1832, 26. Februar.
Mit Friedrich von Müller
Abends. Er frug nach Professor Kunze's 1 Vorlesungen, und dies gab bald Veranlassung zu den [134] interessantesten Äußerungen seinerseits, da sich seine Theilnahme an unsern Naturstudien fortwährend steigerte, als er hörte, daß wir an der Farbenlehre stünden.
»Die Sache ist eigentlich sehr einfach, aber gerade darum schwer. Die größten Wahrheiten widersprechen oft geradezu den Sinnen, ja fast immer. Die Bewegung der Erde um die Sonne – was kann dem Augenschein noch absurder sein? Und doch ist es die größte, erhabenste, folgenreichste Entdeckung, die je der Mensch gemacht hat, in meinen Augen wichtiger als die ganze Bibel.
Es ist mit der Farbenlehre wie mit dem Whist oder Schachspiel. Man kann einem alle Regeln dieses Spiels mittheilen und er vermag es doch nicht zu spielen. Es kommt nicht darauf an, jene Lehre durch Überlieferung zu lernen, man muß sie selbst machen, etwas thun.
Die Natur spielt immerfort mit der Mannichfaltigkeit der einzelnen Erscheinungen, aber es kommt darauf an, sich dadurch nicht irren zu lassen, die allgemeine stetige Regel zu abstrahiren, nach der sie handelt.
Ihr andern habt es gut, Ihr geht in den Garten, in den Wald, beschaut harmlos Blumen und Bäume, während ich überall an die Metamorphosenlehre erinnert werde und mit dieser mich abquäle.
Im Jahre 1834 kommt der große Komet; schon habe ich an Schrön nach Jena geschrieben, eine vorläufige [135] Zusammenstellung der Notizen über ihn zu machen, damit man einen so merkwürdigen Herrn wohl vorbereitet und würdig empfange.«
1 Kunze in Weimar, zur Zeit Hofrath und Professor der Mathematik, wurde von v. Müller auch bestimmt, über Goethe's Farbenlehre sich zu verbreiten. Als Kunze's Vorlesung nicht polemisch ausfiel, äußerte Goethe...: »Das muß ein artiger junger Mann sein.«