1824, 6. Juni.


Mit Friedrich von Müller
und Friedrich Wilhelm Riemer

Am Pfingsttage, 6. Juni, besuchte ich ihn Nachmittags nach Hoftafel. Er saß im Hemdärmel und trank mit Riemer. Ersteres war Ursache, daß er Gräfin Line Egloffstein nicht annahm. »Sie möge doch, sagte er zu Ottilien, des Abends zu mir kommen, nicht wenn Freunde da sind, mit denen ich tiefsinnig oder erhaben bin.« Nicht leicht habe ich ihn geistreicher und lebhafter gesehen.

Einige Anecdoten, die ich von Kirchnern 1 in Frankfurt erzählte, brachten das Gespräch auf Humor.

»Nur, wer kein Gewissen oder keine Verantwortung hat, sagte er, kann humoristisch sein. Musaeus konnte es sein, der seine Schule schlecht genug versah, und sich um Nichts und um Niemand bekümmerte. Freilich humoristische Augenblicke hat wohl Jeder; aber es kommt darauf an, ob der Humor eine beharrliche Stimmung ist, die durchs ganze Leben geht.«

»Wahrscheinlich deßwegen,« sagte ich »weil dem Humoristen mehr an seiner Stimmung, als an dem Gegenstand gelegen ist; weil er jene unendlich höher, als diese, anschlägt.« »Ganz recht commentirt,« erwiederte er, »und sogar ganz in meinem Sinne.«

[89] »Wieland z.B. hatte Humor, weil er ein Skeptiker war und den Skeptikern ist es mit Nichts ein großer Ernst. Wieland hielt sich niemandem responsabel, nicht seiner Familie, nicht seinem Fürsten und handelte auch so. Wem es aber bitterer Ernst ist mit dem Leben, der kann kein Humorist sein. Wer untersteht sich denn Humor zu haben, wenn er die Unzahl von Verantwortlichkeiten gegen sich selbst und Andere erwägt, die auf ihm lasten? Wenn er mit Ernst gewisse bestimmte Zwecke erreichen will? Unter den großen Staatsmännern hat bloß der Herzog von Ossuna Humor gehabt, aber aus Menschenverachtung. Doch damit will ich den Humoristen keine Vorwürfe machen. Muß man denn gerade ein Gewissen haben? Wer fordert es denn?«

Ich führte an, daß irgend ein Schriftsteller gesagt habe, der Humor sei nichts anders als der Witz des Herzens.

Goethe ergrimmte auf's Heftigste über die Redensart »Nichts anders«.

»So,« schrie er, »sagte einst Cicero:

Die Freundschaft ist nichts anderes als etc. O du Esel, du einfältiger Bursche, du heilloser Kerl, der nach Griechenland läuft, um Weisheit zu holen und nichts Klügeres als jene unsinnige Phrase herausbringt. ›Nichts anderes!‹ Lauter Negation, lauter Herabsetzung! Ich werde gleich wüthend, wenn ich dergleichen höre. Nie konnte ich vor Matthisson 2 Achtung [90] haben, wegen des absurden Liedes: ›Namen, ich 3 nenne dich nicht‹.

Und ›Witz des Herzens‹, welcher Unsinn! Ich weiß nicht, was Herz ist und will ihm Witz beilegen! Dergleichen Phrasen streifen an meinem Ohre vorüber wie zerplatzte Luftblasen; der Verstand findet absolut nichts darin; das ist hohles Zeug.«

Es dauerte lange, ehe er sich beruhigte und dabei strömten die schlagendsten Einfälle aus seinem Munde.

Weber's 4 Vorlesung über die »Braut von Korinth« gefiel ihm, »doch,« fügte er hinzu, »habe ich nicht aus Phlegons von Tralles, eines Freigelassenen Kaiser Hadrians, Tractat von wunderbaren Dingen, sondern wo anders her das Sujet genommen, es aber meist vom Stoffartigen entkleidet. Philinnion hieß die Braut.

Die Gegensätze der heidnischen und christlichen Religion bieten allerdings eine reiche Fundgrube für die Poesie.«

Darauf auf den Dichter Immermann kommend, bemerkte er: »Ich lasse Immermann gewähren und kann[91] ihn mir nicht recht construiren. Wie kann ich über ein erst Werdendes, Problematisches urtheilen? habe ich nicht mit meinen eigenen Werken genug zu thun? Und Sie wissen, daß ich ein fortwährend Werdendes statuire.«

So fuhr er lange im Tone der Orakelsprüche fort, z.B.

»Gegen einen Grundsatz statuire ich keine Erfahrung. Ich leugne sie geradezu.«

»Alles Tragische beruht auf einem unausgleichbaren Gegensatz. So wie Ausgleichung eintritt oder möglich wird, schwindet das Tragische.«

»Kirchner's Kopf paßt nicht zu seinem Rumpf und Leib. Schleppte er nicht am letztern eine so große Last herum, so würde er noch viel mehr Teufelszeug machen, noch viel lebendiger sein. Er ist ein kluger Schelm, der klügste in Frankfurt. Dort herrscht der krasseste Geldstolz, die Köpfe sind dumpf, beschränkt und düster. Da taucht nun auf einmal so ein Lichtkopf wie Kirchner auf! Ich will wetten, oder vielmehr de credulitate schwören, er schickt zu Michaelis keine weitern Frankfurter nach Jena.«

»Meine Freunde theile ich in Hoffer und Verzweifler. An der Spitze der erstern: der Kanzler, der letztern: Meyer. Dieser steht so hoch im Verzweifeln, daß er wieder zu hoffen anfängt.« (Riemer nannte ihn: »Auszweifler«.)


Note:

1 Anton Kirchner, Pfarrer, der Geschichtsschreiber Frankfurts.

Note:

4 Wilh. Ernst Weber, Vorlesungen zur Ästhetik, vornehmlich in Bezug auf Goethe und Schiller. Hannover 1831. pag 193-201; Die Geschichte der Braut von Korinth aus einem antiken Actenstücke vorgelesen im Museum zu Frankfurt a. M. am 23. April 1824.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek