1810, 17. September.


Auf der Galerie in Dresden

Eines Morgens, während ich [Luise Seidler] auf der Galerie arbeitete, erscholl die Kunde: Er ist da! Er ist auf der Galerie! »Ich habe ihn gesehen!« rief Frommann, »ich habe ihn gesprochen; er ist in bester Laune.« Die Schwägerin [Betty Wesselhöft] meinte: »Ich weiß nicht, ob es nöthig ist, ihm entgegenzugehen? Ich denke, wir warten ihn hier ab.« Diese Meinung drang durch. Aber als die imponirende Gestalt des Dichterfürsten .... am äußersten Ende der Galerie sichtbar wurde, da flog sie ihm doch schnell entgegen.

Ich blieb allein, überrascht, verdutzt zurück. In kindischer Verlegenheit darüber, daß mir der Moment entschlüpft war, ihn auch sogleich zu begrüßen, flüchtete ich mich in eine Fenstervertiefung. Hier hörte ich, wie Goethe näher kam und an meiner Staffelei stehen blieb. »Das ist ja eine allerliebste Arbeit, diese heilige Cäcilia nach Carlo Dolce!« hörte ich ihn sagen; »wer hat sie gemacht?« Man nannte ihm meinen Namen. Als er ihn erfahren hatte, schaute er um die Ecke und sah mich in meinem Versteck stehen. Ich fühlte das Blut in meine Wangen steigen, als er mir liebreich die Hand [328] bot. In väterlich-wohlwollendem Tone drückte er seine Freude aus, mir hier zu begegnen und ein Talent, von welchem er früher nie etwas gewußt, an mir zu finden. »Wo wohnen Sie, mein Kind?« fragte er weiter. »In der Ostraallee neben dem botanischen Garten,« erwiederte ich. »Da werde ich Sie besuchen; wir wollen zusammen den botanischen Garten besehen und diese herrlichen Augustabende [Gedächtnisfehler ?] recht genießen. Auch kann ich Ihnen noch manches zeigen: es giebt Privatsammlungen hier, die Sie gewiß noch nicht kennen. Nur wünschte ich nicht, daß davon gesprochen wird,« fügte er hinzu...

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