1823, Anfang September (?).


Mit Marie und August Wilhelm Rehberg

Gern möchte ich... recht viel vom Gespräch mit Goethe erzählen können, aber es geht aus vielen Gründen nicht. Am Morgen, da ich bei ihm allein war, blieb natürlich die Unterhaltung in der Sphäre der Gewöhnlichkeit; ich hatte mich so gut in meinen Basenmantel 1 eingemummt, daß ihm gar kein Zweifel aufsteigen konnte, als habe ich je eine Zeile von ihm gelesen, ja, ob ich überhaupt lesen und schreiben könne, blieb ungewiß. »Ach, sage Se mer doch, Ihr Excelenz, ob Se sich wieder recht gut befinde? Ach, wie wird sich mein Herr Vetter freie! Und viele, viele Leit werde sich freie. Is es denn wahr, daß Sie sich selbst curirt [255] habe? Die Leit habe sagt, die Docter hätte Sie nicht ksund mache könne.«

Er kam nicht aus dem Lächeln über die komische Base, zog sie immer wieder auf's Kanapee und sagte, ob sie denn heute nicht in Karlsbad bleiben wolle. »Ach nein, Ihr Ex.! Sehn Se, ich reis' mit einem alten Herrn, der hat absolut nich herkwollt; aber ich hab'n soviel kbitt, bis ers kthan hatt. Mer wolle nach Prag; das soll e schöne Stadt sein, und zu Dresde soviel schöne Bilder etc.« – Was war auf solches Zeug zu antworten und was konnte man so einer Base sagen?

Den Nachmittag hätte ich nun gar zu gern mir meinen Pardon allein geholt und ihn womöglich in die alte Zeit zurückgeführt, zu meinem Vater und Merck u.s.w., aber Rehberg wollte doch auch sein Theil von ihm haben und blieb »als verwünschter Dritter« dabei sitzen. Ich war nach meiner üblen Gewohnheit auf Reisen halb taub, und so entging mir vieles, was er mit R. über allerlei literarische Gegenstände und über Göttingen sprach. Er hat eine Herausgabe seiner Correspondenz mit Schiller vor, wovon ihn aber doch noch, wie er sagte, die Furcht abhielte, manchen unter den Lebendigen zu verletzen und Anstoß zu geben, was ihm Rehberg auszureden und ihn zu bewegen suchte, seine Correspondenz der Welt baldmöglichst zu schenken. Die Geschichte seines Lebens, sagte er, sei geschlossen. Ich brachte ihn doch noch auf Darmstadt und Merck, wobei er ein [256] Wort aussprach, was das ganze Leben Rehberg's bezeichnete und mir mit einem Blitzstrahl den Punkt erleuchtete, um den sich sein ganzes Schicksal gedreht hat. Ach! – konnte ich nicht umhin im Stillen zu seufzen – wer das R. vor 30 Jahren zugerufen hätte! Und wenn er's hätte befolgen können! Aber hier erkannte ich meinen Dichter, an dem ich vor allem den gefunden Menschenverstand bewundert habe, womit er immer den Nagel auf den Kopf trifft.

Überhaupt ist es nicht möglich, sich etwas Einfacheres, Natürlicheres, als sein Gespräch zu denken. Er ist sich seiner innern Kraft und Vollendung auf's Vollkommenste bewußt und läßt sich darum nur so ganz ruhig gehen. Sein Anstand ist vornehm, imposant, ohne eine Spur von Aufgeblasenheit, ohne die Steifheit, deren ihn so manche angeklagt haben. Manchmal geht seine Natürlichkeit in Naivetät über, und das steht ihm ganz bezaubernd. Im Laufe des Gesprächs erinnerte ich ihn einmal, daß er gesagt habe: Gott segne die Pedanten, da sie soviel Nützliches beschicken! »Ja,« sagte er freundlich, »das schickt sich wohl für mich, die Partie der Pedanten zu übernehmen, da ich selbst einer bin.« – Wenn man ihm etwas Verbindliches sagt, so zieht ein freundliches Lächeln über sein Gesicht, was ohne Worte zu sagen scheint: ich danke für Deine gute Absicht. – Die wenigen gütigen Zeilen, die er mir ins Reisestammbuch schrieb, habe ich Ihnen, glaub' ich, schon mitgetheilt.

[257] Beim Abschied nahm er noch zwei Steine aus seiner Mineraliensammlung und gab sie mir mit den Worten: »Ich muß Ihnen doch auch ein Andenken schenken! Da sind ein paar Steine; aber ich nenne sie nicht. Fragen Sie nur den ersten besten Mineralogen darnach.« – Auf meine Frage sagte mir Hausmann: der eine heiße Pyroxène – der Feuergast, der andere Amphibole – die Zweideutige. Da hatte ich also meine gnädige Strafe.


Note:

1 Frau Rehberg hatte sich als Verwandte des Geheimenrath Götz in Rüdesheim, bei welchem Goethe 1814 gewohnt, eingeführt.

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