender Angst zurück. Wie sie aber eintreten wollte, fand sie die Tür von innen verriegelt. Sie klinkte und klopfte. Da war es ihr, als hörte sie ein Weinen, dann einen lauten Wortwechsel, ein Schluchzen – plötzlich war alles still. – Bracciano öffnete die Tür und sagte: »Wer hat sie verriegelt? Seht die Arme.«
Isabella war vom Sessel heruntergesunken. Stella kniete neben ihr nieder und legte das schöne Haupt in ihren Schoß: sie rieb Schläfe und Stirn mit der kräftigen Essenz: sie sah, wie die Sterbende am Halse und im Gesicht blaue Flecken hatte, wie die Augen aufgeschwollen herausstanden: ein brechender Blick schaute sie noch einmal mit ungewissem Lichte, dämmernd und aufflackernd an, dann lag Isabella tot in ihren Armen.
»Seht!« rief Bracciano klagend, »sie ist dahingeschieden, die Unglückselige, noch im Tode schön und reizend. Ja weint nur, arme Stella, Ihr habt eine liebe Herrin, eine großmütige, freundliche verloren. Und ich Verlaßner! so schnell sie einzubüßen, da ich sie eben erst wiedergewonnen hatte. Hierher kam ich, um in fröhlicher Häuslichkeit, in stillem Frieden den Sommer an der Seite des geliebtesten Wesens zu genießen – und nun kehre ich als trauernder Witwer zur Stadt zurück.«
Stella war außer sich, die andern Dienerinnen erschraken, als sie diese schreckliche Neuigkeit erfuhren. »Die Reise, das feuchte Schloß, das schreckliche Gewitter haben es ihr angetan; dies Grauen hat ihrem zarten Körper den Schlag zugezogen, und der Herzog ist untröstlich.« So sprachen sie untereinander.
Man kehrte zur Stadt zurück. Bracciano voran und die Leiche folgte ihm nach. Soeben war die Totenfeier für Eleonore Toledo beschlossen, und eine zweite wurde jetzt mit noch viel größerem Pomp für die junge, dahingeschiedene Schwester des Großherzogs veranstaltet. Der Bruder der Verstorbenen ging traulich Arm in Arm mit Bracciano, und beide schienen einander freundlich zu trösten: sie waren, das sahen alle Zuschauer, inniger vereint als je. Pietro war nicht zugegen.
Als sie aus der Kirche zurückkehrten, gewahrte Bracciano in der Menge den Geheimschreiber Malespina, und sagte halblaut im Vorbeigehn: »Nicht wahr, nun gibt es wieder recht viel zu erzählen?« – Diesen schauderte und er verließ das Gedränge, um in der Einsamkeit nachzudenken.
[]In Rom hatten sich, durch ihre Stellung gegen den herrschsüchtigen Farnese dazu veranlaßt, die beiden Kardinäle Montalto und Ferdinand der Medicäer immer enger aneinandergeschlossen. Es war fast schon entschieden, daß, im Fall ein Konklave eintreten würde, die Wahl gewiß nicht auf den Farnese fallen solle, und so vereinten sich, außer dem frommen Borromeo, heimlich oder öffentlich immer mehr Prälaten der Medicäischen Partei, weil der Hochmut des Farnese viele verletzt hatte und sie einsahen, daß alle in ihren Interessen beschädigt würden, wenn dieser hochfahrende Mann den päpstlichen Stuhl besteigen sollte.
Montalto und Ferdinand waren eben beisammen, weil der junge Kardinal dem alten wichtige Nachrichten mitteilen und um dessen Rat bitten wollte.
»Wie es in Florenz steht, verehrter Freund«, begann Fernando, »brauche ich Euch nicht zu schildern, denn Ihr kennt selbst das Elend und die Schande, in welche sich mein schwacher Bruder verwickelt hat. Diese Bianca, diese Abenteuerin, beherrscht ihn so unbedingt, daß Volk, Adel, alles leidet. Er ist von Natur edel und großgesinnt, er liebt Kunst und Wissenschaft, er verehrt die Religion, und dennoch gelingt es der elenden Buhlerin, in so vielen Stunden ihn sich selber abtrünnig zu machen. Ihre Ausschweifungen haben sie dahin gebracht, daß sie keine Kinder mehr gebären kann, und dennoch hat sie schon im vorigen Jahre meinem Bruder einen Sohn untergeschoben, das Kind armseliger, unbekannter Eltern. Francesco ist glücklich und glaubt der Betrügerin alles. Von verschiedenen Ammen waren schon seit Monaten einige schwangere Weiber bewacht und bestochen: sie, in verstellter Krankheit, wußte abwechselnd des Bruders Mitleid, Freude und Hoffnung zu erregen. Eine dieser Frauen kam mit einem Knaben nieder, und dieser wurde sogleich künstlich in den Palast geschafft, und dann als der Sprößling des Großherzogs vorgewiesen. Die Ammen, sowie diese gemeinen Mütter, sind nach und nach verschwunden, damit sie nicht irgendeinmal das Geheimnis ausplaudern könnten. Ihr kennt ja die abscheuliche Art und Weise, die sich, vorzüglich jetzt, in meinem Vaterlande eingeführt hat: der tote Mund ist schweigsam, und Meuchelmord ist ein fast öffentliches Gewerbe und eine rechtliche Hantierung geworden.«
»Furchtbar ist es in ganz Italien jetzt!« rief Montalto höchst [] erzürnt: »wem soll der Herr die Geißel in die Hand geben, diesen Greuel zu vertreiben?«
»Nun habe ich gestern«, fuhr der Medicäer fort, »einen Eilboten von Bologna erhalten, und zugleich die Schriften über ein merkwürdiges Verhör und einen Mordanfall, der dort im Gebirge, in der Nähe der Stadt sich zugetragen hat. Eine dieser Ammen, die die verschlagenste sein mag, und bei der Capello scheinbar in der größten Gunst stand, ist nämlich von Bianca mit ansehnlichen Geschenken und Belohnungen in ihr Vaterland entlassen worden. Oben im Berge wird der kleine Zug von scheinbaren Räubern angefallen, man läßt die Frau für tot liegen: alle entfliehen. Sie aber kommt wieder zu sich, wird nach der Stadt geführt und erklärt vor den Richtern, daß sie jene Räuber sehr gut als Florentiner erkannt habe, Schurken, die im Solde der Bianca stehen, und die sie, die Amme selbst, oft auf Befehl ihrer Herrin ausgesendet habe. Es kann nichts fruchten, diese Sache jetzt bekanntzumachen, aber für die Zukunft werde ich diese Zeugnisse aufbewahren, und die Frau, wenn sie genesen sollte, selber nach Rom hierherkommen lassen. Wohin wir blicken, Verrat und schlechte Künste. Und ist es nicht wunderbar und fast unbegreiflich, daß diese Weiber, nur allzuhäufig die schlechtesten, ohne Reiz, Schönheit und Verstand die größten, geistreichsten Männer, als wären diese blödsinnig und verrückt, an ihrem Gängelbande leiten, wohin sie nur wollen. – Und dann wieder – Euch ist das neueste Unglück unserer Familie bekannt.«
»Ja wohl«, sagte Montalto; »plötzlich ist Eure Schwester, so wie Eure Schwägerin gestorben.«
»Es befällt mich oft ein Grauen«, begann Ferdinand wieder, »wenn ich an die seltsam wechselnden und blutigen Szenen meiner Familie denke. Mein jüngster Bruder, ein Mann, immerdar in Zorn, Lust und Mordgier entbrannt, dabei schwach und kränklich, wie so oft diese Tyrannen, ist wie ein Bild aus alten Tagen, wie ein feuriges Meteor, das dräuend und schreckend vorüberfährt, und nachher nicht mehr gesehen wird. Mit Blut hat er das, was diese ruchlosen Männer ihre Schande nennen, rein gewaschen. Sie erlauben sich alles; und die Sitte der gottlosen Welt ist so, daß man dem Manne kaum verargt, was bei dem Weibe ein Todesverbrechen, auch von den ruchlosesten Sündern, genannt wird. Freilich war diese Leonore eine Schande der Welt. Indessen, auf wen fällt eigentlich die Schuld zurück, als auf meine Brüder? Der Regent löst ohne Scheu, ganz öffentlich, alle [] heiligen Bande der Ehe auf; Pietro versäumt die Frau, verachtet sie, bringt Buhlerinnen alles Gelichters in ihre Nähe, hat früher ihre Sinne aufgeregt, und verlangt nun, daß sie als Nonne leben soll, weil sie seinen Namen trägt. Und meine arme, unglückselige Isabella! Auch sie war vom ältern Manne ganz vergessen und verachtet; sie glaubte vielleicht, den Gemahl niemals wiederzusehn, sie hielt sich für geschieden, und der starke, hochfahrende Bracciano erscheint auf ein mal wieder, um auch sie wegen der verletzten Ehre zu bestrafen. Nach unsern Sitten und unsinnigen Begriffen des Ritterstandes und Adels hatte sie freilich den Tod verdient; denn ihr Verhältnis mit Troilo Orsini war offenkundig. Durch die Niedrigkeit der Bianca ward ihr Leichtsinn erregt und gestärkt, sogar in dem Maße, daß sie selbst des Troilo bezahlte Buhlerinnen kannte, und mit ihnen scherzte und lachte. Mein Bruder, der gewiß nicht an den natürlichen Tod der Schwester glauben kann, ist doch dem Bracciano befreundeter als jemals, und ich kann mich, wie alles steht und liegt, auch nicht von ihm zurückziehn, und muß an diese plötzliche Krankheit des Schlages vor den Augen der Welt glauben. Ihr Buhle Troilo ist auch schon nach Frankreich entflohen, wo er auf den Schutz der Königin rechnet. Der unerbittliche Bracciano hat ihm aber schon zwei seiner Banditen, reich belohnt, nachgesendet, die ihr Opfer in Paris gewiß nicht verfehlen werden.« –
In der Familie Accoromboni herrschte scheinbar Glück und Ruhe. Der furchtbare Orsini hatte sich nicht wieder gezeigt, so viel hatten über ihn die ernsten Drohungen des Gouverneurs Buoncompagno vermocht. Es ließ sich hoffen, daß Flaminio, der sehr unterrichtet war, bald eine Anstellung erhalten würde, da der Kardinal Montalto sie ihm verheißen hatte. Durch die Bemühung des alten Mannes hatte der älteste Sohn, Octavio wirklich schon den Rang und die Würde eines Bischofs erlangt. So sah denn die stolze Mutter viele ihrer Wünsche erfüllt, und sie hätte ungestört die Erhebung, die der Familie in ihrem Alter geworden war, mit Behaglichkeit genießen können, wenn nicht viel Bitteres sich diesem Kelche der Freude eingemischt hätte. Wie vielen Dank auch der neu bestellte Bischof seinem Oheim Montalto schuldig war, so unerkenntlich zeigte er sich, ja er machte kein Hehl daraus, wie tief er den würdigen und wohlwollenden Greis verachtete. Er schloß sich unverhohlen und mit übertriebenem Eifer der intrigierenden Partei des Kardinal Farnese an, weil er glaubte, durch diesen tätigen Feuergeist gar anders, als durch [] den saumseligen Montalto befördert zu werden. Darum erschien er auch nur selten bei seiner Schwester, und er suchte eine befriedigte Eitelkeit darin, dieser und noch mehr deren Gemahl Peretti mit unverhohlener Verachtung zu begegnen. Er zankte auch mit der Mutter wegen dieser Heirat, die er eine Erniedrigung der Familie nannte. Derselbe Ungestüm, welcher die meisten Glieder des Hauses bezeichnete, war bei diesem Manne ganz in Stolz und Hochmut verwandelt worden, und diese Leidenschaft regierte in seinem Gemüte so heftig, daß er kein Mittel scheute, um sie zu befriedigen. Deshalb war es der Mutter, wie der Schwester lieber, wenn er nicht erschien, als wenn er zankend und hofmeisternd sie einmal besuchte; es gingen auch Wochen hin, ohne daß sie ihn sahen.
Es konnte der verständigen Mutter auch unmöglich verborgen bleiben, daß diese Ehe, welche sie gestiftet hatte, diesen Namen nicht verdiene. Vittoria ertrug den Gatten nur so eben, sie übersah ihn zu sehr; seine Schwäche, die auch dem blödesten Auge auffiel, mußte sie verachten.
Der herbeste Kummer entstand aber über den ungestümen Marcello, der sich weder durch Liebe, noch Strenge bändigen ließ. Nur einmal war Montalto in den heftigsten Zorn, ja in Wut geraten, so daß Mutter und Tochter sich vor dem alten Priester entsetzten, als die Nachricht gekommen war, daß in Zank und gemeinen Händeln Marcello einen vornehmen Jüngling wiederum gefährlich verwundet habe, und aus Rom entflohen sei, um sich einer der vielen Banden anzuschließen, die im Lande, so wie außerhalb, von den Mächtigen unterhalten wurden. Bei der leisesten Vorbitte der Mutter, auch diesmal zu vermitteln, war er im blinden Zorneseifer aufgefahren: er verwünschte die gefühllose Niederträchtigkeit des Jünglings, und verbat ein für allemal, in seiner Gegenwart auch nur seinen Namen zu nennen. Auch für den jungen Camillo ließ er keine Vorbitte gelten, und wiederholte, wie sehr er es bereue, daß er den nichtswürdigen Marcello damals vom Galgen befreit habe, dort sei derlei Gelichter am besten versorgt, und seine Familie würde an ihm nur Gram und Schande erleben.
Graf Pepoli war aus Bologna wieder nach Rom gekommen. Er eilte, das Haus der Accoromboni, jetzt Peretti, wieder zu besuchen, weil für ihn diese Menschen zu den merkwürdigsten gehörten, die er jemals hatte kennen lernen. Vittoria war sehr erfreut, ihn wiederzusehn, denn, gedrückt von ihrer Lage, war ihr jeder gebildete Fremde eine trostreiche Erscheinung. Nach den [] ersten Begrüßungen sagte der Graf: »Ich muß Euch, Verehrte, ein Begebnis mitteilen, das mich wahrhaft erschreckt hat. Vor einigen Monaten ist der arme, bis zur Verwirrung geängstigte Tasso heimlich aus Ferrara entwichen. Niemand wußte dort am Hofe, wohin er sich gewendet haben könne; endlich erfuhr man, er sei fast wie ein elender Bettler bei seiner Schwester in Sorrent angekommen. Nun hat ihn seine Unruhe wieder nach Rom getrieben – soeben ist er angelangt – aber, Himmel! wie verwandelt! Wie sich so ganz unähnlich! Wie unkenntlich! – Wie würdevoll und ruhig erschien er uns damals: eine zarte, edle Wehmut durchzog und läuterte sein Wesen, er war sanft und bescheiden, und doch fühlte er seinen Wert – und jetzt – ich sah ihn bei seinem Beschützer Scipio Gonzaga – so ganz ohne Haltung und Würde, unruhig, hastig, hin und her fahrend und wie verwirrt, das Antlitz eingefallen und die Augen erloschen, eilig, stotternd, viel fragend, ohne die Antwort abzuwarten – ein Bildnis zum Erbarmen und zum Entsetzen. Dieser große, herrliche Mann, mit diesem sublimen Talent, der so sicher und fest in sich selber ruhen könnte, der andern wie sich eine Quelle namenlosen Glückes sein sollte – oh, wie seltsam ist doch das Gewebe unsers Lebens geflochten, daß nur zu oft das Schönste und Edelste uns bloß zu unserer Zerstörung gegeben wurde, und scheinbares Glück, das uns so freundlich entgegenschreitet, nur ein verhülltes Elend ist.«
Vittoria war tief erschüttert, indem sie jenes schönen Tages in Tivoli gedachte.
»Alle seine Freunde«, fuhr der Graf fort, »vorzüglich Gonzaga, beschwören ihn: auf keinen Fall wieder nach Ferrara zurückzugehen; der Fürst sei erzürnt, die Prinzessinnen ihm abgewendet, seine Neider und Feinde von mehr Einfluß als je. Aber ein böser Dämon scheint ihn mit kranker Hast und gespenstiger Unruhe dahin zurückzujagen. Er denkt und spricht nichts anderes. Um sich seinem Herrn ganz als ergebener Diener und bereuender Untertan zu zeigen, ist er auch bei Masetto, dem Agenten Alfonsos, abgestiegen, und behält dort seine Wohnung. Er ist ein untergegangenes schönes und edles Menschenbild.«
Es war natürlich, daß man in Rom in der Gesellschaft von den beiden plötzlichen Todesfällen der jungen Frauen Eleonore und Isabelle sprach, die sich so schnell hintereinander ereignet hatten. Nur wenige glaubten an Krankheit und natürlichen Tod. Donna Julia betrachtete die Tat der beiden Fürsten mit Grauen; [] »niemals«, beschloß sie, »habe ich diesen schroffen Herzog Bracciano gesehen, ich denke mir ihn aber entsetzlich. Der Mord schwacher, hülfloser Frauen hat in der Vorstellung noch etwas viel Gräßlicheres, als Grausamkeit und tödliche Verletzung, die sich Mann an Mann erlaubt.«
»Oft«, bemerkte Vittoria, »ist dergleichen auch keine Tat, sondern ein Schicksal, das sich aus den Umständen unabweislich wie von selbst entwickelt. Aus der naiven Erzählung des Fremden der so gar kein Arg von der Erbärmlichkeit seiner Novelle hatte, ging doch deutlich hervor, daß diese Donna Isabella ein sehr geringes Wesen sein mußte. Wenn ein so klägliches Leben untergeht, so kann man wohl Erbarmen damit tragen, aber es ist nur wenig daran verloren. Und der Mann – o ja, man kann, man darf ihn schelten; aber warum Grauen und Entsetzen vor ihm empfinden? Scheltet doch die hergebrachte Sitte unsers verwirrten Lebens, diese Ehre, wie es die Männer nennen, dieses schwarze Nebelgespenst, dem schon so viele Opfer gefallen sind. Und abgesehen von allem andern, muß man die Umstände, Verhältnisse, Zufälle, die obgewaltet haben, alles genau kennen, um ein eigentliches richtiges Urteil zu fällen. Ich mag den Fürsten nicht verteidigen, oder auch nur entschuldigen, weil er mir unbekannt ist; aber in einer Behauptung werde ich nicht unrecht haben, daß auch die stärkste Frau, wenn sie liebt, vor dem Manne in ihrer Zärtlichkeit eine gewisse Scheu und Furcht haben müsse, durch welche das Geheimnis der Liebe dann noch eine höhere Weihe erhält. Diese Furcht und Scheu ist ja nur die gesteigerte Achtung vor der wahren Männlichkeit, die die Frau verehren will: sosehr sich die Gatten auch verstehen mögen, so gibt es eine Grenze, wo sie sich, wenn auch nicht fremd, doch geheimnisreich bleiben müssen, und hier an dieser Grenze hält jene Scheu Wacht, die sich selbst in ein ahnendes Grauen, in einen süßen Schauer verwandeln kann. Auch der liebende Mann wird das Weib nie ganz verstehn. Eine Zartheit, eine Aufopferung, ein Hingeben über die Natur und Möglichkeit hinaus, wird ihm, sooft er es ahnen kann, auch ein Erschrecken einflößen.«
Der Mutter war diese Erörterung sehr unangenehm, denn jedes Wort war fast wie ein Spott auf die Ohnmacht Perettis. Jetzt stürzte der Kammerdiener fast zitternd herein und meldete, daß der Herzog von Bracciano seine Aufwartung zu machen wünsche. Selbst die Mutter, sosehr sie täglich die vornehmsten Besuche annahm, wurde etwas verlegen. Vittoria schrie auf, als Paul Giordano in seiner Trauer, mit der edeln, stolzen Gebärde [] eintrat, und der Mutter versagte vor Verwunderung das Wort, das sie eben aussprechen wollte.
»Ihr edeln Frauen«, sagte Bracciano mit seiner schönen, volltönenden Stimme, »müßt mich als einen alten Bekannten aufnehmen, wenn meine Bitte irgend etwas bei euch gilt. Dem unbekannten Don Giuseppe zeigtet ihr Vertrauen; warum soll ein anderer Name mich euch entfremden?«
»O Exzellenz«, rief Donna Julia, nachdem sie sich wieder gesammelt hatte, »warum uns damals und unsern Caporale so listig hintergehn? Ist es nicht Bosheit, daß Ihr Euch nun an unserer Verlegenheit ergötzen wollt?«
»Eure Tochter, verehrte Dame«, antwortete der Herzog, »scheint mir gar nicht verlegen. Übrigens legt Ihr mir eine Absicht unter, die meinem Wesen völlig unnatürlich sein würde. Ich lebte schon seit Wochen inkognito in Rom und der Umgegend, wie es denn meine Liebhaberei ist, mich zuweilen von allen Banden der Gesellschaft zu befreien, um mich selbst und die andern Menschen in ihrem wirklichen Wesen kennenzulernen. In meinem Hause hier glaubte man, ich sei wichtiger Geschäfte wegen in Neapel. Da lernte ich zufällig den wackern Don Cesar kennen, und wir sprachen viel von euch; da er mich nur unter der Maske, mit einem nichtssagenden Namen kannte, nahm der wackere Mann lange Anstand, den Rätselhaften bei euch einzuführen. Aber ich danke ihm um so mehr, denn die Erlaubnis, euch zu meinen Freunden zählen zu dürfen, wird zu den glücklichsten Begebenheiten meines Lebens gehören.«
Man ergoß sich in höflichen Erwiderungen, und Pepoli, der dem Herzoge schon seit Jahren bekannt war, führte hauptsächlich das Gespräch. Vittoria war stumm und saß fast wie im Traum; ihr Auge wurzelte auf dem Antlitze des Gastes, und sie verglich ihr damaliges Gefühl, als sie ihn hatte kennen lernen, mit dem jetzigen. Die beiden Stimmungen waren sich so ähnlich, und doch wieder so unähnlich; ihr war, als habe sie sich im jetzigen Augenblick völlig verloren, und doch blitzte sie in diesem Vernichtetsein ein so helles Bewußtsein der wahrsten Existenz an, daß dieses Grübeln ihr schon hohes Glück war.
Als die Besucher sich entfernt hatten, wollte man sich niederlegen, und zögerte nur noch, weil der junge Peretti ausblieb. Er hatte sich angewöhnt, oft aus den Gesellschaften, die er besuchte, und die nicht die besten waren, spät nach seinem Hause zu kommen, aber noch nie war er so lange ausgeblieben, als es heute[] geschah. Man war schon besorgt, man fragte die Dienerschaft, wo der junge Mann sein möge, als sich vor dem Hause ein lautes Getümmel erhob. Man öffnete die Türe, und fremde Menschen trugen den Jüngling herein, der schwer verwundet schien. Er hatte Streit gehabt, man hatte gefochten, und so war er verletzt nach seiner Wohnung gebracht worden.
Die Mutter seufzte, denn es schien ihr nun schon ausgemacht, daß sie dasjenige, was sie das wahre Glück des Lebens nannte niemals finden würde. Sie ging in ihr Schlafzimmer, fast grollend mit dem Schicksal. Wundärzte wurden gerufen, und Vittoria blieb die ganze Nacht bei dem Kranken, welcher, seinen Klagen nach, empfindliche Schmerzen litt.
Als es Tag geworden, erschien die Mutter wieder. Es hatte sich ein heftiges Wundfieber eingestellt, welches den Arzt, der jetzt von Montalto war gesendet worden, sehr besorgt machte. Endlich fand sich der Schlummer ein, und man konnte für den Kranken wieder Hoffnung schöpfen. Vittoria wich nicht vom Lager des Leidenden, sie schlief fast gar nicht, sie genoß wenig und alles für den jungen Mann besorgte sie, die Umschläge der Wunde, die oft auf der Schulter erneuert werden mußten, die Dekokte, die Tränke. Sie gab ihm ein, sie tröstete ihn auf seinem Lager, wenn er vor Schmerzen winselte, um ihm irgend Erleichterung zu verschaffen. Sie sah niemand, und erschien niemals im Besuchzimmer: Bracciano meldete sich wieder bei der Mutter aber Vittoria kam nicht zur Gesellschaft. Selbst Caporale, als er wieder in Rom war, ward seiner jungen Freundin nicht ansichtig, und die Mutter bewunderte stillschweigend diese strenge Tugend, die sie der Tochter niemals, ja vielleicht sich selber nicht in diesem hohen Grade zugetraut hatte.
So waren mehr als acht Tage verflossen. Der Kardinal, der mehrmals nach dem Zustand seines Neffen hatte fragen lassen erschien endlich selbst. – Man sah an seinem Antlitz, wie sehr er sich um den geliebten Neffen gehärmt, wie sehr ihn die Möglichkeit seines Todes geängstigt hatte.
Er erkundigte sich genau nach dem Befinden, er faßte selbst den Puls des jungen Mannes, er untersuchte seine Kräfte, und fühlte sich endlich getröstet, daß sich die Besserung so bestimmt angekündigt hatte, so daß man hoffen durfte, daß nach einigen Wochen auch die letzten Spuren, bei der Jugend des Kranken, verschwunden sein würden. »Wie bist du aber nur«, fragte dann der Alte, »in diesen unglückseligen Streit geraten?«
»Mein edler Ohm«, antwortete der Neffe, »das sind noch die [] Folgen meiner früheren Sünden; jene wilden Jugendgenossen, mit denen ich ehemals lebte, und in deren Gesellschaft mir Vittoria, an jenem Tage, als ich ihrer zum ersten Male ansichtig wurde, begegnete – diese verfolgen mich jetzt mit Vorwürfen, daß ich mich ihnen abgewendet habe, daß ich ihre Gesellschaft verschmähe. Derjenige, mit welchem ich damals am vertrautesten war, der reiche, junge Mensch, Cesar Valentini, hat mir schon lange mit empfindlichen Schmähungen zugesetzt. Ach, Verehrtester, man ist jung, man wird endlich auch empfindlich; so schalt ich zurück, daß sie mir zu roh wären, ihr Umgang mir jetzt pöbelhaft dünke, daß, wer bessere Gesellschaft kenne, sie wie die Pest fliehen müsse, und dergleichen mehr. Wir zogen, und ich ward überwältigt, weil mehrere über mich herfielen, ich aber keinen zu meinem Beistande hatte. Jetzt, höre ich, ist seit diesem Anfall dieser Valentini entflohn, weil er die Gerichte fürchtet, und noch mehr Euch, mein geliebter Oheim.«
»Mag er nur weit entrinnen«, sagte der Kardinal, »und sich hüten, die Stadt nicht wieder zu betreten! Danke dem Himmel, daß du der Gefahr und dem Tode entgangen bist.«
»Ja wohl hat er sich gnädig an mir erwiesen«, antwortete Peretti mit einem tiefen Seufzer: »aber auch ihr, meiner Gemahlin danke ich, zunächst der unmittelbaren Hülfe Gottes mein Leben, denn sie hat mehr an mir getan, als alle Ärzte, sie hat sich zur Magd erniedrigt mich zu pflegen, und sich Schlaf und Nahrung versagt, um immer bei mir zu sein.«
Er nahm ihre Hand und küßte sie mit dem Ausdruck der dankbarsten Rührung. Auch der Kardinal war, indem er Abschied nahm, freigebig in Lob und Dank, und Vittoria begnügte sich, dem ehrwürdigen Manne mit gewöhnlichen Reden zu antworten und sich seinem Gebet und Segen zu empfehlen.
»O anbetungswürdige Vittoria«, sagte jetzt der zerknirschte Peretti, als sie allein waren, »ich kann es dir nicht mit Worten aussprechen, wie sehr ich mich unter dir fühle, wie niedrig klein und gemein, du großes, erhabnes Wesen. Ja, ich weiß es, ich fühle es innigst, dir gegenüber bin ich nur schlecht, und armselig – aber der Himmel wird mir beistehn, daß ich besser, und deiner etwas würdiger werde.«
Er hielt inne und sah sie bietend an. Sie antwortete ihm mit einem strengen Blick und sagte dann: »Du erwartest, Francesco, daß ich, dem Herkommen und der Höflichkeit gemäß, dir widersprechen, und deine Selbstanklage mit beruhigender Freundlichkeit zurückweisen soll. Ich kann dies aber nicht und will es auch [] nicht, denn du bist jetzt wieder stark genug, um Wahrheit aus meinem Munde vernehmen zu können.«
Sie ging zur Tür, und Peretti erstaunte nicht wenig, wie er sah, daß sie diese verriegelte. »So können wir ungestört sein«, sagte sie hierauf, indem sie sich zu ihm setzte. –
»Ja, Francesco«, fing sie an, »du bist ein schwaches Wesen, und früh gingen deine Vorsätze unter, die du so sicher gefaßt hattest. Daß ich dir nicht mit Liebe ergeben war, du weißt es, ich brauche es dir nicht jetzt zu sagen. Schnell, in wenigen Tagen erlosch das, was du deine ewige Leidenschaft nanntest, ich ward dir gleichgültig, alltäglich. Dies sei kein Vorwurf, ich beklage mich nicht über deine Ohnmacht, ich hatte es so erwartet, und es war mir Trost und Beruhigung, daß dieser Zustand so früh eintrat. Warum also wollen wir nicht still und einverstanden ein Band lösen, das uns niemals hätte vereinigen sollen? Ich will dir Schwester sein, hülfreiche Gefährtin, Pflegerin in der Krankheit, aber niemals deine Gattin.«
Francesco war betreten, und wußte nicht, was er antworten sollte. »Um so mehr ist dies nötig, und mein fester, unwandelbarer Entschluß«, fuhr sie fort, »weil ich es recht gut weiß welche Gesellschaften du aufsuchst, wie du zu allen deinen früheren Sünden mit verstärktem Gelüste zurückgekehrt bist. Dein Oheim soll die Geschichte deiner Händel glauben, o ja, ich gönne dir gerne diese Genugtuung. Ich aber weiß es, daß du neben andern schlechten Weibsbildern jene verrufene Agnes besuchst, die dich deiner Geschenke wegen annimmt, daß dich dort dieser Valentini getroffen hat, daß diese Rauferei nur ihretwegen entstand. Geplündert, krank, mit verletztem guten Namen, verwundet kehrst du von diesem Gesindel zu mir zurück, und kannst, wenn dir ein Funke von Gefühl blieb, unmöglich erwarten, daß ich mich nicht gegen schändenden Mißbrauch zu gut dünken sollte. So wie du lebst und denkst, wäre diese Vertraulichkeit nur schmachvoller Ehebruch, die Entweihung alles Göttlichen in mir. – Ich werde zu niemand, auch zu meiner Mutter nicht sprechen, keiner braucht zu ahnen, welche Übereinkunft wir getroffen haben. Solltest du aber klagen, unzufrieden sein, so sei versichert, Peretti, daß ich mich sogleich in ein Kloster, oder zu den Tieren des Waldes flüchte, um deiner loszuwerden. Oder öffentlich aller Welt von dir erzählen, und lieber in der Barbarei als Sklavin dienen, als deine Gemahlin heißen.«
Francesco sah sie von der Seite an, drückte dann die Augen zu und murmelte etwas von Gehorsam des Weibes und ehelichen [] Pflichten, die allen auferlegt wären, und welche die Kirche geheiligt hätte.
Vittoria stand auf und sah ihn von oben herab mit einem tödlich verachtenden Blicke an. »Soll ich dich verlachen«, sagte sie dann, »oder dich mit Ekel hassen, wie ein widerwärtiges Gewürm? Darfst du ein solches Wort in unserm Verhältnis nennen und noch ein Mensch sein wollen? Das wäre also ein Sakrament, was ich abwechselnd mit der schmutzigsten Kreatur teilte? – Und wäre ich verworfen genug, in mehr als tierischem Leichtsinn so Leben und Gefühl zu vergeuden, so darf ich es um so weniger, seit ich erkannt habe, was die Liebe ist, was die Göttlichkeit im Manne zu bedeuten hat. Nun wäre es mir Wonne, zu sterben eher, als diesem Gefühl, dieser Weihe, die mein Herz durchströmt, auf so schmähliche Weise abzufallen. Wie danke ich jetzt mit Inbrunst dem Himmel, daß er es nicht zugelassen hat, daß ich nicht fürchten darf, ein Wesen von dir stammend, in die Welt zu setzen: das arme Gewürm würde mir aus unschuldigen Blicken nur meine Verworfenheit entgegenschreien und ich könnte es ermorden, um das Denkmal dieser Erniedrigung zu vertilgen.«
»Und dieser göttliche Mann?« fragte Francesco furchtsam.
»Ich sollte ihn dir wohl nennen«, antwortete sie, »daß du forschen möchtest mit deinem schwachen Sinne, ob er auch meine Anbetung verdient. Frage ich doch nicht nach deinen Katharinen, oder Euphemien, oder wie diese Wandelnden alle Namen führen, denen du dein Herz zuwendest.«
»Und ihm also«, fragte er wieder, »dem Ungenannten, willst du dich ganz ergeben?«
»Auch diese Frage ziemt dir nicht«, rief sie unwillig: »aber ich bedarf dessen nicht, und er, ich weiß es, wird es nicht fordern, obgleich ich es jetzt erkenne, daß diese Vereinigung in gegenseitiger Liebe und Anbetung der seligste Triumph ist, den die Natur zu feiern vermag. Weil dieser Sieg, dies stürmende Gefühl, welches unmittelbar an den Himmel klopft, das aller höchste alles Erschaffenen ist, ebendarum werde ich es mir versagen können, und nur im Anschaun, in der Bewunderung seiner Hoheit leben und träumen. Verstehn sich unsre Herzen doch ohne Worte. Auch mag in dem allgemeinen Vorurteil doch eine gewisse Wahrheit schlummern und dämmern, daß dem Manne mehr erlaubt ist, als dem Weibe, und dies Gefühl, die Achtung vor diesem Aberglauben wird mich bewahren: vorzüglich aber die Furcht, sein Gemüt, (da der edelste Mann noch eine gewisse [] Roheit in sich hegt,) möchte nicht so geläutert sein, daß er mich nicht nach dieser Hingebung, etwas, wenn auch nur um ein weniges, geringer achten dürfte.«
»Wenn ich von meinem Erstaunen erwache«, sagte Francesco, »so begreife ich nicht, wie gerade du, Vittoria, so ganz unweiblich sein kannst.«
Lachend sagte sie: »Ja wohl, diese eure ganz abgestandenen Redensarten von Unschuld, Mädchenhaftigkeit, Jungfräulichkeit und Weiblichkeit, die ihr uns entgegenhaltet, um unsrer Entwürdigung, indem wir blödsinnig bleiben, oder uns so stellen, schöne Namen zu geben. Ei wie himmlisch steht das unbewußte Mädchen in ihrer Unschuld da, wie die reine Lilienblume. Und sie wird ein Raub des Lüstlings, da man nichts loben will, als diese süße Einfalt, (die der Frau nicht mehr ziemt,) oder die Frechheit der gesunkenen Metze. Als wenn das nicht höhere Würde, Tugend und Unschuld wäre, so frei zu denken, zu fühlen und zu sprechen, wie es freilich denen nicht erlaubt ist, die die Gemeinheit in ihrem Innern empfinden.«
»Wohin aber«, rief Francesco aufgebracht, »zu welcher Ehrlosigkeit kann eine solche Gesinnung führen!«
»Sei ganz ruhig, mein Männchen«, sagte sie, »ich werde diese deine Ehre gewiß besser bewahren, als du selber. – Ehre! – O Menschen, welche Sprache redet ihr denn? – Ich soll es freilich nicht wissen, aber ich weiß es doch, wie du mit meinem Bruder Ottavio einig bist; wie ihr beide meine und eure Ehre gerne dem großen mächtigen Farnese verkauftet, wenn ich nur jämmerlich genug dächte, nachzugeben? Nicht wahr? – Schlafe jetzt wohl und zweifle nicht, daß ich meinen Willen durchsetze. Du aber kannst, wie du es schon tatest, jetzt mit meiner Einwilligung so ungebunden leben, wie es deine zügellose und schwache Imagination dir nur eingeben mag.«
Sie verließ ihn, und er hatte vielen Stoff, lange über das Gesprochene nachzudenken.
[]In der Familie Accoromboni und Peretti hatte indessen Friede und Ruhe geherrscht und alle Mitglieder derselben genossen eines anscheinenden Glückes. Viele angesehene Männer und Frauen besuchten gern das wohlhabende Haus, und der junge Peretti verlor nach und nach jenen Anschein unreifer Unmännlichkeit, konnte den Gesprächen Verständiger leichter folgen, und lernte in ihrem Umgange mehr und mehr ein anständiges Betragen. So segnete denn mit beruhigtem Gemüt der Oheim Montalto diese Ehe und war nur darüber verstimmt, daß, ohngeachtet aller Warnungen, der Neffe sich immer bestimmter zum hinterlistigen Kardinal Farnese hinneigte, der ihn durch Schmeichelei und glänzende Verheißungen gewann.
Der Herzog Bracciano wiederholte seine Besuche, und bald war die Familie mit ihm auf den Ton eines vertrauten Freundes gekommen, denn er hatte sich der Mutter dadurch empfohlen, daß er mit einem reichlichen Gehalt den jüngsten Sohn Flaminio als vertrauten Sekretär in seinen Dienst genommen. Manchem Beobachter war diese Versorgung auffallend, da um dieselbe Zeit Flaminio sehr vorteilhafte Anerbietungen des Farnese von sich gewiesen hatte. So waren die Mitglieder der Familie auffallend in zwei Parteien geteilt, indem Peretti und der Bischof Ottavio ganz dem Farnese, die übrigen dem mächtigen Paul Giordano ergeben waren. Vittoria verschloß gegen jedermann ihre Gefühle und nur Bracciano verstand ihren Sinn.
Der Graf Pepoli hatte sich wieder, wichtiger Geschäfte halber, nach Rom begeben. Er erstaunte nicht wenig, als er im Palaste Medici einen schönen und edlen Jüngling wiederfand, den er sogleich für jenen Anführer der Banditen erkannte, der ihm vor einiger Zeit im Gebirge das Leben gerettet hatte. Die Räubereien der Banditen und ihre Unternehmungen der Rache waren zu einem wirklichen Kriege gegen den Kirchenstaat ausgebrochen, man drang bis vor die Tore Roms, die kleineren Städte wurden ausgeraubt und oft halb zerstört, und die Macht des Staats war mit dem Dienst seiner ungetreuen, oft verräterischen Beamten und Soldaten nicht hinreichend, diesem Übel zu steuern, denn da die [] Banden besser und pünktlicher bezahlten, so liefen viele zu ihnen öffentlich über, andere, bestochen, weigerten sich zu kämpfen und ließen sich leicht und gern besiegen.
So unterhandelte jetzt der Kardinal Ferdinand von Medici, auf Ansuchen des Papstes, mit jenem Alonso, Grafen Piccolomini, der mit dem größten Heere von Banditen Rom bedroht und beunruhigt hatte. Piccolomini war willig, das Gebiet des Kirchenstaates zu verlassen, wenn man ihm seine Güter im Florentinischen zurückgab. Der verständige Beobachter konnte an diese seltsamen Verhandlungen sehr eigentümliche und niederschlagende Betrachtungen knüpfen, daß die Verwirrung so weit gediehen war, daß Rom mit Empörern, Räubern und Mördern, wie mit einer rechtsbestätigten Macht unterhandelte, öffentlich, im Palaste eines angesehenen Kardinals, und daß Florenz halb gezwungen, halb gefällig nachgiebig vieler Rücksichten wegen, dem frechen Empörer die Besitzungen wiedergab, die er früher durch offenen Verrat zur Strafe eingebüßt hatte.
Als der verständige Kardinal sich mit dem Grafen allein sah, sagte er: »So tief sind wir gesunken, daß wir einen so schändlichen Frieden abschließen müssen: dies beweist, wie sehr die notwendigsten Verhältnisse, alle Grundlagen eines Staates, aufgelöst sind, und daß wir, trotz anscheinender Gesetze, Herrschaft und Verwaltung, in einer wahren Anarchie nur noch dahinschmachten.«
In einer andern vornehmen Gesellschaft fand der Graf Pepoli den unbändigen Luigi Orsini. Er betrug sich mäßiger und mit besserem Anstand als gewöhnlich, denn er war in Gesellschaft der schönen Leonore, aus dem altberühmten Hause Savelli, mit der er sich seit kurzer Zeit verlobt hatte. Diese schöne edle Gestalt zeigte in ihrem sanften und zarten Wesen vielen Stolz, und man konnte bemerken, daß sie selbst den starren Sinn ihres Bräutigams schon jetzt gebrochen hatte. Graf Pepoli erschrak fast, als er mit Orsini den Grafen Pignatello im vertrautesten Verhältnis fand, jenen Verruchten, der ein Anführer der Banden, im Walde von Subiaco Ascanio und den Grafen Pepoli hatte ermorden wollen.
»Ah Don Giovanni«, rief Vittoria dem Grafen entgegen, als er in den Saal trat, »Ihr kommt gerade recht, mir in einem Streite beizustehn, den ich fast schon verloren habe.«
Der Eintretende fand eine ziemlich große Gesellschaft versammelt, unter welchen der Herzog von Bracciano und der Kardinal Farnese die vornehmsten Gäste waren. »Um was handelt es [] sich, edle Donna?« fragte der Graf: »ich werde Euch nur von geringer Hülfe sein können, wenn ein Geist, wie der Eurige, seine Behauptung schon beinah fallenläßt.«
»Unsre Freundin«, sagte Bracciano, »liebt es zuweilen, paradoxe Meinungen zu verteidigen. Und ihr ist es nicht genug, den Schwächern, wie mich, in Verlegenheit zu setzen, sondern sie geht viel weiter, und will uns beschämen. So äußert sie ihre Freude darüber, daß der Heilige Vater mit dem Piccolomini, als wenn dieser Neapel oder Florenz selber wäre, einen Frieden abschließen muß, daß ein ehrwürdiger Kardinal sich dem Geschäfte unterzieht, und daß wir alle, wenn wir leben und gedeihen sollen, die Obermacht eines Piccolomini oder Sciarra anerkennen müssen.«
»Und doch beschuldigt sie uns«, fuhr Farnese fort, »daß wir diese Banden erschaffen haben, daß sie in unserm Solde stehn, und daß wir gleichwohl von ihnen abhängig sein sollen.«
»Meine Meinung ist nur«, erwiderte Vittoria mit Lebhaftigkeit, »daß diese Empörer, Verbannte, Räuber und von der Gesellschaft Ausgestoßene bei unserer Verwirrung notwendig, ja daß sie eine Wohltat zu nennen sind. So wie fast alle Gesetze bei uns ihre Kraft verloren haben, wie jeder tut, was er will, wie der Mächtige jedes Gelüste befriedigen kann, wie keiner ihm widersprechen darf, so frage ich nur: was würde aus uns hier werden, wenn diese Verbannten, die zu einer großen selbstständigen Macht angewachsen sind, nicht einigermaßen diese Willkür hemmten und zügelten? Alle diese furchtbaren Menschen sind freilich dem Gesetz verfallen: dies ist aber so schwach und ohnmächtig, daß es die Straffälligen nicht ergreifen und festhalten kann. Sie sind also die kräftigeren Naturen, die freien, selbstständigen, dem schwankenden Staate mit seinen zagenden Anstalten gegenüber. Sie sagen also durch ihren öffentlichen Austritt dreist und öffentlich: das Wesen, welches ihr einen Staat nennen wollt, erklären wir für untergegangen; hier in den Feldern, Bergen und Wäldern bilden wir vorläufig den echten, wahren Staat, auf Freiheit gegründet, im Widerspruch aller jener quälenden, engherzigen Hemmungen und unverständigen Bedingungen, die ihr Gesetze nennen wollt! Alles, was sich losreißen kann, was der Freiheit genießen will, kommt zu uns, und früher oder später muß unsre Gesinnung die im Lande herrschende sein, aus unserer Kraft muß sich neue Verfassung, ein besseres Vaterland entwickeln, und die schlimmern Räuber, die engherzigen, klüglich Eigennützigen, die zaghaften Egoisten sitzen, von uns [] verbannt, hinter ihren morschen Mauern und wurmstichigen Gesetzen, an welche sie selber nicht mehr glauben. Wahrlich, nach dem, was wir hier erleben, liefern wir eine Erklärung zum ersten Buch des großen Paduaners, unsers Livius, dessen beginnende Erzählung manche Zweifler für eine Fabel haben erklären wollen. Scharen solcher Verbannten und selbständigen Männer haben das starke Rom gegründet, aus diesem Blut und Stamme sind die Weltherrscher entsprossen, die ihre Gesetze und ihren Willen über den Erdkreis trugen. Werden diese Freien einmal bei uns von den Gefangenen, Furchtsamen besiegt, so ist wohl die letzte Kraft Italiens erloschen. Denn keine knechtische Scharen eines Spartakus sind es, sondern die im Überfluß, im Reichtum Erzogenen, die wahren Aristokraten: freilich zitterte vor jenen das starke, festgegründete Rom und unterwarf sie endlich: bei uns zagt und zittert jedermann, an sich verzweifelnd, ohne kräftigen Widerstand zu leisten; doch kann vielleicht diese laue Schwachheit den Sieg davontragen, denn diese dem Staat Empörten sind auch oft gegen sich selbst empört, sie kämpfen gegeneinander, und es hat sich erwiesen, daß sie weit ernstlicher gegeneinander fechten, als die Soldaten und gedungenen Söldlinge des Staates gegen sie. So stehn diese Freien denn auch in Dienst und Lohn der hiesigen und auswärtigen Mächtigen und reiben sich zuweilen untereinander auf. Jeder der Magnaten hat seine Bande, auf die er zählen kann, die stets willig ist, ihm gegen den Staat, aber auch gegen einen andern Tyrannen Hülfe zu leisten. So wird ein Schwert, welches Bosheit, Rache und Grimm zücken möchte, von einem andern Kräftigen in der Scheide festgehalten, und so sind diese Verbannten die wahren Schützer unsers Lebens und unsrer Sicherheit, die Beschränker der Tyrannei und Willkür, ganz anders wie unsre Gesetze, über welche der Mächtige nur lacht. Eigentum, Leben, Freiheit ist gefährdet, von hier und dort, aber ohne jene Räuber wäre alles unbedingt der schlaffsten, charakterlosen Willkür preisgegeben.«
»Schlimm, wenn es ganz so steht«, sagte Bracciano.
»Es ist etwas Wahres in dieser ziemlich poetischen Schilderung«, bemerkte Farnese; »wenn das Zeitalter einmal eine bestimmte Richtung angenommen hat, sei es, welche es wolle, so kann der einzelne, der mit im Strome schwimmt, sich dem allgemeinen Zuge und Falle der Wogen unmöglich entziehn, oder ihm gar widerstehn wollen: der Kluge wird im Gegenteil alle die Vorteile ergreifen und für sich benutzen, die sich rechts und links neben ihm zeigen. Auch ändert sich jedes Verhältnis, jeder [] Zustand wieder nach und nach, denn die Zeit ist die gewaltigste Kraft; wie sie allein den Gram über Unglück und Verlust von Freunden lindern kann, so dämpft sie auch Enthusiasmus und Leidenschaft, und dieselbe Empörung, die alles vernichten wollte, kehrt, wenn die Gewässer gesunken sind, wieder friedlich in dasselbe Bett zurück, das sie erst mit stolzem Verschmähen verlassen hatte.«
»Doch ist durch die Überschwemmung«, warf der Herzog ein, »hier dürres Land in fruchtbares verwandelt, dort Acker und Wiese zur Einöde gemacht. Derselbe Zustand kehrt, einmal gestört, nie ganz auf dieselbe Weise wieder. Die Kunst, jede Bewegung und Eruption, jede Krisis zum Vorteil zu lenken, das Gute befördern und den Schaden mildern, ist nur den allerwenigsten gegeben: mit einem Wort, die Kunst des Herrschers ist die seltenste.«
»Sie ist wohl Talent«, bemerkte Vittoria, »und wie wir immer sehn, daß kein großes Talent einzeln steht, sondern nur, wie Bäume im Gebirge, in der Ungebung von Gruppen gedeiht und geschützt wird, so ist es wahrscheinlich mit der Regentenkunst ebenfalls. Ruft eine Größe die andere hervor und weckt und stärkt sie, oder ist es mehr der Epidemie zu vergleichen, die nun einmal, ohne daß der Mensch die Ursache anzugeben weiß, in der Luft herrscht, und sich dann durch den Verlauf der Zeit wieder verliert, wie sie in dieser entstanden ist? Kann man sie nur zählen, alle die großen Männer, die sich in einem Zeitraum eines halben Jahrhunderts, vor meiner Geburt, zusammendrängen? Ariost, Bernard Tasso, Machiavell, Bembo, Annibal Caro; und Raffael, Buonarotti, Tizian, Correggio, Julio und unzählige Künstler und Maler aller Art? Fand der fünfte Karl nicht einen zweiten Julius und zehnten Leo, und viele treffliche Kardinäle sich gegenüber? Soll ich diesen hohen Geistern auch noch den verruchten Peter, den Aretiner zugesellen? Aber wohl darf man noch Guicciardini nennen und Leonardo da Vinci, wie Franz den Ersten und manchen Fürsten jener Tage. Daß ich nicht den scharfsinnigen tiefen Pomponatius in Padua vergesse, den Lehrer Sperones und von hundert mächtigen Denkern – und, was haben wir jetzt? Und beneidet nach funfzig Jahren jene Generation nicht vielleicht wieder die unsrige, die wir uns doch eines Torquato Tasso, einer Elisabeth von England, und so mancher kräftig strebenden Menschen noch rühmen dürfen?«
»Wir sind auf dem Wege«, sagte Farnese mit einiger Bosheit, »auch großartige Ketzer zu rühmen.«
[] »Wir sind hier im vertrauten Kreise«, fuhr Bracciano mit einiger Heftigkeit auf, »und in die innere Familie hat die Inquisition bis jetzt noch nicht eindringen mögen.«
Der Kardinal lächelte und antwortete mit feiner Liebenswürdigkeit: »Man kann mir wohl zutrauen, daß ich kein Freund der Inquisition und jener strengen Maßregeln bin, die sich so oft, vielleicht ohne Not, für Heilungsmittel ausgeben.«
»Und meine Meinung«, fuhr Vittoria ruhig fort, »ist auch zu unbedeutend, oder meine Person vielmehr, als daß irgendwer ein Gewicht darauf legen könnte. Doch glaube ich, daß die Kirche ebenso gegen unsre erste Hälfte des Jahrhunderts zurücksteht, wie in Staatskunst, Wissenschaft, Malerei und Poesie. Schon seit Alexander dem Sechsten hatte sich in Glaubenssachen ein freier Sinn offenbart, und ging gleichsam allen den Neuerungen in Deutschland und Frankreich voraus. Wären jene großen Päpste und Kardinäle, die selbst die Freigeisterei und den Unglauben ertrugen, indem sie selber teil daran nahmen, weniger leichtsinnig gewesen, hätten sie ihre moralische Würde mehr gewahrt, so möchte ich jene Zeit eine goldene der Freiheit, der Poesie und des Denkens nennen. Ein großer Teil der Menschen war der Zuchtrute und Furcht entwachsen, die Kirche mußte sich bequemen und der neu aufgehenden Zeit entgegenkommen: die anstößige Lebensart der Geistlichen mußte sich bessern und so war im notwendigen Umbau vieler veralteten und morschen Teile der Kirche eine Einigung mit den starken Geistern des Auslandes wohl möglich, und der gefährliche Riß im Gebäude wäre nicht eingebrochen. Aber der Kluge verachtete, der Einfältige schalt die neuen Symptome, so verlief die günstige Zeit, und nun hat sich, um zu bessern, eine strenge Finsternis, ein Haß und Geist der Verfolgung, vernichtend über das bis dahin so heitere Leben gelagert. Seit dem vierten Paul, dem frommen Pius dem Vierten und dem krankhaft gläubigen Fünften, haben wir jetzt am milden und menschenfreundlichen Gregor, unserm Heiligen Vater, einen Herrscher, der die straff angezogenen Bande, die ihm jene in die Hand legten, nicht wieder darf locker auseinanderfallen lassen. Ja wohl sehne ich mich in jene heitere Vorzeit zurück, in denen unsre Eltern ohne Furcht vor diesem dunkeln Geist der Kirche denken und sprechen durften. Hat das Leben doch schon des Elends genug und des Grams, sind wir doch von allen Seiten beschränkt und gebunden – so konnte man hier doch dem Spiel und dem Ernst, der Poesie wie Philosophie ihre freie Rennbahn zu Entwickelung der edelsten Kräfte gestatten.«
[] Farnese stand auf, zwar freundlich lächelnd, aber doch verwirrt und in ungewisser Gebärde. Er küßte die Hand der Rednerin und sagte: »Nicht so laut und öffentlich; denn man kann nicht wissen, wie diese Meinungen mit Zusätzen und entstellt herumgetragen werden möchten.«
»Gewiß von keinem in diesem edlen Kreise«, sagte Bracciano, indem er sich ebenfalls erhob, um Abschied zu nehmen. Er verweilte vor Vittoria, die ihm jetzt, beinah so groß, wie er selbst, gegenüberstand, indem er ihre Hand faßte und festhielt, ohne sie zu küssen. »Ihr denkt in allen Dingen groß«, sagte er dann, »und steht immerdar vom Haufen abgesondert, im Glanz Eures eigentümlichen Wesens und Glaubens. Ja wohl solltet Ihr eine Semiramis sein, um der starren kleinlichen Welt beurkunden zu können, was das Herz und die Gesinnung eines großen Weibes vermögen.«
Auch Pepoli verließ mit allen übrigen den Saal und Vittoria fühlte sich beschämt, daß der Mann, den sie so innigst verehrte, jenes jugendliche Gedicht aus den schönen Tagen von Tivoli kennen sollte, welches sie für so unreif hielt. Nur der gutmütige Caporale konnte es ihm mitgeteilt haben.
Peretti, der wiederhergestellt war, entfernte sich auch, um sich nach seinem abgelegenen Schlafgemach zu begeben. Die Mutter welche das neu eingetretene Verhältnis wohl erriet, wies alles Nachdenken darüber von sich ab. Betrachtete sie unbefangen ihren Schwiegersohn, so mußte sie sich bekennen, daß sie ihn in ihrer blühenden Jugend niemals als Gatten neben sich hätte dulden können. Sie beseufzte die Entfernung, die zwischen ihr und ihrer Tochter unverkennbar lag, so daß beide gerade über die wichtigsten Gegenstände und Verhältnisse ihres Lebens am wenigstens sprachen. Mit beklemmtem Gefühl verließ sie die Tochter, die auch alle Diener zu Bette sendete, um in der Nacht noch im Saal in der Einsamkeit sich und ihren Gedanken zu leben.
Als alles still und ruhig war, öffnete sie die Tür zum Garten und betrachtete das Licht des abnehmenden Mondes, das rätselhaft durch die Bäume schimmerte. Dann setzte sie sich und schrieb in wehmütiger Stimmung noch einige Gedichte nieder.
»O du süße Rosenknospe!« so lauteten die Verse, »warum zitterst du, den Kelch, den duftenden, zu öffnen? Der Mondschein schlummert im Grase neben dir, und breitet seine weichen schlaftrunkenen Arme um deine grüne kräftig schwellende Hülle. Er hat dem Abendtau geboten, flüssige Demanten dir überzustreuen, sie sollen dich bestechen, zum süßen Kuß den [] roten Mund zu öffnen. Du bleibst dir treu, verschwiegen und stumm. Da kommt die allgewaltige Sonne und du mußt deinem Schicksal gehorchen. Der Tau rinnt, sowie du ihn öffnest, als große, zitternde Träne in deinen Busen: wie glänzt sie auf dem frischen Rot! Nun geht die Braut im Frühlingshauch vorüber und sagt zu ihrem Jüngling: ›O sieh die Wonne dieser Blume, wie sie das feuchte Kind des Morgens liebkosend im Purpur ihrer Blätter wiegt, und wie im vielfachen Schimmer der Tropfen lacht, hochentzückt, von der schönsten Blume so gepflegt zu sein.‹ Sie stehn und schaun im Bilde hier ihr namenloses Glück – und wissen, oder bedenken nicht, daß dieser Glanz das Unglück des Lebens ist – die Träne des Elends – und daß am Abend die jugendfrische Rose mit zerstreuten Blättern tot auf dem Boden liegt.« –
»Im weiten Meer, im dunkeln Grund bewegt sich die Muschel. ›Wie bin ich einsam!‹ klagt sie. ›Wie kann auf lieber Erde Pflanze und Tier im heitern Lichte sich ergehn. Welche wüste Nachbarschaft die meinige! Wohin ich blicke und denke, nur kalte, stumme Ungeheuer. Elend und Widerwart auf dunkelm Grunde: oben, an des Lichtes Grenze das traurige Geschlecht der ziehenden und schwimmenden Schuppentiere. Keiner weiß, keiner kennt meine Sehnsucht. Fremd mir alles, ich in mir selbst verschlossen muß mich verzehren in Angst nach ungekannter Freude.‹ – Da bricht es, ein Seufzer, Klage, Jammer, oder tötendes Jauchzen aus der Ärmsten, und, einer stillen Träne gleich, setzt sich festgehalten das Leid an die schimmernde Umhüllung. Die zarte Krankheit wächst im stillen fort, so wie die Sehnsucht steigt. Schon wird ihr selbst das harte Haus zu enge. Da wird sie im Tode erlöst. Ein kluger Fischer zerbricht die Wände, sie stirbt, er nimmt die köstliche unschätzbare Perle und trägt sie zum König hin, in dessen Krone sie forthin glänzt, als der kostbarste Schmuck. – O armer Torquato Tasso! – Und darf ich sagen: o ärmste Vittoria? – Oder bin ich zu eitel?«
»Nein, eitel nicht, aber auch so elend bin ich nicht. – Hat doch der edelste der Männer dich verstanden, und sagt es dir in jedem Blick. Ja, wie der armen verwelkenden Pflanze der sanfte Regen des Himmels, so sind diese belebenden Blicke aus den klaren Geisteraugen. Die Geisterbrunnen, die Jungbrunnen, von denen [] die Märchen erzählen, sind sie mir. Denn wie der Wilde sich zuerst im Bach und Strom mit Staunen sieht, so habe ich mich in deinem Blick, in deinem Seelengruß, zuerst erkannt. O welch ein Schauer von Seligkeit, welch ein Wonnegrauen flog durch alle Fühlungen, Gedanken und Ahnungen meiner Seele, als ich mir zuerst sagen durfte: siehe, dieser ist Geist von deinem Geist, und Liebe von deiner Liebe! Und wenn ich jetzt, in diesem Augenblick stürbe – ist es denn nicht genug, für diesen einen einzigen Moment gelebt zu haben? Wenn die höchsten Geister in des Unnennbaren Nähe ein entzücktes Sein genießen, wenn sie, ihm ähnlich, im ganzen All nur eins in der Unendlichkeit der Schöpfung sich und seine Liebe erblicken – so rufe ich: wohl mir! daß ich in seinem Erscheinen den Reichtum seines Herzens und die unendliche Fülle des meinigen zugleich erblickte.« –
»O du arme, arme Welt! – Mich lästern wirst du einst vielleicht, mich den Niedrigsten zugesellen, wenn du von mir und meinem Wandel die elenden, abgerissenen Silben erfährst. Kannst du mich stören und die selige Harmonie, die mit ihren süßen Kreisen klingend durch mein Wesen schwingt? Ihm nur bin ich ihm nur denk ich, ihm nur sterb ich. Eilt er mir voran, so flieg ich ihm durch alle Welten, durch Sein und Ahnung nach und durch den leeren Raum. Wohl ist im Tode erst Einigung und Leben. Uns trennt die nahe Gegenwart, wenn meine Hand die seine rührt, so ruft das Ewige im Drucke: flieht! dorthin! wo keine Zeit und Stunde herrscht, wo man nur nach Entzückungen die Ewigkeit rechnet, wo kein Ermüden ist, kein Vergessen, kein Zweifel und keine Frage. Aug in Auge, Geist in Geist, du ich und ich du, mehr als Gedanke und Gefühl – o armer Mensch, kehre doch zu dir und dieser Erde zurück, auch hier siehst du im Bilde, was du suchst; auch das einfache Wort ist ein ewiges: jeder Augenblick der Liebe ist ja ein unerschöpfliches Meer – ach! mein Geliebter! ohnmächtig nach allem Aufschwung sinke ich beglückt in deine Arme – und alles ist lebendig in mir, was ich vor Tausenden von Jahren schon suchte, da ich mich unbefriedigt in allen Windungen nach dir sehnte.«
Sie saß nahe an der Mauer, die das Haus von der Straße trennte, denn die Wohnung stand frei und abgesondert. Indem sie schrieb, war es ihr schon oft gewesen, als wenn sie ein sonderbares Geräusch vernähme. Es war, als wenn ein Tier oder ein [] Mensch sich draußen auf der Straße an der Mauer etwas zu tun machte. Gleich, wenn sie hinhorchte, war es wieder still, dann ließ es sich wieder vernehmen. Vittoria, die nicht ängstlich war, wollte das Fenster öffnen, um hinauszusehn, was so in ihrer Nähe sich verdächtig bewege; aber das Fenster war, der Sicherheit wegen, von den Dienern zu fest verschlossen, sie konnte es ohne Hülfe nicht auftun. Jetzt, indem sie wieder an der Wand mit Aufmerksamkeit horchte, kam es ihr ganz deutlich vor, als vernähme sie das Aufatmen eines Schlafenden. Sie konnte nicht länger zweifeln, da dieses Atmen bald in Röcheln, und dann in Schnarchen überging. Die Töne waren aber nicht, wie im Freien, sondern hallten, wie in einem engen Gemach: und doch wußte sie, daß kein Zimmer mehr neben diesem Saale sei.
Indem sie so, nicht ohne Besorgnis, an der langen Wand hin und her tappte, fühlte sie mit der Spitze des Fingers plötzlich ein Knöpfchen, nicht größer und dicker als etwa eine Linse, unkennbar in der Mauer, mit Farbe überstrichen – und sowie sie den Druck stärker wiederholte, öffnete sich plötzlich ohne Geräusch die Wand. Sie sah in der Dämmerung, daß dennoch dort, wo sie die Straße glaubte, noch ein schmales Gemach sich befinde, aus welchem jetzt viel deutlicher das regelmäßige Getöne des fremden Schlafenden erscholl. Sie zögerte einen Augenblick, ob sie die Diener wecken und rufen solle, Mitternacht war längst vorüber und die unerwartete, seltsame Entdeckung hatte ihren Sinn befangen. Doch nahm sie nach kurzem Besinnen die Lampe in die Hand und schritt hinein. Wie erstaunte und erschrak sie, als sie dort ihren Bruder, den verbannten Marcello, in einem Sessel schlafend fand. –
Sie setzte die Lampe auf den kleinen Tisch und weckte dann den Träumenden, der sich lange nicht aus seiner Schlafbetäubung finden konnte. »Du? Schwester?« rief er dann, »hier? du hast das Kunststück auch entdeckt?« –
Er mußte erzählen, warum und wie er in die Stadt gekommen sei. »Ei!« sagte er auf seine gleichgültige Weise, »ich bin schon oft heimlich in eurem Hause gewesen, und dein freundlicher kleiner Peretti logiert mich immer in das niedliche Gartenhaus, zu welchem er dann selbst die Schlüssel behält. Auch Ursula weiß es jedesmal, wenn ich hier bin, und hilft mir herein und heraus. Dabei ist die gute Alte so schweigsam wie das Grab. Wie ich nun neulich wieder einmal im Hause bin, was aber nur die Alte für diesmal wußte, vergißt mich das gute Tierchen, ich irre in dunkler Nacht herum, gerate in den Saal hier, kollre gegen die Wand [] und entdecke unverhofft diesen niedlichen Versteck. Den hat sich damals, als er sein Haus für sich selbst baute, dein feiner Schwiegervater angelegt, und keinem Menschen ein Wörtchen von diesem Geheimnis gesagt. Man kann durch diese dünne Wand alles hören, was im Saal gesprochen wird, so kann man durch Baum und Gesträuch versteckt, die auf der Gasse stehn, auch durch die verhüllten Fensterstäbe jede Silbe hören, die sie draußen im Freien reden. So mag der Alte damals manches erlauscht haben. Jetzt wohnt er da oben, um euch diesen kleinen Palast zu geben. Heute schlich ich wieder herein und verspätete mich, und so mußte ich notgedrungen alle eure Konversation und deine Tollheiten, Schwester, mit anhören. Jetzt aber, da Ursula doch wohl schläft, werde ich durch den Garten und über die Mauer den Rückweg suchen müssen, da du die Hausschlüssel nicht hast.«
Die unsichtbare Tür wurde leise und fein wieder zugemacht, und als Marcello schon im Garten war, kehrte er noch einmal um, und raunte der Schwester zu: »Hüte dich nur vor der Schlange, dem Farnese, der hat Böses gegen dich im Sinne; – und dein Männchen – o der liebe niedliche Blondkopf – der ist auch ein feiner Fuchs. Traue ihm ebensowenig.« – Er entfernte sich schnell und sie blieb noch lange im einsamen Saale allein, vielerlei bedenkend.
Italien feierte wieder ein Fest, weil der Großherzog Francesco nach dem Tode seiner Gemahlin die bekannte und berüchtigte Bianca Capello öffentlich geheiratet und zur Fürstin erhoben hatte. Der Kardinal Fernando, der Bruder des Regenten, war empfindlich gekränkt, doch erschien er öffentlich als ein versöhnter Freund des Großherzogs: er war vertraut und höflich gegen die neue erwählte Gemahlin und Fürstin, und da der Senat von Venedig Bianca für eine Tochter der Republik feierlich erklärt und ihr dadurch den hohen Adel des Staates mitgeteilt hatte, so war es nicht zu verwundern, wenn berühmte und unberühmte Poeten diese Vermählung mit ihren Hymnen begrüßten. Ein schönes Gedicht ließ der arme Tasso bei dieser Gelegenheit ertönen, der schon in seinem Kerker schmachtete: warum der scheltende Sperone, der den Fürsten nicht schmeicheln wollte seine rauh klingende Leier bei dieser Gelegenheit in seinem hohen Alter stimmte, ist weniger zu begreifen, wenn sein wie in[] Verlegenheit stammelndes Gedicht nicht entstand, mehr um Venedig als der neuen Großherzogin gefällig zu sein.
Der Herzog Bracciano äußerte sich sehr milde über diese Mißheirat und Vittoria stimmte ihm bei, ob gleich sie die schmeichelnden Poeten, selbst ihren alten Hausfreund, Caporale, sehr tadelte. »Gewiß«, sagte sie, »entsteht jedes Gedicht mehr oder minder aus irgendeiner Veranlassung, und welche Unzahl vortrefflicher Meisterwerke verdanken wir diesem Aufruf und zufälligen Aufschwung! Aber schon ist es Sitte und unerläßliche Notwendigkeit geworden, daß die Poesie sich bei jeder Standeserhöhung, bei Tod oder Geburt, Vermählung eines Fürsten und Mächtigen, bei Errichtung eines Hauses, oder noch kleineren Veranlassungen vernehmen läßt; und wie arm, nüchtern und ungenießbar ist nun vieles Getränk eingeschenkt worden, das sich für berauschenden Wein ausgeben will. Und dann diese ersonnenen Liebschaften, oft ernst in Heuchelei, oft nur in galanten und feinen Anspielungen und Wendungen; andre, an Damen gerichtete Begeisterung, die gar nicht leben – wo kann in diesem albernen Gesang der Mode sich Erhebung für Religion und Vaterland, wo der Haß des Tyrannen und schändlicher Willkür, wo die Lobpreisung des wahrhaft Edlen, wo die echte ewige Leidenschaft großer Liebe vernehmen lassen? Durch dieses stets wiederholte Stammeln und Lallen wird dem echten Gesang die stark tönende Zunge ausgerissen und es kommt dahin, daß auch der Bessere die Affektation affektiert. Ja, diese mächtige Harfe durch welche der Adler Dante mit seinen großen Schwingen rauscht – wie hallt da Vaterland, Tugend, Himmel und Natur im einklingenden Echo jeden tiefsinnigen Ton zurück, und die Poesie ist die Gattin des prophetischen wahrsagenden Genius!«
Wenn zwei edle Gemüter sich auf die Weise näher gekommen sind, wie das Schicksal Vittoria und Bracciano zueinandergeführt hatte, so empfängt jedes Wort, jeder Ausspruch in dieser Aufregung hoher Leidenschaft den Charakter der Weihe: der Liebende nimmt die Rede als Orakel auf, und grübelt und deutet auch aus dem nur Hingeworfenen einen tiefen Sinn. In dieser Entzündung der Herzen wird den beiden alles Poesie und Wahrheit. So sah der Herzog und die junge schöne Frau in allem, was sie lasen oder hörten, in der Begebenheit des Tages oder in alter Geschichte, immer nur Anspielungen auf sich und ihr beiderseitiges Verhältnis. – Wo habe ich denn bis jetzt gelebt, und wie! pflegte der Herzog in einsamen Stunden wohl zu sich selber zu sagen, daß ich den Menschen und seinen Wert, [] daß ich die Hoheit des Weibes noch niemals gesehn und verstanden? Mußte ich zum Manne heranreifen, um in so späten Jahren erst mich selbst im innersten Geheimnis meines Herzens zu finden? – Und ich sollte nicht das erringen, was Himmel und Natur für mich erschaffen haben?
Mit diesen Gesinnungen begab sich der Herzog wieder einmal, und ohne Gefolge, wie er gewöhnlich zu tun pflegte, nach dem Hause der Peretti. Als er eintrat, bemerkte er, daß alle Mitglieder der Familie das Haus verlassen, und Vittoria sich allein im Gartensaal befinde. Er überraschte sie, indem sie eben jene Gedichte fortsetzte, an denen sie gern in einsamen Stunden arbeitete und schrieb, sie war so vertieft und abwesend, daß sie ihn erst gewahr ward, als er, über ihre Schulter gebeugt, das Blatt schon gelesen hatte. Sie verwunderte sich, war aber nicht erschrocken, noch weniger stellte sie sich so, als sie sich plötzlich allein mit dem Geliebten sah. Er freute sich dieser ruhigen Fassung und sie antwortete: »Wäre ich jetzt empfindlich, oder erzürnt, so möchtet Ihr mein Freund, wohl gar glauben können, es sei ein ersonnenes vorsätzliches Spiel, daß Ihr mich einsam bei diesen Dichtungen treffen, und sie auf diese Weise kennenlernen solltet. Aber dem ist nicht so. Ihr erinnert Euch gewiß, daß Ihr gestern bestimmt sagtet, es wäre Euch unmöglich, uns heut zu sehn, meine Mutter und Peretti sind beim Kardinal, ihm zu danken, denn unser Prozeß ist endlich, und zwar zu unsern Gunsten entschieden, so hatten denn die Diener den Befehl, alles abzuweisen, und nur Euer Name ward nicht genannt, weil ich die Hoffnung Eures Besuchs aufgegeben hatte.«
»Und so wird mir einmal das ungehoffte Glück, Euch so ganz allein zu treffen«, erwiderte Bracciano: »– und so laßt mich jetzt alle diese Blätter, diese lieblichen Bekenntnisse lesen. –
O Vittoria!« rief er nachher aus: »was bist du für ein Wesen, für ein Wunder!« – Er umarmte sie und sie entzog sich seinen Küssen nicht. – »Wie ist dir?« fragte er dann, als er sah, wie sehr sie zitterte.
»Wie?« antwortete sie mit bewegter Stimme, »so selig, wie ich nicht mir einbilden konnte, daß eine solche Wonne für uns Menschen geschaffen sei. Zu glücklich bin ich so in deiner Gegenwart. Eine solche Seligkeit, sagten die alten Griechen, gönnen uns die Götter nicht, sie werden uns bald durch Unglück trennen. O Giordano! wir fordern das Schicksal heraus durch unsern Obermut, ein solcher ist Sterblichen nicht erlaubt, und die Götter werden uns strafen. Und bist du denn glücklich?«
[] »Mehr als Worte es fassen und aussagen können«, antwortete der Herzog begeistert. »Wie groß bist du und edel, daß du ohne Wort und Rede meine Liebe gefühlt und verstanden hast. So laß uns vielmehr den Göttern auf die wahre Art dankbar sein, anstatt sie zu fürchten: ist doch der ganze Olymp zu uns herniedergestiegen, unser Gefühl, unser Mut hat uns ihre Gunst gewonnen, zagen wir dann nicht, an ihrem Gastmahl teilzunehmen.« »Und wie liebst du, Liebster?« fragte sie.
»Daß ich dir ganz unbedingt gehöre, du ganz mir«, sprach der Trunkene: »daß unter uns kein Zweifel waltet, keine ängstliche Furcht uns die kleinste Wahrheit oder größte Wonne unterschlagen darf, daß du mir keine Faser deines Herzens verdeckst, daß du jeder Frage mit Liebe und Wahrheit Antwort gibst.«
»Ja, Freund«, sagte Vittoria, »das ist mein Wunsch selbst; aber, wenn die Lüge unter uns verbannt sein soll, so bleibt es doch immer schwer, die wahre, eigentliche Wahrheit zu finden. In der Lüge und Heuchelei spricht der böse Geist; aber in der Leidenschaft nicht immer der der Wahrheit.«
»Und du könntest zögern«, sagte Bracciano, »da du mich liebst, ganz mein zu sein, ohne Rückhalt und Vorbehalt? Du selber hättest diesen nächsten natürlichsten Wunsch nicht, wenn du mich liebst? du könntest kalt und überweise es ansehn, wenn ich mich in Sehnsucht verzehre? O du Angebetete, laß uns das Elend des Lebens ja nicht durch willkürliche Satzungen und Eigensinn, die sich Tugend nennen wollen, erhöhen.«
»Du wirst mich verstehn, Geliebtester«, antwortete Vittoria. »Mein Herz, meine Seele, alles mein Wünschen ist dein; wie kann es anders, wenn mein Eigensinn es auch selber wollte. Die unbedingte Hingebung ist in der Liebe alles, das habe ich erst erfahren, seit ich dich kenne. Inbrünstiger Wunsch, Wonne und Paradies ist mir mit dir jene Vereinigung, die ich sonst mit Grauen betrachtete – aber, ist denn nicht auch in der Liebe, auch ohne diese Vollendung, das höchste Glück? Jeder Blick von dir ist meinem Herzen ein Gruß aus dem Himmel, jedes Wort eine Offenbarung, und jeder Druck der Hand eine selige Gemeinschaft der Geister. Wäre ich frei, Teuerster, ich käme deinem Wunsch entgegen, ja ich könnte mit mitleidigem Lächeln auf die Welt herniedersehn, wenn sie mich deine Buhlerin nennen wurde; aber ich habe meiner Mutter, dem Kardinal und diesem Peretti mein heiliges Wort, mein feierliches Versprechen gegeben, niemals zu freveln, niemals diese Untreue und Schwachheit mir zuschulden kommen zu lassen. So wie die Sachen in der Welt [] stehn, muß ich dem guten, edlen Montalto mein Versprechen halten, ich darf ihn und meine Mutter nicht auf diese Weise kränken. Du glaubst nicht, von welcher Schmach uns Montalto durch seinen Edelmut, durch diese traurige Vermählung erlöst hat. Wäre ich frei und ungebunden, so wär ich dein. – Sieh, ich habe dir jetzt mit meiner Liebe auch die Wahrheit gegeben.«
Bracciano schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn und ging unzufrieden im Saale auf und ab. »Ich Unglücklicher!« rief er aus, »daß ich dich nicht früher habe kennen lernen! du meine Gattin – welch Glück dem meinigen zu vergleichen! O du Himmlische, was ist dir gegenüber die verächtliche Bianca Capello, die täuschende und heuchelnde Lügnerin, und doch ist sie jetzt die rechtmäßige Gemahlin des Fürsten! So sehr ist dieser so schwache Francesco doch von der Gewalt der Liebe bezwungen worden.«
»Und du könntest nicht glücklich sein«, fragte Vittoria furchtsam, »ohne diese Befriedigung?«
»Ja«, rief Bracciano, »glücklich und selig, mehr als einer, den ich kenne, und doch elend zugleich. Ja wohl ist die Zeit der mächtigste Gönner und Feind: damals, als du noch kein Wort gegeben, als du mir als freie, edle Jungfrau entgegentreten konntest, o warum lernt ich dich damals nicht kennen? – Und nun? – So flicht sich unser Schicksal zusammen, um uns zu erdrosseln, und die Leidenschaft wirft sich wütend und doch ohnmächtig in die Notwehr, und erliegt endlich im Kampf, oder siegt scheinbar durch Verzweiflung. Und dann – o dann ist das Leben nicht mehr jenes klare, reine Blatt, das der Jüngling in seinem Lebensbuche aufschlägt, um eine jugendliche Hymne begeistert hineinzuschreiben.«
Er versank in ein tiefsinniges Hinbrüten, stand lange, das Haupt niedergesunken und blickte dann nach dem Garten und dem Abendhimmel: »Ha, Isabella!« rief er plötzlich, »– du drohst, du mahnst – ja, du hast dich jetzt an mir gerächt, und mich gedemütigt.«
Vittoria schrak zusammen, weil sie ihn zu verstehn glaubte. Ihr war, als wenn plötzlich eine tiefe schwarze Nacht in ihre Seele falle. Wo war in diesem Augenblick die Gegenwart und das Gefühl der Liebe, von dem sie noch eben begeistert war? So kann zuweilen in uns die letzte Spur des Lebens verschwinden, und ein Grauen befällt uns, daß das, was uns als reiches mannigfaltiges Paradies erschien, nun, da die süße Täuschung verschwunden ist, als unübersehbare dürre Steppe vor uns liegt, ein Nichts dürrer Verzweiflung.
[] Er stand jetzt vor ihr, und beide sahen sich mit einem Blicke an, der sich nicht beschreiben läßt. Auch selbst nach diesem Blicke konnten sie die Rede noch nicht wiederfinden. So fühlten ihre Seelen jenen sonderbaren Druck, der uns beängstigt, auch wenn Lüge, Unwahrheit, Heuchelei uns fern stehn: der furchtbare Tod schwingt dann seine Flügel durch unser ohnmächtiges Wesen und ermattetes Dasein.
»Ich kenne deine Gedanken«, sagte er endlich, nachdem er wieder durch den Saal gegangen war, und sich dann niedergesetzt hatte, »aber sie war meiner ganz unwürdig, und selbst ihre Brüder haben kein Wort der Klage ausgesprochen. Und du standest hell und klar in jenem finstern Momente vor mir; und auch ohne Vorwurf.«
»Auch jenen Abend«, sagte sie jetzt, »an welchem der Schwatzende hier war, hat uns das Verhängnis gesendet. Das ist die große Frage des Lebens, wie sehr man sich den Schickungen widersetzen darf, wie man sie bezwingen kann. Daß du mir vorher Entsetzen erregtest, gehört auch als ein dunkles Bild in das Gedicht meiner Liebe und meines Lebens.«
»Ach! Vittoria«, klagte jetzt Bracciano, und Tränen stürzten aus seinen Augen, »in manchen Momenten glaube ich, daß ich deiner nicht würdig bin, dann fühle ich dich so viel größer und herrlicher. Ja, zu deinen Füßen muß ich liegen, im Staube vor dir und deine Füße küssen, als dein Huldiger oder demütiger Sklave, dem deine Hoheit, deine Gnade erst die Freiheit schenken kann.«
Er warf sich nieder und barg schluchzend sein Haupt in ihren Schoß. So überließ er sich einige Momente dem seligen Genuß jener wehmütigen Hingebung, jener Auflösung aller Kräfte und Gedanken, wo wir uns selbst enfliehen und uns verlieren, und nur noch in den Pulsen der süßesten Rührung unser Leben fühlen. Sie legte weich und zart die rechte Hand in die Locken seines Haars, und er fühlte sich jetzt, wie erwachend durch und durch beglückt, weil ihm war, als segnete ihn der höchste Engel des Himmels und spräche ihn von allen seinen Sünden frei.
Unangemeldet, wie er als nächster Verwandter, sich dieser Freiheit bedienen durfte, war der Bruder Vittorias, der Bischof Ottavio hereingetreten. Er warf einen boshaften prüfendes Blick auf die Gruppe und fragte die Schwester, die sein Eintreten auch nicht bemerkt hatte: »Vittoria! ist Seiner Exzellenz nicht wohl?«
Vittoria sah, ohne zu erschrecken auf, und ruhig erhob sich der Herzog, blickte, noch Tränen in den Augen, den Bruder mit [] festem Gleichmut an und sagte: »Sehr wohl, Herr Bischof, war mir, so freudig bewegt, wie selten im Leben: Eure Schwester hatte mir eben einige ihrer neuesten Gedichte hergesagt, und diese sind so schön, daß ich ihr nur auf den Knieen meinen Dank sagen konnte. Ihr seht, ich schäme mich dieser schönen Rührung nicht, daß auch die Stärke des Mannes von dem Zauber der Poesie zerschmelzen kann.«
»Immer eine seltene Erscheinung«, erwiderte mit fragendem Lauschen der Bruder; »möchte mir die Schwester die schönen Ottaven oder Sonette nicht ebenfalls mitteilen, damit ich die Erfahrung machen könne, ob mein Gemüt vielleicht weniger nachgiebig wäre?«
»Du würdest diese Verse doch nicht begreifen«, sagte Vittoria kalt, stand auf und verschloß die Blätter in ihrem Schrank.
»Ich bin freilich«, sagte der Bischof, »in der Poesie nicht so eingeweiht, wie hochbegabte Kenner, indessen sollte doch wohl, was so gewaltige Rührung hervorbringen kann, auch dem Laien verständlich sein.«
»Nicht immer«, sagte Bracciano, indem er seinen Hut nahm und sich zum Abschied rüstete: »es gibt Stimmungen, in welchen die Kunst der Musen leichter Eingang in unsere Herzen findet, als in andern kältern Augenblicken.«
»So muß es wohl sein«, erwiderte Ottavio, »und Eure Exzellenz ist natürlich seit dem Tode Ihrer schönen Gemahlin, mehr als früher, zu solchen Tränen und Rührungen aufgelegt.«
»Signor«, sagte der Herzog und trat ganz nahe an ihn heran, indem er ihm mit scharfem Blicke, halb zürnend, halb verachtend in sein Auge sah: »ich wußte nicht, daß wir so vertraut miteinander wären, daß Ihr etwas von meinen Seelenzuständen wissen könntet. Ich pflege mein Vertrauen und meine Freundschaft nicht so eilig auszubieten.«
Mit diesen Worten entfernte er sich in stolzer Haltung. Ottavio setzte sich jetzt der Schwester nahe gegenüber, und sagte mit spöttischer Feierlichkeit: »Ich habe da wohl eine Szene unterbrochen, die vielleicht das Vorspiel zu einer andern war, die noch weniger einen Zeugen vertrug. Also schon jetzt, so früh schon, du schwachherzige Schwester, fängst du an, die Ehre unseres Hauses zu vergessen?«
Ohne zu erröten, mit Eiseskälte sah ihn starr und fest die Schwester mit den großen Augen an. »Wie tief ich dich verachte, kann ich nicht aussprechen.« Nur diese wenigen Worte sagte sie. Ottavio, der den Blick des stolzen Herzogs mit entgegnender [] Dreistigkeit ertragen hatte, schlug jetzt, mit den Augenlidern zitternd, den Blick zu Boden und eine Schamröte übergoß sein Antlitz, »So kalt kannst du mir das sagen?« Nur diese wenigen Worte konnte er stotternd hervorbringen.
»Daß ich dem Bruder es sagen«, sprach sie, »und es so sagen muß, demjenigen, der mein Schutz sein sollte, der mit mir unter demselben mütterlichen Herzen gelegen hat, das, glaube mir, spaltet mir, zwar nicht erst jetzt das Herz, nein, denn ich bin endlich ruhig geworden. Aber welche Todeskämpfe es mir gekostet hat, welches Ringen in der gequälten Seele, das kann ich dir Kaltherzigen nicht in Worten ausdrücken. Und wozu? dein Busen ist allem Edlen entgegen gepanzert: mich wirst du mit deiner Heuchelei niemals täuschen. Gehe nur hin, und erzähle ihm alles, was du glaubst gesehn zu haben: was kümmert es mich? Ihr alle, Gute wie Schlimme, habt mich so hingestellt, daß ich nur mir selbst verantwortlich bin. Ihr sollt mein Schicksal nicht aufhalten und mein Wesen nicht beschränken, ihr, schlimmer, als die Pharisäer!«
»Ich verstehe dich nicht«, sagte Ottavio verlegen, der sich aber gern sammeln wollte; »wem wiedersagen? Was meinst du damit?«
»Man möchte lachen«, erwiderte sie, »wenn der Narr nur selber lustiger dabei aussähe: nun, dem weltberühmten Niemand, der ja alles Böse, Schlechte und Verächtliche in der Welt ausrichtet, der arme Sündenbock, auf den alle Laster und Bosheiten immer gewälzt werden: diesem Niemand kannst du es sagen, oder auch seinem Erbfeinde, dem Jemand: denn freilich ist der Niemand auch wieder der Tugendsame, Gottesfürchtige, Wohltätige, der ohne Laster und Leidenschaft ist, und wenn Niemand so ausbündig und tadellos ist, so muß irgendein Jemand doch wohl dies und das verbrochen haben. – O ihr armen Armseligen! hat Gott denn wirklich für euch die Sprache erfunden und sie euch mitgeteilt?«
Mit dieser Rede ließ sie ihn stehn, um sich in ihren Zimmern zu verschließen. Ottavio, der Hohnlächeln und verachtenden Spott in ihren Mienen gesehn hatte, war erfreut, als die Mutter mit ihrer Gesellschaft in das Haus trat. Vittoria ließ sich, als unpaß, durch den Diener entschuldigen. –
[]Die Mutter, Donna Julia, hatte sich schon seit lange in alle die Einrichtungen gefunden, welche Vittoria in ihrem Haushalt für notwendig hielt. Es befremdete sie eigentlich nicht, wenn sie sah, wie die beiden Ehegatten auf keine Weise in dem Verhältnis lebten, wie es Sitte, Gesetz und Religion verlangen. Sie waren stets getrennt, und sahen sich nur, wie zufällig, wenn Besuchende im Saale versammelt waren. Sie benutzten die Gewohnheit, welche schon damals eine mißverstandene Schicklichkeit und Courtoisie in Italien einführte, daß Mann und Frau sich nicht beisammen in fremden Häusern zeigen, und so erblickte man Vittoria allenthalben nur in Gesellschaft des Herzogs Bracciano, dem alle übrige erklärte Verehrer der schönen Frau hatten weichen müssen. Vittoria behandelte immerdar mit einer stillen, nicht auffallenden Geringschätzung, an welche er sich nun schon gewöhnt hatte, ihren Gemahl; eine Vernachlässigung, die ihn jetzt nicht mehr demütigte, da er so auffallend von vielen Großen, vorzüglich vom Kardinal Farnese beschützt wurde. Die Mutter Julia war bekümmert, daß sie so ganz das Vertrauen der Tochter, sie wußte selbst nicht wie, verloren hatte, und die bange Ahnung eines vielleicht bald einbrechenden Unglücks bedrückte ihr Gemüt, so daß sie nach und nach alle Heiterkeit verlor. Es machte sie auch das Gefühl unglücklich, daß ihr Sohn, der Bischof, ihr und dem Kardinal Montalto fast mit offenbarer Feindlichkeit entgegentrat, und sich offen als Anhänger der Farnesischen Partei erklärte: von ihrem Sohne Marcello brachte sie nichts in Erfahrung, als nur betrübende Gerüchte, so daß sie für diesen immerdar zittern mußte, und so war das Glück, auf welches sie gerechnet hatte, fast in nichts zerronnen.
War der Herzog Bracciano auch glücklich, so kämpfte sein ungestümer Geist doch immerdar, mehr und alles zu erringen. Indem er seine Geliebte wegen ihres edlen Mutes verehren mußte, fühlte er doch, wie unwürdig ihr gegenüber ihr sogenannter Gemahl erschien, auch quälte ihn eine sonderbare Eifersucht, denn er wußte oder ahnete wohl, was Farnese gehofft, und früher der junge Orsini beschlossen hatte. Dieser vermied geflissentlich alle Gesellschaft, wo er die Accorombonis treffen konnte und lebte ganz seiner Braut, der schönen Savelli, mit welcher er sich auch nach einiger Zeit vermählte, zum Erstaunen vieler Römer, welche es nicht begreifen konnten, wie die edle, von allen [] verehrte Jungfrau sich mit dem Ausgelassensten der römischen Jugend verbinden könne.
Es war ein Fest und ein Maskenball unter den jungen Leuten veranstaltet worden, an welchem auch Peretti teilnehmen sollte. Vittoria entzog sich seit einiger Zeit diesen rauschenden Vergnügungen, und so auch dieser Anstalt, und um so mehr, weil man beschlossen hatte, daß das Festino bis in den folgenden Tag hinein dauern sollte. Die Mutter war unwohl und ging früh zur Ruhe, alle Bekannte und Freunde, jeder Besuch war abgewiesen worden, und so hatte Vittoria Gelegenheit, sich wieder einmal ganz der Einsamkeit zu ergeben, die sie jetzt mehr als je gern aufsuchte, sooft es nur irgend möglich war. Denn dem beobachtenden Freunde entging es nicht, daß sie viel ernster war, als früher, daß jene jugendliche übermütige Laune, die sie ehedem so reizend machte, sie jetzt nur noch selten besuchte. Heut am Abend überließ sie sich gern den süßesten Träumen, weil es verabredet war, daß Bracciano sie sehn, und ungestört bis spät sich ihres Gesprächs und ihrer Gesellschaft erfreuen solle. Der Herzog kannte ihr Wesen und ihre Festigkeit so gut, daß er mit keinen neuen Hoffnungen zu ihr schlich, und sie durfte sich so vertrauen, daß kein Flehn oder liebliches Träumen ihre Entschlüsse in dieser nächtlichen Einsamkeit erschüttern würden.
Ursula, die Vertraute, ließ auf ein gegebenes Zeichen den verkleideten Fürsten in den Saal. Vittoria erwartete ihn beim Scheine einiger Kerzen, sie hatte verschiedene ihrer Gedichte hervorgesucht, die sie ihm nach seinem Wunsche mitteilen wollte. Bracciano war sehr feierlich gestimmt und nahm traurig und nachdenkend Platz an ihrer Seite. Sie erlaubte ihm gern Kuß und Umarmung und beide ergingen sich dann in süßen Plaudereien, die nur Liebende zu schätzen wissen, in jenen Kleinigkeiten, die den übrigen Menschen nur unbedeutend erscheinen, und an denen sich die Berauschten entzücken.
Endlich sagte Bracciano: »Und du willst dies Elend noch ferner so ruhig mit ansehen, in welchem wir beide verstrickt leben? Es ist dir nicht möglich, einen großen, herzhaften Entschluß dir abzuringen, um uns eine neue Bahn zu brechen? Können wir nicht nach Venedig gehn, selbst nach Toskana, oder Frankreich und Deutschland? Alles, was ich besitze, lege ich zu deinen Füßen: meine Verbindungen, mein Rang sichern dir in jedem Lande eine ehrenvolle Aufnahme, wer weiß, was indessen hier mit dem schwachen, oft kränkelnden Peretti geschieht, und dann erkläre ich dich vor aller Welt für meine Gemahlin. Gilt es das Glück [] des ganzen Lebens, die höchste Wonne unseres Daseins, so muß man nicht zu zaghaft jeden hemmenden Umstand in Erwägung ziehn – was ist das Geschwätz der Menge? das Lästern jener Moralisten, deren engherziges Gemüt niemals das Große begreifen kann? Und können wir es uns denn nicht mit sicherer Überzeugung sagen, daß nicht gemeine Lust oder Leichtsinn uns unüberlegt in diese Bahn wirft? Ist die Liebe das Edelste der Welt, so muß sie endlich auch, nach langer Entsagung, ihren Preis erringen.«
»Liebster«, antwortete sie, »ich habe dir schon sonst über diesen Gegenstand offen und wahr meine Meinung gesagt, meinen festen, unerschütterlichen Entschluß. Ihr übrigen Menschen faßt es nicht, von welchem Elend uns damals der edle Montalto auf so edle Art errettete: diese scheinbare Ehe, es ist wahr, ist nichtig und ungültig, ich habe sie niemals anerkannt, und seit ich dich sah, völlig in meinem Gemüt, wie für die Wirklichkeit vernichtet. Auch wagt es Peretti nicht, mir darüber Vorwürfe zu machen, er weiß, wie ich ihn verachte, ja wie sehr ich Grund hätte, ihn zu hassen, wenn er mir nicht zu unbedeutend wäre. Aber ich kann meine großartige tugendhafte Mutter nicht so kränken, die schon ein stiller Gram verzehrt und ihr Leben untergräbt. Ihr und dem armen Peretti habe ich feierlich versprochen, diese, von der Welt so laut ausgerufene Ehre nicht zu verletzen. Und wie sollte ich den gerechten Vorwürfen, oder gar dem Blick des tugendhaften Montalto begegnen können? – Mit dir entfliehn? – Und diese Kardinäle, deine Familie, Florenz und die Fürsten Italiens – welch Geschrei, welche Anklage würden sie erregen, welche Verfolgung! Und hauptsächlich gegen mich, denn in diesen Fällen ist das Weib immerdar das Opfer. Nun würdest du gekränkt und verletzt sein, dein hoher Rang und deine Würde verwundet, und es wäre nur das natürlichste, daß unsere Liebe, die wir jetzt, und mit Recht eine ewige nennen, getrübt und krank hinsänke. – O warum bist du, der du bist: mit allen diesen reichen großen Familien, diesen Kardinälen und Fürsten nah und näher verwandt, mit zwei schönen Kindern gesegnet, um deren Erbe man besorgt sein würde – warum bin ich, von den Umständen gedrängt, auch in diese hohe Verwandtschaft getreten, warum habe ich, so fest ich auch zu sein glaubte, meine Freiheit geopfert? – Sieh, Geliebter, so hat sich unser Verhängnis durch und gegen unsern Willen geschmiedet, und unzerreißbare Ketten um uns gelegt. Keine Menschenkraft kann sie zerreißen. Und sind wir denn nicht glücklich? Wahrhaft beseligt? Wie arm, [] niedrig, und tief unter mir, erscheinen mir alle die übrigen Menschen, wie bejammernswürdig, daß sie nicht so lieben, wie wir.«
»Nicht solche Worte!« rief Bracciano, »du hast recht und doch auch wieder unrecht, und wenn du so oft diesen Satz verteidigst, der ganz der menschlichen Natur und der edelsten Kraft unsers Herzens widerstreitet, so gerate ich auf den Argwohn, daß du Sophistereien liebst, oder kalt bist und mich nicht wahrhaft liebst.«
Sie drückte ihm weinend den herzlichsten Kuß auf die Lippen und sagte dann flehend: »Nicht so mich kränken.« – Die Träne, die in den goldenen Wimpern zitterte, küßte er ihr nun vom Auge, dann sprach er: »Wer dich so sieht, dies große Auge, diese Träne wie ein gefangenes Vögelchen in Goldstäben des Käfigs, diese aneinandergelegten Finger der flehenden schönen Hände, und dazu den Silberton, das süße Flöten dieser seelenvollen Stimme vernimmt, der muß, ist er nicht wahrer Skythe und Barbar, dir alles bewilligen. – Es sei. – Wie nun aber, Liebste, wenn du in einem Prozeß auf Scheidung drängest? Du kannst ja gewiß gültige Gründe aufführen.«
»O schweige, schweig!« rief sie heftig aus, »wenn ich nicht in Schaudern vergehen soll. Ich bin dreist und mutig, wenn es gilt, verwegen; aber allen dergleichen schändlichen Fragen, Zweifeln, Darlegungen müßte ich unterliegen: die Liebe darf vielleicht in der Feier ihrer Mysterien (so denke ich es mir) die Scham verleugnen – aber vor Rechtsgelehrten, kalten Männern, ihre Frechheit mit Frechheit überbieten – nein Liebster, eher würde ich mir auf offnem Markt den blank geschliffnen Dolch in die entblößte Brust stoßen. – Es ist aber auch nur dein Scherz, Geliebter, denn ich kenne dich viel zu gut, um es anders zu nehmen. – Und wäre ich die Unverschämte, die sich selbst zum eklen Schauspiel preisgeben möchte – was würde es fruchten? Der Heilige Vater ist fromm, er und das Kollegium ständen der Familie Peretti bei, viele meiner und deiner Feinde würden alles gegen mich aufbieten – und nach Jahren würde dann wohl entschieden, daß ich zur Strafe meiner Gottlosigkeit in einem armseligen einsamen Kloster Buße tun müßte, um von einer bigotten Äbtissin und nichtswürdigen Nonnen gepeinigt zu werden.«
Sie liebkosete ihm, scherzte, lachte und weinte, so daß er selbst in einen sonderbaren Humor geriet und ausrief: »Nun? Wenn ich mich nun doch auf rohe Barbarei legte? dich einmal plötzlich an einem schönen Morgen mit Gewalt entführte, in die weite Welt mit der Jammernden und Widerspenstigen hineinreisete, und hier Mama und Heiligem Vater, dem lieben Peretti und [] seinem Oheim, sowie dem Kollegium und meinen Muhmen, Vettern und Basen das leere, nüchterne Nachsehn ließe? Wie dann?«
»Recht so, mein Liebster«, sagte sie lachend, »da geraten wir auf die rechte Bahn. Und so reiseten wir denn, und reiseten, Arm in Arm, in das Unendliche fort und fort, bis alle Vettern und Basen weit, weit hinter uns lägen, und wir landeten dann an einer unbewohnten, unentdeckten Insel im Stillen Ozean, ohne Menschen, höchstens mit einigen Affen bevölkert, Palmenwein, die süßesten Früchte, die herrlichsten Blumen, alles wüchse uns freiwillig entgegen – die Jahreszeit ein ewiger Frühling – nun entdeckten wir plötzlich einen alten, aber sehr menschenfreundlichen Zauberer. Seine Kunst, alle seine Geister ständen uns zu Gebot, er hexte uns immer Speise und Trank, schöne Kleider, auch einen herrlichen Palast herbei: hübsche, niedliche Elfen und Feen unsre Bedienung, und kein einziger Teufel oder böser Dämon auf der ganzen Insel. Wie bei der Circe hörten wir dann den einsamen Webstuhl sausen, und die stärkste und künstlichste der Feen webte uns die Gewänder, andre, kleinere, legten mit fast unsichtbaren Nadeln die feinsten Stickereien hinein. Nun fährst du, auf einem schönen Wagen, von Hirschen bespannt, auf die Jagd, dann sitzen wir im bunten Kahn und fischen, im Wald singt dazu die Nachtigall und der Quell rauscht – jeder Baum klingt in seiner eignen Singstimme – und so lebe ich fort und fort in Liebe mit meinem lieben Männchen, bis wir beide alt und grau werden; und ich bin auch vor jeder Untreue des zärtlichen Gatten gesichert, denn es lebt keine einzige Frau, nicht ein Mädchen auf unserm Weltteil dort. – Nicht wahr, so wollen wir es einrichten, so einfach und ganz vernünftig, ohne alle falsche, poetische Erwartung?«
»Und unter den übrigen Affen dort, wäre auch meine Gemahlin ein wunderliches Äffchen«, antwortete Bracciano, indem er ihr leise mit den Fingern den blendenden Nacken schlug. »Wie nur geschieht es, daß alles, was du treibst und tust, dir so liebreizend steht? Und die kleine Plaudertasche ist dann gleich wieder so groß und erhaben, springt aus der lieblichen Narretei so plötzlich in den Tiefsinn, kann eben noch neckisch einen mit dem Feuerblick so erschrecken, daß, wie die Griechen sagten, alle Grazien bei deiner Wiege gestanden haben müssen, um dich mit diesen Göttergaben zu beschenken. Du Hebe und Juno, Pallas und Venus – und vor allen andern, und was dich am schönsten schmückt, die eigentümliche, einzige Vittoria!«
»Schmeichler!« sagte sie und schlug ihm auf den Mund, worauf [] sie dann seine Lippen zärtlich küßte. Er faßte ihre Hand, und lobte die schmalen, langen Finger, sie spielte mit seinen schwarzen, immer noch krausen Locken, er küßte und drückte die Hand und löste dann ihr langes Haar, daß es über den weißen Nacken wogend niederrollte.
So, sein Alter ganz vergessend, saß er tändelnd bei seiner jungen Geliebten, beide in diesem Augenblick spielenden Kindern nicht unähnlich. Plötzlich wurden sie aus ihrem Jugendtraum aufgeschreckt, denn die alte Ursula kam hastig herein und flüsterte: »Um Gott und alle Heiligen! unser Herr kommt ganz unerwartet nach Hause, und noch ein vermummter Mann mit ihm: ich habe sie beide von oben aus meinem Kämmerchen beobachtet, sie sind schon an der Haustür und unser Herr hatte den Schlüssel mitgenommen. Was ist zu tun?«
Die erschreckte Alte entfernte sich wieder. »Ja, was ist zu tun?« wiederholte Vittoria: »wenn ich auch alle Rücksichten fahrenließe, so kannst du nicht nach meinem Zimmer gehn, denn meine Kammerfrau erwartet mich dort –«
»Warum mich verstecken?« fuhr der stolze Bracciano auf »bin ich ein Knecht? Wenn ich sie beide mit diesem Dolche niederstoße, so werden sie schweigen.«
»Und ich?« klagte Vittoria: »und unser Haus? Und mein Ruf?«
Da fiel ihr plötzlich das kleine Cabinet ein, welches sie neulich zufällig entdeckt hatte: sie schlug an die Wand, schob den Geliebten hinein, zeigte ihm den kleinen Drücker auf der andern Seite, und entfernte sich eilig, nachdem sie vorher alle Kerzen ausgelöscht hatte. Sowie sie die Tür hinter sich zugemacht hatte, hörte sie die beiden schon durch den andern Eingang hereintreten.
Peretti trug eine Blendlaterne unter seinem Mantel, und schien, so wie er taumelte, einen kleinen Rausch von dem Maskenfeste mitgebracht zu haben. Er zündete einige Kerzen wieder an, sah sich dann im Saale um, und begab sich schwankend an alle Türen, um jede sorgfältig zu verschließen. »Nun sind wir ganz sicher«, sagte er dann leise.
Jetzt wickelte sich der Fremde aus seinen Umhüllungen, und es zeigte sich in einer Verkleidung der Kardinal Farnese. »Wir haben uns nun«, sagte dieser, »aus der Tollheit Eurer jungen Freunde, die mich gewiß nicht erkannt haben, so ganz allein fortgeschlichen, Ihr sowie ich ohne Diener, und ich rechne nun darauf, daß Ihr Euer Versprechen halten werdet.« –
[] »Setzt Euch nieder, große, furchtbare Eminenz«, sagte Peretti, halb stammelnd; »es ist gewiß und fast augenscheinlich, daß ich nicht fähig bin, lange aufrecht zu stehn, so fleißig und freundschaftlich habt Ihr mir dort zugetrunken. Denn eins ins andere gerechnet, ist der Mensch in allen Dingen und Genüssen nur eines gewissen Maßes fähig, der mehr und der weniger, so wie die Gaben nun von der Natur ungleich ausgeteilt sind.«
Der Kardinal schien sehr verdrießlich, er sah sich um, und sagte dann: »Ich hoffe doch, daß Ihr Eures Wortes noch eingedenk seid.«
»So muß ich mir denn einen Mut fassen«, fuhr Peretti fort, »großherzige und allmächtige Eminenz, und Euch, da es nicht zu ändern steht, gleichsam mit Trotz entgegentreten.« – Er sank in die Knie, faßte die Hand des Alten und küßte sie mit vieler Zärtlichkeit.
»Warum habt Ihr Euch so betrunken?« fuhr ihn Farnese an.
»Im Gegenteil«, antwortete der junge Mann, »jetzt bin ich allzu nüchtern; aber dort, im Saale, als wir im Nebenzimmerchen beide ganz allein bei dem vortrefflichen Syrakuser saßen, da freilich mein herrlicher Beschützer, da war ich mehr als berauscht, denn meine Zunge sprach, wovon mein Herz nichts wußte. Ach! Mann! hocherfahrner Priester und Regent – nicht wahr, wir lügen nur allzuoft, bald wissentlich, bald unwissentlich? Ich log zwischen beiden, ich erkannte meine Lüge und meinte es doch so herzlich gut mit Euch, daß ich zugleich wünschte, sie möchte zur Wahrheit werden können.«
»Ich verliere die Geduld über dem Geschwätz«, sagte der Kardinal. »Habt Ihr es denn ganz vergessen, unter welchem Versprechen Ihr mich hierhergelockt habt?«
»Gewiß nicht, mein erlauchter Patron«, fuhr jener fort, »und so bin ich denn gezwungen, Euch reinen Wein einzuschenken, wie man zu sagen pflegt, zum Dank dafür, daß Ihr mir dort auch den allerreinsten gegönnt habt.«
»Nun also?« –
»Ach Himmel! wie lange ist das schon her, wie lange, daß ich nicht mehr, weder bei Tage, noch in der Nacht, zu meiner Vittoria habe kommen dürfen, so daß ich sie zeither auch immer Virginia genannt habe. Das war mir nun in meiner mutigen Trunkenheit ganz aus meinem Gedächtnis entwichen, als ich Euch so treuherzig versprach, Euch im Finstern so in ihre stille Kammer zu führen, als wenn ich es wäre. Ja so ein löblicher Betrug bliebe recht lustig und schön, wenn er nur möglich wäre, [] wenn das nur gleich nach meiner Vermählung hätte geschehen können, aber jetzt ist sie immer fest eingeriegelt, und brennt immer Licht, und lieset und studiert und dichtet ganze Nächte hindurch. Brächen wir auch das Schloß auf, so entstände ein greulicher Skandal, daß das ganze Haus wach würde, und die große fürchterliche Mutter auch dazu käme, und wie es mir Armen dann erginge, das könnt Ihr wohl selber ermessen.«
»Und nun also?« sprach Farnese ergrimmt; »sie sieht Euch nie, seit Monden nicht, wohl gleich nach den ersten Tagen der Ehe hat sie Euch verabschiedet, sie verabscheut Euch? Ihr habt im Hause hier nicht das mindeste Recht? Und das alles habt Ihr im tierischen Rausch vergessen? Schmeichelt mir mit der Aussicht: und deswegen besuchte ich nur Euer dummes Gelag, daß es möglich sei, mich in der Nacht verkappt zu ihr einzuführen. Daß Ihr mich am Morgen unerkannt wieder aus dem Hause lassen wolltet? Und nun –«
»Nun«, fiel Peretti ein, »sehe ich freilich ein, daß das ein niederträchtig falsches Sprichwort ist: in vino veritas. Aber warum seid Ihr mir böse? Aus Respekt vor Euch, aus Liebe zu Euch, habe ich ja nur die gute Frau so vernachlässiget, weil ich mich so ganz unwürdig fühlte, Euer Nebenbuhler zu sein; das hat sie denn auch so unwirsch gemacht, daß sie mich ganz und gar von sich wegjagte. Aber wir wollen drum nicht verzweifeln, und einen besseren Plan ersinnen und ausführen.«
»Ich habe Euch, das wißt Ihr«, sagte Farnese, »meinen Schutz zugesagt, und Ihr seht es selber ein, daß Euer gebrechlicher Oheim, den kein Mensch achtet, der ohne allen Einfluß ist, Euch nichts nützen kann. Ich will Euch befördern und zum reichen, mächtigen Manne machen, aber ich muß sie, diese Stolze, besitzen, die mich verhöhnt, oder Euch ist der Untergang geschworen.«
»Ich überlasse sie Euch ja«, rief Peretti, »denn vielleicht hasse ich sie ebensosehr, als Ihr sie liebt. Wir alle sind auf Eurer Seite und stehn Euch bei, bloß der elende Flaminio nicht, der bei dem prahlerischen Bracciano in Diensten, und dem ganz ergeben ist. Aber der Abt Ottavio ist ganz Euer eigen, ich bin Euer geschworner Diener und der tapfre Marcello will Blut und Leben für Euch aufopfern.«
»Marcello?« rief der Kardinal erstaunt, »das kann ich Euch nimmermehr glauben.«
»Ich habe ihn ganz in der Hand«, sagte Peretti; »seht, Verehrter, er ist schon seit lange ein Verbannter, ein Bandit; aber, ein [] kluger Kopf, wie er ist, weiß er sich doch oft in die Stadt zu schleichen, und dann beherberge ich ihn bei mir, dort in dem kleinen Gartenhause. Da haben wir schon vielerlei miteinander verabredet, und wenn Ihr ihn gut bezahlt, so läßt er das Leben für uns.«
»Freund!« rief Farnese, »hütet Euch vor diesem verwegenen Menschen! In welchem Lichte würdet Ihr erscheinen, wenn ihn die Häscher in Eurem Hause aufheben sollten!«
»Sorgt nicht«, antwortete Peretti, der nun nach und nach nüchtern geworden war. »Wir sind beide zu vorsichtig. Aber auf meinen Plan zurückzukommen, so ist es dieser, der gar nicht fehlschlagen kann. Ich habe mit meiner Familie verabredet, daß wir in wenigen Tagen alle wieder auf einige Wochen nach Tivoli hinübergehen, um dort das kleine Haus, ein Eigentum der Familie, zu bewohnen. Nun fährt die stolze Vittoria dann in dem einen Wagen ganz allein, wie sie es immer tut, nur etwa zwei Kammerfrauen mit ihr, ich folge mit der Mutter nach. Da will ich es schon so einrichten, daß der zweite Wagen Schaden nehmen soll, und wir bedeutend zurückbleiben. Halben Weges, auf dem wüsten Felde, können Eure verkappten Leute, oder Eure Freunde des Gebirges, die freien Menschen, sie leicht entführen und schnell auf eins Eurer Schlösser, oder zu einem sichern Freunde bringen. In Tivoli selbst ist sie auch leicht aus dem kleinen Hause wegzurauben: oder von einem Spaziergange, weil sie es liebt, oft ganz allein umherzuwandeln. Ist sie nun erst in Eurer Gewalt, so muß sie sich, ihrer eignen Wohlfahrt wegen, bald ergeben. Denn sonst lasse ich ihr mit einem Prozesse drohen, daß sie mich böslich verlassen, daß sie sich freiwillig von irgendeinem Eurer Kastellane oder Stallmeister, wegen bewußten Ehebruchs von diesem ihrem Liebhaber habe entführen lassen: dann wird ihr gesagt, wenn sie ruhig bei Euch bleibt, sich die Geschenke von Euch, Reichtum und Wohlleben mit Euch gefallen läßt, so werde ich gänzlich schweigen, und tun, als lebe sie von mir, mit meiner Bewilligung, getrennt.«
»Lieber Mann«, sagte Farnese jetzt, »Ihr seid viel klüger, als ich geglaubt habe. Meldet mir nur, an welchem Tage und in welchen Stunden die Reise nach Tivoli vor sich geht, und ich will mich gar nicht mehr hier sehen lassen, um allen Verdacht um so mehr zu entfernen. Bei dieser Abrede soll es also bleiben: sie soll glücklich, reich und vornehm werden, und Euch werde ich so belohnen, daß Ihr selber über meine Großmut erstaunt denn meine Leidenschaft zu ihr ist eine unendliche. – Aber jetzt [] laßt mich, nach Euerm törichten Benehmen im Rausch, wieder unbemerkt aus dem Hause: denn ich fürchte, der Morgen dämmert bald herauf.«
Er nahm seine Umhüllungen wieder auf, und Peretti suchte den Schlüssel des Hauses hervor. Kaum hatten beide mit der Kerze den Saal verlassen, als Bracciano, der jedes Wort vernommen hatte, sich aus seinem engen Cabinet behutsam herausschlich, die Tür wieder andrückte, und den beiden mit leisen Schritten nachging. Der Saal stand offen, auf dem Gange folgte er dem Lichtschein in der Ferne. Nun standen jene beide an der Tür des Hauses und Peretti fügte den großen Schlüssel ein, um zu öffnen. Auf tat sich leise und langsam die Tür, und Farnese schlüpfte auf die Gasse, im selben Moment aber blies Bracciano, der jetzt dicht hinter Peretti stand, die Kerze aus, gab diesem einen kleinen Stoß, und sprang aus dem Hause, sich nach der entgegengesetzten Seite wendend, als wo er den Verhüllten im aufdämmernden Dunkel wandeln sah. Peretti wußte nicht, wie ihm geschehen war, zitternd und halb ohnmächtig verschloß er die Tür, begab sich in sein Gemach, und konnte sich lange von seinem Schreck und Grauen nicht erholen.
Peretti mußte noch viel darüber sinnen, wer jener Fremde gewesen sei, der ihn so erschreckt und sich so verdächtig in seinem Hause versteckt habe. Er riet auf viele, konnte aber nirgends eine sichere Vermutung finden. In seiner Verlegenheit und Angst war er unklug genug, dem Kardinal Farnese den Vorfall zu erzählen, und wurde noch verwirrter, als dieser in Schreck und Zorn ihn heftig anließ, daß dergleichen in seinem Hause möglich sei. »Wie?« rief er aus, »Ihr verlockt mich in stiller finstrer Nacht in Euer Haus, ich folge Euch in unziemlicher Verkleidung, weil ich Euch mein unbedingtes Vertrauen schenke; – und in unserer Nähe lauert ein Mörder, oder wenigstens ein Verdächtiger, ein Unbekannter! Wie leicht war es ihm, so ohne Diener, unbewaffnet, wie wir waren, uns zu ermorden – und welchen Ruf erwarb mir dann in der Welt dieser verdächtige Tod! Bedenkt, Peretti, ob es mir wohl zu verargen wäre, wenn ich Euch selbst für einen verruchten Bösewicht und Verräter hielte, der im Komplott meiner Feinde, mir boshafte Schlingen legt, und mir nach dem Leben stellte. Erinnere ich mich Eures sonderbaren Benehmens, so [] wird der Argwohn fast zur Wahrscheinlichkeit. Wie? Ihr beredet mich, Euch verkleidet nach jenem Festino zu folgen, um mir dort wichtige Entdeckungen und Vorschläge mitzuteilen? Damals wart Ihr noch nicht berauscht, und konntet also wissen, daß Ihr mir etwas Unmögliches versprachet und verhießet. Nun also waren wir auch bei der spätern Beratung, als Ihr etwas mehr zur Vernunft gekommen wart, nicht allein: sagt selbst, ob ich im Unrecht bin, wenn ich Euch für einen Verräter halte?«
Peretti bereute herzlich seine unbesonnene Mitteilung, denn statt Rat und Hülfe bei seinem Beschützer zu finden, mußte er diese Vorwürfe hören, und die Rache des Kardinals befürchten. Er entschuldigte sich so gut er konnte, und beteuerte seine Redlichkeit und seinen Diensteifer. »Ich will Euch glauben«, sagte endlich der Alte, »und Eure Unschuld könnt Ihr mir dadurch beweisen, daß noch in dieser Woche Euer Umzug nach Tivoli stattfindet. Dann muß ich genau Stunde und Minute der Abreise erfahren: ich werde die Meinigen anstellen, und es so einrichten, daß fürerst nicht der mindeste Verdacht auf mich fallen kann. Späterhin ist es gleichgültig. Gelingt die Sache, so sind wir völlig ausgesöhnt und ich schenke Euch meine Freundschaft und mein unbedingtes Vertrauen. Finde ich Euch falsch und unwahr, mit meinen Feinden im Bündnis, so werdet Ihr meiner Rache nicht entgehen, und der Mächtigste soll Euch vor meinem weitreichenden Arm nicht schützen können, geschweige Euer schwacher Oheim.«
Dies Gespräch fiel am Montage vor, und Peretti verhieß, da schon vorläufige Anstalten getroffen, einige Diener schon hinausgesendet waren, die manche Bequemlichkeit hinübergeschafft hatten, gewiß freitags früh, mit seiner Familie nach dem Landhause und der lieblichen Gegend aufzubrechen.
Vittoria saß, da das Wetter so schön war, mit ihrer Mutter und dem treuherzigen Caporale in der kühlen Laube ihres Gartens. Er war, da er sich von Rom nicht entwöhnen konnte, wieder aus seiner Landschaft herübergekommen, und befand sich am liebsten in dieser Familie, die ihm seit Jahren in Rom am meisten befreundet war. »Ihr seid so ernst, Donna Julia«, sagte er jetzt, »und ich finde schon seit lange Eure Stimmung anders als ehemals, und doch seid Ihr, nebst den Eurigen, wohl und gesund.«
»Und mein Sohn Marcello?« erwiderte sie, »kann ich ihn denn vergessen, und das Schwert nicht sehn, das ihm immerdar über dem Haupte hängt? Kann ich mit Ottavio zufrieden sein?
[] Seitdem wir höher hinaufgestiegen sind, fühle ich mich beklemmter, und mir ist immerdar so zumute, als wenn plötzlich aus irgendeinem Winkel ein erschreckendes Unglück hervorbrechen würde.«
»Nun reisen wir ja«, sagte Vittoria tröstend, »schon am Freitage nach unserm geliebten Tivoli. Da wirst du dich wieder im Freien ergehn, deine Lieblingsplätze besuchen. Dort wollen wir uns erfreuen und erfrischen, und ich werde mich jenem betäubenden Wasser-Abgrunde nicht wieder nähern.«
»Du zittertest damals«, sagte die Mutter, »nach der Stadt zu reisen, und hattest eine Vorahnung von etwas Entsetzlichem, was dich hier betreffen müsse: diese Furcht ist nicht erfüllt worden, und so, möchte ich hoffen, kann es vielleicht auch mit meinem Gefühle sein. Denn ich gestehe, ich bebe in Angst vor dieser Reise und schelte selbst meine blinde Weiberfurcht kindisch, und kann doch dieses Grauen, das mir auf jedem Schritte nachschleicht, nicht verscheuchen.«
»Wie damals meine Angst«, sagte Vittoria mit einem sonderbaren Ton, »mir nur großes, unerwartetes Glück bedeutete, so wird es dir auch widerfahren, Teuerste, und du wirst dich mit frischer Kraft dort in Tivoli deines Lebens erfreuen. – Doch muß ich dich jetzt verlassen; ich selber muß nach allen meinen Musiksachen und nach meinen Schreibereien sehn, daß nichts verlorengeht oder in unrechte Hände kommt.«
Sie hüpfte fort, und die Mutter sah mit einem langen wehmütigen Blick der schönen, dahinschwebenden Gestalt nach. »Ich glaube«, sagte sie nach einer Weile mit schwermütigem Ton, »diese meine Augen werden Tivoli niemals wiedersehn. Geschieht es, so fürchte ich, wahnsinnig zu werden.« –
Caporale war in Verlegenheit, was er der aufgereizten Frau antworten sollte, die ihm krank zu sein schien, denn ihr großes Auge hatte den ehemaligen Glanz verloren, sie war bleicher als sonst, und die Wangen waren eingefallen. »Ihr verwundert Euch über mich«, fuhr sie nach einiger Zeit fort, »– ach! ich weiß am besten, was ich seither gelitten habe. Glaubt mir, alter Freund gewisse Erschütterungen unserer Natur, wenn wir auch nachher wieder gleichgültig weiterleben, zittern und unterhöhlen fort und fort in unsrer Seele, bis von der dauernden Anstrengung und dem Um-sich-Fressen des Giftes die Schale zerbricht. So hat meine Tochter, meine beiden Söhne, der boshafte Farnese, jetzt dieser Peretti, alle haben wetteifernd diese zersprengenden Angstgefühle in meinen Geist geschüttet. Kann man diese Ehe ohne Furcht[] und Grauen betrachten? Wie soll es enden? Der Gemahl entzieht sich uns, und ist ein Knecht des Farnese, so wie mein ältester Sohn. Und was will dieser Bracciano in unserm Hause? Wird der Gewalttätige vielleicht die Rolle des jüngern Vetters, jenes Luigi fortsetzen wollen, der jetzt ruhig und vermählt ist? Ich zittre, sooft ich die hohe mächtige Gestalt hier sehe und mein Auge seinem herrschenden Königsblick begegnet. Ja, diese Orsini! seit meiner frühen Jugend haben sie sich wie böse Dämonen in den ruhigen Lauf meines Lebens hineingedrängt, und so hat mich der schlaue Kardinal mit einer Jugenderinnerung geschreckt, mit einer Begebenheit, die ich längst vergessen glaubte.«
Caporale ersuchte sie, da sie doch Vertrauen zu ihm habe, welches er nie mißbrauchen könne, ihm etwas davon mitzuteilen und sie begann: »Ihr wißt es, Freund, daß ich von dem alten Geschlecht der Agubio abstamme. Mein Vater war nicht reich, aber was ihm an Vermögen abging, schien er durch Stolz ersetzen zu wollen. Früh ward in unserm Hause auf unserm Gut der bekannte und berüchtigte Graf Nicola Pitigliano eingeführt, der zu der Familie Orsini gehört, so wie Bracciano, sowie jener Luigi, und noch viele andre unbändige Gemüter, wie es Euch bekannt ist. Diesen Graf Nicola, welcher nachher verräterisch seinen armen Vater durch einen Überfall von seinem Schlosse vertrieb, und ihn dann dem Elende preisgab, der nachher seinen leiblichen Bruder meuchlerisch ermorden wollte, dieser, der es jetzt mit den Banditen hält und der Anführer einer großen Bande ist, dieser böse Mensch, der nun ebenfalls (denn die Gerechtigkeit des Himmels vergißt niemals die Wiedervergeltung) von seinem eignen Sohn durch Verrat aus seinem Besitztum vertrieben ist, dieser Nicola war als Jüngling eine anmutige, ja eine schöne Erscheinung. Ich darf und kann es nicht leugnen, er gewann mein junges unerfahrnes Herz. Mein Vater aber, der seinen bösen Charakter genauer kannte, war ihm entgegen. In unserm Hause war seit kurzem ein junger, stiller, liebenswürdiger Mann wohnhaft, der als Rechtsgelehrter die verwickelten Geschäfte meines Vaters besorgte und in Ordnung brachte, das Muster eines verständigen, geregelten Mannes, angenehm im Umgang, unterrichtet und von zarter und einnehmender, wenn auch nicht schöner Bildung. Es ist die Art der jungen, übermütigen Mädchen, wenn sie im Aufblühen sind, sich zu erfreuen, wie auf Männer von verschiedenem Charakter ihre Reize Eindruck machen. So überließ ich mich diesem Mutwillen, und hörte weder auf die ernsten Warnungen meines Vaters, noch meiner [] Mutter. Die Zeit ging hin, der Graf immer ungestümer, und Federigo mit jedem Tage schwermütiger.
Der Stolz meines Vaters hinderte ihn, die Liebe des jungen Rechtsgelehrten, die er wohl bemerkte, weil sie durch seinen Tiefsinn nur allzu auffallend wurde, mit einem guten Auge anzusehn. Mir war dieses Seufzen und Wehklagen unerträglich, und mein unbändiger Sinn neigte sich immer mehr dem wilden Grafen zu. Gestehe ich es nur, daß auch viel Stolz und Hochmut sich in meine Leidenschaft mischte, und ich, zum Teil seines Standes wegen, den Bürgerlichen so unbedingt verschmähte.
Meine Mutter sah es wohl, wie der Gram und die Eifersucht das Herz des Armen verzehrte, aber wenn mein krausgelockter hoher Graf mich anlächelte, so war mir jeder Mensch, alles Leiden und die ganze Welt gleichgültig. Wie oft habe ich nachher über das Unbegreifliche dieser heftigen Leidenschaft nachdenken müssen, die alle unsre Kräfte, Vernunft und Wohlwollen, Gewissen und Frömmigkeit, alle Freiheit unsers Wesens so völlig unterjocht, daß es nur dem furchtbaren Bann eines unzerreißbaren Zaubers zu vergleichen ist. So gingen denn Tage, Wochen und Monden hin und ich kann wohl meinen Zustand so bezeichnen, daß ich mir selber ganz abhanden gekommen war, und mich in manchen Momenten einer aufdämmernden Besinnung hätte umsehen mögen, wo denn mein früheres Selbst geblieben sei.
Völlig entzog ich mich der Liebe meiner Eltern und ihrer Aufsicht; wenn der Geliebte nicht zu uns kommen konnte, erhielt ich Briefe von ihm, es war, ich gestehe es zu meiner Beschämung, nur Zufall oder Gnade des Himmels, daß ich nicht der Leidenschaft erlag, wenn wir uns selbst im Garten oder im Zimmer allein überlassen waren. Mein guter Engel hatte mich völlig verlassen, wenn er mich nicht mit den Argusaugen der Eifersucht, in der Person Federigos bewacht und beobachtet hätte. Dieser kannte und wußte alle meine Taten, Schritte und Entschlüsse, er, ohne sich meinen Eltern mitzuteilen, kämpfte dem bösen Genius entgegen.
Die Nacht war bestimmt, in welcher ich meinem Hause entfliehen, und durch vertraute Menschen in die Arme Pitiglianos geführt werden sollte. Es geschah, ich fuhr ab, in stiller Mitternacht, meine mir unbekannten Begleiter waren stumm: der Morgen dämmerte empor, als wir den Ort der Bestimmung, ein einsames Haus im Gebirge, erreicht hatten. Ich war allein, auf den Geliebten harrend, im Zimmer, als Federigo hereintrat.
[] – Ich mag die Szene nicht schildern, die sich nun entwickelte. Er hatte um alles gewußt, und jene ruchlose Entführung in eine Rettung verwandelt: er selbst hatte mich begleitet, mit andern verhüllt und unerkannt: früher, als das des Grafen, war er mit dem Fuhrwerk an dem bezeichneten Ort erschienen und ich hatte mich täuschen lassen. Aber mit welchem Schmerz, welcher Raserei, ja Verzweiflung, nahm ich diese Täuschung auf: es gab keine beschimpfende Benennung, mit der ich ihn nicht kränkte, keinen Fluch, den ich nicht auf mich selber herabrief. Es half dem Treuen nichts, daß er mir erzählte und bewies, wie der Graf an diesem nämlichen Tage seine Hochzeit mit einer Erbin aus einem alten Hause feire, und er mich nur, aus Hohn und Mutwillen, in der nämlichen Zeit, um mich und meine Familie zu schänden, als seine Buhlerin habe entführen wollen. Als ich erst imstande war, zu sehen und zu hören, konnte ich den Briefen, den Zeugnissen, die mir der tugendhafte Mann vorwies, nichts entgegensetzen. Aber mein Zorn steigerte sich über diesen seinen Triumph so ungeheuer, daß ich ihm diese Dokumente, die mich beschämen sollten, vor die Füße warf, und dreist, ja frech erklärte, auch unter dieser entehrenden Bedingung würde ich dem Grafen auf sein Schloß gefolgt sein. So tief war ich nicht gesunken, daß dies meine wahre Empfindung hätte sein können, ich stieß diesen Unsinn nur heraus, um den Getreuen recht empfindlich zu demütigen.
›Und Ihr könnt, Ihr werdet mich niemals lieben?‹ – ›Solange ich meiner Vernunft mächtig bin, niemals!‹ rief ich ihm entgegen! Ich hätte aber wohl fühlen können, daß ich jetzt und seit lange schon vom Unsinn befangen sei. – Federigo war jetzt auch in Verzweiflung, und unter Tränen und demütigem Flehen schwur er mir, daß, wenn ich jede Hoffnung für alle Zeiten ihm raubte, er sich vor meinen Augen ermorden würde. – Ich lachte höhnisch über dieses Wort, und erwiderte ihm, wie das die abgenutzte Phrase, die veraltete Drohung aller verschmähten Liebhaber sei, und daß dergleichen Aberwitz mein festes Herz am allerwenigsten rühren könne. – Plötzlich aber stieß er, zu meinem Entsetzen, sich einen großen Dolch in die Brust, und sank zugleich blutend zu meinen Füßen nieder. – Ich war so bestürzt, gerührt und außer Fassung, daß ich erst nach einiger Zeit um Hülfe rufen konnte, um die Wunde, welche tödlich schien, verbinden zu lassen. Zum Glück war ein durchreisender Arzt im Hause, der aber für das Leben des Ohnmächtigen nicht einstehn wollte. Um die Verwirrung zu erhöhen, kam mein Vater an, in [] Wut, denn sein Stolz war auf das empfindlichste gekränkt worden.
So von allen Leidenschaften zerrissen, versank ich in einen betäubenden Stumpfsinn, so daß ich auf einige Wochen mein Leben fast verlor. Ich war nicht gesund, ohne doch krank zu sein. Mein Vater, der von dem Zustande des Federigo Accoromboni innigst gerührt war, rief mir immer wieder zu: Sieh, du Verwilderte, Undankbare, dies ist echte Treue und Liebe! – Als die Stürme der Leidenschaft hinter mir lagen, bemächtigte sich ein unendliches Mitleiden meines Gemütes, und ich mußte das Herz, das für mich schon geblutet hatte, in das meinige schließen. – So ward ich eine Accorombona und durch diesen wackern, tugendhaften Mann die Mutter von vielen Kindern. – Meine leidenschaftliche Liebe aber hat er nie besessen. – Lebt wohl, teurer Freund; wir sehn uns, vielleicht, in Tivoli wieder.« –
Sie verfügte sich in das Haus, um auch zur nahen Abreise Anstalten zu treffen.
Am Donnerstage war man fröhlich bei Tische versammelt; Caporale ergötzte alle Anwesenden durch heitere Erzählungen, und nur Donna Julia war nachdenkend und nahm am Scherz des Dichters nur wenig teil. Peretti war ausgelassen, wie man ihn nur selten gesehn hatte, und die Frauen tadelten es im stillen, daß er sich des heißen Weins im Übermaß erfreute. Die Dienerschaft war schon zum Teil in Tivoli und die letzten Wagen, die am Morgen des folgenden Tages abgehn sollten, standen auch schon aufgepackt im Hofraum.
Caporale trennte sich diesmal, er wußte selber nicht warum, ungern von der Gesellschaft. Er zögerte noch beim Abschied. Beklemmt und mit einem Seufzer verließ er endlich das Haus.
Man ging zeitiger schlafen, als gewöhnlich, um am Morgen desto früher wach sein zu können. Schon war Vittoria in ihr Gemach gegangen und die bekümmerte Mutter schlief schon, Peretti, der die entferntesten Zimmer oben bewohnte, hatte sich, da er berauscht war, früher als alle niedergelegt. Nur einige Diener waren noch wach.
Da klopfte es laut und ungestüm an das Tor, wie wenn jemand in Eile wichtige Nachrichten bringt. Der Diener öffnete, und verwunderte sich im stillen, daß der rohe, unstäte Mancini, einer [] der verdächtigsten Gesellen in Rom, so dreist und so spät eintreten dürfe. Er müsse augenblicks den Herren, Signor Peretti sprechen, ein wichtiges, höchst wichtiges Blatthabe er ihm zu überreichen. Da der freche Bote nicht abließ, so führte der alte Guido den Ungestümen in das Schlafzimmer seines Herrn. Es war nicht leicht, den weinbetäubten Peretti zu ermuntern. Als es endlich gelang, und dieser den Boten, der immer zu seinen Vertrauten gehört hatte, erkannte, als Kerzen angezündet waren, las er den Brief, welcher folgendermaßen lautete:
»Geliebter Schwager: sowie Du dies Blatt empfangen hast, wirf Dich in die Kleider, und eile nach Monte Cavallo in das Dir wohlbekannte Haus, wo wir schon öfters Rates pflogen. Etwas höchst Wichtiges hat sich ereignet, welches den frühern Beschluß umstößt, oder wesentlich verändert. Der Bewußte, den Du ebensosehr liebst, wie fürchtest, rechnet mit Sicherheit auf Dein pünktliches Erscheinen. Morgen, wie Du es selber weißt, ist alles zu spät. Wenn Dein Wohl Dir lieb ist, so sieht Dich alsbald
Dein Marcello.«
In der größten Eile kleidete sich Peretti an, und ließ den jüngern Diener wecken, der ihn mit einer Fackel begleiten sollte. Guido hatte indessen das Haus munter gemacht, und die erschreckten Frauen warfen sich schnell in die Kleider.
Peretti kam ihnen schwankend schon auf dem Vorsaal entgegen. »Lieber Sohn«, rief Donna Julia in Angst, »könnt Ihr wirklich die Absicht haben, jetzt in später Nacht noch auszugehn?«
»Ich muß«, erwiderte der junge Mann, »laßt mich, ich habe Eile und werde alsbald wiederkehren.«
Vittoria sagte: »Wenn ich über dich etwas vermag, Francesco, so bleibst du im Hause. Du weißt es selbst, wie unsicher die Stadt ist, und wie mir Guido sagt, ist es der nichtswürdige Mancini, der dich in so verdächtiger Stunde abholt. Erwarte wenigstens den Morgen, wenn dein Geschäft denn so nötig ist, und wir reisen lieber einige Stunden, oder einen Tag später nach Tivoli.«
»Du kennst die Umstände nicht!« rief der geängstete Peretti, dem der Boden brannte, sich eiligst auf dem bestimmten Platz einzufinden, wo, wie er vorausetzte, sein mächtiger Gönner ihn erwartete. »Was sprecht Ihr mir von Mancini? Dein eigner Bruder, Marcello ist es, der mich so dringend zu sich entbietet. Vielleicht kann ich ihn vom Bann lösen; vielleicht gilt es sein Leben.«
[] Sowie der Name Marcello nur genannt wurde, schrie Donna Julia laut auf, heftig erschreckend. – »Also der Unglückliche, Verlorne, wagt es doch wieder, die verbotene Stadt zu betreten? Er bringt sein Haupt zum Block.«
»So dumm ist er nicht«, antwortete Peretti; »ei was! er ist wohl schon öfter hier gewesen, und hat fünf Tage hier in meinem Hause gewohnt, wovon ihr freilich nichts habt wissen dürfen.«
»O Gott! Gott! Jesus Maria! so steht es?« schrie Donna Julia, ganz und gar aus der Fassung. Ein kalter Todesschweiß rann ihr in großen Tropfen von der Stirn über das leichenblasse Angesicht, das Haupthaar, weiß und braun gemischt, floß aus der leicht geschürzten Kopfbinde nieder, sie stürzte jetzt, die Hände in Verzweiflung ringend, auf die Knie und faßte krampfhaft den Mantel des fortstrebenden Francesco, um ihn festzuhalten. »Ihr müßt bleiben!« rief ihre bebende Stimme, »bei allen Heiligen beschwöre ich Euch, denn Ihr rennt, ich seh es, in Euer Verderben. – Tochter! Vittoria! kniee mit mir, und flehe mit mir, mit Tränen und Schluchzen flehe den Hartnäckigen, den Wahnsinnigen an, daß er bei uns bleibt.«
Sie stellte sich hoch aufrecht und erhob sich noch auf den Zehen, und drückte mit beiden Händen, diese auf die Schultern pressend, die Tochter mit gewaltiger Kraft auf den Boden nieder. Vittoria folgte dem Zwange nur mit halbem Willen. »Du bleibst!« rief Virginia nun. »Sünder! du bleibst! Mein Fluch folgt dir, Unsinniger, wenn du die Schwelle überschreitest! Sind nicht Ketten da, um den Rasenden, den Bösewicht an die Mauern zu schließen?«
Erblaßt standen die Diener umher, und schauten mit Entsetzen und zitternden Lippen dieser furchtbaren Szene zu. Die alte Amme bekreuzte sich und betete halblaut. Peretti aber stieß mit dem Fuß nach Vittoria, riß den Mantel so gewaltig aus den Händen der Mutter, daß diese zurücktaumelte, und mit den Ellenbogen auf den marmornen Fußboden schlug. So sprang er über die Türschwelle und Vittoria sendete einen tötenden Blick dem Wütenden nach.
Auf der Straße angekommen, schüttelte sich Peretti schaudernd und murmelte: »Die Weiber sind voll süßen Weines, und meine Übermütige spricht mir, als wenn sie alles wüßte. Nun, morgen bin ich ihrer los.«
Ein feiner Regen fiel, die Fackel leuchtete qualmend und rot in der Dunkelheit. So kamen beide unten bei Monte Cavallo an. Da fielen zugleich drei Schüsse und Peretti stürzte nieder. Der [] Diener entsprang. Dunkle Gestalten näherten sich dem auf dem Boden Liegenden, welcher nur matt winselte. Sieben Schwerter fuhren durch seinen Busen, er zuckte nicht mehr. Die Mörder überzeugten sich von seinem Tode und entfernten sich stillschweigend in verschiedenen Richtungen.
Der Diener war, nachdem er die Fackel ausgelöscht hatte, mit Entsetzen nach dem Hause zurückgerannt. Hier waren alle noch in heftigster Bewegung und Aufreizung. »O welcher Schutz«, rief Donna Julia aus, »war uns dieser schwächliche Jüngling?« Vittoria, noch so unangekleidet, wie sie gewesen, saß in einer Ecke und lehnte das Haupt in die Hand, den Arm auf den Tisch gestützt.
Nun brachte man die Leiche, die der Diener mit den übrigen Leuten auf einer Bahre von der Straße geholt hatte. Caporale, der schon das Gerücht vernommen hatte, kam wieder; alle waren stumm, oder nur einzelne Silben wurden im Saale vernommen. Jetzt ward Montalto gemeldet. Der kranke gebückte Greis setzte sich, ohne die andern zu begrüßen, auf den Boden zum Leichnam nieder. Er faßte dessen Hand und benetzte sie mit Tränen. Man hatte ihn nie vor andern Menschen weinen sehn. – Dann erhob er sich und tröstete Gattin und Mutter. Mit scheinbarer Ruhe sprach er von den Schickungen, denen sich alle Menschen unterwerfen, und die Hand des Vaters küssen müssen, auch wenn sie nach unserer Meinung etwas zu strenge züchtige.
Als er in seine Wohnung zurückgekehrt war, begaben sich die Trauernden, Trostlosen auch wieder auf ihr Lager.
Von der Reise nach Tivoli war nicht mehr die Rede.
Ganz Rom war dieses Mordes wegen in Bewegung. Da man die Täter in finsterer Nacht nicht hatte ergreifen können, da niemand sie gesehn hatte, so erschöpfte sich jedermann um so mehr in Vermutungen. Leidenschaft und feindselige Gesinnung, Parteihaß und Vorliebe machten sich bei diesem tragischen Vorfall geltend, und hundert verschiedene Namen wurden genannt, sowie viele Vornehme angeklagt und von andern verteidigt.
Der alte Kardinal saß noch angekleidet am frühsten Morgen auf seinem Zimmer, Schreck und Kummer hatten es ihm nicht [] erlauben wollen, sich auf sein Lager zu werfen und den Schlaf zu suchen. Seine Diener hatten ihm vieles, und mancherlei durcheinander erzählt, widersprechende Gerüchte und Fabeln, aber auch Tatsachen, die mit der Wahrheit übereinkamen. – »Also dieser Mensch«, sagte er zu sich selber, »dieser verruchte Marcello – er ist der Mörder, oder der Eingeweihte des Komplotts! Er, dem ich mich als Wohltäter erwies, den ich damals vom Tode rettete, um den ich mein Gefühl des Rechtes unterdrückte, mir bittere Vorwürfe im Gewissen seinethalb machte – nun ja, nun hat er es mir vergolten, und ich muß mir in meinem stillen Innern sagen: daß mir recht geschieht, daß der Himmel so meine sündliche Nachgiebigkeit bestraft; freilich schwer, hart; – so wird mir meine Liebe, mein Mitleiden vergolten, daß ich einmal der Rührung meines Herzens, den weinenden Klagen einer Mutter nachgegeben.« – Er weinte bitterlich und legte sein Haupt zwischen den Armen auf den Tisch, auf welchem viele Papiere lagen, die er noch nicht angesehen hatte.
Als er sich am Weinen gesättigt, saß er aufrecht, um dem Papst den Vortrag über wichtige Geschäfte halten zu können. So trafen ihn in seiner Ruhe mit trocknem und festen Blick bei der Arbeit, die ihn besuchenden Kardinäle. Der Medicäer war sehr gerührt und Borromäus konnte ihn nur, von Tränen unterbrochen, begrüßen. Diese und andre Kardinäle bewunderten seine Standhaftigkeit und Ergebung in den Willen des Schicksals. Fest und ungebeugt trat Montalto in die Versammlung der Kardinäle, gefaßt und scheinbar ruhig: Freund und Feind begrüßten ihn dort mit der herzlichsten Rührung, viele reichten ihm die Hand, und keiner war, der ihm nicht seine aufrichtige Teilnahme bewiesen hätte. Selbst Farnese und die Partei, die sich bis dahin immer die Miene gegeben hatte, ihn zu verachten, äußerte ihre Verehrung und Bewunderung über diese, wie sie sagten, mehr als menschliche Fassung.
Als Montalto in das Zimmer des Papstes trat, ging ihm der alte Gregor entgegen, drückte ihm die Hand und weinte herzlich. »Wir wollen«, sagte er dann, »diesen abscheulichen Meuchelmord mit der größten Strenge und Gründlichkeit untersuchen, und seid versichert, alter bewährter Freund, der Schuldige, mag er auch sein, wer er will, soll zu Eurer Genugtuung furchtbar bestraft werden.«
»Heiligster Vater«, erwiderte Montalto erschüttert, »wenn mein Wort etwas gilt und meine Bitte, so lassen wir diese traurige Geschichte völlig ruhn, und übergeben sie, wo möglich, der [] Vergessenheit. Ich mag nicht die Veranlassung geben, daß neue Händel und Verwirrungen entstehn, unvermutete Entdeckungen, die die jetzigen Faktionen verstärken und andere erschaffen könnten. Lassen wir dem Herrn die Strafe, der mir nach seiner Weisheit und Liebe diesen Kummer in meinem Alter gesendet hat.«
»Der Papst sah den Redenden mit einem großen, verwunderten Blicke an. – Sie gingen zu den Geschäften über, und als diese geendigt waren, und andere Kardinäle eintraten, sagte er zu einigen von diesen: Dieser Montalto ist ein ebenso großer als kluger Mann: sein unerschütterlicher Gleichmut verdient die allerhöchste Bewunderung.«
So gingen einige Tage vorüber, Peretti war, nach dem Wunsche seines Oheims, mit wenigem Pomp, um das Aufsehen nicht zu verstärken, beerdiget wor den. Eine stille dumpfe Trauer herrschte in der Familie Accoromboni; sie nahmen nicht alle Besuche an, welche ihnen von Teilnehmenden gemacht wurden, viele aber, die sich bisher laut genug zu den Freunden des Hauses gerechnet hatten, blieben aus, so wie der Kardinal Farnese; manche gaben nur schriftlich ihre trauernde Begrüßung ab, und Bracciano war bei einem kurzen Besuche so erschüttert, daß er sich bald wieder entfernen mußte, und Vittoria keine Beruhigung von ihm empfangen konnte.
Diese war endlich durch das Übermaß der vielen, sie bestürmenden Gefühle, völlig aufgelöst. Ihre Nächte waren schlaflos, die Nahrung stärkte und erquickte sie nicht, und so, nach einem kurzen Fieberzustande sank sie in eine stumpfe Bewußtlosigkeit. Sie war nicht mehr fähig, ihr Schicksal zu überdenken, sich aller Umstände zu erinnern, die sie so nach und nach in diese abscheuliche Lage geworfen hatten. Diese gewaltsame Wendung ihres Lebens hatte sie so plötzlich überrascht, daß sie noch keines freien Entschlusses fähig war. Ihr Gemüt, das sie für so reich gehalten hatte, schien ihr nun völlig verarmt: sie sah mit Entsetzen in diese innere Leere, und begriff nicht, wohin alle diese Kräfte entschwunden waren, die ihr sonst immer Halt gegeben, die Gefühle, von denen sie in allen Lagen, selbst in der Verzweiflung Trost empfangen hatte.
»Wozu«, rief sie in nächtlicher Einsamkeit in ihrem starren Unmut auf, »habe ich mich denn immer für besser als viele andre gehalten, wenn jetzt der Brunnen des Lebens so völlig in mir versiegt? – Ich glaubte ja immer von den Musen begünstigt zu sein, und mich in unmittelbarer Berührung mit göttlichen [] Kräften zu befinden; warum gestatte ich denn nun der toten kalten Erde die Herrschaft über meinen Geist, und rufe nicht jene Bundesgenossen zu Hülfe, die mir in Stunden des Übermutes fröhlich und lächelnd beistanden?«
Sie setzte sich nieder, tat einige Griffe auf ihrer Laute und schrieb dann ein Gedicht in Terzinen, dessen Inhalt ohngefähr folgender war:
Ernst und Trauer des Lebens.
Vielleicht sagt man mit Recht, wir seien alle verbannte Geister, die, unwürdig ihres höheren Glückes, sich auflehnend gegen die Liebe, in den Zustand versenkt wurden, der mit dem Tode verwandt ist und den wir Menschen unser Leben nennen.
So wachsen denn, gedeihen wir, und unsere Jugend ist ein Traum, der in uns webt. Rosengewölk vor dem Aufgang der ersten heißen Sonne.
Nun, da wir jagdfähig sind, treten die Dämonen mit Weidmannsgerät in das Revier, die Hunde von der Leine los, jagen kläffend den armen Hirsch, bis er zerfleischt, ermüdet, Blut schwitzend, unter ihren Bissen niedersinkt.
So sitzt der Fischer lächelnd, schlautückisch am Fluß und senkt den lockenden Köder hinein. Der arme, bunte Fisch, er spielt an der Angel, gereizt verschlingt er den Hamen, und am Gaumen wird er aus seinem Element mit dem grausamen Haken herauf gerissen.
Das Kind spielt mit dem unschuldigen Lamm, beide hüpfen im Frühlingslicht. Doch im Busche steht schon lauernd der Schlächter, und wetzt sein blutgieriges Messer.
Gibt es etwas anders, denn Verlust? denn jeder Gewinn wird uns nur geliehen, damit der Schmerz des Verlierens folge. So scherzen grausame Menschen mit Kindern: schenken ihnen glänzende Sachen zum Schein, und wenn sie sich recht daran freuen, entreißen sie sie ihnen wieder, und lachen ihrer Tränen.
So werden uns Eltern, Geschwister durch den unerbittlichen Tod entrissen, die lieben Jugendfreunde – alles war nur Spielzeug, und liegt zertrümmert im Staube.
O schlimmer! andre, sie leben und weben noch in ihrer Gestalt, Verbrechen, Unsinn, hat sie uns von der Brust gerissen, und wir zittern bei jedem Windhauch, der uns leidige Nachricht von ihnen zuwehen möchte.
Am fürchterlichsten – wenn wir hassen und verachten müssen, wo dasselbe Mutterblut uns zuschreit: du sollst lieben! Welche Sprache, welche Tonweise ermißt diesen Schmerz!
[] Solon gab kein Gesetz gegen Vatermord, weil sich die Natur des Menschen dahin nicht verirren könne. – So versagt die von Gott uns offenbarte Sprache den Ausdruck diesem Jammer.
Das Herz stirbt ab und bricht – der Seufzer schreit – die Verzweiflung sieht starr. Das ist die Sprache. – So brüllt in öder Wüste der verhungernde Löwe nach Raub, und die stummen Felsen hallen zitternd wider.
Armer Peretti! Was warst du mir? Was konnt ich dir bedeuten? Wie in lebloser Maschine kein Rad vom andern weiß, und doch das eine das andere treibt, so lief mit uns, nebeneinander, das Getriebe unsers Daseins.
Und du bist dahin! Dir und der Welt entrissen, nicht mir. Eigensinn, Verblendung trieb dich deinem schaudervollen Untergange entgegen, die Hemmung, die warnende der Freunde, zerbrachst du ungestüm.
Und ängstigende Ahndung weht um mich. Mir dünkt, ich sehe die unsichtbaren Dämonen schadenfroh lachen und die gierigen Zähne fletschen. Der Glanz der weißen Hauer blitzt leuchtend durch die Nacht.
Sie werden der Unschuldigen nachjagen – schon trieft das Blut aus meinem Herzen – die Witterung macht sie nur lüsterner und wilder. – Ich sinke nieder, todesmatt.
Der biedre, herzliche Caporale zeigte sich auch jetzt wieder als der treueste Freund. Er kam täglich, tröstete, verweilte bei den Trauernden, und ließ sich von keinem Geschwätz, von keiner Verleumdung irremachen. In solcher Flut der Verwirrnis erkannte Vittoria sowie ihre Mutter den Wert eines solchen Mannes der in den Augen der Welt nicht glänzte.
So trat er auch an einem Morgen in das Zimmer der Trauernden. Er war tiefsinnig, ihm schien etwas sehr Schweres auf dem Herzen zu lasten.
»Wie seid Ihr heut so anders, alter Freund«, begann endlich die Mutter, »ist Euch ein Unglück zugestoßen?«
»Ja wohl«, erwiderte der Dichter, »und ein solches, daß ich davon ganz zu Boden gedrückt werde. Es lebt hier in Rom seit einiger Zeit ein Cavalier aus England, ein Katholik, der seiner Religion wegen, wie er vorgibt, aus seinem Lande verbannt ist. Da ich aber sehe, daß er mit den einflußreichsten Kardinälen und Prälaten in Verbindung steht, und mit dem Governador in einem ziemlich vertrauten Verhältnis lebt, so vermute ich vielmehr, [] er ist ein maskierter Beobachter und Unterhändler für seine verständige und politische Königin. Dieser Mann hat mich seit einiger Zeit in sein Herz geschlossen und interessiert sich, weil ich viel von Euch erzählte, für Euer Schicksal. So habe ich denn durch diesen Ritter Carre etwas erfahren, das für Euch von der höchsten Wichtigkeit ist. Der edle Montalto wünscht, daß diese Untat und das Unglück vergessen und verschwiegen bleibe, was die Urheber betrifft, wer sie auch sein mögen und was sie beabsichtiget haben. O dieser Alte ist ebenso klug als großmütig. Er will sich keine Feinde erregen, da ihm bei einem Wechsel der Regierung mächtige Familien hemmend entgegentreten könnten, obgleich ihm alle die Gerüchte, Vermutungen und Verleumdungen nicht unbekannt geblieben sind, und er auch im stillen seine Meinung und Oberzeugung gefaßt hat. Die Medicäer wollen aber die Sache nicht auf sich beruhen lassen, und Farnese hat sich zu dem klugen Ferdinand gesellt, so wie der fromme Borromäus; ihnen folgen noch einige Unbedeutende, welche meinen, die Ehre des Staates verlange, daß dieses Verbrechen untersucht und bestraft werde. Der Papst, welcher erbittert ist und vom Schicksal Montaltos tief gerührt, läßt ihnen freie Hand. Der elende Mancini, der an jenem Abend die Botschaft brachte, ist gefangen, oder hat sich fangen lassen, bei ihm hat man noch jenen Zettel von Marcellos Hand gefunden; der Verkäufliche soll auf der Folter schon allerhand ausgesagt haben, was, wie ich glaube, ihm in den Mund gelegt ist, und so ist man im Begriff, Tugend und Ehre der edelsten Menschen zu verunglimpfen. So hat denn auch, natürlich bestochen, jener Valentini, von welchem Peretti damals schwer verwundet ward, einen Brief eingesendet, in welchem er sich selbst zur Mordtat bekannt, weil er schon seit lange Peretti gehaßt habe, und nun noch von Schönheit, Huld, Überredung, und tausend solcher Herrlichkeiten zur Tat getrieben sei, von jenen, die er angedeutet habe, die er aber auch bestimmter bezeichnen könne.«
»Redet ganz aus«, rief die Mutter, schon außer Fassung gesetzt.
»Ihr wißt«, fuhr Caporale mit bewegter Stimme fort, »daß Ihr nach den Gesetzen hier in diesem Hause nicht bleiben könnt, denn da Peretti ohne Erben gestorben ist, so fällt es mit allem Zubehör an Montalto zurück. Euch bleibt also nichts übrig, als Euch in Eure frühere Wohnung zu begeben, oder Euch beide unter den Schutz des Bischofs, Eures ältesten Sohnes zu stellen, der jetzt das Haupt der Familie ist.«
[] »Auf keinen Fall!« rief Vittoria und stand empört vom Sessel auf; »als Sklavin wäre ich dann verhandelt. Ich habe mir längst gedacht, was die elenden Menschen vermuten und ausschwatzen werden, und die am giftigsten, die am besten die Wahrheit wissen.«
»So ist es«, sagte Caporale; »den Mächtigen, der es vor seinem Gewissen verantworten mag, was er getan hat, wird man nicht beschuldigen, man wird es nicht wagen, in diesem Prozesse nur seinen Namen zu nennen. So ergießt sich dann die ganze Flut der Schmähung auf arme, wehrlose Weiber, die ohne Schutz dastehn, ganz preisgegeben dem Sturm und Unwetter der Verleumdung. Da Ihr so ganz ohnmächtig seid, und Euer kleines Haus Euch kein Asyl geben kann, so müßt Ihr Euch durchaus unter den Schutz eines Großen stellen. Doch ist der tugendhafte Farnese, der jetzt der Gewaltigste wäre, ganz von Euch abgefallen.«
»So bleibt uns nur«, rief Vittoria aus, »der Palast des Herzogs von Bracciano übrig.
Das war auch mein Gedanke«, antwortete Caporale. –
»Wird er uns aber in dieser Bedrängnis aufnehmen, und seinen Namen preisgeben wollen?« –
»Ich komme von ihm her, meine Angst um Euch trieb mich zu ihm: er öffnet Euch seine Tür, und Ihr seid dort wenigstens für den Augenblick vor Schimpf und Gewalttat sicher.« –
Die Mutter irrte verwildert im Saal umher und rang die Hände. – »So wird es ja aber«, rief sie aus, »nur bestätigt, daß er der Urheber des Frevels ist, daß wir um ihn wußten und ihn bewilligten, daß meine Tochter seine Geliebte ist, daß ich Alte, Unglückselige, die Kupplerin vorstellte, und mein Jüngster, Flaminio, sich auch deswegen hat abkaufen und bezahlen lassen. Nun sind ja Ottavio und Farnese die Tugendhaften und wir die Verbrecher. O Himmel! Himmel! wie hart, wie grausam bestrafst du meinen Stolz, mit dem ich früher auf meine Kinder hinsah. Wohin, wohin hat uns das Notwendige, Gute, wohin das Schicksal geführt, daß wir nun in diesem ehernen Netze gefangen liegen, und alle unsre Glieder tödlich gelähmt sind. O du unbefleckter Ruf meines tugendhaften Hauses! – Es bleibt uns nichts als Verzweiflung und Untergang.«
»Fassung, Mutter«, sagte Vittoria in ihrer großartigen Weise; »das Nächste, Notwendigste müssen wir auch jetzt ebenso wie damals ergreifen. Konnt ich den Entschluß zu jener unglückseligen Vermählung fassen, weil es die unerbittliche Notwendigkeit [] so forderte, so kann ich mich auch jetzt diesem Zwange beugen. Verleumdung! befleckter Ruf! O wohl ist Ehre und guter Name ein unschätzbares Kleinod, aber Freund und Feind hat uns so in diese fürchterliche Enge hineingezwängt, so an die Felsen gedrückt, daß weder Vorschritt noch Rückweg möglich ist, daß ich mich gefangengebe. Nur sterben will ich nicht, nicht jetzt endigen, wie ich es ehemals vermocht hätte, weil ich das Leben kennengelernt habe, und weil ich es von der Zeit erwarte, die oft billig und selbst gerecht ist, daß sie mich und die Meinigen wieder läutre. – Wir nehmen also den großmütigen Schutz Braccianos an, und werden uns als Flüchtige in dieser Stunde noch in seinen Palast begeben.«
So geschah es. Farnese wütete, als er diese Kühnheit erfuhr, weil er geglaubt hatte, weder der Herzog noch die eingeschüchterte Familie würde eines solchen Entschlusses fähig sein: er hatte gehofft, die armen Unterdrückten würden ohne alle Bedingung seiner Gnade und Gewalt anheimfallen müssen.
Bracciano war auf eine gewisse Art erfreut, die Geliebte in seinem Hause und Schutze zu wissen, doch täuschte er sich auch nicht über die Gefahr, der er selber ausgesetzt sei, wenn die Regierung jede Rücksicht fallenlasse und die Untersuchung mit Strenge auf das Äußerste treibe. Indessen sprach er Vittorien Mut ein und verhieß, daß er alle seine Gewalt daransetzen wolle, daß nichts Schreckliches eintreten könne.
Die Gerichte durften es nicht wagen, seinen Palast zu betreten, aber der Governador erschien selber bei ihm, um Vittoria zu dem geistlichen Gericht der Kardinäle vorzuladen.
Im Saale des Vatikans hatten sich die Richter versammelt. Voran als Präsident der Kardinal Farnese, ihm zunächst Karl Borromäus und Ferdinand der Medicäer. Noch waren andre Kardinäle und Bischöfe zugegen, so wie einige Schreiber und Richter der Kurie. Man wollte vorläufig die Angeklagte und scheinbar Schuldige verhören, um nach den Aussagen und Bekenntnissen nachher den eigentlichen Prozeß zu beginnen. Durch Protektion war es dem Ritter Carre gelungen, auch bei diesem Verhör zugelassen zu werden, denn er war sehr begierig, diese Vittoria, von der ganz Rom sprach, über welche die Aussagen so verschieden lauteten, persönlich kennenzulernen.
Alle erstaunten, als sie statt einer Trauernden, Demütigen, die sie erwartet hatten, die hohe Gestalt im vollen Glanz ihrer blendenden Schönheit stolz hereintreten sahen. Sie hatte sich in ihre reichsten Gewänder gekleidet und ein köstlicher Schmuck [] schimmerte von Hals und Nacken. Farnese erschrak fast, denn er gestand sich, daß er diese blasse Schönheit noch nie in so erhabenem Reiz gesehn habe.
»Auf diese Weise«, begann Borromäus, »erscheint Ihr, die Sündige, in dieser erlauchten Versammlung? Statt trauernde Witwe, wie eine reichgeschmückte Fürstenbraut, statt der büßenden Magdalena, eine heroische Judith? Ist das Eure Reue und Zerknirschung? Wollt Ihr auf diese Weise den zürnenden Schatten Eures Gemahls versöhnen?«
»Wäre ich die«, antwortete Vittoria stolz und mit fester Stimme, »für die ihr, die sich meine Richter nennen, mich ausgeben möchten, so hätte ich schon lange vorher mit kluger und berechneter Heuchelei meine Witwenschleier und schwarzen Trauergewande fertig und bereit gehalten, um mit verhülltem Antlitz, mit nachschleifendem Krepp und Tränen im Auge euer Mitleiden und Wohlwollen zu erschleichen – aber Schreck und Kummer haben mich so plötzlich überrascht, daß ich so künstlicher und hergebrachter Anstalten vergaß und mich lieber schmückte, weil dieser Tag meine Unschuld an das Licht bringen soll.«
Ohne einen Wink oder die Erlaubnis ihrer Richter, nahm sie den Sessel ein, der allein noch unbesetzt im Saale stand.
Einer der Richter erhob sich und las mit lauter Stimme die Anklage vor. Er erzählte die Vermählung des jungen Peretti, der den gütigen Oheim vermocht habe, ihn, der so größere Ansprüche hatte, mit einer nicht reichen, aber schönen Dame zu vereinigen, welche er leidenschaftlich liebte. Vittoria aber habe sich niemals dankbar bezeigt, sondern den Gemahl immer nur mit Kälte behandelt Sie habe es vorgezogen, statt eines einsamen, stillen Lebens, wie es ihr als der Nichte eines frommen Kardinals gezieme, ihr Haus zu einer poetischen Akademie, zum Sammelplatz von Fremden und Vornehmen zu machen, um hier in Vorlesung, Dichtkunst, Musik und Gesang, sowie sonderbaren und ärgerlichen Gesprächen, die sich für philosophisch ausgaben, zu schwelgen. Sie und die Mutter hätten den jungen Gemahl so sehr vernachlässiget, daß sich dieser am wohlsten außer seinem Hause befunden habe.
Seinen Freunden habe er oft geklagt, wie sehr es ihm empfindlich falle, daß er in seiner eigenen Familie zurückgesetzt werde. Nun sei plötzlich dieser Jüngling in der Mitternacht auf ebenso schreckliche als verräterische Weise ermordet worden. Lange habe man schon davon geflüstert, daß diese Vittoria ihren Mann loszuwerden wünsche, um vielleicht eine andre noch vornehmere [] Ehe zu schließen. Schon einmal sei der verfolgte Peretti von einem Valentini fast tödlich verwundet worden. Seit lange sei ihr älterer Bruder, der ehrwürdige Bischof Ottavio mit der Schwester und Mutter in Zwist und habe sie fast niemals besucht, dagegen sei der zweite Bruder Marcello, der Mörder und Bandit, oft im Hause versteckt gehalten worden. Dieser Marcello habe in jener Nacht durch einen Vertrauten den Signor Peretti nach jenem Mordplatze beschieden: dieser Vertraute, Mancini, habe ausgesagt: noch beim Abschiede in jener Nacht habe die junge Gemahlin dem Manne, der zum Tode bestimmt war, laut ihre Verwünschungen nachgesendet. Die Mutter, Donna Julia, habe das tödliche Komplott mit Klugheit geführt, und Ursula, die alte Amme, sei Mitwisserin der Bosheit. Die Mörder seien alle, wie dieser Mancini aussagte, entflohen, der eine von ihnen ein Untertan eines großen, mächtigen Herrn, den er aber nicht nennen könne und wolle. Valentini habe aber seitdem geschrieben, daß er auf Anstiften die Tat verübt habe. Was sei also wahrscheinlicher, als daß dieser Marcello, der offenbar der Mitwisser des Mordes sei, wo nicht das Haupt des abscheulichen Komplotts, mit der Schwester Vittoria vereinigt, um den im Wege stehenden unglücklichen Peretti zu entfernen, mit dem ruchlosen Bruder und der gottlosen Mutter für die Mörder anzusehn seien.
Jetzt erhob sich vor dem Saale ein lautes Geräusch. Die Türen wurden gewaltsam aufgerissen, ein großer starker Mann stieß mit Ungestüm die Diener zurück und trat stolz herein. Es war der Herzog Bracciano, in seiner reichsten und kostbarsten Fürstenkleidung, mit allen Orden geschmückt und Ketten und Juwelen auf der Brust, sowie glänzende Steine am Hut. Er verneigte sich nachlässig, als er hereintrat.
Vittoria ward rot, als sie ihn erkannte, senkte dann das Haupt und lächelte still in sich. Die Kardinäle waren bei dieser unvermuteten Erscheinung verlegen, und einer der Richter erhob sich in ängstlicher Eile, um für den Fürsten einen Sessel zu suchen. Er fand keinen und näherte sich Vittorien, als wenn er ihr bedeuten wollte, aufzustehen und dem Höheren Platz zu machen. Sie sah ihn nicht an und blieb ruhig, worauf er Miene machte, als wolle er sie vom Sessel aufheben. Da eilte der Herzog herbei, faßte mit starker Hand den Arm des Richters, führte ihn nach seinem Sitze zurück und drückte ihn hastig und gewaltsam auf diesen nieder. Hierauf nahm er eine Art Fußbank, oder kleinen Schemel, der im Winkel stand, trug ihn in die Mitte des Saals, legte seinen kostbar gestickten Mantel ab, breitete diesen [] über das demütige Brett und setzte sich darauf, ohne im mindesten seine stolze Miene zu verändern.
Jetzt erhob sich Vittoria und trat vor ihre Richter. Sie vermied es, Farnese anzuschauen, der über ihre Gegenwart halb verlegen und halb erfreut war. »Wie schmerzt es mich«, begann sie mit fester Stimme, »in dieser hochehrwürdigen Versammlung den tugendhaften Montalto zu vermissen, dem ich vertraue, der mich einst liebte, in dessen Gegenwart, von seinem Blick befeuert, es mir noch leichter sein würde, alle diese leeren gehaltlosen Anklagen niederzuschlagen, und diese Verleumdung wie Staub von mir zu schütteln. Meine ehrwürdige, tugendhafte Mutter, die ihr ganzes Leben nur ihren geliebten Kindern zum Opfer gebracht hat, die von allen Freunden und Bekannten verehrt wurde, diese eine Mörderin? Und wofür? Weshalb? Hat sie je Rang und Größe auf niedrige, oder gar schändliche Weise zu erringen gesucht? Ihr ganzes Leben mit allen seinen Aufopferungen spricht für das Gegenteil. Ich darf wohl daran erinnern, denn die Sache ist ja stadtkundig, wie weder ich noch sie den Bewerbungen jenes jungen, reichen und mächtigen Luigi, der sich sogar Gewalttätigkeiten erlauben wollte, nachgab oder entgegenkam. War es uns denn um Glanz und Reichtum zu tun, so wurde er uns ja hier gewissermaßen aufgedrungen. Der große ehrwürdige Kardinal Farnese hat meine tugendhafte Mutter seit vielen Jahren gekannt, ja ich darf es sagen, ohne seine Würde zu kränken, er ist immerdar ihr wahrer Freund gewesen, und hat es niemals an Beweisen der Achtung und des Vertrauens fehlen lassen. Er mag jetzt dreist und entschlossen sagen, ob er diese abgeschmackte Anklage auch nur für möglich hält. – Ja, ich nenne sie abgeschmackt, und die hohe Versammlung verzeihe mir diesen Ausdruck, denn ich finde kein andres Wort für diese unzusammenhängenden, sich widersprechenden Aussagen. Sei es, ich liebte Peretti nicht; – weiß denn der fromme, tugendhafte Borromäus, oder der hohe Medicäer, ob ich irgend Ursach hatte, diesen Mann zu lieben? Hat er mich geliebt? War er ein treuer Ehegatte? Hat er mich nicht vielleicht tödlich verletzt und beleidigt? Doch ich will nicht anklagen, wenn ich auch meinen Wandel nicht zu rechtfertigen brauche. – Mein unglücklicher Bruder Marcello – ja dieser ist das Unglück, der wahre Schmerz meines Lebens – wenn er mit den Mördern, wie es scheint, in Verbindung war, wenn er sie vielleicht führte – so ist es doch unbegreiflich, wie auf ein dunkles Wort von ihm, Peretti so wahnsinnig sein konnte, nach dem Ort der Bestimmung zu eilen. Er muß diesem Marcello also [] doch unbedingt vertraut haben, er muß sein Herzensfreund, sein Verbündeter, wer weiß zu welcher Freveltat gewesen sein. Und ich, die ich erst spät erfuhr, die ich mich entsetzte, als ich es vernahm, daß Marcello von Peretti oft in unserm Hause versteckt gewesen sei: ich soll gegen meine Ehre, Wohlfahrt und Leben ein solches Komplott geleitet haben? – Ja, ich bekenne offen und laut: verwünscht habe ich diesen Peretti, als er in jener furchtbaren Nacht, trotz aller Bitten und Warnungen von uns eilte, als meine ehrwürdige Mutter, wie wahnsinnig vor Schmerz, weinend und schluchzend seine Knie umfaßte und er sie zurückstieß. – Man stelle doch diesen elenden, verächtlichen Mancini mir gegenüber, er wiederhole, Auge im Auge mir, jene furchtbare Anklage – ich weiß, ich behaupte es, er wird vor meinem Blick zuschanden werden, der Verächtliche, er wird meine Anrede und Frage nicht ertragen können. Man rufe den Valentini herbei, der jenen Brief soll geschrieben haben. Und dann – wenn ich denn dahin gezwungen werde – werde ich auch statt Abbitte und Bekenntnis eine Anklage anregen können, die vielleicht den Dreistesten und Übermütigsten, der sich so sicher dünkt, in Verwirrung, ja Betäubung versetzen möchte. Ich habe erfahren, was in jener Nacht vorfiel, als der arme, berauschte Peretti in sein Haus früher von jenem Festino zurückkehrte, als er uns gesagt hatte; vielleicht läßt es sich wahrscheinlich machen, daß diese Nacht das Vorspiel zu jener trübseligen war, die wir alle beklagen.« –
Die letzten Worte hatte sie an den Kardinal Farnese gerichtet, jetzt ging sie ganz nahe zu ihm, und sah ihn fest mit jenem durchbohrenden Blicke an, dessen Feuer noch niemand hatte ertragen können. Der Alte ward sichtlich verwirrt, er erblaßte, er wollte sich zusammenfassen, und man bemerkte das Zittern seiner Hände. Borromäus und Medici, als aufmerksame Beobachter, sahen alles und errieten noch mehr; sie ahneten jetzt, daß die traurige Begebenheit ganz anders zusammenhänge, als man ihnen hatte vorspiegeln wollen. Borromäus ward sogar beschämt, und der Medicäer beschloß, die Sache so zu wenden, wie er es schon vor der Sitzung bedacht hatte, die nicht stattgefunden, wenn der fromme erzürnte Papst nicht mit zu großem Ernst sie verlangt hätte.
»Und meine Lebensweise«, fing Vittoria wieder an: »also soll es verdächtig, tadelnswürdig sein, sich mit Poesie und Philosophie zu beschäftigen? Mit Fremden, einem Tasso, Caporale und berühmten, edlen Männern, wie dem ernsten Greise Sperone, zu verkehren? Ärgerliche Gespräche? Wen haben sie geärgert?
[] War dies alles doch die einzige Ursache, wie er es selber hundertmal erklärt hat, daß der große Farnese unsre Familie so fleißig besuchte. Sind denn etwa geschminkte oder berüchtigte Buhlerinnen zu uns gekommen, wie es doch an so manchen Höfen geschieht, die dort geduldet, ja bewundert werden, die herrschen dürfen, – So mag nach meiner Rechtfertigung, die ich, wenn ich muß, noch viel bestimmter aussprechen kann, die Versammlung über mich beschließen.«
Es war nicht zu verkennen, daß alle in Verlegenheit waren, denn sie hatten einen ganz andern Ausgang erwartet. Es schien auch dem Befangensten einzuleuchten, daß nur die Tugend so stolz und dreist sprechen könne. Man vermutete, daß ein andres, schlimmeres Geheimnis hinter diesem laure. Man sah, wie still und verlegen, fast demütig, der großherzige Kardinal Farnese war, der in seiner triumphierenden Schadenfreude erst dieses Verhör am eifrigsten gefordert hatte. Auch dem nicht Scharfsichtigen fielen jetzt die Widersprüche in der sonderbaren Anklage auf und alle waren still und sahen vor sich nieder. Man wußte ja, wie oft Zeugen oder Verbrechern Worte in den Mund gelegt wurden, um ihnen auf diesem Wege ihre Verzeihung zu erleichtern, um irgendeinem Gegner zu schaden. War doch auch der elende Mancini, der auf der scharfen Folter alles sollte ausgesagt haben, schon freigelassen, man hatte ihn nur verwarnt, das römische Gebiet bei Todesstrafe niemals wieder zu betreten. Wußte man denn die Summe, die er vielleicht von jenen erhalten hatte, denen seine Entfernung notwendig war? Valentinis Selbstanklage hatte noch weniger zu bedeuten.
Ohne daß es mit einer Silbe ausgesprochen wurde, hatte Vittoria schon einen vollständigen Sieg erfochten, worüber der Engländer entzückt war, den die schöne große Frau und ihre heroische Entschlossenheit begeistert hatte. Jetzt erhob sich der stolze Bracciano und wendete sich, nachdem er alle durch eine Verbeugung begrüßt hatte, an den Kardinal Farnese, der sich die Miene gab, als wenn er tiefsinnig in seinem Gedenkbuch etwas Wichtiges einzeichnete.
»Ihr, verehrter Freund«, sprach Bracciano mit lauter Stimme, »werdet also, wie die edle Witwe wünscht, ihre Tugend und Unschuld am besten und kräftigsten bezeugen können. Soll Euer Stillschweigen nicht für Lossprechung gelten, oder verlangt der Heilige Vater und das Kollegium der Kardinäle die Fortsetzung des Prozesses, so erkläre ich hiermit, daß ich imstande bin, den wahren Mörder anzuzeigen, was ich auch gewiß tun werde, wenn [] man mich zum Äußersten zwingt. Aber zum Äußersten, ich wiederhole es, werde ich dann getrieben. Alle meine Macht, Mannschaft, mein Ansehn, meine Reichtümer, meinen Einfluß werde ich dann rücksichtslos daran strecken, mit meinem Gut und Blut eine verleumdete Unschuld zu verteidigen und zu erretten. Es komme dann, was kommen mag, und meine Gegner mögen sich dann selber die möglichen Folgen zuschreiben. Dann eröffne ich aber zugleich, wie und wo ich es erfahren habe, wozu dieser arme Peretti von einem großen, mächtigen Manne gemißbraucht werden sollte; wird dies weltkundig, so steht es dahin, ob noch irgend jemand, selbst der edle Oheim, das Schicksal des Unglücklichen sonderlich bedauern würde.«
Alle verstummten, und sahen nach Farnese, der heftig in sich kämpfte, seine Fassung nicht völlig zu verlieren. Er war vernichtet, denn was Vittorias Rede nur angedeutet, sprach der Herzog deutlich aus: daß er selbst in jener Nacht die schändliche Abrede angehört hatte. Mit einem stolzen Gruß wendete sich Bracciano nach der Tür. Einer der Schreiber eilte ihm nach und sagte demütig: »Exzellenz, Ihr habt Euern Mantel vergessen«; er machte Miene, ihn herbeizuholen. »Kind«, sagte der stolze Mann, »was kümmert dich das? Laß liegen, ich bin es nicht gewohnt, die Stühle, auf denen ich sitze, mit mir zu nehmen.« – So verließ er den Saal. –
Jetzt erhob sich Farnese, und sagte, indem er die Versammlung eilig verließ: »Ich bin in meinem Gewissen gezwungen, alles das zu bestätigen, was der edle Herzog oder die verständige, tugendhafte Witwe selbst ausgesagt haben, ich halte sie für völlig unschuldig, und erkläre, daß wir durch falsche Angeber sind getäuscht worden.«
Der Medicäer erhob sich hierauf und sprach: »Vittoria Accorombona, verwitwete Peretti, wir sprechen Euch hiermit jedes Verdachtes an dem Morde des Gemahls frei, los und ledig. Aber in dieser unruhigen Zeit, verfolgt von mächtigen Feinden, wie Ihr es seid, bedrängt von gewalttätigen Bewerbern, die, wie Ihr selber wißt und ausgesagt habt, keine Mittel scheuen, selbst die schrecklichen nicht, ist es unsre Pflicht, Euch auf einige Zeit von der Welt abzusondern, um Euch Sicherheit zu gewähren. Daß Euer kleines Haus Euch diese nicht verleiht, daß es nicht ziemlich ist, länger im Palast des Herzoges zu verweilen, muß Eurem hohen Verstande selber einleuchten. Der Governador in eigner hoher Person, der Neffe und weltliche Stellvertreter unsers Heiligen Vaters, hat Euch die Ehre erwiesen, Euch hierherzuführen, [] er wird Euch gleichfalls zurückbegleiten, und Euch einen Teil seiner eignen Wohnung, zum Schutz, in Castell Angelo anweisen. Nicht als Gefängnis bezieht Ihr diese Burg, sondern als wahres Asyl, um Euch wie vor Verleumdung, so auch vor persönlichen Angriffen zu schützen. Der Heilige Vater wird sich auch erweichen lassen, und Euch die völlige ungehemmte Freiheit wiedergewähren, die Ihr scheinbar nur auf einige Zeit verliert, wenn sich alle diese ungestümen Wogen verlaufen haben.«
Im Vorsaal empfing der Governador die Losgesprochene und führte sie nach der Engelsburg, wo sie mehrere Zimmer bewohnen sollte, um weder Bracciano, noch andre ihrer Freunde oder Feinde auf einige Zeit zu sehn.
Als im Palast der Medicäer der Kardinal Fernando und der Ritter Carre angekommen waren, sagte der letztere: »Diese herrliche Frau sollte die Königin eines großen Reiches sein.«
»Man sagt«, erwiderte der Medicäer, »daß sie sich schon jetzt mit Bracciano verlobt habe. Sei sie übrigens unschuldig, so darf doch unsre Familie diese unkluge Ehe nicht zugeben, damit die rechtmäßigen Kinder nicht in der Erbschaft verkürzt werden Diese Mißheiraten haben schon Unglück genug hervorgebracht Ich zitterte, daß sie mir von meiner jetzigen Schwägerin, Bianca Capello sprechen würde. Aber die Frau ist hochbegabt und verständig.«
[]Es schien, als sollte in Rom und dem Kirchenstaate mehr Ruhe einkehren und doch zeigte sich plötzlich eine Landplage, die schlimmer, als alle früheren, auch noch das gemeine Volk drückte und es zur Verzweiflung brachte. Eine Hungersnot brach ein, so gewaltig und furchtbar, wie man sich keiner ähnlichen erinnern konnte. Es war dem Armen, dem gemeinen Manne unmöglich, das zu erschwingen, was nur das gewöhnliche Brot, die alltäglichsten und wohlfeilsten Nahrungsmittel kosteten. In solchem Elende wird der Mensch zum Tier und es läßt sich nichts erdenken, was der aufgereizte wütige Pöbel dann nicht für erlaubt hält: jede Schranke erscheint ihm dann als Grausamkeit, und jedes Gesetz als Willkür und Wahnsinn.
Alle Welt entsetzte sich vor den Greueln, die jetzt täglich und stündlich zur Sprache kamen. Auch dem Feigsten zwang Notwehr und Verzweiflung die Waffen in die Hand. Man raubte und stahl, man ermordete sich am lichten Tage, vor aller Augen, und die Gerechtigkeit war viel zu schwach, diesen Abscheulichkeiten Einhalt zu tun.
Öffentlich zogen die Banditen in großen Scharen durch die Stadt. Die Großen quartierten sie in ihren Palästen ein, unter dem Vorwand, daß sie ohne diese Bewachung ihres Lebens nicht sicher sein würden. Sooft der Kardinal Farnese ausfuhr oder ritt sei es zum Besuch, sei es zu Geschäften, so begleitete ihn zum Schutz ein Heer gemieteter und bewaffneter Banditen, deren Anblick so schreckerregend war, daß alle Welt mit Entsetzen vor ihnen floh. Auch die verschiedenen Parteien dieser Banditen gerieten zuweilen in den Straßen der Stadt ins Handgemenge, und nicht selten blieben die Erschlagenen auf den Plätzen liegen.
Der alte Papst war in Verzweiflung, als er diesen Unfug mit jedem Tage mehr anwachsen sah. Er fühlte die Abnahme seiner Kräfte und sein herannahendes Ende. Er vergoß bittere Tränen, daß alle Versuche, dem furchtbaren Unheil und der Verzweiflung des Volkes Einhalt zu tun, vergeblich waren. Alle Klugen und Verständigen seiner Umgebung, alle Entschlossenen sprach er [] um Rat und Hülfe an. Borromäus und der Medicäer rieten; aber alle Mittel, die versucht und aufgeboten wurden, waren zu schwach. Diese furchtbaren Banditen wurden von Grafen und Baronen angeführt, die sich verarmt und verzweifelnd zu ihnen geschlagen: sie machten aus Raub und Mord und bezahlter Rache ein ehrenvolles Gewerbe, und da sie von den größten Baronen, Herzogen und Kardinälen in der Stadt öffentlich beschützt und als Freunde anerkannt wurden, so überstieg, wie es begreiflich ist, ihre Frechheit alle Grenzen.
Auch der Sohn des Papstes, Buoncompagno, der Governador von Rom, suchte seinem ehrwürdigen Vater zu helfen und ihm Rat zu erteilen. »Glaubt mir«, sagte dieser in einer traulichen Stunde zu ihm, »dieses Übel ist mehr in der Stadt, als außerhalb der Mauern. Diese Frevler und freien Banden sind alle miteinander einverstanden, sie werden dadurch reich, daß unsre armen Römer des Hungertodes sterben. Sie streifen bis vor die Tore Roms und nehmen den Landleuten die Lebensmittel, Mehl, Korn, Gemüse, alles, was diese zur Stadt führen. Dann lassen sie es durch die Ihrigen zu ungeheuren Preisen auf den Märkten verkaufen. Das Volk weiß es auch, und lästert nicht diese Bösewichter, sondern die schwache Regierung. Es ist keine andre Hülfe, wir müssen einmal mit Strenge, Gewalt, ja, wenn es nicht anders möglich ist, mit Grausamkeit einschreiten. Die meisten Paläste sind mit diesem Raubgesindel angefüllt, sie wohnen sicher darin, wie in Festungen, machen ihre Ausfälle, plündern, morden und kehren öffentlich in diese zurück.«
Der Papst war selber schon längst dieser Überzeugung gewesen. Jetzt ließen er und der Gouverneur den Obersten der Häscher Roms, den Barigell Bozela zu sich entbieten. Ihm ward strenge anbefohlen, alle Häscher um sich zu versammeln, neue anzuwerben, und sie zu bewaffnen. Sein Auftrag war, alle Banditen, die sich betreffen ließen, in der Stadt zu ergreifen, und diejenigen, die sich in den Palästen versteckt hielten, aus diesen mit Güte oder Gewalt herauszunehmen, weil die Gerechtigkeit des Asyls diesen Häusern schon längst von den Päpsten genommen sei, es also nur ein schädlicher Mißbrauch heiße, wenn die Adlichen unter diesem nichtigen Vorwande Mördern und Räubern einen Zufluchtsort gestatten wollen.
Der Barigell folgte dem Befehl, und man hoffte, jetzt dem Übel gesteuert zu sehn. Die Hungersnot ließ endlich nach, aber aus dieser Maßregel erzeugte sich neues Unglück.
Man hatte wiederum mit dem berüchtigten Piccolomini [] kapitulieren müssen, der die zahlreichsten Banden, viele Herren und Edelleute unter ihnen, führte, und mit Rom in einem förmlichen Kriege begriffen war. Er zog sich wieder in das florentinische Gebiet zurück, dankte für jetzt viele seiner Söldlinge ab, und versprach, sich ruhig zu verhalten.
Auch mit andern Anführern wurde unterhandelt, und so konnte Rom wieder etwas freier atmen, allgemach fiel wieder der hohe Preis der Lebensmittel, und man hoffte auf Ruhe.
Jetzt glaubte man sich kräftig genug, um mit jenen Banditen, die zu Zeiten sich in Rom selbst aufhielten, dreister verfahren zu können. Es war ein Haus ausgeraubt, einige der Frevler waren gefangen worden und andre hatten sich in den Palast des Raimund Orsini gerettet, um hier eine Zuflucht zu suchen. Der Barigell, der durch die neuesten Vorfälle mehr Mut bekommen hatte und der durch den strengen Befehl des Governador, wie des Papstes, bevollmächtigt war, drang mit seinen Häschern in das Haus, um die Flüchtlinge zu fordern und in das Gefängnis zu führen. Der Graf war abwesend und mit einigen Freunden auf einem Spazierritt begriffen. Die Diener weigerten sich, die Banditen herauszugeben und beriefen sich auf das Recht des Asyls und die Unverletzlichkeit des Hauses. Der Anführer widersprach, das Recht sei längst aufgehoben und vernichtet, und kein Mensch dürfe sich seiner rechtmäßigen Obrigkeit widersetzen. Während dieses Streites und Zankes kam Graf Raimund mit seinen Genossen vom Spazierritt zurück. Der junge Mann war nicht ganz so wild und ungestüm, wie sein Bruder, Luigi, aber nicht minder stolz und hochfahrend, auf seinen Adel und die Hoheit seines Blutes eitel, und unfähig eine Beleidigung, oder was er die Verletzung seiner Rechte nannte, zu erdulden. Er erstaunte, den Obristen der Häscher mit seinem Gefolge in seinem Hause zu finden. Er zwang sich erst höflich zu sein, und erkundigte sich nach der Ursache dieses Besuchs. Der Barigell antwortete daß er auf allerhöchsten Befehl verschiedene Banditen verlange die der Graf ihm ausliefern möge.
»Ich erstaune, Mann, über Eure Dreistigkeit«, rief Graf Raimund: »habt Ihr vergessen, wem dieser Palast gehört, und wer ich bin? Dürft Ihr mein angebornes Recht so frech verletzen, und mit diesen Euren saubern Gesellen über die Schwelle meines Hauses schreiten?«
»Herr Graf«, rief ihm Bozela entgegen, »mein und Euer Gebieter ist der erlauchte Governador, von Seiner päpstlichen Heiligkeit gar nicht einmal zu sprechen. Auf deren ausdrücklichen [] Befehl bin ich hier, und so wie ich diesen allerhöchsten Gewalten Gehorsam leisten muß, werdet Ihr es auch.«
»Welche neue, nie erhörte Sprache!« rief der erbitterte Graf. »Woher diese Frechheit? Ich befehle Euch, augenblicks mein Haus zu räumen, und jene beiden Gefangenen sogleich in Freiheit zu setzen, wenn Ihr nicht meinen Zorn und Eure Züchtigung erfahren wollt.«
»Züchtigung?« schrie jetzt im Jähzorn Bozela. »Wer seid Ihr denn eigentlich, Ihr kleines Männchen, daß Ihr also sprechen dürft?«
Jetzt machte sich der eine Begleiter des Grafen, Rusticucci, auch ein junger Mann, herbei, sowie der dritte, Graf Savelli, ein Schwager Raimunds. Sie waren besorgt, daß Orsini sich in seinem Zorn vergessen könnte und ritten jetzt ganz nahe zu ihrem Freunde heran.
»Männchen?« schrie Raimund erbost, »wenn ich jetzt meinen Dienern dort befehle, Euch zu züchtigen, Unverschämter, so bekommt Ihr nur, was Euch gebührt. Dankt es meiner Mäßigung und Großmut, daß es nicht geschieht, weil Ihr meinem Zorne zu niedrig seid.«
Rusticucci wollte vermitteln, Savelli riet abzusteigen, aber schon hatte sich das Volk bei dem lauten Gezänk versammelt, und drängte sich an das Haus; die Diener, die sich im Palast befanden, waren durch die Häscher abgeschnitten von ihren Herren, und konnten nicht durchdringen, um diesen beim Absteigen zu helfen. So schrie jetzt alles durcheinander, und im Volksgedränge bemerkte man den alten gebrechlichen Montalto, der sich vergeblich bestrebte, die freie Straße zu gewinnen, um zur Kirche, die er besuchen wollte, hinzulenken. Nun hatte der Barigello auch schon alle Fassung verloren und schrie mit seiner donnernden Stimme: »Ihr, der Herr Raimund? Großmütig? Elender Wicht! Ihr seid selber ebenso schlimm, wie jenes Gesindel, denn Ihr beschirmt diese Räuber und Mörder, Ihr zieht Vorteil von diesen Landflüchtigen, Ihr seid ein Empörer und Rebell gegen Eure Obrigkeit und unsern Heiligsten Vater, und wenn ich wollte, so könnte ich Euch selber als Gefangenen in den Kerker werfen, und wenn ich es jetzt nicht tue, so bin ich, als Amtsverwalter der Großmütige gegen Euch!«
»Nichtswürdiger Hund! Bestie!« schrie der Graf, von Wut ganz außer sich: »die Kanaille will wie ein Prinz reden.«
Und mit diesen Worten holte er mit der Reitpeitsche aus, und schlug von oben dem nahe stehenden Barigello so heftig über das [] Antlitz, daß dieser im ersten Augenblick glaubte, blind zu sein. Als der plötzlich reißende Schmerz, der ihn betäubt hatte, entwichen war, sah er sich nach seinen Leuten um, winkte, und auf dies früher verabredete Zeichen donnerten zehn Schüsse aus den scharf geladenen Doppelhaken. Ein Schuß ging dicht dem Kardinal Montalto vorüber; entsetzt sprang das Volk auf die Seite, die Straße ward für den Augenblick frei. Der junge Rusticucci lag, aus der Brust blutend, seinem Rosse hintenüber, er griff ohnmächtig mit den Händen auf die Steine, als wenn er sich aufrichten wollte, das Pferd schlug hinten aus, sprang seitwärts und schleppte ihn eine Strecke über das Pflaster, bis er als Leiche niederfiel. Graf Raimund war totenbleich, er blutete stark, auch in die Brust getroffen, seine Leute hoben ihn vom Roß und trugen den Ohnmächtigen nach seinem Zimmer, andere Diener rannten nach Ärzten. Savelli hing über den Hals seines Pferdes vorn, er nannte wimmernd den Namen seines Schwagers, Luigi Orsini; ein Stallmeister empfing ihn in seinen Armen, und da er ebenfalls ohne Besinnung war, ward er auch, indem er viel Blut verlor, in den Palast getragen.
Ein stummes Entsetzen hatte sich des Volkes bemächtigt. Aber, sosehr diese geringen Menschen vom Adel waren gequält und mißhandelt worden, so betrachteten sie doch mit Grauen diese blutige Tat der Häscher. Die Jünglinge, die so schmählich endigen mußten, dauerten sie so sehr, daß sie Tränen vergossen, und sich nicht fassen konnten, wie sie mit ihren Augen etwas so Ungeheures erlebt und gesehn hatten, was ihnen selbst nach der Tat als etwas Unmögliches erschien.
Der Barigell führte mit seinen Häschern die Gefangenen triumphierend in das Gefängnis, denn es fiel im Hause keinem mehr ein, die Banditen zu verweigern, da sie vollauf mit ihren sterbenden Gebietern zu tun hatten.
Vittoria lebte völlig einsam und zurückgezogen, aber nicht als eine Gefangene im Kastell. Ihre Zimmer waren angenehm geschmückt, zwar nur mit einer Aussicht in den innern Hof, aber doch nicht unerfreulich. Der Gouverneur besuchte sie zuweilen, und zeigte ihr die größte Hochachtung, dessen Lieutenant Vitelli, ein jüngerer Mann mischte einige Zärtlichkeit, ja Leidenschaft in den Ausdruck seiner Verehrung, weil er von der Schönheit Vittorias, die er früher noch niemals gesehn hatte, bezaubert war. Sie verstand recht gut, daß diese Gefangennehmug, [] wie sie es mit allem Anstand doch war, sie vom Herzog trennen solle, damit nicht geschehe, was die Familie und auch die Medicäer fürchteten, daß er sich mit ihr vermähle, und so auf neue Erben viele von den Gütern der Bracciano übergehen möchten. Da sie aus dem ihr angedrohten Prozeß mit Triumph geschritten war, so überließ sie der Zeit, ihr künftiges Schicksal zu entwickeln. Sie war jetzt damit zufrieden, daß sie die Verlobte des Mannes war, den sie verehrte und liebte.
Daß ihre Mutter, wie man ihr sagte, nicht wohl sei, betrübte sie innigst, da es ihr unmöglich war, sie zu pflegen und zu trösten. Sonst wies sie alle Besuche, die zuweilen die Erlaubnis des Governadors erhielten, zurück; denn da sie den Herzog Bracciano nicht sehen sollte, er auch keinen Versuch machte, bei ihr einzudringen; so wollte sie kein anderes menschliches Angesicht schauen, außer ihre Wächter und die alten Freunde ihrer Kindheit, Guido und Ursula, welche sie mit sich genommen hatte.
Bracciano hatte dem Papst und dem Medicäer versprechen müssen, jetzt seine Verbindung mit Vittorien aufzugeben. Unter dieser Bedingung hatte man die Anklage fallenlassen, die Gerüchte unterdrückt, keine andre Zeugen verhört, und Vittoria selbst auf anständige Weise bewacht. Bracciano sah ein, daß, wenn er nicht nachgäbe, und zum allgemeinen Ärgernis unmittelbar nach des Gatten Tode sich mit der Witwe vermählte, der verletzte Papst unerbittlich, seine Familie unversöhnlich sein und er alle Gunst des Volkes verlieren würde. Alles, was boshafte Feinde gegen die Accoromboni aufbringen konnten, erhielt dann eine große Wahrscheinlichkeit, und da nur die äußere Tatsache erschien und die innersten geistigen Ursachen, das moralische Getriebe verborgen bleiben mußten: so setzten sich beide dem allgemeinen Abscheu aus, und es entstand dann die Frage, ob der Herzog, trotz seiner Stellung, mächtig genug sei, der Kabale gegenüber Vittorien vor Schande, Einkerkerung, vielleicht gar schimpflichem Tod zu schützen, ja ob er nicht selbst, überwältigt, den Sturz teilen würde. So waren es denn doch die Umstände welchen diese beiden starken Naturen nachgeben mußten. Sie beugten nur ungern den stolzen Nacken, aber das Schicksal, das sie selbst herbeigerufen hatten, bezwang sie dennoch.
In dieser ruhigen, fast anmutigen Einsamkeit war alle Bitterkeit aus dem Gemüt Vittorias verschwunden. Sie erlebte jetzt den Zustand, in welchem auch der starke Geist sich nicht ungern einer unbedingten Passivität hingibt. Dies ist kein Verzagen, Sichaufgeben, oder ohnmächtiges Verzweifeln, sondern die Seele [] taucht sich willig, wie in einen erquickenden Schlaf, in ein behagliches Vergessen unter, um wieder neue Kräfte für andre, vielleicht nahe Stürme zu sammeln.
Nur einmal war ihr Zorn in seiner ganzen Stärke wieder aufgewacht. Der älteste Bruder, Ottavio, hatte sich, mit Erlaubnis des Gouverneurs, bei ihr melden lassen, und dringend ein Gespräch verlangt. Sie war nicht zufrieden damit, ihn kurz abzuweisen, sondern schickte ihm noch ein Billet, voll Bitterkeit durch den Diener, in welchem sie ihm von neuem seine Schlechtigkeit vorwarf. Man sagte ihr, daß er mit sehr bekümmerten Mienen sich entfernt habe.
Ganz Rom war in der heftigsten Bewegung. Der Adel, der das, was geschehn war, für Verletzung aller seiner Rechte, für Beschimpfung und gewalttätigen Mord erklärte, rottete sich in den Häusern, Straßen und auf den Plätzen zusammen; auch die Feindseligsten versöhnten sich und schwuren Rache und Vergeltung. Die Bürger verschlossen sich in ihren Häusern, weil sie einen gewaltsamen Ausbruch fürchteten. Die Regierung war ungewiß, was sie tun sollte, der Barigell war mit seiner Mannschaft allenthalben auf Wacht.
Es fehlte dem Adel nur ein Haupt, um die verschiedenen schwankenden Entschlüsse auszuführen, und zu diesem schwang sich durch Wut und ungebändigte Wildheit Luigi Orsini auf. Die alten Barone und Grafen, selbst der Geistlichen viele, billigten die Rache, von welcher alle durchglüht waren, wenn jene auch selber keinen tätigen Anteil nehmen wollten. Luigi war derjenige, welcher sich mit Recht von allen am meisten gekränkt fühlen konnte. Schon am folgenden Tage war Raimund, sein Bruder, so wie sein Schwager Savelli, an den Wunden gestorben sie wurden zugleich mit dem jungen Rusticucci mit großem Pomp und vielem Tumult und unter Geschrei und heftigen Reden beerdiget. Im Palast des Luigi hatten sich nach dem Begräbnis alle jungen Adlichen von den verschiedenen Familien versammelt. Die junge Gattin Luigis flehte umsonst. »Du hast es mir so feierlich versprochen«, sagte sie, »dich aller jener gewaltsamen Taten, aller jener Wildheit völlig zu entwöhnen, die deinen Namen so berüchtigt gemacht haben: ich habe deinem heiligen Wort vertraut und mein Schicksal an das deinige geknüpft; und [] nun sollen jene schadenfrohen Prophezeiungen meiner Feindinnen dennoch in Erfüllung gehn, daß du deinen grausamen Sinn niemals ändern könntest? Ich beschwöre dich, bleibe dieser abscheulichen Unternehmung fern, verweile bei mir, rate deinen jungen ungestümen Freunden ab, denn deine Stimme gilt alles bei ihnen. Wohin soll dieser Aufruhr führen? Und wenn du fällst? Wenn jene siegen und die Regierung dich bannt, oder gefangensetzt, oder gar –«
»Wie!« schrie er im wildesten Zorn, »dulden sollten wir es, wir Fürsten und Barone, daß diese gemeinen, elenden, feigen Söldlinge uns so ungestraft mordeten? Uns wie das Vieh hinschlachteten? Und wenn ich in Stücke gerissen werde, wenn Papst und Kardinäle und Rom untergehn, so müssen wir uns rächen. Dahin sollte es kommen, daß wir die Sklaven von Häschern würden? Und wir die Hände in den Schoß legen? O du bist keine Savelli, du bist das hochherzige Weib nicht, für das ich dich erkannt habe, wenn du mir im Ernst eine solche Niederträchtigkeit anraten kannst? Und wo ist die Gefahr? Du wirst sehn, wie leicht, wie schnell dies Gesindel von uns zertrümmert wird.«
Er verließ sie und sein Gemüt jauchzte. Er mochte wohl nur eine Gelegenheit, einen Vorwand erwartet haben, um seine Wut, die immerdar in ihm brannte, entzügeln zu können. Nun ward die versammelte Menge nach verschiedenen Palästen und Straßen gesendet und plötzlich stürzten die Jünglinge von verschiedenen Punkten, mit Schwert, Dolch und Schießgewehr bewaffnet, auf Plätze und Gassen hinaus. Orsini lief zuerst auf die Wacht zu, die der Barigell um sich versammelt hatte. Toben, Schreien, das Knallen der Gewehre, die Wehklage der Fallenden, alles erregte den zitternden Bürgern, die aus ihren sichern Häusern der Metzelei zusahen, Schauder und Entsetzen. Mancher der Edlen fiel, aber diese Hauptwacht war vernichtet; der Barigell, als er seine Leute fallen sah, entfloh mit wenigen Lebenden, die sich nach verschiedenen Richtungen zerstreuten.
Aus andern Straßen strömten dem blutberonnenen Luigi fliehende Häscher und ihre Verfolger entgegen. Alle diese Sbirren wurden überwältigt und grausam, schnell, unter Hohngelächter massakriert. »Welche Freude«, rief Luigi im Taumel zu seinen Begleitern, »welche Lust muß das vor zehn Jahren in Paris gewesen sein, als man auf diese Weise die Bartholomäusnacht feierte, als jedermann auf diese verdammten Hugenotten loshieb [] und stach, und von dem verruchten ketzerischen Blut heiß übergossen wurde!«
Wo sich nur ein Häscher zeigte, wurde er diesseit und jenseit der Tiber niedergemacht: es war keine Straße, die nicht vom Blute des Mordes befleckt wurde. Mancher Wandernde, der nicht in seinem Hause geblieben war, ward niedergestoßen, weil sich die Wütenden auf Frage und Antwort nicht einließen, und ihn für einen verkleideten Feind annahmen. Wo sich die Parteien der Rasenden begegneten, drückten sie einander die Hände, umarmten sich und frohlockten über ihr gelungenes Werk. – Allenthalben lagen Leichen, oder Sterbende, die sich in ihren Schmerzen krümmten und die klaffenden Wunden zu decken suchten. Aber nirgend war Mitleid.
Bracciano sah aus seinem hohen Gemach vieles von diesem Unheil und hatte es den Seinigen streng verboten, aus dem Hause zu gehn, und an diesem Mordfeste teilzunehmen.
Als Luigi schon die ganze Stadt durchraset hatte und von allen seinen Begleitern getrennt war, sah er noch einen Häscher in ein kleines Haus hineinspringen, um sich dort zu verbergen. Die Wohnung war ihm nicht unbekannt und er sprang dem Fliehenden nach. Dieser rann durch das Vorgemach und stürzte sich in eins der innern Zimmer: Luigi ihm nach mit dem geschwungenen Dolch. Unter ein Ruhebett wollte der Zitternde sich verkriechen, doch hatte ihn der Wütende schon ereilt, und stieß ihm den Dolch in die Brust. Ein Blutstrom, ein kurzes Röcheln, und er war verschieden. Nun erhob er den Blick und sah vor sich auf dem Ruhebette ein Wesen sitzen, das ihn entsetzte, sowenig er Furcht und Grauen kannte. Es war ein Weib, das ihm wie ein Gespenst erschien. Ein schwarzer Blick aus dem tief eingefallenen Auge fuhr stechend in das seine, die Wangen aschgrau und eingesunken, das greise lange Haar ungekämmt und ohne Ordnung über die Brust hängend, Nacken und Arme vermagert.
»Um des Himmels willen«, schrie Luigi, und schlug die Hände zusammen; »erst jetzt erkenne ich Euch, Ihr seid Donna Julia!«
»Und warum nicht?« antwortete sie mit heiserer Stimme: »irgend was muß der Mensch sein, und ich habe diese mühselige Rolle übernommen.«
»Ihr Ärmste!« rief Luigi innigst bewegt, »– also so weit ist es mit Euch gekommen? Wo ist nun Euer Glück? Wo die Bewunderer, die hier in diesem Zimmer Eure und Eurer Tochter Gedichte lobpriesen? Nicht wahr, die Vermählung mit diesem [] Peretti ist herrlich ausgegangen? Eure Klugheit hat Wunder ausgerichtet! Ist das die stolze, herrische Donna, die es damals wagte, mir so herbe Worte zu sagen? Die poetischen Werke Eures Übermutes haben wenig gefruchtet.«
»Eines Eurer schönen Werke«, antwortete sie, »habt Ihr mir hier überreicht« – sie wies auf den Leichnam – »und Euer Ende ist auch noch nicht gekommen – aber es wird – glaubt mir – die Stunde wird kommen, wo Euer Weib sich die Haare ausrauft, daß sie die Eurige ist: im dumpfen, engen, finstern Kerker werdet Ihr schmachvoll verscheiden, und Stadt und Land werden ein Jubelgeschrei anstimmen, daß der Bösewicht endlich sich seinen verdienten Lohn selbst herbeigeholt hat.« –
Mit Schauder verließ Luigi die Prophetin, indem er noch einmal das Zimmer musterte, in welchem er früher mit der hohen Jungfrau als Freund und Feind gewesen war, wo er noch zuletzt, als er zuerst Peretti erblickte, jene Zornworte ausstieß, die doch, sosehr die Familie Accoromboni gesunken war, sich nicht erfüllt hatten. –
Die Regierung Roms war in der größten Verlegenheit. Der alte Papst, von Natur ein weicher Mann, und ebenso schwach, hatte alle Fassung verloren. Ihn gereuten die Befehle, die er gegeben hatte, denn er hatte diesen Aufstand nicht erwartet, der noch gefährlicher werden konnte. Dazu ängstigten ihn Schadenfrohe, wie der Kardinal Farnese, der seine Befürchtung aus sprach, ganz Rom könne in eine allgemeine Empörung ausbrechen, und den Papst wie die Regierung zur Flucht zwingen, wenn sie sich nicht in Tod und Verderben begeben wollten, denn alle Bürger, auch die Landleute drohten, die Partei des Adels zu ergreifen.
Montalto, Ferdinand der Medicäer und Karl Borromäus waren im einsamen Zimmer versammelt, um diese Begebenheit zu besprechen. »Es ist keine Hülfe«, sagte Montalto, »der Heilige Vater ist allzu schwach, er hat keine Kraft, den übermütigen Adel zu bändigen. Er beweint den Befehl, den er kürzlich dem Oberhaupt der Sbirren gegeben hat.«
»Ja wohl«, sagte Fernando, »und er schmäht unsre Regierung, den Governador, den er doch so innig liebt und sich und uns alle, denn soeben hat er das Todesurteil für die wenigen Sbirren unterschrieben, die sich in seinen Palast geflüchtet haben, und er läßt sie als Empörer und Rebellen hinrichten, die sich gegen ihn und die Stadt eigenmächtig aufgelehnt haben. Wie muß nun der Übermut jener zügellosen Adelsjugend, dieses rohen Volkes wachsen, wenn ihnen der Souverain, vor dem sie zittern müßten, [] öffentlich so schimpfliche Abbitte tut, indem er diejenigen seiner Diener schmählich aufopfert, die nichts getan haben, als seinen Befehlen Folge leisten.«
»Es ist nichts mehr darüber zu sprechen«, fügte Borromäus hinzu: »der Barigell, ein braver mutiger Mann, hat sich nach der Grenze gerettet. Man hat schon hingesendet, um ihn ausliefern zu lassen, und ein peinlicher Prozeß soll ihn wegen Veruntreuung von Geldern, wegen einer geheimen Verbindung mit einem andern Obristen, einem gewissen Antonio in Subiaco, und Verrat und Einverständnis mit Banditen gemacht werden. Ihm wird auch der Kopf abgeschlagen, wegen veralteter undeutlicher Klagepunkte, weil man es nicht wagt, den Verständigen wegen des letzten Unglücks zur Rede zu stellen. So wird diesem jungen Volk geschmeichelt und allen Patrioten sowie dem Auslande unsre Schwäche aufgedeckt. Und werden denn diese grausamen Sühnopfer jene Unbändigen zufriedenstellen? Ich glaube es nicht. Man weist ihnen ja selber die Bahn an, auf welcher sie immer mehr und mehr fordern können. Ich fürchte noch Schlimmeres.« –
Vittoria saß indessen ruhig in ihrem behaglichen Gefängnis. Sie hatte, von dicken Mauern beschützt, selbst nichts vom Tumult in den Straßen, keinen Laut des wilden Geschreis, nichts von dem Gewehrfeuer vernommen. Während dieses Aufruhrs, indessen der Gouverneur, und Vitelli, dessen Stellvertreter, im stillen Anstalten trafen, das Kastell zu verteidigen, falls die Wütigen in ihrer Frechheit einen Angriff wagen sollten, schrieb und dichtete sie in ihrem stillen Zim mer. – Ist mir nicht sein Andenken, dachte sie, ein Paradies und Himmelreich? Er sinnt hierher, und ich sehe und höre ihn immer dar, denn seine Gedanken klingen in meinem Herzen wider.
Und bin ich nicht glücklich? Meine Feinde verstummt, ihre Angriffe zurückgeschlagen, meine Kerkermeister fein, artig, gefällig: jeder erlaubte Wunsch wird mir erfüllt, sowie ich ihn ausgesprochen habe. – Wie glücklich, ärmster Tasso, bin ich, wenn ich mein Schicksal an dem deinigen messe!
Zweimal hat dich dein böser Dämon zurückgejagt, nach dem verhaßten Ferrara. Alle Warnungsstimmen hörtest du nicht, das leise Flüstern deines Genius ward überschrieen von deiner Leidenschaft. Nun schmachtest du, Edelster, in dumpfer, finstrer, enger Zelle, preisgegeben den hämischen Launen deiner Wächter. Wenn du sinnst und dichtest, bist du vom Geheul der Wahnsinnigen betäubt, die in deiner Nähe hausen. Du, ein Tor, ein Wahnwitziger! Im Narrenhause festgehalten! Und die frech Blödsinnigen, [] die Aberwitzigen draußen in Freiheit, dich belachend, über dich spottend, wenn sie dem Kerker vorübergehn, höhnisch und mitleidig die Achseln zuckend. – Und jener schwatzende Malespina gibt verstümmelt sein Werk heraus, um dem Armen den letzten Trost zu rauben, eigenmächtig, ungefragt, und sendet es mir, das schöne und in diesem Zustand so traurige Werk, dem Götterbildnis ähnlich, dem Haupt und Arme fehlen – und der Schwätzer schreibt mir, daß es doch besser so getan sei, als wenn das Gedicht ganz verlorengehe; sein Herzog habe ihn zu der Herausgabe gedrängt. Bianca habe es auch so herzlich gewünscht. Mit Heeresmacht sollten die Guten ausrücken, um all die Tyrannei, die Aberweisheit, die schlecht verhehlte Schadenfreude, um alles dies Gewürm zu zertreten und zu zerstören.
Jetzt trat Vitelli, der Lieutenant, herein. Er erzählte Vittorien, nachdem die Ruhe scheinbar wiederhergestellt war, vom Tumult und Morde. »Jetzt hat der Heilige Vater«, beschloß er, »alle Faktionen durch die Opfer besänftigt, die er den Empörern gebracht hat.«
»O Luigi!« rief Vittoria aus, »dieser böse Geist, dieser Entsetzliche ist mir bekannt, und der Himmel wird es mir gewähren, daß ich sein Antlitz niemals wieder erblicke. In ihm ist Wut und Roheit verkörpert, und sein Wesen ist um so furchtbarer, weil er auch mit höflichem Gleißen den feinen Mann, den Galanten spielen kann. Wenn er am freundlichsten lacht, sinnt er auf das Abscheulichste.«
»Ihr eifert zu sehr, schöne Frau«, antwortete Vitelli, »dieser Luigi wird wohl, wie es bei den meisten Menschen der Fall ist, zu seinen Taten mehr durch die äußern Umstände, als durch seine innere Bosheit getrieben. Was die schlechten Menschen tun, darf man nicht immer ihrem Charakter zuschreiben. Wir sind einmal so in unsrer Schwachheit, daß wir vieles nicht unterlassen oder vermeiden können, wenn wir auch wollen. So, was jetzt der Heilige Vater und der verehrte Gouverneur haben tun müssen; sie beweinen den Schlag, zu welchem sie notgedrungen die Hand erheben. – Lebt wohl, der Papst hat mich rufen lassen.«
»Mann!« rief Vittoria geängstigt – »nach allem, was Ihr mir eben erzählt habt, nach diesen kürzlich verübten Greueln, werdet Ihr Euch doch nicht in den Straßen von Rom sehen lassen wollen? Laßt Euch warnen, Freund. Nein, Ihr geht heute nicht aus, der Papst wird Eure Entschuldigung annehmen, und der Gouverneur sollte es Euch verbieten, heute einen Fuß aus dem Kastell zu setzen.«
[] Vitelli lächelte und sagte: »Weiberfurcht!«
»So seid ihr Männer«, antwortete sie, »alle seid ihr so; – als wenn wir Frauen nur Wesen der Furcht und Bildnisse der Angst wären! Es gibt ein Zagen, das ebenso weise, als männlich ist: Tollkühnheit und Leichtsinn muß man nicht mit dem Namen Mut stempeln wollen. Bleibt heute in Euern Zimmern, wenn ich nicht Todesangst um Euch erdulden soll: denn ich sehe einen schwarzen, tückischen Geist hinter Euch stehn, welcher grinset und hohnlacht.« –
»Glücklich«, antwortete der junge Mann, »daß Ihr so warmen Anteil an meinem Schicksale nehmt.«
»O keine Phrasen!« rief sie aus; »zu dergleichen ist die Zeit allzu ernst. Wenn ich mir Euer sanftes Antlitz, Euer edles weiches Wesen diesem Luigi und seinen wilden Genossen gegenüber denke! Bleibt, mein Freund, wir wollen lesen und musizieren, Ihr habt dies Befreite Jerusalem, wie wir es nun einmal besitzen, noch nicht zu Ende gelesen. Seid nicht halsstarrig aus einer mißverstandenen Männlichkeit.«
Vitelli lächelte wieder, küßte ihr zärtlich die Hand und hüpfte zur Tür. »Auf Wiedersehn!« rief er zurück.
»Sie können nicht ernsthaft sein, diese Männer«, sagte Vittoria zu sich: »uns gegenüber soll immer Liebe und Zärtlichkeit gespielt werden, auch in Momenten, wo es völlig unziemlich ist. Auch das gehört zu den Drangsalen von uns armen Weibern, daß wir keinen echten, unbestochenen Freund unter den Männern finden können. Diese scheinbare Vergötterung, in demselben Augenblick, wo sie uns geringe achten. So dieser sanfte, liebenswürdige Vitelli. Für den Posten, der ihm von Vater und Großvater anvertraut ist, müßte er etwas mehr von einem Helden haben. Es gäbe keinen männlichen, echten Freund, so sagte ich eben? – o du guter, getreuer Caporale, wie muß ich bei dir abbitten!« –
Vitelli fuhr zum Papst, um dessen Befehle zu empfangen. Man wollte, da die Stadt wieder ruhig war, gegen die Banditen auf dem Lande, die ganze Städte eingeäschert hatten, mit Strenge verfahren. Nur war es bedenklich, daß nach diesem Tumulte kein Barigell und Häscher in den Provinzen sich wollte gebrauchen lassen: in der Stadt waren sie für diesen Augenblick alle vertilgt, und es war zu fürchten, daß sich neue zu diesem gefahrvollen Dienst schwerlich würden anwerben lassen. Man ratschlagte, ob nicht Banditen, denen man unbedingte Amnestie gewährte, am besten zu gebrauchen wären, um die Ruhe [] einigermaßen wiederherzustellen. Doch erschien dieser Versuch auch wieder allzu mißlich, weil sich dadurch die Regierung völlig in ihre Hände lieferte. Im äußersten Falle mußte man sich auf die bewaffneten Haufen, auf die Soldaten und selbst die wenigen Schweizer, sowie auf die Freiwilligen verlassen, die bei dringender Gefahr aufgerufen wurden.
Der Papst sagte endlich dem geliebten Vitelli Lebewohl. Er trat an das Fenster, um ihm nachzusehn. Vitelli bestieg seinen kleinen offenen Wagen, und grüßte noch einmal ehrerbietig zum Palast hinauf. Indem trat über den Platz Luigi Orsini mit seinem abscheulichen Begleiter, dem Grafen Pignatello, auf das Fuhrwerk zu. Dieser Pignatello trug wieder ein solches schwarzes Wams und den Federhut, wie ihn früher Pepoli im Gebirge gesehen hatte. Seit einiger Zeit war er Orsinis Herzensfreund geworden, und ließ sich von diesem zu den verruchtesten Diensten gebrauchen. Vitelli wurde blaß, als er des Luigi ansichtig wurde, doch befahl er seinem Stallmeister, diesen beiden sorglos aber schnell vorüberzufahren. In demselben Augenblick aber schrie Orsini: »Halt!« und griff in den Zügel, so daß das Pferd stillstand. Zugleich erschallte ein Schuß, und Vitelli stürzte, von dem Pistol des Pignatello getroffen, zurück, daß das Haupt über den kleinen Wagen hing. »Dein Vater«, schrie Orsini, »ist der Schurke, der den verruchten Rat gegeben hat, den Adel von niederträchtigen Häschern ermorden zu lassen: nimm dies zum Lohn.« – Sie entfernten sich, langsamen Schrittes, noch trotzig zum Palast hinaufdräuend. – Der Stallmeister führte bestürzt den Leichnam seines Herrn in den Palast des Papstes zurück.
Der Papst, als er die verruchte Tat sah, war einem seiner Cameriere, der hinter ihm stand, in die Arme gestürzt. – Dieser Anblick hatte ihn zu plötzlich überrascht, und ihn mit Entsetzen erfüllt. So weit war es gediehen? So wenig hatte seine zu nachgiebige Milde auf diese verhärteten Herzen gewirkt?
Es war natürlich, daß diese Untat ganz Rom von neuem aufregte. Dieser Mord erschreckte selbst die Freunde Orsinis, viele seiner Partei fielen von ihm ab, und schalten mit lauter Stimme und öffentlich diesen Frevel. Als Luigi dies gewahr ward, wie die Mehrzahl der Empörer sich von ihm wendete, konnte er selber sein Schicksal sich voraussagen. Dies entmutigte ihn aber nicht, sondern er lachte laut und rief den Braven, die ihm treu geblieben waren, zu: »Nun beginne ich also ein Leben, das ich mir eigentlich seit lange gewünscht habe. Wie Piccolomini, wie Sciarra führe ich nun offenen Krieg mit meinem Vaterlande. Man [] wird mir meine Häuser und Güter nehmen, man wird den Bann über mich sprechen und mein Todesurteil, wenn ich mich wieder im römischen Gebiet betreffen lasse. Immerhin! meine Gattin sende ich nach Venedig und folge ihr künftig vielleicht nach. Bis dahin sind wir freie Männer in Wald und Gebirge, quartieren uns ein, ohne anzufragen: die Reben des Weinbergs, das Wild der Jäger, die Weiber in den Kastellen, alles ist unser, und Schwert, Dolch und Feuer unsre Brüder!« –
So verließ er mit so viel Geld und Juwelen, als er eilig zusammenraffen konnte, die Stadt. – Als der Papst sich wieder erholt, und die Regenten des Staates berufen hatte, ward beschlossen, daß Luigi Orsini als Meuter, Rebell und Meuchelmörder auf ewige Zeit aus dem Gebiet des Römischen Staates und aller Provinzen verbannt sein sollte; ein Preis ward außerdem auf seinen Kopf gesetzt, und ein großer Lohn dem verheißen, der ihn tot oder lebendig herbeischaffen würde. – Man rechnete hierbei auf die Banditen und seine Raubgesellen selbst.
Als Vittoria die Mordtat erfuhr, war sie kaum verwundert und nicht erschrocken, weil ihr voraussehender Geist ihr dieses Ende gesagt hatte. Sie weinte mit dem Gouverneur, der plötzlich ein trostloses Geschick auf sich hereinbrechen sah.
Mit allen seinen Gesellen, Vornehmen und Geringen, begab sich der Graf Luigi Orsini in die freie Landschaft, um dem Staate, dem er sich empört hatte, so vielen Schaden zuzufügen, als in seiner Gewalt stand. Man vernahm bald die Klagen über Beschädigungen, die er an den Städten und Landbewohnern ausübte. Auch rüstete er ein Schiff aus, um die See zu beunruhigen und die Fahrzeuge, welche nach Rom segelten, aufzufangen. Auch warb er neue Banden, und verstärkte sich durch Galeerensklaven, die teils ihre Strafzeit überstanden, teils sich empört und mit Gewalt befreit hatten.
Der nächste nach Luigi im Kommondo der Banden war der Graf Pignatello, der grausame Mörder des Vitelli, sowie der Graf Ubaldi aus Arezzo, ebenfalls ein verwegner Mensch, der auf unwürdige Art sein Vermögen verschwendet hatte und jetzt in Verzweiflung und leichtsinniger Frechheit keine Rücksicht der Menschlichkeit mehr anerkannte.
Ein besserer Mensch war durch Verarmung und traurige [] Schicksale in die Gesellschaft dieser Verworfenen geraten, der Graf Francesco Montomellino. Er war von mittleren Jahren, wohlgebaut, stark und sein Wesen hatte den Ausdruck eines edlen Mannes. Auch ihn hatte Unglück und Verzweiflung, aber nicht Bosheit diesen Banden und einem Luigi zugeführt. Es war eine von den Erscheinungen in der menschlichen Natur, welche öfter wiederkehrt, daß Orsini sich mit Vertrauen, ja Liebe, an diesen besseren Mann anschloß, der ihm so unähnlich war, den er mehr achten mußte, als sich selber: Graf Montomellino war ihm bald so unentbehrlich, daß er keine Stunde ohne ihn leben konnte und er in dessen Gesellschaft sogar seine Gattin und alle früheren Freunde, die ihm nicht gefolgt waren, vergaß.
Unter den Galeerensklaven hatte sich auch jener junge Camillo Mattei, der Neffe des alten Priesters Vinzenz in Tivoli, eingefunden. Er wagte es nicht, nachdem er seine Strafzeit überstanden, nach Rom zu seinen Eltern zurückzukehren, da ihn Schande und Schmach bedeckte, und er nicht hoffen konnte, auf irgendeine Weise in seine frühere Stellung zurückzukehren. Ein glühender Haß gegen die Familie Accoromboni war in ihm entbrannt, so wie gegen alle Vornehmen, und da er wußte, wie sehr die stolze Vittoria den Luigi Orsini verabscheute, so hatte er sich diesem und seinen Freibeutern am liebsten angeschlossen.
Von Marcello hatte man nur wenig erfahren können. Das Gerücht sagte, daß er sich beim Heere des Piccolomini befinde welches bald in den florentinischen, bald in den neapolitanischen Staaten umstreifte und oft wieder die Grenzen des römischen Gebietes beunruhigte.
Als Flaminio sich in Rom wieder nach seiner Mutter umsah, um ihr Hülfe zu bringen, war sie ohne Spur verschwunden, und jede Forschung und Nachfrage vergeblich. In der Verwirrung ihres Geistes hatte sich die unglückselige Matrone scheu und tief bekümmert von allen Menschen zurückgezogen. Sie zürnte sich und aller Welt, den Menschen wie dem Himmel, weil sie sich nicht still ergeben und fügen konnte, sondern ihr Gefühl ihr zurief, daß in ihrem Unglück ihr vom Schicksal das herbste Unrecht zugefügt sei. So ließ sie auch oft ihren liebevollen Sohn Flaminio abweisen, und wollte ihn nicht sprechen, weil sie über seine weiche und charakterlose Unbestimmtheit zürnte: auch auf den Herzog Bracciano war sie erbost, und wies mit schnöden Worten alle Hülfe zurück, die er ihr großmütig anbot; denn sie meinte, er hätte sich bei dieser Entwicklung der großen Begebenheit mit mehr Kraft und Kühnheit betragen sollen. Gegen den [] Bischof, ihren ältesten Sohn, gab sie ihren Haß offen kund; sie sah ihn nicht wieder, so oft er auch bei ihr einzudringen suchte. Selbst auf die freundlichen Botschaften und Briefe ihrer Tochter Vittoria nahm sie keine Rücksicht. So, von aller Welt verlassen und Freunden wie Feinden unsichtbar geworden, war sie nun endlich, ohne Spur, verschwunden. –
Auch in der Landschaft war allenthalben die Kunde erschollen von der Ermordung Vitellis, der Empörung des Orsini, und der Verhaftung der Vittoria Peretti, sowie von der Anklage gegen sie. Das Volk, welches sich so gern mit Märchen trägt und diese am liebsten glaubt, verband damit tausend unmögliche Bosheiten und wunderbare Zufälle: von Bezauberung, Gift, Gespenstern und Geständnissen auf der Folter war die Rede, und in der kleinen Stadt Tivoli, in welcher die Familie Accoromboni oft gewohnt hatte und in ihr gewissermaßen einheimisch war, wurde am meisten über diese neuesten Begebenheiten geschwatzt und geurteilt, verschieden und mannigfaltig, je nachdem man den Angeklagten freundlich oder feindlich gesinnt war. Doch hatte auch hier das Märchen bei den meisten Eingang gefunden, Vittoria habe durch einen Liebestrank den Herzog Bracciano bezaubert, auf dieselbe Weise den jungen Luigi Orsini unsinnig gemacht, den Gemahl Peretti durch den Bruder umbringen lassen, so wie sie den Kardinal Farnese habe vergiften wollen und jetzt sitze sie mit der Mutter im Kastell gefangen, weil sie der Papst in kurzer Zeit beide als Hexen öffentlich wolle verbrennen lassen. –
Der alte Pfarrer Vinzenz wandelte langsam durch die Stadt und überlegte sich diese tollen und törichten Erzählungen, sowie so manches, was er in seinem Leben schon gesehn und erfahren hatte. Alles, sagte er zu sich, gleicht diesem Teverone hier. Da oben fließt er glatt und freundlich, die Ufer mit ihren Gebüschen und Hügeln spiegeln sich in der klaren Flut, sie kommt näher und rennt, und rennt, immer schneller, nun stürzt sie wogend, unaufhaltsam, brausend, in Klagen und Verwünschungen tief hinunter in den Abgrund. – Wie freundlich, erquicklich lebten sie hier und schienen so sicher und fest, stolz und selbstständig. Und nun – zu hoch wollten sie hinaus – die Ebne war ihnen zu gering, und nun dieser Absturz!
Er stand jetzt vor einem zierlichen Hause, welches einzeln lag. Er war seit lange nicht diesen Wänden, die mit Efeu bewachsen waren, vorbeigegangen. Nun ward er hier durch ein seltsames Getön festgehalten. Er hörte nämlich mit heiserer Stimme [] einzelne Strophen aus Volksliedern übertrieben laut und kreischend singen, dann plötzlich Stille, ohne die Melodie zu beschließen – Aufschrei, Schluchzen – dann wieder Gesang, von lauten Flüchen und Verwünschungen unterbrochen. Jetzt tat es einen harten Fall, und nun vernahm der Alte Winseln und Schluchzen und vielfältige Klagelaute. Die Fenster waren gegen die Sonne verschlossen, er konnte nicht hineinsehn, ob sich hier ein Unglück zugetragen habe. Er näherte sich der Tür, sie war nicht verriegelt, und er trat in das freundliche Haus, welches nicht zu einem Aufenthalt des Elends bestimmt schien, mit zögernder Furcht und einem leisen Schauer. Das Winseln und Schluchzen ließ sich nach einer Pause wieder vernehmen. So öffnete er entschlossen die Tür des Zimmers, aus welchem er den Ton vernahm, und trat in das halb dunkle Gemach.
»Bedarf jemand einer menschlichen Hülfe?« frug er mit gedämpfter ängstlicher Stimme – und fuhr mit lautem Schrei, sich entsetzend, zurück, denn eine große weibliche Gestalt lag ausgestreckt auf dem Boden, die man für eine Leiche hätte halten können, wenn nicht die schwarzen feurigen Augen im kreideweißen, alten, ganz abgemagerten Gesicht sich heftig bewegt hätten.- »Wer ist da? Welcher Sterbliche?« sagte die mächtige Gestalt, und erhob sich langsam vom Boden. Ihr greises langes Haar schüttete sich bei der Bewegung über das Gesicht, sie lächelte furchtbar und warf es nun ganz über das Antlitz hinüber, bückte sich nach vorn und nahm ein Gebetbuch vom Ruhebett auf, stellte sich gekrümmt so in die Mitte des Zimmers, als wenn sie in Andacht lesen wollte, und sah in dieser Gestaltung einem wilden reißenden Tiere oder einem Ungeheuer nicht unähnlich. Nun fuhr sie mit einem Sprunge auf den alten Priester los und schrie: »Nun, warum weichst du nicht dem Banne, wenn du doch ein Gespenst bist?«
»Nichts weniger«, sagte der Alte mit erzwungener Ruhe, »ich bin ein ganz gewöhnlicher Mensch, und wollte der Himmel, daß ich Euch so betiteln könnte. Aber mir scheint, als wenn Ihr gewaltig über die Stränge geschlagen hättet. – Seid Ihr denn nicht mit Verlaub, jene Dame Julia Accorombona, die sonst mit ihrer schonen Tochter hier in diesem Hause wohnte, das ich freilich erst jetzt wiedererkenne?«
»Meine Tochter?« rief die Wahnsinnige, und setzte sich mit Majestät auf einen hohen Sessel. Sie nahm einen Kranz, von Stroh geflochten, und rückte ihn auf den grauen Scheitel zurecht, indem sie die Masse der verwirrten Haare über den Rücken warf – [] »meine Tochter? elender Sklave! wie wagst du es, diese nur zu nennen? Sie ist die weltberühmte Kaiserin Semiramis, und sitzt da droben unter goldenem Baldachin, hoch, hoch in ihren schwebenden Gärten, und sinnt, so wie sie die Elfenbeinhand an die glänzend weiße Stirn legt, und sich mit der andern auf den goldenen Szepter stützt, auf neue Weltwunder. O solch himmlisches Bild von Schönheit, Würde und Majestät ist noch niemals auf Erden gesehen worden, und Raffael, der große Maler, hat vorgestern bei unserm Pluto um die Erlaubnis nachgesucht, daß er aus seinem Grabe kommen und die Himmlische malen dürfe.«
»Laßt die Dummheiten, liebe, unglückselige Frau Julia«, sagte der Priester, dessen Sinne halb verwirrt waren: »der Himmel hat Euch heimgesucht, fügt Euch seinem Willen in gelinder Demut, und er wird Euch Euern Verstand, der recht ansehnlich war, wiedergeben.«
»Meine Königreiche soll er mir zurückgeben!« rief sie mit Ungestüm: »– aber still – schon hat mein David, mein Sohn den Riesen überwunden – nun geht er, der gesalbte König, mit seiner tapfern Schar und streift durch das Gebirge – sie bewirten, sie fürchten ihn – der Herr hat ihn gesalbt durch Samuel seinen Hohepriester – er wird den Saul überwinden, und dann wird David vor allem Volke gekrönt. Dann führt er die Mutter, die Unbekannte, Verschleierte, zu seinem Thron, und alle Völker beten sie an, die Unsterbliche, die solche Kinder zur Welt gebracht hat.«
»Was die Gottlose für Reden führt!« rief Vinzenz unwillig aus: »versündigt Euch nicht an der Schrift und dem heiligen Wort. Der verruchte Marcello soll wie David sein, der königliche Prophet? der Auserwählte des Herrn? Wo steht das geschrieben? Banditen und Mörder sind keine Heilige: mit Blut, nicht vom Samuel sind sie mit dem heiligen Öl gesalbt und getauft.«
»Was?« rief sie, sprang auf, und ergriff den Erschrockenen heftig bei der Hand: »seid Ihr ein Levit und versteht die Gesetze und Prophezeiungen so ganz und gar nicht? Habt Ihr vom Daniel gelesen, der ein Liebling des Königs war? seht, Einfältiger, das ist mein Sohn Flaminio, er mit dem flammenden römischen Geist, jetzt Geheimschreiber bei dem großen Tyrannen Holofernes. Und der fromme Bischof, mein Sohn, der große Kirchenpfeiler, beredter wie Chrysostomus, gelehrter wie Origines, heiliger als Augustin; er wird morgen zum Papst erwählt vom Heiligen Geist.«
[] »Nun, das fehlte uns gerade noch«, sagte Vinzenz murrend. »Sündiges Weib!« rief er, »haltet inne, ist es nicht genug, daß Ihr selber rasend seid, müßt Ihr mich auch noch toll machen?«
»Gelinde, Männchen«, erwiderte sie mit jenem furchtbaren Lächeln der Wahnwitzigen, und streichelte ihn unter dem Kinn: »– sprecht nicht so mit der berühmten Cornelia – wißt Ihr? Mein Sohn, der Cajus Gracchus ist viel ungestümer, als jener ältere, der Tiberius, er läßt Euch sogleich hinrichten, wenn ich Euch bei ihm verklage. Dann werdet Ihr vom Tarpejischen Felsen, gleich hier nahebei, in den Wasserstrom hinuntergeworfen. Das haben wir hier recht bequem. – Ach!« schrie sie – und sprang plötzlich auf und rannte heulend durch das Gemach; alle Stühle und Sessel packte sie an – »Hülfe! Hülfe!« rief sie – »sie versinkt, meine Tochter! mein Kind! der Mörder, der verruchte, der schändliche Camillo hat sie hineingestürzt!«
»Warum nicht gar!« schrie ihr der Geistliche entgegen; – »nehmt Vernunft an, kurioses, altes Weib, oder jeder Mensch muß Euch für toll halten, wenn Ihr so alberne Dinge sprecht!«
»Nun, so laß uns tanzen, Schatz!« sagte sie, »wenn es denn wirklich nicht so böse gemeint ist.« – Sie sprang auf, und fiel gleich wieder in den Sessel. »Nein«, sagte sie matt, »mein Gebein ist zu schwach geworden, der Gram hat mich ausgehöhlt. Ich kann auch nicht mehr singen. Wißt Ihr meine schönen Verse? Ja, mein Befreites Jerusalem haben sie nun auch herausgegeben und mich obenein in den Narrenturm gesperrt: Ihr seht es, mit den Verrückten, wovon Ihr einer seid, muß ich nun sprechen und poetische Akademien halten. Nun improvisiert gleich über ein Thema, das ich Euch geben will.«
»Das ginge mir ab«, sagte Vinzenz: »ich verrückt und die da klug.«
»Wie Asträa die Welt so ganz und gar verlassen hat!« fuhr die Alte fort. »O über den Greuel, die Schandtat, die sich seitdem entwickelt. Wie die Unschuld nun unterdrückt wird, wie der Arme blutet, das Gesetz den Gerechten zerschneidet und Bosheit und Frevel in Purpur gekleidet geht. Den Farnese wollen sie zum Papst machen, dann wird Luigi Governador von Rom und alle die Meinigen sind dem Untergang geweiht! Betet, daß Christus und Maria uns die Asträa wiederschicken.«
»Einen Funken Verstand sollten sie an Euch wen den«, sagte jener: »aber sie denken vielleicht, das wäre doch nur ein weggeworfnes Gut.«
Als er sah, daß die Kranke sich etwas beruhigt hatte, war es [] ihm auch möglich, verständiger und eindringlicher mit ihr zu reden. Sie hörte ihn an und begriff sein Wohlwollen, da jetzt nach jener Erhitzung die gute Stunde bei ihr herrschte. Sie brachte ihr Haar in Ordnung, warf einen Mantel über, und versprach, mit Gelassenheit den Willen des Himmels zu tragen.
Ihre Dienerin kam, eine junge, einfältige Bauernmagd, die ihr das wenige von Speise und Trank brachte, welches sie genoß. Nur diese, die ihr nie antwortete, sich über ihre tollen Reden weder verwunderte, noch sie anhörte, durfte zu ihr, sonst war vor aller Welt ihre Tür verriegelt, und niemand erfuhr es, selbst die Einwohner von Tivoli wußten es nicht, daß die Signora Julia, welche sie ehemals wohl gekannt hatten, sich in ihrer Nähe aufhielt.
So gewöhnte der redliche Vinzenz die arme Kranke an seine Gegenwart, und es schien in mancher Stunde, als wenn dieser, freilich zu ihrem Schmerz, Vernunft und Bewußtsein zurückkehrte.
Oft zankten sie wieder heftig, denn er wollte es nie dulden, daß sein Neffe, der unschuldige Camillo, Ursache am Unglücke der Familie sein solle. Verglich sie wieder den abtrünnigen Marcello mit David, so geriet der Priester außer sich, so daß es in solchen Momenten schwer zu entscheiden sein mochte, wer von beiden der Törichte sei. Denn, wenn er ihr die mythologischen und geschichtlichen Torheiten christlich nachsah, wenn sie sich bald diese bald jene große Königin, oder Juno, Minerva, manchmal Niobe nannte, so war er desto strenger und unerbittlicher, wenn sie in die Geheimnisse der Religion anmaßend hineingriff, und sich und den Ihrigen die großen heiligen Personen der Bibel oder Legende aneignen wollte. Da sie seine Unversöhnlichkeit in diesem Punkte kennenlernte, entwöhnte sie sich auch dieses Frevels und begnügte sich mit der weltlichen Geschichte und der heidnischen Poesie. – Aber, ohnerachtet dieser Torheit, ward sie auf diesem Wege milder, und selbst christlicher und vernünftiger. – Hätte ich je von mir geglaubt, sagte der Priester zu sich selbst, als er an einem Abend von ihr ging, daß ich noch einmal so ein starker Heidenbekehrer werden könnte? Und daß sich wirklich doch zuweilen Beelzebub durch Satan vertreiben läßt? Vielleicht haben aber auch andre, viel größere Männer als ich Ärmster, schon ehemals diese Künste geübt und ihre heilsame Wirkung erfahren.
[]Obgleich der Papst Gregor nicht krank war, so konnte doch jedermann bemerken, daß in seinem hohen Alter seine Kräfte sichtbar abnahmen. Vielerlei Bewegungen, Verbindungen, mancherlei Versprechen waren geschehn und im Kollegium der Kardinäle, sowie unter den Prälaten und den Gesandten der fremden Mächte vorgefallen. Alles rüstete sich schon auf den Fall einer so wichtigen Veränderung. Der Nepote, oder Sohn des Papstes, Buoncompagno, der Statthalter von Rom und Oberbefehlshaber des römischen Heeres hatte Ursach, am meisten bei einem vorfallenden Wechsel besorgt zu sein. Der Papst, der immer gern rechtlich und im christlichen Sinne handelte, war nicht darauf ausgegangen, sosehr er und mit Leidenschaft diesen Buoncompagno liebte, ihn zu einem unabhängigen Fürsten zu machen, und er sprach den Ungeduldigen, der höher hinaufzusteigen wünschte, oft zufrieden, und riet ihm, sich mit seinem bedeutenden Posten zu begnügen.
Um nicht zu viel zu wagen, hatte der Statthalter sich mit dem Großherzoge von Florenz versöhnt, der ihn hafte, und alle Zerwürfnisse, aus welchen die Entzweiung hervorgegangen war, hatte Buoncompagno jetzt durch die Vermittlung des klugen Kardinals Ferdinand beigelegt.
Vittoria leistete dem Governador oft Gesellschaft, um ihn aufzuheitern, und dieser fand stündlich Gelegenheit, ihren Verstand und festen Charakter zu bewundern. Selten nur ward eine ausgelesene kleine Vereinigung von Freunden hinzugelassen, weil der Statthalter von seiner Milde und Freundschaft nicht viel reden machen wollte, da der Papst unversöhnlich schien, und Vittorien noch ebensosehr, wie im Moment der Anklage, zürnte. Diese erfuhr von diesem Hasse des Oberhauptes nichts und hoffte von einem Tage zum andern ihre völlige Freiheit zu erhalten, sie suchte sich daher an ihren geliebten Dichtern und eignen Arbeiten zu erheitern, sie sang und war gegen die Dienerschaft und alle Menschen, die mit ihr in Berührung kamen, mitteilend und freundlich.
Nur gegen den einen hatte sie ihren bittern Zorn nicht verhehlen können und mögen, gegen ihren ältesten Bruder Ottavio. Dieser Unglückselige, von den Furien des Stolzes und Hochmutes unablässig verfolgt, hatte sich kürzlich mit ihr versöhnen wollen, als sie ihn mit so vieler Bitterkeit abgewiesen hatte. Schon seit einiger Zeit fühlte er sich gekränkt und unglücklich, da alles, [] was er gehofft und gewünscht hatte, sich nicht der Erfüllung nähern wollte. Die Partei des Montalto wies ihn von sich, wegen des Bruders Marcello und des Unterganges des Peretti, auch der Papst war ihm erzürnt, und die Florentiner, die sich mit andern dem Medicäer anschlossen, vermieden ihn ebenfalls. Es war schon jetzt ziemlich ausgemacht, weil die Verbindung gegen den Mächtigen allzustark war, daß bei Erledigung des päpstlichen Stuhles nicht dem Farnese die hohe Stelle zugeteilt würde. Dies schmerzte den Bischof Ottavio, weil er darauf wie auf eine feste Hoffnung gebaut, und darnach seinen ganzen Lebensplan eingerichtet hatte. Noch mehr aber ward er gekränkt, daß sich Farnese nicht nur völlig von ihm abwendete, sondern ihm auch öffentlich seine Feindschaft erklärte. Der Kardinal, welcher gern jede Spur seines Verhältnisses zu Peretti, Vittoria und ihrer Mutter in Vergessenheit bringen wollte, behandelte seinen Schmeichler Ottavio als einen Verdächtigen, der vielleicht in Verbindung mit seinen Feinden gestanden habe, um ihm in der öffentlichen Meinung zu schaden. Er mochte selbst davon überzeugt sein, daß Ottavio ein zweideutiger Charakter sei, da er gesehn, wie er sich gegen die eigne Familie hatte brauchen lassen. Dem Herzog Bracciano und allen Freunden dieses großen Hauses durfte Ottavio sich nicht nähern, weil ihn der Fürst, der seinen Charakter kannte und alles Böse wußte, das er der Schwester hatte zufügen wollen, haßte. Selbst Flaminio, der jüngste Bruder und der Vertraute Braccianos, wollte ihn nicht sehn, auch die kranke Mutter hatte ihn mit Verwünschungen zurückgewiesen und sich vor ihm verschlossen. So war sein Herz halb gebrochen, als er noch erfuhr, die Mutter sei ohne Spur verschwunden. Lange waren alle Nachforschungen vergeblich, endlich sagte ihm ein dunkles Gerücht, daß sie sich wahrscheinlich nach Tivoli gewendet habe. –
So sah man nach einiger Zeit einen kranken blassen Mann in Tivoli mit schwankenden, ungewissen Schritten umherirren. Er lehnte sich oft, wie erschöpft, an einen Baum oder eine Mauer: er schien viel zu sinnen und sich mancher Dinge mit Trauer und Leid zu erinnern. Schon lange hatte den wie im Schwindel Umhertaumelnden der alte Pfarrer Vinzenz von seinem Fenster aus beobachtet. Da der Kranke jetzt einer Ohnmacht nahe schien, so trat er aus seiner Tür, um ihm Beistand zu leisten. »Tretet zu mir ein, kranker Herr«, sagte der Priester, »erquickt Euch in meiner kleinen Hütte, und laßt mich, wenn Ihr es bedürft, den guten Apotheker herbeirufen.« – »Nein«, erwiderte jener, »setzt [] Euch, wenn Ihr Zeit habt, ein wenig zu mir, auf diese Steinbank, und beantwortet mir einige Fragen.«
»Gern«, sagte der Priester.
»Wißt Ihr denn vielleicht, ob sich eine Donna Julia Accorombona hier im Orte aufhält, und wo sie ihre Wohnung genommen hat?«
Jetzt erst erkannte, fast mit Entsetzen, der Alte diesen Fragenden. In dieser unscheinbaren, kümmerlichen Gestalt, so ganz zerbrochen und ohne Würde, saß jener hochmütige, starke, straff aufgerichtete Ottavio neben ihm, der, als er nur noch Abt war, den armseligen Priester von oben herab kaum eines Blickes gewürdiget hatte. Ein Schauer über den Wandel menschlicher Schicksale und die Unbeständigkeit des Glückes ergriff ihn: es kostete ihn Mühe, sich zu fassen und seine Erschütterung zu verbergen.
»Ihr wißt also«, fing der Bischof mit schwacher Stimme wieder an, »wo diese Donna Julia sich aufhält und könnt mich zu ihrer Wohnung führen?«
»Gewiß«, sagte der Priester, »auch bin ich der einzige, den sie seither gesehn und gesprochen hatte.«
»Ich war an jenem Hause«, sagte Ottavio, »aber alles war verschlossen und fest verriegelt. Wie geht es ihr? Ist sie genesen und mehr beruhigt?«
»Jetzt ist sie ganz ruhig«, antwortete Vinzenz.
»Nun so gehn wir, doch gebt mir vorerst einen Becher Wasser.«
»Kommt, geehrter, ehrwürdiger Herr«, rief Vinzenz, indem er hastig aufstand, »würdigt meine Hütte, hineinzutreten, genießt etwas und erstarkt Euch mit einem Trunke Weins.«
»Nein«, sagte Ottavio, »nur Wasser.« Jener ging in das Haus, und jetzt erinnerte sich auch Ottavio, daß dieser jener armselige Priester sei, den er vormals, als einen unwissenden, geringen Menschen schnöde behandelt habe. Der Alte kam mit dem Wasser, das er in seinem zierlichsten Becher auf einem Untersatz brachte. Zitternd vor Rührung nahm der Bischof das Gefäß, dankte und trank. Er gab den Becher zurück und blickte in den klaren blauen Himmel hinauf. – »Wie hart und undankbar sind wir Menschen doch«, sagte er dann: »welcher Wohlschmack, welche Wonne, ja welche lautre Offenbarung enthüllt sich dem Durstenden, Matten, in einer einzigen Welle des kühlen Elementes. In Kunst und Wissenschaft, in hochgetürmten Tempeln und Palästen, oder einzig in der Schrift und ihren begeisterten [] Auslegern suchen wir das Wort des Ewigen – und sehn ihn stets dicht neben uns, wo wir auch sein mögen: er winkt, er reicht uns die Hand, und immerdar will der Stolz unsers pharisäischen Herzens ihn nur finden, wo Weihe und Würde, Pracht und Wissenschaft, Zeremonie und Weihrauch ihn uns kenntlich machen sollen. – Führt mich jetzt, mein lieber Gastfreund, der mich erquickt hat.« –
Sie gingen durch die Stadt. – »Hier verlieren sich die Häuser und Wohnungen«, sagte der Bischof – »ist sie denn so weit weggezogen?«
»Wir sind gleich zur Stelle«, sagte der Priester wehmütig. –
»Dort!« – Sie näherten sich dem Kirchhof. Ein Hügel war neu, und mit frischem Rasen belegt. – »Hier schläft sie«, sagte Vinzenz: »endlich hat ihr wildes Herz Ruhe gefunden, da unten steht es still.« –
Mit einem irren Blick sah Ottavio seinen Begleiter an, sank dann in die Knie, weinte laut und heftig und umarmte das Grab. Vinzenz entfernte sich und setzte sich trauernd hinter einen Busch, um den Unglückseligen nicht zu beobachten, oder seine einsamen Gebete zu stören. – Vernichtend, das Herz zerschneidend drängten sich jetzt wie stürmende Hagelschauer alle Erinnerungen der Jugend und Kindheit in das Gemüt des Betenden. Wie die Mutter ihn immer geliebt, wie so willig sie ihm so manchen Genuß, Bequemlichkeit, ja oft das Unentbehrliche in ihrem bedrängten Wittum aufgeopfert hatte, um ihm nur die Bahn des Lebens und der Wissenschaft zu ebnen: wie sie sich seiner Fortschritte, seines Gedeihens gefreut, wie er ihr Stolz gewesen, wie sie auf ihn ihr irdisches Glück und die ganze Hoffnung ihrer Zukunft habe bauen wollen. Welche Wonne es der Mutter gewesen, wenn sie ihn durch ein Geschenk, zuweilen ein kostbares, habe überraschen und erfreuen können, an seinem Namenstage, dann, als er die Priesterweihe erhalten, welches Entzücken in ihrem Auge glänzte, als er nun Abt geworden. – Und er! – Wie Stolz, Hochmut und Härte ihn früh dem mütterlichen Hause abgewandt, wie er immerdar ihre Sorgfalt und Liebe verkannt habe. – »O ja!« rief er, indem er innigst bewegt die Hände rang: »– ja, wir Kinder sind Ungeheuer: statt der Liebe und Verehrung saugen wir Undank, Verschmähung aus der Brust und dem Herzen unserer Mutter. O wieviel Verworfenheit nistet in unserem Gemüt; – ach! und dem Mann dort, ja dem Himmel da oben war ich eben noch in Rührung dankbar für den Schluck kühlen Wassers, den mir der Fremde gönnen wollte – und ihr, dieser hochherzigen Mutter, die [] ganz Liebe, deren Leben ununterbrochene Aufopferung für die Kinder war – wie haben wir ihr gelohnt! Und ich der Verruchteste, schlimmer als Marcello! ich! – Ja, jetzt, da es zu spät ist, möcht ich zu ihren Füßen hinsinken, und mich auflösen in reumütigen Tränen. – Und sie – könnte sie sich jetzt unter dieser grünen Decke ihres Bettes erheben – durch einen Blick, ein Wort, eine Träne wäre sie mir versöhnt, ganz nur Liebe und Mutter wieder – ja sie würde alle Schmerzen, die sie meinethalb erduldet, für Gewinn, für Freude achten, wenn meine Liebe ihr, wie ein Gefühl meiner frühen unschuldigen Kindheit, wiederkehrte. – Und er, den wir stammelnd Gott nennen – das Liebeherz aller Welten – er sollte sich weniger des reuenden Sünders erbarmen?« –
Er hatte sich auf das Grab hingeworfen, und konnte sich in Tränen nicht ersättigen. Aber ihm ward wohl. Die starre, eherne Schale, die wie ein Panzer sein Herz umschlossen hatte, zersprang und brach, und alles Harte in ihm löste sich schmelzend in diesem Erguß der Tränenfülle. Er hatte in diesen großen Momenten die Welt und sich völlig überwunden. –
Der Priester glaubte schon, weil Ottavio sich nicht wieder erhob, er sei zur Leiche geworden. Als er sich näherte, schaute ihm vom Grabhügel ein verklärtes Angesicht entgegen, eine Begeisterung des Schmerzes leuchtete in allen Zügen, und so wie die Zeichen der Krankheit verschwunden waren, glänzte das Antlitz, wie das eines selig Sterbenden, der schon im toten Ohr die Stimme der Engel vernimmt. Vinzenz, erschüttert, war im Begriff niederzuknien, und um den Segen des zu bitten, der ihm ehemals so feindlich gegenüberstand. –
»Könnt Ihr mich«, sagte der Bischof, »für die wenigen Stunden oder Tage, die ich noch zu leben habe, in Eurem Hause aufnehmen, wollt Ihr meine Beichte hören und mich als geistlichen Vater zu meiner irdischen Auflösung vorbereiten?« –
Vinzenz weinte und küßte ihm die Hand – »Soll ich nicht zur Stadt senden«, sagte er, »soll nicht einer der Großen zu Euch kommen? Wollt Ihr Euch nicht selbst nach Rom begeben?«
»Nichts von all dem«, sagte Ottavio sanft lächelnd, und faßte den Alten unter dem Arm, um sich von ihm führen zu lassen. So schritten sie langsam nach dem kleinen Hause.
In seinen letzten Stunden behandelte der Bischof den Priester als seinen rettenden Engel und liebenden Vater. Er ergoß ihm sein ganzes Herz, beichtete ihm alle seine Verirrungen, Fehler und Sünden, empfing von ihm Absolution und die Sakramente. Der [] demütige Priester drückte ihm die Augen zu, und beerdigte ihn dann dicht neben seiner Mutter, wie Ottavio es gewünscht hatte.
Alles, was er bei sich trug, Gold, Juwelen und Kostbarkeiten, alle seine Habe in Rom vermachte er in seinem Testament Vinzenz, dem Freund seiner letzten Stunden. Dieser ward durch dies Erbe wohlhabend und konnte dadurch sein bekümmertes Alter aufheitern und sich und andern Armen eine bessere Pflege zukommen lassen. Er selbst legte aber auch das Harte und Schroffe seines Charakters ab, und seine Liebe, die sich unter einem fast wilden Äußern verborgen hatte, zeigte sich nun weich und offen als christliche Liebe. –
Indessen war in Rom der Papst Gregor in diesen Tagen gestorben. Die Kardinäle vereinigten sich zum Konklave, und alles war in der höchsten Spannung, wer an seine Stelle treten würde. Viele jubelten über den Tod Gregors, weil sie seine Schwäche und Unentschlossenheit für die Ursache aller jener Leiden hielten, die den Staat während seiner Regierung bedrückt hatten. Andre, die seine Liebe und Wohltätigkeit er fahren hatten, beklagten das Hinscheiden des menschenfreundlichen Fürsten.
Sowie der Tod des Papstes bekanntgemacht war, fuhr der Herzog Bracciano, der auf diesen Fall schon alles vorbereitet hatte, in allem Prunk seines Standes, und von Grafen, Baronen und Edelleuten, die von ihm abhängig waren, sowie mit einer großen Schar von Dienern, die Vornehmen in kostbaren Kleidern, die Geringeren in schimmernden Gewändern, vor das Kastell. In dieser wichtigen, kritischen Zeit konnte es der Gouverneur nicht wagen, ihm und seinem Gefolge den Einzug zu verweigern.
Buoncompagno war in Verwirrung, als der große Mann mit dem Anstande eines Herrschers und Fürsten zu ihm trat. »Ich verlange von Euch meine Gemahlin«, sagte er im befehlenden Ton.
Der Gouverneur wollte sich entschuldigen, bat um Aufschub, meinte, der neuerwählte Papst dürfte vielleicht seine Nachgiebigkeit schelten, und riet, die neue Wahl abzuwarten, damit er dann vom Herrscher dessen Befehle empfangen könne.
Zwischen Zorn und Lachen antwortete Bracciano: »Mein edler Freund, denn das seid Ihr, und werdet Ihr bleiben, der Papst ist gestorben, wir haben jetzt in Rom keinen Herrscher, es bleibt zweifelhaft, ob der neue Euch in Eurer Würde bestätigen wird. Jetzt ist also keine Regierung, und der Fürst, in dessen Hand ich mein Versprechen gab, mich nicht zu vermählen, ist verschieden. Ihr wißt, wie oft während des Konklave das unruhige Volk [] zu Meuterei und Aufruhr ausgebrochen ist: versagt Ihr jetzt bestimmt mein rechtmäßiges Verlangen, so werde ich nicht scheuen, mir mit Gewalt zu nehmen, was nach menschlichen und göttlichen Gesetzen mein ist. Wollt Ihr es wagen, in diesen Tagen der Anarchie es zu einem Kriege zwischen uns kommen zu lassen? Wollt Ihr Euch meine und der Meinigen unauslöschlichen Haß zuziehn, der Ihr vielleicht bald unsere Hülfe brauchen könnt? Diese, wie meine Freundschaft und Liebe bleibt Euch versichert, wenn Ihr Euch jetzt als ein verständiger und nachgiebiger Freund zeigt.«
Der Gouverneur hatte weiter keine Antwort: er sagte nur, wie ihm Vittoria unaufgefordert bezeugen werde, mit welcher Hochachtung, wie einer Tochter, er ihr in dieser traurigen Zeit begegnet sei. Er führte ihn hierauf selbst in die Zimmer der Gefangenen und ließ sie nach einigen Bezeugungen der Höflichkeit allein, indem er die schöne Gefangene als frei dem Gemahle feierlich übergab. –
Beide umarmten sich in Freude und Rührung weinend. »So hat die Zeit«, sagte der Herzog, »doch endlich die glänzende Woge heraufgewälzt, die mein Glück, meine Seligkeit trägt. Nicht wahr, das Leben ist doch ein großes Geschenk, ein himmlisches Wonnegeheimnis jenes ewigen, unnennbaren Geistes? Ja, er liebt seine Geschöpfe, und wir wollen es dankbar erkennen.«
»Wenn uns nur nicht immer«, sagte Vittoria, »in diesen großen Momenten ein sonderbarer Schwindel ergriffe. Es ist kein Zagen, kein Zweifeln, keine Ungewißheit unsrer selbst, auch keine Furcht vor Gegenwart und Zukunft – nein, mein Geliebter, nur, als wenn dem Dichter im Moment der höchsten Begeisterung, wenn er alle seine glühenden Strophen in die Saiten rauschen möchte – plötzlich die goldne Lyra in der Hand zerbräche und seine silberne Stimme durch Heiserkeit stumm gemacht würde – so fehlt uns Sterblichen der Ausdruck für das höchste Glück, die Freude ist mit dem Schmerze zu geschwisterlich verwandt; für Unglück und Leid sind tausend Fühlungen in uns.«
»Gedankenreiche, melancholische Braut«, sagte der Herzog lächelnd, »so möchten wir uns dem Krebse vergleichen, der ungeschickte Glieder zum Rückwärtskriechen, aber keine zum Vorschreiten hat.«
Er umarmte sie herzlich mit einem glühenden Kuß und führte sie hinab, um mit ihr den Wagen zu besteigen.
Der Bischof erwartete sie schon im Palast. In der Kapelle ward von ihm die Trauung feierlich vollzogen. Die Braut war [] geschmückt und in den reichsten Kleidern. Sie trug, weil es der Herzog gewünscht hatte, dieselben Gewande, mit denen sie am Tage ihres sogenannten Verhörs war bekleidet gewesen; ihr Benehmen an jenem Tage hatte ihn so entzückt, daß er sie wieder in der nämlichen Tracht sehn wollte.
Die Priester entfernten sich, und nur wenige der Vertrautesten versammelten sich im aufgeschmückten Saal. Bracciano war weit davon entfernt, ein großes prächtiges Vermählungsfest zu feiern, er vermied an diesem Tage seines Glückes die große, vornehme und geschwätzige Gesellschaft. Die Menge wäre ihm an diesem Tage lästig gewesen. So lud er nur einige seiner Verwandten, von deren Ergebenheit und Liebe er überzeugt war, und seinen Schwager, Flaminio, den er heut seiner Dienste als Geheimschreiber entließ und ihm, damit er ein selbstständiger Mann sein könne, ein bedeutendes Vermögen übergab: Caporale, der treue Freund, der sich in Rom befand, ward nicht vergessen.
So war gerade nur die Zahl der Musen am Tisch und das Mahl, das nicht zu lange währte, ward unter Scherz, Lachen, und ernsten Gesprächen genossen. Der Herzog hatte es, als einen besonderen Luxus ersonnen, daß sie nur von schönen Mädchen bedient wurden, die alle poetisch, als Nymphen oder Göttinnen der Fabel leicht und bunt bekleidet waren. Caporale war so glücklich, so heiter, sein Gesicht so lachend, als wenn er selbst der glückliche Bräutigam gewesen wäre. Aber er triumphierte, daß sich nun doch, trotz aller Hemmung und des Unglücks, das erfüllt hatte, was sein Herzenswunsch immer für seine Freunde gewesen war. Er jauchzte darüber, daß er zuerst, und ohne ihn zu kennen, den edlen Freund in das Haus der schönen Geliebten eingeführt hatte. Diese betrachtete er mit immer wachsendem Erstaunen, denn sie war, was auch der Herzog behauptete, noch schöner geworden, und in ihrer strahlenden Majestät schimmerte lächelnd eine so süße Jungfräulichkeit, daß nicht bloß der Bräutigam in ihrem Anblick entzückt und wie trunken sich verlor. Alle Dienerinnen, so schön und reizend sie in Blumenkranzen und poetischen Gewändern glänzten, so lieblich und holdselig sie auch waren, so lockend Busen, Nacken und Schultern leuchteten, waren in der Nähe Vittorias doch nur wie dienende Sklavinnen, und ihr Licht ward von diesem Sonnenglanz durchaus verfinstert und dunkel.
Caporale ließ beim Bankett und Nachtisch die Rosenkränze hereinbringen, die man auf seine Anordnung geflochten hatte. Nach alter Weise mußte sich jeder mit einem schmücken und nun [] wurden auch die Dienerinnen entlassen. Jetzt extemporierte Caporale ein Lied und sang es herzlich, wenn auch mit etwas heiserer Stimme. Jeder Gast folgte dem Beispiel und nur Bracciano, an den Busen seines Weibes gelehnt, sagte, dieser stumme Ausdruck seines Gefühls sei das wahre und beste Gedicht, das er aus seinem Herzen in seine Augen, aber nicht auf seine Zunge hinaufbringen könne.
Vittoria improvisierte ohngefähr in folgender Weise, indem sie die Laute ergriff und in schöner, malerischer Haltung mit ihrer Silberstimme sang:
»Gibt es Götter? Lebt und webt die unsterbliche Lust noch droben im Olymp? Komm, du ernster, trüber Zweifler, und siehe uns hier und unser Glück. Kannst du schauen, und ist dein Auge nicht blöde vom Erdenstaub, dein Geist nicht stumpf vom irdisch trüben Geschäft – so siehe dort die holde Kypria stehn und lachen, mit Amor, der zu uns herüber schalkhaft blickt: auch der magdliche Bacchus ist zugegen, er, von allen Göttern der Jungfrau am ähnlichsten. – Wenn ihr Mut genug habt, ihm ins Auge zu schauen, so wagt es, und seht den mächtigen Jupiter an, den Vater der Geschicke, und die hochedle Juno, die auch in guter Laune ein weniges von Eifersucht bemerken läßt. – Hütet euch, es mit dieser Beschützerin der Ehe zu verderben, denn auch den Zeus bezwingt sie endlich. Wer ist stark genug, dem Schmollen zu widerstehn? – Beschütze du mich Regent, mein Auserwählter, der Widerschein des Hohen, des Übermenschlichen, daß keine neidische, dich liebende Gottheit uns jemals entzweit.«
Als es Abend war, trennte man sich und die Mädchen geleiteten die Braut zur Kammer, um sie zu entkleiden. Als Bracciano durch Hülfe seines alten Kammerdieners die Hülle von sich warf, sagte der Herzog: »Was fehlt dir, alter Freund, daß ich dich so bewegt sehen muß? Hat jemand dir etwas Leides zugefügt?«
»O nein, erlauchter Herr«, sagte der Alte; »im Gegenteil, ich freue mich Eures hohen Glückes. O mein gnädiger Fürst, es ist ja eine Göttin, die Ihr heimgeführt habt, mehr als Armida, oder Helena. Wohl mir, daß es mir vor meinem Tode noch vergönnt war, eine solche Schönheit mit meinem schwachen Auge zu erblicken; und beseligt ich! daß sie Euch gehört, Euch die Gattin, mir die Gebieterin! Welcher Fürst, welcher Sterbliche kann sich rühmen, je der Gemahl einer Himmlischen gewesen zu sein? ja, Venus soll mehr wie einen Erdgebornen beglückt haben – aber hier, Venus, Juno, Minerva und Diana in ein Wesen verschmolzen: [] und dieser Ernst, Tiefsinn und diese Schalkheit und kindliche Plauderei, und dies Necken, Witz und große Gesinnung.«
»Höre auf, alter Freund«, sagte Bracciano lachend, »du fängst an zu schwärmen, und du wirst mich eifersüchtig machen.«
»Es ist zuviel für einen Menschen«, beschloß der Alte, »alles dies in seine Arme zu fassen, und es sein Eigentum zu nennen.«
Die Mädchen, als sie nach Hause gingen, schwatzten untereinander auf ähnliche Weise. Die eine sagte weinend: »Ich habe mich für hübsch gehalten, man hat mich selbst schön genannt – wie erbärmlich, schlecht, matt und leblos dieser gegenüber. Wenn er nicht treu ihr bleibt, verdient er des schimpflichsten Todes zu sterben.«
Als Bracciano sich der Tür der Kammer näherte, sagte er zu sich: wer bin ich, daß die Unsterblichen mir diese Wonne haben auferblühen lassen? Mit heiligem Schauer nur, mit erhabener Furcht, mit wollüstigem Zagen kann ich euch danken. Das ist meines Lebens wichtigster Moment. Und hätte ich nur für diesen einen Augenblick gelebt, so wäre mein Leben ein reiches gewesen.
Nach vielfältigen Verhandlungen, Widersprüchen, Annäherungen, und in Ausübung jener Künste, welche immerdar die Geschichte der Konklaven, wenn sie umständlich und wahrhaft erzählt sein konnten, so lehrreich machen ward endlich der Kardinal Montalto zum Papst gewählt, weicher den Namen Sixtus des Fünften annahm.
Viele hatten ihre Stimme für ihn gegeben, weil sie ihn für so schwach und unbedeutend hielten, daß sie glaubten, in seiner Stelle und seinem Namen regieren zu können. Einige gaben in der Überzeugung nach, er sei so alt und krank, daß er unmöglich lange leben könne, und daß also der Stuhl bald wieder erledigt sei, und ihnen eine neue Hoffnung aufgehn würde. Viele waren für ihn, um nur dem klugen, ehrgeizigen Farnese entgegenzustreben, und so geschah endlich, was der Medicäer vom Anbeginn gewollt hatte, daß Montalto die höchste geistliche Würde der Christenheit erhielt.
Es hatte dem Greise auch die Hochachtung bei der Wahl geholfen, die er sich durch seine ruhige Fassung beim Tode seines Neffen Peretti erworben hatte. Und so sah denn Montalto den [] ehrgeizigen Wundertraum seiner Kindheit erfüllt, daß er zum Teil durch seine Klugheit und Beharrlichkeit auf dem Throne saß, vor welchem alle zu seinen Füßen knieen mußten.
Aber wie erschrak das Kollegium, als sie statt eines schwachen, kranken, zaghaften Greises nun plötzlich einen rüstigen, starken, gebietenden Kirchenfürsten vor sich sahn, der gleich in den ersten Augenblicken deutlich zeigte, daß er zu befehlen wisse, und Kraft besitze, seine Gebote geltend zu machen. Viele, die ihm zu seiner Würde geholfen hatten, wünschten, daß es möglich sei, die Wahl rückgängig zu machen, und Farnese, sowie manche andre, die dem schwachen, stets schweigenden Montalto so oft ihre Verachtung gezeigt hatten, waren jetzt sehr verlegen, als sie sich vor ihm demütigen mußten.
Auch in der Stadt verbreitete sich sogleich Furcht und Entsetzen. Es war althergebrachte Sitte, daß am Tage, wenn der neue Papst gekrönt ward, allen Verbrechern in den Gefängnissen Gnade widerfuhr. Dies wurde auch jetzt allgemein erwartet. Viele Verbannte stellten sich freiwillig, um so an der Amnestie teilzunehmen, und für die Lebenszeit wegen früherer, oft vergessener Verbrechen, freigesprochen zu werden. Sixtus aber, dessen fester Vorsatz war, diesen Untaten für immer einen Damm entgegenzusetzen, ließ alle des Todes Würdigen, selbst am Tage seiner Krönung, öffentlich hinrichten. Alle Vorbitten, Einreden waren vergeblich. Einen Burschen, der nur mäßig sich gegen einen Häscher im Wortgezänk verteidigt hatte, ließ er, sosehr auch selbst die vornehmsten Kardinäle sich für den Unglücklichen verwendeten, hängen. – Alle, die sich im stillen mancher Vergehen bewußt waren, entflohen aus der Stadt. Auf dem Lande wurde auf seinen strengsten Befehl ebenso unerbittlich verfahren, denn diejenigen, die seine Gebote nicht befolgten, oder nur lau und lässig sie ausrichteten, wurden selbst für das Gesetz in Anspruch genommen, und er ließ keinem, der solcher Fehler überwiesen war, Gnade widerfahren.
Jedermann sah ein, daß man sich in der Person des gebrechlichen, alten und hinfälligen Montalto geirrt hatte, und daß man, fast wider Willen, einen strengen und wahren Regenten der Kirche gewählt habe, einen echten Papst, der auch, ohne zu zagen wenn er es für notwendig hielt, den Tyrannen spielen würde. Es endeckte sich nun auch, daß er bis jetzt sein Lebensalter vorsätzlich zu hoch angegeben hatte, denn seinen Jahren nach, sowie seiner jetzt entwickelten Kraft und Rüstigkeit war die Aussicht, daß er lange den päpstlichen Stuhl besitzen könne.
[] Als die große Audienz angesagt war, begab sich auch der Herzog Bracciano mit den andern Großen in den Palast des Vatikans. Es schien, daß der Papst ihn gar nicht beachtete, er redete ihn nicht an, übersah ihn, und Bracciano mußte glauben, daß dies vorsätzlich geschehe und ein Zeichen seiner Ungnade sei.
Beunruhigt wendete sich der Herzog an den Kardinal Ferdinand von Florenz; er ersuchte diesen, ihm eine Privataudienz bei Sixtus zu verschaffen. »Der Papst«, sagte dieser, »ist natürlich ungehalten, daß Eure Exzellenz, gegen Euer feierliches Versprechen, sich mit Vittoria dennoch vermählt hat.«
»Ich gab dies Versprechen«, erwiderte Bracciano, »nur dem Papst Gregor, der nicht mehr ist. Ich gab es, weil ich sah, daß der erzürnte Greis es außerdem zu gefährlichen Extremen treiben würde, die, wenn er ohne Rücksicht handelte, mich zwängen, offen als Rebell ihm gegenüberzutreten. Dann war das Dasein meiner Gemahlin gefährdet, und alle meine öffentlichen wie heimlichen Feinde hätten schnell diesen rechtlichen Vorwand benutzt, auch mich zu stürzen und zu vernichten, denn es war wohl deutlich, daß die Kabale mehr gegen mich, als gegen die arme Vittoria gerichtet war: denn sie wurde dem Papst nur hingestellt, um den Verblendeten, der den Zusammenhang nicht kannte, zu Gewaltschritten anzureizen, damit ich in Gefahr käme. Und wer weiß, wie es diesem Farnese und andern geriet wenn sie durch ihren heroischen Mut nicht diesen Hauptfeind schamrot gemacht und gedemütiget hätte.«
»Gesteh ich es nur, geehrter Schwager, daß ich mich Euch auch nicht völlig versöhnen kann«, erwiderte der Medicäer. »Ist sie denn so vorzüglich, großartig und tugendhaft, als Ihr sie wähnt? Hat Euch die Leidenschaft nicht verblendet und zu einem unziemlichen Schritte verleitet? Ich rede jetzt nicht vom Tode meiner Schwester, sie ist ihrem Schicksal erlegen, sei es Strafe, sei es Krankheit, sie hatte sich tief gegen Euch verschuldet, und Ihr wißt es selbst, wie weder der Fürst, mein Bruder, noch ich, Euch nach diesem Unglück unsre Freundschaft entzogen. Wir verbanden uns im Gegenteil inniger mit Euch und Eurem Interesse. Eures Sohnes wegen, und auf Euren Wunsch strengten wir Mittel und Kredit an, um Eure Güter von der Schuldenlast zu befreien, die Euch drückte, die durch Eure Großmut und Freigebigkeit so angehäuft war. Ihr verspracht auch mir, Vittoria aufzugeben.«
»Eminenz!« rief Bracciano, »seid billig und setzt mich nicht auf diese Weise in Verlegenheit, indem Ihr Worte und Versprechungen anders nehmt, als sie jemals gemeint sein konnten.
[] Bedenkt doch, was meine Liebe und Leidenschaft bedeuten könnte, wenn ich so ruhig auf immer diesem Besitz meiner angebeteten Gemahlin hätte entsagen mögen. Ich mußte ja notwenig voraussetzen, daß Ihr, als ein weiser Mann, mein Wort so nahmt, wie es nur gemeint sein konnte: daß ich in diesem Zwiespalt, in diesem kritischen Moment ihr entsagte, und es duldete, daß die Unschuldige eingekerkert wurde. Und sie, Vittoria? Ja, wäre sie eine Bianca Capello, oder nur entfernt ihr ähnlich, so wäre der Handel mit einer listigen Buhlerin bald geschlossen gewesen; sie hätte dann die günstigen Umstände, wie jene abgewartet, falls meine Schwachheit für sie, wie bei jener des Gemahls, fortgewährt hätte. Denn Ihr wißt und bedauert es gewiß, verehrter Freund und Schwager, was Euer erlauchter Bruder sich alles für jene hat zuschulden kommen lassen. Dort werdet Ihr zu sorgen haben, daß nicht untergeschobene Kinder Eure Rechte kränken. Nicht soll mein Virginio je darunter leiden, daß ich mich in meinem Alter noch den glücklichsten aller Menschen nennen darf. Und Euer großer Vater: gab er nicht in Krankheit und Schwäche noch einer Leidenschaft nach, die auch viele, selbst von seinen Freunden, tadeln wollten? Ich bin Euch und Eurem Bruder verbunden, daß Ihr Ordnung in mein Hauswesen und Vermögen habt einführen wollen; es wird meinen Kindern zugute kommen. Aber arm, ohne Rang und Titel, ein Bettler möchte ich lieber sein, als den Besitz meiner Vittoria aufgeben, die noch tiefer in mein Herz eingewurzelt ist, die ich noch leidenschaftlicher liebe, seit ich sie meine Gattin nenne. Ihr selber würdet sie verehren, wenn Ihr sie näher kennenlerntet.« –
Der Medicäer schien mit dieser Auseinandersetzung nicht unzufrieden, und er mußte sich gestehn, daß Vittoria, von fast ebenso edler Abkunft, wie jene, ihm verhaßte Bianca, war, und daß ihre Schönheit, Betragen, Tugend und edle Weise weit über die Eigenschaften jener vorragten und die gealterte Buhlerin in den Schatten stellten. –
Sixtus bewilligte das Gespräch, um welches Bracciano angesucht hatte. Dieser mußte einige Zeit im Vorsaal warten, was seinen Stolz aufreizte, indem er sich jener Zeiten erinnerte, in welchen er mit Geringschätzung auf diesen Montalto hinabgesehen hatte. Er wurde eingeführt, und traf den Papst allein, in seinem Sessel sitzend. Als der Herzog die herkömmliche Veneration geübt hatte, sah ihn Sixtus mit seinem scharfen hellgrauen Auge blitzend an, doch Bracciano war gefaßt und vorbereitet:
[] »Indem ich Euern Segen, Heiligster Vater, für mich und die Meinigen erflehe«, sprach er, »empfehle ich mich und uns alle in Euern Schutz und Eure Gnade. Die Gnade aber, die ich am höchsten stelle, ist, daß Ihr meinen Sohn Virginio, der sich den reifen Jahren nähert, würdiget, daß er der Gemahl Eurer Nepotin, der Tochter Eurer verehrten Schwester Camilla, werden möge. Dann sichert Ihr auf immer das Wohl meiner Familie und ich kann ruhig sterben.«
»Ihr seht nicht aus, wie ein Mann des Todes«, antwortete Sixtus, »und ein neu verehlichter Gatte sollte nicht vom Sterben sprechen. Was Euren Sohn und meine geliebte Nichte betrifft, so danke ich Euch für Euer Anerbieten, durch welches Ihr sie ehrt. Und so wünsche ich Euch auch zu Eurer Verbindung alles Glück, obgleich mir diese schöne Vittoria mehr gefallen würde, wenn sie damals, als sich jenes Unglück ereignete, sich in ein Kloster als fromme Schwester verborgen, und der sündigen Welt völlig entsagt hätte.«
Jetzt stand der Papst auf und ging mit schnellen Schritten durch den Saal. Soeben wurden Verbrecher auf dem Platze hingerichtet. Er trat an das Fenster und rief den Herzog zu sich hinan: »Seht!« rief er, »auch Banditen und Mörder, denen ich niemals, unter keiner Bedingung, Gnade erweisen werde! – Ja!« rief er aus, indem seine kräftige Stimme wie Donner tönte und sein blitzendes Auge wilder in das Gesicht des Herzogs sah – »und wenn ein regierender Fürst, der durchlauchtigste, so vor mir stände, so würde ich ihm ungesäumt sein Urteil sprechen, und ebenso dort unten an ihm vollstrecken lassen! – Alles sei vergessen, was meinen Neffen betrifft – aber jeder neue Frevel, jede Verbindung mit Banditen, jede Gewalttat in meinen Staaten – bei Gott und meiner Ehre und der des Stuhls« – er schlug heftig mit der Faust auf seine Brust – »nur Strang und Beil sollen sie richten, ohne Ansehn der Person!«
Bracciano, so kühn er sich fühlte, erschrak und mußte vor diesem Feuerblick sein Auge scheu niederschlagen. Die Kämmerer im Vorsaal entsetzten sich, weil sie nicht wußten, was vorging, und sie diese Donnerstimme des Papstes von ihm noch niemals vernommen hatten. – Mit der gewöhnlichen Zeremonie entfernte sich Bracciano. –
»Was ist dir, Geliebter?« fragte Vittoria besorgt, als der Herzog in seinen Palast zurückgekommen war; »du siehst bleich aus, dein Auge ist ohne Glanz: du wirst erkranken.«
»Laß, Liebste«, erwiderte der Gatte, »ich bin wohl und gesund, [] und diese Erschütterung wird bald vorübergehen. Aber wir verlassen Rom, schon morgen mit der Frühe.«
Vittoria erstaunte. »Ja«, sagte Bracciano, »ich habe in Schlachten dicht vor den morderfüllten Kanonen gestanden, türkische Säbel blitzten tödlich nahe über meinem Haupte, aber bis heute wußte ich nicht, was Zittern sei. Doch der Alte dort im Vatikan brüllt wie ein wütiger Löwe und hat den Blick eines Tigers. Er lechzt nach Blut und Mord: ihm wage ich nicht gegenüberzustehn.«
»Dieser alte, milde, schwächliche Montalto?« sagte Vittoria lächelnd.
»Zum Drachen ist er hinausgewachsen«, sagte der Herzog: »unser Untergang, unsre Hinrichtung würde ihn mit trunkner Lust erfüllen, und wie leicht, daß einer meiner Anhänger sich vergißt, daß selbst dein Bruder, der Marcello, mich in Gefahr bringt, daß die Geschichte vom Tode Perettis wieder aufwacht, die er nun nicht, wie damals, beschwichtigen wird. Wir müssen fort von hier, je weiter, je besser, bis an die Grenzen der Schweiz und Deutschlands. Dort oben, am schönen Gardasee, in Salo, besitze ich ein anmutiges Sommerhaus: der Frühling hat erst begonnen, dort wollen wir in schöner warmer Zeit bis zum Spätherbst, uns selbst und der Liebe leben: ein Paradies ist dort; Menschen bedürfen wir nicht, Musik und Bücher nehmen wir mit uns, und, das höchste Kleinod, die Liebe.« –
Vittoria, als sie ihr Erstaunen überwunden hatte, fügte sich gern dem plötzlichen Entschluß, und der folgende Tag sah sie schon auf der Reise. –
Sie verweilten in Bologna, beim Grafen Pepoli, der entzückt war, in seinem Palast so edle Gäste aufnehmen zu können.
Beim frohen Gastmahl sagte der Herzog wie im Scherz: »Mich jagt der wütende Sixtus aus meinen römischen Besitzungen hinweg, obgleich er mein Schwager geworden ist, und ich meinen Sohn ihm mit der Tochter seiner Schwester verlobt habe. Ja, mir dünkt noch dies Bologna, als ihm gehörend, unheimlich und ich werde eilen, diese mit Blut gefärbten Staaten zu verlassen.«
»Wie erfreulich«, sagte Pepoli, »wenn ein Mann und Fürst, der hohe und mutigste, sich in solchen Scherzen ergeht. Es ist, als wenn der Mond sich wirklich fürchtete, von den thessalischen Zauberinnen auf die Erde herabgezogen zu werden.«
»Ei, Freund!« sagte der Herzog, »der Zauberkünste und Formeln gibt es gar viele und mannigfaltige. Die Wirkung kommt, [] künstlich und magisch vorbereitet, so unerwartet um eine unschuldige Felsenecke, wie eine kriechende Schlange schleichend heran, und plötzlich sieht sich plötzlich mit seinen Söhnen verstrickt, unentrinnbar, und der Tod grinst hämisch da, wo vor Minuten noch Gesundheit und Übermut lachten.« –
Noch am Abend, als eine kleine Gesellschaft sich versammelt hatte, brachte der Kammerdiener dem Grafen ein versiegeltes Blatt. Er eröffnete es in Gegenwart des Herzogs und es enthielt nichts, als eine Chiffre. »Aha!« rief Pepoli aus, »da werde ich nach Jahren an ein feierliches Versprechen gemahnt, das ich um alles nicht brechen darf.«
Er rief dem Haushofmeister. Dieser mußte sogleich ein Fuhrwerk besorgen, um in Begleitung zweier Diener diejenigen, die sich so rätselhaft angemeldet hatten, noch in der Nacht weiterzuschaffen. Er ließ ihnen schnell ein Gastmahl anrichten, damit sie erquickt und gestärkt die nächtliche Reise unternehmen könnten, um in der Landschaft, auf einem einsam gelegenen Kastell, einige Tage zu verweilen.
»Als sie allein waren, sagte der Graf: Ihr dürft es wohl erfahren, daß die Fremden von jenen proskribierten Verbannten sind, die der Papst mit unerbittlichem Sinne zu vertilgen sucht. Ein guter Mann, Ascanio, ist mit einem ehemaligen Barigell, Antonio, unten in meinem Hause. Jetzt darf ich davon sprechen, da die Zeit alles Geheimnis jener Sache längst entkleidet hat. Dieser Ascanio hat mir in jener Zeit, als ich einen alten Verwandten im Sabiner Gebirge aufsuchte, auf eine edle Art das Leben gerettet. Dem berüchtigten Piccolomini mußte ich als Ersatz dafür mit einem feierlichen Handschlag versprechen, diejenigen zu retten, die sich mir mit dieser Chiffer anmelden würden. Nun muß der weichherzige Ascanio doch wieder in die schlimme Verbrüderung, durch Unglücksfälle geraten sein, da er meine Hülfe in Anspruch nimmt.«
»Aber«, fiel Bracciano ein, »Ihr setzt Euch durch Euer Mitleid einer Gefahr aus.«
»Die strengen Edikte des neuen Papstes«, antwortete Pepoli, »sind auch zu uns hierher gekommen; ich werde es auch niemals wagen, hier in Bologna einen Verbannten aufzunehmen und zu beschützen. Ich sende sie nach dem Kastell dort, das außerhalb des päpstlichen Gebietes liegt, und das unter Schutzherrschaft des deutschen Kaisers steht, dessen Vasall ich ebenfalls bin.«
Man beschloß, sich am folgenden Tage nach diesem Schlosse zu begeben, denn Bracciano zog es vor, soviel als möglich das [] päpstliche Gebiet, sowie das Florentinische zu vermeiden, weil er, unter den jetzigen Umständen, in Begleitung der jungen Gemahlin, mit seinen Verwandten dort weder in freundliche noch zornige Berührung kommen wollte.
Bracciano wie Vittoria freuten sich über die Verehrung und Liebe, die ihr Freund Pepoli in Bologna genoß. Erst an diesem Tage hatte er eine Menge verwaister Kinder beiderlei Geschlechts reichlich ausgestattet, und ihnen den Eintritt in das Leben erleichtert. Er sorgte großmütig für Blinde und hülflose Alte. Jeder Arme, der rechtlich war und den Unglück gebeugt hatte, wandte sich mit Vertrauen an den edlen Grafen, und keiner ging ungetröstet von ihm. So nannten ihn die Bedürftigen, Bettler und Kranke nur den Schutzgeist von Bologna, und wenn er sich öffentlich zeigte, drängte sich das Volk um ihn, um ihm ihre Liebe und Verehrung kundzutun. Nicht minder achtete ihn, seines menschenfreundlichen Wesens halb, der ältere und jüngere Adel, er galt allen für ein Muster, nach dem sich der Jüngling bilden müsse. Auch Priester und Gelehrte schätzten ihn hoch, weil er die Wissenschaften ebenfalls auf alle Weise unterstützte. Kurz, er konnte für das Vorbild eines sanften, edlen, wohltätigen Mannes gelten. Er war unvermählt, und hatte bis jetzt die Anmutung sich zu verheiraten, abgewiesen, weil er fürchtete, daß er doch als Gatte, so groß sein Vermögen war, in seiner Wohltätigkeit gehemmt werden dürfte; obgleich seine Freunde auf seine nächsten Verwandten hindeuteten, die, falls er ohne Erben stürbe, seine Reichtümer auf ganz entgegengesetzte Weise anwenden möchten.
Mit der Frühe reiseten die drei befreundeten Wesen von Bologna ab, um sich nach jenem Kastell des Grafen zu begeben. Unterwegs sagte Pepoli: »Ihr werdet einen sonderbaren alten Verwandten von mir kennenlernen: diesen Velluti, den ich damals mit einiger Anstrengung befreite. Er war früher der Ausbund eines übermütigen Mannes, keine Unternehmung war ihm zu kühn, man nannte ihn in der kleinen Stadt nur den tollkühnen Alten. So war er denn auch den Banditen dort sehr gefährlich, die vor seinem Namen zitterten, bis es den Bösewichtern gelang, ihn aus dem eignen Hause wegzurauben, und ihn unter stündlicher Todesbedrohung viele Tage im innern Gebirge zu verstecken. Seitdem denkt, sieht und hört der Arme nichts, als Banditen, denkt und träumt nur Mord und Brand, und aus dem verwegensten Menschen ist die feigste Seele geworden.«
Sie gelangten an das Schloß, das in einer schönen, grünen [] Einsamkeit sich stattlich zeigte. Es war fest, wie es die damaligen unruhigen Zeiten notwendig machten, da Kampf und Überfall täglich sich ereignen konnten.
Schon vor dem Tore kam ihnen der zitternde Velluti entgegen. Weinend küßte er die Hand des Grafen und rief bewegt: »O mein Wohltäter! so sehe ich Euch doch noch einmal in meinem Leben wieder. Ich dachte, Euer liebes Angesicht nicht wiederzuerblicken. O nein, ich muß vergehn in meiner Angst, und Ihr werdet sterben, mein Hochverehrter. Ach! da sind zwei greuliche Menschen unten im Schloß, zwei von denen, die Ihr auch wohl in den schrecklichen Bergen kennenlerntet. Kommt ihnen nicht zu nahe, läßt Euch mit ihnen nicht ein, wechselt kein Wort mit den Bösewichtern.«
Sie betraten unter fröhlicher Begrüßung der Dienerschaft das Schloß. In den untern Gemächern traf Pepoli die beiden Flüchtigen. Der riesengroße Antonio war, wie immer, ruhig und barsch: »Ich dachte nicht«, sagte er mit grobem Ton, »daß ich noch einmal so herunterkommen würde, Eure Hülfe in Anspruch nehmen zu müssen, aber der Sixtus ist schlimmer als ein toller Eber, so daß sich auch der wilde Piccolomini von ihm hat ins Bockshorn jagen lassen. Und so sind wir, so gut wir auch organisiert waren, ausgerissen, denn der verrückte Pfaffe weiß sich nichts Köstlicheres, als Rädern, Köpfen, Verbrennen und Strangulieren. Das ist sein Konfekt des Nachtisches, die Folterqualen selber mit anzusehn. O wohin ist unsre goldene Freiheit?«
Ascanio erzählte wehklagend eine traurige Geschichte, wie klägliche Umstände ihn wieder jener früheren Verbrüderung zugeführt hätten. Der Graf gab ihnen bedeutende Summen, um sich mit diesen in das Venezianische, oder nach Korfu und Dalmatien, oder selbst nach Deutschland zu begeben. Sie eilten von dem freien Gebiete, wo ihnen keine Gefahr drohte, nach fern liegender Zuflucht, um dort ein neues Leben zu versuchen.
Als die Herrschaften in heitern Gesprächen beim Abendessen saßen, stürzten atemlos und bleich einige Diener herein: »Was gibt es«, fragte der Graf. »Ist ein Unglück geschehn?«
»O weh!« schrie der eine, »das Haus ist mit Soldaten und Truppen umstellt.«
»Und der alte Velluti«, rief der andre, »ringt schon mit dem Tode; so hat er sich über diesen Anblick entsetzt.«
Alle erhoben sich vom Tische. »Was ist das?« rief der Graf; »was kann man von mir wollen? – Sind es denn Kaiserliche?«
[] »Nein«, stammelte der Diener; »römische Krieger und Häscher.«
In der Verwirrung hatte man den Anführer schon in das Haus gelassen, er trat höflich grüßend herein, und mahnte den Grafen, sich mit ihm nach Bologna zu begeben.
»Weshalb? Was hat es zu bedeuten?«
»Ihr wißt«, fuhr jener fort, »die strengen, geschärften Befehle unsers Heiligen Vaters: wie jeder, der Banditen eine Freistätte gewährt, dem Gesetz verfallen ist.«
»Wißt Ihr auch«, sagte der Graf stolz und fest, »daß ich hier in diesem meinem Kastell der Vasall des Römischen Kaisers bin? daß in diesem Distrikt hier der Papst nicht mein Oberherr ist, und er mir hier gar nichts zu gebieten oder zu befehlen hat?«
»Ich folge der Ordre meiner Obern«, antwortete der Barigello, »mich kommandiert mein General, Graf Cordori, dieser steht unter dem Kardinal Salviati, welcher im Bolognesischen die Befehle des Heiligen Vaters mit aller Strenge auszuüben hat. Wollt Ihr uns nun, Herr Graf, gutwillig folgen, oder sollen meine Leute Euch mit Gewalt fortführen?«
»Dieser Friedensbruch«, sagte jetzt Bracciano, »und Verletzung des Bannes ist in der Geschichte unerhört.«
»Ich bitte um Antwort«, sagte der Barigello.
Man übersah aus dem Fenster die ansehnliche Mannschaft der Soldaten und Häscher, alle zum Kampf gewaffnet, an Widerstand war also nicht zu denken, an Flucht noch weniger. »Ich muß mich ergeben«, sagte Pepoli, »ich hoffe am Kardinal Salviati, der mir persönlich bekannt ist, einen verständigen Richter zu finden.«
»Salviati ist mir von alter Zeit befreundet«, sagte der Herzog, »und ich begleite Euch zurück nach Bologna. Er wird Vernunft hören und annehmen. Kann er, oder der Papst den deutschen Kaiser so mutwillig kränken und beleidigen wollen?«
Vittoria sah die beiden Männer mit Erstaunen und Wehmut an. Sie begriff eigentlich den Handel nicht. Unten lag Velluti als Leiche. Er hatte sterbend seinen Wohltäter grüßen lassen. –
Traurig, finster, kam Bracciano am folgenden Tage zurück. »Die Unmenschen!« rief er der erschreckten Gemahlin zu; »sie haben ihn sogleich als überführt im Gefängnis erdrosselt. ›Möchten die Erben doch ihre Klage bei Papst und Kaiser erheben‹, sagte der blutdürstige Salviati; – o welcher Tiger, dieser Sixtus. – Als ich zornig sprach, drohte man mir selbst, als einem Banditenfreunde! Laß uns dem Schlachthause entfliehen.«
[]Am Gardasee, in der Nähe der kleinen Bergstadt Salo, lebte der Herzog mit seiner Gemahlin glückliche Tage. Sie lasen, sangen, dichteten, er ritt auf die Jagd, und sie begleitete ihn auf kleinen Reisen in der schönen und mannigfaltigen Umgegend. Die Nähe von Deutschland und der Schweiz, diese Bergnatur mit ihrem stets neuen Wechsel geben diesen Landschaften einen eigentümlichen Reiz. Von einem so einfachen, idyllischen Leben ist nur wenig zu berichten, das ruhige, ungestörte Glück kann niemals die Imagination des Dichters vielfach bewegen: nur von Wechsel, Unglück, Schlacht und Tod, Gram und Verzweiflung, oder Wunder, berichtet Legende und Romanze, das epische Gedicht wie das Drama.
In dieser holdseligen Einsamkeit störte sie fast niemals ein Besuch. In Venedig waren sie gewesen, und die Republik hatte dem tapfern Herzoge eine hohe und rühmliche Befehlshaberstelle angetragen: er war gerührt von der ihm zugedachten Ehre, schlug aber diese Würde aus, was den Dogen und den Rat einigermaßen kränkte. Man hatte ihm und seiner Gemahlin mit einem feierlichen Aufzuge entgegenkommen wollen, welches aber nun, so viel Ehre sie ihm auch erwiesen, unterblieb.
Es erfreute ihn aber, hier in dieser weltberühmten Stadt seine Vittoria im Glanz einer Fürstin auftreten zu sehen; es schmeichelte ihm, wie der Doge und hohe Adel ihrer Schönheit huldigte, und jedermann sich ihr nur mit Erstaunen und Bewunderung näherte. Auch die Gelehrten und Dichter brachten ihr Opfer des Lobes und der Schmeichelei, da man in Italien, wenn sie auch ohne Namen gedruckt waren, ihre feurigen Lieder kannte.
Nachdem sie das großartige Verona besucht hatten, begaben sie sich wieder in die Einsamkeit ihrer Berge und nach dem schönen, romantischen See, den sie auf einer Barke, mit Musik begleitet, überschifften, und sich an den alten Romanzen ergötzten, die man in diesem Lande vernahm.
Zuweilen erfüllte die hohe Schönheit den Wunsch des Geliebten, sich ihm in der Gestalt und Tracht der Diana zu zeigen, und er rief einmal in seinem Entzücken: »Ja, du mein Herz und meine Seele, in dieser herben Jungfräulichkeit, du wildes Kind, wurdest du mein, denn ein Mägdlein, nicht eine Frau gönnte mir an jenem Abend, wo Hymen uns vereinte, den kostbarsten Schatz ihrer Liebe. Oh, du Wunderwerk der unerschöpflichen Natur! wie wandelst du dich in alle Gestalten, und [] in jeder neuen bist du schön und herrlich. Wenn ich dich als Pallas anbeten muß, so hüpft mein Herz im Rausche der Wonne, wenn ich dich auch im Taumel der Liebe als Bacchantin sah, und immer weiblich edel, immer von Grazie und Holdseligkeit umgossen. Wenn andere Frauen sättigen, entzündest du die Liebe und ihr Verlangen nur mehr und mehr. Wie ich nach dir brannte, wie mein Herz nur dein und deiner immer und ewig begehrte, und der Moment, daß du mein werden konntest, mir von feindseligen Dämonen festgeschmiedet schien, um mich ohne Labsal verschmachten zu lassen; – so – oh, mißverstehe mich nicht, mein Abgott – so sehne ich mich jetzt, daß ich mir nur ein einzig armes Mal sagen könnte: jetzt ist mein Herz und Sinn gesättigt, ich bin, auf diesen Augenblick doch, der Sehnsucht und dieses Rausches frei.«
Da zog jene wundersame Glut der Schamröte über ihr Lilienantlitz, und sie schmiegte, ihr Auge verbergend, das Lockenhaupt an seine Brust. »Oh, mein Paul!« flüsterte sie ihm zu, »– du mein Gott und alles – was bin ich durch dich geworden? Eine Selige, der Olympischen eine. – Aber warum, du Wilder, bist du so wild und ungestüm? Ist es denn nicht oft, als wolltest du Seele und Leben, die ganze Ewigkeit in diesen Momenten des Rausches opfern? Oh, mein Gatte, mein Held, mein liebliches Kind, mein sanftes Lamm und auch Bacchus und Apoll und Jupiter – willst du, kannst du nicht sanfter, demütiger – ach! Himmel! – Was soll ich sagen? – Du verstehst mich gewiß.«
Er lächelte selig und sah auf sie nieder, etwa wie Herkules mag auf die Göttin der Jugend sanft und stolz hinabgesehen haben.
Wenn sie einmal allein war, was sich nur selten zutrug, so war ihr Sehnen nach ihm so milde und genügend, die Erinnerung so still behaglich, daß das Herz sich immerdar in sanfter Freude wiegte. »Daß den Sterblichen«, sagte sie dann, »ein solches Glück zugewiesen werden könne, ist mir ehedem nicht glaublich gewesen; ja, ich habe keine Ahnung von einem solchen Leben gehabt.«
Ein andermal neckten sie sich wieder, wie die Kinder, und übten tausend kleine Schalkheiten aneinander aus. Im Garten stellten sie einst einen Wettlauf an, und er blieb weit zurück.
»Du bist zu stark«, sagte sie lachend und ihn verspottend; »wie willst du die Last eines großen Körpers, deine hohe Gestalt so schnell bewegen und so behende? Ich darf dir viele Schritte vorausgeben, und du wirst mich doch nicht einholen.«
»Mit der Atalante«, erwiderte er, »kann keiner rennen, ich [] müßte dir denn, wie jener Freier, die goldnen Äpfel zum Abirren weit wegwerfen.«
»Und so kann ich dir also doch weglaufen, sobald ich nur will.«
»Dann schleudere ich, dein Zeus, Donner und Blitz dir nach, die sind doch rascher als deine schönen Beine: meine Liebesgedanken ereilen dich dann, wie sie dich ja auch so eingeholt und überlaufen haben, daß du mein Weibchen geworden bist.«
»Bin ich es denn?« sagte sie, ihn küssend, »deine Geliebte bin ich, dein wildes Kind, wie du mich so oft nennst. Wie du mich neulich schlugst, mit meinen eigenen schweren Locken, als ich deine Heldentaten gegen den Türken nicht glauben wollte, du Prahler!«
»Prahler!« fuhr er auf, und umschloß sie mit seinen kräftigen Armen, »und eben ermahnte sie mich noch, in meiner Liebe mäßiger zu sein, die nüchterne, ungläubige Heidin! Ja, morden könnte ich dich, du Gottlose, liebste Liebe, in diesen höchsten Momenten der Liebe.«
»Und warum nicht gern sterben?« antwortete sie, »und mit Freudentränen im Auge? – Ach, Paul, mein Giordano! wenn wir uns nach dem Tode wiederfinden, wenn ich dir entgegenstürze, in jenem uns unbekannten Lande: wird dann die Wonne nicht vielleicht noch größer sein? oder anders? oder ist es, wie mir im Leben vorher war, daß wir es uns jetzt nicht denken können?«
»Tod und Leben in deiner Nähe ist mir eins«, antwortete Bracciano: »für dich nur hat mich das Schicksal auf einer langen, und oft rauhen Bahn erzogen. So ist mein Lieben jetzt die Schule, deiner in Zukunft noch würdiger zu werden.«
»Ja«, fuhr sie fort, »und so schweben wir in jenen, uns jetzt unsichtbaren und undenkbaren Gebieten, wir beide eins, und zugleich mit Andacht, Anschauen der vorigen Kräfte eins, wie wir schon jetzt in begeisterten Momenten aufgehen mit der schönen Natur umher, mit Luft, Himmel, Licht, den Gestirnen der Nacht, und wir in Entzücken die ewigen Kräfte fühlen, die magisch im Gestein und Wasser, in Mond und Sonne weben: wir hören dann, wir fühlen den Pulsschlag der allgewaltigen Natur, Gottheit weht durch unser ganzes Wesen, und auch die kleinste Faser unsers Daseins ist geweiht und klingt, wie die windbewegte Saite der Harfe, in den Akkord der Unendlichkeit hinein.«
»Und auch dies Gespräch«, fuhr er fort, »ist bacchantischer Natur. Wir Menschen können nicht anders. Wohl dem [] Eingeweihten in Eleusis' Mysterien, wenn er in jeder Chiffer, die ihm die Wirklichkeit vorhält, ein Geheimnis findet, ihm verständlich.«
»Oder ein Rätsel«, sagte sie, »das, als unerraten, lieblicher und tiefer unser Wesen durchschauert, als wenn sich uns die sogenannte Wahrheit enthüllte.«
»Darum ist jede Wirklichkeit, jede Erscheinung Symbol«, sagte Bracciano, »und wieder, oft in anderer, irdischer Begeisterung angesehen, bedeutet es doch nur sich selbst, genügt sich selbst, und ist sich selbst das Höchste. Es ist Abend geworden, laß uns ruhen, und jene sich genügenden höchsten Mysterien feiern.«
Sie sah ihn mit leuchtenden, aber keuschen Blicken an und schüttelte lächelnd das Haupt. Er küßte sie aber und sie folgte ihm nicht unwillig. –
So zählten sie in immer neuem Glück nicht Zeit und Stunde. – Flaminio war in Padua, und hatte dort den Palast für sie eingerichtet, wenn sie mit dem Beginn des Winters diesen beziehen würden. Der Herzog hatte den ältern Bruder Marcello auch dorthin beschieden, der jetzt, durch den erlauchten Schwager in Wohlhabenheit versetzt, sich vornahm, fortan ein anständiges Leben zu führen. Der Sommer war vergangen, aber die beiden Glücklichen dachten noch nicht daran, ihre schöne Einsamkeit zu verlassen.
Es war schon im Herbst, und einer von jenen wunderbaren Tagen, wie man sie nur in den südlichen Berggegenden erleben kann. Er wollte das wundersam schöne Wetter einmal ganz für sich allein im Walde genießen. Vittoria blieb einsam zurück und saß sinnend und schreibend bei offenen Türen im Saal, welcher die Aussicht auf die schöne Landschaft erlaubte.
»Wie selig müde«, so schrieb sie, »wie erregt in schlummernde Mattigkeit, wie wach und bewußt in diesem seligen Traum! Die Liebe ist es, durch die ich alles verstehe, durch welche auch das scheinbar Tote lebt. Der See schimmert und rauscht und flüstert unter seinen wechselnden und spielenden Lichtstrahlen. Oft klingt wie aus dem Grunde ein Glockenton herauf und tönt fort, wie mahnend unter die kosenden, vielfach schwatzenden Laute hinein. Ist es des Wassers ernster Geist, der die plaudernden Kinder ermahnt? Denn wie die kunstbegabte Hand durch die vielfach tönenden Saiten der Harfe sich klug auf und ab bewegt, wie auf dem Spinett die angeschlagenen Tasten klingen, so hält die Fee der Wasser die glänzenden Finger hinein, und spielt mit den vor Freude zitternden Wellen und läßt sie rieseln und klingen. Der ernste Felsen drüben zieht schon, wie zum [] Schlaf, die ernste Nebelkappe über sein rauhes Haupt, um andächtig zuzuhören, und die Wälder fragen sich: wird die Nacht kommen und die Traumgestalt, die dann durch das dunkele Grün poetisch wandelt? Das kleine Gesträuch schwatzt am Ufer von jener Zeit, in welcher es zu Bäumen wird, und statt der Amsel und der Nachtigall der Adler sie besucht, und der Reiher in ihnen sein Nest baut. Wie spiegelt sich die schlüpfende Eidechse noch in den letzten Strahlen der untergehenden Sonne! Nun wandelt und wimmelt das kleine Wurmgeschlecht, die Völkerschaft der kleinen Käfer auf mannigfachen Wegen durch das dunkler leuchtende Gras. Der Adler fliegt zu seinem Horst und trinkt die Strahlen der Abendröte: die Schafe kommen blökend von der Weide, die Glocken der Kühe tönen den einförmigen Schall – ein Schweigen ruht auf Wasser, Feld und Berg – es horcht brütend und aufmerksam in die Tiefe der Erde hinein, was die Geister dort ausschwatzen, die niemals an die Oberwelt kommen. Nun stehen die Kuppen der Berge hell blühend im Rosenlichte, die Nebel ziehen sacht, vom Strahle geküßt, in den Wald hinab, die großen Wolken malen kühn Schlacht und Tumult und Ovidische Metamorphose in das dunkelnde Himmelsgwölbe. Nun geht sie fort, die Abendröte, die Königin; bläulich grau, wie Leichname, stehn die Felsenkuppen, wie Gespenster fast, und mich ergreift ein Schauer, und zittert an mein Herz hinan.« –
Wirklich ergriff sie ein fröstelndes Zittern, und sie stand auf die Fenster und Türen gegen die eindringende Abendluft zu schließen. Indem sie sich umsah, nahm sie in der Ecke des Saales ein zusammengekauertes, kleines graues Wesen wahr, das sich in der Nähe einer Tür gelagert hatte. Ihr erster Gedanke war, einen jener blödsinnigen Bettler, oder die Gestalt eines Kretins vor sich zu sehn, wie sie wohl in jenen Gegenden zu finden sind. Sie wollte die Diener rufen, um das kleine Wesen mit einem Geschenke abzufinden, als dieses sich erhob und den nebelgrauen Finger warnend ausstreckte. Es war nicht Wirklichkeit, so sagte sie zu sich selbst, sondern eine Schöpfung ihrer aufgeregten Phantasie. Sie trat dem Fremden dreist näher und heftete die Augen fest auf ihn, aber er verschwand nicht, wie sie erwartet hatte. Sein hängendes Gewand war grau, mit einem schwärzlichen Gurt in der Mitte zusammengehalten, die weiten Ärmel schlotterten, und Arme, Finger, und Hände waren unendlich mager: sein Angesicht war wie das eines halb verweseten Leichnams, die Lippen blaßbläulich und die Augen dunkel mit stechendem Blick. So [] mutig sie war, so genau sie den Unheimlichen zu betrachten wagte, so konnte sie sich doch einer angsthaften Furcht nicht erwehren. – »Wer bist du?« redete sie ihn an; »was willst du von mir?« »Dein Warner«, krächzte kaum vernehmlich der Kleine; »sollst dich hüten! – Er – jetzt eben –«
Da ging sie ganz nahe, aber ihre Hand erfaßte nur die Mauer, es war nichts da, was gesprochen haben konnte, aber viel finsterer war die Stelle des Saales, als vorher, als der Kleine noch dort in seinem grauen Schimmer gestanden hatte. – Aber sie faßte sich und rannte schnell aus dem Hause, da sie glaubte, soviel begriffen zu haben, er sei in Gefahr. – Sie eilte in den nahen Wald. Hier war die Dämmerung schon in Dunkel und Finsternis verdichtet. Es war, als wenn ein unsichtbarer Führer sie auf den Fußsteigen geleitete, die sich nach allen Seiten ausstreckten, denn sie zweifelte nicht, daß sie ihrem Gemahl begegnen müsse. Er kam ihr auch nach geraumer Zeit entgegen, schwankend, ungewissen Schrittes, auf einen fremden Mann gestützt. Sie eilte in seine Arme, er lehnte sich auf sie und rief: »Nun bin ich getrost, da ich dich wiederhabe!«
Sie wußte nicht, was sie antworten sollte. »Dank Euch, mein guter Mann«, sagte Bracciano, »daß Ihr mir bis hierher geholfen habt, jetzt ist mir besser.« – Sie sah sich um, der Wald war an dieser Stelle um ein weniges lichter, und schnell hatte sie mit einem kräftigen Stoß den unbekannte Begleiter zu Boden geworfen. »Du Elender!« rief sie, »willst uns auch bis hierher verfolgen?« Bracciano stand verwundert still. »Es ist ja der verächtliche Mancini, ein Spießgesell von Mördern, der uns damals von meinem unglücklichen Bruder den Zettel brachte in der verhängnisvollen Nacht. Seitdem hat mich eben Marcello wiederholt und dringend vor diesem Menschen warnen lassen, der im Solde unserer Verfolger steht.« – »Mancini!« rief Bracciano, »ich kenne ihn als meinen Feind, ob ich ihn gleich früher niemals sah.« Der Niedergestürzte raffe sich auf und floh mit größter Eil in das Dickicht des dunkeln Waldes. Sie wollte ihm nach, aber das Zittern und Schwanken des Gemahls hielt sie bei diesem zurück und der Verdächtige entkam.
Vittoria führte ihn, ihn sicher stützend, in das Haus; er legte sich tu Bett, und mit größter Eil wurden Ärzte aus der nächsten Stadt herbeigerufen. Sie wachte indessen bei seinem Lager, und er, so matt er sich fühlte, konnte nicht einschlafen. –
»Was ist dir geschehn?« sagte Vittoria in der Nacht: »du siehst bleich, deine Hand zittert, dein Auge ist matt und sieht starr.«
[] »Ich fürchte«, antwortete der Herzog, »ich bin durch mein Verschulden meinen listigen Feinden in die Hände geraten: daß du diesen Mancini, vor welchem mich seit lange schon freundschaftliche Briefe warnen, wiedererkannt hast, gibt mir fast die Gewißheit davon. Ich glaube, daß ich ihnen und ihren Künsten unterliege, und daß du zu spät zu meiner Rettung herbeigeeilt bist.
O Vittoria! wir sind alle schwache, gebrechliche Menschen. Indem uns die eine Torheit verläßt, meldet sich schon die andre bei uns an, und wir gestatten ihr gern den Eingang. O freilich war es eine Lüge, daß deine Liebe mir eins und alles sei, denn wäre dies, so hätte ich mich nicht von dieser Schwachheit so gröblich hintergehn lassen.
Schon vor Jahren laborierte ich mit meinem Schwager, dem Großherzog. In seinem Kabinett bewahrt er Wundersachen, die ich mir nicht zu erklären weiß. Und mag man disputieren und klug sein, wie man will, mich hat noch kein Argument so getroffen, daß es meine Überzeugung sei, nur ein Tor könne auf die Verwandlung der Metalle und auf das Erringen des Goldes hoffen.
Wie dieser Wonnerausch der Liebe alle unsre Kräfte erhöht, wie wir im Glauben, oder Aberglauben, so selig sind, so kamen auch die alten, vergessenen Träume wieder zu mir. Wer kann die Scheidewand ziehn zwischen Glauben und Aberglauben? Ich erinnerte mich nun, daß ich schon einmal mit dem berufenen Deutschen, dem Thurneiser gearbeitet hatte, daß ich zu verschiedenen Zeiten die Hoffnung genährt, dem Geheimnis ganz nahe auf der Spur zu sein.
Vor einiger Zeit traf ich in diesem Walde einen alten Mann welcher Kräuter suchte. Wir kamen ins Gespräch, er sagte mir einiges von Blumen, von der Kraft mancher Gewächse, was mir ganz neu war. Seine Wohnung wollte er mir nicht anzeigen, er war überhaupt in allen seinen Reden kurz angebunden, und er schien vielmehr mich vermeiden, als aufsuchen zu wollen.
Ich traf ihn ein andermal wieder, und nun erzählte er mir von einem viel ältern Manne, dessen Schüler er sei, und welcher das große Mysterium besitze. Es lag ihm aber, so tat er, nichts daran, daß ich den Greis kennenlernte.
Nur wie zufällig fand ich ihn noch einmal, und nun führte er mich auf mein Ersuchen zu einer Waldhütte, wo ich den Magier traf. Auch dieser rückhaltend, kannte mich nicht, wollte mich auch nicht näher kennenlernen. Aber auf meine dringenden Fragen [] gab er Antwort. Kurz, er war nicht abgeneigt, mir einen sichtlichen Beweis seiner Kunst zu geben, wenn ich nämlich Mut genug dazu besitze. Es war von nichts Geringerem die Rede, als mir die Geister meiner Eltern zu zeigen, was mir um so merkwürdiger war, da der Zauberer, so wie ich glaubte, mich gar nicht kannte.
Zu keinem Sterblichen, so hatte ich mein feierliches Versprechen gegeben, durften ich eine Silbe von diesem Abenteuer erwähnen, darum verschwieg ich auch dir alles, was ich nicht hätte tun sollen. Heute, so war die Verabredung, ging ich zu ihm. Nun die gewöhnlichen Vorbereitungen: er gab mir einen Trank der Weihe, wie er ihn nannte, der mich stärken sollte, um das Ungewöhnliche, oder Erschreckende leichter zu ertragen. Auch er trank davon, um mich ganz sicher zu machen. Kein Mensch war im Zimmer als wir; die Fenster wurden gegen das Sonnenlicht geschlossen, geweihte Kerzen angezündet, magische Kreise zog der Beschwörer, und ein sinnebetäubender Rauch stieg aus seiner Pfanne, und erfüllte das ganze Zimmer. Schon fing meine Nachgiebigkeit an, mich zu gereuen, als wirklich im Dunst meine Eltern erschienen, und mit drohender Gebärde die Zeigefinger gegen mich erhuben. Vielleicht hatte man auf Schrecken oder Entsetzen von meiner Seite gerechnet, da ich aber kaltblütig blieb, so mußte man weiterschreiten. Ich war jetzt schon überzeugt, daß der Gaukler mich kenne, und daß alles, vom ersten Augenblick an, auf eine gröbliche Täuschung berechnet gewesen sei. Ich schämte mich vor mir selber. Da erschien im Dampf das Bild jener Isabella von Florenz, dann der ermordete Peretti blutend. Ich wollte mich entfernen, als der Dampf so vermehrt wurde, daß ich zu ersticken fürchtete, und plötzlich standest du, in Qualen, halb nackt, aus vielen Wunden blutend, verzerrten Angesichts da. Dem unerwarteten Anblick war ich nicht gewachsen, ich stürzte nieder, bewußtlos. Nach einiger Zeit traf ich mich im Walde wieder, von jenem Menschen geführt, den du wiedererkanntest. – Meine Feinde haben mich überwältigt, und diese meine Schwachheit benutzt; ich fühl es, von diesen Dämpfen bin ich vergiftet und jede Hülfe wird vergeblich sein.« –
Noch in der Nacht erschienen einige Ärzte.
[]Es war der Winter eingetreten, welcher in Oberitalien eine rauhe und traurige Jahreszeit ist und viel Regen und Kälte mit sich bringt. Der Herzog Bracciano war gestorben und zur Erde bestattet. Vielfache Gerüchte waren seinerhalb verbreitet. Waren es die Orsini, die Gegner in Florenz, die Freunde des in Paris ermordeten Troilo, die sich ihm in Masken genähert und ihn listig fortgeschafft hatten? Das Haus, wo jene Geisterscheinungen vor sich gegangen sein sollten, konnte man im Umfange des Waldes, sosehr man sich auch bemühte, nicht auffinden; derjenige, welchen Vittoria als Mancini erkannt hatte, war seitdem nirgend gesehen worden. So glaubten manche, die sich für die Einsichtigen hielten, ein Fieber habe den Herzog hingerafft, und seine sonderbaren Aussagen zeugten nur von der Krankheit seines Gemütes und einer schon ganz irregeleiteten Phantasie. Die Wundergläubigen dagegen behaupteten, seine Visionen in dem rätselhaften, verschwundenen Hause hätten sich, sei es durch einen Magier, sei es auf andre übernatürliche Weise, dem Verstorbenen wirklich gezeigt, um ihm alle Sünden und Verbrechen seines Lebens vorzuhalten, und keine giftigen Dünste oder Getränke, sondern die Qual des aufgescheuchten Gewissens habe seinen frühen Tod herbeigeführt.
Vittoria ertrug ihren Schmerz, wie große Seelen fast immer die herbsten Verluste zu tragen pflegen. Man sah sie nicht klagen und weinen, ihr Unglück war zu groß, um sich in solchen Leiden kundzutun. Sie lebte in einer stillen, erhabenen Resignation. Ihr Leben war beschlossen: ein Frühling, Sommer und Herbst war ihr Glück gewesen, in diesen wenigen Monaten war der Inhalt ihres eigentlichen Daseins befangen. Die Erinnerung dieser ländlichen Einsamkeit war jetzt ihr Genuß, sich jede, auch die kleinste Begebenheit, den unbedeutendsten Scherz wieder lebhaft herbeizurufen.
Sie hatte den für sie bestimmten Palast in Padua bezogen. Der Magistrat der Stadt, der hohe Adel, sowie einige der vornehmsten Geschlechter aus Venedig hatten sie ehrerbietig als Herzogin von Bracciano begrüßt und ihr Schutz und Sicherheit zugesagt.
Viele Diener, einige Stallmeister, alles was zum Gefolge einer mächtigen Familie gehört, umgab sie. Der Herzog hatte schon früher ein Testament zu ihrem Vorteil gemacht, in welchem er ihr alle baren Summen, das Geschmeide, Juwelen und [] Kostbarkeiten, alles Silbergeschirr, den Marstall und alle Mobilien seiner Güter gerichtlich übergab, sowie den wohleingerichteten Palast in Padua. Das Testament war unter den Schutz des Herzogs Alfons von Ferrara, sowie einiger anderer Großen gestellt, weil Bracciano gegen die Familie der Orsini ein gerechtes Mißtrauen hatte, er auch wohl überzeugt sein konnte, daß das Haus der Medicäer dieser Verfügung nicht hold sein würde. Sollte und konnte der Fürst von Este die Herzogin Vittoria Bracciano schützen und mit Kraft vertreten, so war dies freilich auch Veranlassung, den Fürsten von Florenz gerade deshalb zu Streit und Eifersucht zu bewegen, weil schon seit lange Ferrara und Florenz in beständigem Zwiespalt lebten. Alle Güter und übrigen Schlösser des Bracciano, seine große Herrschaft, alles verblieb dem Sohn Virginio, welchen er mit der Schwester des Großherzogs von Florenz, Isabella, erzeugt hatte. Man konnte also billigerweise wohl nicht behaupten, daß der verstorbene Herzog seinen Kindern zu viel entzogen habe, um die kinderlose Vittoria allzusehr zu begünstigen.
Wäre die großgesinnte Witwe irgend geneigt gewesen, viele Menschen um sich zu sehn, so war der Adel der Stadt und der Umgegend geneigt, ihr seine Huldigung darzubringen. In ihrer Stimmung zog sie aber die Einsamkeit vor und den Umgang einiger Gelehrten und edlen Priester. Wer so große, unnennbare Schmerzen durchlebt, der wendet sich gern in der Einsamkeit seines verwaiseten und verarmten Herzens an die ewige Liebe des Unnennbaren, die dem Menschen am ersten im Unglück sichtbar wird. Poesie und Gelehrsamkeit verließen die Ärmste nicht und ihre Stimmung war auch nicht der Art, daß sie diese Göttergaben, diese himmlischen Begleiter des Lebens, vorsätzlich als Torheit verabschiedet hätte; aber so, wie ihr sonst der Olymp und Parnaß, Apollo und sein liebliches Gefolge, der Tanz der Grazien und das Necken der Amorinen persönlich anschaulich gewesen und in ihren dichtenden Stunden immer näher getreten war: so erwachte jetzt das Bedürfnis bestimmter in ihr, sich jenen Unsichtbaren, den in der Andacht Geahneten, in Bildung und Gestalt als Vater und Tröster zu verwirklichen, sich diesem Vater der höchsten Liebe ganz hinzugeben, der sich durch den Schmerz, das Mitleid mit dem Menschengeschlecht und die Inbrunst seiner Liebe sich selbst und dem Vater der armen Sterblichen so himmlisch verständlich gemacht hatte. Sie fühlte deutlich, daß, soviel sie geschaut und empfunden hatte, doch eine Lücke, eine Kluft in ihrem Herzen geblieben war, die der tiefste [] Lebensschmerz ihr erst entdeckt und beleuchtet, und ihr zugleich gewiesen hatte, wie diese Leere durch Liebe auszufüllen sei. Sie erfuhr nun an sich, daß die ewige Liebe sich keinem entzieht, der sie wahrhaft und mit ernster Anstrengung sucht, und auch in diesen Übungen der Andacht fühlte sie den teuern Gemahl wieder ganz nahe in ihrer Gegenwart.
Unter den merkwürdigen Besuchenden trat auch der mehr als achtzigjährige Sperone wieder zu ihr, mit dem sie von Literatur, den Gelehrten, und dem armen eingekerkerten Tasso sprach. Es schmerzte sie innig, daß der Greis weder Tassos Talent noch Unglück in seiner ganzen Größe anerkennen wollte.
Als diese große ehrwürdige Gestalt sich entfernt hatte, trat auf sein dringendes Verlangen der schmächtige, zitternde Camillo Mattei ein, der so herzlich wünschte, seine ehemalige Jugendgespielin nach zehn vollen Jahren als große, reiche Herzogin und mächtige vornehme Dame wiederzusehn. Vittoria mußte wider ihren Willen über die sonderbare Verlegenheit ihres Jugendfreundes lächeln. Sie suchte ihn zu beruhigen und sicher zu machen, indem sie ihren Ton jener ehemaligen Vertraulichkeit näherte. Er faßte endlich mehr Mut, und erzählte von seinen Eltern, welche beide schon seit Jahren gestorben seien, sein Oheim Vinzenz mache sich in Tivoli gute Tage, indem er durch den Bischof Ottavio wohlhabend geworden sei, auch eine bessere Pfründe erhalten habe. Er selbst habe in diesen zehn Jahren vielfaches Elend durchgemacht und kennengelernt. Die Lebensweise auf der Galeere sei eben nicht die schlimmste gewesen, oft sei er in der Gesellschaft der Banditen noch schrecklicher gemißhandelt worden, wenn es freilich auch hie und da gute Tage gegeben habe. Seit nun der grausame Sixtus der Fünfte den päpstlichen Thron bestiegen, hätten alle sich mit der größten Eil und Angst aus dem Kirchenstaat geflüchtet, jeder, der ergriffen, sei hingerichtet worden, und so hätten viele der bravsten Männer auf erschreckliche Weise ihr Leben eingebüßt. So habe sich Piccolomini und Sciarra und andre Bandenführer fortgemacht, ebenso der unvergleichliche Luigi Orsini, in dessen Diensten er gewesen, seit er von der Galeere frei geworden. »Jetzt ist dieser Herr Luigi hier in Padua«, so beschloß er.
»Hier?« rief Vittoria in der größten Bestürzung aus.
»Ja wohl«, sagte Camillo, »er hat den großen Palast Barbarigo dort am Wasser eingenommen, er mit allen seinen braven und furchtbaren Männern. Die Republik hat den tapfern Grafen schon seit einiger Zeit in ihre Dienste berufen, und er geht in [] wenigen Tagen mit uns allen als Militär-Gouverneur nach Korfu ab.«
»Nach Korfu? und bald?« fragte die Herzogin, etwas beruhigt.
»Ja wohl«, sagte Camillo, »denn Venedig, so sagt man, will dort eine tapfere Besatzung und einen kühnen Anführer hinlegen, weil von den Türken große Gefahr zu besorgen sei.«
Camillo entfernte sich wieder, in seiner Imagination diese Vittoria mit jener vergleichend, die er vor zehn Jahren geküßt, deren Reize er ohne Schleier gesehn hatte. Jetzt zitterte er vor der, welche er damals so kühn umarmte.
Auch Vittoria maß ihren jetzigen Zustand mit jenem kindlichen von damals. Jetzt hatte sie nun den Brunnen und den großen Saal des Apone oder des Pietro von Abano gesehn, auch dessen Bildnis, und wie gleichgültig und unbedeutend war ihr alles erschienen.
Nicht lange, so erschien Luigi Orsini selber vor ihr, den sie nicht, wenigstens diesen seinen ersten Besuch, hatte abweisen können. Er war stärker geworden, im Antlitz ganz gebräunt, doch hatten ihm die Erfahrungen von zehn Jahren ein milderes Ansehn gegeben. Er bemerkte es wohl, wie Vittoria bei seinem Eintritt zitterte, er aber näherte sich verbindlich, küßte mit Anstand und fein sich verbeugend die Hand und sagte: »Schöne Muhme, ich muß vor Euch erscheinen, wenn Ihr mich auch vielleicht ungern seht, um Euch mein Beileid über Euern großen schmerzlichen Verlust, das Abscheiden des edelsten Mannes zu bezeugen, den wir Orsini alle immerdar gern und ohne Widerspruch für das edelste Haupt unsrer Familien anerkannten, dessen Wille uns fast immer für einen Befehl galt, und dem sich auch die Kecksten unter uns in Ehrfurcht beugten.«
Vittoria sah in verwundernd an, und bestätigte gern, was er von den Tugenden und dem Adel ihres Gemahls ausgesprochen hatte. »Ihr habt«, fuhr Luigi fort, »an Schönheit gewonnen, erlauchte Herzogin, die Zeit vermag nichts über Eure Reize, eine erhabne Majestät regiert in Euren Zügen, aber doch ist es noch viel zu früh, daß ihr Euch den Matronen zugesellen könntet. Nun solltet Ihr so bald als möglich diese Trauergewande ablegen, denn sie heben Euern Reiz so strahlend hervor, daß Ihr nur um so vieles verführerischer erscheint.«
Vittoria wollte ihn mit einem strengen Blicke strafen, der aber an seinem feinen, fest stehenden Lächeln abglitt.
[] »Zürnt mir nicht«, fuhr er ungestört fort: »zwar widerfuhr es mir ehemals ebenso, und ich darf mich wohl keiner andern Begegnung von Euch erfreun, obgleich ihr jetzt Witwe, und widerum ganz frei seid. Was aber könnte mir Liebe und Leidenschaft nutzen, da ich an eine schöne Frau gefesselt bin, die auch aus einem hohen Hause stammt? Und sie etwa umbringen, um mich einer andern Schönheit würdig zu machen, wäre doch zu grausam, obgleich man sagt, daß Liebe und Grausamkeit wohl aneinander grenzen. Habe ich Euch doch in meiner Jugend auch dergleichen vorgeschwatzt, wodurch ich Euch erzürnte. Ich drohte Euch damals, wenn ich mich recht erinnere, sogar mit Tod und Untergang, und ich muß über meine törichte Heftigkeit selber lachen, wenn ich sehe, wie wir uns jetzt, in diesem Augenblick gegenüberstehn.«
Er lachte mit dem Ausdruck des albernsten Leichtsinnes, indessen Vittoria im Innersten erschauderte und ihr Angesicht von ihm abwenden mußte. Doch, um wieder ernsthaft zu sein, fing er von neuem an: »Ich bin bei Euern würdigen und sehr angesehenen Rechtsgelehrten gewesen, und diese werden es Euch auch wohl mitteilen, verehrte Muhme, daß ich gegen das Testament Eures erhabnen Gatten einen Einspruch erhoben habe, zum Besten meines armen Neffen Virginio, und der Großherzog von Florenz, sowie der Kardinal Ferdinand sind darin mit einverstanden, daß er, der Verwaiste, nicht so sehr darf beschädigt werden: ich bin auch überzeugt, daß der strenge, feste Papst auf unsere Seite treten wird.«
»Von diesen Sachen«, erwiderte sie, »verstehe ich so wenig, daß ich bitten muß, alles dies mit meinen Advokaten abzumachen, die man mir als sehr gelehrte und rechtschaffene Männer anempfohlen hat: auch mögt Ihr mit dem Dogen wenn ihr es gut findet, darüber sprechen, oder Euch an den Herzog von Ferara wenden, die sich als meine Beschützer erklärt haben.«
»Ich wenigstens«, antwortete Luigi, »kann dergleichen nicht abwarten, denn ich segle schon in diesen Tagen mit meinen Leuten nach Korfu ab, kann also erst später die Entscheidung erfahren. Aber was, reizende Dame, wollt Ihr nur mit dem ganzen großen Marstall eines so berühmten Reiters und Jägermeisters, wie es der Herzog war, anfangen? Alles Mobiliar ist Euch vermacht, kann man aber wohl rennende und springende Rosse, wenn sie sich gleich bewegen, ein Mobiliar nennen? Diese Tiere sind Euch ganz unbrauchbar. Ja, wärt Ihr eine wilde [] Reiterin, wie jene Margareta von Parma es war, so ließe sich dieser Punkt des Testamentes, oder die Auslegung eher begreifen.«
Er lachte wieder und Vittoria sagte: »Laßt das, werter Graf, ich hoffe, daß wir uns über alle etwa streitigen Punkte vereinigen werden.«
»Noch an einen Punkt muß ich erinnern«, fing der Redselige wieder an. »Euer Gemahl war in aller Zeit sehr großmütig und freigebig, er liebte, wie Ihr es wißt, Pracht und Aufwand, und so mußte ich ihm einmal, als er sich in Not befand, mit einer sehr bedeutenden Summe aushelfen. Ich kann Euch durch meinen Advokaten die bündige Verschreibung, von ihm selbst unterzeichnet, vorweisen lassen. Für diese große Summe, die ich jetzt bei meiner Ausrüstung nach Korfu sehr gut brauchen könnte, würde mir, so wie ich es kenne und überrechne, ohngefähr der Schatz Eures Silbergerätes ausreichen. Was die Juwelen und altererbten Schmuck und Kostbarkeiten betrifft, so kann der Großherzog und Kardinal unmöglich diesen fast königlichen Juwelenschatz aus der Familie entführen lassen.«
Vittoria stand auf und der Graf ebenfalls. »So soll ich denn«, sagte sie, ohne Zorn, aber ihn fest anblickend, »völlig beraubt und geplündert werden. Wie ich Euch sagte: persönlich werde ich mich nicht darein mischen, das Recht und meine hohen und höchsten Beschützer mögen für oder gegen mich sprechen: diesem Ausspruche werde ich mich unbedingt fügen.« – Sie gab dem lästigen Besucher das Zeichen, daß sie ihn verabschiede. – »Nicht in Zorn«, sagte er, sich tief verneigend, »entfernt mich so, schönste Muhme, erlaubt mir vorerst noch einen Kuß der Ergebenheit auf diese himmlische Hand zu drücken. Ich muß doch wieder lachen seid mir nicht böse deshalb. Gedenkt Ihr des Tages, als Ihr Euch mit dem kleinen Peretti vermähltet? In der Kirchtür stand ich grimmig und erbost hinter Euch, meine Leidenschaft war so ungeheuer, daß ich ihn und Euch mit dem Dolch hätte niederstoßen können, und ich sagte Euch ins Ohr: ›Wir sehn uns, oder wir treffen uns wieder!‹ – Nun freilich sind wir auch wieder zusammengekommen, und sprechen hier, wie alte Handelsleute über Geld und Geldeswert,«
Vittoria war nach diesem unglückseligen Besuch des Frechen in einer Stimmung, daß sie in eine Wüste hätte ziehen mögen, um nur kein menschliches Antlitz mehr zu sehen. Sie ließ ihren alten, ehrwürdigen Rechtsgelehrten ruf en, um sich an seinem Gespräch wieder etwas zu beruhigen. Er tröstete sie, und sagte[] unter andern: »Sorgt nicht zu sehr, Exzellenz; diese Anfälle des rohen Menschen geschehen mehr, Euch zu kränken, als daß er irgendeinen festen Grund hätte, auf welchem er fußen könnte. Es wäre unerhört, wenn ein mächtiger, reicher Herzog, der im Bewußtsein aller seiner Seelenkräfte stirbt, nicht in einem legalen Testamente seiner rechtmäßig von der Kirche angetrauten Gemahlin sein Mobiliar, bares Geld und Schmuck sollte vermachen dürfen. Wenn Ihr Euch dieser und jener Sache, vielleicht des zahlreichen Marstalls, der Euch mehr belästigen, als nutzen mag, entäußert, so kann das nur durch Euern freien Entschluß und auf dem Wege des Vergleichs geschehen, auf keine Weise durch Zwang. Über seine alte Schuldforderung an Euern Gemahl möchte man lachen; er, der Verschwender, Verschuldete, war wohl niemals in der Lage, dem Herzoge einen so großen, bedeutenden Vorschuß leisten zu können. Wäre es aber selbst der Fall, so müßte er um Wiederbezahlung bei den Haupterben, dem Sohn, der die Herrschaft und alle Güter bekommt, nicht aber bei der Nebenerbin, seine Forderung einreichen. Es ist keine Frage, daß die Medicäer und die Orsini dies Testament des weisen Herzoges umstoßen möchten, aus Eigennutz und Haß: auch der Papst, der Euch, erhabene Frau, aus begreiflichen Ursachen nicht gewogen ist, riet Euch, wie Ihr wißt, die Erbschaft fallenzulassen, und Euch in ein Kloster zurückzuziehn, in welchem er Euch dann mit einer jährlichen ansehnlichen Summe versorgen würde: Ihr habt dies Anerbieten aber, und mit Recht, zurückgewiesen. Da der Herzog Euch keins (wie er es immer noch gekonnt hätte) von seinen vielfachen Gütern vermacht hat, um Euch nicht Euern Feinden auszusetzen, so kann nach Recht, Gesetz und Herkommen auch von diesem übermachten Vermögen Euch nichts entrissen werden. Ihr seid als adliche Tochter der Republik anerkannt, der Herzog von Ferrara hat Euch auf bestimmte Weise seinen Schutz zugesagt und so darf Florenz nicht wagen, die Orsini noch weniger, gegen die große, gewaltige Familie, einer Nebensache wegen, in offne Feindschaft auszubrechen: und der Papst am wenigsten, der seinen Vorschlag nur als Rat einsendete, und der das gewaltige Ferrara, das schon oft verletzt wurde, schonen muß Dieser Luigi will sich auch nur, nach seinem schlechten Lebenswandel, bei den Florentinern und den Erben von Bracciano wichtig machen, um etwas zu gewinnen: vom Papst möchte er gern die eingezogenen Güter wiederhaben, und meint auch diesen für sich zu erobern, wenn er Euch etwa einschüchtern könnte: befehlt darum strenge, daß der Freche niemals wieder [] über Eure Schwelle gelassen werde, und wir alle werden mit Erfolg Euer Recht beschützen.«
»Wenn ich nur meiner Stimmung folgte«, antwortete Vittoria, »so würde ich alles von mir werfen, und mich mit wenigem in die entfernteste Einöde zurückziehn, um niemals wieder in die Nähe von Menschen zu kommen: ich brauche ein Geringes; meine würdige Mutter, die sich meines Glanzes erfreut haben würde, ist gestorben, so wie mein ältester Bruder, Marcello wie Flaminio sind durch die Großmut meines Gemahls reichlich versorge; ich kann mich aber, so denke ich, nicht zurückziehn, das Testament als ungültig hinwerfen, und mich in ein Kloster verkriechen und von der unwilligen Gnade eines erzürnten Papstes leben. Dadurch würde die Ehre meines Gemahls gekränkt, und ich erklärte mich öffentlich für unwürdig, jemals an seiner Größe teilgenommen zu haben. So zwingen uns immer wieder Bedingungen und Umstände zu Handelsweisen, sie legen uns Pflichten auf, von denen wir in gewöhnlichem Verhältnis, wenn wir alles aus der Ferne betrachten, keine Vorstellung haben.«
Der Graf Luigi kam sehr verdrießlich von seinen Advokaten zurück, die ihm alle Schwierigkeiten des Prozesses auseinandergesetzt und ihm vorgestellt hatten, daß er wenigstens nicht so schnell, als er es gedacht, beendige werden könne, da die mutige Frau sich nicht einschüchtern lasse. Auch sei der Ausgang selbst sehr bedenklich, da sie so hohen Schutzes genieße, der Vorwand, das Testament umzustoßen, auch kein hinreichender sei.
»Diese Hunde von Advokaten!« rief er in Wut, als er wieder zu den Seinigen im Palast zurückgekehrt war. »Diese Federfechter mit ihren Klauseln und Praktiken! Ich habe alles dem Kinde, meinem Vetter, so fest versprochen, er tritt mir gern einen Teil des Vermögens ab, künftig, als Schwiegersohn des Papstes muß er mir meine Güter wiederschaffen.« –
Er versammelte seine Vertrauten um sich. Der den meisten Einfluß auf ihn hatte, war der verruchte Graf Pignatello, der vor keiner Tat und keinem Morde zurückschreckte: seine Liebe und Freundschaft besaß aber der mildere Graf Montemellino, ein naher Verwandter jenes Blutdürstigen. Diese beiden und noch einige der Entschlossensten wurden zum geheimen Rate berufen.
»Je schneller geendigt, je besser«, sagte Pignatello. »Kinder sind nicht da, die Toten schweigen und Prozeß und Testament sind von selbst zu Boden gefallen.« Luigi war derselben Meinung und der mildere Montemellino konnte seine Einwürfe [] nicht geltend machen. »Nein!« schrie Luigi: »abgesehen von allen meinen Vorteilen, so muß ich an dieser Kreatur Rache, blutige Rache nehmen. Nur wer jemals rechten, innerlichen, ewigen, wahren Haß empfunden hat, kann wissen und ermessen, welchen Grimm und welche Wut mir diese Buhlerin seit so vielen Jahren erregt hat. Kein Drache, Krokodil, Ungeheuer, keiner, der mir Vater und Mutter ermordet hätte, könnte je meine Seele mit diesem Abscheu anfüllen, wie er in Wut gegen dieses schöne Untier in meinen Eingeweiden kocht und siedet. Wie sie mich immer verletzt, zurückgestoßen und gekränkt hat; nicht gegen den räudigen Hund kann man so viel Ekel und Widerwillen zeigen, als sie mir mit ihrer Mutter so unverhohlen bewies. Es war ein innerlichster Schwur, eine Aufgabe meines Lebens, und beides habe ich in keinem Augenblick, auch in meiner Brautnacht nicht, vergessen und aufgegeben, mich blutig an dieser Sirene oder Harpyie zu rächen. Und diese wonnevolle Stunde soll nun endlich geschlagen haben. Wer als ein Lump mir die Freundschaft aufsagen will, mag es jetzt tun, denn ich bin mir selbst genug.«
Alle sagten mit Schwüren ihre Hülfe zu und Orsini sprach: »So muß es bald, so muß es eilig geschehn, noch vor dem Fest, denn unmittelbar nach Weihnachten, wie ihr es wißt, sollen wir nach Korfu absegeln. Die Kreatur muß morgen vernichtet sein.«
Vittoria war zur Beichte gewesen, und hatte mit mehr Erbauung als je das heilige Abendmahl genossen. Mit einem Gefühl des Schauers trat sie in ihren großen, einsamen Palast. Sie sprach mit ihren Brüdern, dann war sie wieder allein. Flaminio, seit er nicht mehr für den Herzog beschäftigt war, wußte nicht recht, wie er seine Zeit anwenden sollte. Marcello, der sich mit Büchern nicht unterhalten konnte, wünschte als Soldat von der Republik angestellt zu werden, nur dünkte es ihm schmählich, bei Orsini, dem Feinde seiner Schwester, Dienste zu nehmen.
Vittoria suchte sich in Büchern zu zerstreuen und zu erheben. Aber ihr Schmerz war noch zu neu; sie betete oft im Stillen: »O gütiger Vater, gib, schenke mir nur eine, eine einzige Minute, in welcher ich meinen Verlust völlig vergessen kann, nur so viel, um auszuruhn, damit ich dann neu gestärkt zum Gefühl meiner Leiden zurückkehren möge.« Aber wie sie die Hand ausstreckte, wie sie ein Buch ausschlug, wie sie den Bissen zum Munde führte, war es ihr immer, als wenn Bracciano nun neben ihr stände, mit jenem sterbenden Leichenblick, der sich ihr so tief, so unvergeßlich eingeprägt hatte.
So war es Abend, so war es Nacht geworden. Sie war in ihrem [] Schlafzimmer, arbeitete, betete und las abwechselnd. Würde mir ebenso sein, sagte sie zu sich selbst, wenn ich ein geliebtes Kind von ihm an meinem Busen nähren könnte?
Marcello hatte schon beim Mittagsessen darauf angetragen, den Pförtner des Hauses zu entlassen, weil dieser ihm verdächtig erschien. Vittoria, ganz in ihren Gedanken vertieft, hatte diesen Vorschlag keiner Aufmerksamkeit gewürdigt. Jetzt schlich sich Camillo zu Flaminio, der im Vorzimmer schrieb, und wollte ihm mitteilen, was er glaubte, gehört, oder vielmehr erraten zu haben: Flaminio riet ihm zu warten, weil er den kräftigen Bruder Marcello rufen und suchen wolle. Sowie sich Flaminio entfernte, entfloh der geängstigte Camillo wieder, weil er sich vor Marcello fürchtete, und nicht den Mut hatte, diesem seine Gedanken mitzuteilen.
Vittoria begriff es nicht, was sie in dieser Nacht mehr als jemals ängstigen könne. Sie kniete auf den Betschemel, und strebte im Gebet wiederum ihre Seele zum allmächtigen Vater emporzuheben. Nun ging sie wieder in den Saal, und beleuchtete mit der Kerze die Bilder, die dort an der Wand hingen. Mit einem Male stieß sie einen lauten gellenden Schrei aus, denn hinter ihr, wie sie sich umwendete, dicht an ihr, stand eine große, furchtbare Gestalt, mit geschwärztem Angesicht, die sie aus den dunklen Augen groß anstierte. Sie wollte nach der entgegengesetzten Seite entrinnen, und eine andre entsetzliche Figur trat ihr entgegen, und die dritte, vierte, und mehr, alle mit unkenntlichen Gesichtern, geschwärzt, oder in dunkeln Masken. »O Gott!« schrie sie »der abscheuliche Traum meiner Kindheit geht in Erfüllung!«
Auf ihren gellenden Schrei war aus dem innern Zimmer Flaminio hereingesprungen. Sowie sie ihn erblickten, rannten die Verlarvten auf ihn zu und hieben ihn nieder. Da öffnete Marcello die äußere Türe, sah die Abscheulichkeit, und sprang schnell Fassung gewinnend, zurück, und so aus dem Fenster auf die Gasse hinaus, um Hülfe, oder die Wächter der Stadt anzurufen.
»Du stirbst!« sagte die große, finstre Gestalt mit dumpfem Ton zur geängstigten Vittoria. – »Ich ergebe mich«, klagte sie, denn sie sah und hoffte keine Rettung, da ringsum die blanken Degen und Dolche ihr drohten, und einige, niederknieend, noch ihren Stahl in den zerhauenen Leichnam des Bruders, wie aus Übermut bohrten.
Also heut, diese Nacht, jetzt, erfüllt sich mein Schicksal, sagte sie zu sich selbst. – »Wirf das Kleid, diese Gewänder und Tücher [] von der Brust zurück, wenn du eines leichten Todes sterben willst« – sagte die dunkle Gestalt.
Folgsam wie ein gehorsames Kind, warf sie das Nachtleibchen ab, denn sie hatte sich schon zum Schlafen aus- und angekleidet. – »Auch das Busentuch!« – rief jener; – sie tat es – er zog hierauf selbst das letzte Leinengewand von der Brust zurück und die herrliche Gestalt stand in ihrer glänzenden Schönheit, nackt bis zu den Hüften hinab, wie das herrlichste Marmorbildnis da, die festen, getrennten Brüste im Dämmer des wenigen Kerzenlichtes schimmernd. So sank sie auf den Betschemel knieend nieder. Man hätte denken sollen, der roheste Barbar, der Kannibal müßte sich bei diesem Anblick erweichen lassen. Da stieß er den scharfen Dolch zielend neben der Brust in den Leib. Sie sank zu Boden. – »Oh, wenn ich tot bin«, so klagte sie, »habt die Barmherzigkeit und kleidet mich wieder an.« – »Vielleicht«, sagte jener und stieß das Eisen wieder in die Wunde, indem er es wie prüfend, zwei-, dreimal drin bewegte. – »Wie ist dir?« fragte er. – »Kühl ist die Schneide«, sprach sie lallend, »– o laß jetzt – ich fühle, das Herz ist getroffen.« – »Noch nicht«, sprach der Schreckliche mit entsetzlicher Kälte – »noch einmal«: und wieder an einer andern Stelle stach er in den edlen, marmorweißen Körper. Da sank sie ganz zu Boden, das Haar löste sich und schwamm in dem Blutstrom, der sich auf dem steinernen Fußboden hingoß.
Andre hatten auf einen Wink indessen schon die Schränke hier und in den andern Zimmern erbrochen, was sie an Gold, Juwelen und Kostbarkeiten fanden, nahmen sie mit sich und verschwanden dann so still, wie sie gekommen. Wohl hundert Bösewichter waren es gewesen, die alle Türen und Zimmer bewacht hatten, damit die Mörder nicht gestört werden könnten.
Orsini erwartete scheinbar ruhig den Ausgang: er hatte sonderbar genug, bei der Ermordung nicht zugegen sein wollen: der abscheuliche Pignatello hatte sich zu dieser Exekution gedrängt.
Marcello, der entsprungen war, hatte keine Häscher oder Wächter in der öden finstern Nacht antreffen können, auch hatte er bemerkt, daß das ganze große Haus von jenen Mördern und Raubgesellen angefüllt war, so daß eine Hülfe von wenigen Menschen nutzlos und für diese nur gefährlich geworden wäre. –
[] Gegen Morgen erst kehrte er zurück: in allen Zimmern waren die Dienstleute, der alte Guido, die alte Ursula, der Haushofmeister, die Kammerdiener, alle gebunden und geknebelt, einige fast tot vor Furcht und Schrecken.
Nun verbreitete sich das Gerücht von dem schrecklichen Ereignis durch die Stadt. Man kam und sah mit Entsetzen die Greuelszene des Mordes. Einige Damen erbarmten sich der Leiche und bekleideten sie, indem sie die hohe Schönheit des entseelten Körpers mit Bewunderung betrachteten.
Mit scheinbarer Betrübnis kam nun auch Graf Orsini wehklagend herbei. Er ließ die Leichname in die nahe Kirche bringen und dort ausstellen. Flaminio war so entstellt und zerhauen, daß man ihn nur mit Mühe wiedererkennen konnte.
Die Tat war so abscheulich, so frech unternommen und ausgeführt, daß weder Padua noch der Staat von Venedig sich ruhig dabei verhalten konnten. Auf dringendes Ansuchen ward der Türhüter eingezogen, und erst gütlich, dann auf der Folter befragt; der zerknirschte Camillo meldete sich von selbst, und bekannte so viel, als er vom Komplott wußte.
Indessen ließ Orsini, der sich als naher Verwandter aller Anstalten bemächtigte, die beiden Leichname ohne alles Gepränge und so still, wie möglich beerdigen. Der Adel wie das Volk murrten darüber, daß so wenig für das Gedächtnis einer der vornehmsten Damen geschah, daß auf das Andenken und den Namen eines mächtigen Herzogs nicht mehr Rücksicht genommen wurde. Sosehr man auch gesucht hatte, die Feierlichkeit des Begräbnisses zu vermindern und das Ganze gleichsam zu verschweigen, so strömten doch viele Menschenmassen hinzu, und klagten laut über den Frevel und beweinten die Ermordete.
Der Magistrat der Stadt berichtete den ungeheuren Vorgang sogleich nach Venedig. Nach der Angabe des Camillo Mattei, sowie nach einigen Anzeigen fiel der nächste Verdacht des Verbrechens auf Luigi Orsini: der Statthalter, der für Venedig in Padua residierte, ließ den Grafen also zu sich in das Stadthaus laden. Der Übermütige erschien mit seinem ganzen Gefolge, allen jenen Verbündeten, die am Morde teilgehabt hatten. Da sie alle bewaffnet waren, ließ die Magistratsperson nur den Grafen herein, alle übrigen mußten auf der Straße und im Hofe warten.
Der Unverschämte trat wie ein König vor den Gouverneur hin, und statt auf dessen Fragen zu antworten, fuhr er selber als Fragender auf den alten Mann los: »Wie kommt Ihr dazu, Signor, mich wie einen Eurer Klienten oder einen Bürger der [] Stadt auf diese Weise vor Euch zitieren zu lassen? Was niemals als ich in Rom lebte, der Papst Gregor wagte, was ich meinem Verwandten, dem Großherzog von Florenz, ja, was ich keinem Könige der Erde einräumen würde, das wagt Ihr an meiner Person? Kennt Ihr mich? Wißt Ihr von meinem Herkommen und meinen Vorfahren? Ganz andre Männer, als ich jetzt einen vor mir sehe, haben vor mir gezittert. Wenn Ihr mich sprechen wolltet, so war es geziemlich, daß Ihr Euch bei mir melden ließet, und ich würde Euch gern Gehör erteilt, und vernommen haben, was Ihr begehrt oder wünscht.«
Der alte Mann, ein fester Charakter, ließ sich durch diese Großsprechereien nicht verwirren, sondern antwortete: »Mein Herr Graf, von alledem ist hier die Rede nicht. Ihr seid für jetzt ein Einwohner dieser Stadt, Ihr steht in Diensten der erlauchten Republik Venedig: eine ungeheure Tat ist vorgefallen, die Sicherheit der Stadt ist verletze, eine hohe Person schändlich ermordet, Euer Name ist genannt, und ich frage Euch, als Vorstand der hiesigen Bürgerschaft, ob Ihr, und was Ihr von dieser Begebenheit wißt.«
Indem hörte man schreien, laut fluchen und Getöse von Waffen. Jene Begleiter hatten die Wache des Stadthauses überwältigt und traten nun mit Lärmen und trotzigem Anstand alle in den Saal. Der Statthalter war über diese Frechheit verwundert, aber nicht erschrocken. »Was soll ich nun«, rief Orsini aus, »in Gegenwart dieser meiner Freunde sagen und erklären? Würden sie es dulden, wenn ich mich, einem alten unbedeutenden Manne gegenüber, feige oder furchtsam zeigte? Ich erkläre Euch also hiermit, daß ich, als Verwandter, über den Tod meiner Muhme, der Herzogin Bracciano, geborne Accorombona, am meisten zu trauern Ursach habe: im Prozeß war ich, auf Ansuchen des nächsten Erben, des jungen Herzogs Virginio mit ihr begriffen, und das ist dem Magistrat hier und den Richtern bekannt. Nur einmal habe ich sie hier in der Stadt besucht, um mich mit ihr wegen unsers Rechtsstreites zu besprechen, sonst weiß ich nichts von ihr und ihren Verhältnissen, am wenigsten aber, was ihr dieses traurige Ende zugezogen haben mag. Ich hörte am Morgen, wie alle Einwohner, das Gerücht von diesem nächtlichen Überfall, ich erschrak, und die Bürgerschaft ist Zeuge meiner Trauer gewesen, und wie ich selbst die Bestattung der Ärmsten besorgt habe. Dies alles, und so wie ich von der Ermordung hörte, habe ich ebenfalls, wie es als Verwandter meine Pflicht war, dem Magistrat melden und anzeigen lassen.«
[] »Ihr werdet vergönnen«, sagte der Statthalter, »daß wir diese Eure Aussage zu Protokoll nehmen, und daß Ihr sie, als eine wirklich gesprochene, mit Eurem Namen unterzeichnet.«
»Das werde ich keineswegs«, antwortete Orsini, »ich kann mich nicht vernehmen lassen, erkenne Eure Auctorität nicht an, und weiß, daß Ihr mich dazu nicht zwingen könnt. Aber ich ersuche um die Gefälligkeit, daß ich diesen Brief nach Florenz durch meinen Boten senden darf: er ist an den jungen Bracciano, in dessen Namen ich den Prozeß gegen diese seine Stiefmutter eingeleitet habe; ich gehe morgen oder übermorgen nach Korfu ab, und ich melde mit diesem Blatte ihm nur, welche Aussicht ihm seine Sachwalter wegen seiner Ansprüche geben.«
Der Gouverneur las den Brief, der in der Tat auch nichts anders enthielt, und deswegen gern gestattete, daß der Bote ihn nach Florenz bringen dürfe.
So entfernte sich Orsini und lachte mit seinen Vertrauten über die Art, wie er den Alten verhöhnt und betört habe. Dieser Statthalter aber war klüger, als die Übermütigen dachten, und Luigi war einfältig genug, sich fangen zu lassen. Sowie dieser sich entfernt hatte, gab der Statthalter Befehl, den Boten zu beobachten, und als dieser ungehindert durch das Tor gegangen war, ward er plötzlich in der Einsamkeit des Feldes angehalten und genau durchsucht. Außer jenem Briefe fand man in den Schuhen versteckt einen andern, folgenden Inhalts:
»Alles ist abgemacht. Wir haben sie fortgeschafft. Die Affen hier habe ich zum besten, wie es sich gehört. Sie halten mich für ein unschuldiges Kind. Sendet nun die nötigen Leute, wie wir es verabredet.«
Beide Briefe wurden zurückbehalten und der Bote heimlich in Verwahrung gebracht. Orsini und die Seinigen jubelten indes, hielten die Sache für abgemacht, rüsteten sich zur Reise und lachten über den schwachen und einfältigen Magistrat, den man eingeschüchtert und zum Schweigen gebracht habe.
Sie verwunderten sich aber, als sie vernahmen, daß man alle Tore verschlossen hielt und sie bewache, kein Mensch durfte die Stadt verlassen. Ein Ausrufer ging durch alle Gassen, und verkündete mit lautem Ruf: daß diejenigen, die vom Morde wüßten, bei härtester Strafe aufgefordert würden, die Umstände und Teilnahme anzuzeigen: wer Folge leistete, sollte belohnt werden, selbst wenn er am Verbrechen teilgehabt.
In der Nacht vom zweiundzwanzigsten Dezember war Vittoria ermordet worden, und morgens früh um sieben Uhr am [] ersten Weihnachtstage kam schon von Venedig Bragadino mit unumschränkter Vollmacht, vom Senat, auf alle Gefahr, es möge Blut und Leben kosten, sich des Luigi Orsini, lebendig oder tot zu bemächtigen. Der Senat zu Venedig hatte diese unerhörte Freveltat, die Frechheit des Grafen nach den Berichten des Statthalters und den Aussagen Camillos, sowie des gefolterten Türhüters, sehr ernst genommen, da außerdem des Grafen eigenhändiger Brief für ein vollständiges Bekenntnis gelten konnte.
Sogleich begaben sich Bragadino, der Kapitän und der Podesta in das Kastell. Es wurde Sturm geläutet, alle Glocken der Kirchen stürmten ebenfalls. Wohl noch niemals war das Fest der Weihnachten auf diese Weise in Padua begangen worden. Die ganze Stadt, groß und klein, vornehm und gering war in Aufruhr und Bewegung. Bei Lebensstrafe war geboten, daß alle Milizen, die Reiterei und alle waffenfähige Mannschaft sich vor das Kastell, das dem Palast Barbarigo nahe war, versammeln sollten, und, wenn es nötig wäre, diesen Aufenthalt des Orsini zu stürmen und mit Gewalt einzunehmen. Sowie der Tag ganz hell war, ward ein Aufruf erlassen, daß alle Einwohner bewaffnet herbeikommen sollten, wer nicht mit Gewehr oder Degen versehn wäre, was er begehre, im Kastell erhalten würde, um tot oder lebend den Luigi Orsini der Gerechtigkeit zu überliefern; zweitausend Dukaten solle erhalten, wer den Grafen, fünfhundert Scudi, wer einen von seinen Leuten einbringe.
Auch vom Lande wurden Männer herbeigerufen, um die Anzahl der Freiwilligen zu verstärken. Von allen Seiten wurden Wachen gestellt, damit keiner entrinnen könne.
Auf die alte Mauer, dem Palast gegenüber, wurden Kanonen aufgepflanzt, Bollwerke wurden eilig an der Seite des Flusses errichtet, ebenso auf der Straße, damit die Leute sicher wären, wenn die Belagerten etwa einen Ausfall wagen sollten. Barken lagen mit Bewaffneten auf dem kleinen Flusse, damit auch hier keiner entkommen könne.
Als von den Fenstern aus Orsini alle diese Anstalten gewahr wurde, schrieb er kalten Blutes einen langen Brief an den Senat von Venedig und den edlen Bragadino, in welchem er sich über diese Behandlung beschwerte, daß man ganz vergesse, welche Dienste seine Vorfahren der Republik geleistet hätten, daß man ihm selber die Statthalterschaft von Korfu anvertraut habe, und ihn jetzt auf einen oberflächlichen Verdacht hin ohne Ursach wie einen ausgemachten Verbrecher und Rebellen behandle.
In der Nacht begaben sich auf Befehl einige Edelleute aus [] Padua zum Orsini. Sie fanden, daß Türen, Fenster und alle Zugänge mit Gerät, Brettern, Steinen, und was man hatte habhaft werden können, verschanzt waren. Die Männer rieten ihm, sich der Übermacht freiwillig zu ergeben, weil jeder Widerstand doch nur unnütz sein könne; füge er sich, so möchte er vielleicht bei seinen Richtern noch einige Milde finden, sonst gewiß nicht, da der Senat auf keine Weise von seinem Entschluß abgehen würde, ihn in seine Gewalt zu bekommen.
Er antwortete in seiner sichern Art, er wolle sich ergeben, doch nur, wenn man alle Truppen und Wachen von seinem Hause entferne, dann sollte man ihm, von seinen Vertrautesten begleitet, eine Unterredung mit Bragadino und den Vornehmsten gestatten, und ihm versichern, daß er nachher ungefährdet in den Palast zurückkehren könne. Bragadino war über diese Anmutung empört, daß er mit ihm, wie dem Gouverneur einer Festung, unterhandeln solle und verwarf unbedingt dies Ansuchen. Noch einmal gingen die Edlen zu ihm, er gab keine andere Antwort und erklärte fest, er würde sich bis auf den letzten Blutstropfen verteidigen.
Nun machten die Belagerer ernstliche Anstalten. Einer der eifrigsten unter den Freiwilligen war Marcello, der Bruder der Ermordeten; er hatte eine Compagnie der bewaffneten Bürger aufgestellt und verfuhr als ihr Hauptmann. Alles rührte sich, die Gewehre und Kanonen wurden geladen und auf das Haus gerichtet. Das Volk schrie, die Glocken stürmten, Bewaffnete zogen durch die Straßen, Neugierige versammelten sich auf den Plätzen und alles war in der bangsten Erwartung.
Orsini lief durch die Säle des Palastes, ordnete an, und sprach seinen Freunden und den Gesellen Mut ein. Alle schrieen verwirrt durcheinander und schwangen die Degen. Da nahm der Graf Montemellino seinen Freund Orsini beiseit und sagte zu ihm: »Luigi, Ihr seht es doch wohl, daß wir verloren sind: meine Warnung wolltet Ihr nicht hören, und es ist gekommen, wie ich vorher sagte. Da keine Rettung ist, laßt uns wenigstens wie Soldaten sterben, und diesen Paduanern auf ewige Zeiten ein blutiges Andenken zurücklassen. Wir, die Obersten, scheuen den Tod nicht, und haben ihm oft genug ins Angesicht geschaut, aber auch der Geringste unserer Bande ist frech und tollkühn. So laßt uns denn alle zugleich unter diese Bürger und Milizen hinausbrechen, niedermachen, schießen, was wir erreichen: Ihr seht, wie vorsichtig, wie furchtsam sie sind, welche Haufen sie gegen unsere kleine Schar zusammengetrommelt haben. So fechten wir einen tapfern [] offenen Kampf in den Straßen, verfolgend und verfolgt, siegend und besiegt, und da gewiß keiner von uns entrinnen kann, und jeder dies sieht, so morden alle wie Verzweifelnde, und die feindliche, gelehrte Stadt wird zum Schlachtfeld, das unsern Namen tragen wird, solange diese Mauern stehen. Aber – wollt Ihr dem Henker verfallen und dem Volke zum schadenfrohen Schauspiele dienen, dann habe ich mich sehr in Euch geirrt.«
Gewiß war dieser Rat der klügste und eines tapfern Kriegers würdig, so blutig und grausam er auch, wenn man ihn befolgte, für die Stadt ausfallen mußte. Aber Orsini war in diesem höchsten und wichtigsten Moment seines Lebens wie betäubt, er zog es vor, zu zaudern, und sich, was doch unmöglich war, hinter den Mauern zu verteidigen.
Plötzlich rollte der Kanonendonner durch die Stadt und schlug als Echo, wie ein nahes Gewitter, zurück. Die ruhigen Einwohner entsetzten sich. Die Kugeln hatten die Säulen und einen Teil der untern Mauern niedergeworfen. Aus den Fenstern schossen mit Gewehren die Belagerten, mit geschwungenem Degen sah man ihnen vorbei den wütenden Orsini laufen, der immerdar laut schrie: »Krieg! Krieg! Blut! Vertilgung!« Nun wurden die Kanonen etwas höher gerichtet, aber nur wenige, weil man nicht die Absicht hatte, wie man es wohl gekonnt, das ganze Haus in Grund und Boden zu schießen. Indessen, da es den Belagerten an Kugeln fehlte, schmolzen sie eilig das Zinngeschirr der Küche, sie hoben die Fenster aus, zerschlugen sie, um das Blei zu gewinnen, und gossen schnell im Hinterhause Kugeln. Es schien sogar, als wollten die Verzweifelten einen Ausfall wagen. Die Angreifer führten zwei größere Kanonen auf, um schneller zu endigen, ob sie gleich, hinter ihren Verschanzungen ziemlich gesichert, noch keinen Mann verloren hatten. Der zweite Schuß nahm von der Mauer und dem Hause ein viel größeres Stück hinweg, mit dem Schuß stürzte einer der gefährlichsten Banditen, Levonetti, tot mit den Steinen herunter. Er hatte auf Befehl des Orsini viele abscheuliche Mordtaten begangen. Wieder donnerten die Kanonen, und diesmal fiel mit der Mauer zugleich zerschmettert der Graf Montomellino. So ward auf gewisse Weise der Wunsch dieses tapferen Mannes erfüllt. Nun erschrak Luigi. Wütend war der Oberst, ein herzhafter Mann, Lorenzo dei Nobili; da dieser sah, wie unglücklich dieser tolle Krieg sich wendete, stürzte er mit seinem geladenen Gewehr aus dem Hause heraus; er wollte in die Masse des Volkes hineinschießen, um sich im Tode zu rächen, aber das Pulver fing nicht [] Feuer, und so ward er im Augenblicke von einem jämmerlichen, furchtsamen Menschen niedergeschossen, einem Aufwärter in einem Schulhause. Andere gemeine Männer stürzten hervor und nahmen ihm schnell Ring, Schärpe, seine Flinte und das Geld, das er bei sich trug. Einer schnitt ihm den Kopf ab.
Auf Befehl des Orsini winkte jetzt sein Sekretär, Filelfo, mit einem weißen Tuche aus dem Fenster, als ein Zeichen einer friedlichen Unterhandlung. Man hielt mit Schießen inne, und Orsini befahl seinen zurückbleibenden Leuten, sich nur zu ergeben, wenn sie einen schriftlichen Befehl dazu von seiner Hand erhielten. Der Lieutenant Anselmo Suardo wurde abgeordnet: auf die Forderung des Luigi, in einem Wagen nach dem Kastell gebracht zu werden, um dem Volke nicht zum Schauspiel zu dienen, machte ihn Anselmo darauf aufmerksam, wie unmöglich es sei, dies Begehren zu erfüllen, wegen der Volksmassen, der aufgefahrnen Kanonen und der aufgerichteten Parapetten, welche die Straße sperrten. Anselmo, um ihn sicherzustellen, nahm ihn unter den Arm, und allenthalben machte man ihm Platz. Marcello, der Wütende, drängte sich jetzt hinzu, weil er ihn mit seinen Leuten bis in das Kastell führen wollte. Orsini achtete nicht die dräuenden Blicke, die dieser ihm zuwarf, und zuckte nur mit den Achseln über seine zornigen Gebärden. Als er vor seine Richter trat, affektierte er eine große Nachlässigkeit, er war gleichgültig in seinen Reden und kurz in seinen Antworten. Er übergab seinen Degen und sagte nachher: »Oh, hätte ich nur fechten wollen, wie mein Freund Montemellino riet, so hätten wir wohl ganz andere Dinge erlebt, aber jetzt reut mich die ganze Geschichte, besonders weil dieser liebste Freund dabei hat umkommen müssen. Die Albernheit hat Blut gekostet, obgleich ihr, meine Herren, wohl nicht bedeutend eingebüßt habt.«- Er schrieb hierauf an seine Leute den Befehl, sich zu er geben weil man indessen von beiden Seiten noch mit Schießen fortgefahren hatte. Dann, indem er jeden seiner Richter freundlich und höflich begrüßte, näherte er sich dem Kamin, nahm eine Schere, die er dort fand, und beschnitt sich langsam und mit vollkommener Ruhe die Nägel.
Die Bande wurde nun eingefangen und alle führte man nach den Gefängnisse der Stadt. Aus seinem Kerker schrieb Orsini seiner Gattin, die in Venedig war, einen sehr gefaßten Brief, den man edel nennen möchte, wenn der Schreiber nicht in einer so verruchten, sondern bessern Sache gefallen wäre. Der Stadt Venedig vermachte er seine schöne Waffensammlung, die im [] Arsenal zu seinem Angedenken aufbewahrt wurde. Dann erlitt er den Tod und wurde im Gefängnis erdrosselt. Im Dome wurde sein Leichnam am Morgen dem Volke zur Schau ausgestellt.
Der Graf Paganelli, oder Pignatello, jener Verruchte, der die Dame Vittoria so kaltblütig gemordet hatte, wurde auf grausame Art öffentlich hingerichtet, mit Zangen gezwickt, und ihm ebenso, wie er getan, ein Dolch lange und oft im Busen umgekehrt, so daß er wohl eine halbe Stunde diese Martern litt, ehe der starke, kräftige Mann seinen Geist aufgab. Vielen wurden die Köpfe abgeschlagen, die andern gehenkt. Niemals noch hatte Padua so viele Hinrichtungen gesehn. So ward das Weihnachtfest dort im Jahre 1585 gefeiert.
Camillo, der weniger schuldig war, und den Mord zuerst freiwillig angegeben hatte, wurde nur auf zwei Jahr auf die Galeeren verdammt. –
Als der Papst diesen ernsten Hergang und das strenge Gericht erfuhr, forderte er vom Staate von Venedig diesen Marcello, welcher am Morde des Peretti teilgenommen hatte. Der Senat meinte, die ernste Forderung nicht zurückweisen zu dürfen. Sixtus ließ ihn in Rom hinrichten.
So war das ganze Geschlecht der Accoromboni, einst so bekannt, erloschen, untergegangen und bald vergessen. Die Verleumdung verdunkelte den Namen der einst so hoch gepriesenen Vittoria und nur mangelhafte, zweideutige Zeugnisse werden von den Zeitgenossen und den Nachkommen ihrem Namen beigefügt. Nur zu oft wird das Edle und Große von den kleinen Geistern so verkannt und geschmäht.