1805, Mitte August.


Bei Karl Ernst von Hagen

Henke, Goethe und Wolf hatten sich vereinigt, um dem Herrn v. Hagen einen Besuch zu machen.

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Als der Wagen vorfuhr, ging der Herr v. Hagen den dreien entgegen und rief ihnen zu: »Willkommen, willkommen, Ihr Ersten bei einem der ersten eurer Verehrer!« Seine Augen funkelten dabei vor Freude und Bewegung. Goethe schien anfangs etwas zurückhaltend und gemessen, aber er thaute immer mehr auf, als er sah, welchen regen Geist und welch redliches Gemüth er vor sich hatte. Er wurde auf eine Art gesprächig, wie ich es noch von keinem gehört, so inhaltsreich und doch so einfach und so darstellend war seine Mittheilung. Er sprach unter anderm über Gebirgsschönheiten und Aussichten und was sie bedinge; über Farben, Licht und Schatten und über Landschaftsmaler, und ich [Theolog Waitze 1] brauche gewiß nicht erst zu versichern, daß alle mit gespannter Aufmerksamkeit ihm zuhörten. Einige frappante Witze, welche der Wirth dazwischen schleuderte, brachten ihn zum lauten Lachen ..... Der Hausherr wagte sogar mit Goethe zu disputiren, [13] indem letzterer der Behauptung widersprach, daß eine Person, welche die Erfüllung des kategorischen Imperativs in sich darstelle, zugleich als sittlich vollendetster Charakter der höchste Gegenstand schöner Darstellung sei, weil die wahre Größe stets eine sittliche sein müsse. Und wie klar und geistreich widerlegte Goethe diese Behauptung! – Auch auf objective und subjective Darstellung kam die Rede. Wolf behauptete, bei den Griechen habe sowohl bei den Dichtern als bei den Rednern der besten Zeit die objective Darstellung vorgeherrscht, weil die Objectivität zur Subjectivität nicht des Individuums bloß, sondern der Nation geworden sei; als die Nation diese Richtung verloren, sei immer mehr das Individuell-Subjective hervorgetreten ..... In Beziehung auf poetische Behandlung philosophisch-religiöser Gegenstände, welche Goethe »einen widerstrebenden Stoff« nannte, kam die Rede auf Tiedge, den der Wirth kannte und an welchem er Wohllaut und Musik der Sprache lobte. Ein nicht gedrucktes, wirklich schönes Gedicht, welches er einst von dem Dichter erhalten hatte, trug er mit bewundernswerthem Wohlklange und richtigster Betonung vor. Das nahm Goethe mit großer Freude auf, bemerkte aber einige Stellen, wo »der alte Herr« doch gefehlt habe. Herr v. Hagen sagte: »Die ›Urania‹ ge fällt mir nicht: als Philosophen stört mich die Poesie und bei der Poesie sperrt sich der Stoff, der sich mir immer in philosophischer Reinheit entgegendrängt. Stoff und Gewand [14] gehören hier nicht zusammen; es ist mir dabei so, als wollte ich dort dem Apoll, oder dort der Venus (er wies auf zwei im Saale befindliche Cartonstatuen) ein Kleid von Drapd'or anziehen.« Goethe gab diesem Einfalle seinen Beifall.

Am Abende, als die Gesellschaft sich in Gruppen vertheilte, würdigte mich Goethe einer kurzen Unterhaltung. Er hatte zufällig gehört, daß ich jetzt hier Religionsunterricht gebe; da erzählte er mir, daß sein Sohn... von Herdern confirmirt worden und vorher unterrichtet sei. »Ich habe bei dieser Gelegenheit,« sagte er, »selbst zugehört und auf den Lehrgang geachtet. Licht und Finsterniß, Gutes und Böses im Menschen, im Zwiespalte und in Mischung, war die Grundlage. Dann folgte die Lehre von des Menschen Freiheit und Sittlichkeit als Bestimmung und seine Hülfsbedürftigkeit. Daraus ward die Nothwendigkeit der Erlösung und Beseligung dargethan und diese als in Jesu erschienen nachgewiesen. Was mir dabei sehr gefiel, war, daß alles dem Confirmanden so hingehalten und überall so klar dargestellt wurde, daß er immer selbst das Rechte erkennen und bei sich selbst feststellen konnte. Es war eine Vollständigkeit, welche keinen Fehlgriff oder Zweifel aufkommen ließ; überall stand die Frage vor ihm: ob er dem Lichte oder der Finsterniß angehören wollte.«

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Am spätern Abend setzte sich die Gesellschaft nochmals [15] zu Tische – mehr der Unterhaltung, als des Essens wegen. Der Wirth gab eine für die seltensten Gäste gesparte Flasche zum Besten; er bemerkte, daß diese Flasche ein Jahr älter sei, als Goethe und er selbst: beide waren 1749 geboren. Henke, der gerade etwas an Halsschmerzen litt, hatte wenig Wein getrunken und wollte zu Abend durchaus keinen mehr trinken, sondern hatte sich ein Glas Bier erbeten. Da wollte ihn der heitere Wirth auf seine Weise bewegen, seine Rarität auch zu kosten; es entstand ein Spaß daraus, der viel Heiterkeit erzeugte. Der Herr v. Hagen ernannte nämlich Goethen zum Gesetzgeber und Kampfrichter gegen Henke. »Es hilft nichts, Hochwürden: Sie müssen sich heute der Excellenz unterwerfen.« Da dictirte Goethe, jeder solle, wie er es am Besten könne, Henke einladen und treiben, den Wein zu kosten. »Der alte Herr hier,« sagte er zu Hagen, »von dem ich höre, daß er ein fester Kantianer sei, muß es in Form eines Syllogismus thun, dem Henke nichts anhaben kann; Wolf muß ihn in einer griechischen Rede im Anakreontischen Ton auffordern.« Hierauf sah er mich an; ich verneigte mich mit den Worten: »Ich komme bei dem Symposion solcher Männer nicht in Betracht.« Aber das ließ der Wirth nicht gelten, sondern sprach: »Ei was! der Herr macht Verse; geb' er sein Scherflein auch.« – »Nun gut!« sagte Goethe, »so schmieden Sie schnell ein Distichon. Henke aber mag sich vertheidigen, aber nur in lateinischer Rede, die ihm ja so [16] sehr zu Gebote steht.« – »Nein!« sagte Henke, »da sitzt der Mann (auf Wolf zeigend), der eine fünfte Facultät, die philologische, gestiftet hat; der läßt mir nicht ein Wort passiren. Es wäre Verwegenheit, mit theologischem Latein vor ihm zu erscheinen.« – »Wenn das erste Glas getrunken und das zweite eingeschenkt ist,« sagte Goethe, »muß jeder fertig sein, und wenn Henke überwunden wird, trinken wir mit ihm auf seine Gesundheit.«


Note:

1 Wohl richtig für »Waitz«, wie Varnhagen v. Ense schreibt.

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