1821, 12. September.
Mit Joseph Sebastian Grüner
und dessen Söhnen
Goethe kam zu mir, sich zu beurlauben. Was die Leiche des Knaben, von welcher er in seinem Tagebuche spricht, betrifft, hatte es folgende Bewandtniß. Dieser Knabe war das Kind des Sonnenwirthes, in dessen Gasthof Goethe wohnte. Die Magd stellte den Knaben in eine im Hofe stehende Kutsche, und glaubte denselben in voller Sicherheit. Aber der Kutschenschlag war nicht fest geschlossen, der Knabe stürzte heraus und zwar auf den Kopf, so daß er gleich nach dem Sturze starb. Ich erzählte Goethe, daß zwei junge, aber schon erwachsene Mädchen vermißt würden. Die eine derselben war eine Waise, gut erzogen; wegen Mangel an Arbeit wurde sie tiefsinnig, falsche Scham hielt sie ab, um Unterstützung zu bitten. Sie irrte in den Wäldern umher, und wurde endlich im Egerflusse, bis an die Brust im Wasser wahrgenommen. Sie wurde zur Aussicht und Heilung ihres Gemüthes übergeben, auch wurde für sie eine Sammlung zur Deckung ihrer nächsten Bedürfnisse eingeleitet. In Betreff der zweiten der beiden Vermißten, wurde ermittelt, daß Sie sich wegen der Untreue ihres Geliebten im Egerflusse ertränkt habe.
Goethe unterhielt sich mit meinen Söhnen auf eine äußerst liebreiche Art. Der älteste Sohn Joseph, sowie [129] der zweite Ignaz hatten ihre Prüfungen mit Auszeichnung bestanden, und weil der erstere eine Rede im Prüfungssaale vorgetragen hatte, ließ er sie sich von ihm recitiren. Er bezeigte seinen Beifall und beschenkte beide.
Wie gewöhnlich verweilte er dann bei meinem Mosaikkasten. »Freundchen,« sagte er, »Sie wissen nicht, welchen großen Schatz Sie hier besitzen. Dieser Kasten ist in Florenz zur Zeit der Medicis verfertigt. Man wollte dort eine Kapelle mit Mosaik verzieren, die Steine waren hierzu bereits größtentheils vorhanden, allein der Tod vereitelte die Ausführung. Wer nun einen aus diesen Steinen verfertigten Mosaik-Tisch oder Kasten besitzt, kann sich glücklich schätzen. Die Italiener nennen diese mühsame Tischlermosaik und künstliche Arbeit Intarsia. Wenn Sie mir die Mittelstücke dieser Mosaikarbeit überlassen, so würde ich Ihnen nicht allein dreihundert Thaler geben, sondern auch die Theile, an denen die Mosaik angebracht ist, herstellen und den ganzen Kasten Ihnen lassen.«
Ich aber, weil ich mich hierzu nicht gleich entschließen, auch seinen Antrag nicht platterdings abschlagen wollte, leitete das Gespräch auf meine Ölgemälde.
»Sie haben mitunter gute Sachen,« sagte er, »besonders der Kopf über der Thüre ist aus einer sehr guten italienischen Schule.«
Mit diesem Kopfe, sagte ich, hat es eine besondere[130] Bewandtniß. Ich war Bevollmächtigter des Herrn Appellationspräsidenten Grafen Joseph Auersperg, Besitzers der Herrschaft Hartenstein. So oft ich in das Zimmer des Grafen trat, zog dieser Kopf meine ganze Aufmerksamkeit auf sich. Als ich einmal nach Hause fahren wollte, fand ich in der Kutsche ein Kistchen. Ich eilte mit der Anfrage zurück zu dem Grafen, was damit zu geschehen habe. Mir ward die Antwort: »Es ist der Kopf, welchen Sie zu Hause mit Muße betrachten mögen, hier lasse ich Ihnen keine Zeit dazu, weil wir stets wichtigere Geschäfte zu besprechen haben.« Nach eingeholter Erkundigung hatte die Frau Gräfin Mutter den Kopf nebst einigen anderen Gemälden sehr theuer in Italien erkauft.
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