1823, 30. März.


Mit Niels Lauritz Höyen

Ich spazirte in dem herzoglichen Garten; endlich schlug die Uhr 10 3/4 und nun begab ich mich zu Goethe ..... Ich wurde zuerst in ein Cabinet geführt, durch dessen offene Thür ich in die anstoßenden Zimmer hineinsah. Das Ganze war elegant, aber keineswegs prächtig eingerichtet: hübsche Teppiche aus dem Fußboden; die Thüren in die Wand hineinzuschieben; die Wände waren decorirt mit einer Menge schöner Zeichnungen und Gemälde ..... Aber ich kam nicht dazu, dies alles recht zu betrachten, weil Goethe nun eintrat. Der Diener, welcher ihm folgte, setzte zwei Stühle hin und entfernte sich wieder. Ich war also nun allein mit Goethe, und wir setzten [218] uns ..... Er bewegte sich mit Leichtigkeit; in seiner schlanken festen Haltung war keine Spur von einer kürzlich überstandenen Krankheit zu finden; sein Gesicht war ernst und doch milde, die Gesichtsfarbe bräunlich; alle Züge verkündeten den Greis, aber ohne Schwäche. Seine Augen waren mir besonders merkwürdig: das Weiße darin fing an, gelb zu werden, auch hatten die Runzeln des Alters sich stark um die Augenlider gesammelt, aber die Pupille besaß noch die schöne braune Farbe unverdunkelt; sie funkelte fast. Die Stimme war etwas leise, aber äußerst weich und leicht fließend. Es ward mir sehr schwer zu reden: ich wollte so gerne recht genießen, mir recht sein Bild einprägen, es war mir daher ganz unmöglich zu versuchen, eine ordentliche Unterhaltung anzuknüpfen, und so ward das Ganze, obwohl eigentlich keine Pause stattfand, mehr eine Reihe von Fragen, Antworten und aphoristischen Äußerungen. Goethe fragte nach Carus, von dem ich einen Brief überbracht, beklagte Tieck's Schicksal und daß dieser »herrliche« Mann fast beständig leidend sein sollte; fragte, wohin ich nun zu reisen gedächte, womit Oehlenschläger sich beschäftigte; sprach von den unzähligen Schwierigkeiten, welche mit meinem Studium verbunden seien, und meinte, daß es für Einen Mann fast unmöglich sei, die neuere Kunstgeschichte zu liefern. Ich beantwortete seine Fragen kurz; einige Male folgte aus meine Antworten ein »Hm, hm!« »Ja, ja!« aber ganz leise. Seine Stimme klang fest und war immer von[219] gleichmäßigem Tone; nur ein Mal erhob sie sich, als wir von Carus redeten. Ich äußerte, daß es mir fast unbegreiflich sei, wie dieser Mann außer zur Erfüllung seiner Pflichten und Vollendung literarischer Arbeiten noch Zeit erübrigen könne, sich auch mit der Malerci zu beschäftigen. Goethe antwortete, daß es auch ihm außerordentlich vorkomme, »doch« – setzte er hinzu, und nun hob seine Stimme sich – »der, welcher das Leben recht zu benutzen versteht, vermag wirklich sehr viel auszurichten.« Es schien mir, daß er selbst, indem er dies sagte, sich seines eigenen thatenreiches Lebens bewußt war. – Der Diener kam unterdessen und zog die Thüren zusammen, da jemand (Ottilie v. Goethe) eine Musikstunde haben sollte. Ich wollte mich empfehlen, aber Goethe bat mich zu bleiben und kurz darauf tönte eine herrliche Sopranstimme von Zeit zu Zeit in's Zimmer herein. Endlich wünschte Goethe mir »alles mögliche Glück«, und lud mich ein, ihn wieder zu besuchen, wenn ich auf meiner Rückreise nach Weimar kommen sollte.

[220]

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek