b.

Ich [v. Müller] hatte mich selbst heute bei Goethe zu Mittag eingeladen und fand noch Parthey von Berlin, den Enkel Nicolai's. Dieser erzählte uns seine Audienz beim Pascha von Ägypten, dem er ein besseres Zeugniß gab als andere Berichterstatter. Goethe war damit sehr einverstanden, da er den Pascha immer aus freierem Gesichtspunkte betrachtet hatte.

[191] Ich referirte darauf wie Se. M. der König von Bayern mich gestern Abend vor dem Theater zu einem Besuch im Schiller'schen Hause mitgenommen habe, wie er über die engen Räume, die Schiller bewohnt, gewehklagt und geäußert habe: hätte ich nur damals schon freie Hand gehabt, ich hätte ihm Villa di Malta in Rom eingeräumt und dort, dem Capitol gegenüber, hätte er die Geschichte des Untergangs von Rom schreiben sollen.

Allein Goethe meinte, Italien würde Schillern nicht zugesagt, ihn eher erdrückt, als gehoben haben. Seine Individualität sei durchaus nicht nach außen, nicht realistisch gewesen. Habe er doch nicht einmal die Schweiz besucht.

Goethe kam sodann auf die vielerlei Fragen und Singularitäten, die der König ihm vorgelegt, zu sprechen. Auf manche derselben habe er ausweichend, zweideutig antworten zu müssen geglaubt und geradezu erklärt, er mache es wie in der Normandie, wo, wenn man den Geistlichen frage, ob er in die Kirche gehe? immer erwiedert werde: »C'en est le chemin.«

Auch darüber, warum man Goethen den letzten Heiden genannt, habe der König gesprochen, worauf Goethe geäußert: man müsse sich doch den Rücken frei halten und so lehne er sich an die Griechen. Übrigens sei es ihm unschätzbar den König persönlich gesehen zu haben; denn nun erst könne er sich dies merkwürdige, viel bewegliche Individuum auf dem Throne allmälich [192] erklären und construiren. In derselben Zeit zu leben und diese Individualität, die mit aller Energie seines Willens so mächtig auf die Zeitgestaltung einwirke, nicht durchschaut zu haben, würde unersetzlicher Verlust gewesen sein.

Über des Königs Abschiedsworte an die junge Mad. Ridel »Gesunde Kinder, leichte Wochen« wurde viel gestritten. Goethe meinte, das sei ein Majestätsrecht von natürlichen Dingen natürlich zu sprechen.

Nach Tische wurde Goethe immer aufgeregter und herzlicher; es sei nichts Kleines, sagte er, einen so großen Eindruck, wie die Erscheinung des Königs, zu verarbeiten, ihn innerlich auszugleichen. Es koste Mühe dabei aufrecht zu bleiben und nicht zu schwindeln. Und es komme ja doch darauf an, sich diese Erscheinung innerlich anzubilden, das Bedeutende davon klar und rein sich zu entwickeln. Auch sinne er noch auf etwas, wie er dem König sich dankbar erweisen möge. Das sei aber sehr schwer, ja direct ganz unthunlich. Ich möge dazu helfen, erfinden, combiniren. Darauf schlug ich eine neue römische Elegie vor. Er lobte den Gedanken, meinte aber, er werde ihn nicht auszuführen vermögen; habe er doch auch beim Abschied der Prinzeß Marie 3 nichts hervorbringen können, wie immer, wenn sein Gefühl zu mächtig aufgeregt sei. »Aus Norden« setzte er hinzu, »habe ich kürzlich die schönsten und [193] zartesten Äußerungen über meine ›Trilogie‹ und über ›Helena‹ vernommen. Jene hat man ›mit der Perlenschrift der Thränen geschrieben‹ genannt.«

Wir sprachen dann über des Großherzogs Äußerungen über ›Helena.‹ »Wie schade,« äußerte Goethe, »daß dieser großsinnige Fürst auf der Stufe französischer materieller Bildung in Rücksicht auf Poesie stehen geblieben ist.«


Note:

1 Irrig : Louise

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