1780, November (?).


Mit Christoph Martin Wieland

Indessen danke ich Dir [Merck] nochmals für Dein angefangenes Eulogium von Kassel und seinem Fürsten. Daß das Portal daran fehlt, laß Dich nicht verdrießen. [65] Goethe riß es ein. Es ging damit zu, wie folgt: Ich war (vor etlichen Wochen) bei der Herzogin Mutter, und hatte Dein Scriptum mitgebracht, weil ich weiß, daß ihr Alles, was von Dir kommt, Vergnügen macht. Ich las es vor und sie machte sich selbst Spaß dabei mit allerlei Glossen über die schönen Dinge, die Du dem Landgrafen sagst. Sie behauptete, Du hättest expreß Deinen rothen Rock dazu angezogen, wie Du diesen Aufsatz niedergeschrieben; sie könnte sich Dich dabei nicht anders denken; und deffinirte uns dabei die schelmische Miene vor, die Du dazu gemacht haben müßtest etc. etc. Kaum sind wir mit Lesen fertig, so kommt Goethe, und da er uns, c'est à dire, die Herzogin und meine Wenigkeit, letzteren mit einem Manuscript in den Pfoten, sehr intriguirt sieht, will er wissen, was wir haben. Weil nun kein Geheimniß aus der Sache zu machen war, so wurde er gebeten, selbst zu sehen, was es wäre, und das opus allenfalls pro secunda audientia laut zu lesen. Das er dann auch that. Wurde also eine ordentliche akademische Vorlesung daraus, und das Resultat davon war, daß Goethe, nach verschiedenen Deliberationen und pro und contras, eine große Rabenfeder von der Herzogin Schreibtisch holte, und einen armsdicken Strich durch die Präfation machte, als von welcher er behauptete, daß sie zwar an sich selbst witzig und maliziös genug sei, aber das liebe Publicum auf den Kopf stellen, verwirren, den guten Effect der folgenden Elogen ruiniren, folglich alles [66] Verdienst, welches E. E. sich dadurch, daß Sie einmal was Gutes von Ihrem Nebenmenschen gesagt, gemacht hätten, wieder vernichten würden. Da ich nun von der Wahrheit dieser Bemerkung höchlich überzeugt war, auch Goethe die Verantwortung dieser liberté grande, die wir uns mit Deinem Werke genommen, wie billig, ganz auf sich zu nehmen versprochen, so blieb es bei dem einhelligen resoluto: das heilige Werk ohne Präfation, und nach homerischer, oder vielmehr tristramischer Weise in medio actu anzufangen.

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