a.
Die Gesellschaft nahm – den 12. November 1806 – einen ganz kleinen Anfang. Wie Fernow, der schon[129] früher die Bekanntschaft der Frau Schopenhauer gemacht hatte, mich gegen Abend dazu abholte, fand ich [Stephan Schütze] Goethe, Meyer und den Kammerrath Ridel (den frühern Erzieher des Erbprinzen [Karl Friedrich]). Ich fühlte mich umsomehr beglückt, hier Goethen vorgestellt zu werden, da ich bisher vergebens darnach gestrebt hatte; denn damals war er lange nicht so zugänglich, wie in späterer Zeit ..... Fünf Personen saßen denn also um die Schopenhauer her, die in stiller Geschäftigkeit hinter der Theemaschine ihr Amt als Wirthin verwaltete, während ganz gemächlich wissenschaftliche Gespräche geführt wurden. Die Unterhaltung verbreitete sich über Italien, die italienische Sprache und ihre verschiedenen Dialekte, über welche Fernow nach vielen mit Fleiß angestellten Nachforschungen seine Bemerkungen mittheilte. Man blieb indeß immer nur bei Erfahrungssätzen stehen; auf ästhetische oder philosopische Betrachtungen, auf die ich am meisten begierig war, ließ man sich nicht ein. Um endlich doch auch etwas zu sagen, faßte ich mir ein Herz und äußerte gegen Goethe, da man seines »Egmont« erwähnte, daß die Lichterscheinung Clärchens zuletzt dem Stück erst eine höhere Bedeutung gäbe, indem sie das Verdienst Egmont's um die ganze Nation der Niederländer in seinen Folgen ausspräche. Schiller hatte sich wie bekannt gegen die Erscheinung erklärt. Goethe lobte mich über mein Lob und sagte, daß er das Stück auch nicht ohne die Erscheinung sehen möchte. [130] .... Bei der nächsten Gesellschaft sah ich... die Gesellschaft eine ganz andere Gestalt gewinnen. Mehrere Familien .... waren noch dazu eingeladen; mit jedem Donnerstag erweiterte sich der Kreis ..... Vorlesungen, die gehalten wurden, Gespräche über Werke der Kunst, die man auch öfters aufgelegt fand, wechselten ab mit leichter Unterhaltung über Vorfälle des Tages, über das Theater, über neue Erscheinungen in der Literatur, über bekannte ausgezeichnete Personen, selten über Politik, die man gern vermied, nachdem der Feind ganz Deutschland überzogen hatte. »Man möchte draußen sein,« sagte Goethe, »aber es giebt kein Draußen.« ..... – Goethe war am meisten bemüht, den Krieg von sich abzuhalten und sich das Leben angenehm zu machen. Er dichtete um diese Zeit: »Ich hab' meine Sach' auf nichts gestellt.« – Am Sylvesterabend, wo Frau Schopenhauer einen engeren Kreis (wozu ich auch mit gehörte) geschmackvoll bewirthete, war er überaus heiter. Unter anderm erzählte er von dem Erfolge des großen Räthsels, das er in die Welt ausgesandt. Briefe über Briefe kamen mit Auflösungen; es kostete viel Porto, und der Bediente gerieth außer sich. »Lassen wir das noch eine Weile,« sagte er. »Es ging vorzüglich nach dem Harze zu, und endlich brach es sich am Brocken.« – Dann neckte er die Bardua, die mich mit einem Einfalle malen sollte. Den folgenden Tag, als er wiederkam, saß sie unter dem Tische, weil sie seinen Befehl nicht vollzogen hatte. [131] Wie sie aber jetzt hervorrauschte, erschreckte sie sein ernstes Gesicht – der Scherz war vorüber.
..... Dann kam von mir ein Lustspiel daran: »Der Dichter und sein Vaterland – als Vorschlag zu einer Todtenfeier für alle Dichter, die gestorben sind und noch sterben werden.« Es wurde zur Zeit der Jenaischen Schlacht gedruckt und jetzt, vom Krieg umringt, mußte es sein Publikum in Weimar, ja, in diesem Kreise suchen. Fernow brachte es am Neujahrstage zum Vortrag, und Goethe, der es schon kannte, äußerte zuletzt, wo das zu einem Denkmal gesammelte Geld auf den Grabhügel des todtgeglaubten Dichters gelegt wird und er nun plötzlich selbst, es zu empfangen hervortritt: »Hier will ich dem Autor den Vorschlag thun, daß er einen von den Gesandten der grünen Inseln sagen läßt: Ich muß protestiren; für diesen Fall habe ich keinen Auftrag.« Gewiß ein köstlicher Einfall, der den Widerspruch – für einen lebenden Dichter nichts zu thun und für den todten Schätze zu einem Denkmale zu sammeln – recht in das hellste Licht setzt. Goethe schickte das Lustspiel auch an Knebel, und die Herzogin Amalia, glorreichen Andenkens, ließ es sich ebenfalls in ihrer Abendgesellschaft vorlesen.
– – – – – – – – – – – – – –
Ein Hauptgegenstand der Betrachtung blieb in diesem Kreise immer Goethe, und gewiß werden es die meisten Leser gern sehen, wenn ich bei ihm noch besonders verweile. Doch dürfen sie nicht zu viel erwarten. Es ist [132] nicht meine Absicht, hier ein vollständiges Bild von ihm zu entwerfen, wie es mir nach fünfundzwanzigjährigem Verkehr mit ihm vielleicht möglich wäre, sondern nur einzelne Züge von ihm anzuführen, wie sie eben in dieser Gesellschaft zum Vorschein kamen.
Das Merkwürdigste war, ihn fast jedesmal in einer anderen Stimmung zu sehen, sodaß, wer ihn mit einemmale zu fassen glaubte, sich das nächstemal gewiß gestehen mußte, daß er ihm wieder entschlüpft sei. Man hatte bald einen sanft-ruhigen, bald einen verdrießlich-abschreckenden (auch Kummer drückte sich bei ihm gewöhnlich durch Verdrießlichkeit aus), bald einen sich absondernden, schweigsamen, bald einen beredten, ja redseligen, bald einen episch-ruhigen, bald – wiewohl seltener – einen feurig-aufgeregten, begeisterten, bald einen ironisch-scherzenden, schalkhaft-neckenden, bald einen zornig-scheltenden, bald sogar einen übermüthigen Goethe vor sich. Wenn uns ein solcher Wechsel bei ihm in Verwunderung setzt, rührt es nur daher, daß wir die menschliche Natur überhaupt zu wenig kennen. Diese große Verschiedenheit oder Menge von Stimmungen war bei Goethe etwas ganz Natürliches, ja Nothwendiges; denn wie hätte er bei seiner Richtung auf Universalität in so vielerlei Verhältnisse und Gemüthsverfassungen sich mit Leichtigkeit versenken können, wenn seiner Phantasie nicht auch eine große Schmiegsamkeit des Gefühlsystems wäre beigegeben worden, ein wandelbares Mitempfinden, das bei aller Ruhe und Freiheit [133] doch zum Medium des Auffassens und zur Grundlage einer neuen Schöpfung dienen muß. Eine solche innerliche Beweglichkeit ist aber auch im gewöhnlichen Leben nachwirkend. Goethe übte gewiß eine Herrschaft über sich, wie leicht niemand; dennoch drang ein Nachhall der letzten Stunde oder die Laune des Augenblicks oftmals durch die feste Haltung hindurch, und als Gast, ohne besondere Verpflichtung, ließ er sich hier weit freier gehen als zu Hause, wenn er selbst Gäste empfing. – Es konnte einem ganz ängstlich zu Muthe werden, wenn er verstimmt in die Gesellschaft trat und aus einem Winkel in den andern ging. Wenn er schwieg, wußte man nicht, wer nun reden sollte, wenn nicht etwa Bertuch mit einer Erzählung aushalf. Unter diesen Umständen und da er ohnehin sich gern gegen die Außenwelt verwahrte, muß man es der Wirthin als einen klugen Einfall nachrühmen – wenn es nicht vielleicht auf Meyer's Rath geschah – daß sie nicht weit von der Thüre einen Tisch mit Apparat zum Zeichnen aufgestellt hatte, woran er sich nach Belieben setzen konnte, wenn er eben nicht zum Reden aufgelegt war. Hier brachte er viele Landschaften zu Stande, die, wenn wirkliche Maler auch nichts Besonderes daran fanden, für die Wirthin doch immer ein sehr ehrenwerthes Andenken blieben.
Um so liebenswürdiger war er aber, wenn er gesellig-aufgelegt in einem kleinen Kreise ein leichtes Wechselgespräch unterhielt, worin einer um den andern [134] sein Scherflein beisteuerte. Gewöhnlicherweise warf er weder mit Witz noch Ideen um sich, ja, er vermied diese sogar, sondern er gefiel sich meist im Ton einer heitern Ironie, die etwas zu loben schien, dessen Unhaltbarkeit sich so von selbst ergeben mußte. So wurde der Tadel zu einem anmuthigen Ergötzen und das Unvorkommene wieder zum Genuß. Schnelle Kreuz- und Quersprünge konnte er in der Unterhaltung nicht leiden. Ich lief öfters damit an, von Einfällen des Augenblicks verleitet, und ich hatte dann immer zu bemerken, daß er sich mit der Hand über das Gesicht fuhr. –
Noch mehr liebte er, etwas ruhig durchzusprechen, wobei andere oft nur beipflichtend und fragend beförderlich waren, während er eigentlich das Gespräch führte und fortsetzte. Höher noch stieg seine Liebenswürdigkeit, wenn er ganz und gar einer epischen Stimmung sich hingab, wenn er z.B. ein römisches Carneval beschrieb oder sonst etwas von Italien erzählte. Hier konnte man stundenlang ihm zuhören und die ganze übrige Gesellschaft darüber vergessen. Die Ruhe, die Klarheit, die Lebendigkeit, der an's Komische hinstreifende halb feierliche Ton, womit er schilderte, und alles deutlich vor Augen stellte, flößte mit dem Reize der Unterhaltung zugleich ein großes Behagen, ein großes Wohlgefallen am Leben ein, wodurch der Blick sich erweiterte und das Herz von einer schönern Welt Besitz nahm. Man erkannte darin das Ziel der Goetheschen Muse, schon dieses Leben in ein anmuthiges Eden zu verwandeln [135] und den bestmöglichen Gebrauch desselben zur Ausgabe unserer Weisheit zu machen. So angenehm fesselnd indeß auch seine Schilderungen waren, die höchste Glorie umleuchtete ihn erst in Augenblicken der Begeisterung, wenn ein lebhaftes Roth die Wangen überflog, deutlicher der Gedanke auf der erhabnen Stirn hervortrat, himmlischer noch die Strahlen seines Auges glänzten, und sein ganzes Antlitz sich zum Ausdruck einer göttlichen Anschauung verklärte. Es war dieß namentlich der Fall, als er eines Abends Calderon's standhaften Prinzen vorlas (den 22. März 1807). Bei der Scene, wo der Prinz als Geist mit der Fackel in der Nacht dem kommenden Heere voranleuchtet, wurde er so von der Schönheit der Dichtung hingerissen, daß er mit Heftigkeit das Buch auf den Tisch warf, daß es auf die Erde fiel.
Nicht am Großen allein, an jeder neuen Erscheinung von nur einiger Bedeutung nahm er den wärmsten Antheil, sobald in der Kunst nur die Natur, sei es einfach oder durch künstliche Formen, siegreich hindurch drang, und wenn irgend etwas Aufsehen machte, ließ er sich davon erzählen, wobei er fast immer auf Seiten des Volks war, dessen Stimme er gern für ein Zeugnis der unbewußten Natur nahm. Er haßte die Kritiker, die an den Fehlern haften und in der Negation sich herumdrehen. Von ihm konnte man lernen zugenießen. Er hielt sich an das Schöne eines Kunstwerkes und sagte dann wohl bei einer Eigenheit: »Das [136] muß man nun dem Künstler zugeben, er will seine Freiheit, will auch seinen Spaß haben.« Wenn nur etwas Freude machte, ging seine Nachsicht sehr weit. Sprach man z.B. von ergötzlichen Scherzen in Clauren'schen Lustspielen, so ließ er seine Weise und das aus dem Leben Dargestellte gern gelten: »es käme wohl nur darauf an,« sagte er, »es mehr zu heben.« Dieß war ein Lieblingsausdruck von ihm, womit er zugleich seine eigene Art des Idealisirens bezeichnete. Recht tolles Treiben in den Weimarischen Volksstücken ergötzte ihn vorzugsweise, und der Ausspruch: »es ist etwas Verruchtes!« war für diesen Fall in seinem Munde für ein Lob zu achten. Er fügte dann auch wohl hinzu: um zu einer solchen Komik zu gelangen, müsse man von etwas Absurdem ausgehen. –
Mit Vergnügen sah man ihn in größerer Bewegung, wenn eben etwas Neues, wie z.B. zur Zeit die erste Sammlung von Volksliedern oder das Nibelungenlied oder die allemanischen Gedichte seine Phantasie ergriffen hatte, und, geschah es dann, daß er in der ersten Aufregung im Lobe etwas übertrieb, wer hätte ihm das übel deuten sollen! Es war so reinmenschlich und so poetisch zugleich. Er kam auch bald wieder in sein voriges Gleichgewicht zurück. Ein Übel entsprang indeß gar oft daraus für einseitige Verehrer und Bewunderer des Schönen. Sie beriefen sich nun alle auf Goethe, als ob er sich gerade für dieses oder jenes, wie wenn es das Einzige oder Höchste wäre, erklärt [137] hätte; jede Partei zählte ihn zu den Ihrigen und machte ihn zu ihrem Anwalt oder gar zum Oberhaupt. Goethe aber blieb an keiner Sache haften; mit allseitiger Empfänglichkeit wanderte er durch eine große Mannigfaltigkeit von bedeutenden Erscheinungen, und mit Recht konnte er daher von sich sagen: »Wenn die Leute glauben, ich wäre noch in Weimar, dann bin ich schon in Erfurt.«
Man muß überhaupt nicht glauben, daß Goethe in seinen Ansichten immer fest und entschieden gewesen wäre. Nein! das aber sicherte grade seine Freiheit für die Erkenntniß so verschiedener Dinge, daß er sich immer das weitere vorbehielt, jedes Ding immer wieder, so oder anders, in Betrachtung zog, und das, was ihm für den Augenblick gewiß schien, immer wieder einer neuen Prüfung unterwarf. Sein Zweifeln und Annehmen ging oft bis in das Sonderbare. So sagte er einmal zu mir: »Ich weiß doch nicht, ob nicht die Franzosen (mit ihren klassischen Trauerspielen) auf dem rechten Wege waren.« Er sprach vielleicht in seinem eignen Interesse, da er selbst durch seine ruhig-epische Natur die Richtung bekommen hatte, daß er die handelnden Personen in seinen Dramen ohne viel Geräusch ihr Inneres, was allerdings immer die Hauptsache bleibt, in ausführlichen Reden gegen und neben einander sich aussprechen ließ. Daß er auf diese Weise keine theatralische Wirkung hervorbringen konnte, fühlte er nachher gar wohl und sagte: »Ich habe gegen das Theater [138] geschrieben.« So erwähnte er gelegentlich auch als eines Vortheils der besondern Kraft, die bei Shakespeare in Sprüngen und plötzlichen Übergängen läge. – Ein andermal äußerte er gegen mich: »Es kam doch wohl auf Richelieu an, der französischen Kunst und Literatur eine andere Wendung zu geben.« Ich entgegnete: »Sollte so etwas wohl von einem einzelnen Menschen abhängen?« Da sah er mich mit großen Augen an und sagte nach einer Pause: »Legen sie mir Münzen aus allen Zeiten vor, ich will sagen, aus welchem Jahrhunderte sie sind.« Mir war, als ob sein Geist plötzlich in einer furchtbaren Glorie hervorträte, da ich ihn so sein ganzes Selbstgefühl, ohne Hehl die Kraft seines Genies aussprechen hörte. – Über Shakespeare, bei dem manche alles als klug berechnete Kunst bewundern, war seine Meinung, daß er mit genialem Naturinstinkt gearbeitet, sich gleichsam einen Rahmen gezogen und da mit dreister Hand seine Figuren hineingezeichnet habe. In Calderon sah er schon mehr einen künstlichen Dichter. Über Werke der bildenden Kunst äußerte er sich indeß viel häufiger, als über Werke der Poesie: mit dieser war er vermählt, jene blieb immerfort seine Geliebte. – Außerdem lag die weite Natur und das ganze Leben zur Betrachtung vor ihm. Zu welchem unbemerkten Punkt in der Erscheinung man sich auch im Gespräche verirren mochte, man traf ihn dort. Ich erwähnte einmal das Belauschen der Stille bei dem allmähligen Verhallen des Tages. Da hatte er schon längst an [139] einem schwülen Sommerabende draußen auf dem Hügel gesessen und auf die Töne hingehorcht, die mit leisem Athem bis zur schweigsamen Mitternacht in der Luft sich begegnen. – Ein andermal fragte er mich, ob mir auch das Glück zu Theil geworden, zuweilen im Traume zu fliegen, und wie das geschehe; er möchte gern in der Art und Weise auf etwas Allgemeineres kommen. Er fliege im Zimmer oder in einem Saale immer oben im Kreise herum. Ich erwiederte: Mein Fliegen sei unstät, bald niedriger, bald höher, wohl bis auf das Dach. – Still für mich erkannte ich in seiner Art zu fliegen wieder den Charakter der ruhig epischen Beschaulichkeit, aber laut gegen ihn hätte ich doch diese Bemerkung nicht machen mögen.
Goethe liebte bei aller Natürlichkeit – in Verbindung mit dem Plastischen – doch das Förmliche und Feierliche ein wenig. Zum Theil rührte dieß vielleicht auch von der strengen Sitte der alten Zeit her. Wenn er eintrat, schritt er, ohne rechts oder links zu schauen, mit steifer Haltung durch alle Personen hindurch geradeswegs auf die Wirthin zu, machte ihr sein ernstes Kompliment und verneigte sich dann mit einer sanften Verbeugung gegen die Übrigen im Kreise herum. Mit kurzen, schnell wechselnden Reden über etwas leicht hinzugleiten, war ihm nicht eigen; eher that er etwas mit der Milde eines halb ausgesprochenen Wortes ab. Sonst sprach er in der Regel etwas langsam, nach den tiefern Tönen zu, mit einer bequemen Würde, die den [140] Gegenstand von sich entfernt hält und auch gegen persönliche Annäherung sich verwahrt. Dieß Entfernthalten drückte sich auch praktisch häufig in den Worten aus: »das ist nun so!« – oder: »das wird sich machen lassen!« – Selbst das Heitere mußte sich oft der Förmlichkeit unterwerfen, wie einmal z.B. bei der Verlosung eines Bildes (d. 10. Februar 1814), wozu erst umständliche Vorbereitungen getroffen wurden, und sein Sohn dann an einem besonderen Tische mitten im Zimmer wie zu Gericht saß. – Einen Auftritt dieser Art gab es eines Abends bei einer Vorlesung, wobei das Feierliche aber beinahe in's Komische umschlug. Goethe hatte nämlich schottische Balladen mitgebracht und erbot sich, eine von ziemlicher Länge selbst vorzutragen, doch so, daß den wiederkehrenden Satz, der bei jedem Verse vorkam, die Frauen immer im Chor dazwischen sprechen sollten. Der pathetische Vortrag begann, die Damen hielten sich bereit und fielen zur rechten Zeit ein, glücklich kam man über den ersten Vers hinaus, aber als dieselben Worte sich zum zweiten- und drittenmal wiederholten, überwältigte die Frau Professorin Reinbeck ein unwillkürliches Lachen. Goethe hielt inne, ließ das Buch sinken und strahlte sie alle mit den feurigen Augen eines donnernden Jupiters an: »Dann lese ich nicht!« sagte er ganz kurz. Man war nicht wenig erschrocken; aber Johanna Schopenhauer bat vor, gelobte auf's neue Gehorsam und verbürgte sich für die Übrigen. Nun ging es in Gottes Namen[141] wieder vorwärts – und in der That! sämmtliche Damen auf Kommando das Kinn taktmäßig zugleich bewegen zu sehen, hatte so viel von der Komik an sich, daß die volle Autorität eines Goethe dazu gehörte, die ganze Gesellschaft in dem angeordneten feierlichen Ernste zu erhalten. Eine ähnliche Peinlichkeit erlebte ich an einem musikalischen Abend (d. 31. Dezember 1807), als die Hofräthin Sänger und Sängerinnen vom Theater zu sich eingeladen hatte. Goethe kam von der Lektüre Italienischer Schäfer-Idyllen und befand sich in einer sanften lyrischen Stimmung, in welcher er sich auch mit großer Anmuth über das Gelesene aussprach. Nachdem herrliche Lieder, besonders von Zelter, waren gesungen worden, während Goethe in den Zimmern auf und abging, setzte sich die Gesellschaft an verschiedene Tische. Ich bekam meinen Platz unter den Künstlern und gab mich hier um so lieber lustigen Einfällen hin, als in diesem Kreise sich eine Lachtaube befand, die für Scherze sehr empfänglich und reizbar war. Aber plötzlich – mitten in der Fröhlichkeit – klopfte Goethe auf den Tisch, augenblickliche Stille und Gesang gebietend. Da hätte man sehen sollen, wie das halb ausgesprochene Wort auf den Lippen erstarb, wie die Mienen zuckten und ein Wetterleuchten über die Gesichter fuhr. Lachtaube hatte die erste Stimme – sie kämpfte ritterlich – mit bewunderungswürdiger Fassung rang sie sich auf und die andern folgten ihrem Flug, während manche bitter-süße Thräne über hochgeröthete[142] Wangen floß. Zum Glück haben Schauspieler sich mehr in der Gewalt als andere Menschen. – Sie blieben nun auf ihrer Hut, und wie Goethe einmal aufgestanden war, schlich einer nach und kam mit der Nachricht zurück: er lacht! was denn die vorige Lust wieder zurückführte. – In muntrer Laune verlor sich Goethe zuweilen in eine bis zum Ermüden anhaltende Scherzhaftigkeit oder in eine Neckerei mit einer und derselben Sache. So plagte er uns einmal einen ganzen Abend (den 19. April 1812), indem er verlangte, daß wir den Inhalt der neuen, uns völlig unbekannten Stücke errathen und angeben sollten, von denen er eben im Theater die Probe gehalten. Trafen auch einzelne Worte zu, wie wenn man zu einer Aufführung Requisite zusammenschleppen sieht und von einem Degen auf einen Offizier, von einem Hirschfänger auf einen Jäger schließt, so wollte doch kein ganzer Zusammenhang entstehen, und wir blieben immerfort auf der Folter der Langenweile. Ob er es selbst nicht fühlt, fragte man sich, welchen Zwang er uns anthut? Aber es gehört nun einmal mit zu den Eigenschaften eines großen Geistes, daß er mit seiner Überlegenheit gegen Andere zuweilen die Grenzen überschreitet, besonders, wenn er durch Huldigung und Unterwerfung schon verwöhnt ist. Wer sich darüber verwundert, kennt die menschliche Natur nicht. – Ein andermal – er kam mit einer Weinlaune, noch halb geputzt, vom Hofe – übte er völligen Übermuth aus, und zwar gegen [143] Wieland auf eine fast bösliche Weise (den 13. November 1808). Er reizte ihn durch Widerspruch, und man hörte gleich, daß es ihm nicht darum zu thun war, Recht zu behalten, sondern nur, ihn in Harnisch zu setzen. Wieland nahm die Sache ernsthaft, und ärgerte sich denn auch in allem Ernste. Meyer hielt sich zu Goethe als sein treuer Adjutant, und seine zurechtweisenden Worte: »Lieber Wieland, Sie müssen das nicht so nehmen!« klangen mir verletzend.
Mit wirklichem Zorn trat er eines Abends (den 17. Mai 1808) ein, als ihn Friedrich Schlegel aus seiner Ruhe aufgejagt hatte, wenn ich nicht irre, durch die öffentliche Behauptung, daß in seiner poetischen Gesinnung die Grundsätze von Voltaire anzutreffen wären. Man trachte dahin, meinte er, ihn ganz allmählich herunterzuziehen, ihm etwas und dann wieder etwas zu nehmen u. s. w. »Aber man sollte nur wissen,« fuhr er fort, »wie sie es in Jena getrieben haben. Da haben sie angereizt, einen Musenalmanach heraus zugeben – um ihre eignen Gedichte zu drucken und ein schönes Honorar zu bekommen. Diese Scene hat Falk in seinem Buche über Goethe sehr ausführlich beschrieben, aber so viel aus seiner eigenen Phantasie hinzugedichtet und die einfachen Worte so überschwenglich mit seinen ihm eignen pathetischen Ausdrücken vermischt, daß Goethe darin nicht wieder zu erkennen ist.