1823, 15. September.


Mit Johann Peter Eckermann

Nach einem beiderseitigen fröhlichen Begrüßen fing Goethe sogleich an über meine Angelegenheit zu reden.

»Ich muß gerade heraussagen,« begann er, »ich wünsche, daß Sie diesen Winter bei mir in Weimar bleiben.« Dies waren seine ersten Worte, dann ging er näher ein und fuhr fort: »In der Poesie und Kritik steht es mit Ihnen auf's beste, Sie haben darin ein [261] natürliches Fundament; das ist Ihr Metier, woran Sie sich zu halten haben und welches Ihnen auch sehr bald eine tüchtige Existenz zuwege bringen wird. Nun ist aber noch manches, was nicht eigentlich zum Fache gehört und was Sie doch auch wissen müssen. Es kommt aber darauf an, daß Sie hierbei nicht lange Zeit verlieren, sondern schnell darüber hinwegkommen. Das sollen Sie nun diesen Winter bei uns in Weimar, und Sie sollen sich wundern, wie weit Sie Ostern sein werden. Sie sollen von allem das beste haben, weil die besten Hilfsmittel in meinen Händen sind. Dann stehen Sie für's Leben fest und kommen zum Behagen und können überall mit Zuversicht auftreten.«

Ich freute mich dieser Vorschläge und sagte, daß ich mich ganz seinen Ansichten und Wünschen überlassen wolle.

»Für eine Wohnung in meiner Nähe,« fuhr Goethe fort, »werde ich sorgen; Sie sollen den ganzen Winter keinen unbedeutenden Moment haben. Es ist in Weimar noch viel Gutes beisammen, und Sie werden nach und nach in den höhern Kreisen eine Gesellschaft finden, die den besten aller großen Städte gleichkommt. Auch sind mit mir persönlich ganz vorzügliche Männer verbunden, deren Bekanntschaft Sie nach und nach machen werden und deren Umgang Ihnen im hohen Grade lehrreich und nützlich sein wird.«

Goethe nannte mir verschiedene angesehene Namen und bezeichnete mit wenigen Worten die besondern Verdienste jedes einzelnen.

[262] »Wo finden Sie«, fuhr er fort, »auf einem so engen Fleck noch so viel Gutes? Auch besitzen wir eine ausgesuchte Bibliothek und ein Theater, was den besten anderer deutschen Städte in den Hauptsachen keineswegs nachsteht. Ich wiederhole daher: bleiben Sie bei uns, und nicht bloß diesen Winter, wählen Sie Weimar zu Ihrem Wohnort. Es gehen von dort die Thore und Straßen nach allen Enden der Welt. Im Sommer machen Sie Reisen und sehen nach und nach, was Sie zu sehen wünschen. Ich bin seit funfzig Jahren dort, und wo bin ich nicht überall gewesen! Aber ich bin immer gern nach Weimar zurückgekehrt.«

[263]

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