1829, Anfang Mai.


Mit Friedrich Notter und Karl Wolff

Dem Canditaten der Theologie Wolff († als Rektor des St. Katharinenstifts in Stuttgart 1869), und dem Dr. med. Notter (bekannt als Danteübersetzer, † in Stuttgart 1884) hatte Hr. v. Cotta, der in Verhandlungen wegen des Zollvereins gleichzeitig mit jenen seinen jungen Landsleuten in Berlin weilte, versprochen, sie auf der Rückreise durch Weimar bei Goethe anzumelden. Die beiden Schwaben kamen dahin, Anfangs Mai 1829. Sie wurden von dem Greis freundlich empfangen mit den Worten: »Herr v. Cotta ist zwar hier gewesen, hat Sie jedoch nicht annoncirt, da ich aber aus Ihren Zeilen ersehe, daß Sie Landsleute meines großen Freundes Schillers sind, hab' ich das Vergnügen mir nicht versagen wollen, Sie bei mir zu sehen.« Damit wies er uns, erzählt Notter (Staatsanzeiger für Württemberg 1864 Nr. 235), nach einem kleinen, eben für zwei Personen Raum bietenden Divan hinter dem Tische, während er selbst Miene machte, sich auf einen gewöhnlichen Stuhl niederzulassen. Wir zauderten einen Augenblick, solche Bevorzugung anzunehmen, er aber sagte mit einem unendlich vertraulichen, jede Förmlichkeit mit einem Schlag abschneidenden Ton: »Nein, nein, das ist so meine Art«, und wir mußten gehorchen. Damit war de Charakter der ganzen, etwa 3/4 Stunde dauernden Unterredung gezeichnet. Das Gespräch dehnte sich auf die verschiedensten Gegenstände aus, nur wie dies in der Regel bei allen von dem Dichter vorgelassenen, ihm persönlich unbekannten Personen der Fall war, nicht auf die Poesie. Dabei ließ nichts das hohe Alter desselben ahnen, als ein fast nach jedem fünften oder sechsten Wort kommendes langgedehntes M-h-h, das jedoch deutlich mehr aus dem Mund als der Brust kam und eher angenommene Gewohnheit als irgendwie ein Zeichen von Erschöpfung oder sonstiger Beschwerde zu sein schien. Nachdem er sich erst theilnehmend nach Kielmeyer – dem Naturforscher, 1765 bis 1844 – und dessen Angehörigen in Stuttgart erkundigt, fragte er, wohin wir unsern Weg zunächst von Weimar aus nehmen würden, und empfahl uns auf unsere Erwiderung, daß wir zuvörderst den Thüringerwald zu durchstreifen gedächten, [279] besonders den Inselberg, sich umständlich in die geologischen Verhältnisse dieser Gegend einlassend; ehe wir jedoch abgingen, sollten wir einen Besuch auf dem Schloß Belvedere, wo eben die vom Großherzog mit besonderer Vorliebe gehegten Aurikeln im vollsten Flor ständen, nicht versäumen. Später kam das Gespräch auf das Weimarer Theater, das wir noch nicht besucht hatten. Goethe rieth uns sehr, hinzugehen, Fremde, dürften so was nicht unterlassen, indem er beifügte: »Ich selbst gehe ja nicht mehr hin.« Endlich sagte er: »Sie kommen aus Berlin. Erzählen Sie mir etwas davon. Worüber spricht man jetzt dort?« Ich erwiderte, nachdem ich des eben im Bau begriffenen Museums der bildenden Künste und sonstiger neuen Unternehmungen gedacht, sehr häufig bilde der in Aussicht stehende, auch von Hrn. v. Cotta betriebene Anschluß Preußens an den süddeutschen Zollverein den Gegenstand der öffentlichen Unterhaltung. Hier gab nun Goethe die Antwort, die mich in seinem Munde, nachdem er von vielen Seiten als gleichgültig, ja kalt gegen Deutschland geschildert worden, überraschte und um deren Willen dieser ganze Aufsatz geschrieben worden. Er fragte erst theilnehmend, ob wohl Hoffnung für das Zustandekommen des Anschlusses da sei, und auf meine Erwiderung, nach dem, was ich gehört, glaube ich die Frage bejahen zu dürfen, entgegnete er mit freudigem, tief aus der Brust geholtem Tone: »Also doch Ein Band mehr zur Einigung Deutschlands

(Mitgetheilt von Prof. Dr. J. Hartmann in Stuttgart.)

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