1829, 27. August.


Abend bei August von Goethe

Der heutige Abend bei Frau Ottilie war ein Ballabend, der Polterabend des morgigen Festes [von Goethes Geburtstag]. Die ganze Gesellschaft Weimars und die von allen Seiten hergekommenen Gäste füllten die reichbeleuchteten Salons. Man sprach die Gratulationen noch nicht formell aus, man spürte sie aber in allem: alle Damen in glänzender Toilette, die Herren mit weißen Halsbinden, auf den Tischen große Bouquets, überall festliche Kleidung und Drappirung. Goethe war als Sonne und Idol des Festes der Centralpunkt, gegen den alles gravitirte. Die Menge folgte ihm; bei seiner Annäherung verstummte das Gespräch, und lauschte man nur auf seine Worte. Er betheilte damit, langsam den Salon umschreitend, wohlwollend alle. Mich [Odyniec], oder vielmehr uns – denn man wußte nicht, auf wen es gezielt sei – traf eine räthselhafte, sphinxartige Frage, deren Sinn ich mir bisher nicht auslegen kann. Ich sprach nämlich mit Frau Rosa, [134] als Goethe an uns herantrat und mit heiterem Lächeln fragte: »Nun, wie geht's im Paradies?« Ich gerieth in Verwirrung; denn ich wußte nicht, was es zu bedeuten habe. War das eine Anspielung auf den Paradiesvogel? oder darauf, daß ich einmal zu Herrn August gesagt, mir gehe es hier so gut wie im Paradiese? Oder errieth das der alte Seher selber. Oder endlich – wie ich es später meiner Nachbarin verdolmetschte – fragte er sie um Neuigkeiten aus jener Sphäre, in deren Himmelblau sie gekleidet war? Genug, ich antwortete nichts darauf und die Antwort ihrerseits war ein lebhaftes Erröthen. Goethe lächelte noch bedeutsamer und, mir die Hand reichend, sagte er: »Es ist schön, daß Sie uns geblieben.« »Wir danken dem Himmel,« erwiederte ich, »daß uns dies Glück zutheil wurde.« Goethe nickte freundlich mit dem Kopfe und fragte meine Nachbarin, wie Ihre Blumen gedeihen, indem er dabei erwähnte, daß er die seinigen im Gärtchen fremder Obhut übergeben mußte. – Ich hatte nicht Zeit dem zu folgen, was er mit andern sprach, ich weiß nur von Adam, daß er ihm sehr artig dafür dankte, daß er noch diesen Tag hier geblieben sei. Trotz des wohlwollenden Sprechens und Lächelns konnte man aber unschwer erkennen, daß es nur eine angenommene Rolle sei, die er nur aus Zwang und des Anstandes wegen spielte. Auf seinem Statuengesichte war weder Bewegung noch Lebhaftigkeit zu gewahren. Auch seine Gegenwart wirkte durchaus [135] nicht belebend. Solange er im Salon verweilte, bewegte sich das Gespräch wie in Fesseln; erst als er sich incognito auf seine Zimmer zurückzog (das war etwa um 10 Uhr), wurde das Gemurmel allmälig lauter, bis zuletzt der ganze Salon davon erfüllt wurde.

[136]

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek