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Über seine Gesundheitszustände sprach sich Goethe gegen andere, als den Arzt, nicht gern aus. Eine specielle Nachfrage nach seinem Befinden, aus bloßer Theilnahme konnte ihn, vornehmlich wenn er sich wirklich in dem Augenblick nicht ganz wohl fühlte, leicht verdrüßlich machen. Oft äußerte er launig: es sei geradezu unverschämt, einen Menschen zu fragen, wie er sich befinde, wenn man weder die Macht noch die Lust habe, ihm zu helfen. Noch unerträglicher waren ihm die gewöhnlichen Beileidsbezeigungen, zumal wenn sie umständlich und jammerhaltig ausfielen. »An eigner Angst und Sorge hat man in solchen Fällen schon genug, dazu aber noch die Wehklage zu dulden, ist mir wenigstens ganz unmöglich« – fuhr er dann wohl heraus, sobald die ihn belästigende Person nicht mehr zugegen war.
Die Heilkunst und ihre ächten Jünger schätzte Goethe ungemein hoch. Er liebte es, medicinische Themata zum Gegenstand seiner Unterhaltung zu wählen. In seinen Tagebüchern findet man den Inhalt ihn besonders interessirender medicinischer Unterredungen, die ich mit ihm hatte, nicht selten angemerkt.
Er war ein sehr dankbarer und folgsamer Kranker.[211] Gern ließ er sich in seinen Krankheiten den physiologischen Zusammenhang der Symptome und den Heilplan auseinandersetzen. Dies war auch bei seinen bedeutenden Einsichten in die Gesetze der Organisation weder besonders schwierig, noch übte es auf die Cur einen hemmenden Einfluß. Die Prognose eigner Übel ließ er unberührt, weil ihm einleuchtete, daß Aufrichtigkeit in diesem Punkte vom Arzte nicht immer füglich gewährt werden könne und dürfe. Consultationen mehrerer Ärzte betrachtete er mit mißtrauischen Blicken und dachte darüber ungefähr wie Molière.
Die Gabe, seine Empfindungen dem Arzte zu beschreiben, hat wohl nicht leicht ein Kranker in höherem Grade besessen, als Goethe. Nur hinsichtlich eines einzigen Zustandes kam hierin eine beständige Ausnahme vor. War nämlich die Gabe irgend eines sogenannten Reizmittels etwas zu stark gegriffen worden, – wie das im Anfange meiner Bekanntschaft mit ihm, ehe ich mich von seiner ganz ungewöhnlichen Empfänglichkeit überzeugt hatte, einigemal geschah – so pflegte er die dadurch erregte Empfindung mit den Worten zu bezeichnen: »Es ist ein Stillstand in meinen Functionen eingetreten.« Er vermochte niemals diesen Zustand deutlicher mitzutheilen.
Imbegriff zu schließen, wüßte ich dem Vorwurf des Ungenügenden der vorstehenden Andeutungen nicht angemessener zu begegnen, als mit eignen Worten dessen, den ich von einer noch weniger bekannten Seite hier [212] zu schildern versuchte: »Alles Bestreben, einen Gegenstand zu fassen, verwirrt sich in der Entfernung vom Gegenstande und macht, wenn man zur Klarheit vorzudringen sucht, die Unzulänglichkeit der Erinnerungen fühlbar.«
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