1829, 1. September.


Mit Johann Peter Eckermann

Ich erzählte Goethe von einem Durchreisenden, der bei Hegeln ein Collegium über den Beweis des Daseins Gottes gehört. Goethe stimmte mir bei, daß dergleichen Vorlesungen nicht mehr an der Zeit seien.

»Die Periode des Zweifels,« sagte er, »ist vorüber; es zweifelt jetzt so wenig jemand an sich selber als an Gott. Zudem sind die Natur Gottes, die Unsterblichkeit, das Wesen unserer Seele und ihr Zusammenhang mit dem Körper ewige Probleme, worin uns die Philosophen nicht weiter bringen. Ein französischer Philosoph der neuesten Tage fängt sein Capitel ganz getrost [148] folgendermaßen an: ›Es ist bekannt, daß der Mensch aus zwei Theilen besteht, aus Leib und Seele. Wir wollen demnach mit dem Leibe anfangen und sodann von der Seele reden.‹ Fichte ging doch schon ein wenig weiter und zog sich etwas klüger aus der Sache, indem er sagte: ›Wir wollen handeln vom Menschen als Leib betrachtet, und vom Menschen als Seele betrachtet.‹ Er fühlte zu wohl, daß sich ein so engverbundenes Ganzes nicht trennen lasse. Kant hat unstreitig am meisten genützt, indem er die Grenzen zog, wie weit der menschliche Geist zu dringen fähig sei, und daß er die unauflöslichen Probleme liegen ließ. Was hat man nicht alles über Unsterblichkeit philosophirt! und wie weit ist man gekommen? Ich zweifle nicht an unserer Fortdauer, denn die Natur kann die Entelechie nicht entbehren; aber wir sind nicht auf gleiche Weise unsterblich, und um sich künftig als große Entelechie zu manifestiren, muß man auch eine sein.

Während aber die Deutschen sich mit Auflösung philosophischer Probleme quälen, lachen uns die Engländer mit ihrem großen praktischen Verstande aus und gewinnen die Welt. Jedermann kennt ihre Declamationen gegen den Sclavenhandel, und während sie uns weismachen wollen, was für humane Maximen solchem Verfahren zu Grunde liegen, entdeckt sich jetzt, daß das wahre Motiv ein reales Object sei, ohne welches es die Engländer bekanntlich nie thun, und welches man [149] hätte wissen sollen. An der westlichen Küste von Afrika gebrauchen sie die Neger selbst in ihren großen Besitzungen, und es ist gegen ihr Interesse, daß man sie dort ausführe. In Amerika haben sie selbst große Negerkolonien angelegt, die sehr productiv sind und jährlich einen großen Ertrag an Schwarzen liefern. Mit diesen versehen sie die nordamikanischen Bedürfnisse, und indem sie auf solche Weise einen höchst einträglichen Handel treiben, wäre die Einfuhr von außen ihrem mercantilischen Interesse sehr im Wege, und sie predigen daher nicht ohne Object gegen den inhumanen Handel. Noch auf dem Wiener Congreß argumentirte der englische Gesandte [Lord Castlereagh] sehr lebhaft dagegen; aber der portugiesische [Graf Palmella] war klug genug, in aller Ruhe zu antworten, daß er nicht wisse, daß man zusammengekommen sei, ein allgemeines Weltgericht abzugeben oder die Grundsätze der Moral festzusetzen. Er kannte das englische Object recht gut, und so hatte auch er das seinige, wofür er zu reden und welches er zu erlangen wußte.«

[150]

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek