Mittag bei Goethe
Den andern Tag erschien [Gans] ich ebenfalls zur gehörigen Zeit und fand dieses Mal Goethe in einem Überrocke, wie er von Rauch dargestellt worden ist, auf einem Kanapee seines größeren Zimmers sitzend, und ihm gegenüber den Hofrath Meyer aus Stäfa, der der weimarischen Kunstakademie vorstand und als Künstler wie als Archäolog hinreichend bekannt ist. Beide saßen lange, ohne ein Wort mit einander zu wechseln und auch ich wagte es nicht, sie zum Gespräche zu bewegen. Einige Töne wurden zwar von der einen wie von der andern Seite vorgebracht, aber[194] ohne daß diese die Bedeutung gehabt hätten, eine Unterredung zu eröffnen. Endlich fragte Meyer nach den Fortschritten, den der Bau des Museums in Berlin mache und rechnete nunmehr Goethen weitläufig vor, was wir in Sculpturen und in Gemälden besäßen. Es kann was recht Ordentliches werden, sagte er, und die Anordnung und Aufstellung, die man vorhat, gefällt mir auch. Jetzt erschien Goethes Sohn, die Schwiegertochter, Fräulein v. Pogwisch und Herr Eckermann. Der Umstand, daß mehrere Male bei Tische Engländer angemeldet wurden, die im »Erbprinzen« abgestiegen waren, und Frau v. Goethe die Aufwartung machen wollten, brachte das Hauptgespräch auf England. Ich mußte von meinem Aufenthalt daselbst erzählen; Sitten und Eigenthümlichkeiten der Engländer wurden geschildert, und da Canning gerade vor einem halben Monat gestorben war, so gab sein Leben und sein Ende Veranlassung, ihn mit Pitt und dessen Vater, Lord Chatham, zu vergleichen. Goethe sprach von dem älteren Pitt mit Bewunderung und meinte, es sei doch in diesen alten englischen Staatsmännern mehr Lebenskraft und Ausdauer, wie in den jetzigen gewesen. Ob dieses nun in den Personen, oder eigentlicher in den Verhältnissen liege, wurde jetzt besprochen, und ich war der Meinung, daß die Leitung der heutigen Angelegenheiten ungleich schwieriger und verwickelter, als zur Zeit des amerikanischen Freiheitskrieges war, daß es also nicht wunderbar erscheinen [195] dürfe, wenn Canning's Lebenskraft durch gebieterische Umstände und durch nicht zu vermeidende Intriguen gebrochen worden sei. Obgleich Goethe selbst mir nicht uneingeschränkt eingenommen für die Engländer zu sein schien, so lobte er doch die Zartheit ihrer Formen, namentlich in ihrem Umgange... So habe z. B. ein Engländer seinen »Torquato Tasso« ins Englische übersetzt, und weil er ihm nicht zumuthen wollte, ein Manuscript durchzusehen, so habe er dasselbe in Einem Exemplare drucken lassen und ihm, damit er seine Bemerkung machen könne, überreicht. – Auch Lord Byron's wurde Erwähnung gethan und über ihn dasjenige gesagt, was schon aus andern Berichten hinreichend bekannt ist.
Die Tafel wurde rasch aufgehoben, und ich fuhr, nachdem ich mich bei Goethe beurlaubt hatte, nach Jena zurück.
1 Nach Gansens Darstellung wäre der 30. August zu setzen, was aber mit den Berichten Parthey's und v. Müller's in Widerspruch stehen würde. Vielleicht giebt Goethes Tagebuch – das für ›Goethes Gespräche‹ jetzt unzugänglich ist – einmal Aufschluß.