[157] b.

Nun meine angenehmen Vorfälle mit Goethe! Ich war vormittags hingegangen, vorsätzlich zu einer Zeit, wo er immer zu Hause ist und sich niemals sprechen läßt, und hatte den Brief dem Bedienten mit dem Bedeuten gegeben, daß ich nachmittags um 3 Uhr wiederkommen würde, um zu fragen, ob mir der Herr Geheimerath die Ehre erzeigen wollte, mich zu sprechen .... Um 3 Uhr kam ich und der Bediente führte mich in das Besuchzimmer.

Goethe (aus einer andern Stube). »Sie haben mir einen Brief von Herrn Maimon gebracht?« Ich: »Zu Befehl.« Goethe: »heißen?« Ich: »Veit« Goethe: »Ich freue mich recht sehr.« Ich: »Ich hatte schon vor anderthalb Jahren die Ehre, Sie zu sehen, durch eine Empfehlung des verstorbenen Hofraths Moritz.« Goethe: »Ach ja! Auch ist mir Ihr Gesicht recht bekannt. Nun wie geht es denn Herrn Maimon?« – Ich sagte ihm hierauf sein jetziges Verhältniß und daß er nebenher von dem geringen Ertrag seiner Schriften lebt.Goethe: »Ei, ei! Und er schreibt so starke Sachen und so hübsch.« Ich: »Ja! und hat das schwerste Fach.«Goethe: »Ganz gewiß, das schwerste von allen. Man kennt ihn gar nicht so recht; das Publikum ist gar klein. Ich wollte, er käme her.« Ich: »Haben Sie seine neue Theorie gesehen, Herr Geheimerath?« Goethe: »O wohl! Er hat mir auch [158] seinen Plan zur Erfindungslehre geschickt; das muß er ausführen.« Ich: »Er wünscht, sich mit mehr Gelehrten verbinden zu können.« Goethe: »Hm! warum? Sehen Sie: in wissenschaftlichen Sachen ist so etwas gar nicht nöthig. So wie ich da eine Idee habe, kann und muß ich sie jedem sagen; wie einer das Schema sieht, weiß er schon, was er erwarten kann. In ästhetischen ist es umgekehrt: wenn ich ein Gedicht machen will, muß ich es erst zeigen, wenn es fertig ist, sonst verrückt man mich; und so bei allem, was Kunst ist.« – Hierauf sprach er mit mir von Jena eine lange Zeit; Dinge, die zu weitläuftig würden. Dann sagte ich ihm, daß Maimon den Plan hätte, ein neues Wörterbuch der schönen Künste herauszugeben, und spielte hintenherum auf ihn als Mitarbeiter heran. Goethe: »Ja, sehen Sie! Moritz wollte das auch, und der war lebhaft; dem habe ich schon gesagt, daß es noch zu frühe ist. Erst müssen die Philosophen die Principia in Ordnung gebracht haben; und wie jetzt die Gährung ist, das wissen Sie. Man könnte da viel schreiben und manches aufwärmen; das will man nicht, und in sechs oder acht Jahren wäre das Neue wieder verworfen. Das ist doch auch nichts. Moritz kehrte sich nicht daran, und seinen Beistand kann man keinem hübschen Unternehmen versagen, aber ein Lexikon, das ist zum Nachschlagen für Leute, die keine weitläuftige Sachen lesen, und ist kein Buch für Erfindungen. Soll es Theorie der Künste sein? Künste müssen ausgeübt [159] werden, es sei nun Poesie, Malerei oder was sonst. Der die Regeln giebt, der muß sehr langsam sein, und der Künstler kann wieder nicht warten und muß sich an etwas halten. Dazu ist nun freilich das Genie. Das Genie kommt mir immer vor wie eine Rechenmaschine: die wird gedreht, und das Resultat ist richtig; sie weiß nicht warum? oder wie so?«

Ich sprach immer viel dazwischen und kam ihm oft zu Hilfe; denn er kann sich gemeinhin auf viele Wörter nicht besinnen und macht beständig Gesichter. »Bisher« – sagte er unter andern – »hat man sich in der Theorie häufig auf empirische Regeln, auf Erfahrungssätze, eingelassen und immer in den Künsten gesprochen, wie die Sachen erscheinen müssen, nicht wie sie sein müssen und wie man sie machen soll. Ja, hören Sie! das kommt mir vor, als wenn einer in's Theater geht und das Stück gefällt ihm; nun denkt er, wie natürlich einjeder: du möchtest wohl auch ein so schön Stück schreiben, und schreibt nach dem Effect. Ja, lieber Gott! der bringt nichts heraus; man muß wissen, wie viel unangenehme Theile dazu gehören, bis ein Ganzes angenehmen Effect macht. Kurz: so wie die Leute reden und schreiben, das heißt meistentheils, ein Stück als Zuschauer schreiben. Hinter die Bühne muß man; man muß die Maschinen und die Leitern kennen.«

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