1822, 15. Mai


Mit Friedrich von Müller

Von 8-10 Uhr war ich bei Goethe. Das Gespräch drehte sich um religiöse Gegenstände und war durch Thiemens Geschichte veranlaßt. »Den Beweis der Unsterblichkeit« – sagte Goethe – »muß jeder in sich selbst tragen, an andere kann er nicht gegeben werden. Wol ist alles in der Natur Wechsel, aber hinter dem Wechselnden ruht ein Ewiges.« Auch sprach er von der Ungewißheit der Geschichte und kam auf die vielen Hypothesen über das bekannte Taufbecken, von denen eine verwirrender als die andere sei. Um die Menschen aufzuregen, muß man ihnen nur einen kühnen Irrthum dreist hinwerfen. Ohne Poesie läßt sich nichts in der Welt wirken; Poesie aber ist Märchen.

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