1825, 27. März.
Mit George Henry Calvert
Ich hörte im »Erbprinzen«, daß Goethe um 2 Uhr speise, wartete also bis ein Viertel auf vier und ging dann nach seinem Hause am Frauenplatze. Ich hatte kein Einführungsschreiben und zog deshalb die Klingel mit sehr geringem Vertrauen. Der Diener meldete, der Herr Geheimrath sei noch bei Tische. Ich wanderte in den Park und gegen vier Uhr klingelte ich zum zweiten Male an Goethes Hause. Der Diener fragte nach meinem Namen und ich gab ihm meine Karte, auf die ich unter den Namen geschrieben hatte: aus Washington, Amerika. Er kam bald zurück und ließ mich eintreten ..... Der Diener öffnete mir die [167] Thür und mitten im Zimmer stand Goethe groß, aufrecht, majestätisch, den Kopf leicht vorgebogen und die großen leuchtenden Augen auf den Eintretenden gerichtet.
Im Jahr 1825 sah man Amerikaner selten soweit im Innern Deutschlands. Goethe war höchst wahrscheinlich sein ganzes Leben lang nicht mit einem halben Dutzend zusammengetroffen, und die Anmeldung eines solchen für einige müßige Augenblicke nach Tische mochte für ihn, diesen immer und überall Beobachtenden, etwas Pikantes haben. Seine Haltung und sein Ausdruck, als ich eintrat, waren die eines Naturforschers, der mit einiger Spannung das überseeische Phänomen erwartet ..... Er empfing mich mit herzlicher Freundlichkeit, trat mir entgegen und forderte mich auf, neben ihm auf dem Sopha Platz zu nehmen. Nach wenigen Minuten fühlte ich mich ganz behaglich. Er fragte mich, wie lange ich in Europa sei, auf welchem Wege ich gekommen und nach der Seereise. Als er vernommen, daß ich seit fünfviertel Jahren in Göttingen studirt, erkundigte er sich theilnehmend nach einigen Professoren, namentlich nach Blumenbach und Sartorius.
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Und in dieser Unterredung mit dem Ersten der Lehrer, dem Weisesten der Weisen, in einer Unterredung mit Goethe – hunderte der besten und größten Männer würden heute einen Finger, ja, eine Hand drum geben, [168] könnten sie sich dadurch eine solche erkaufen – belehrte nicht Goethe mich, sondern ich belehrte Goethe ..... Ich will kurz erzählen, wie das kam.
Es war eben die Nachricht von der Wahl John Quincy Adam's zum Präsidenten der Vereinigten Staaten in Deutschland angelangt. Goethe erwähnte sie und wünschte sich über die Art und Form einer solchen Wahl zu unterrichten. Ich gab ihm die gewünschte Auskunft, und als ich bemerkte, daß das Volk nicht direct wähle, sondern eine kleine Anzahl Wahlmänner ernenne, brauchte ich den Ausdruck: der Volkswille werde so gleichsam gereinigt oder durchgesiebt. Das Wort gefiel ihm.
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