1827, Ende Mai oder Anfang Juni (?).


Mit Eduard Genast u.a.

Auf dem Rückwege [von Cassel] hielt ich mich einige Tage bei meinem Vater auf, dem Goethe bereits zu wissen gethan, daß wir bei ihm zu Mittag essen sollten. Ich hatte ihn fast zwei Jahre nicht gesehen und fand ihn sehr wohl auf; bei Tafel war er äußerst heiter. Er liebte es, mit Schauspielern über das Theater zu sprechen, und so mußte ich ihm von meinen jüngsten Kunstreisen alles erzählen, was ich Anerkennungswerthes bemerkt und getroffen. Außer diesem zog ihn mein Zusammensein in Breslau mit Baron Ferdinand v. L. an, den er... zu Anfang dieses Jahrhunderts hatte kennen lernen. Ich erzählte ihm viele Anecdoten, die L. geliefert, und namentlich das Selbstgespräch in und unter dem Bett [unter das er sich gelegt hatte, um sich selbst für Betrunkenheit zu bestrafen] setzte Goethes Lachmuskeln außerordentlich in Thätigkeit. Er erzählte nun auch seinerseits, auf welche Weise er in Lauchstädt die Bekanntschaft dieses Originals gemacht. Auf einem einsamen Spaziergange durch die Felder war ihm auf einem Rain ein langer Mann im Militärrock mit verschränkten Armen begegnet, dicht vor ihm stehen geblieben und hatte statt der üblichen Begrüßung eine Strophe aus dem Lied der Parzen nicht ohne Geschick recitirt. »Das ist unter allen Schöpfungen die schönste, [138] womit Ew. Excellenz die Welt beglückt haben. Weder Tasso noch Ariost haben Ähnliches geschrieben, und selbst Schiller, den ich so hoch verehre, läßt öfter seiner Phantasie in seinen Dichtungen zu freien Spielraum, wodurch er die Wahrheit hier und da beeinträchtigt, aber Ew. Excellenz halten in beiden das richtige Maaß. Ich habe die Ehre, Ew. Excellenz in mir den Baron Ferdinand v. L. vorzustellen.« – »So sprach der Mann,« fuhr Goethe fort, »und ich wandelte längere Zeit mit ihm in der schattigen Lindenallee auf und ab, mich an seinem Urtheil über die alten und neuen Dichter ergötzend.« ....

Beim Abschied drückte er mir die Hand und fügte hinzu: »Grüße herzlichst Dein liebes Weib, und mag Dich Dein Weg bald wieder über Weimar führen!«

[139]

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek