1810, 2. October.


Mit Carl Ludwig von Knebel

Ich schrieb kaum gestern diese letzte Zeile, als Goethe mit lautem Geräusch meine Treppe heraufkam und zu mir hereintrat. Er kommt mit frischem Geist und Muth und hat mancherlei Neues gesehen. Gerne erzählte [332] er von der Österreichischen Kaiserin, wie sie lieblich sei, wohlunterrichtet, durchaus ohne Leidenschaft, aber voll gutem Geist, jedem nach seiner Art ihr Wohlwollen zu bezeugen, und immer heiter im Geiste und voll Gunst gegen jedermann. Sie habe zwei Lehrer gehabt, die sie vorzüglich wohl unterrichtet hätten und ihr die Geschichte und andre Wissenschaften als Schulunterricht gaben, wovon sie sich viele Hefte mit Fleiß aufgehoben. In der Geschichte sei sie durchaus bewandert, und über Montesquieu und andere Schriften spräche sie, als wenn sie solche gestern gelesen hätte und raisonnirte selbst nach ihrer kaiserlichen Art sehr wohl darüber. Von des Königs in Holland gutem Verstand, großer Unterrichtung und menschenfreundlichem Wesen erzählten sie [so!] mir nur weniges, weil Goethe sogleich wieder nach Weimar abfuhr. Ich hatte gestern vielen Besuch von denen, die Goethe nur einen Augenblick sprechen wollten und unter andern von dem Schuldirector Niethammer aus München, der ein feiner Mann ist und dessen Nachrichten von den bayerischen Unterrichtsanstalten denen, die Goethe von der jetzt in Böhmen aufblühenden Cultur uns gab, so schnurstracks zuwiderliefen. Dieser erzählte nämlich, daß man in Böhmen und vorzüglich in Prag sich sehr zu cultiviren anfange und dies vorzüglich durch Anstiften einiger Privatpersonen von Vermögen. Diese hätten unter anderm eine große Zeichenschule in Prag gestiftet, die ausgebreiteten Nutzen verschaffe; aber auch alle Wissenschaften [333] und feinern Künste fingen an, daselbst emporzukommen, und sie hätten einige ganz vorzügliche Menschen hiezu, worunter er unter andern einen jungen Mann Bolzano nannte, dessen Bekanntschaft er in Karlsbad gemacht, und der eben jetzt ein kleines Werkchen von sehr vorzüglichem Werthe und Geist herausgegeben habe. Das macht doch Freude! – Goethe denkt etwa in vierzehn Tagen wieder hier zu sein, um dann länger zu verbleiben. – In Dresden war er sehr vergnügt und beschäftigte sich sehr mit den dortigen Schätzen der Kunst. Auch die Gegend hat viel Annehmliches.

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