1826, 1. October.


Mittag bei Goethe

Während wir den Besuch einzelner Merkwürdigkeiten Weimars [am 30. September] verabredeten, und Kanzler Müller, der meine [Grillparzer's] Herabstimmung bemerkt haben mochte, mir versicherte, die Steifheit Goethes sei nichts als eigne Verlegenheit, so oft er mit einem Fremden das erstemal zusammentreffe, trat der Kellner ein und brachte eine Karte mit der Einladung zum Mittagmahl bei Goethe für den nächstfolgenden Tag. Ich mußte daher meinen Aufenthalt verlängern, und bestellte die bereits für morgen besprochenen Pferde ab.

Endlich kam der verhängnißvolle Tag mit seiner Mittagsstunde, und ich ging zu Goethe. Die außer [313] mir geladenen Gäste waren schon versammelt, und zwar ausschließlich Herren, da die liebenswürdige Talvj schon am Morgen nach jenem Theeabende mit ihrem Vater abgereist, und Goethes Schwiegertochter, die mir mit ihrer früh geschiedenen Tochter später so werth geworden ist, damals von Weimar abwesend war. Als ich im Zimmer vorschritt, kam mir Goethe entgegen und war so liebenswürdig und warm, als er neulich steif und kalt gewesen war. Das Innerste meines Wesens begann sich zu bewegen. Als es aber zu Tisch ging, und der Mann, der mir die Verkörperung der deutschen Poesie, der mir in der Entfernung und dem unermeßlichen Abstande beinahe zu einer mythischen Person geworden war, meine Hand ergriff, um mich ins Speisezimmer zu führen, da kam einmal wieder der Knabe zum Vorschein und ich brach in Thränen aus. Goethe gab sich alle Mühe, um meine Albernheit zu masquiren. Ich saß bei Tisch an seiner Seite, und er war so heiter und gesprächig, als man ihn, nach späterer Versicherung der Gäste, seit langem nicht gesehen hatte. Das von ihm belebte Gespräch ward allgemein. Goethe wandte sich aber auch oft einzeln zu mir. Was er aber sprach, außer einem guten Spaß über Müllner's Mitternachtsblatt, weiß ich nicht mehr. Ich habe leider über diese Reise nichts aufgeschrieben ..... Von dem Tisch-Ereignisse ist mir nur noch als characteristisch erinnerlich, daß ich im Eifer des Gespräches nach löblicher Gewohnheit [314] in dem neben mir liegenden Brod krümelte und dadurch unschöne Brosamen erzeugte. Da tippte denn Goethe mit dem Finger auf jedes einzelne und legte sie auf ein regelmäßiges Häuschen zusammen. Spät erst bemerkte ich es und unterließ dann meine Handarbeit.

Beim Abschied forderte mich Goethe auf, des nächsten Vormittags zu kommen, um mich zeichnen zu lassen. Er hatte nämlich die Gewohnheit, alle jene von seinen Besuchern, die ihn interessirten, von einem eigens dazu bestellten Zeichner in schwarzer Kreide portraitiren zu lassen. Diese Bildnisse wurden in einen Rahmen, der zu diesem Zwecke im Besuchzimmer hing, eingefügt und allwöchentlich der Reihe nach gewechselt. Mir wurde auch diese Ehre zu Theil.

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