1813, 24. April.


Im Hause Gerhards von Kügelgen

Goethe war.. am Morgen des Einzuges der Monarchen [Preußens und Rußlands in Dresden] ganz zutraulich bei uns eingetreten, und da er den Vater, der ihn anderwärts suchte, nicht zu Hause fand, hatte er die Mutter um Erlaubniß gebeten, bei ihr bleiben zu dürfen, um aus ihren Fenstern und vom Straßengedränge unbelästigt den erwarteten Einzug mit anzusehen. Er werde in keiner Weise stören, hatte er hinzugesetzt, wolle sich ganz still verhalten und bitte, keinerlei Notiz von ihm zu nehmen.

[77] Die Mutter glaubte zu verstehen, daß er selbst unbelästigt sein wolle, Sie überließ ihm daher ein Fenster, setzte sich mit ihrer Arbeit an ein anderes und drängte sich ihm mit keiner Unterhaltung auf. Da stand er denn, der prachtvoll hohe Mann in seinem langen Überrock und blickte, die Hände auf dem Rücken, behaglich auf das bunte Gewühl des drängenden Volkes nieder. Er sah sehr heiter aus und meine [Wilhelms v. Kügelgen] Mutter glaubte es ihm abzufühlen, wie dankbar er ihr für die Schonung sei, mit der sie ihn gewähren ließ; denn sie wußte, wie sehr der seltene Gast bis dahin von der bewundernden Zudringlichkeit schöngeisterischer Damen belästigt und gequält gewesen. Er pflegte sonst immer von großer Cortege umgeben zu sein, und da er so allein gekommen, nahm meine Mutter an, daß es ihm gelungen, sich vielleicht vom Gedränge begünstigt, aus seiner anbetenden Umgebung wegzustehlen und hierher zu retten, um die feierlichen Eindrücke eines geschichtlichen Ereignisses ungestörter in sich aufzunehmen. Sie rief daher auch mich hinweg, der ich dem großen Manne immer näher rückte und ihn anstarrte wie einer, der zum ersten Male in seinem Leben einen Walfisch oder Elephanten sieht. Er aber zog mich an sich, legte die Hand auf meine Schulter und fragte mich dies und jenes, unter anderm auch, ob ich mich darauf freue, den Kaiser von Rußland zu sehen. Ich sagte: ja, ich freute mich darauf, weil er mein Pathe wäre; und allerdings hatte ich bis jetzt in [78] dieser glücklichen Illusion gelebt, bloß weil ich eben auch Alexander hieß. Meine Mutter gab indeß sogleich die nöthige Aufklärung, und Goethe fragte nun manches über Rußland. So war sie dennoch mit ihm ins Gespräch gekommen.

Indem ward heftig an der Klingel gerissen. Ich sprang fort, um die Thür zu öffnen, und herein drang eine unbekannte Dame, groß und stattlich wie ein Kachelofen und nicht weniger erhitzt. Mit Hast rief sie mich an: »Ist Goethe hier?« – Goethe! Das war kurz und gut. Die Fremde gab ihm gegen mich, den fremden Knaben, weiter kein Epitheton, und kaum hatte ich die Zeit, mein einfaches Ja herauszubringen, als sie auch schon, mich fast übersegelnd, unangemeldet und ohne üblichen Salutschuß wie ein majestätischer Dreidecker in dem Zimmer meiner Mutter einlief. Mit offnen Armen auf ihren Götzen zuschreitend, rief sie: »Goethe! ach Goethe, wie habe ich Sie gesucht! Und war denn das recht, mich so in Angst zu setzen?« Sie überschüttete ihn nun mit Freudenbezeugungen und Vorwürfen.

Unterdessen hatte sich der Dichter langsam umgewendet. Alles Wohlwollen war aus seinem Gesichte verschwunden, und er sah düster und versteinert aus wie eine Rolandssäule. Auf meine Mutter zeigend, sagte er in sehr prägnanter Weise: »Da ist auch Frau V. Kügelgen.« Die Dame machte eine leichte Verbeugung, wandte dann aber ihrem Freunde, dessen üble Laune sie nicht bemerkte, ihre Breitseiten wieder zu und [79] gab ihm eine volle Ladung nach der andern von Freudenbezeugungen, daß sie ihn glücklich geentert, betheuernd, sie werde sich diesen Morgen nicht wieder von ihm lösen. Jener war in sichtliches Mißbehagen versetzt .... Er knöpfte seinen Oberrock bis ans Kinn zu, und da mein Vater eintrat und die Aufmerksamkeit der Dame, die ihn kannte, für einen Augenblick in Anspruch nahm, war Goethe fort.

[80]

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek