1818, 6. März.
Mit Julie von Egloffstein
Goethe öffnete uns seine Zimmer, als ich bei Ottilien den Abend zubrachte. Er war höchst liebenswürdig in seinem weißen Flausrock und schaukelte uns gleichsam hin und her im sanften Auf- und Niederwogen [300] seines Gesprächs. Nachdem er eine Mappe der interessantesten Kupferstiche mit uns durchblättert und viel Gewichtiges darüber gesagt hatte, kamen wir plötzlich von der Kunst auf die Natur zu sprechen.
Von Wiesbaden äußerte er, daß das Leben dort zu leicht, zu heiter sei, als daß man nicht verwöhnt würde fürs übrige Leben. Er möge daher nicht zu oft hinreisen; Karlsbad störe das innere Gleichgewicht schon weit weniger. Oft bestimme die kleinste Zufälligkeit die dauerndsten Verhältnisse im Leben, und am meisten wirkten Berge auf die Verschiedenheit der Sitten und Charaktere, weit mehr als Klima und Sprache. Viel Scharfsinniges und fast Fabelhaftes erzählte er von seinen Wolkenstudien. An die freundliche Einladung zu ihm nach Jena »auf seine Tanne« knüpfte er die interessantesten Äußerungen über das Leben und Treiben der Jenaischen Professoren, das ihn ewig frisch und in steter Fortbildung erhalte.
»Seht liebe Kinder, was wäre ich denn, wenn ich nicht immer mit klugen Leuten umgegangen wäre und von ihnen gelernt hätte? Nichts aus Büchern, sondern durch lebendigen Ideen-Tausch, durch heitere Geselligkeit müßt Ihr lernen.«
Als die Richtigkeit seiner Ansicht, daß Professoren mehr als andere Geschäftsleute zu thun hätten, bestritten und der Kanzler z.B. hingestellt wurde, nach Belieben bei der Nachbarschaft zu weilen, sagte Goethe, ein Kanzler müßte eigentlich gar keine Nachbarschaft haben [301] und von Staatswegen eine Brandmauer vor seinen Fenstern aufgeführt werden. Nun da verdiene ich ja wohl den Dank des Staates, entgegnete Julie, daß durch eine neuere Vorrichtung an meinem Zeichenfester wenigstens zum Theil solch eine Brandmauer aufgeführt worden ist. »Ja wohl,« sagte Goethe, »einen dreifachen Dank, des Kanzlers Augen, des Staats und Ihrer (Julien v. Egloffstein) eigenen Augen wegen. Ob das der Kanzler wohl auch gewissenhaft niederschreiben wird?«
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