1827, 4. Mai.


Mittag bei Goethe und nachher

Zu Ehren Ampère's und seines Freundes Stapfer großes Diner bei Goethe. Die Unterhaltung war laut, heiter und bunt durcheinander. Ampère erzählte Goethen viel von Mérimée, Alfred de Vigny und andern bedeutenden Talenten. Auch ward sehr viel über Béranger gesprochen, dessen unvergleichliche Lieder Goethe [125] täglich in Gedanken hat. Es kam zur Erwähnung, ob Béranger's heitere Liebeslieder vor seinen politischen den Vorzug verdienten, wobei Goethe seine Meinung dahin entwickelte, daß im allgemeinen ein rein poetischer Stoff einem politischen so sehr voranstehe als die reine ewige Naturwahrheit der Parteiansicht.

»Übrigens«, fuhr er fort, »hat Béranger in seinen politischen Gedichten sich als Wohlthäter seiner Nation erwiesen. Nach der Invasion der Alliirten fanden die Franzosen in ihm das beste Organ ihrer gedrückten Gefühle. Er richtete sie auf durch vielfache Erinnerungen an den Ruhm der Waffen unter dem Kaiser, dessen Andenken noch in jeder Hütte lebendig, und dessen große Eigenschaften der Dichter liebt, ohne jedoch eine Fortsetzung seiner despotischen Herrschaft zu wünschen. Jetzt, unter den Bourbonen, scheint es ihm nicht zu behagen. Es ist freilich ein schwach gewordenes Geschlecht! Und der jetzige Franzose will auf dem Throne große Eigenschaften, obgleich er gern selber mitherrscht und selber gern ein Wort mitredet.«

Nach Tisch verbreitete sich die Gesellschaft im Garten, und Goethe winkte mir zu einer Spazierfahrt um das Gehölz auf dem Wege nach Tiefurt.

Er war im Wagen sehr gut und liebevoll. Er freute sich, daß mit Ampère ein so hübsches Verhältniß angeknüpft worden, wovon er sich für die Anerkennung und Verbreitung der deutschen Literatur in Frankreich die Schönsten Folgen verspreche.

[126] »Ampère,« fügte er hinzu, »steht freilich in seiner Bildung so hoch, daß die nationalen Vorurtheile, Apprehensionen und Bornirtheiten vieler seiner Landsleute weit hinter ihm liegen und er seinem Geiste nach weit mehr ein Weltbürger ist, als ein Bürger von Paris. Ich sehe übrigens die Zeit kommen, wo er in Frankreich Tausende haben wird, die ihm gleich denken.«

[127]

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