b.

Goethe war [Ende December] nach Jena gekommen; ich [Steffens] sah ich nach sieben Jahren zum ersten Male wieder und seine Gegenwart ergriff mich tief. Er begleitete mich nach der Mineraliensammlung, die noch immer unter der Direction des Professors Lenz bedeutende Schätze in sich schloß ..... Goethe war bekanntlich ein geognostischer Dilettant; seine wiederholten Reisen verlockten ihn zu mancherlei Untersuchungen, und unsere Unterredung schweifte bald von der Mineralogie nach anderen naturwissenschaftlichen Gegenständen hin. Einige optische Untersuchungen wurden behandelt, seine Ansicht von der Metamorphose der Knochen beschäftigten uns, und er beklagte sich mit Heftigkeit über die Art, wie einige Naturforscher sein Vertrauen mißbraucht und mitgetheilte Entdeckungen, ohne ihn zu nennen, als eigene bekannt gemacht hatten. Ich war ganz in die frühere schöne Zeit versetzt. Goethe ward immer heiterer, liebenswürdiger, und ich genoß [235] ein Glück, welches mir seit langen Jahren fremd geworden war. Goethe lud mich und meine Frau mit der Frommann'schen Familie nach Weimar ein. Wir fanden bei Tafel außer Goethes Frau, Meyer und Riemer nur Werner. Goethe war sehr heiter; das Gespräch drehte sich um mancherlei Gegenstände, und die unbefangenen geistreichen Äußerungen des berühmten Wirthes erheiterten uns alle. Auch mit den Frauen wußte er sich auf liebenswürdige Weise zu unterhalten.

Endlich wandte er sich an Werner, der bis jetzt wenig theil an den Gesprächen genommen hatte. »Nun, Werner,« sagte er auf seine ruhige, doch fast gebieterische Weise, »haben Sie nichts, womit Sie uns unterhalten, keine Gedichte, die Sie uns vorlesen können?« Werner griff eilig in die Tasche, und die zerknitterten schmutzigen Papiere lagen in solcher Menge vor ihm, daß ich erschrak und diese Aufforderung Goethes, die das unbefangene und interessante Gespräch völlig zu unterdrücken drohte, keineswegs billigte. Werner fing nun an, eine Anzahl von Sonetten uns auf seine abscheuliche Weise vorzudeclamiren. Endlich zog doch eines meine Aufmerksamkeit auf sich. Der Inhalt des Sonetts war der köstliche Anblick des vollen Mondes, wie er in dem klaren italienischen Himmel schwamm. Er verglich ihn mit einer Hostie. Dieser schiefe Vergleich empörte mich, und auch auf Goethe machte er einen widerwärtigen Eindruck; er wandte sich an mich. »Nun, Steffens,« fragte er äußerlich ruhig, indem er [236] einen geheimen Ingrimm zu verbergen suchte, »was sagen Sie dazu?« »Herr Werner,« antwortete ich, »hatte vor einigen Tagen die Güte, mir ein Sonett vorzulesen, in welchem er sich darüber beklagte, daß er zu spät, zu alt nach Italien gekommen wäre; ich glaube einzusehen, daß er recht hat. Ich bin zu sehr Naturforscher, um eine solche Umtauschung zu wünschen. Das geheimnißvolle Symbol unser Religion hat ebensoviel durch einen solchen falschen Vergleich verloren, wie der Mond.« Goethe ließ sich nun völlig gehen und sprach sich in eine Heftigkeit hinein, wie ich sie nie erlebt hatte. »Ich hasse« – rief er – »diese schiefe Religiosität; glauben Sie nicht, daß ich sie irgendwie unterstützen werde. Auf der Bühne soll sie sich, in welcher Gestalt sie auch erscheint, wenigstens hier, nie hören lassen.« Nachdem er auf diese Weise sich eine zeitlang und immer lauter ausgesprochen hatte, beruhigte er sich. »Sie haben mir meine Mahlzeit verdorben,« sagte er ernsthaft; »Sie wissen ja, daß solche Ungereimtheiten mir unausstehlich sind. Sie haben mich verlockt, zu vergessen, was ich den Damen schuldig bin.« – Er faßte sich nun ganz, wandte sich entschuldigend zu den Frauen, fing ein gleichgültiges Gespräch an, erhob sich aber bald, entfernte sich und man sah es ihm wohl an, daß er tief verletzt war und in der Einsamkeit Beruhigung suchte. Werner war wie vernichtet.

[Gespräche vom 17. Mai und 13. November 1808 finden sich verwebt in Nr. 285.]

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