1821, Ende October bis Jahresschluß (?).


Mit und über Ludwig Rellstab

Durch meinen Brief von Zelter war ich in näheren Zusammenhang mit ihm [Goethe] gekommen, war oft bei seiner Schwiegertochter aufgenommen. Ich hatte ihn bei Überreichung des Schreibens gesprochen, allein er war mehr in seiner vornehmen Absonderung geblieben, wiewohl er sich ganz freundlich mit mir unterhalten hatte. Er fragte manches über Berlin, über Zelter, auch über andere Zustände, behandelte aber doch die Gegenstände der Unterredung mehr wie ein[131] Fürst, der von seiner einsamen Höhe auch von dem, was in der Welt vorgeht, Notiz nimmt. Es wurde kein ruhig dahinfließendes Gespräch mit ihm, sondern nur ein Fragen, dem man die geistige Überlegenheit wohl anmerkte, aus welchem jedoch nichts hervorging, das einem einsamen Gedankenresultat angehörte. Ich war mithin nicht so befriedigt, wie ich hoffte, mußte jedoch nach Verhältniß seiner Stellung immer dankbar für die Zeit bleiben, die er mir widmete.

Indessen war ein junger Poet, der einige Kraft in sich fühlte, doch so leicht nicht von seinem Vorsatze abzubringen. Ich ließ... eine saubere Abschrift einiger meiner Gedichte anfertigen und übersandte sie ihm mit einem Briefe. Dieser Schritt mißlang indessen ganz; ich bekam nach einiger Zeit die Gedichte durch Frau v. Goethe zurückgesandt mit einem Briefe, worin sie bedauerte, daß sie dasjenige, was ich mir als höchste Hoffnung des Lebens hingestellt habe, für eine gescheiterte halten müsse, indem ihr Schwiegervater sich grundsätzlich nicht mehr in diese Art von Verbindungen einlasse, deren gewissenhafte Erfüllung ihm sein hohes Alter verbiete. Natürlich war ich sehr traurig darüber, doch im Grunde war die Art der Zurückweisung eine wohlverdiente; denn ich hatte in meinem Schreiben gesagt: sein Wort würde ich als eine unbedingte Entscheidung hinnehmen, daß mein dichterischer Beruf ein verfehlter sei, falls er nicht seine (Goethes) Zustimmung erwerben könne. Allein dies war eigentlich eine Unwahrheit: [132] ich fühlte mich in meinem dichterischen Leben und Treiben schon so fest, daß mich nichts hätte davon zurückhalten können. Mochte nun die Zurückweisung eine begründete sein oder nicht, fortarbeiten wollte, mußte ich; meine Zusendung wäre eine Überschätzung meiner Kräfte gewesen, es geschah mir Recht, daß keine Folge sich daran knüpfte.

Nichtsdestoweniger blieb ich im Hause der Frau v. Goethe ein ungehinderter Besucher und empfing die mehrfältigen Einladungen von Goethe selbst zu Soireen sehr freudig, weil er sich in diesen ganz als sei nichts vorgefallen unterhaltend und wohlwollend äußerte. Hier hatte ich denn nun Gelegenheit, ihn vielfältig zu beobachten. Seine edle Persönlichkeit, das Haupt voller Ausdruck und wahrer Würde, das reiche, schneeweiße Haar, die Freundlichkeit seiner Physiognomie, wenn er eine heitere Mittheilung machte, griff jeden an das Herz. Mit mir sprach er häufig von Musik, selten über etwas anderes. Er begann damit, eine freundliche Anerkennung meiner Wirksamkeit seiner Schwiegertochter gegenüber anzudeuten und dankte mir für die Art und Weise, wie ich mein Talent, ihr zum Gesang zu begleiten, in Thätigkeit gesetzt hatte. Dann sprachen wir öfters von Beethoven, den er persönlich kannte, und stolz darauf war, Manuscripte von ihm zu besitzen. Er zog bei diesem Anlaß den... Geheimrath Schmidt heran, der uns eine Beethoven'sche Sonate vorspielen mußte. Von seiner Liebhaberei an Bach'schen Fugen [133] sprach er ebenfalls mehrmals; es ist auch der Name des Mannes genannt worden – es war ein Organist des benachbarten Städtchens Berka [Schütz] – der ihm nach Zelter's Empfehlung viele von den Fugen Bach's vorspielte. Es mag sein, daß diese Zustände der Musik ihn besonders reizten, allein er hätte doch einer ganz andern Musikausbildung bedurft, um ein wahres Verständniß der ächten, großen Fugen Bach's zu haben, welches nur die Sache des mit allen Studien Vertrauten ist, die zu diesem schwierigsten Gipfel in der Kunst führen. Zwischen diese Gespräche mischten sich mehr mit der Gesellschaft im Ganzen an andere, über Malerei z.B., ein, worin oft viel Seltsames, aber auch viel Gutes gehört wurde.

Unterschied sich auf diese Weise Goethes Unterhaltung sehr von der eingehenden Tieck's und Jean Paul's, und konnte ich nicht sagen, daß ich, wie bei diesen Männern, eine durchgreifende, in's Innerste der Literatur eingreifende Bekanntschaft gemacht, so blieb mir doch von jedem Abend, den ich auf solche Weise mit zehn bis zwölf Gästen in seinem Hause zubrachte, irgend etwas sehr Merkwürdiges zurück. Beachtenswerth ist mir besonders eins gewesen: die Art und Weise, wie er Frau v. Arnim (Bettina), welche eines Abends von Frankfurt a. M. auf der Durchreise in Weimar eintraf und gerade an einem Gesellschaftsabend Goethe sprechen wollte, aufnahm. Es entstand eine kleine Unruhe: ein Diener trat herein, Goethe wurde [134] hinausgerufen. Er ging offenbar ungern; nach einiger Zeit kehrte er in Begleitung zweier Damen zurück, die den Abend in der Gesellschaft verweilten, und von denen eine als Frau v. Arnim vorgestellt wurde. Allein es geschah sehr obenhin, und Goethe unterhielt sich auch wenig mit ihr. Irre ich nicht, so war es der nämliche Abend, wo Zelter zugegen war; indessen mag es auch ein anderer gewesen sein. Was ich nachmals durch dritte Hand von den geheimen Unterhandlungen hörte, die beim Hinausrufen Goethes gepflogen wurden, war seltsamster Art. Frau v. Arnim war in der ernstesten Spannung mit Goethe; sie hatte ihn durch diesen Besuch nur versöhnen wollen. Er dagegen mochte sie gar nicht in seinem Hause sehen, und die Zulassung war nur in einem Augenblick erwirkt worden, wo sie ihn überrascht hatte. 1


Note:

1 Kellstab's weitere Erzählung von einem Besuch der Mara war, als voraussetzlich völlig auf Irrthum beruhend, auszulassen.

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