Die Reise des H. Raabe nach Italien giebt die erwünschte
Gelegenheit, einen Gedanken aus zu führen, der für das Studium der Mahlerey
von Wichtigkeit ist, bisher aber von keinem der dorthin reisenden Künstler
berücksichtigt wurde, nemlich: für die Lehre von der Harmonie der Farben,
zweckmäßige u vollständige Studien zu sammeln.
Diese Lehre liegt noch in der Kindheit, nachdem die schätzba-
ren Grundsätze, in deren Besitz die Alten sich befunden haben,
in der1 neuern Kunst Epoche nicht wieder erweckt worden sind. Die
Versuche späterer Theoretiker, von denen letztlich Raphael
Mengs besondere Erwähnung verdient, haben nicht zum Ziele
geführt, und erst in unseren Jahren hat, wie man unbedenklich
gestehen muß, diese Lehre durch die Bemühungen der Weimar.
Kunstfreunde von neuem einen sicheren Grund erhalten; daher
ich mich über den Begriff derselben lediglich auf die betreffenden,
sehr unterrichtenden, Aufsätze in den von v Goethe herausgegeben
Propyläen, Winckelmann und sein Jahrhundert, vorzüglich aber in dem Werke:
Zur Farbenlehre, auch in der Meyerschen Abhandlung über die Aldobran-
dinische Hochzeit, beziehen zu dürfen glaube.
Zeichnung, Composition, Ausdruck und Colorit im engeren Sinne mit Einschluß
des Helldunkels, waren bisher die Gegenstände, denen die Mahler ihre Studien wid-
meten. Die Harmonie der Farben, die selbst den größesten Meistern der neuern
Kunst, dem Begriffe, nach unbekannt blieb, u die sich nur in einzelnen
wenigen Werken derselben der Vollkommenheit nähert, ist meistens unbe-
achtet geblieben2 gelassen worden, weil niemand wußte, nach welchen
Grundsätzen sie zu erkennen u zu erreichen sey. Da nun die wesentliche
Wirkung der Mahlerey in der richtigen Anwendung der Farben, als ihre[r]
Elemente, beruhet, so läßt sich schon aus der Achtlosigkeit auf diesen
Hauptteil der Kunst, der zunehmende Verfall der Mahlerey seit
jener Epoche herleiten, wo die großen Mahlerschulen aufgehört haben,
in denen wenige durch die Werke selbst sich vom Meister auf den
Schüler fortpflanzende Maximen, verbunden mit dem Glück u der
Kühnheit des Talents, den Mangel eines vollständigen u consequenten
Lehrganges zu ersetzen vermogten.
In dem Zeitalter der Kunst, in welchem wir leben, ist es daher
von unumgänglicher Nothwendigkeit, die Harmonie der Farben eben so
wie alle andern Theile der Mahlerey zum Gegenstande des Unterrichts
zu machen, und zu diesem Ende keine Bemühung zu verabsäumen,
um die Lehre derselben auf Principien zu bringen, wozu in jenen Schriften
der Weimar. Kunst Gelehrten höchst gründliche u überzeugen-
de Anweisungen zu finden sind. Diese Principien, durch Auf-
[4r]stellung anschaulicher Beyspiele aus der älteren und neueren Kunst-
Epoche practisch zu machen u dadurch eine weitere Ausbildung
der Lehre selbst vorzubereiten, ist die Absicht meines gegen-
wärtigen Antrages.
Der Künstler nun, welcher berufen seyn soll, für dieses Lehr-
fach mitzuwirken, muß mit besonderem Talente dafür begabt seyn,3 und darin schon in vorzüglichem Grade geübt seyn. Diese Eigenschaften
scheinen sich glücklich in H. Raabe zu vereinigen, u es wäre zu-
vörderst nur noch zu wünschen, daß derselbe sich mit den genannten
Schriften auf das genaueste bekannt mache u in ihren Geist ein-
zudringen suche.
Sodann käme es auf die Aufgaben an, welche er für den
Zweck in Italien zu leisten hätte.
H. G. OBR. Schinckel hat bereits in dem für H. Raabe
entworfenen practischen Cursus "genaue u viele Studien für
"die Farbenwahl, für's Colorit überhaupt, in den Herculanischen
"u Pompejischen Gemählden u in den Verzierungen des Vatican's"
als Haupt Zweck der Reise angegeben, weil davon wenig Gutes
öffentlich erschienen u zu benutzen ist; womit ich um so mehr
einverstanden bin, als das Studium der antiken Gemählde in
[4v]dieser Hinsicht allerdings von erster Wichtigkeit ist.
ich würde daher vorschlagen, dem H. Raabe aufzugeben:
1) von den Herculanischen u Pompejanischen Gemählden diejenigen,
in welchen die harmonische Licht- u Farben-Wirkung am bedeu-
tendsten hervortritt, in der Größe der in dem Königl. Werke von
den Herculanischen Alterthümern enthaltenen Blätter, auf das sorg-
fältigste in Farben zu copiren.
2) Sodann wäre zu wünschen, daß durch H. Raabe von der Aldo-
brandinischen Hochzeit in der Original Größe eine Copie in
Farben angefertigt würde. Dieses Gemählde, welches unter allen
wiedergefundenen antiken Gemählden noch immer den ersten
Rang behauptet, ist nach der lehrreichen Abhandlung des Hof-
rath Meyer als Canon für die Beleuchtung u Farben Gebung
zu betrachten. Neueren Nachrichten zu Folge soll dasselbe
das4 Colorit
desselen durch geschickte Reinigung gegen den früheren Zustand,
in welchem H. Meyer solches copirt hat, um vieles gewonnen
haben;.5 Eine genaue Copie davon in seinem jetzigen Zustande würde
daher für das Studium der Alten in Absicht der
Farben höchst wichtig seyn. Jede Academie der Künste sollte eine
gute Copie dieses Werkes besitzen.
[5r]3) Von den Gemählden der großen italiänischen Meister sind im Ver-
hältniß ihrer Zahl, nur wenige in Rücksicht der Harmonie der
Farben von vorzüglichem Interesse.
Die Venetianische Schule zeichnet sich im Allgemeinen durch
Wahrheit u Lebhaftigkeit des Colorits u durch Reinheit der
Localfarben aus. Harmonische Wirkung wurde von ihr nicht
eigentlich bezielt, u so ist es wohl mehr dem glücklichen
Naturell, als den Grundsätzen des Paolo Veronese zuzuschreiben,
wenn einige seiner Gemählde durch richtig getroffene Gegen-
sätze in den kräftigsten u heitersten Localfarben sich in hohem
Grade auszeichnen. Diese würden allenfalls aufzusuchen
u in der angegebenen Hinsicht genau zu copiren seyn.
Correggio soll, weniger kräftig in Farben, durch die
großartigste Behandlung des Helldunkels in einigen seiner
besten Gemählde eine harmonische Wirkung erreicht haben,
welche von dieser Seite musterhaft ist. Von diesen Gemählden
könnten mit besonderer Rücksicht auf diesen Zweck Copien
gefertigt werden.
Von allen Werken der neueren Mahlerey sollen aber, nach
dem Urtheile der Weimar. Kunstfreunde, in Rücksicht der
Farbenharmonie einige Gemählde des Peter von Cortona sich
[5v]auszeichnen, unter denen als die bedeutendsten das Altarblatt in
der CapuzinerKirche zu Rom, der Paulus, wie er sein Gesicht
wiedererhält, und das große DeckenGemählde im Barberinischen
Pallaste genannt werden;.6 Diese müßten vorzugsweise mit
Sorgfalt copirt werden.
Sollte H. Raabe noch mehrere musterhaft beleuchtete
u colorirte Gemählde zum Beleg der Lehre auffinden und
copiren wollen, würde solches sehr verdienstlich seyn, und eben
so, als
4) in Betreff der farbigen Copien der gemahlten Verzierungen
in
nach7 den Antiken sowohl, als aus dem Vatican u ande-
ren neueren Gebäuden, die Auswahl lediglich seiner Einsicht überlassen
bleiben.
Alle diese Copien würden, mit Ausnahmen der Altobrandini-
schen Hochzeit, für welche die OriginalGröße nothwendig ist,
in zweckmäßig verkleinertem Maaßstaabe, in Betreff der Farben
aber mit sorgfältigster Treue u Rücksicht auf die Gesammt-Wir-
kung, zu fertigen seyn; und da es hiebey auf Zeichnung u Ausdruck
weniger ankommen dürfte, so könnte H. Raabe zur Ersparung von
Zeit und Mühe die vorhandenen Kupferstiche zur Hilfe nehmen,
in so fern sie nicht auffallend vom Original abweichen.
[6r]Ob solche in Oel- oder WasserFarben auszuführen seyn werden,
könnte ebenfalls der Einsicht des H. Raabe überlassen bleiben,
da selbiger mit der Farbenbehandlung vertraut ist, u den Zweck,
daß die Copien der Wirkung der Originale entsprechen sollen,
stets im Auge behalten wird.
Sehr glücklich ist es, daß H. Raabe über Weimar zu
reisen gedenkt, u dort, bey dem Vertrauen, welches er schon
früher zu erwerben Gelegenheit gehabt hat, sich zu dieser
Aufgabe noch näher vorzubereiten im Stande seyn dürfte.