1823, Mitte August.
Mit Karl Johann Braun von Braunthal
In Marienbad angekommen und in Klinger's Hotel mit Wagen und Pferd eingestellt, machte ich sofort ein wenig Toilette und begab mich auf den Weg. Ich stieg wallenden Blutes die Höhe – gradus ad Parnassum – hinan, wo Goethe thronte, wie überall, wo er wohnte. Von meinen »Werken« hatte ich nichts bei mir, als mein Tagebuch, ein Heft von zwölf Bogen, dessen Hälfte meine seltsame Autobiographie enthielt, während das Übrige aus Aphorismen über Goethe, Shakespeare u. a. bestand. Dieses Tagebuch sollte meine Visitenkarte vorstellen. Und so geschah es auch.
Ich trat mit heiliger Scheu in das kleine, von dem großen Manne bewohnte Haus ein und präsentirte mich seinem Secretär. Er ließ mich freundlich an, nahm mein Tagebuch... entgegen, bestellte mich auf den nächsten Tag um dieselbe Stunde (zwölf) und wünschte mir einen Guten-Morgen .....
Gegen zwölf stand ich im Vorzimmer von Goethes Wohnung ..... Eine Viertelstunde.. mochte hingeschwunden [246] sein, als der Secretär eintrat und mich mit den Worten begrüßte: »Wollen Sie sich in den Salon begeben! Der Herr Geheimrath wünscht Sie zu sprechen.«... Hier ..... that sich die eine der zwei Seitenthüren auf und ich befand mich nur ein paar Schritte weit vor dem leibhaftigen Jupiter Olympicus in einem weißflanellenen Schlafrocke.
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Er faßte mich in's Auge wie die königliche Boa Constrictor ein Reh; nur zermalmte er mich nicht, sondern schritt langsam dem Diwan zu,... mich mit sanfter Handbewegung einladend, ihm zu folgen und dann... an seiner Seite mich niederzulassen ..... Und nun an seiner, an Goethes Seite vernahm ich, immer noch halb träumend, mit einmal kräftige und zugleich melodische Töne wie Orgelklänge. Er begann mildernst das Gespräch und dabei empfand ich durch alle Glieder einen wohlthätigen Schlag, der davon herrührte, daß der herrliche Dichtergreis meine Hand, meine vor Entzücken und Verehrung zitternde Hand sanft erfaßte und mit seinen beiden Händen weich umrahmte, wobei er, den Blick auf mich ruhen lassend, also sprach:
»Ich habe Ihr Tagebuch durchblättert und werde noch bis zu Ihrer Abreise von Marienbad darin weiter lesen; ich fand des Annehmlichen und Zukunftsverheißenden bereits manches. Ihren da und dort ausgesprochenen Vorsatz, die Heimath [Österreich] zu verlassen, will ich nicht gutheißen. Sie haben ein schönes, [247] ein großes Vaterland, wo sich viel des Fördernden für Phantasie und Gemüth findet, vieles, das, richtig geschätzt und mit Eifer verwendet, zu erfreulichem Gedeihen, zu allseitig Wünschenswerthem zu führen vermag. Die scharfe Denkerluft Deutschlands dürfte wenigstens in Ihrer jetzigen Blüthezeit auf Ihr reizbares Wesen nachtheilig wirken, Versprechendes im Keime vernichten. Und so meine ich denn, mein junger Freund! Sie kehren heim, nehmen vielverheißend Begonnenes mit Besonnenheit auf, setzen fort und streben, Jugendliches zu Mannhaftem zu steigern, sich in sich selbst ergänzend. Haben Sie dann das eine oder das andere Werk zum Abschluß gebracht, so senden Sie es mir nach Weimar. Ich liebe jugendliches Streben auf diesem Gebiete und wende mich nur von dem sich überstürzenden ab ....«
So sprach Goethe zu mir. Mir waren mittlerweile die Augen feucht geworden, und nun begann ich, mir ein Herz fassend, meinen Entschluß zu begründen. Er hörte mir ruhig zu, ohne mich zu unterbrechen, immer meinen Blick und meine Hand festhaltend; dann aber nahm er wieder das Wort und seine Rede ward zu einem Strom flüssigen Goldes der – Wahrheit. Ich preßte hingerissen meine Lippen auf seine Rechte, erhob mich und schied von dem Herrlichen mit der feierlichen Zusage, ihm Folge zu leisten. – Und ich habe Wort gehalten.
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