1822, 30. Juli.


Mit Joseph Sebastian Grüner,
Kaspar von Sternberg,
Johann Jakob Berzelius
und Emanuel Pohl

Um 12 Uhr Mittags kam Graf Sternberg im Gasthofe zur Sonne an. Goethe ging ihm bis zur Hälfte der Treppe entgegen, sie umarmten sich wie alte Bekannte und Freunde. Bald darauf brachte eine zweite Kutsche den berühmten Chemiker Berzelius aus Stockholm und den Dr. Pohl, der durch fünf Jahre in Brasilien auf kaiserliche Kosten naturwissenschaftliche Gegenstände gesammelt hatte. Goethe benützte das zweite Zimmer zum Empfange. Nie hatte ich ihn in solcher Haltung und mit einem solchen Benehmen gesehen. Es war eine eigene Art, mit der er die beiden ihm fremden Gelehrten empfing. Es war eine Freundlichkeit, die zwar nicht mit Stolz gepaart, aber so beschaffen war, daß sie Ehrfurcht gebot; man mußte das sehen, beschreiben kann man es nicht. Nach der etwas ceremoniösen Bewillkommnung öffnete Goethe die Thüre zu dem Zimmer, in welchem die große Tafel mit den [169] geordneten Mineralien sich befand. Nun wurde das Gespräch allgemein bis zum Mittagsmahle.

Bei Tische machte Goethe die Herren auf meine Manuscripte aufmerksam und sagte manches zu meinem Lobe, theils vielleicht um mich noch mehr aufzumuntern, theils um den Gästen begreiflich zu machen, warum er mir seine Gunst zuwende und ein Plätzchen unter so ausgezeichneten Männern gönne. Auch erzählte er ihnen von der Heideneiche und mit welchen Anstrengungen ich sie aus dem Flusse habe heben lassen. Graf Sternberg theilte darauf mit, daß man in seinem Kohlenbergwerke auf einen aufrecht stehenden verkohlten Stamm gestoßen sei, den er erst vorsichtig rings umgraben und zu Tage fördern lassen müsse, um seine Betrachtungen über ihn anstellen zu können.

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Hierauf wurde auf den Kammerbühl gefahren, über welchen Goethe bei jeder Gelegenheit die Meinung anderer Naturforscher hören wollte, weil er über ihn mit sich nicht einig werden konnte. Nachdem Berzelius die große Öffnung auf dem Kammerbühl besichtigt hatte, äußerte er: Dieser Vulkan gleicht ganz genau jenem in der Auvergne. Als er nun auf die Regelmäßigkeit der Straten aufmerksam gemacht wurde, sprach er seine Meinung dahin aus, daß der herrschende Westwind auf sie Einfluß genommen haben möge, weil sie von Westen nach Osten gelagert wären.

[170] Ich blickte Goethe bedenklich an, weil ich mich schon früher ausgesprochen hatte, daß nach physikalischen Gesetzen sich diese Lagerung nicht deutlich erklären lasse, weil Klumpen vom vorgeblichen Krater gegen hundert Schritte entfernt waren, die nicht so leicht durch den Westwind hatten herabgetrieben werden können. Gesetzt, es wäre geschehen, so hätten die herabgetriebenen Schlacken einen Eindruck auf die tiefer liegenden Schlacken machen, und deren feine Spitzen, die Nadeln vergleichbar sind, abstumpfen müssen. Waren sie noch in ganz oder halb flüssigem Zustande, so hatte das Lagern dieser oft über vierzig Pfund schweren Basaltklumpen eine Vertiefung auf den unteren Straten hervorgebracht, was doch bei der genausten oft wiederholten Besichtigung nicht wahrgenommen werden konnte.

Goethe hörte bloß zu ohne eine Meinung abzugeben. Später äußerte er sich gegen den Grafen Sternberg, daß, so lange der Hügel nicht von der Sohle bis zu dem vorgeblichen Krater durchfahren sei, er problematisch bleiben werde.

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