1821, 26. August.


Mit Joseph Sebastian Grüner

Das St. Vincenzfest ist zugleich ein Ernte-Danksagungsfest. Der Einzug der Pfarrer mit ihren Kirchkindern von so verschiedenen Stadtthoren her, die Märsche, die auf Blasinstrumenten größtentheils von Egerländer Bauernburschen ausgeführt wurden, das Wogen so vieler tausend Menschen auf dem Ringe, unter denen Goethe, sie aufmerksam betrachtend, mit mir umherwandelte, unterhielt ihn sehr, und er sagte:

»Es ist ein stämmig robustes Volk von gesundem[100] Aussehen. So viel ich bemerke, haben die Egerländer weiße gesunde Zähne, dunkelbraune Haare, doch wenig Waden.«

Wir verfügten uns dann in die mit Menschen angefüllte Hauptkirche zu St. Niklas, aus welcher die Procession, der Dechant das in Gold gefaßte und mit Edelsteinen geschmückte Haupt des heiligen Vincenz aus einem rothsammtenen goldgestickten Kissen tragend, von allen Pfarrern im größten Ornate, von den bürgerlichen uniformirten Schützen, von den Zünften mit ihren Fahnen und vielem Volke begleitet, aus ging.

Nachdem alles vorüber, sagte Goethe zu mir: »Wenn Sie nichts Besseres zu thun haben, so wünschte ich, daß Sie mich Nachmittags nach Liebenstein begleiten,« – welche Einladung ich mit Vergnügen annahm. Die Herrschaft Liebenstein, dem Grafen Zedtwitz gehörig, ist ein Kronlehengut. Es befindet sich dort ein altes in geschichtlicher Beziehung merkwürdiges Ritterschloß. Goethe mochte diese Excursion gewählt haben, weil westlich, dem Kammerberg gegenüber, sich der hohe Plattenberg erhebt, um hier vielleicht einigen näheren Aufschluß über jenen zu erhalten.

Der Weg dahin war äußerst schlecht, große mit Wasser gefüllte Löcher, deren Tiefe man kaum berechnen konnte, hinderten die Fahrt. Ich war um seine Person sehr besorgt, rief immer dem Kutscher zu, behutsam zu fahren; allein Goethe sagte:

[101] »Sie sehen, daß der Mensch die Sache besser versteht wie wir. Wenn ihn Napoleon gekannt hätte, er würde ihn zu seinem Leibkutscher gemacht haben, Sie sehen, er fährt sehr behutsam mitten in die großen Löcher hinein, daher kann er nicht umwerfen.«

Da ich keine Ängstlichkeit an ihm bemerkte, so war ich um so aufgeheiterter. Plötzlich stieg Goethe aus dem Wagen, machte seine Betrachtungen über einen Stein, und ich hörte ihn sprechen: »Nun, wie kommst du daher?« welche Frage er wiederholte. Mir kam diese Frage, da ich von der Mineralogie nichts verstand, nahezu lächerlich vor; ich dachte, wie kann einen so gelehrten Mann, so ein Stein interessiren, den ich nicht mit dem Fuße stoße, und deren Tausende zu finden sein werden; allein Stadelmann mußte ihn mitnehmen, und nach der Hand erfuhr ich, daß dieser Stein ein Feldspath-Zwillingskrystall war. Ich nahm mir nun vor, Steine, welche von dem gewöhnlichen Äußern abweichen, bei meinen Geschäftsreisen gelegentlich aufzusuchen, und sie an Goethe zu senden, weil ich sah, daß er für diesen Zweig der Naturwissenschaft eine große Vorliebe habe. Er hatte sich auch eine breite lange Tafel von weichem Holze machen lassen, welche er in dem Zimmer Nr. 1 im Gasthofe zur goldenen Sonne in Eger aufstellte, und auf welche die aus Marienbad mitgebrachten wie auch die in der Umgegend gesammelten Mineralien gelegt wurden. Goethe machte über sie seine Betrachtungen, ordnete die Gesteine [102] und stellte Suiten zusammen, die er zur Versendung bestimmte.

Die Zeit der morgigen Abfahrt nach Hartenstein wurde bestimmt.

[103]

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek