1815, 4. August.


Mit Sulpiz Boisserée

Heute habe ich den Bericht über deutsche Alterthümer, Kunst und Wissenschaft, am Rhein angefangen. Der Allgütige gebe sein Gedeihen zu dieser Arbeit! Goethe hat auch angefangen, und wie er sich ausdrückt: hat der heilige Geist ihm offenbart, daß wir die Entwürfe hier fertig machen, darum wir noch acht Tage hier bleiben müssen; in Frankfurt nähmen sie ihn in Anspruch und dann käme ich zu Willemer, so gebe es Wahlverwandtschaften. Wir besprachen die Verhältnisse der Frankfurter Freunde, das wurde ihm nun immer mehr und mehr recht. Er versicherte mich, Stein sei uns sehr gewogen und geneigt; er, Goethe, habe die größte und Haupttheilnahme für uns, in moralischer, artistischer, politischer, ökonomischer und aller Rücksichten. Er wisse es und fühle es recht vollkommen, was ich ihm sage, daß er durchaus von unserer Sammlung reden müsse, weil er sie gesehen, sonst urtheilten die Menschen, sein Schweigen sei ein Mißbilligen oder Nichtachten. Darum sei es so gut, daß sich alles mache, und sich zeige, wie alles reif sei; er las mir dieß alles vor. Nach Tisch besprach er die Fortsetzung des Divan, das Rosenöl; – »Behandelt die Weiber mit Nachsicht;« – Spiel in den Locken; Hans Adams Geburt; – der Tulbend; – Freude der Freigebigkeit. Versprechungen [194] des Liebhabers. Alle Pracht des Orients hat doch am Ende nichts Höheres wie die liebenden Herzen – Stolz der Armuth des Liebenden, und viele andere herrliche, prächtige und anmuthige Dinge. Ich sage Goethe, daß es mich an Faust erinnere, wegen der Großartigkeit und Kühnheit, und doch wieder in der Natürlichkeit und Einfachheit der Sache und in der Form und Sprache, was ihm dann ganz recht und lieb war.

Morgens. Goethe: was er näher kennen möchte, wäre das Verhältniß und der Weg der neuen katholisch gewordenen Protestanten. – Ich meine, die Philosophie der Geschichte der Menschheit (Herder, Müller), die Zeit der Gegenwart, die welthistorische Richtung, haben es gethan. Stolberg ist der Heros unter ihnen. – Goethe: Ja, es sei die Fülle der Menschheit in ihm; das Gemüth des Großen, das Naturell; selbst das Kindermachen, die eigentliche Fülle des Menschlichen (ein Poet sei er gerade deswegen nie gewesen). – Ich: Aber nun sei von der andern Seite das Übel, daß er keine Kritik habe, die Tradition stützen wolle, durch Gelehrsamkeit und Historie. – Goethe: »Ei, das ist gegen alle Überlieferung, diese nimmt man entweder an, und dann gibt man von vorn herein etwas zu, oder man nimmt sie gar nicht an und ist ein rechter kritischer Philister. Auf jenem Mittelweg aber verdirbt man es mit allen; und es ist ein Beweis, daß er von dieser Seite noch nicht einmal mit sich fertig ist. Die Protestanten dagegen fühlen das Leere, und wollen [195] nun einen Mysticismus machen, da ja gerade der Mysticismus entstehen muß. Dummes, absurdes Volk, verstehen ja nicht einmal, wie denn die Messe geworden ist, und es ist gerade als könne man eine Messe machen! So der Schubart [Gotthelf Heinrich von Schubert], der erbärmliche, mit seinem hübschen Talent, hübschen aperçus, spielt nun mit dem Tode, sucht sein Heil in der Verwesung, da er freilich selbst schon halb verwest ist, das heißt, buchstäblich die Schwindsucht hat. Da möchte man des Teufels werden; es ist aber gut, ich lasse sie machen, es geht zu Grunde, und das ist recht.«

Ich: und es ist ihnen mit dem Christenthum, wenn man's beim Licht betrachtet, doch nicht recht ernst, es läuft am Ende doch immer wieder auf alles und eines und eines und alles hinaus. Dagegen ich mir den Dualismus für unentbehrlich halte, daß dem Geist und Leib sein Recht widerfahre, und die Einheit als Ziel und Höchstes immer gefordert, verlangt werde! Wovon hier auf der Erde nicht die Rede sein kann, als wenn Gott selbst kömmt. Sie aber wollen dem Herrn Christus auf die Spur kommen und selbst Christusse machen. Goethe: »Ja, recht, das ist: sie selbst wollen ein kleiner Herr Christus sein; sie ließen den Leib als solchen gelten, würden ihn auch zu ehren wissen.« – Dieß Alles kam zur Sprache, bei Gelegenheit eines neuen dünnen Büchleins: über das Abendmahl, welches in Gießen erschienen, und das ihm der hier badende Verfasser gegeben.

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